No-go- oder Go-Areas?
Sehen wir nach dem Rechten, sehen wir nach der AfD
Eine „No-go-Area“ ist, an sich, ein Begriff aus dem militärischen Sprachgebrauch. Man geht besser nicht dorthin, wo Minen liegen könnten. Soziologisch werden No-go-Areas als Gebiete definiert, in denen Menschen aufgrund ihrer äußeren Erscheinung einem hohen Risiko rassistisch motivierter Gewalt ausgesetzt sind. Im Neusprech der Rechtsradikalen wird das dann „National befreite Zone“ genannt. Das Perfide an der Sache ist, dass diejenigen, die es betrifft, es sehr wohl merken. Viele andere aber so tun können, als ginge es sie nichts an.
Matt Aufderhorst über ein Jahr, in dem sich für ihn und seine Partnerin einiges grundlegend geändert hat.
___________________________________________________________________________
Ich spreche zu Ihnen - als Mensch. Wenn Sie mir zuhören, am Radio, wissen Sie nicht, welche Hautfarbe ich habe oder welche Priya, meine Partnerin, hat. Rechtsradikale, die es überall gibt, dürften also nicht per se sagen, dass wir verschwinden sollen, aus „Ihrer“ Gegend. Sehen sie Priya und mich, ändert sich das, zunehmend. Da wir nicht dem „Einheimischen“-Klischee entsprechen, wird uns durch Pöbeleien gezeigt, dass es sich bei „ihrer“ Gegend um eine No-go-Area handelt – für uns. Übrigens: Sobald Priya und ich „auf dem Land“, präziser: „auf dem deutschen Land“ zusammen unterwegs sind, haben wir für diejenigen, die Menschen rassistisch einordnen, symbolisch eine gemeinsame Hautfarbe.
Rechtsradikale wollen, dass wir Angst verspüren. Und wir verspüren, immer häufiger, Angst.
So wie neulich, als in Neuruppin ein Auto, aus dem laute Fascho-Musik erklang, langsam an uns vorbeifuhr. Wir haben uns weggeduckt.
Priya, mit der ich seit 26 Jahren zusammenlebe, wurde in London geboren, ist indischer Abstammung, wuchs in Kenia auf und hat seit einigen Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft – was in Teilen Deutschlands, Ost wie West, längst nicht mehr bedeutet, dass sie sich noch ungehindert bewegen kann. Obwohl Freizügigkeit im Artikel 11 des Grundgesetzes garantiert wird.
Die Soziologin Eva Illouz stellt fest, dass diejenigen politische Macht haben, die die Angst-Agenda kontrollieren[i]. Die Neuen Rechten schaffen einen Raum der Angst. Sie nennen diesen Raum der Angst „Vorfeld“. Im „Vorfeld“ agieren rechte Think Tanks, rechte Medien, rechte Schlägertrupps. Das „Vorfeld“ ist kein demokratisches Pflaster. Es grenzt DemokratInnen der verunglimpften „Altparteien“ aus. Das „Vorfeld“ existiert, um die AfD zu stärken[ii].
Im letzten Verfassungsschutzbericht[iii] gibt es eine Rangliste der Bundesländer, in denen die meisten rechtsradikalen Straftaten passieren: In den Top 8 der 16 Länder finden sich alle sechs ostdeutschen. Ich zähle Berlin, in dem ich wohne, zum Osten. Rechtsextremismus sei die größte Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie, warnt der Verfassungsschutz. Im vergangenen Jahr sei die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten um ein Fünftel auf 26.000 angestiegen.
„Es ist Zeit für Remigration“ stand kürzlich auf dem blauen Wahlplakat der AfD- Brandenburg. Priya und ich lasen es, fassungslos. Hat dieses Unwort, das als Verniedlichung für die Pläne einer gewaltsamen Vertreibung von sogenannten „Volksfremden“ steht, Anfang des Jahres nicht noch Riesendemos ausgelöst? Plötzlich textete mir meine Schwester – eine Warnung. Sie sei gerade in eine ReichsbürgerInnen-Demo geraten, wenige Kilometer von Potsdam entfernt. Ein Redner bekomme Riesenbeifall, weil er „Ethnopluralismus“ fordere. Priya und ich sahen uns an. Es war nicht die Zeit, um das Einsteinhaus in Caputh am Templiner See zu besuchen – für uns.
„Ethnopluralismus“ ist eine oft benutzte weitere sprachliche Mogelpackung der Neuen Rechten. „Völkervielfalt“ gäbe es, sauber getrennt, nur in ethnisch homogenen Staaten. Eine faschistische Idee, die gegen die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde verstößt.
Der Nazismus, schreibt Victor Klemperer in <Die Sprache des Dritten Reiches>, der Nazismus glitt in Fleisch und Blut der Menge über, durch die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr in millionenfachen Wiederholungen aufzwang und die mechanisch und unbewusst übernommen wurden[iv]. Klemperer hat übrigens nur dank seiner „arischen“ Frau die NS-Diktatur überlebt.
Angst und Lügen sind nicht anekdotisch. Fragen Sie bitte Ihre nicht-biodeutschen NachbarInnen, was in unserem gemeinsamen Land gerade passiert.
Wir sind Menschen. Sehen wir nach dem Rechten! Dafür gibt es Karlsruhe, die Go-Area des Rechts. Klären wir vorm Bundesverfassungsgericht, ob die AfD mit ihrer Angststrategie die Demokratie aushöhlt. Starten wir das AfD-Verbotsverfahren. Furchtlos.
___________________________________________________________________________
[i] https://www.nzz.ch/nzz-am-sonntag-magazin/angst-wut-und-liebe-eva-illouz-ueber-den-einfluss-der-gefuehle-in-der-politik-ld.1851180
[ii] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheit/vsb2023-BMI24018.pdf?__blob=publicationFile&v=10 S. 98 ff.
[iii] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/verfassungsschutzberichte/2024-06-18-verfassungsschutzbericht-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=17 S. 33
[iv] LTI : Lingua Tertii Imperii, Sprache des Dritten Reichs, Victor Klemperer, Aufbau Verlag, 1947, S. 29