Das Schaltjahr
365 Anfänge
365 Anfänge
0
Der Leser ist ein seltsames Tier, das man nicht zähmen kann.
Der Leser ist ein seltsames Tier, das man nicht zähmen kann.
1
Sie standen neben der Brücke. Das Wasser roch nach Öl. Möwen, fragte er sich, wo sind die Möwen. Bleibt der Himmel leer, stirbt die Erde. Hinten, auf dem Campingplatz, brannte ein Wagen. Und das Wahlplakat. Kein anderer Weg war möglich. Er rannte, der Rotz lief ihm aus den entzündeten Augen, zwischen den beiden hindurch. Der eine der Zwillinge zog an einer Zigarette. Als steckte er im Moor. Als handelte es sich um einen Strohhalm, durch den er nach Luft schnappte. Aromatischer Tabak. Irgendwas Totes reingemischt. Der Qualm berührte sein Gesicht. Ein Duft, den er von früher kannte. Mein Leben, dachte er, sein erster vernünftiger Gedanke seit Tagen, ist eine Fata Morgana. Er ballte, automatisch, die Faust und holte - die Luft flimmerte - aus.
Sie standen neben der Brücke. Das Wasser roch nach Öl. Möwen, fragte er sich, wo sind die Möwen. Bleibt der Himmel leer, stirbt die Erde. Hinten, auf dem Campingplatz, brannte ein Wagen. Und das Wahlplakat. Kein anderer Weg war möglich. Er rannte, der Rotz lief ihm aus den entzündeten Augen, zwischen den beiden hindurch. Der eine der Zwillinge zog an einer Zigarette. Als steckte er im Moor. Als handelte es sich um einen Strohhalm, durch den er nach Luft schnappte. Aromatischer Tabak. Irgendwas Totes reingemischt. Der Qualm berührte sein Gesicht. Ein Duft, den er von früher kannte. Mein Leben, dachte er, sein erster vernünftiger Gedanke seit Tagen, ist eine Fata Morgana. Er ballte, automatisch, die Faust und holte - die Luft flimmerte - aus.
2
Wir blickten zur Schauspielerin. Ein Fassbindergesicht. Begehrt, gebotoxt. Der Mund krachte. Wie ein rostiges Scharnier. Aus den Worten quoll die Liebe zu sich selbst. Die Übersetzerin, die von weither angereist war, sagte später, die Schauspielerin hätte nicht ihren Text gelesen. Der dumme Verehrte hat einen Bonus, den kluge Unbkannte selten aufholen können. Die Autorin lächelte arrogant. So arrogant, dass das Publikum sie für schüchtern hielt.
Wir blickten zur Schauspielerin. Ein Fassbindergesicht. Begehrt, gebotoxt. Der Mund krachte. Wie ein rostiges Scharnier. Aus den Worten quoll die Liebe zu sich selbst. Die Übersetzerin, die von weither angereist war, sagte später, die Schauspielerin hätte nicht ihren Text gelesen. Der dumme Verehrte hat einen Bonus, den kluge Unbkannte selten aufholen können. Die Autorin lächelte arrogant. So arrogant, dass das Publikum sie für schüchtern hielt.
3
Der Sinn?
Sein Lachen steckte an. Oder sagen wir lieber: hätte angesteckt, unter anderen Umständen. Das Lachen röhrte, tief aus ihm heraus. Wie eine Lavaeruption.
Die Umstehenden fühlten sich, als hätte jemand ihre Zungen festgenagelt. Fleisch schmeckt besser, wenn es nicht das eigene ist.
Der Filialleiter, den bisher niemand gemocht hatte, der nach dem Sinn gefragt hatte, blutete schon am Hals.
Metaphysilk, sagte der Mann im Halloweenkostüm, sei nie seine Stärke gewesen.
Der Sinn?
Sein Lachen steckte an. Oder sagen wir lieber: hätte angesteckt, unter anderen Umständen. Das Lachen röhrte, tief aus ihm heraus. Wie eine Lavaeruption.
Die Umstehenden fühlten sich, als hätte jemand ihre Zungen festgenagelt. Fleisch schmeckt besser, wenn es nicht das eigene ist.
Der Filialleiter, den bisher niemand gemocht hatte, der nach dem Sinn gefragt hatte, blutete schon am Hals.
Metaphysilk, sagte der Mann im Halloweenkostüm, sei nie seine Stärke gewesen.
4
Mit 29 Jahren hatte sie endlich Liebe verdient. Liebe hatte sie bis dahin für etwas gehalten, dass man billig kaufen konnte, ein teurer Irrtum. Sie war unterwegs nach New York, Ich darf mich nicht in einen Mann verlieben, der mein Vater sein könnte. Oder der Kinder hat.
Die weichen Kontaktlinsen im Waschbecken, Hunderte aus den letzten Jahren, sie hatte sich in der Küche gewaschen, die weichen Kontaktlinsen sahen wie verschrumpelte Antibabypillen aus. Die Professorin hatte die Installation nicht als Abschlussarbeit akzeptiert.
Mit 29 Jahren hatte sie endlich Liebe verdient. Liebe hatte sie bis dahin für etwas gehalten, dass man billig kaufen konnte, ein teurer Irrtum. Sie war unterwegs nach New York, Ich darf mich nicht in einen Mann verlieben, der mein Vater sein könnte. Oder der Kinder hat.
Die weichen Kontaktlinsen im Waschbecken, Hunderte aus den letzten Jahren, sie hatte sich in der Küche gewaschen, die weichen Kontaktlinsen sahen wie verschrumpelte Antibabypillen aus. Die Professorin hatte die Installation nicht als Abschlussarbeit akzeptiert.
5
Das Skateboard hing über dem Koffer, dessen linke Rolle Scheißzicken machte. Sie verwechselten Geschwindigkeit mit Ruhe, eine Vorstellung, die allein der Jugend vorbahlten bleibt. Gras glänzte, Seerosen verhüllten sich, Verkehr verließ das Nadelöhr der Nacht. Sie beobachteten, er an ihrer Schulter, Xavier, sie rollte sich zusammen, Alexandria, benannt nach der Hafenstadt, dein Vater war ein griechischer Reder, hatte ihre Mutter immer gesagt, mit manikürten Nägeln, Xavier stieß auf, für Rotwein hatte das Geld nicht gereicht, sie beobachten, wie das Skateboard vom Koffer rutschte, mit den Seerosen tanzte.
Das Skateboard hing über dem Koffer, dessen linke Rolle Scheißzicken machte. Sie verwechselten Geschwindigkeit mit Ruhe, eine Vorstellung, die allein der Jugend vorbahlten bleibt. Gras glänzte, Seerosen verhüllten sich, Verkehr verließ das Nadelöhr der Nacht. Sie beobachteten, er an ihrer Schulter, Xavier, sie rollte sich zusammen, Alexandria, benannt nach der Hafenstadt, dein Vater war ein griechischer Reder, hatte ihre Mutter immer gesagt, mit manikürten Nägeln, Xavier stieß auf, für Rotwein hatte das Geld nicht gereicht, sie beobachten, wie das Skateboard vom Koffer rutschte, mit den Seerosen tanzte.
6
Ein Knall, als hätte eine Straßenbahn einen Radfahrer überrollt.
Sie kannten die Stimme, die schrie. Erst wie am Spieß. Dann ein heiseres Röcheln. Blut lag in der Stimme, kroch aus dem Kehlkopf. Nicht wie beim Zahnfleischbluten. Eher als sei eine Feuerwerksrakete im Mund zerplatzt.
Da lag er, ihr Nachbar. Die Füße fehlten. Und einiges mehr.
Sie knieten nieder. Ihre linke Hand an der rechten Wange, seine rechte Hand an der linken Wange des Sterbenden.
Was sollen wir Ellen sagen, fragten sie, was den Kindern. Ihnen fiel partout nicht der Name der Kinder ein. In all den Jahren hatten sie selten miteinander gesprochen. Wer nicht wiederholt, was er lernt, vergisst sich selbst.
Der Blutende röchelte. Sie beugten sich näher. Dass ich sie gehasst habe.
Ein Knall, als hätte eine Straßenbahn einen Radfahrer überrollt.
Sie kannten die Stimme, die schrie. Erst wie am Spieß. Dann ein heiseres Röcheln. Blut lag in der Stimme, kroch aus dem Kehlkopf. Nicht wie beim Zahnfleischbluten. Eher als sei eine Feuerwerksrakete im Mund zerplatzt.
Da lag er, ihr Nachbar. Die Füße fehlten. Und einiges mehr.
Sie knieten nieder. Ihre linke Hand an der rechten Wange, seine rechte Hand an der linken Wange des Sterbenden.
Was sollen wir Ellen sagen, fragten sie, was den Kindern. Ihnen fiel partout nicht der Name der Kinder ein. In all den Jahren hatten sie selten miteinander gesprochen. Wer nicht wiederholt, was er lernt, vergisst sich selbst.
Der Blutende röchelte. Sie beugten sich näher. Dass ich sie gehasst habe.
7
Ihre Einsamkeit trocknete sein Herz aus.
Ihre Einsamkeit trocknete sein Herz aus.
8
Möglich, durchaus möglich, dass sein Bizeps dicker als die aufgeblähten Brüste des Pornostars waren. Am Beugemuskel des Oberarms, hatte sein Vater immer behauptet, zeigt sich, wer - erstens - ein Kerl ist, - zweitens - das Leben ertragen kann, und - drittens - wie viele du ins Bett bekommst. Und Schlaf, das wusste selbst er, echten Schlaf findet nur, wer das Bett nicht teilt.
Heh, sagte der Pornostar, my friends call me Keith, you can call me Johanna.
Möglich, durchaus möglich, dass sein Bizeps dicker als die aufgeblähten Brüste des Pornostars waren. Am Beugemuskel des Oberarms, hatte sein Vater immer behauptet, zeigt sich, wer - erstens - ein Kerl ist, - zweitens - das Leben ertragen kann, und - drittens - wie viele du ins Bett bekommst. Und Schlaf, das wusste selbst er, echten Schlaf findet nur, wer das Bett nicht teilt.
Heh, sagte der Pornostar, my friends call me Keith, you can call me Johanna.
9
Im Prinzip hatte die Überwachung, eine Britin, bislang, kein schlechtes Leben gehabt. Agenten hielten ihr die Treue. Nicht unbedingt die hellsten Köpfe, aber, für ihre Verhältnisse, geschüttelt, nicht gerührt, irgendwie an einer engen Beziehung interessiert. Allerdings: was sie von ihrer Bekannten - Überwachungen haben keine Freunde, nur Interessen -, der Russin, deren Quellen sie eh grundsätzlich anzweifelte, deren Männergeschmack, was echt nervte, unter aller Sau war, die, was die Überwachung besonders störte, ihr, beinahe halbstündlich, über Facebook, Relationship updates schickte, allerdings: was sie von der Russin jetzt gehört hatte, stellte alles an Dummheit in Schatten, was in dieser fucking Hardcore-Schattenwirtschaft jemals gemacht worden war. Jede zweite Versuchung endete im Pfundbüro. David Eggers sollte der neue GCHQ-Boss werden. Martin Amis, der Primeminister, hatte nach dem Attentat echt den Schuss nicht mehr gehört.
Im Prinzip hatte die Überwachung, eine Britin, bislang, kein schlechtes Leben gehabt. Agenten hielten ihr die Treue. Nicht unbedingt die hellsten Köpfe, aber, für ihre Verhältnisse, geschüttelt, nicht gerührt, irgendwie an einer engen Beziehung interessiert. Allerdings: was sie von ihrer Bekannten - Überwachungen haben keine Freunde, nur Interessen -, der Russin, deren Quellen sie eh grundsätzlich anzweifelte, deren Männergeschmack, was echt nervte, unter aller Sau war, die, was die Überwachung besonders störte, ihr, beinahe halbstündlich, über Facebook, Relationship updates schickte, allerdings: was sie von der Russin jetzt gehört hatte, stellte alles an Dummheit in Schatten, was in dieser fucking Hardcore-Schattenwirtschaft jemals gemacht worden war. Jede zweite Versuchung endete im Pfundbüro. David Eggers sollte der neue GCHQ-Boss werden. Martin Amis, der Primeminister, hatte nach dem Attentat echt den Schuss nicht mehr gehört.
10
Du machst mich so heiß, dass mich deine Kälte nicht stört.
Sie drückte auf delete.
Du machst mich so heiß, dass mich deine Kälte nicht stört.
Sie drückte auf delete.
11
Er war Bestatter geworden. Gleich 1995, als das Video rauskam. Um sich, übers Wochenende, den eleganten Leichenwagen ausleihen zu können. Die Ausbildung hatte einen Nachmittag gedauert. Er war schnell von Begriff, ohne die Dinge verstehen zu müssen, das hatte er mit erfolgreichen Politikern gemein. Handschuhe über, fertig. Du bist ein Naturtalent, hatte Blumencron gesagt. Gott habe ihn selig. Sein Tod kam für alle überraschend. Dass der neue Assistent Alleinerbe war, stieß auf keinen Widerstand. Blumencron hatte keine Verwandten gehabt.
Der Mercedes gab ihm das Gefühl, am Leben zu sein.
Als Endlosschleife lief Henry Lee. Das Radio hatte er zerstört. Allein der CD-Spieler funktionierte. Eine CD, ein Song. Henry Lee. So laut wie's ging.
Sie lehnte sich gegen einen Zaun, nur für einen Kuss oder auch zwei, und mit einem kleinen Taschenmesser in ihrer Hand, stach sie ihn, stach sie ihn, entzwei.
Blumencron hatte das Lied nicht besonders gemocht. So war das eben.
Zu gerne, viel zu gerne wäre er PJ Harvey gewesen, die mit Nick Cave tanzte. Die Stimme zu groß für den zierlichen Körper. Tanzte. Brauen wie ein Mann. Und tanzte. Augen rund und riesig wie schmutzige Unterteller.
Er war Bestatter geworden. Gleich 1995, als das Video rauskam. Um sich, übers Wochenende, den eleganten Leichenwagen ausleihen zu können. Die Ausbildung hatte einen Nachmittag gedauert. Er war schnell von Begriff, ohne die Dinge verstehen zu müssen, das hatte er mit erfolgreichen Politikern gemein. Handschuhe über, fertig. Du bist ein Naturtalent, hatte Blumencron gesagt. Gott habe ihn selig. Sein Tod kam für alle überraschend. Dass der neue Assistent Alleinerbe war, stieß auf keinen Widerstand. Blumencron hatte keine Verwandten gehabt.
Der Mercedes gab ihm das Gefühl, am Leben zu sein.
Als Endlosschleife lief Henry Lee. Das Radio hatte er zerstört. Allein der CD-Spieler funktionierte. Eine CD, ein Song. Henry Lee. So laut wie's ging.
Sie lehnte sich gegen einen Zaun, nur für einen Kuss oder auch zwei, und mit einem kleinen Taschenmesser in ihrer Hand, stach sie ihn, stach sie ihn, entzwei.
Blumencron hatte das Lied nicht besonders gemocht. So war das eben.
Zu gerne, viel zu gerne wäre er PJ Harvey gewesen, die mit Nick Cave tanzte. Die Stimme zu groß für den zierlichen Körper. Tanzte. Brauen wie ein Mann. Und tanzte. Augen rund und riesig wie schmutzige Unterteller.
12
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Seine Psychologie ist komplex. Denken Sie nur daran, dass Leute sagen, Sie stießen ins selbe Horn. Bei einer Mündung - wie soll das gehen? Auch ein Fluss braucht in Wahrheit nur eine Quelle. Erst Recht das Horn. Du brauchst Zeit, um Blasinstrumente zu verstehen. Besonders das auf immer unterschätzte Horn. Das schnelle Vergnügen wird uns bald schal. Was will das ruppige, einfallslose Horn im Orchester? Was macht der Hornspieler, wenn er nicht spielt? Und er spielt nicht viel. Hornisten sind einsame Musiker, von den Tönen verlassen. Woran denkt er? Der Sound des Horns durchleuchtet die Ferne wie kein anderes Instrument. Ich kenne Hornspieler, die Angst vor ihrem Instrument haben. Meistens sind es die Virtuosen. Laien lügen, Kenner bekennen sich.
Sie bestellte einen doppelten Espresso.
Je besser die Nachbarschaft, desto wohler fühlt sich ein Verbrecher. Diebe und Mörder wollen allein sein. Zwei Diebe stehlen sich die Melodie.
Sie schloss Adornos Minima Moralia. Eine zerlesene Suhrkamp-Ausgabe. An die Hundert Post-Its steckten, unten und oben, im Buch.
Reflexionen eines beschädigten Lebens. Klingt wie der Titel eines Wolfgang Rihm Stücks. Wo waren wir stehengeblieben?
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Seine Psychologie ist komplex. Denken Sie nur daran, dass Leute sagen, Sie stießen ins selbe Horn. Bei einer Mündung - wie soll das gehen? Auch ein Fluss braucht in Wahrheit nur eine Quelle. Erst Recht das Horn. Du brauchst Zeit, um Blasinstrumente zu verstehen. Besonders das auf immer unterschätzte Horn. Das schnelle Vergnügen wird uns bald schal. Was will das ruppige, einfallslose Horn im Orchester? Was macht der Hornspieler, wenn er nicht spielt? Und er spielt nicht viel. Hornisten sind einsame Musiker, von den Tönen verlassen. Woran denkt er? Der Sound des Horns durchleuchtet die Ferne wie kein anderes Instrument. Ich kenne Hornspieler, die Angst vor ihrem Instrument haben. Meistens sind es die Virtuosen. Laien lügen, Kenner bekennen sich.
Sie bestellte einen doppelten Espresso.
Je besser die Nachbarschaft, desto wohler fühlt sich ein Verbrecher. Diebe und Mörder wollen allein sein. Zwei Diebe stehlen sich die Melodie.
Sie schloss Adornos Minima Moralia. Eine zerlesene Suhrkamp-Ausgabe. An die Hundert Post-Its steckten, unten und oben, im Buch.
Reflexionen eines beschädigten Lebens. Klingt wie der Titel eines Wolfgang Rihm Stücks. Wo waren wir stehengeblieben?
13
Vertrauten sie sich, wären sie nicht zusammen.
Vertrauten sie sich, wären sie nicht zusammen.
14
Was sie nur an ihn gefunden hatte? Zwei Jahre, eine Ewigkeit. Zeit ist eine Wüste ohne Kompass. Nach drei Monaten ging es los. Eva hatte sie vor Adam gewarnt. Das musst du auch, hatte sie gesagt, bei deinem Namen, und hatte gelacht. Eigentlich bist du nur neidisch, hatte sie damals gedacht, Eva war seit der Jahrtausendwende allein. Ausgerechnet am 31. Dezember 1999 hatte sich Tom die Pulsadern aufgeschnitten. Während der Party. Im abgeschlossenen Badezimmer. Mit dem Blut hatte er auf den Spiegel geschrieben Eva is a bitch.
Was sie nur an ihn gefunden hatte? Zwei Jahre, eine Ewigkeit. Zeit ist eine Wüste ohne Kompass. Nach drei Monaten ging es los. Eva hatte sie vor Adam gewarnt. Das musst du auch, hatte sie gesagt, bei deinem Namen, und hatte gelacht. Eigentlich bist du nur neidisch, hatte sie damals gedacht, Eva war seit der Jahrtausendwende allein. Ausgerechnet am 31. Dezember 1999 hatte sich Tom die Pulsadern aufgeschnitten. Während der Party. Im abgeschlossenen Badezimmer. Mit dem Blut hatte er auf den Spiegel geschrieben Eva is a bitch.
15
Mutter hatte die Angewohnheit, mit ihren Freunden zu schlafen.
Mutter hatte die Angewohnheit, mit ihren Freunden zu schlafen.
16
Während sich die Kinder übergaben, stopfte sich der Folterer Hackepeter in den Mund. Rohes Fleisch half ihm bei Migräne. Kopfschmerzen sind kein Zeichen besonderer Intelligenz, damit ähnlen sie der Schönheit. Seiner Wetterfühligkeit wegen nannten die anderen den Folterer Wolkenkuckucksheim. Ma Ham hatte ihn Pa Hit untergeschoben. Wolkenkuckucksheims Erzeuger soll ein Mann aus dem reichen Norden gewesen sein. Ein Arzt, der keine Grenzen gekannt hatte, für den Konflikte Bordelle gewesen waren.
Während sich die Kinder übergaben, stopfte sich der Folterer Hackepeter in den Mund. Rohes Fleisch half ihm bei Migräne. Kopfschmerzen sind kein Zeichen besonderer Intelligenz, damit ähnlen sie der Schönheit. Seiner Wetterfühligkeit wegen nannten die anderen den Folterer Wolkenkuckucksheim. Ma Ham hatte ihn Pa Hit untergeschoben. Wolkenkuckucksheims Erzeuger soll ein Mann aus dem reichen Norden gewesen sein. Ein Arzt, der keine Grenzen gekannt hatte, für den Konflikte Bordelle gewesen waren.
17
Würdest Du es eine Erfahrung nennen, wenn Dir Dein Mann, der auf Geschäftsreise in Frankfurt sein sollte, an der Außenalster mit einer Yes-We-Can-Obama-Maske vorm Gesicht, hinter zwei ausgebüchsten Windhunden her, die echte (!) Diamantencolliers tragen, vor den SUV rennt und Du ihn überfährst? Würdest Du das eine Erfahrung nennen?
Würdest Du es eine Erfahrung nennen, wenn Dir Dein Mann, der auf Geschäftsreise in Frankfurt sein sollte, an der Außenalster mit einer Yes-We-Can-Obama-Maske vorm Gesicht, hinter zwei ausgebüchsten Windhunden her, die echte (!) Diamantencolliers tragen, vor den SUV rennt und Du ihn überfährst? Würdest Du das eine Erfahrung nennen?
18
Die Feuer? Die ersten? Er biss sich die schmutzigen Nägel. Warte mal. Das war '78, nein, '79. Ein Jahr vor den Achtzigern. Eine Schweinezeit. Nur gefickt und gezündelt. Sex macht am meisten Spaß, wenn man vergisst, was man tut. Guckt dich son Da Ya Think I’m Sexy-Popper blöd an, haust du ihm gepflegt auf die Geldfresse. Heart Of Glass zerbricht. Ob Blondie und Rod Stewart ...? Er lachte, biss ein weiteres Mal die abgekauten Nägel. Manchmal hab ich den Zahnärzten Rechnungen geschickt. Müssen an mir ein Schweinegeld verdient haben. Keiner hat gezahlt. Kapitalistische Säue. God Save The Queen. Das war '77. Das Boot auf der Themse haben sie aufgebracht. Weißt du, dass die Royalisten die Sex Pistols verprügel haben? Never Mind the Bollocks. Am besten brannten die Kinderwagen in den billigen Gegenden. Der ganze Scheiß aus Polyester. Da würd ich mein Kind nicht reinlegen. Aber Nachhaltigkeit war kein Begriff damals, damals nicht. Heute recyceln die Deutschen alles, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist. Das Extreme ist Teil des germanischen Nationalcharakters. Schopenhauer war der größte Frauenhasser, bei Nietzsche war's Gott, bei Heidegger die Arend. Gegen diese posche Biokacke heutzutage musste einer mal was machen. Wir haben längst ne Dreiklassengesellschaft. Konventionelle Lebensmittel, Bio und Demeter. Das Demetermaß aller Dinge. Biofaschisten. Kaufen nichts von außen zu. Die Dritte Welt verhungert, weil wir uns abschotten. Die elitärsten Kapitalisten, die man sich vorstellen kann. Ökodorf, wenn ich das schon höre.
Die Feuer? Die ersten? Er biss sich die schmutzigen Nägel. Warte mal. Das war '78, nein, '79. Ein Jahr vor den Achtzigern. Eine Schweinezeit. Nur gefickt und gezündelt. Sex macht am meisten Spaß, wenn man vergisst, was man tut. Guckt dich son Da Ya Think I’m Sexy-Popper blöd an, haust du ihm gepflegt auf die Geldfresse. Heart Of Glass zerbricht. Ob Blondie und Rod Stewart ...? Er lachte, biss ein weiteres Mal die abgekauten Nägel. Manchmal hab ich den Zahnärzten Rechnungen geschickt. Müssen an mir ein Schweinegeld verdient haben. Keiner hat gezahlt. Kapitalistische Säue. God Save The Queen. Das war '77. Das Boot auf der Themse haben sie aufgebracht. Weißt du, dass die Royalisten die Sex Pistols verprügel haben? Never Mind the Bollocks. Am besten brannten die Kinderwagen in den billigen Gegenden. Der ganze Scheiß aus Polyester. Da würd ich mein Kind nicht reinlegen. Aber Nachhaltigkeit war kein Begriff damals, damals nicht. Heute recyceln die Deutschen alles, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist. Das Extreme ist Teil des germanischen Nationalcharakters. Schopenhauer war der größte Frauenhasser, bei Nietzsche war's Gott, bei Heidegger die Arend. Gegen diese posche Biokacke heutzutage musste einer mal was machen. Wir haben längst ne Dreiklassengesellschaft. Konventionelle Lebensmittel, Bio und Demeter. Das Demetermaß aller Dinge. Biofaschisten. Kaufen nichts von außen zu. Die Dritte Welt verhungert, weil wir uns abschotten. Die elitärsten Kapitalisten, die man sich vorstellen kann. Ökodorf, wenn ich das schon höre.
19
Seine Hand auf ihrer. Sie lächelten.
Die Frau stellte die Maschine ab.
Seine Hand auf ihrer. Sie lächelten.
Die Frau stellte die Maschine ab.
20
Spieglte sich ein schlechter Charakter im Körper wider, er wäre voller Metastasen.
Spieglte sich ein schlechter Charakter im Körper wider, er wäre voller Metastasen.
21
Als Janne und Jaguar der Blitz traf, war Baby Joe allein im Auto. Jener Opel Manta, den er für die nächsten 17 Jahre nicht mehr verlassen sollte.
Als Janne und Jaguar der Blitz traf, war Baby Joe allein im Auto. Jener Opel Manta, den er für die nächsten 17 Jahre nicht mehr verlassen sollte.
22
Kurz vor Mitternacht. Noch hingen die Klöppel still.
Das Tape stammte von ihren Kfz-Menchanikern. Grau und fest und breit. Damit wurden ruckzuck ganze Kotflügel oder eingebeulte Türen nach einem Unfall wieder festgemacht. Es gab nichts besseres.
Das Grau sah auf dem Mund wie Lippenstift aus. Als wäre eine Injektion schief gegangen.
Die Augen des Mannes starrten mal sie, mal die Klöppel an. Er hatte nichts vom Leben verstanden, die beste Voraussetzung zum Priesterberuf.
Die Finger des Geistlichen auf ihren ..., nein daran wollte sie jetzt nicht denken, jetzt ging es allein darum, ob die Glockenschwengel dick genug waren.
Sie trat zurück.
Das Glockenspiel begann.
Kurz vor Mitternacht. Noch hingen die Klöppel still.
Das Tape stammte von ihren Kfz-Menchanikern. Grau und fest und breit. Damit wurden ruckzuck ganze Kotflügel oder eingebeulte Türen nach einem Unfall wieder festgemacht. Es gab nichts besseres.
Das Grau sah auf dem Mund wie Lippenstift aus. Als wäre eine Injektion schief gegangen.
Die Augen des Mannes starrten mal sie, mal die Klöppel an. Er hatte nichts vom Leben verstanden, die beste Voraussetzung zum Priesterberuf.
Die Finger des Geistlichen auf ihren ..., nein daran wollte sie jetzt nicht denken, jetzt ging es allein darum, ob die Glockenschwengel dick genug waren.
Sie trat zurück.
Das Glockenspiel begann.
23
Holy Shit, mit solch einer Konkurrenz hat Trudel Langmuth nicht gerechnet. Gut, einige Schabracken sind auch darunter. Aber die Brünette dahinten. Mein lieber Herr Gesangsverein, da brennen die Sicherungen schon durch, bevor man sie überhaupt reinschraubt. Sie lächelt melancholisch. Der Lieblingsspruch ihres Großvaters beim Anblick einer schönen Frau. Oma hätte auf ihren Reisen nach Benidorm reihenweise für Blackouts entlang der spanischen Küste gesorgt, man hätte bei diesen Gelegenheiten in der Dunkelheit am Himmel die Milchstraße sehen können, ein herrliches Spektakel, hatte er ihr und ihrer Schwester, Suse, letztes Jahr im Toten Meer ertrunken, die Hände übrigens in Handschellen, immer erzählt. Ihr Großvater hatte nach Lavendel gerochen. Okay, also die Brünette, die auf jeden Fall, und die Ungeschminkte, vorne rechts, da war alles echt, beinahe jedenfalls direkt von der Schauspielschule. Hatte sie die nicht mal an der Volksbühne gesehen, bei dem verrückten Direktor, der immer diese seltsamen Sachen, wo alle abwechselnd stottern und singen und dabei über riesige Möbelstücke springen?
Die Tür geht auf. Eine Produktionsassistentin kommt rein. Tut uns leid. Sie giggelt, drückt die Zigarette auf der Tischplatte aus, als handelte es sich um einen Baucontainer. Ein Druckfehler. Much ado about Glut und Möse. Nicht Much ado about Gut und Böse. Sie blickt auf ihr iPhone. Harry lässt ausrichten, an sich sei nichts weder gut noch böse, das Denken mache es erst dazu.
Shakespeare, sagt sie.
Die Produktionsassistentin sieht sie an, als hätte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank. Sie zündet sich eine neue Zigarette an. Harry sagt auch noch What's in a name? That which we call a rose, By any other name would smell as sweet.
Die Brünette klatscht in die Hände, was ihr, dank der Oberweite, schlecht gelingt.
Holy Shit, mit solch einer Konkurrenz hat Trudel Langmuth nicht gerechnet. Gut, einige Schabracken sind auch darunter. Aber die Brünette dahinten. Mein lieber Herr Gesangsverein, da brennen die Sicherungen schon durch, bevor man sie überhaupt reinschraubt. Sie lächelt melancholisch. Der Lieblingsspruch ihres Großvaters beim Anblick einer schönen Frau. Oma hätte auf ihren Reisen nach Benidorm reihenweise für Blackouts entlang der spanischen Küste gesorgt, man hätte bei diesen Gelegenheiten in der Dunkelheit am Himmel die Milchstraße sehen können, ein herrliches Spektakel, hatte er ihr und ihrer Schwester, Suse, letztes Jahr im Toten Meer ertrunken, die Hände übrigens in Handschellen, immer erzählt. Ihr Großvater hatte nach Lavendel gerochen. Okay, also die Brünette, die auf jeden Fall, und die Ungeschminkte, vorne rechts, da war alles echt, beinahe jedenfalls direkt von der Schauspielschule. Hatte sie die nicht mal an der Volksbühne gesehen, bei dem verrückten Direktor, der immer diese seltsamen Sachen, wo alle abwechselnd stottern und singen und dabei über riesige Möbelstücke springen?
Die Tür geht auf. Eine Produktionsassistentin kommt rein. Tut uns leid. Sie giggelt, drückt die Zigarette auf der Tischplatte aus, als handelte es sich um einen Baucontainer. Ein Druckfehler. Much ado about Glut und Möse. Nicht Much ado about Gut und Böse. Sie blickt auf ihr iPhone. Harry lässt ausrichten, an sich sei nichts weder gut noch böse, das Denken mache es erst dazu.
Shakespeare, sagt sie.
Die Produktionsassistentin sieht sie an, als hätte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank. Sie zündet sich eine neue Zigarette an. Harry sagt auch noch What's in a name? That which we call a rose, By any other name would smell as sweet.
Die Brünette klatscht in die Hände, was ihr, dank der Oberweite, schlecht gelingt.
24
Grundloser Hass ist ein Privileg des Menschen.
Grundloser Hass ist ein Privileg des Menschen.
25
Herbsttropfen klingen anders als Frühlingstropfen. Wenn Blätter porös werden, sich braun färben, prasselt selbst Nieselregen. Alles bricht. Kleinste Schauer hören sich wie tropische Stürme an. Die letzten Äpfel werden schwermütig. Nichts, außer Wehmut, hält sie mehr an den Ästen.
Herbsttropfen klingen anders als Frühlingstropfen. Wenn Blätter porös werden, sich braun färben, prasselt selbst Nieselregen. Alles bricht. Kleinste Schauer hören sich wie tropische Stürme an. Die letzten Äpfel werden schwermütig. Nichts, außer Wehmut, hält sie mehr an den Ästen.
26
Dann brauchen wir noch drei Karotten, von der alten Sorte, die roten, nicht die anderen. Sie schrieb die 3 auf die Einkaufsliste und kringelte die Zahl ein, die nun wie die Nummer auf einem Rennwagen aussah.
Er nickte. Drei, sagte er, sie imitierend, drei Karotten, von der alten Sorte, die roten, nicht die anderen.
Sie sagte nichts. Sie wusste, dass er zwei mehr einpacken würde. Seine Angst zu versagen, äußerte sich, wie bei vielen ihrer Patienten, als Verschwendung. Er würde mit fünf Karotten nach Hause kommen, den dicksten und längsten, die er finden konnte. Genau die Menge, die sie für das Ratatouille brauchte, das er großspurig der Kirchengemeinde für den Bibelflohmarkt versprochen hatte. Darüber würde sie erst später mit ihm sprechen. Wenn möglich, verdarb sie ihm erst am Nachmittag die Laune.
Dann brauchen wir noch drei Karotten, von der alten Sorte, die roten, nicht die anderen. Sie schrieb die 3 auf die Einkaufsliste und kringelte die Zahl ein, die nun wie die Nummer auf einem Rennwagen aussah.
Er nickte. Drei, sagte er, sie imitierend, drei Karotten, von der alten Sorte, die roten, nicht die anderen.
Sie sagte nichts. Sie wusste, dass er zwei mehr einpacken würde. Seine Angst zu versagen, äußerte sich, wie bei vielen ihrer Patienten, als Verschwendung. Er würde mit fünf Karotten nach Hause kommen, den dicksten und längsten, die er finden konnte. Genau die Menge, die sie für das Ratatouille brauchte, das er großspurig der Kirchengemeinde für den Bibelflohmarkt versprochen hatte. Darüber würde sie erst später mit ihm sprechen. Wenn möglich, verdarb sie ihm erst am Nachmittag die Laune.
27
Ich sterbe. Und sie hat mich nie geliebt. Er hob abwehrend den gesunden Arm. Nicht nötig. Sie hat mich immer wie eine Zufallsbekanntschaft behandelt. Wie einen Bankautomaten. In all den Jahren. Wenigstens, was sie nicht ahnt, hinterlasse ich, er beugte sich zu mir vor, er klang bösartig, hinterlasse ich ihr nichts, rein gar nichts.
Ich sterbe. Und sie hat mich nie geliebt. Er hob abwehrend den gesunden Arm. Nicht nötig. Sie hat mich immer wie eine Zufallsbekanntschaft behandelt. Wie einen Bankautomaten. In all den Jahren. Wenigstens, was sie nicht ahnt, hinterlasse ich, er beugte sich zu mir vor, er klang bösartig, hinterlasse ich ihr nichts, rein gar nichts.
28
Das Floß am Baggersee hatte schon bessere Tage gesehen. Als Alibi taugte es nicht. Mit Freunden einige schöne Stunden vergammelt. Putin kassiert die Krim. Was verfaulte, waren die gehäuteten Igel, die, der Größe nach, an den Mast getuckert waren.
Das Floß am Baggersee hatte schon bessere Tage gesehen. Als Alibi taugte es nicht. Mit Freunden einige schöne Stunden vergammelt. Putin kassiert die Krim. Was verfaulte, waren die gehäuteten Igel, die, der Größe nach, an den Mast getuckert waren.
29
Am Nachmittag, die Spatzen bettelten, dreiste Viecher, die Interns lagen schon wieder im Weinbergpark, zwischen den Krokussen, der Frühling bemühte sich, sie starrte auf die Pfütze, im Sommer voller Seerosen, ein sinnloser Löffel Wasser in der Stadtsuppe, am Nachmittag hielt Anna Karenina, Nina für ihre Freunde, die sie seit heute nicht mehr hatte, hielt Anna Karenina die Kündigung in der unrasierten Hand. Nancys schwungvolle Unterschrift, die sie, beinahe perfekt, nachmachen konnte. Vollkommenheit ist eine Idee aus der Hölle. Warnungen hatte es gegeben, einige Gespräche, wohl wahr, ließ sich nicht leugnen. Tom und Bernd hatten sie beruhigt. Sie sei nicht zu ersetzen, die wären doch schön blöd, da würde sich Nancy selbst ins Knie schießen. Gestern hatten sie alle bei Nancy Fargo geguckt, auf das Ende des Winters getrunken. Das Cloud-Passwort hatte Nancy, allen Ernstes, mit Lippenstift auf den Spiegel geschrieben. Nicht im Gäste-WC. Anna Karenina hatte Nancys Nachtcreme-Marke checken wollen. Die Türen hatten offengestanden. Von Nancys Typen ganz zu schweigen. Nikolaustunten mit Riesensäcken.
Am Nachmittag, die Spatzen bettelten, dreiste Viecher, die Interns lagen schon wieder im Weinbergpark, zwischen den Krokussen, der Frühling bemühte sich, sie starrte auf die Pfütze, im Sommer voller Seerosen, ein sinnloser Löffel Wasser in der Stadtsuppe, am Nachmittag hielt Anna Karenina, Nina für ihre Freunde, die sie seit heute nicht mehr hatte, hielt Anna Karenina die Kündigung in der unrasierten Hand. Nancys schwungvolle Unterschrift, die sie, beinahe perfekt, nachmachen konnte. Vollkommenheit ist eine Idee aus der Hölle. Warnungen hatte es gegeben, einige Gespräche, wohl wahr, ließ sich nicht leugnen. Tom und Bernd hatten sie beruhigt. Sie sei nicht zu ersetzen, die wären doch schön blöd, da würde sich Nancy selbst ins Knie schießen. Gestern hatten sie alle bei Nancy Fargo geguckt, auf das Ende des Winters getrunken. Das Cloud-Passwort hatte Nancy, allen Ernstes, mit Lippenstift auf den Spiegel geschrieben. Nicht im Gäste-WC. Anna Karenina hatte Nancys Nachtcreme-Marke checken wollen. Die Türen hatten offengestanden. Von Nancys Typen ganz zu schweigen. Nikolaustunten mit Riesensäcken.
30
Mut ist die Eitelkeit der Dummen.
Mut ist die Eitelkeit der Dummen.
31
Die Ventilatoren surrten. Kronos Quartet. Floodplain. Wa Habibi. Warum Algerien?
Warum nicht? Bist du ein Rassist? Hast du Angst, Schwarzer zu sagen?
Seine Familie hatte hier gesiedelt. Er wollte den Ort sehen, wo sich Mutter und Vater verliebt hatten. Gezeugt hatten sie ihn in Lyon, nach der Flucht.
Wa Habibi. Mein Liebling hatte Mutter ihn, manchmal, genannt. Die Sehnsucht glänzte bis zum Ende in ihren Augen. Wie der polierte Lauf eines Revolvers. Ein Vergleich seines Vaters, der niemals zurückgegangen war, aber jeden Abend im Fotoalbum geblättert hatte. Von der Heimat kann man sich nicht scheiden lassen; selbst wenn wir uns trennen, verlangt sie auf immer Alimente.
Sie hatten ihn mit dem Kolben geschlagen, gegen die Stirn. Jetzt saß er neben den Ventilatoren, trug ein orangefarbenes Hemd, und sie filmten ihn. Spuckten auf den Boden. Zum Abschied.
Wa Habibi.
Die Ventilatoren surrten. Kronos Quartet. Floodplain. Wa Habibi. Warum Algerien?
Warum nicht? Bist du ein Rassist? Hast du Angst, Schwarzer zu sagen?
Seine Familie hatte hier gesiedelt. Er wollte den Ort sehen, wo sich Mutter und Vater verliebt hatten. Gezeugt hatten sie ihn in Lyon, nach der Flucht.
Wa Habibi. Mein Liebling hatte Mutter ihn, manchmal, genannt. Die Sehnsucht glänzte bis zum Ende in ihren Augen. Wie der polierte Lauf eines Revolvers. Ein Vergleich seines Vaters, der niemals zurückgegangen war, aber jeden Abend im Fotoalbum geblättert hatte. Von der Heimat kann man sich nicht scheiden lassen; selbst wenn wir uns trennen, verlangt sie auf immer Alimente.
Sie hatten ihn mit dem Kolben geschlagen, gegen die Stirn. Jetzt saß er neben den Ventilatoren, trug ein orangefarbenes Hemd, und sie filmten ihn. Spuckten auf den Boden. Zum Abschied.
Wa Habibi.
32
Das Gute, die Mädchen flachsten mit gedämpfter Stimme vor sich hin, das Gute ist, dass man sich nie an den Schmerz gewöhnt. Das Einanderwehtun verbindet die Kulturen. Wie gequält wird, allein das trennt Nord und Süd, Ost und West.
Sie hatten mich auf der Straße aufgelesen, hinter dem Bundesnachrichtendienst, beim Invalidenfriedhof. Im Fahrstuhl des Plattenbaus hatte er - ich wechsele die Perspektive - eine Spinne gesehen, so fett und lang wie sein Handteller. Aber kein Netz. Eines der Mädchen hatte die Spinne mit einem Marinenkäfer gefüttert. Acht Punkte. Gerade flogen die Schwärme wieder. Auf Englisch heißen Marienkäfer Ladybirds, hatte ein anderes Mädchen zu ihm gesagt. Wir nennen uns Frauenvögel, hatte die Dritte gesagt, die breitschultrig wie eine Nordkoreanische Fußballerin über ihm stand und urinierte.
Das Gute, die Mädchen flachsten mit gedämpfter Stimme vor sich hin, das Gute ist, dass man sich nie an den Schmerz gewöhnt. Das Einanderwehtun verbindet die Kulturen. Wie gequält wird, allein das trennt Nord und Süd, Ost und West.
Sie hatten mich auf der Straße aufgelesen, hinter dem Bundesnachrichtendienst, beim Invalidenfriedhof. Im Fahrstuhl des Plattenbaus hatte er - ich wechsele die Perspektive - eine Spinne gesehen, so fett und lang wie sein Handteller. Aber kein Netz. Eines der Mädchen hatte die Spinne mit einem Marinenkäfer gefüttert. Acht Punkte. Gerade flogen die Schwärme wieder. Auf Englisch heißen Marienkäfer Ladybirds, hatte ein anderes Mädchen zu ihm gesagt. Wir nennen uns Frauenvögel, hatte die Dritte gesagt, die breitschultrig wie eine Nordkoreanische Fußballerin über ihm stand und urinierte.
33
Furcht sei die sicherste Waffe gegen den Tod.
Furcht sei die sicherste Waffe gegen den Tod.
34
Kranke idealisieren das Gesundsein, bei ihr war's andersherum.
Kranke idealisieren das Gesundsein, bei ihr war's andersherum.
35
"Gäbe es Gott, der Messdiener hatte es drauf, geräuschlos suckelte er, der Pastor tätschelte dem Jungen, der unter dem Tisch, verborgen vom weißen Tuch, zwischen den Schenkeln des Pastors kniete, mit der Linken behutsam den Kopf, gäbe es Gott nicht, er reckte mit der Rechten die Bibel in die Höhe, stellte sich die Frage der ungerechten Gerechtigkeit überhaupt nicht, die Welt wäre nur schlecht, schlecht und abermals schlecht, überall Sodom und Gomorrah, das Gute, der Pastor schnaufte und ergoss sich, ergoss sich im Mund des Messdieners, hätte niemals in unserer Gesellschaft Fuß gefasst, niemals, das vergessen, das verschweigen die Poorchard Dawkins' dieser Welt, das verschweigen sie, er kraulte dem taubstummen Jungen mit der Linken den Kehlkopf, als handelte es sich um einen Welpen, eine klare Aufforderung an den Ergebenen, nicht nachzulassen."
Der Sekretär des Bischofs ließ den Stift sinken. Bravo, Hochwürdigster Herr, Ihre Prosa nimmt Fahrt auf. Poorchard - was für eine Eingebung! Wie richtig! Wie ...
Der Bischof winkte brüsk ab, er mochte es nicht, wenn ihn der Sekretär an Beredsamkeit überholte. Einen zugewiesenen Platz verließ im Falle eines Feuers nur, wer bei Verstand war. Franz, genug der Schmeichelei, genug. Er würde sich, nahm er sich vor, demnächst, von der evangelischen Praktikantin, diese verfluchte Ökumene, zeigen lassen, wie man selbst Blogeinträge veröffentlicht. Im schwebten ganz andere Texte vor. Das Alias würde er wechseln. Abundzukanzeln war ihm nicht freisinnig genug. Bissschroff oder so.
"Gäbe es Gott, der Messdiener hatte es drauf, geräuschlos suckelte er, der Pastor tätschelte dem Jungen, der unter dem Tisch, verborgen vom weißen Tuch, zwischen den Schenkeln des Pastors kniete, mit der Linken behutsam den Kopf, gäbe es Gott nicht, er reckte mit der Rechten die Bibel in die Höhe, stellte sich die Frage der ungerechten Gerechtigkeit überhaupt nicht, die Welt wäre nur schlecht, schlecht und abermals schlecht, überall Sodom und Gomorrah, das Gute, der Pastor schnaufte und ergoss sich, ergoss sich im Mund des Messdieners, hätte niemals in unserer Gesellschaft Fuß gefasst, niemals, das vergessen, das verschweigen die Poorchard Dawkins' dieser Welt, das verschweigen sie, er kraulte dem taubstummen Jungen mit der Linken den Kehlkopf, als handelte es sich um einen Welpen, eine klare Aufforderung an den Ergebenen, nicht nachzulassen."
Der Sekretär des Bischofs ließ den Stift sinken. Bravo, Hochwürdigster Herr, Ihre Prosa nimmt Fahrt auf. Poorchard - was für eine Eingebung! Wie richtig! Wie ...
Der Bischof winkte brüsk ab, er mochte es nicht, wenn ihn der Sekretär an Beredsamkeit überholte. Einen zugewiesenen Platz verließ im Falle eines Feuers nur, wer bei Verstand war. Franz, genug der Schmeichelei, genug. Er würde sich, nahm er sich vor, demnächst, von der evangelischen Praktikantin, diese verfluchte Ökumene, zeigen lassen, wie man selbst Blogeinträge veröffentlicht. Im schwebten ganz andere Texte vor. Das Alias würde er wechseln. Abundzukanzeln war ihm nicht freisinnig genug. Bissschroff oder so.
36
Die Weite des Waldes verschluckte den Schnee, der auf den Nadeln grün schimmerte.
Die Weite des Waldes verschluckte den Schnee, der auf den Nadeln grün schimmerte.
37
Habermas? Benjamin? Adorno? Lilliput kaute auf dem Bleistiftende herum, die Farbe war längst abgeblättert. Der Boss-Anzug stand ihm.
Zu weit weg, sagte sie, die lachen uns aus, '68 und so, Passagen, die Frankfurter Schule, Lokalpatriotismus.
Die Ausrichtung der Realität auf die Massen und der Massen auf sie ist ein Vorgang von unbegrenzter Tragweite sowohl für das Denken wie für die Anschauung, sagte er.
Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, sagte sie.
Er nickte, wieder einmal überrascht.
Mein Bauchgefühl sagt na, sagte sie.
Sie sahen aus dem Fenster, unten floss der Main.
Heidegger, sagte Lilliput.
Heidegger, sagte sie. Hei-deg-ger. Ja, das klingt.
Einen deutschen Panzer nach einem Philosophen zu benennen, darauf muss man erst mal kommen, sagte er.
Sie ging zum französischen Fenster. Draußen, direkt vor ihr, hing ein Arbeiter an einem Stahlseil, der die Fassade sauber machte. Die Gondel musste außer Betrieb sein. Das sah gefährlich aus. Der Mann, Anfang dreißig, braun gebrannt, lächelte sie an und zeigte auf seinen Reißverschluss, sie drehte sich ab. Ich muss ihn loswerden, dachte sie, irgendwann sagt Lilliput solche Sachen vor unseren Kunden.
Habermas? Benjamin? Adorno? Lilliput kaute auf dem Bleistiftende herum, die Farbe war längst abgeblättert. Der Boss-Anzug stand ihm.
Zu weit weg, sagte sie, die lachen uns aus, '68 und so, Passagen, die Frankfurter Schule, Lokalpatriotismus.
Die Ausrichtung der Realität auf die Massen und der Massen auf sie ist ein Vorgang von unbegrenzter Tragweite sowohl für das Denken wie für die Anschauung, sagte er.
Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, sagte sie.
Er nickte, wieder einmal überrascht.
Mein Bauchgefühl sagt na, sagte sie.
Sie sahen aus dem Fenster, unten floss der Main.
Heidegger, sagte Lilliput.
Heidegger, sagte sie. Hei-deg-ger. Ja, das klingt.
Einen deutschen Panzer nach einem Philosophen zu benennen, darauf muss man erst mal kommen, sagte er.
Sie ging zum französischen Fenster. Draußen, direkt vor ihr, hing ein Arbeiter an einem Stahlseil, der die Fassade sauber machte. Die Gondel musste außer Betrieb sein. Das sah gefährlich aus. Der Mann, Anfang dreißig, braun gebrannt, lächelte sie an und zeigte auf seinen Reißverschluss, sie drehte sich ab. Ich muss ihn loswerden, dachte sie, irgendwann sagt Lilliput solche Sachen vor unseren Kunden.
38
Weil sie wusste, diesmal war sie sich sicher, dass eine Bombe in dem Paket steckte, verweigerte sie die Annahme. Wenn der Tod unterfrankiert, lohnt es sich nicht, selbst eine Marke draufzukleben. Was Poul dazu sagen würde? Scheißegal. Rosa ging ihm, er ging ihr, sie gingen sich auf die Nerven. Warum war er nicht Zuhause, wenn ihm so viel an Bomben lag? Sie schloss leise die Tür, dass die Kinder nicht aufwachten. Die Sache mit dem Untergrund war eine Schnapsidee. Von wegen Rote Armee. Rote Arme, das waren sie, Lumpenproletariat. Sie räumte die Sachen beiseite, so dass sie die Klappe aufmachen konnte. Die Waffe hinter den Wasserzählern zu verstecken, war ihre Idee gewesen.
Weil sie wusste, diesmal war sie sich sicher, dass eine Bombe in dem Paket steckte, verweigerte sie die Annahme. Wenn der Tod unterfrankiert, lohnt es sich nicht, selbst eine Marke draufzukleben. Was Poul dazu sagen würde? Scheißegal. Rosa ging ihm, er ging ihr, sie gingen sich auf die Nerven. Warum war er nicht Zuhause, wenn ihm so viel an Bomben lag? Sie schloss leise die Tür, dass die Kinder nicht aufwachten. Die Sache mit dem Untergrund war eine Schnapsidee. Von wegen Rote Armee. Rote Arme, das waren sie, Lumpenproletariat. Sie räumte die Sachen beiseite, so dass sie die Klappe aufmachen konnte. Die Waffe hinter den Wasserzählern zu verstecken, war ihre Idee gewesen.
39
Gestern war hier noch keine Sandbank.
Gestern war hier noch keine Sandbank.
40
Demokratie verweigert die unablässige Teilnahme. Der Stellvertreter raspelt Süßholz und - falls er intelligent genug ist - weigert sich, zum Doppelgänger degradiert zu werden. Als Abgeordneter musst du Wahlversprechen brechen. Wer stur bleibt, kommt niemals an die Regierung. Prinzipientreue ist allein die Stärke der Opposition, Präsidenten haben Verpflichtungen, die ohne Lügen nicht zu erfüllen sind. Debatten sind reine Showveranstaltungen. Entscheidungen, die nicht finanziert werden können, führen zur Abwahl. Im Grunde wird Moral grandios überbewertet. Das politische Leben ist kein Ponyhof, mein Schneider kein Stallbursche.
Sie blickte hoch, stellte den Tannhäuser leiser. Was denken Sie, Seidelle?
Der Regierungssprecher nahm den Bleistift aus dem Mund. Er wusste, dass seine Meinung nicht zählte. Diese Neujahrsansprache würde ihre letzte sein. Er fragte sich, ob ihn der Sender wieder anstellen würde.
Demokratie verweigert die unablässige Teilnahme. Der Stellvertreter raspelt Süßholz und - falls er intelligent genug ist - weigert sich, zum Doppelgänger degradiert zu werden. Als Abgeordneter musst du Wahlversprechen brechen. Wer stur bleibt, kommt niemals an die Regierung. Prinzipientreue ist allein die Stärke der Opposition, Präsidenten haben Verpflichtungen, die ohne Lügen nicht zu erfüllen sind. Debatten sind reine Showveranstaltungen. Entscheidungen, die nicht finanziert werden können, führen zur Abwahl. Im Grunde wird Moral grandios überbewertet. Das politische Leben ist kein Ponyhof, mein Schneider kein Stallbursche.
Sie blickte hoch, stellte den Tannhäuser leiser. Was denken Sie, Seidelle?
Der Regierungssprecher nahm den Bleistift aus dem Mund. Er wusste, dass seine Meinung nicht zählte. Diese Neujahrsansprache würde ihre letzte sein. Er fragte sich, ob ihn der Sender wieder anstellen würde.
41
Nnniicht lännngär plfägännn.
Die Schwester sah Drei-N-Ä an. Drei-N-Ä hatte das letzte Mal, sie checkte die Tafel, wow!, war das lange her!, Anfang April gesprochen. Sie befanden sich mitten in den zweiwöchigen Herbstferien. Ute, die Tochter der Schwester, war, es ließ sich nicht vermeiden, bei ihrem Erzeuger auf dem Land, in der Uckermark, und rief, um ihre Mutter zu verletzen, grundsätzlich nicht an. Warum, fragte die Schwester.
Gott is äinnn Täufäl, sagte Drei-N-Ä.
Die Schwester bekreuzigte sich. Der Rücken Drei-N-Äs war wund und eiterte. Heute bekommst du keine Salbe, sagte die Schwester und zoomte an die Wunde heran. Keine Kunst ohne Körpersäfte.
Drei-N-Ä streckte ihr die Zunge aus. Diä Höllä is dir sichär, sagte Drei-N-Ä.
Die Schwester nickte, daran bestand kein Zweifel.
Nnniicht lännngär plfägännn.
Die Schwester sah Drei-N-Ä an. Drei-N-Ä hatte das letzte Mal, sie checkte die Tafel, wow!, war das lange her!, Anfang April gesprochen. Sie befanden sich mitten in den zweiwöchigen Herbstferien. Ute, die Tochter der Schwester, war, es ließ sich nicht vermeiden, bei ihrem Erzeuger auf dem Land, in der Uckermark, und rief, um ihre Mutter zu verletzen, grundsätzlich nicht an. Warum, fragte die Schwester.
Gott is äinnn Täufäl, sagte Drei-N-Ä.
Die Schwester bekreuzigte sich. Der Rücken Drei-N-Äs war wund und eiterte. Heute bekommst du keine Salbe, sagte die Schwester und zoomte an die Wunde heran. Keine Kunst ohne Körpersäfte.
Drei-N-Ä streckte ihr die Zunge aus. Diä Höllä is dir sichär, sagte Drei-N-Ä.
Die Schwester nickte, daran bestand kein Zweifel.
42
Beim Liebesakt zählt der Akt nicht die Liebe. Sie legte, ihr Haar aus Stroh, das Geld auf den Tisch. Genau abgezählt, inklusive Mehrwertsteuer.
Schulschwanzer, wie er sich bei ebay nannte, grinste, ihm waren die Gefühle der Jura-Professorin egal. Er dachte bereits ans Bandol sur mer. Der Tisch am Fenster. Weiße Decke, geputztes Besteck. Sie würden fressen bis zum Abwinken. Und saufen. Pierre, Gaby und er. Ob die Wohnung an der Torstraße frei werden würde? Er hatte die Maklerin einen Monat, Nacht für Nacht, genagelt. Augen zu und durch. For free. Schulschwanz to go. Selbst während ihrer Tage. Red Devil. Der Blick auf die goldene Kuppel der Synagoge war genial.
Beim Liebesakt zählt der Akt nicht die Liebe. Sie legte, ihr Haar aus Stroh, das Geld auf den Tisch. Genau abgezählt, inklusive Mehrwertsteuer.
Schulschwanzer, wie er sich bei ebay nannte, grinste, ihm waren die Gefühle der Jura-Professorin egal. Er dachte bereits ans Bandol sur mer. Der Tisch am Fenster. Weiße Decke, geputztes Besteck. Sie würden fressen bis zum Abwinken. Und saufen. Pierre, Gaby und er. Ob die Wohnung an der Torstraße frei werden würde? Er hatte die Maklerin einen Monat, Nacht für Nacht, genagelt. Augen zu und durch. For free. Schulschwanz to go. Selbst während ihrer Tage. Red Devil. Der Blick auf die goldene Kuppel der Synagoge war genial.
43
Zum Glück war ihnen der Ausbruch gelungen. Freiheit war eine Sünde wert. Dass Franzi draufgegangen war, fuck you. Wer über die Wupper wollte, durfte kein Weichei sein. War eh nicht schade. Ihr ewiges Sich-Selbt-Googlen hatte besonders Ray gestört. Franzi und Ray - das hatte an sich super angefangen, bei der zweiten re:publica, hinter dem Gardrobenständer. Dann ins Tacheles. Scheiße, war das lange her. Jetzt hatten sie das Tacheles verkauft. Für 140 Millionen. Er drehte sich um. Ray rauchte. Neben dem Benzin. Die Kanister rochen nach Olivenöl. Benzin, eh, Benzin, keine Oliven. Mach das Ding aus. Billys Wort in Gottes Ohren. Burn, motherfucker, burn sang Billy. Wie er den Song hasste. Die amerikanischen Soldaten hatten den Scheiß im Irak gehört. Beim Erschießen. Und im Panzer. Er nahm sich vor, Billy zu erledigen, gleich nach dem Überfall.
Zum Glück war ihnen der Ausbruch gelungen. Freiheit war eine Sünde wert. Dass Franzi draufgegangen war, fuck you. Wer über die Wupper wollte, durfte kein Weichei sein. War eh nicht schade. Ihr ewiges Sich-Selbt-Googlen hatte besonders Ray gestört. Franzi und Ray - das hatte an sich super angefangen, bei der zweiten re:publica, hinter dem Gardrobenständer. Dann ins Tacheles. Scheiße, war das lange her. Jetzt hatten sie das Tacheles verkauft. Für 140 Millionen. Er drehte sich um. Ray rauchte. Neben dem Benzin. Die Kanister rochen nach Olivenöl. Benzin, eh, Benzin, keine Oliven. Mach das Ding aus. Billys Wort in Gottes Ohren. Burn, motherfucker, burn sang Billy. Wie er den Song hasste. Die amerikanischen Soldaten hatten den Scheiß im Irak gehört. Beim Erschießen. Und im Panzer. Er nahm sich vor, Billy zu erledigen, gleich nach dem Überfall.
44
Grausamkeit ist den Glücklichen vorbehalten.
Grausamkeit ist den Glücklichen vorbehalten.
45
Zu Ihren Gepflogenheiten, der Kommissar räusperte sich, ein nervöses, ein um Nuancen zu helles Räuspern, er war sich seiner Zuschauer bewusst und spielte für die Empore, zu Ihren Gepflogenheiten, wenn ich Sie recht verstehe, gehört es also, dass Sie, Herr Joachim de Sauer, mit Taschenbüchern des Suhrkamp Verlages um sich werfen, als stünden sie auf einem Festwagen des Kölner Karnevals, nicht, was doch der Wahrheit entspräche, vor der Eingangtür des Verlages, und dass Sie dabei rufen Olle Kamellen, olle Kamellen. Verhält es sich so?
Zu Ihren Gepflogenheiten, der Kommissar räusperte sich, ein nervöses, ein um Nuancen zu helles Räuspern, er war sich seiner Zuschauer bewusst und spielte für die Empore, zu Ihren Gepflogenheiten, wenn ich Sie recht verstehe, gehört es also, dass Sie, Herr Joachim de Sauer, mit Taschenbüchern des Suhrkamp Verlages um sich werfen, als stünden sie auf einem Festwagen des Kölner Karnevals, nicht, was doch der Wahrheit entspräche, vor der Eingangtür des Verlages, und dass Sie dabei rufen Olle Kamellen, olle Kamellen. Verhält es sich so?
46
Sie hatten seit Monaten keine Frau gesehen. Schon gar keine nackte. Die Frau schrie beim Sex am Strand. Sie waren davon aufgewacht. Die Arbeit an der Straße war hart. Der vereinbarte Lohn dürftig. Sie hatten es unterschätzt, dass hier alles teurer war als daheim. Die Drei standen auf, geräuschlos. Sie folgten dem Schreien. Schiller ging voran, dahinter Novalis, dann Goethe.
Sie hatten seit Monaten keine Frau gesehen. Schon gar keine nackte. Die Frau schrie beim Sex am Strand. Sie waren davon aufgewacht. Die Arbeit an der Straße war hart. Der vereinbarte Lohn dürftig. Sie hatten es unterschätzt, dass hier alles teurer war als daheim. Die Drei standen auf, geräuschlos. Sie folgten dem Schreien. Schiller ging voran, dahinter Novalis, dann Goethe.
47
Meine Töchter hatte meine Ermordung akribisch geplant.
Meine Töchter hatte meine Ermordung akribisch geplant.
48
Sanitäter?
Er schüttelte den Kopf. Die rotblonden, aufgeföhnten Locken verbargen, dass Amadeus bereits Geheimratsecken hatte. Das Muskelpaket quoll aus seinem T-Shirt. Fremdes Blut war ihm zuwider.
Musiker?
Er dachte an die Blockflöte, die er benutzt hatte, um den Finken zu erschlagen. Die Eier im Nest hatte er seiner kleinen Schwester gebraten. Mike, der sie damals beaufsichtigt hatte, hatte geflennt. Er hatte Mike, der sich ihnen als Open Mike vorgestellt hatte, von Anfang an verachtet. Aufgesetzte Coolness. Widerlich.
Astronaut?
Allmählich ging Amadeus die Fragerei auf die Nerven, auch wenn das Mädchen lächelte. Wie bekloppt denken die, dass ich bin? Weder Mathe noch Physik waren seine Stärken an der Rütli gewesen. Er mochte Biologie. Körper haben den Vorteil, vorhanden und verwundbar zu sein. Das Käferaufspießen. Das Füttern der Schlange im Terrarium.
Rennfahrer?
Fragte sie ihn etwa nach schnellen Autos, weil dies eine Speeddating-Veranstaltung war? Amadeus erinnerte ihr Gesicht an seine erste Katze. Rosiposi. Flauschig. Wunderschöne grüne Augen. Verspielt. Jagte Ro Vögel, konnte man das Glöcklein um ihren Hals nicht hören. Ro bewegte sich vollkommen lautlos. Obwohl sie nicht hungrig war, hatte die Katze jede Nacht getötet.
Softwareentwickler?
Ja, sagte er, Apps, die attraktive Frauen wie dich bezaubern, die bringe ich auf den Markt. Amadeus war nach lügen. Mit Zahnarzthelferinnen kannte er sich aus. Du hast ein tolles Gebiss, sagte er.
Sanitäter?
Er schüttelte den Kopf. Die rotblonden, aufgeföhnten Locken verbargen, dass Amadeus bereits Geheimratsecken hatte. Das Muskelpaket quoll aus seinem T-Shirt. Fremdes Blut war ihm zuwider.
Musiker?
Er dachte an die Blockflöte, die er benutzt hatte, um den Finken zu erschlagen. Die Eier im Nest hatte er seiner kleinen Schwester gebraten. Mike, der sie damals beaufsichtigt hatte, hatte geflennt. Er hatte Mike, der sich ihnen als Open Mike vorgestellt hatte, von Anfang an verachtet. Aufgesetzte Coolness. Widerlich.
Astronaut?
Allmählich ging Amadeus die Fragerei auf die Nerven, auch wenn das Mädchen lächelte. Wie bekloppt denken die, dass ich bin? Weder Mathe noch Physik waren seine Stärken an der Rütli gewesen. Er mochte Biologie. Körper haben den Vorteil, vorhanden und verwundbar zu sein. Das Käferaufspießen. Das Füttern der Schlange im Terrarium.
Rennfahrer?
Fragte sie ihn etwa nach schnellen Autos, weil dies eine Speeddating-Veranstaltung war? Amadeus erinnerte ihr Gesicht an seine erste Katze. Rosiposi. Flauschig. Wunderschöne grüne Augen. Verspielt. Jagte Ro Vögel, konnte man das Glöcklein um ihren Hals nicht hören. Ro bewegte sich vollkommen lautlos. Obwohl sie nicht hungrig war, hatte die Katze jede Nacht getötet.
Softwareentwickler?
Ja, sagte er, Apps, die attraktive Frauen wie dich bezaubern, die bringe ich auf den Markt. Amadeus war nach lügen. Mit Zahnarzthelferinnen kannte er sich aus. Du hast ein tolles Gebiss, sagte er.
49
Am Tag der Abreise ging Kafka mit Gott einen trinken. Keine Riesensache. Ein Bier im Irish Pub in der Großen Hamburger Straße. Gott war, vorm Eintritt in den Pub, ungewöhnlich gut gelaunt gewesen.
Du bist mir ein Riesenbock, sagte Gott, halb scherzend, zu Kafka. Gott sah Kafka nicht direkt an, sondern sprach mit ihm über den Spiegel an der Wand, was wie eine Einstellung aus Hanekes Funny Games wirkte. Im richtigen Leben wusste Gott, was er mochte.
Die beiden standen am Tresen. Kafka hatte Probleme mit dem Rücken, um genau zu sein: mit dem linken unteren Teil des Flügels.
Kafka sagte nichts, sondern pustete Schaum vom Bier. Bei ihrer letzten Diskussion über die hinlänglich wissenschaftlich überprüfte Tatsache, dass sich Männchen per Lichtfalle anlocken ließen, war Gott der Kragen geplatzt. Er hatte Kafka "Impertinenz" vorgeworfen.
Gott, der vom Wirt nicht wiedererkannt worden war, grantelte plötzlich mit der Welt. Ihm war kalt, er hatte schlecht geschlafen, die Verdauung stockte, im Fernsehen hatte ein Priester bei Europa sucht den Superstar gewonnen. Das Universum, wie Gott es kannte, ging aus den Fugen. Außerdem litt Gott, besonders in Vollmondnächten, an Stimmungsschwankungen. Titanus giganteum, sagte Gott.
Kafka wusste, dass Gott auf sein Kleines Latinum stolz war. Er wusste aber auch, dass es giganteus heißen musste. Er hatte Miguel A. Monnés Catalogue of the Cerambycidae (Coleoptera) of the Neotropical Region. Part III. Subfamilies Lepturinae, Necydalinae, Parandrinae, Prioninae, Spondylidinae and Families Oxypeltidae, Vesperidae and Disteniidae von seiner Schwester und seiner Mutter, zwei Sparfüchse, als PDF zum Geburtstag geschenkt bekommen. Dieser Abend wird kein leichter sein, dachte Kafka. In seinem Kopf sang Xavier Naidoo. Das war das Letzte, was Kafka jetzt gebrauchen konnte.
Am Tag der Abreise ging Kafka mit Gott einen trinken. Keine Riesensache. Ein Bier im Irish Pub in der Großen Hamburger Straße. Gott war, vorm Eintritt in den Pub, ungewöhnlich gut gelaunt gewesen.
Du bist mir ein Riesenbock, sagte Gott, halb scherzend, zu Kafka. Gott sah Kafka nicht direkt an, sondern sprach mit ihm über den Spiegel an der Wand, was wie eine Einstellung aus Hanekes Funny Games wirkte. Im richtigen Leben wusste Gott, was er mochte.
Die beiden standen am Tresen. Kafka hatte Probleme mit dem Rücken, um genau zu sein: mit dem linken unteren Teil des Flügels.
Kafka sagte nichts, sondern pustete Schaum vom Bier. Bei ihrer letzten Diskussion über die hinlänglich wissenschaftlich überprüfte Tatsache, dass sich Männchen per Lichtfalle anlocken ließen, war Gott der Kragen geplatzt. Er hatte Kafka "Impertinenz" vorgeworfen.
Gott, der vom Wirt nicht wiedererkannt worden war, grantelte plötzlich mit der Welt. Ihm war kalt, er hatte schlecht geschlafen, die Verdauung stockte, im Fernsehen hatte ein Priester bei Europa sucht den Superstar gewonnen. Das Universum, wie Gott es kannte, ging aus den Fugen. Außerdem litt Gott, besonders in Vollmondnächten, an Stimmungsschwankungen. Titanus giganteum, sagte Gott.
Kafka wusste, dass Gott auf sein Kleines Latinum stolz war. Er wusste aber auch, dass es giganteus heißen musste. Er hatte Miguel A. Monnés Catalogue of the Cerambycidae (Coleoptera) of the Neotropical Region. Part III. Subfamilies Lepturinae, Necydalinae, Parandrinae, Prioninae, Spondylidinae and Families Oxypeltidae, Vesperidae and Disteniidae von seiner Schwester und seiner Mutter, zwei Sparfüchse, als PDF zum Geburtstag geschenkt bekommen. Dieser Abend wird kein leichter sein, dachte Kafka. In seinem Kopf sang Xavier Naidoo. Das war das Letzte, was Kafka jetzt gebrauchen konnte.
50
Jedes Glück beruht auf Arbeit. Ist Zufall im Spiel, verschwindet das Glück wieder.
Jedes Glück beruht auf Arbeit. Ist Zufall im Spiel, verschwindet das Glück wieder.
51
Da sich Sein nur sprachlich entbergen könne, sei Sprache das Haus des Seins. Dinge entfliehen, entfliehen soweit, dass unser Denken nicht länger an sie heranreicht. Der schwedische Geograph Rudolf Kjellén, dessen Nichte meine Frau geworden ist, hat den Begriff Geopolitik bereits 1900 verwendet. Karl Haushofers Zeitschrift für Geopolitik hat Hitlers Expansionspolitik beeinflusst. Das starke Volk stieße auf das Territorium der schwachen Völker vor. Die Welt teilte sich in Lebende und Tote. Wir müssten uns aussuchen, auf welchen Zug wir springen. Sobald du ein Ticket löst, bist du verdammt.
Der Vorhang senkte sich. Das Publikum erhob sich von den Sitzen. Die Masse denkt schlechter als das Individuum. Man tobte, man johlte. Last fiel ab. Die ersten zogen sich aus.
Da sich Sein nur sprachlich entbergen könne, sei Sprache das Haus des Seins. Dinge entfliehen, entfliehen soweit, dass unser Denken nicht länger an sie heranreicht. Der schwedische Geograph Rudolf Kjellén, dessen Nichte meine Frau geworden ist, hat den Begriff Geopolitik bereits 1900 verwendet. Karl Haushofers Zeitschrift für Geopolitik hat Hitlers Expansionspolitik beeinflusst. Das starke Volk stieße auf das Territorium der schwachen Völker vor. Die Welt teilte sich in Lebende und Tote. Wir müssten uns aussuchen, auf welchen Zug wir springen. Sobald du ein Ticket löst, bist du verdammt.
Der Vorhang senkte sich. Das Publikum erhob sich von den Sitzen. Die Masse denkt schlechter als das Individuum. Man tobte, man johlte. Last fiel ab. Die ersten zogen sich aus.
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Ein Dink kommt nicht in Frage. Es schreit. Es will an die Brust. Es schläft nicht. Wir schlafen nicht. Weder durch die Nacht - noch miteinander. Der Maler tobte. Er musste Hillary loswerden. Mann und Frau sind kurze Zeit füreinander gemacht. Dink, Donk. Die verdammte Eieruhr. Verwuchs. Schade. Hillarys Qualitäten waren offensichtlich. Woran liegt es nur, fragte sich der Maler, dass nach zwei, drei Jahren unweigerlich das Dink-Anliegen alles versaut? Hat es mit meiner blendenden Persönlichkeit zu tun? Wollen sie mich zweimal? Wollen sie ein Stück von mir für immer und ewig?
Ein Dink kommt nicht in Frage. Es schreit. Es will an die Brust. Es schläft nicht. Wir schlafen nicht. Weder durch die Nacht - noch miteinander. Der Maler tobte. Er musste Hillary loswerden. Mann und Frau sind kurze Zeit füreinander gemacht. Dink, Donk. Die verdammte Eieruhr. Verwuchs. Schade. Hillarys Qualitäten waren offensichtlich. Woran liegt es nur, fragte sich der Maler, dass nach zwei, drei Jahren unweigerlich das Dink-Anliegen alles versaut? Hat es mit meiner blendenden Persönlichkeit zu tun? Wollen sie mich zweimal? Wollen sie ein Stück von mir für immer und ewig?
53
Er behandelte das Leben wie ein Gummiseil. Er zog und zog und zog. Wenn er nur fest genug zog, hoffte er, würde die Zeit irgendwann länger werden.
Er behandelte das Leben wie ein Gummiseil. Er zog und zog und zog. Wenn er nur fest genug zog, hoffte er, würde die Zeit irgendwann länger werden.
54
Am Unabhängigkeitstag reisten die Abgesandten des Imperiums an. Es war der fünfzigste. Die Stimmung im Land war gedämpft. Der Neue Mann an der Spitze, der das Land seit elf Jahren regierte und den Job von dem Alten Mann an der Spitze übernommen hatte, war auf die Idee verfallen, Glücklich-Wettbewerbe zu veranstalten. Die Wachleute des Neuen Mannes an der Spitze hatten die Hauptstadt durchkämmt und Freiwillige verhaftet. Die Freiwilligen standen am Rollfeld des Flughafens, als die Maschinen mit den Abgesandten des Imperiums verspätet landeten. Sobald sich die Tür einer Maschine öffnete, lachten und klatschten sie. Die Glücklichen bekamen nichts zu trinken und nichts zu essen. Einige ältere Glückliche waren bereits gestorben. Sie lagen auf einem Haufen neben dem kaputten Dach des Terminals. Die Abgesandten des Imperiums winkten. Wie die Tiere, flüsterten sie sich zu, wenn sie die Glücklichen sahen, die vom Neuen Mann an der Spitze gezwungen worden waren, ihre Kleidung abzulegen und sich notdürftig mit Palmenblättern zu bedecken.
Am Unabhängigkeitstag reisten die Abgesandten des Imperiums an. Es war der fünfzigste. Die Stimmung im Land war gedämpft. Der Neue Mann an der Spitze, der das Land seit elf Jahren regierte und den Job von dem Alten Mann an der Spitze übernommen hatte, war auf die Idee verfallen, Glücklich-Wettbewerbe zu veranstalten. Die Wachleute des Neuen Mannes an der Spitze hatten die Hauptstadt durchkämmt und Freiwillige verhaftet. Die Freiwilligen standen am Rollfeld des Flughafens, als die Maschinen mit den Abgesandten des Imperiums verspätet landeten. Sobald sich die Tür einer Maschine öffnete, lachten und klatschten sie. Die Glücklichen bekamen nichts zu trinken und nichts zu essen. Einige ältere Glückliche waren bereits gestorben. Sie lagen auf einem Haufen neben dem kaputten Dach des Terminals. Die Abgesandten des Imperiums winkten. Wie die Tiere, flüsterten sie sich zu, wenn sie die Glücklichen sahen, die vom Neuen Mann an der Spitze gezwungen worden waren, ihre Kleidung abzulegen und sich notdürftig mit Palmenblättern zu bedecken.
55
Die Fliege nervte. Franziska Frischli holte die Klatsche raus, die in den Reitstiefeln steckte. Ein gezielter Schlag. Der Brummer stützte vom Himmel wie die über der Ostukraine abgeschossene Boeing der Malaysian Airlines. Am Anfang, sagte Franziska zu der toten Fliege, haben die Überlebenden von Flug 571 Schokolade gegessen und Wein getrunken, am nächsten Tag war die Zahnpasta alle und das Rasierwasser brannte ihnen im Magen. Rugby-Spieler sind harte Burschen. Wer viel austeilt, steckt viel ein. Franziska streichelte den kleinen Körper. Junge, hungrige, wilde Männer. Hart im Bett, schätze ich. Im Schnee lagen die verdammt gut konservierten Leichen von zehn Kameraden. Was hättest Du gemacht, Schnutzilein? Mit einer Glasscherbe haben sie das Eis von den Körpern gekratzt. Franziska stupste den Brummer an, er rührte sich nicht. Die Rugby-Spieler entfernten die nährstoffreichsten Zutaten. Die proteinbetuchte Leber mixten sie mit Knochenkalzium. Franziska beugte sich zur Fliege, die neben dem Wasserglas und den Amuse-bouche lag. Kleine Köstlichkeiten. Koch und Oberkellner mochten Franziska, die Frischli wurde, ihrer Zähne und ihrer Brüste wegen, wie eine Prinzessin hofiert. Ich habe das Gefühl, sagte Franziska zur Fliege, als würdest Du Dich langweilen. Die junge Frau fuhr mit ihrer Zunge über den Körper des Insekts. Es kitzelte angenehm.
Die Fliege nervte. Franziska Frischli holte die Klatsche raus, die in den Reitstiefeln steckte. Ein gezielter Schlag. Der Brummer stützte vom Himmel wie die über der Ostukraine abgeschossene Boeing der Malaysian Airlines. Am Anfang, sagte Franziska zu der toten Fliege, haben die Überlebenden von Flug 571 Schokolade gegessen und Wein getrunken, am nächsten Tag war die Zahnpasta alle und das Rasierwasser brannte ihnen im Magen. Rugby-Spieler sind harte Burschen. Wer viel austeilt, steckt viel ein. Franziska streichelte den kleinen Körper. Junge, hungrige, wilde Männer. Hart im Bett, schätze ich. Im Schnee lagen die verdammt gut konservierten Leichen von zehn Kameraden. Was hättest Du gemacht, Schnutzilein? Mit einer Glasscherbe haben sie das Eis von den Körpern gekratzt. Franziska stupste den Brummer an, er rührte sich nicht. Die Rugby-Spieler entfernten die nährstoffreichsten Zutaten. Die proteinbetuchte Leber mixten sie mit Knochenkalzium. Franziska beugte sich zur Fliege, die neben dem Wasserglas und den Amuse-bouche lag. Kleine Köstlichkeiten. Koch und Oberkellner mochten Franziska, die Frischli wurde, ihrer Zähne und ihrer Brüste wegen, wie eine Prinzessin hofiert. Ich habe das Gefühl, sagte Franziska zur Fliege, als würdest Du Dich langweilen. Die junge Frau fuhr mit ihrer Zunge über den Körper des Insekts. Es kitzelte angenehm.
56
Im Zweifel fegen die Angeklagten. Casius zeigte auf die Besen, deren Griffe aus Scherben bestanden. Wer sich beschwert, den erleichtern wir um das Leben.
Im Zweifel fegen die Angeklagten. Casius zeigte auf die Besen, deren Griffe aus Scherben bestanden. Wer sich beschwert, den erleichtern wir um das Leben.
57
Wenn ich mich recht erinnere, fing es damit an, dass Tooly behauptet hatte, sie könne ein Rad schlagen und dabei den linken kleinen Zeh ihres rechten Fußes küssen. Ruby, John John und ich waren Feuer und Flamme. Tooly war ohne Zweifel elastisch, ich hatte sie immer dafür bewundert. Aber das, das glaubten wir dann doch nicht. Der vernünftige Mensch weiß um die Grenzen des Körpers. Besonders John John zog sie auf. John John hatte so eine mokante Art, der bekam jedes Mädchen rum, selbst wenn er es ausdauernd beleidigte. Vielleicht gerade deswegen. John John war der einzige von uns, der bereits seine Unschuld verloren hatte. Mehr als einmal. Doch zurück zu Toolys verfluchtem Versprechen.
Wenn ich mich recht erinnere, fing es damit an, dass Tooly behauptet hatte, sie könne ein Rad schlagen und dabei den linken kleinen Zeh ihres rechten Fußes küssen. Ruby, John John und ich waren Feuer und Flamme. Tooly war ohne Zweifel elastisch, ich hatte sie immer dafür bewundert. Aber das, das glaubten wir dann doch nicht. Der vernünftige Mensch weiß um die Grenzen des Körpers. Besonders John John zog sie auf. John John hatte so eine mokante Art, der bekam jedes Mädchen rum, selbst wenn er es ausdauernd beleidigte. Vielleicht gerade deswegen. John John war der einzige von uns, der bereits seine Unschuld verloren hatte. Mehr als einmal. Doch zurück zu Toolys verfluchtem Versprechen.
58
Husserl interessierte sich für das Verhältnis der Bodenhaftigkeit zum erfahrenden Körper. Herder hat mal gesagt, dass uns ein Fieber in andere Räume versetzt. Räumlichkeit ersetzt den Raum. Das Wesen des menschlichen Seins und der Erkenntnis aus der eigenen Erfahrung heraus darzulegen, darum geht es, scheint mir, der Phänomenologie. Wenn Husserl also feststellt, dass sich die Erde nicht bewegt ...
Husserl interessierte sich für das Verhältnis der Bodenhaftigkeit zum erfahrenden Körper. Herder hat mal gesagt, dass uns ein Fieber in andere Räume versetzt. Räumlichkeit ersetzt den Raum. Das Wesen des menschlichen Seins und der Erkenntnis aus der eigenen Erfahrung heraus darzulegen, darum geht es, scheint mir, der Phänomenologie. Wenn Husserl also feststellt, dass sich die Erde nicht bewegt ...
59
Als sich der Hase in den Igel verliebt hatte, war ihm nicht klar gewesen, dass er die Wohnung am Stachus aufgeben musste. Die endlosen Witze des Kioskbetreibers, wo er seine Zeitungen, das Morgen- und das Abendblatt, bezog, und die schrägen Blicke der Frau im Bäckerladen, die dem Hasen plötzlich zusätzlich zu den drei Brezen Pflaster andrehen wollte, hatten ihn mürbe gemacht. Eine Liebe, hatte der Igel am Anfang gesagt, ist wie ein neues Leben. Eine Art von Zurück-auf-Los. Schon wahr, aber der alte Mietvertrag bot wahnsinnige Vorteile. Die Gentrifizierung hatte München längst erreicht. Der Hase wollte partout nicht vom Stachus weg. Dem Igel war alles egal, was den Hasen, ganz ehrlich, auch etwas beunruhigte. Und dann gab es noch die Angst vor der Einsamkeit. Mehrere Monate ohne den Igel. Dass sie noch nicht über den Winter gesprochen hatten, das stand auf einem ganz anderen Blatt. Der Hase hatte schon im Internet gecheckt, ob sie vielleicht auf Mallorca - aber das schien zu kalt zu sein, und die Kanaren waren zu teuer.
Als sich der Hase in den Igel verliebt hatte, war ihm nicht klar gewesen, dass er die Wohnung am Stachus aufgeben musste. Die endlosen Witze des Kioskbetreibers, wo er seine Zeitungen, das Morgen- und das Abendblatt, bezog, und die schrägen Blicke der Frau im Bäckerladen, die dem Hasen plötzlich zusätzlich zu den drei Brezen Pflaster andrehen wollte, hatten ihn mürbe gemacht. Eine Liebe, hatte der Igel am Anfang gesagt, ist wie ein neues Leben. Eine Art von Zurück-auf-Los. Schon wahr, aber der alte Mietvertrag bot wahnsinnige Vorteile. Die Gentrifizierung hatte München längst erreicht. Der Hase wollte partout nicht vom Stachus weg. Dem Igel war alles egal, was den Hasen, ganz ehrlich, auch etwas beunruhigte. Und dann gab es noch die Angst vor der Einsamkeit. Mehrere Monate ohne den Igel. Dass sie noch nicht über den Winter gesprochen hatten, das stand auf einem ganz anderen Blatt. Der Hase hatte schon im Internet gecheckt, ob sie vielleicht auf Mallorca - aber das schien zu kalt zu sein, und die Kanaren waren zu teuer.
60
Keine Fragen zu stellen, war ihre Qualität. Glaubte sie. Als Irmas Tochter auf dem Segelboot vor Rhodos in Seenot geriet und Irma, mit der sie beim THC Alster in der 60+ Mannschaft spielte, weder ein noch aus wusste, blieb sie stumm. Erst als es darum ging, ob sie die Hallenstunde verschieben könnten, wurde sie energisch. Eine Frechheit. Was dachte sich Irma nur? Glaubte Irma etwa, allein auf der Welt zu sein? Aller Besitz sei vom Schicksal geborgt, das Leben mache da keine Ausnahme, schmetterte sie Irma entgegen. Ein Ass.
Keine Fragen zu stellen, war ihre Qualität. Glaubte sie. Als Irmas Tochter auf dem Segelboot vor Rhodos in Seenot geriet und Irma, mit der sie beim THC Alster in der 60+ Mannschaft spielte, weder ein noch aus wusste, blieb sie stumm. Erst als es darum ging, ob sie die Hallenstunde verschieben könnten, wurde sie energisch. Eine Frechheit. Was dachte sich Irma nur? Glaubte Irma etwa, allein auf der Welt zu sein? Aller Besitz sei vom Schicksal geborgt, das Leben mache da keine Ausnahme, schmetterte sie Irma entgegen. Ein Ass.
61
Wenn du ihn rumkriegen willst, musst du die Beine gaaanz, gaaanz laaangsaaam breitmaaachen. Checky lachte wie ein Pferd, das vom Stallburschen gekitzelt wird.
Die anderen blickten Checky fassungslos an.
Camilla, die zum ersten Mal wieder ein Kleid trug, brach in Tränen aus. Der Stoff, der Falten verdeckt, weckt, häufig genug, törichte Hoffnungen.
Checky musterte sie durch das Monokel. Die Pupille sah wie eine Kastanie aus, in die ein blauer Blitz eingeschlagen war. Die leere Höhle daneben verdeckte eine Augenklappe.
Camilla löste die Bremse ihres Rollstuhls. Liebend gerne hätte sie jetzt eine geraucht. Eine fette, lange, starke Fluppe. Seit der Doppel-Amputation vor zwei Jahren hatte sie allerdings aufgehört. Sie raffte das leere Kleid und machte einen Knoten in den mit Rosen bestickten Stoff.
Wenn du ihn rumkriegen willst, musst du die Beine gaaanz, gaaanz laaangsaaam breitmaaachen. Checky lachte wie ein Pferd, das vom Stallburschen gekitzelt wird.
Die anderen blickten Checky fassungslos an.
Camilla, die zum ersten Mal wieder ein Kleid trug, brach in Tränen aus. Der Stoff, der Falten verdeckt, weckt, häufig genug, törichte Hoffnungen.
Checky musterte sie durch das Monokel. Die Pupille sah wie eine Kastanie aus, in die ein blauer Blitz eingeschlagen war. Die leere Höhle daneben verdeckte eine Augenklappe.
Camilla löste die Bremse ihres Rollstuhls. Liebend gerne hätte sie jetzt eine geraucht. Eine fette, lange, starke Fluppe. Seit der Doppel-Amputation vor zwei Jahren hatte sie allerdings aufgehört. Sie raffte das leere Kleid und machte einen Knoten in den mit Rosen bestickten Stoff.
62
Schon die erste Bemerkung handelte vom Wetter. Herr Bieberkopf legte den Hörer auf, kramte das Testament heraus und rief den Notar an.
Schon die erste Bemerkung handelte vom Wetter. Herr Bieberkopf legte den Hörer auf, kramte das Testament heraus und rief den Notar an.
63
Dann, Scharoun prustete los, hier noch, er verschob die Holzstückchen, und da, da auch, da besonders, das Besondere wird in den besten Entwürfen zum Allgemeinen, dann überall Straßen, ein Raster, eine amerikanische Stadt, das Spreeurstromtal legen wir trocken, Highways, blitzende Limousinen. Während des Krieges hatte er Einfamilienhäuser gebaut. Das Land hatte der Architekt, anders als Gropius oder Mies, nicht verlassen. Dass ihn die Kommunisten nach der Russlandreise abservieren würden, wusste er noch nicht. Klotzen, nicht kleckern, sagte Scharoun. Im Osten geht die Sonne auf, im Westen nimmt sie ihren Lauf. Der Architekt rieb sich die Hände.
Dann, Scharoun prustete los, hier noch, er verschob die Holzstückchen, und da, da auch, da besonders, das Besondere wird in den besten Entwürfen zum Allgemeinen, dann überall Straßen, ein Raster, eine amerikanische Stadt, das Spreeurstromtal legen wir trocken, Highways, blitzende Limousinen. Während des Krieges hatte er Einfamilienhäuser gebaut. Das Land hatte der Architekt, anders als Gropius oder Mies, nicht verlassen. Dass ihn die Kommunisten nach der Russlandreise abservieren würden, wusste er noch nicht. Klotzen, nicht kleckern, sagte Scharoun. Im Osten geht die Sonne auf, im Westen nimmt sie ihren Lauf. Der Architekt rieb sich die Hände.
64
Im Schatten des Windes lebt es sich gefährlicher, als man gemeinhin annimmt.
Im Schatten des Windes lebt es sich gefährlicher, als man gemeinhin annimmt.
65
Der Mensch, meint Hegel, sterbe auch aus Gewohnheit. Mit der Liebe, denke ich, ist es genauso: Lust und Hingabe entgleiten uns, wenn wir uns zu sehr an sie gewöhnen, sie als gottgegeben hinnehmen, als hätten wir unsere Hände mit Gleichgültigkeit eingecremt, als gäbe es für das Glück eine Garantiezeit. Deswegen, Liebste, spreche ich von einer Entscheidung, die wir alleine treffen, der wir uns verpflichten müssen. Das Streben nach Liebe hat etwas existenzielles, reicht, was sicherlich ein Teil der Attraktion ist, über unser Selbst hinaus. Wer für die Liebe kämpft, ringt gleichsam mit der Verlorenheit des auf ewig zum Tode verurteilten Individuums; man könnte bezweifeln, dass es die Liebe ohne das Sterben gäbe.
Der Mensch, meint Hegel, sterbe auch aus Gewohnheit. Mit der Liebe, denke ich, ist es genauso: Lust und Hingabe entgleiten uns, wenn wir uns zu sehr an sie gewöhnen, sie als gottgegeben hinnehmen, als hätten wir unsere Hände mit Gleichgültigkeit eingecremt, als gäbe es für das Glück eine Garantiezeit. Deswegen, Liebste, spreche ich von einer Entscheidung, die wir alleine treffen, der wir uns verpflichten müssen. Das Streben nach Liebe hat etwas existenzielles, reicht, was sicherlich ein Teil der Attraktion ist, über unser Selbst hinaus. Wer für die Liebe kämpft, ringt gleichsam mit der Verlorenheit des auf ewig zum Tode verurteilten Individuums; man könnte bezweifeln, dass es die Liebe ohne das Sterben gäbe.
66
Der Eismann hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden. Beinahe jedenfalls. Der Standort am Glenn Highway war an sich nicht schlecht. Kostete zusätzlich fast nichts. Konkurrenz existierte auch nicht. Allein auf einsamer Flur. Das passte dem Eismann. Die Alaska Central Railroad hielt in Palmer. Praktisch um die Ecke. Manchmal kamen einige Fahrgäste, wenn der Aufenthalt verlängert wurde. Umgestürzte Traktoren auf den Gleisen. Palmers Jugend, gelangweilt und verroht, veranstaltete, am zweiten Samstag des Monats, nachts Wettrennen, rannte ihm dann die Eisbude ein. Wenn nur nicht die Krauts wären. Ein Fünftel der Einwohner des Städtchens stammte von deutschen Siedlern ab. Die pflanzten Grünkohl, Broccoli und Romanesco. Hielten Dutzende Weltrekorde. Super Boden hier. Würde man nicht denken. Kamen nach der Kirche vorbei. Umrundeten den Van, auf den der Vater des Eismanns, ein Rumäne, in den 60er Jahren eine italienische Flagge gemalt hatte. Die Krauts mäkelten an seinem Kohlrabi-Eis herum, es hätte nicht die richtige Süße. Hatte man so was schon gehört? Kohlrabi war seines Erachtens sauer. Und jetzt, zu allem Überfluss, auch noch Mutsuhiro Ishiguro. Die Leute aus Saroma, Palmers Partnerstadt, aßen leidenschaftlich gerne das Wasabi-Eis. Bis auf Ishiguro, der den Eismann seit Wochen zwingen wollte, das Wasabi-Eis horseradish-ice zu nennen. Das sei ehrlicher. Da es sich um gewöhnlichen Meerrettich aus Alaska handele, solle sich der Eismann mal nicht so anstellen. Kants kategorischer Imperativ verlange das. Kants kategorischer Imperativ. Nichts ist einfach, dachte der Eismann. Wäre es einfach, könnte es ja jeder.
Der Eismann hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden. Beinahe jedenfalls. Der Standort am Glenn Highway war an sich nicht schlecht. Kostete zusätzlich fast nichts. Konkurrenz existierte auch nicht. Allein auf einsamer Flur. Das passte dem Eismann. Die Alaska Central Railroad hielt in Palmer. Praktisch um die Ecke. Manchmal kamen einige Fahrgäste, wenn der Aufenthalt verlängert wurde. Umgestürzte Traktoren auf den Gleisen. Palmers Jugend, gelangweilt und verroht, veranstaltete, am zweiten Samstag des Monats, nachts Wettrennen, rannte ihm dann die Eisbude ein. Wenn nur nicht die Krauts wären. Ein Fünftel der Einwohner des Städtchens stammte von deutschen Siedlern ab. Die pflanzten Grünkohl, Broccoli und Romanesco. Hielten Dutzende Weltrekorde. Super Boden hier. Würde man nicht denken. Kamen nach der Kirche vorbei. Umrundeten den Van, auf den der Vater des Eismanns, ein Rumäne, in den 60er Jahren eine italienische Flagge gemalt hatte. Die Krauts mäkelten an seinem Kohlrabi-Eis herum, es hätte nicht die richtige Süße. Hatte man so was schon gehört? Kohlrabi war seines Erachtens sauer. Und jetzt, zu allem Überfluss, auch noch Mutsuhiro Ishiguro. Die Leute aus Saroma, Palmers Partnerstadt, aßen leidenschaftlich gerne das Wasabi-Eis. Bis auf Ishiguro, der den Eismann seit Wochen zwingen wollte, das Wasabi-Eis horseradish-ice zu nennen. Das sei ehrlicher. Da es sich um gewöhnlichen Meerrettich aus Alaska handele, solle sich der Eismann mal nicht so anstellen. Kants kategorischer Imperativ verlange das. Kants kategorischer Imperativ. Nichts ist einfach, dachte der Eismann. Wäre es einfach, könnte es ja jeder.
67
Hebammel, dachte Elfriede Herzsprung, sie entspannte sich bei einem Ballonflug über den Tegeler See, Hebammel sollte ich mir auf die Karte drucken lassen. Obwohl Herzsprung bereits 264 Kinder auf die Welt gebracht hatte, alle gesund, flatterten ihr unweigerlich die Nerven. Nach jeder Geburt betrank sich Herzsprung. Sie legte der Mutter das Baby in die Arme, lief aus dem Raum, aus der Wohnung, aus dem Haus, rannte zu ihrem Smart, öffnete die erste, eisgekühlte Flasche Bommerlunder - Herzsprung schwor auf Kümmelbrantwein -, schob die Kassette ein, sie hatte sich extra ein Autoradio mit Kassettenabspielmöglichkeit einbauen lassen, den Anfang der Melodie liebte sie, Nicanor Molinare, 1937, der Samabschlager Chiu Chiu, süperb, was die Toten Hosen draus gemacht hatten, war allerdings noch besser, Herzsprung schluckte und schluckte, das Läuten des Telefons überhörte sie.
Hebammel, dachte Elfriede Herzsprung, sie entspannte sich bei einem Ballonflug über den Tegeler See, Hebammel sollte ich mir auf die Karte drucken lassen. Obwohl Herzsprung bereits 264 Kinder auf die Welt gebracht hatte, alle gesund, flatterten ihr unweigerlich die Nerven. Nach jeder Geburt betrank sich Herzsprung. Sie legte der Mutter das Baby in die Arme, lief aus dem Raum, aus der Wohnung, aus dem Haus, rannte zu ihrem Smart, öffnete die erste, eisgekühlte Flasche Bommerlunder - Herzsprung schwor auf Kümmelbrantwein -, schob die Kassette ein, sie hatte sich extra ein Autoradio mit Kassettenabspielmöglichkeit einbauen lassen, den Anfang der Melodie liebte sie, Nicanor Molinare, 1937, der Samabschlager Chiu Chiu, süperb, was die Toten Hosen draus gemacht hatten, war allerdings noch besser, Herzsprung schluckte und schluckte, das Läuten des Telefons überhörte sie.
68
Versöhnung. Verbrüderung. Schwestern und Töchter, meine Damen und meine Herren, Schwestern und Töchter, die doch, seien wir ehrlich, die Trägerinnen der familiären Gefühlswelt darstellen, bekommen linguistisch eine untergeordnete Rolle zugewiesen. Haben männliche Gefühle einen höheren Stellenwert als weibliche?, frage ich sie. Oder handelt es sich um ein weiteres Beispiel uralter Unterdrückung? Blicken wir nur auf unsere Parlamente, auf unsere Chef-Etagen! Verbrüderung allerorten, von Verschwesterung keine Spur. Das ändert sich hiermit. Knapp dreißig Millionen Frauen haben unterschrieben, unbemerkt von ihren Partnern. Wir entrümpeln dieses Land. Jetzt, nicht erst morgen. Wir treten in den Sex-Streik.
Versöhnung. Verbrüderung. Schwestern und Töchter, meine Damen und meine Herren, Schwestern und Töchter, die doch, seien wir ehrlich, die Trägerinnen der familiären Gefühlswelt darstellen, bekommen linguistisch eine untergeordnete Rolle zugewiesen. Haben männliche Gefühle einen höheren Stellenwert als weibliche?, frage ich sie. Oder handelt es sich um ein weiteres Beispiel uralter Unterdrückung? Blicken wir nur auf unsere Parlamente, auf unsere Chef-Etagen! Verbrüderung allerorten, von Verschwesterung keine Spur. Das ändert sich hiermit. Knapp dreißig Millionen Frauen haben unterschrieben, unbemerkt von ihren Partnern. Wir entrümpeln dieses Land. Jetzt, nicht erst morgen. Wir treten in den Sex-Streik.
69
Schuld ist die Versuchung, Verantwortung auf andere zu schieben.
Schuld ist die Versuchung, Verantwortung auf andere zu schieben.
70
Der Fluss ärgerte sich. Die Fischer hörten nicht auf. Sie bauten mehr und mehr Boote. Obwohl er sie mehrmals gewarnt hatte. Die Brücken nervten den Fluss besonders. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Der Fluss hatte die Wahl gehabt. Lange her. Alles war demokratisch abgegangen. Doch die Terms & Conditions hatten sich in den letzten tausend Jahren dramatisch geändert. Nicht zu seinem Vorteil. Bei der Alle-Flüsse-Konferenz hatte die Fraktion der Heraklit-Partei das lose Bündnis aus Über-die-Ufer-Treter und Damm-It!!, die sich neuerdings mit zwei Ausrufezeichen schrieben, ausmanövriert. Denen ging es nur um den Verein, ihre Macht, die interne Anerkennung. Sie trieben es mit sich selbst. Der Fluss wusste es besser. Die Heraklisten waren nicht in seiner Lage. Die meisten kamen ohne Delta aus, speisten sich aus einer einzigen Quelle, irgendwo in den Bergen. Provinzler, dachte der Fluss. Die Bade-Meinstrom-Bande war sein Projekt. Dass der Ganges mitmachte, mit dem er sich früher heftig über den Varanasi-Kult gestritten hatte, bestärkte ihn.
Der Fluss ärgerte sich. Die Fischer hörten nicht auf. Sie bauten mehr und mehr Boote. Obwohl er sie mehrmals gewarnt hatte. Die Brücken nervten den Fluss besonders. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Der Fluss hatte die Wahl gehabt. Lange her. Alles war demokratisch abgegangen. Doch die Terms & Conditions hatten sich in den letzten tausend Jahren dramatisch geändert. Nicht zu seinem Vorteil. Bei der Alle-Flüsse-Konferenz hatte die Fraktion der Heraklit-Partei das lose Bündnis aus Über-die-Ufer-Treter und Damm-It!!, die sich neuerdings mit zwei Ausrufezeichen schrieben, ausmanövriert. Denen ging es nur um den Verein, ihre Macht, die interne Anerkennung. Sie trieben es mit sich selbst. Der Fluss wusste es besser. Die Heraklisten waren nicht in seiner Lage. Die meisten kamen ohne Delta aus, speisten sich aus einer einzigen Quelle, irgendwo in den Bergen. Provinzler, dachte der Fluss. Die Bade-Meinstrom-Bande war sein Projekt. Dass der Ganges mitmachte, mit dem er sich früher heftig über den Varanasi-Kult gestritten hatte, bestärkte ihn.
71
Das Simulacrum sendete feinste Schichten seiner Hülle in den Raum, was das Ozonloch als Anmache bewertete. Ein folgenschweres Missverständnis.
Das Simulacrum sendete feinste Schichten seiner Hülle in den Raum, was das Ozonloch als Anmache bewertete. Ein folgenschweres Missverständnis.
72
In der Hektik hatte sie vergessen, den Dackel loszubinden. Fuck, fuck, fuck! Francois' Sekretär hatte sie sogar vor der Rue Paul Bert gewarnt. Im französischen Viertel Hanois seien Trickdiebe unterwegs. Daran und an die lackierten Holzschüsseln - perfekte Weihnachtsgeschenke - hatte sie gedacht, beim Herausgehen, nicht an Filou. Die Verkäuferinnen waren alle so freundlich gewesen. Anders als in Paris. Den Hund hatte sie komplett vergessen. Als sie eine halbe Stunde später zurückkam, bot an der selben Stelle ein Streetfood-Stand potage basset an. Das junge Mädchen hinter dem Kocher lächelte und sagte Pho Bo und wauwau, um ihr das Schild zu erklären. Normalerweise faszinierten Julie Gayet die Überreste des französischen Kolonialreichs. Heute nicht. Francois liebte Filou mehr als seine Kinder.
In der Hektik hatte sie vergessen, den Dackel loszubinden. Fuck, fuck, fuck! Francois' Sekretär hatte sie sogar vor der Rue Paul Bert gewarnt. Im französischen Viertel Hanois seien Trickdiebe unterwegs. Daran und an die lackierten Holzschüsseln - perfekte Weihnachtsgeschenke - hatte sie gedacht, beim Herausgehen, nicht an Filou. Die Verkäuferinnen waren alle so freundlich gewesen. Anders als in Paris. Den Hund hatte sie komplett vergessen. Als sie eine halbe Stunde später zurückkam, bot an der selben Stelle ein Streetfood-Stand potage basset an. Das junge Mädchen hinter dem Kocher lächelte und sagte Pho Bo und wauwau, um ihr das Schild zu erklären. Normalerweise faszinierten Julie Gayet die Überreste des französischen Kolonialreichs. Heute nicht. Francois liebte Filou mehr als seine Kinder.
73
Der Vulkan unter dem Yosemite-Nationalpark brach aus, als die Monster-Ufos auf dem blauen Planeten landeten. Etwas seitlich der Stelle, an der das ledergelb glühende Magma in einer tausend Meter hohen Fontäne aus dem neuen Krater in die Luft geschleudert wurde. Die Live-Kameras der Nachrichtensender wussten nicht, wo sie draufhalten sollten - auf die Monster-Aliens oder die enorme Gesteinsschmelze. Beides, keine Frage, fantastische Motive. Wie man es macht, knurrte Jeff Rating, CNN-Chefredakteur, macht man es shitpisscuntfuckcocksuckermotherfuckertits falsch. Rating sprach die Seven Dirty Words wie ein einziges aus. Eine Angewohnheit aus der Zeit, als er für die New York Times als Musical-Reporter unterwegs gewesen war.
Der Vulkan unter dem Yosemite-Nationalpark brach aus, als die Monster-Ufos auf dem blauen Planeten landeten. Etwas seitlich der Stelle, an der das ledergelb glühende Magma in einer tausend Meter hohen Fontäne aus dem neuen Krater in die Luft geschleudert wurde. Die Live-Kameras der Nachrichtensender wussten nicht, wo sie draufhalten sollten - auf die Monster-Aliens oder die enorme Gesteinsschmelze. Beides, keine Frage, fantastische Motive. Wie man es macht, knurrte Jeff Rating, CNN-Chefredakteur, macht man es shitpisscuntfuckcocksuckermotherfuckertits falsch. Rating sprach die Seven Dirty Words wie ein einziges aus. Eine Angewohnheit aus der Zeit, als er für die New York Times als Musical-Reporter unterwegs gewesen war.
74
Als Simone ohne Schmerzen aufwachte, wusste sie, dass sie tot war.
Als Simone ohne Schmerzen aufwachte, wusste sie, dass sie tot war.
75
Onkel Gerd hatte Recht behalten. Sehnsucht verwandelt sich nach ihrer Erfüllung in Langeweile. Nun hieß es, an die Karten zu kommen. Und die Geheimnummern. Schnellstens. Seine Verwandten brauchten aus Rotterdam höchstens drei Stunden. Das mit Genf hätte der General ihr nicht sagen sollen. Sie lächelte in den Vergrößerungsspiegel. Eher traurig als heiter, was ihr, wie sie selbst fand, wahnsinnig stand. Auf ihrer Nasenspitze glitzerte ein Tropfen Blut. Sie wischte ihn ab.
Onkel Gerd hatte Recht behalten. Sehnsucht verwandelt sich nach ihrer Erfüllung in Langeweile. Nun hieß es, an die Karten zu kommen. Und die Geheimnummern. Schnellstens. Seine Verwandten brauchten aus Rotterdam höchstens drei Stunden. Das mit Genf hätte der General ihr nicht sagen sollen. Sie lächelte in den Vergrößerungsspiegel. Eher traurig als heiter, was ihr, wie sie selbst fand, wahnsinnig stand. Auf ihrer Nasenspitze glitzerte ein Tropfen Blut. Sie wischte ihn ab.
76
Die Domina bezeichnete sich online als Farmerin. Für ihre App pickyourpig.demeterdaneben hatte sie die Borkener Besamungsanlage als verschwommenes Hintergrundbild gewählt. Der Stall sah dadurch wie von Gerhard Richter gemalt aus. Bilder ersetzen häufig Bildung. Im westlichen Münsterland, wo sich schon Karl der Kleine daheim gefühlt habe, betriebe sie, behauptete die kahlköpfige Domina, besonders gerne Notzucht. Dass der mittlere Turm auf dem Borkener Wappen ein Kondom trüge, zeugte von der Verklemmtheit des unsympathischen Örtchens. Von einem, Zitat, facettiertem Kuppeldach mit aufliegender Turmkugel, Zitat Ende, zu sprechen, bewiese nur, dass man von Tuten und Blasonierung in der Kreisstadt keine Ahnung hätte.
Die Domina bezeichnete sich online als Farmerin. Für ihre App pickyourpig.demeterdaneben hatte sie die Borkener Besamungsanlage als verschwommenes Hintergrundbild gewählt. Der Stall sah dadurch wie von Gerhard Richter gemalt aus. Bilder ersetzen häufig Bildung. Im westlichen Münsterland, wo sich schon Karl der Kleine daheim gefühlt habe, betriebe sie, behauptete die kahlköpfige Domina, besonders gerne Notzucht. Dass der mittlere Turm auf dem Borkener Wappen ein Kondom trüge, zeugte von der Verklemmtheit des unsympathischen Örtchens. Von einem, Zitat, facettiertem Kuppeldach mit aufliegender Turmkugel, Zitat Ende, zu sprechen, bewiese nur, dass man von Tuten und Blasonierung in der Kreisstadt keine Ahnung hätte.
77
Gäbe es kein Geld, lebten wir in der Hölle auf Erden. Niemand produzierte mehr, als er selbst bräuchte. Das Jagen und das Sammeln nähmen einen Großteil des Tages ein. Menschen erschlügen sich, wo sie sich träfen. Die Gedanken kreisten nur um Sex und die nächste Malzeit.
Der Finanzminister sah seinen Referenten an. Wen, glauben Sie, soll ich in Davos mit diesen Allgemeinplätzen überraschen? Wollen Sie als Redenschreiber mit ins Kanzleramt? Dann strengen Sie sich gefälligst an.
Gäbe es kein Geld, lebten wir in der Hölle auf Erden. Niemand produzierte mehr, als er selbst bräuchte. Das Jagen und das Sammeln nähmen einen Großteil des Tages ein. Menschen erschlügen sich, wo sie sich träfen. Die Gedanken kreisten nur um Sex und die nächste Malzeit.
Der Finanzminister sah seinen Referenten an. Wen, glauben Sie, soll ich in Davos mit diesen Allgemeinplätzen überraschen? Wollen Sie als Redenschreiber mit ins Kanzleramt? Dann strengen Sie sich gefälligst an.
78
Ihr Bruder, sagen Sie, hatte vor, alles wiedergutzumachen.
Ja.
Was meinen Sie mit alles wiedergutzumachen.
Was er schlecht gemacht hat, schätze ich. Die Sache mit Schnupps und Schnapps.
Er oder Sie? Was Sie schlecht gemacht haben?
Ich habe nichts wiedergutzumachen.
Was ein Unterschied ist.
Zu was ein Unterschied?
Zum Was-Sie-schlecht-gemacht-Haben.
Wenn Sie das sagen.
Was war denn die Sache mit Schnupps und Schnapps?
Aber das wissen Sie doch.
Nein, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, was in den Akten steht, und das ist mehr als dürftig.
Dürftig. Das trifft es. Die Sache war furchtbar dürftig. Von Anfang an.
Schildern Sie aus Ihrer Sicht die Sache.
Warum?
Ihr Bruder hat einen Brief hinterlassen, der die Sachlage dramatisch ändert.
Wie ändert?
Zu Ihren Ungunsten.
Das glaube ich nicht.
Den Glauben können wir ruhig aus dem Spiel lassen. Dies ist ein laizistischer Staat.
Sie bluffen.
Warum sollte ich? Ihr Bruder war am Ende sehr mitteilungsbedürftig. Druck sucht sich ein Ventil. Redselig - wer wäre das nicht gewesen.
Alles Lügen. Der hat die Zähne nie auseinandergekriegt. Nicht mein Bruder.
War nicht nötig. Am Ende hatte er keine mehr.
Und die Kohle?
Liegt in der Grube. Wie es sich für anständige Kohle gehört.
Anständig ist für die meisten in dieser Stadt ein Fremdwort. Die Kette um den Hals ...?
Hübsch, oder? Die Zähne Ihres Bruders, mit Gold überzogen.
Ihr Bruder, sagen Sie, hatte vor, alles wiedergutzumachen.
Ja.
Was meinen Sie mit alles wiedergutzumachen.
Was er schlecht gemacht hat, schätze ich. Die Sache mit Schnupps und Schnapps.
Er oder Sie? Was Sie schlecht gemacht haben?
Ich habe nichts wiedergutzumachen.
Was ein Unterschied ist.
Zu was ein Unterschied?
Zum Was-Sie-schlecht-gemacht-Haben.
Wenn Sie das sagen.
Was war denn die Sache mit Schnupps und Schnapps?
Aber das wissen Sie doch.
Nein, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, was in den Akten steht, und das ist mehr als dürftig.
Dürftig. Das trifft es. Die Sache war furchtbar dürftig. Von Anfang an.
Schildern Sie aus Ihrer Sicht die Sache.
Warum?
Ihr Bruder hat einen Brief hinterlassen, der die Sachlage dramatisch ändert.
Wie ändert?
Zu Ihren Ungunsten.
Das glaube ich nicht.
Den Glauben können wir ruhig aus dem Spiel lassen. Dies ist ein laizistischer Staat.
Sie bluffen.
Warum sollte ich? Ihr Bruder war am Ende sehr mitteilungsbedürftig. Druck sucht sich ein Ventil. Redselig - wer wäre das nicht gewesen.
Alles Lügen. Der hat die Zähne nie auseinandergekriegt. Nicht mein Bruder.
War nicht nötig. Am Ende hatte er keine mehr.
Und die Kohle?
Liegt in der Grube. Wie es sich für anständige Kohle gehört.
Anständig ist für die meisten in dieser Stadt ein Fremdwort. Die Kette um den Hals ...?
Hübsch, oder? Die Zähne Ihres Bruders, mit Gold überzogen.
79
Allein Ahnungslose sterben mit dem Gefühl, das Leben verstanden zu haben, sagte sie zu ihm. In der Trommel des Revolvers steckten fünf Patronen. Wir waren zu sechst.
Allein Ahnungslose sterben mit dem Gefühl, das Leben verstanden zu haben, sagte sie zu ihm. In der Trommel des Revolvers steckten fünf Patronen. Wir waren zu sechst.
80
Apple Blythe Allison hatte von Brooklyn Romeo Cruz die Nase gestrichen voll, seit er sich auf die Seite von Elijah Bob Patricius Guggi Q und Johan Riley Fyodor Taiwo Samuel geschlagen hatte. Die Tränen stiegen ihr in die Augen. Zu atmen fällt Verlassenen schwerer als Liebenden. Sie fühlte, dass es mit Romeo und Ethel, die Piratentochter nichts werden würde. Außerdem kratzte ihr selbst getricktes, hellrötlichbraunes Halstuch aus unbehandelter Guanako-Wolle. Ein Puma hatte das Guanako erlegt. Das Fell hatte ein argentinischer Kürschner unter der Hand zum Kauf angeboten.
Apple Blythe Allison hatte von Brooklyn Romeo Cruz die Nase gestrichen voll, seit er sich auf die Seite von Elijah Bob Patricius Guggi Q und Johan Riley Fyodor Taiwo Samuel geschlagen hatte. Die Tränen stiegen ihr in die Augen. Zu atmen fällt Verlassenen schwerer als Liebenden. Sie fühlte, dass es mit Romeo und Ethel, die Piratentochter nichts werden würde. Außerdem kratzte ihr selbst getricktes, hellrötlichbraunes Halstuch aus unbehandelter Guanako-Wolle. Ein Puma hatte das Guanako erlegt. Das Fell hatte ein argentinischer Kürschner unter der Hand zum Kauf angeboten.
81
Als die Kundin, die keine war, sagte, was JP Junior dachte - Satz für Satz, Wort für Wort, Silbe für Silbe -, wurde es dem Besitzer der Geisterbahn unheimlich. Sein Vater, JP Senior, hatte in Lyon, kurz nach dem Krieg, ähnliches erlebt. Auf dem Sterbebett hatte JP Senior den Sohn vor der Weißen Frau aus Saint-Étienne gewarnt. Nachdem ihm die Weiße Frau erschienen sei, hatte sein Vater gesagt, hätten sich die Schleusen des Himmels geöffnet, es hätte einen Monat ununterbrochen geregnet, man hätte nicht abbauen können, unmöglich, kein Fahrgeschäft wäre dazu in der Lage gewesen, mit den Fingern hätten die Betreiber des Riesenrads und des Karusells auf ihn gezeigt, erst das Fingerzeigen, dann das Fäustekrachen, Flüche und Anschuldigungen seien gewechselt worden, weil er die Weiße Frau nicht sofort vorm Gelände geschickt hätte, weil er mit einer Stéphanois geredet hätte, es gäbe Gründe, warum sie, die Reisenden, niemals in Saint-Étienne Halt machten, aus den stillgelegten Zechen kämen Nachts die Geister, das wüsste doch jeder, keiner wäre so dumm, das zu vergessen, die Freundschaft mit Natalie, hatte sein Vater gesagt und sich eine Träne aus den Augen gewischt, mit Natalie, der ironischen, intelligenten Tochter des Clowns, sei damals zerbrochen, eine Schande, er, Junior, hätte ansonsten eine fabelhafte Mutter gehabt, Liebe, das hätte er erst später verstanden, echte Liebe überschreite die Grenzen des Akzeptablen und schaffe sich eine eigene Welt, wegen des Dauerregens hätte man damals nicht, wie geplant, von Lyon aus weiter nach Grenoble ziehen können, der Boden unter der Bahn wäre schließlich weich wie Butter gewesen, die Träger wären im Morast versunken, als hätte es sich um einen Sumpf gehandelt, vor seinen Augen wären Millionen von Würmen aus der aufgerissen Erdkruste gekrochen und hätten es sich überall in der Geisterbahn bequem gemacht, als hätte es sich um einen sinkenden Luxusliner gehandelt. Und jezt hielt sie nicht nur um Juniors Hand an, sondern in ihrer linken eine glänzende Handgranate, auf der - mit Lippenstift geschrieben - partir, c'est mourir un peu stand.
Als die Kundin, die keine war, sagte, was JP Junior dachte - Satz für Satz, Wort für Wort, Silbe für Silbe -, wurde es dem Besitzer der Geisterbahn unheimlich. Sein Vater, JP Senior, hatte in Lyon, kurz nach dem Krieg, ähnliches erlebt. Auf dem Sterbebett hatte JP Senior den Sohn vor der Weißen Frau aus Saint-Étienne gewarnt. Nachdem ihm die Weiße Frau erschienen sei, hatte sein Vater gesagt, hätten sich die Schleusen des Himmels geöffnet, es hätte einen Monat ununterbrochen geregnet, man hätte nicht abbauen können, unmöglich, kein Fahrgeschäft wäre dazu in der Lage gewesen, mit den Fingern hätten die Betreiber des Riesenrads und des Karusells auf ihn gezeigt, erst das Fingerzeigen, dann das Fäustekrachen, Flüche und Anschuldigungen seien gewechselt worden, weil er die Weiße Frau nicht sofort vorm Gelände geschickt hätte, weil er mit einer Stéphanois geredet hätte, es gäbe Gründe, warum sie, die Reisenden, niemals in Saint-Étienne Halt machten, aus den stillgelegten Zechen kämen Nachts die Geister, das wüsste doch jeder, keiner wäre so dumm, das zu vergessen, die Freundschaft mit Natalie, hatte sein Vater gesagt und sich eine Träne aus den Augen gewischt, mit Natalie, der ironischen, intelligenten Tochter des Clowns, sei damals zerbrochen, eine Schande, er, Junior, hätte ansonsten eine fabelhafte Mutter gehabt, Liebe, das hätte er erst später verstanden, echte Liebe überschreite die Grenzen des Akzeptablen und schaffe sich eine eigene Welt, wegen des Dauerregens hätte man damals nicht, wie geplant, von Lyon aus weiter nach Grenoble ziehen können, der Boden unter der Bahn wäre schließlich weich wie Butter gewesen, die Träger wären im Morast versunken, als hätte es sich um einen Sumpf gehandelt, vor seinen Augen wären Millionen von Würmen aus der aufgerissen Erdkruste gekrochen und hätten es sich überall in der Geisterbahn bequem gemacht, als hätte es sich um einen sinkenden Luxusliner gehandelt. Und jezt hielt sie nicht nur um Juniors Hand an, sondern in ihrer linken eine glänzende Handgranate, auf der - mit Lippenstift geschrieben - partir, c'est mourir un peu stand.
82
Die Verteidigungsministerin sonnte sich im Licht der Scheinwerfer. Auf das Shooting hatte sie sich seit ihrer Amtsernennung gefreut. Die Transall-Maschine wartete abflugbereit. Der Morgen roch nach Bohnenkaffee und Speck. Die Journalisten froren. Richtig so, dachte sie. Dies war kein Spiel. Spieler waren Militärs, die am Ende auf der Verlierseite standen. Wenn du nicht stark bist, sagt Sunzi, musst du klug sein. Die Verteidigungsministerin rieb sich die Hände. Der erste Nachtforst hatte die Teams überrascht. Am Abend waren es noch 15 Grad gewesen. Der Offizier, ein groß gewachsener Oberst mit grauen Haaren, der sie um 40 Zentimeter überragte, stand zwischen ihr und den Kameras. Ein, zwei beherzte Griffe, und schon war sie im Focus. Die Verteidigungsministerin zupfte sich die Jeansjacke zurecht. Dieser Posten war ihr Sprungbrett. Die Männer vor ihr hatten reihenweie versagt.
Die Verteidigungsministerin sonnte sich im Licht der Scheinwerfer. Auf das Shooting hatte sie sich seit ihrer Amtsernennung gefreut. Die Transall-Maschine wartete abflugbereit. Der Morgen roch nach Bohnenkaffee und Speck. Die Journalisten froren. Richtig so, dachte sie. Dies war kein Spiel. Spieler waren Militärs, die am Ende auf der Verlierseite standen. Wenn du nicht stark bist, sagt Sunzi, musst du klug sein. Die Verteidigungsministerin rieb sich die Hände. Der erste Nachtforst hatte die Teams überrascht. Am Abend waren es noch 15 Grad gewesen. Der Offizier, ein groß gewachsener Oberst mit grauen Haaren, der sie um 40 Zentimeter überragte, stand zwischen ihr und den Kameras. Ein, zwei beherzte Griffe, und schon war sie im Focus. Die Verteidigungsministerin zupfte sich die Jeansjacke zurecht. Dieser Posten war ihr Sprungbrett. Die Männer vor ihr hatten reihenweie versagt.
83
Als der Dreijährige mit bloßen Händen eine Kokusnuss aufbrach, die am Strand gelegen hatte, kamen die Ältesten des Dorfes zusammen. Sie saßen mehrere Stunden lang schweigend im Kreis. Niemand wollte die Entscheidung überstürzen, um es sich nicht mit den Ahnen zu verderben. Zu viel Eile entehrt die Erfahrung. Hieß es nicht so? Der Abend brach an. Die Milchstraße stand wie ein Feuerband aus Sternen am Himmel. Kanara räusperte sich zuerst. Er musste nichts sagen. Die anderen nickten. Das Wasser war weit draußen, das Loch schnell gegraben, der Körper mit Schlamm bedeckt. Die Gefahr für den Frieden war gebannt. Die Familie bekam den Fang des nächsten Tages zugesprochen. Man würde teilen, wie es Sitte war. Auf das Festmahl freuten sich alle.
Als der Dreijährige mit bloßen Händen eine Kokusnuss aufbrach, die am Strand gelegen hatte, kamen die Ältesten des Dorfes zusammen. Sie saßen mehrere Stunden lang schweigend im Kreis. Niemand wollte die Entscheidung überstürzen, um es sich nicht mit den Ahnen zu verderben. Zu viel Eile entehrt die Erfahrung. Hieß es nicht so? Der Abend brach an. Die Milchstraße stand wie ein Feuerband aus Sternen am Himmel. Kanara räusperte sich zuerst. Er musste nichts sagen. Die anderen nickten. Das Wasser war weit draußen, das Loch schnell gegraben, der Körper mit Schlamm bedeckt. Die Gefahr für den Frieden war gebannt. Die Familie bekam den Fang des nächsten Tages zugesprochen. Man würde teilen, wie es Sitte war. Auf das Festmahl freuten sich alle.
84
Egoisten hätten es mit der Liebe am einfachsten, heißt es. Die Wahl, Sie werden es gehört haben, sei begrenzt. Für mich, Francis Ford Shooter aus Little Rock, Student in Cambridge, einziger Sohn einer unschuldig hingerichteten Texanerin, traf das nur bedingt zu. Die Körung war in meinem Fall komplizierter. Als Schizophrener hatte ich mich zu entscheiden. In meinem Fall: eine Fehlentscheidung, die einer Gruppe von Schönheitsköniginnen das Leben kosten würde.
Egoisten hätten es mit der Liebe am einfachsten, heißt es. Die Wahl, Sie werden es gehört haben, sei begrenzt. Für mich, Francis Ford Shooter aus Little Rock, Student in Cambridge, einziger Sohn einer unschuldig hingerichteten Texanerin, traf das nur bedingt zu. Die Körung war in meinem Fall komplizierter. Als Schizophrener hatte ich mich zu entscheiden. In meinem Fall: eine Fehlentscheidung, die einer Gruppe von Schönheitsköniginnen das Leben kosten würde.
85
Sie hatte bei Jugend trainiert für Olympia für das Buxtehuder Sprintteam Altes Land über Jahre Wettkämpfe bestritten. Ich kämpfte noch mit meiner Miniskusverletzung. Die Nachwehen eines Skiunfalls im Pustertal. Möglichst genau ihren Fußabdrücken zu folgen, das versuchte ich. Ein Spurenleser hätte sich über den Doppelabdruck im Matsch gewundert. Der größte Irrsinn des Lebens ist sein Ende, dachte ich. Ich warf mein Board in die Luft. Lachte wie ein Wahnsinniger, der nach zwanzig Jahren Haft entlassen wird. Gott ist eine offene Tür. Der Strand war leer in der Mittagshitze. Sie paddelte voran. Ich blieb etwas hinter ihr. Bewunderte ihren durchtrainierten Körper. Hüfte und Hintern hatten kein Gramm Fett zu viel. Arme und Beine waren muskulös. Ich bestaunte die Pospalte. Stellte mir vor, wie sie die Perle bei jedem neuen Schwung am Brett rieb. Wir trafen uns auf der Sandbank. Fünfig Meter vom Ufer entfernt. Das Meer war so flach, dass wir bequem stehen konnten. Bis zum Bauchnabel ging mir das Wasser. Sie glitt vom Brett, das durch ein mittellanges Gummiseil an ihrem rechten Bein befestigt war. Ich stand neben ihr. Sie schubberte mit ihren Schenkeln mein Glied. Ich legte meine Hände unter ihre Backen, hob die Surferin behutsam hoch und drang in sie ein. “Du hast die Welle voll erwischt”, sagte sie. Die Flossen hatten wir da noch nicht entdeckt.
Sie hatte bei Jugend trainiert für Olympia für das Buxtehuder Sprintteam Altes Land über Jahre Wettkämpfe bestritten. Ich kämpfte noch mit meiner Miniskusverletzung. Die Nachwehen eines Skiunfalls im Pustertal. Möglichst genau ihren Fußabdrücken zu folgen, das versuchte ich. Ein Spurenleser hätte sich über den Doppelabdruck im Matsch gewundert. Der größte Irrsinn des Lebens ist sein Ende, dachte ich. Ich warf mein Board in die Luft. Lachte wie ein Wahnsinniger, der nach zwanzig Jahren Haft entlassen wird. Gott ist eine offene Tür. Der Strand war leer in der Mittagshitze. Sie paddelte voran. Ich blieb etwas hinter ihr. Bewunderte ihren durchtrainierten Körper. Hüfte und Hintern hatten kein Gramm Fett zu viel. Arme und Beine waren muskulös. Ich bestaunte die Pospalte. Stellte mir vor, wie sie die Perle bei jedem neuen Schwung am Brett rieb. Wir trafen uns auf der Sandbank. Fünfig Meter vom Ufer entfernt. Das Meer war so flach, dass wir bequem stehen konnten. Bis zum Bauchnabel ging mir das Wasser. Sie glitt vom Brett, das durch ein mittellanges Gummiseil an ihrem rechten Bein befestigt war. Ich stand neben ihr. Sie schubberte mit ihren Schenkeln mein Glied. Ich legte meine Hände unter ihre Backen, hob die Surferin behutsam hoch und drang in sie ein. “Du hast die Welle voll erwischt”, sagte sie. Die Flossen hatten wir da noch nicht entdeckt.
86
Mike lächelte. Sich selbst an. Er konnte nicht genug bekommen. Von seinem Gesicht. Er war mit sich überglückich. Der tollste Typ der Welt. Fand er. Die Kunden im Supermarkt sahen das anders. Etwas. Obwohl man bei Whole Foods toleranter war als in den asiatischen Supermärkten in Chinatown. Oder sich wenigstens so einschätzte. Jenny Bolzer, die in der Zweierschlange hinten stand, riss allmählich der Geduldsfaden. Wer immer sein Vater gewesen war, er hatte es gut mit ihm gemeint. Mike hielt einen Kontaktlinsentaschenspiegel in der Hand und betrachtete versonnen den perfekten Schwung seiner Augenbrauen. Er nahm die beiden Kundinnen nicht wahr. Draußen prasselte der Herbstregen. Honita hatte echt einen erstklassigen Chico-Job gemacht. Honitas Pinzettentechnik war tausendmal besser als Almadas, die als Chefin sogar mehr verlangte. Manchmal ging Mike dennoch zu Almada, um nachher sagen zu können, die Chefin hätte ihm gedient. Er sagte nie mich bedient. Jenny Bolzer trennte die Plastikhülle von der Gurke. Eine Andengurke. Hervorragender Geschmack. Ungleich teurer als die mexikanische, die tiefer im Regal lag. Sie drängelte sich an der vor ihr stehenden Mutter, die gleichzeitig stillte und telefonierte, der offenbar alles egal war, die alle Zeit der Welt hatte, vorbei und holte aus. Die Gurke in Jennys Hand fühlte sich kühl und fest an. Fast wie Julians Schwanz. Jenny und Julian führten eine offene Beziehung, was ihm, der auch Männer mochte, junge gezupfte Männer wie Mike, besser gefiel als ihr. Sie seien wie Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, sagte Julian immer, der seit elf Jahren an einem Buch über Flüsse und Urbanität schrieb. Jenny hatte den Text geschlagene 84-mal gegengelesen.
Mike lächelte. Sich selbst an. Er konnte nicht genug bekommen. Von seinem Gesicht. Er war mit sich überglückich. Der tollste Typ der Welt. Fand er. Die Kunden im Supermarkt sahen das anders. Etwas. Obwohl man bei Whole Foods toleranter war als in den asiatischen Supermärkten in Chinatown. Oder sich wenigstens so einschätzte. Jenny Bolzer, die in der Zweierschlange hinten stand, riss allmählich der Geduldsfaden. Wer immer sein Vater gewesen war, er hatte es gut mit ihm gemeint. Mike hielt einen Kontaktlinsentaschenspiegel in der Hand und betrachtete versonnen den perfekten Schwung seiner Augenbrauen. Er nahm die beiden Kundinnen nicht wahr. Draußen prasselte der Herbstregen. Honita hatte echt einen erstklassigen Chico-Job gemacht. Honitas Pinzettentechnik war tausendmal besser als Almadas, die als Chefin sogar mehr verlangte. Manchmal ging Mike dennoch zu Almada, um nachher sagen zu können, die Chefin hätte ihm gedient. Er sagte nie mich bedient. Jenny Bolzer trennte die Plastikhülle von der Gurke. Eine Andengurke. Hervorragender Geschmack. Ungleich teurer als die mexikanische, die tiefer im Regal lag. Sie drängelte sich an der vor ihr stehenden Mutter, die gleichzeitig stillte und telefonierte, der offenbar alles egal war, die alle Zeit der Welt hatte, vorbei und holte aus. Die Gurke in Jennys Hand fühlte sich kühl und fest an. Fast wie Julians Schwanz. Jenny und Julian führten eine offene Beziehung, was ihm, der auch Männer mochte, junge gezupfte Männer wie Mike, besser gefiel als ihr. Sie seien wie Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, sagte Julian immer, der seit elf Jahren an einem Buch über Flüsse und Urbanität schrieb. Jenny hatte den Text geschlagene 84-mal gegengelesen.
87
Wo ist die Scheißbremse? Hey, Gregor rüttelte an Jays Schulter. Hey, J, wach auf! Wo ist die Scheißbremse? Jay gähnte und richtete sich in Zeitlupe auf. Sein Atmen roch nach Marihunana und Po-boy mit Prawns. Seit sie die Ganton Street in Soho verlassen hatten, hatte Jay wie ein kanadischer Holzfäller geratzt. Nichtstun macht müder als Arbeit. Hinten lagen Allissa und Dari. Zwei bis zum Gehtnichtmehr betrunkene Ukrainerinnen, mit denen sie seit einigen Tagen in Jays Bedsit hausten und holy-shit-unvorstellbare Sachen machten. Sein Schwanz hing leer an ihm. Gregor war über alle roten Ampeln geheizt. Irgendsonarsch hatte den Schlüssel stecken gelassen. Direkt vor The Diner. Seine eigene Schuld, hatte Gregor beim Einsteigen gesagt und das Sandwichpapier auf eine Gruppe japanischer Touristen geschleudert, die sich auch noch höflich verbeugt hatten. Fucking Schlitzies. Der Älteste hatte ihn, von unten, angestarrt und leise, aber deutlich auf Deutsch - auf Deutsch? - gemurmelt: Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind. Er hat den Knaben wohl in dem Arm. Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm. Gregor verstand Krautundrüben, weil er sich, Efickkeiten her, als Soldatenkind in der Heide, in Bergen-Hohne, mit der rebellischen Tochter des Busfahrers angefreundet hatte. Birte und er hatten zusammen Ton Steine Scherben gehört. Nicht zu vergessen Einstürzende Neubauten. Fuckfuck, J, mit der Scheißkiste hier stimmt was nicht. Jay rieb sich den Schlafmohn aus den Puscherglotzern. Der Wagen wurde immer schneller. Ohne Gregors Zutun. Jay spuckte gegen die Scheibe und wischte sich die Haare aus der Stirn. Fuck, Grack, fuck! Bist du auf Speed? Irgendwo hinter ihnen, ne Kreuzung weg, war eine Sirene zu hören. Keine Ambulance, das stand fest. Fuck, mach mal langsam, Grack. Geht nicht, sagte Gregor. Seine Fingerknöcheln traten blau hervor. Blauer als sonst. Sein Körper war eine abstrakte Leinwand. Er klammerte sich am Steuer fest. Warum nicht? fragte Jay, der seine Spucke von der Scheibe leckte und sich nicht sicher war, ob die ganze Nummer nicht eine optische Halluzination darstellte. Er giggelte. Gregor liefen Schweißperlen über die Stirn. Unter den Achseln stank er, nicht zum ersten Mal, nach Katzenurin. Ein fucking Erlkönig, schrie er Jay an, hör auf zu lachen! Ein Erlkönig! Die Japsen haben uns in nen fucking Leichenwagen einsteigen lassen! Die Schlitzies haben sich eiskalt vor Toten verbeugt! Jay sackte in sich zusammen und gluckste. Ein Todyota. Wir sitzen in einem Todyota, schrie er. Er hielt sich viel auf seine Wortschöpfungen zugute. Allmählich wurden auch die Mädchen wach.
Wo ist die Scheißbremse? Hey, Gregor rüttelte an Jays Schulter. Hey, J, wach auf! Wo ist die Scheißbremse? Jay gähnte und richtete sich in Zeitlupe auf. Sein Atmen roch nach Marihunana und Po-boy mit Prawns. Seit sie die Ganton Street in Soho verlassen hatten, hatte Jay wie ein kanadischer Holzfäller geratzt. Nichtstun macht müder als Arbeit. Hinten lagen Allissa und Dari. Zwei bis zum Gehtnichtmehr betrunkene Ukrainerinnen, mit denen sie seit einigen Tagen in Jays Bedsit hausten und holy-shit-unvorstellbare Sachen machten. Sein Schwanz hing leer an ihm. Gregor war über alle roten Ampeln geheizt. Irgendsonarsch hatte den Schlüssel stecken gelassen. Direkt vor The Diner. Seine eigene Schuld, hatte Gregor beim Einsteigen gesagt und das Sandwichpapier auf eine Gruppe japanischer Touristen geschleudert, die sich auch noch höflich verbeugt hatten. Fucking Schlitzies. Der Älteste hatte ihn, von unten, angestarrt und leise, aber deutlich auf Deutsch - auf Deutsch? - gemurmelt: Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind. Er hat den Knaben wohl in dem Arm. Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm. Gregor verstand Krautundrüben, weil er sich, Efickkeiten her, als Soldatenkind in der Heide, in Bergen-Hohne, mit der rebellischen Tochter des Busfahrers angefreundet hatte. Birte und er hatten zusammen Ton Steine Scherben gehört. Nicht zu vergessen Einstürzende Neubauten. Fuckfuck, J, mit der Scheißkiste hier stimmt was nicht. Jay rieb sich den Schlafmohn aus den Puscherglotzern. Der Wagen wurde immer schneller. Ohne Gregors Zutun. Jay spuckte gegen die Scheibe und wischte sich die Haare aus der Stirn. Fuck, Grack, fuck! Bist du auf Speed? Irgendwo hinter ihnen, ne Kreuzung weg, war eine Sirene zu hören. Keine Ambulance, das stand fest. Fuck, mach mal langsam, Grack. Geht nicht, sagte Gregor. Seine Fingerknöcheln traten blau hervor. Blauer als sonst. Sein Körper war eine abstrakte Leinwand. Er klammerte sich am Steuer fest. Warum nicht? fragte Jay, der seine Spucke von der Scheibe leckte und sich nicht sicher war, ob die ganze Nummer nicht eine optische Halluzination darstellte. Er giggelte. Gregor liefen Schweißperlen über die Stirn. Unter den Achseln stank er, nicht zum ersten Mal, nach Katzenurin. Ein fucking Erlkönig, schrie er Jay an, hör auf zu lachen! Ein Erlkönig! Die Japsen haben uns in nen fucking Leichenwagen einsteigen lassen! Die Schlitzies haben sich eiskalt vor Toten verbeugt! Jay sackte in sich zusammen und gluckste. Ein Todyota. Wir sitzen in einem Todyota, schrie er. Er hielt sich viel auf seine Wortschöpfungen zugute. Allmählich wurden auch die Mädchen wach.
88
Über der Plantage lag dicker Rauch. Jos Familie hatte sich die Nacht zuvor ins Maisfeld geschlichen. Irma röstete die Kolben. Bestrafen sie uns, Irmas Mutter, Sally, zeigte mit dem Finger auf das Farmhaus, nehmen wir Rache. Erst der Tod tröstet die Unterdrückten, er macht alle gleich. Sie leckte am grünen Stein ihrer Kette. Ein Geschenk des alten Mannes, was weder Irma noch Jo wussten. Irma nickte, genug ist genug.
Über der Plantage lag dicker Rauch. Jos Familie hatte sich die Nacht zuvor ins Maisfeld geschlichen. Irma röstete die Kolben. Bestrafen sie uns, Irmas Mutter, Sally, zeigte mit dem Finger auf das Farmhaus, nehmen wir Rache. Erst der Tod tröstet die Unterdrückten, er macht alle gleich. Sie leckte am grünen Stein ihrer Kette. Ein Geschenk des alten Mannes, was weder Irma noch Jo wussten. Irma nickte, genug ist genug.
89
5. Oktober
Lieber Dave,
Deine abscheuliche Gier, Dein paranormaler Verstand, Deine sinnlose Gewalttätigkeit haben mich am Anfang, wie Dir bekannt ist, eher fasziniert als abgestoßen. Mein Affenego steht auf Alphalöwen. Dass Du lügst - Lügen über uns verbreitest -, finde ich dagegen eine Frechheit. Sollte das nicht aufhören, ziehe ich Konsequenzen.
Ruby
17.10.
vergisst du, rubs, wer dich aus der stinkenden drecksgosse gezogen hat? ball hat mal gesagt, wir kennen jeden, nur uns selbst kaum.
d.
18. Oktober
Lieber Dave,
Dein Lebenszeichen lässt mich aufatmen! Wie erleichtert ich bin, von Dir zu hören. Warum nimmst Du nicht meine Anrufe an? Im Büro verleugnen sie Dich. Das mit dem Test habe ich nicht so gemeint. Echt nicht. Bitte glaube mir. So dringend will ich das auch nicht. Ich will in Wahrheit nur Dich. Du vernachlässigt mich. Das macht mich unglücklich, und Unglückliche sind unberechenbar. Ich habe das Gefühl, dass ich Dir egal bin. Meine Herzkammer implodiert vor Kummer. Du bist kalt wie eine tiefgefrorene Kröte. Ich hasse Dich. Apropos Hugo Ball. Er hat übrigens auch gesagt, eine Umarmung sei ein ideales Geschenk: Die Größe passe jedem, und niemand habe etwas dagegen, wenn man es weitergebe.
Ruby
14.11.
rubs, der wachmann hat mir erzählt, dass du ihn bedroht hast. wiederholst du das - hetz ich bele auf dich.
d.
15.11.
Lieber Dave,
Bele, falls Du das verdrängt hast, ist mein Hund. Nur weil Du sie bestichst, hat mich Bele noch lange nicht vergessen. Klar? Frischfleisch ist nicht alles auf der Welt; auch wenn Dir das so vorkommt. Wer ist die Neue? Glaubst Du ich bin dumm? Du bist doch wie JFK. Du brauchst es doch jeden Tag. Aber ich warne Dich: Frauen wollen Dich entweder bemuttern oder heiraten. So viel Freiheit wie bei mir kriegst Du niemals wieder.
Ruby
4.12.
h von der times hat mich gerade angerufen. die fotos, rubs, gehören nicht dir. und dr. hammersmith hat mir gesagt, dass du deine rezepte nicht mehr abholst. ich verständige die klinik, wenn du nicht auf der stelle den unsinn stoppst.
d.
5. Oktober
Lieber Dave,
Deine abscheuliche Gier, Dein paranormaler Verstand, Deine sinnlose Gewalttätigkeit haben mich am Anfang, wie Dir bekannt ist, eher fasziniert als abgestoßen. Mein Affenego steht auf Alphalöwen. Dass Du lügst - Lügen über uns verbreitest -, finde ich dagegen eine Frechheit. Sollte das nicht aufhören, ziehe ich Konsequenzen.
Ruby
17.10.
vergisst du, rubs, wer dich aus der stinkenden drecksgosse gezogen hat? ball hat mal gesagt, wir kennen jeden, nur uns selbst kaum.
d.
18. Oktober
Lieber Dave,
Dein Lebenszeichen lässt mich aufatmen! Wie erleichtert ich bin, von Dir zu hören. Warum nimmst Du nicht meine Anrufe an? Im Büro verleugnen sie Dich. Das mit dem Test habe ich nicht so gemeint. Echt nicht. Bitte glaube mir. So dringend will ich das auch nicht. Ich will in Wahrheit nur Dich. Du vernachlässigt mich. Das macht mich unglücklich, und Unglückliche sind unberechenbar. Ich habe das Gefühl, dass ich Dir egal bin. Meine Herzkammer implodiert vor Kummer. Du bist kalt wie eine tiefgefrorene Kröte. Ich hasse Dich. Apropos Hugo Ball. Er hat übrigens auch gesagt, eine Umarmung sei ein ideales Geschenk: Die Größe passe jedem, und niemand habe etwas dagegen, wenn man es weitergebe.
Ruby
14.11.
rubs, der wachmann hat mir erzählt, dass du ihn bedroht hast. wiederholst du das - hetz ich bele auf dich.
d.
15.11.
Lieber Dave,
Bele, falls Du das verdrängt hast, ist mein Hund. Nur weil Du sie bestichst, hat mich Bele noch lange nicht vergessen. Klar? Frischfleisch ist nicht alles auf der Welt; auch wenn Dir das so vorkommt. Wer ist die Neue? Glaubst Du ich bin dumm? Du bist doch wie JFK. Du brauchst es doch jeden Tag. Aber ich warne Dich: Frauen wollen Dich entweder bemuttern oder heiraten. So viel Freiheit wie bei mir kriegst Du niemals wieder.
Ruby
4.12.
h von der times hat mich gerade angerufen. die fotos, rubs, gehören nicht dir. und dr. hammersmith hat mir gesagt, dass du deine rezepte nicht mehr abholst. ich verständige die klinik, wenn du nicht auf der stelle den unsinn stoppst.
d.
90
Little Red Riding Hood, vom überschwänglichen Tanz mit dem gallischen Wolf erschöpft, hatte das Gefühl, dass das Interesse an Marx seit Pikettys Das Kapital im 21. Jahrhundert drastisch zunahm. Diese Franzosen, dachte es, auf einem schwarzen Schemel im Lesesaal des British Museums sitzend, sich die Blasen an den kleinen Zehen begutachtend, besonders die aus der Region Île-de-France - Piketty stammte aus Clichy - haben ein echtes Gespür für Revolutionen. Little Red Riding Hood machte einen, wie es glaubte, perfekten Brigitte-Bardot-Schmollmund, cremte das offene Fleisch sorgfältig mit Wala-Narbengel ein, zupfte sich anschließend das Hermès' Barett zurecht, schnalzte mit der Zunge, lächelte vergnügt. Und Haute Couture, dachte es, sich elated über den knappen Rock streichend, den der Wolf, von unten schnuppernd, derart ausgiebig bewundert hatte, dass Neil MacGregor, der sprachmächtige Kurator, einen Eklat fürchtend, sie, Wolf Picketty und Little Red Riding Hood, bei der Blasmusifete hochkant aus der Austellung Germany - memories of a nation geworfen hatte. Aber was war auch schon von jemandem zu erwarten, der Philosophie an der École normale supérieure in Paris, Jurisprudenz an der University of Edinburgh und Kunstgeschichte am Courtauld Institute of Art der Universität London studiert hatte? Die schwänzelnde, rabiat ungebildete Leichtigkeit des Wolfes ging dem Schotten definitiv ab. Nur seltsam, Little Red Riding Hood sprach mit sich selbt, was den Unmut der anderen Besucher des Lesesaals herausforderte, nur seltsam, dass er mir, überaus diskret, seine Visitenkarte zugesteckt hat.
Little Red Riding Hood, vom überschwänglichen Tanz mit dem gallischen Wolf erschöpft, hatte das Gefühl, dass das Interesse an Marx seit Pikettys Das Kapital im 21. Jahrhundert drastisch zunahm. Diese Franzosen, dachte es, auf einem schwarzen Schemel im Lesesaal des British Museums sitzend, sich die Blasen an den kleinen Zehen begutachtend, besonders die aus der Region Île-de-France - Piketty stammte aus Clichy - haben ein echtes Gespür für Revolutionen. Little Red Riding Hood machte einen, wie es glaubte, perfekten Brigitte-Bardot-Schmollmund, cremte das offene Fleisch sorgfältig mit Wala-Narbengel ein, zupfte sich anschließend das Hermès' Barett zurecht, schnalzte mit der Zunge, lächelte vergnügt. Und Haute Couture, dachte es, sich elated über den knappen Rock streichend, den der Wolf, von unten schnuppernd, derart ausgiebig bewundert hatte, dass Neil MacGregor, der sprachmächtige Kurator, einen Eklat fürchtend, sie, Wolf Picketty und Little Red Riding Hood, bei der Blasmusifete hochkant aus der Austellung Germany - memories of a nation geworfen hatte. Aber was war auch schon von jemandem zu erwarten, der Philosophie an der École normale supérieure in Paris, Jurisprudenz an der University of Edinburgh und Kunstgeschichte am Courtauld Institute of Art der Universität London studiert hatte? Die schwänzelnde, rabiat ungebildete Leichtigkeit des Wolfes ging dem Schotten definitiv ab. Nur seltsam, Little Red Riding Hood sprach mit sich selbt, was den Unmut der anderen Besucher des Lesesaals herausforderte, nur seltsam, dass er mir, überaus diskret, seine Visitenkarte zugesteckt hat.
91
Der Wahnsinn hat dann Methode, wenn er in Irrenanstalten und Regierungskabinetten praktiziert wird. Ich darf das, als Staatssekretär im Gesundheitsministerium Brandenburgs und zukünftiger Pharmalobbyist, sagen.
Der Wahnsinn hat dann Methode, wenn er in Irrenanstalten und Regierungskabinetten praktiziert wird. Ich darf das, als Staatssekretär im Gesundheitsministerium Brandenburgs und zukünftiger Pharmalobbyist, sagen.
92
Als der Tsunami den Reaktor abräumte, lag Miyu träumend im Bett. Der Geburtstermin war in zehn Tagen. Die Ingenieurin hatte sich für einen sanften Kaiserschnitt nach der Misgav-Ladach-Methode entschieden. Der querverlaufende Bauchschnitt erfolgt dabei genau an der Schamhaargrenze. Die Eröffnung der weiteren Schichten bewerkstelligen die Ärzte, so stumpf wie möglich, durch langsames Reißen und vorsichtiges Dehnen. Ohne Schere oder Skalpell. Miyu hatte den erheblichen Widerstand ihrer Mutter überwinden müssen. Ririchiyo war in Ōkuma als Hebamme tätig gewesen. Den wahren Grund hatte Miyu allerdings vor Ririchiyo verschwiegen. Das Liebemachen, hieß es, sei nach einem Kaiserschnitt einfacher. Und Miyu, bereits Mitte dreißig, wollte schnellstens vier Kinder, mindestens. Haruki, ihr Mann, der normalerweise im Block 2 arbeitete, aber, als das Erdbeben passierte, draußen eine Zigarettenpause machte, sah das Wasser kommen. Eine Wand, die sich bewegte. Die Welle trug Menschen und Tiere, Schiffe und Häuser mit sich. Wie eine Ausstellung, ging es Haruki durch den Kopf. Miyu und er hatten drei Jahre zuvor die EXPO in Saragossa besucht. Das blaue, mit dunklen Knopfaugen versehene Maskottchen der EXPO war der Wassertropfen Fluvi gewesen. Der Name kam vom Lateinischen flumen vitae. Fluss des Leben. Fluvi - so sollte ihre Tochter heißen.
Als der Tsunami den Reaktor abräumte, lag Miyu träumend im Bett. Der Geburtstermin war in zehn Tagen. Die Ingenieurin hatte sich für einen sanften Kaiserschnitt nach der Misgav-Ladach-Methode entschieden. Der querverlaufende Bauchschnitt erfolgt dabei genau an der Schamhaargrenze. Die Eröffnung der weiteren Schichten bewerkstelligen die Ärzte, so stumpf wie möglich, durch langsames Reißen und vorsichtiges Dehnen. Ohne Schere oder Skalpell. Miyu hatte den erheblichen Widerstand ihrer Mutter überwinden müssen. Ririchiyo war in Ōkuma als Hebamme tätig gewesen. Den wahren Grund hatte Miyu allerdings vor Ririchiyo verschwiegen. Das Liebemachen, hieß es, sei nach einem Kaiserschnitt einfacher. Und Miyu, bereits Mitte dreißig, wollte schnellstens vier Kinder, mindestens. Haruki, ihr Mann, der normalerweise im Block 2 arbeitete, aber, als das Erdbeben passierte, draußen eine Zigarettenpause machte, sah das Wasser kommen. Eine Wand, die sich bewegte. Die Welle trug Menschen und Tiere, Schiffe und Häuser mit sich. Wie eine Ausstellung, ging es Haruki durch den Kopf. Miyu und er hatten drei Jahre zuvor die EXPO in Saragossa besucht. Das blaue, mit dunklen Knopfaugen versehene Maskottchen der EXPO war der Wassertropfen Fluvi gewesen. Der Name kam vom Lateinischen flumen vitae. Fluss des Leben. Fluvi - so sollte ihre Tochter heißen.
93
Jede gerade Zahl größer als 2 kann als Summe zweier Primzahlen geschrieben werden. Die Zahl 20 ist, Verehrteste, zum Beispiel die Summe aus den beiden Primzahlen 13 und 7. Primzahlen, wie 2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, 23, 29, 31, 37, 41, 43, 47, 53, 59, 61, 67 und so weiter, lassen sich, wie Sie wohl wissen, nur durch 1 oder sich selbst teilen. Christian Goldbach grinste. Euler der Heuler dürfte sich hieran die Zähne ausbeißen. Niemand, der bei Verstand ist, kann sich vorstellen, dass eine unzerlegbare Zahl auftaucht. Allein der strenge Beweis fehlt. Leo dürfte vor Wut brüllen.
Wohlfeil, wohlfeil, Anna Ivanovna, die Zarin, applaudierte Goldbach. Wir gewähren Ihnen einen Audienz, sagte sie.
Wann? fragte Goldbach. Das Wann entschied über das Wie, dachte er.
Jetzt, sagte sie, jetzt, auf der Stelle.
Er schluckte. Der Mathematiker hatte am Morgen bereits mit der vielseitig talentierten Nichte der Köchin Plus und Minus geübt.
Jede gerade Zahl größer als 2 kann als Summe zweier Primzahlen geschrieben werden. Die Zahl 20 ist, Verehrteste, zum Beispiel die Summe aus den beiden Primzahlen 13 und 7. Primzahlen, wie 2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, 23, 29, 31, 37, 41, 43, 47, 53, 59, 61, 67 und so weiter, lassen sich, wie Sie wohl wissen, nur durch 1 oder sich selbst teilen. Christian Goldbach grinste. Euler der Heuler dürfte sich hieran die Zähne ausbeißen. Niemand, der bei Verstand ist, kann sich vorstellen, dass eine unzerlegbare Zahl auftaucht. Allein der strenge Beweis fehlt. Leo dürfte vor Wut brüllen.
Wohlfeil, wohlfeil, Anna Ivanovna, die Zarin, applaudierte Goldbach. Wir gewähren Ihnen einen Audienz, sagte sie.
Wann? fragte Goldbach. Das Wann entschied über das Wie, dachte er.
Jetzt, sagte sie, jetzt, auf der Stelle.
Er schluckte. Der Mathematiker hatte am Morgen bereits mit der vielseitig talentierten Nichte der Köchin Plus und Minus geübt.
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Die mattgelben Lampen beim Bestatter brannten Tag und Nacht. Wenn das Licht erlöschte, hatte Constantin Freiherr von Burgenfels-Becchino seiner Tochter, Constantine, die sich bereits im zarten Alter von fünf, auf Anordnung des cholerischen Vaters, um die Trauernden gekümmert hatte, wenn das Licht erlöschte, wäre das so, als würde ein Leuchtturm abgeschaltet werden. Als Bestatter bieten wir einen sicheren Hafen, hatte Constantin Freiherr von Burgenfels-Becchino hinzugesetzt und fein wie Papst Franziskus bei der Fußwäsche, das konnte der mäßig erfolgreiche Beerdigungsunternehmer nach langer Übung, gelächelt. Erst als Constantin Freiherr von Burgenfels-Becchino starb, er verschluckte sich an der Gräte eines Fisch-Burgers, erfuhr Constantine, dass er weder ihr Vater noch ein echter Freiherr gewesen war. Die wahre Überraschung erwartete sie jedoch im hintersten Kellerraum, direkt unter der Kühlkammer, den Constatine zuvor niemals betreten hatte.
Aber gehen wir der Reihe nach vor, was möglich ist, da Becchino in seiner iCloud zahlreiche Dokumente - Briefe, Gerichtsurteile, Fotos und Filme - aufbewahrt hatte. Besonders aufschlussreich waren für Constantine seine wöchentlichen Videobotschaften, die Becchino, von Mitstreitern und Opfern umgeben, in die Kamera seines Laptops gesprochen hatte. Anfangs hatte Constantine ihren vermeintlichen Vater nicht mal erkannt, und wäre da nicht seine Falsett-Stimme gewesen, wer weiß, vielleicht hätte sie niemals die Aufnahmen, von denen jetzt die Rede sein soll, entdeckt.
Die mattgelben Lampen beim Bestatter brannten Tag und Nacht. Wenn das Licht erlöschte, hatte Constantin Freiherr von Burgenfels-Becchino seiner Tochter, Constantine, die sich bereits im zarten Alter von fünf, auf Anordnung des cholerischen Vaters, um die Trauernden gekümmert hatte, wenn das Licht erlöschte, wäre das so, als würde ein Leuchtturm abgeschaltet werden. Als Bestatter bieten wir einen sicheren Hafen, hatte Constantin Freiherr von Burgenfels-Becchino hinzugesetzt und fein wie Papst Franziskus bei der Fußwäsche, das konnte der mäßig erfolgreiche Beerdigungsunternehmer nach langer Übung, gelächelt. Erst als Constantin Freiherr von Burgenfels-Becchino starb, er verschluckte sich an der Gräte eines Fisch-Burgers, erfuhr Constantine, dass er weder ihr Vater noch ein echter Freiherr gewesen war. Die wahre Überraschung erwartete sie jedoch im hintersten Kellerraum, direkt unter der Kühlkammer, den Constatine zuvor niemals betreten hatte.
Aber gehen wir der Reihe nach vor, was möglich ist, da Becchino in seiner iCloud zahlreiche Dokumente - Briefe, Gerichtsurteile, Fotos und Filme - aufbewahrt hatte. Besonders aufschlussreich waren für Constantine seine wöchentlichen Videobotschaften, die Becchino, von Mitstreitern und Opfern umgeben, in die Kamera seines Laptops gesprochen hatte. Anfangs hatte Constantine ihren vermeintlichen Vater nicht mal erkannt, und wäre da nicht seine Falsett-Stimme gewesen, wer weiß, vielleicht hätte sie niemals die Aufnahmen, von denen jetzt die Rede sein soll, entdeckt.
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Müdigkeit ist aller Laster Ende.
Müdigkeit ist aller Laster Ende.
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Beim Fallen störte ihn nicht der Asphalt, dem er sich näherte. Dass er nicht mehr Zeit hatte, um den Fall zu genießen, das störte ihn. Früher hatte er sich über Fallschirmspringer lustig gemacht. Sogar ein Stück darüber geschrieben. Heißleine. Kein großer Erfolg. Ich neige zu unbegründeten Urteilen, dachte er. Eine Frau, die auf ihrem Balkon rauchte, sah ihn an. Sie hatte die blauesten Augen, die er jemals gesehen hatte. Alle seine Freundinnen hatten grüne Augen gehabt. Wildkatzen, hatte Pierre, sein Agent zu ihm gesagt, Du suchst Dir immer Wildkatzen, die niemand bändigen kann, und dann wunderst Du Dich, wenn sie Dich von hinten anspringen und verletzen. Pierre hatte gut reden - oder glaubte wenigstens, gut reden zu haben. Kassandra, Pierres Frau, hatte ihm mal, als sich Pierre um den melancholischen Nobelpreisträger gekümmert hatte, auf einer Cocktailparty während der Frankfurter Buchmesse ein Angebot gemacht, das er, aus verschiedenen Gründen, nicht abgelehnt hatte. Aber darum ging es jetzt nicht. Es ging ums Prinzip. Der Artikel war unfair gewesen. Gewiss, seine Attacke hatte Greta provoziert. Aber so zurückzuschlagen? Als hätte er nicht das Recht, seine Geheimnisse behalten zu dürfen.
Beim Fallen störte ihn nicht der Asphalt, dem er sich näherte. Dass er nicht mehr Zeit hatte, um den Fall zu genießen, das störte ihn. Früher hatte er sich über Fallschirmspringer lustig gemacht. Sogar ein Stück darüber geschrieben. Heißleine. Kein großer Erfolg. Ich neige zu unbegründeten Urteilen, dachte er. Eine Frau, die auf ihrem Balkon rauchte, sah ihn an. Sie hatte die blauesten Augen, die er jemals gesehen hatte. Alle seine Freundinnen hatten grüne Augen gehabt. Wildkatzen, hatte Pierre, sein Agent zu ihm gesagt, Du suchst Dir immer Wildkatzen, die niemand bändigen kann, und dann wunderst Du Dich, wenn sie Dich von hinten anspringen und verletzen. Pierre hatte gut reden - oder glaubte wenigstens, gut reden zu haben. Kassandra, Pierres Frau, hatte ihm mal, als sich Pierre um den melancholischen Nobelpreisträger gekümmert hatte, auf einer Cocktailparty während der Frankfurter Buchmesse ein Angebot gemacht, das er, aus verschiedenen Gründen, nicht abgelehnt hatte. Aber darum ging es jetzt nicht. Es ging ums Prinzip. Der Artikel war unfair gewesen. Gewiss, seine Attacke hatte Greta provoziert. Aber so zurückzuschlagen? Als hätte er nicht das Recht, seine Geheimnisse behalten zu dürfen.
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Nach einem Vierteljahrhundert Tüfftelei fühlte Blasius L., dem, dank des ewigen Bückens, die Wirbel schon beim Ausdembettrollen knackten und dem unter der Dusche, welche sommers wie winters aus einem Eimer Regenwasser bestand, die Säule gar schrecklich krachte, nach den zahllosen Nächten der vergrübelten Schinderei fühlte sich Blasius L. sicher. Dass er, als die Soldatenhäscher nach dem Attentat auf Franz Ferdinand gekommen waren, um die Unfreiwilligen mitzunehmen, dass er sich, längst mit seiner Idee schwanger, auf den Berg zurückgezogen hatte, war eine fabelhafte Entscheidung gewesen. Sein Ruck-Zu-Verfahren, wie er es nannte, funktionierte tadellos. Whitcomb Judsons clasp locker war ein Steinzeitwitz dagegen. Blasius' Ruck-Zu beruhte auf den Formschluss und setzte sich aus zwei Seitenteilen mit Krampen und einem Schlitten, mit dem die Krampen ineinander verhakt und anschließend abermals gelöst werden konnten, zusammen. Der Erfinder mit dem langen grauen Bart eilte wie eine Epiphanie die verschneiten Hänge hinab. Die Bourgeoisie, Blasius L. sang mit seiner erstaunlich jugendlichen Stimme aus voller Kehle, hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt. Der Erfinder, der sich auch als Musiker verstand, hatte in den langen Jahren der Einsamkeit, das Kommunistische Manifest vertont.
Nach einem Vierteljahrhundert Tüfftelei fühlte Blasius L., dem, dank des ewigen Bückens, die Wirbel schon beim Ausdembettrollen knackten und dem unter der Dusche, welche sommers wie winters aus einem Eimer Regenwasser bestand, die Säule gar schrecklich krachte, nach den zahllosen Nächten der vergrübelten Schinderei fühlte sich Blasius L. sicher. Dass er, als die Soldatenhäscher nach dem Attentat auf Franz Ferdinand gekommen waren, um die Unfreiwilligen mitzunehmen, dass er sich, längst mit seiner Idee schwanger, auf den Berg zurückgezogen hatte, war eine fabelhafte Entscheidung gewesen. Sein Ruck-Zu-Verfahren, wie er es nannte, funktionierte tadellos. Whitcomb Judsons clasp locker war ein Steinzeitwitz dagegen. Blasius' Ruck-Zu beruhte auf den Formschluss und setzte sich aus zwei Seitenteilen mit Krampen und einem Schlitten, mit dem die Krampen ineinander verhakt und anschließend abermals gelöst werden konnten, zusammen. Der Erfinder mit dem langen grauen Bart eilte wie eine Epiphanie die verschneiten Hänge hinab. Die Bourgeoisie, Blasius L. sang mit seiner erstaunlich jugendlichen Stimme aus voller Kehle, hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt. Der Erfinder, der sich auch als Musiker verstand, hatte in den langen Jahren der Einsamkeit, das Kommunistische Manifest vertont.
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Die Läuse umringten Lord Bird, dessen rechter Flügel nach der Jagd verletzt war.
Hi-äh, sagte die größte Laus.
Lord Bird überlegte, ob er antworten sollte, entschied sich dann aber dafür. Schweigen hätte seine Lage nicht verbessert. Hi-äh, sagte er, den roughen Ton des Anführers der Läuse imitierend. Bloß keinen vornehmen Akzent, dachte Lord Bird, dem Lady Bird, seine Mutter, eigentlich beigebracht hatte, niemals äh zu sagen.
Die größte Laus sah ihn prüfend an und zählte die Punkte. Sechs, sagte die größte Laus zu den anderen Läusen, die zwar auch alle zählen konnten, aber so taten, als hätte die größte Laus etwas ganz besonderes entdeckt.
Sechs! riefen die Läuse im Chor. Sechs!
Der Letzte, sagte die größte Laus Richtung Lord Bird, den wir erwischt haben, hatte acht.
Ach, sagte Lord Bird, der nicht wusste, was er ansonsten sagen sollte.
Acht, sagte die größte Laus. Bist du schwerhörig oder was?
Die Läuse umringten Lord Bird, dessen rechter Flügel nach der Jagd verletzt war.
Hi-äh, sagte die größte Laus.
Lord Bird überlegte, ob er antworten sollte, entschied sich dann aber dafür. Schweigen hätte seine Lage nicht verbessert. Hi-äh, sagte er, den roughen Ton des Anführers der Läuse imitierend. Bloß keinen vornehmen Akzent, dachte Lord Bird, dem Lady Bird, seine Mutter, eigentlich beigebracht hatte, niemals äh zu sagen.
Die größte Laus sah ihn prüfend an und zählte die Punkte. Sechs, sagte die größte Laus zu den anderen Läusen, die zwar auch alle zählen konnten, aber so taten, als hätte die größte Laus etwas ganz besonderes entdeckt.
Sechs! riefen die Läuse im Chor. Sechs!
Der Letzte, sagte die größte Laus Richtung Lord Bird, den wir erwischt haben, hatte acht.
Ach, sagte Lord Bird, der nicht wusste, was er ansonsten sagen sollte.
Acht, sagte die größte Laus. Bist du schwerhörig oder was?
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Sie als Postmoderne zu verunglimpfen! Die Lyrikerin trat gegen die gekachelte Wand der Dusche. Das Rauschen des Wassers überdeckte den lauten Schlag. Seit Ewigkeiten hatte sie auf eine Kritik gewartet. Sie trat erneut zu. Die Lyrikerin hatte nicht ihre Schuhe ausgezogen. Boots mit Silberkappen. Das Silber symbolisiert meine Weichheit, pflegte sie bei den Slams zu behaupten. Vor Publikum aufzutreten, hasste sie. Der nächste Tritt. Eine Kachel löste sich. Sie nahm den Nagel aus dem Mund, legte das schmale Bändchen, ihr bisher erstes und einziges Buch, auf die Lücke, zog den Hammer aus der Jogginghose und schlug wild drauf los. Die Lyrikerin achtete darauf, dass die Schläge den Betonungen eines Hexameters folgten.
Sie als Postmoderne zu verunglimpfen! Die Lyrikerin trat gegen die gekachelte Wand der Dusche. Das Rauschen des Wassers überdeckte den lauten Schlag. Seit Ewigkeiten hatte sie auf eine Kritik gewartet. Sie trat erneut zu. Die Lyrikerin hatte nicht ihre Schuhe ausgezogen. Boots mit Silberkappen. Das Silber symbolisiert meine Weichheit, pflegte sie bei den Slams zu behaupten. Vor Publikum aufzutreten, hasste sie. Der nächste Tritt. Eine Kachel löste sich. Sie nahm den Nagel aus dem Mund, legte das schmale Bändchen, ihr bisher erstes und einziges Buch, auf die Lücke, zog den Hammer aus der Jogginghose und schlug wild drauf los. Die Lyrikerin achtete darauf, dass die Schläge den Betonungen eines Hexameters folgten.
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Warten wir noch ein wenig länger, bat Beckett.
Nein, sagte Nietzsche, Godot ist tot.
Warten wir noch ein wenig länger, bat Beckett.
Nein, sagte Nietzsche, Godot ist tot.
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Den mach ich nass! Syrakrus krümmte sich vor Lachen und klopfte sich auf die tätowierten Schenkel. Syrakrus starrte auf das Kampf-Profil eines Mannes
Harry Klein - nomen est omen! Syrakrus
Den mach ich nass! Syrakrus krümmte sich vor Lachen und klopfte sich auf die tätowierten Schenkel. Syrakrus starrte auf das Kampf-Profil eines Mannes
Harry Klein - nomen est omen! Syrakrus
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Ich glaube nicht, dass die mich wollen. Der Dingsda hat eine Aversion gegen mich. Ich bin zu schwierig. Zu intellektuell. Einfach geht anders. Ich bin, das bleibt unter uns, eben besser als die anderen. Damit habe ich mich abgefunden. Die Ehrlichkeit ersäuft jede Freundschaft. Glauben Sie mir. Manchmal wünschte ich, ich wäre Oma Kasuppke, die von ihren Enkeln in der Seniorenresidenz Rosenhof besucht wird. Ein ständiger Lernprozess, das Leben. Meistens vergisst man die Lektionen. Hätte ich alles behalten, was ich vergessen habe! Mich sprechen Leute auf der Straße an, tun ganz vertraulich, ich bin dann immer in Eile. Wichtige Termine, sorry, sorry, wie schön, dass es Ihnen gut geht, wir sollten mal schnellstens wieder! Könnte ich, würde ich jeden Tag eine Schlagzeile produzieren. Mindestens. Die Leute wachrütteln. Unglaublich, was die mit sich machen lassen. Schon wenn einer rechts sagt, gehe ich automatisch nach links. An belebten Straßen? Ja, auch da. Mich sieht jeder. Man lässt mich über die Straße. Man geleitet mich. Das kennen Sie wahrscheinlich nicht. Selbst auf Autobahnen halten sie an. Wär ja auch noch schöner. Übrigens: Jede Frau kann was aus sich machen. Zum Beispiel? Zum Beispiel die English editor-in-chief of American Vogue. Ich sag jetzt nicht ihren Namen. Eine Schildkröte in teuren Kleidern. Wie die sich auf der Lagune bei Clooney benommen hat ... Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen. Mein Lieberherrgesangsverein. Dafür bin ich aber viel zu diskret. Aprops diskret. Fangen wir doch mal bei Ihnen an, Kindchen. Sie tragen ja weder Lidschatten noch BH. Bei Ihren Brüsten und Ihren Augen keine gute Entscheidung. Huch! Da schießen die Kullertränen! Wie kleine Murmeln. Hab ich Sie verletzt? Das tut mir leid. Ich wollt halt nicht, dass wir die ganze Zeit nur über mich sprechen. Das machen wir schließlich schon seit vorgestern Abend. Reden wir doch mal über Sie. Wie hat Ihnen eigentlich mein letzter Film gefallen?
Ich glaube nicht, dass die mich wollen. Der Dingsda hat eine Aversion gegen mich. Ich bin zu schwierig. Zu intellektuell. Einfach geht anders. Ich bin, das bleibt unter uns, eben besser als die anderen. Damit habe ich mich abgefunden. Die Ehrlichkeit ersäuft jede Freundschaft. Glauben Sie mir. Manchmal wünschte ich, ich wäre Oma Kasuppke, die von ihren Enkeln in der Seniorenresidenz Rosenhof besucht wird. Ein ständiger Lernprozess, das Leben. Meistens vergisst man die Lektionen. Hätte ich alles behalten, was ich vergessen habe! Mich sprechen Leute auf der Straße an, tun ganz vertraulich, ich bin dann immer in Eile. Wichtige Termine, sorry, sorry, wie schön, dass es Ihnen gut geht, wir sollten mal schnellstens wieder! Könnte ich, würde ich jeden Tag eine Schlagzeile produzieren. Mindestens. Die Leute wachrütteln. Unglaublich, was die mit sich machen lassen. Schon wenn einer rechts sagt, gehe ich automatisch nach links. An belebten Straßen? Ja, auch da. Mich sieht jeder. Man lässt mich über die Straße. Man geleitet mich. Das kennen Sie wahrscheinlich nicht. Selbst auf Autobahnen halten sie an. Wär ja auch noch schöner. Übrigens: Jede Frau kann was aus sich machen. Zum Beispiel? Zum Beispiel die English editor-in-chief of American Vogue. Ich sag jetzt nicht ihren Namen. Eine Schildkröte in teuren Kleidern. Wie die sich auf der Lagune bei Clooney benommen hat ... Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen. Mein Lieberherrgesangsverein. Dafür bin ich aber viel zu diskret. Aprops diskret. Fangen wir doch mal bei Ihnen an, Kindchen. Sie tragen ja weder Lidschatten noch BH. Bei Ihren Brüsten und Ihren Augen keine gute Entscheidung. Huch! Da schießen die Kullertränen! Wie kleine Murmeln. Hab ich Sie verletzt? Das tut mir leid. Ich wollt halt nicht, dass wir die ganze Zeit nur über mich sprechen. Das machen wir schließlich schon seit vorgestern Abend. Reden wir doch mal über Sie. Wie hat Ihnen eigentlich mein letzter Film gefallen?
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Die Kindheit ist das Versuchsfeld für Fehler, die nicht unsere sind, aber unsere werden.
Die Kindheit ist das Versuchsfeld für Fehler, die nicht unsere sind, aber unsere werden.
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Unter einer Bedingung lass ich dich leben. Stinkatem zog am Joint. Lieber von einer Hand, die wir nicht drücken möchten, geschlagen, als von ihr gestreichelt werden. Stinkatem knackte mit den Fingern. Seit einem Motorradunfall in Italien konnte er Töne produzieren, die wie das Winseln von Welpen klangen, denen man das Fell über die Ohren zieht. Unter einer Bedingung lassen wir dich leben.
Dem Goldfisch war nicht wohl. Schlaf- und Essensentzug sowie ein Übermaß an Zitaten Marie von Ebner-Eschenbachs hatten ihn mürbe gemacht. Mit pseudo-psychologischen Erkenntnissen des ausgehende 19. Jahrhunderts hatte der Goldfisch nichts am Hut. Bei Fontane hörte es für ihn auf. Und dann das Licht. Mit pinker Folie ausgeschlagene Neonröhren. Hätte er nur auf Mutter gehört. Aber nein. Der Goldfisch hatte stets das Gegenteil von dem getan, was Mutter ihm empfohlen hatte. Jetzt saß er hier. In der Klemme. Angekettet. Kein schlechter Stuhl. Wenigstens das. Die Phrasendrescher hatten Geschmack. Das musste man ihnen lassen. Der Tisch war von Kartell, hatte unten Rollen. Die Kleine, die nichts sagte, hatte dem Goldfisch fünfmal die Kante des Tisches gegen den Körper geknallt. Sie war höchstens 16. Auf jeden Fall nicht volljährig. Blonde Locken wie ein Engel. Gefärbt, dachte der Goldfisch, der mal mit einem Frisuer ein Verhältnis gehabt hatte. Ein kurzes Glück. Am Scheitel der Kleinen konnte man den dunklen Ansatz sehen. Die Augenbrauen waren so dünn gezupft, dass sie wie ein Strich aussahen. Als besonders grausam empfand es der Goldfisch, dass Gräten aus dem Papierkorb, unter dem Telefontisch, hinten am Fenster, ragten. Fette Gräten. Rhincodon typus, dachte der Goldfisch, der sich mit Meeresbewohnern auskannte. Das größte jemals gemessene Exemplar eines Walhais hatte die erstaunliche Länge von 13,7 m gehabt. Ein Monster, das bis zu einem Meter große Fische aufsaugen konnte. Ein Killerhoover mit 3600 Zähnen, in 300 Reihen angeordnet. Auf dem Telefontisch stand ein altmodisches grünes Telefon. Es läutete jede Stunde einmal. Dann ging Stinkatem, wie Goldfisch den Boss des Trios getauft hatte, zum Tisch, machte ein wichtiges Gesicht, nahm ab, lauschte und sagte, mit verstellter Stimme, Da haben Sie sich verwählt. Im Anschluss lachten Stinkatem und Schwitzkasten, eine muskolöse Frau Anfang Dreißig. Goldfisch hatte sich den Namen Schwitzkasten nicht ausgedacht. Stinkatem nannte die Frau permanent so, Schwitzkasten hier, Schwitzkasten da, gefällt Dir das, Schwitzkasten?, möchtest Du noch mal an die frische Luft, Schwitzkasten?, sollen wir eine kurze Pause machen, Schwitzkasten?. Mit der Kleinen sprach Stinkatem dagegen niemals. Er gab der Kleinen Handzeichen, die sie, ohne zu murren, ausführte.
Also?, fragte Stinkatem.
Also, was?, sagte der Goldfisch, eine Spur zu selbstsicher. Er wusste, dass sie auf sein Geheimnis angewiesen waren. Oder glaubte, es zu wissen.
Nenne dich nicht arm, wenn deine Träume nicht in Erfüllung gegangen sind; wirklich arm ist nur, der nie geträumt hat. Stinkatem verdrehte vielsagend die Augen, Schwitzkasten lächelte, Stinkatem imponierte ihr, die Kleine, die auf dem Boden gelegen und Das Gemeindekind gelesen hatte, sprang auf und eilte zum Tisch. Die Kleine hielt einen Brieföffner in der Hand, auf dem der Name Pavel Holub graviert war. Einen sehr spitzen Brieföffner, den der Goldfisch zuvor irgendwo bereits gesehen hatte.
Unter einer Bedingung lass ich dich leben. Stinkatem zog am Joint. Lieber von einer Hand, die wir nicht drücken möchten, geschlagen, als von ihr gestreichelt werden. Stinkatem knackte mit den Fingern. Seit einem Motorradunfall in Italien konnte er Töne produzieren, die wie das Winseln von Welpen klangen, denen man das Fell über die Ohren zieht. Unter einer Bedingung lassen wir dich leben.
Dem Goldfisch war nicht wohl. Schlaf- und Essensentzug sowie ein Übermaß an Zitaten Marie von Ebner-Eschenbachs hatten ihn mürbe gemacht. Mit pseudo-psychologischen Erkenntnissen des ausgehende 19. Jahrhunderts hatte der Goldfisch nichts am Hut. Bei Fontane hörte es für ihn auf. Und dann das Licht. Mit pinker Folie ausgeschlagene Neonröhren. Hätte er nur auf Mutter gehört. Aber nein. Der Goldfisch hatte stets das Gegenteil von dem getan, was Mutter ihm empfohlen hatte. Jetzt saß er hier. In der Klemme. Angekettet. Kein schlechter Stuhl. Wenigstens das. Die Phrasendrescher hatten Geschmack. Das musste man ihnen lassen. Der Tisch war von Kartell, hatte unten Rollen. Die Kleine, die nichts sagte, hatte dem Goldfisch fünfmal die Kante des Tisches gegen den Körper geknallt. Sie war höchstens 16. Auf jeden Fall nicht volljährig. Blonde Locken wie ein Engel. Gefärbt, dachte der Goldfisch, der mal mit einem Frisuer ein Verhältnis gehabt hatte. Ein kurzes Glück. Am Scheitel der Kleinen konnte man den dunklen Ansatz sehen. Die Augenbrauen waren so dünn gezupft, dass sie wie ein Strich aussahen. Als besonders grausam empfand es der Goldfisch, dass Gräten aus dem Papierkorb, unter dem Telefontisch, hinten am Fenster, ragten. Fette Gräten. Rhincodon typus, dachte der Goldfisch, der sich mit Meeresbewohnern auskannte. Das größte jemals gemessene Exemplar eines Walhais hatte die erstaunliche Länge von 13,7 m gehabt. Ein Monster, das bis zu einem Meter große Fische aufsaugen konnte. Ein Killerhoover mit 3600 Zähnen, in 300 Reihen angeordnet. Auf dem Telefontisch stand ein altmodisches grünes Telefon. Es läutete jede Stunde einmal. Dann ging Stinkatem, wie Goldfisch den Boss des Trios getauft hatte, zum Tisch, machte ein wichtiges Gesicht, nahm ab, lauschte und sagte, mit verstellter Stimme, Da haben Sie sich verwählt. Im Anschluss lachten Stinkatem und Schwitzkasten, eine muskolöse Frau Anfang Dreißig. Goldfisch hatte sich den Namen Schwitzkasten nicht ausgedacht. Stinkatem nannte die Frau permanent so, Schwitzkasten hier, Schwitzkasten da, gefällt Dir das, Schwitzkasten?, möchtest Du noch mal an die frische Luft, Schwitzkasten?, sollen wir eine kurze Pause machen, Schwitzkasten?. Mit der Kleinen sprach Stinkatem dagegen niemals. Er gab der Kleinen Handzeichen, die sie, ohne zu murren, ausführte.
Also?, fragte Stinkatem.
Also, was?, sagte der Goldfisch, eine Spur zu selbstsicher. Er wusste, dass sie auf sein Geheimnis angewiesen waren. Oder glaubte, es zu wissen.
Nenne dich nicht arm, wenn deine Träume nicht in Erfüllung gegangen sind; wirklich arm ist nur, der nie geträumt hat. Stinkatem verdrehte vielsagend die Augen, Schwitzkasten lächelte, Stinkatem imponierte ihr, die Kleine, die auf dem Boden gelegen und Das Gemeindekind gelesen hatte, sprang auf und eilte zum Tisch. Die Kleine hielt einen Brieföffner in der Hand, auf dem der Name Pavel Holub graviert war. Einen sehr spitzen Brieföffner, den der Goldfisch zuvor irgendwo bereits gesehen hatte.
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#antwortaufalles, von schreibetextüberanstoß@plagiat.com
brauch in drei minuten gedanken zum thema anecken, toleranz, diktatur. bezahlung wie immer!
re:#antwortaufalles, von [email protected]
hier: Fortschritt und Widerspruch bedingen einander. // Harmonie ist eine Kategorie des Privaten, eine liebensnotwendige.
Widerspruch ist eine Kategorie des Öffentlichen, eine lebensnotwendige. // Im Grunde ist die schnelle Zustimmung geistige Faulheit. // Vollkommenheit ist keine demokratische Kategorie. In einer offenen Gesellschaft setzt man sich mit Fehlern auseinander und verbessert sie. // Rassisten sind Massenmörder en miniature. // Wer in einer rassistischen Gesellschaft aufwächst, hat sein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen. // Das Unterbewusstsein von Menschen, die in einer rassistischen Gesellschaft aufgewachsen sind, bevorzugt Schwarz-Weiß-Lösungen; dagegen bewusst zu kämpfen, ist eine lebenslange Auseinandersetzung. // In Demokratien ist das Andere das Ich. In Diktaturen ist das Ich das Wir. // Rassisten kennen weder Toleranz noch Güte. In einer Klassengesellschaft fühlen sie sich am wohlsten. // Der Rassist ist ein folgsamer Jünger. Die Gebote einer Ideologie erklären ihm die Welt. Er folgt einem Messias. Der Messias sieht, in aller Regel, aus wie der Rassist, denkt auf jeden Fall wie der Rassist. // Der Rassist wählt ein einfacheres Leben als der Demokrat. Es fällt ihm leichter glücklich zu sein, weil es "schlechtere" Schicksale als das eigene gibt. // Die Globalisierung der Körper dürfte in einer Globalisierung des Geistes münden - es fragt sich nur, wann.
re:re:#antwortaufalles, von schreibetextüberanstoß@plagiat.com
dir haben sie doch ins hirn geschissen. für diese hingerotzte metaphysik geb ich keinen cent aus. seit wann dürfen praktikanten bei dir dichten?
#antwortaufalles, von schreibetextüberanstoß@plagiat.com
brauch in drei minuten gedanken zum thema anecken, toleranz, diktatur. bezahlung wie immer!
re:#antwortaufalles, von [email protected]
hier: Fortschritt und Widerspruch bedingen einander. // Harmonie ist eine Kategorie des Privaten, eine liebensnotwendige.
Widerspruch ist eine Kategorie des Öffentlichen, eine lebensnotwendige. // Im Grunde ist die schnelle Zustimmung geistige Faulheit. // Vollkommenheit ist keine demokratische Kategorie. In einer offenen Gesellschaft setzt man sich mit Fehlern auseinander und verbessert sie. // Rassisten sind Massenmörder en miniature. // Wer in einer rassistischen Gesellschaft aufwächst, hat sein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen. // Das Unterbewusstsein von Menschen, die in einer rassistischen Gesellschaft aufgewachsen sind, bevorzugt Schwarz-Weiß-Lösungen; dagegen bewusst zu kämpfen, ist eine lebenslange Auseinandersetzung. // In Demokratien ist das Andere das Ich. In Diktaturen ist das Ich das Wir. // Rassisten kennen weder Toleranz noch Güte. In einer Klassengesellschaft fühlen sie sich am wohlsten. // Der Rassist ist ein folgsamer Jünger. Die Gebote einer Ideologie erklären ihm die Welt. Er folgt einem Messias. Der Messias sieht, in aller Regel, aus wie der Rassist, denkt auf jeden Fall wie der Rassist. // Der Rassist wählt ein einfacheres Leben als der Demokrat. Es fällt ihm leichter glücklich zu sein, weil es "schlechtere" Schicksale als das eigene gibt. // Die Globalisierung der Körper dürfte in einer Globalisierung des Geistes münden - es fragt sich nur, wann.
re:re:#antwortaufalles, von schreibetextüberanstoß@plagiat.com
dir haben sie doch ins hirn geschissen. für diese hingerotzte metaphysik geb ich keinen cent aus. seit wann dürfen praktikanten bei dir dichten?
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Muckefucke, schnuckehucke, hackefacke, lackenacke edauerlich, dass ich vermeerisch tot bin. Vorm ganz großen Erfolg. Ein- und Ausstellungen. Venedig. Kassel. Istanbul. Mein Körper hängt an der Mageren Brug in Amsterdam. Aber ich will den Dingen nicht vorausgreifen. Fangen wir der Reihe nach an. Und was für eine Reihe das ist, in die ich geboren wurde. Geschissen auf die Welt. Halsabschneider, Gauner, Ganoven, Spieler. Jeder von ihnen hatte es an die Spitze des Staates geschafft. Ich war keine Ausnahme. Nur mit den Frauen, mit denen hatte ich noch mehr Pech als die meisten meiner Vorfahren. Jedenfalls bis Marianne um die Ecke kam. Dann wurde es richtig arg. Liebe auf den ersten Blick. Sie sprang mich an. Sprintete in mein Herz. Wie konnte ich mich nur so täuschen? Sie säuberte dem Malerfürsten den Pinsel. Nicht ohne Hintergedanken. Ich nahm mich selbst als Geisel. Marianne hatte nur ein einziges Ziel.
Muckefucke, schnuckehucke, hackefacke, lackenacke edauerlich, dass ich vermeerisch tot bin. Vorm ganz großen Erfolg. Ein- und Ausstellungen. Venedig. Kassel. Istanbul. Mein Körper hängt an der Mageren Brug in Amsterdam. Aber ich will den Dingen nicht vorausgreifen. Fangen wir der Reihe nach an. Und was für eine Reihe das ist, in die ich geboren wurde. Geschissen auf die Welt. Halsabschneider, Gauner, Ganoven, Spieler. Jeder von ihnen hatte es an die Spitze des Staates geschafft. Ich war keine Ausnahme. Nur mit den Frauen, mit denen hatte ich noch mehr Pech als die meisten meiner Vorfahren. Jedenfalls bis Marianne um die Ecke kam. Dann wurde es richtig arg. Liebe auf den ersten Blick. Sie sprang mich an. Sprintete in mein Herz. Wie konnte ich mich nur so täuschen? Sie säuberte dem Malerfürsten den Pinsel. Nicht ohne Hintergedanken. Ich nahm mich selbst als Geisel. Marianne hatte nur ein einziges Ziel.
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Sie haben nach einem Zeugnis gefragt. Verwehren möchte ich Ihnen das nicht, auf keinen Fall. Zu meinen Gepflogenheiten gehört es, anständig mit meinen Mitmenschen umzugehen. Womit wir schon mitten in Ihrem, sagen wir, Attest wären; denn ist das Arbeiten nicht ein fortlaufender Test, aus dem man sich nicht aus fadenscheinigen Gründen davonstehlen sollte? Sorgsam zu erledigen, zügig zu schaffen, was wir aufgetragen bekommen, das ist eine Kunst, der sich, in unserer von WhatsApp und FaceTime geprägten Zeit, soll ich sagen: verunstalteten Zeit?, wenige mit Elan und Übersicht stellen. Eine Stellung zu erlangen, die kein Huschhusch erlaubt, findet Ihre Generation, uns trennen immerhin achtzehn Jahre, ene digitale Ewigkeit, eine solche solide Stellung erfordert beachtliches Standvermögen, ja glühenden Eifer, feurige Selbstlosigkeit und eine gehörige Portion an Duldsamkeit. Das Einstecken fremder Sachen, das Schnüffeln in offenen Laptops, das Posten privater Fotos gehören, erlauben Sie mir die unfromme Deutlichkeit, nicht zu den Eigenschaften, die ich von meinen Angestellten erwarte. Schon gar nicht meinen engsten. Konservativ, so würde ich meine Erwartungen beschreiben, konservativ, aber nicht reaktionär. Ich finden, dass die Offenlegung persönlicher Eigenheiten reaktionär ist. Ein Vertrauensbruch. Dass Sie nebenbei ..., darauf gehe ich hier nicht ein. Eine Frage des Geschmacks. Wie gesagt: der Altersunterschied ist mir bewusst. Beim Schlendern merke ich, wie ich verblasse. Für die Alten ist der hellste Sonnenschein die tiefste Nacht. Eine Freiheit, die mir geschenkt bleiben kann. Aufzugeben gehört nicht zu meinen Vorlieben. Die unverblümte Offenlegung gibt sich den Anschein von Weltoffenheit und ist doch in Wahrheit stockreaktionär. Wer sich von diesem Exhibitionismus ausschließt, macht sich - so ist es doch? seien Sie ehrlich! - macht sich in Ihren dünngeistigen Kreisen verdächtig. Ein Zeugnis, sagen Sie, wollen Sie. Ein unanfechtbares, mit allen Eigenschaftswörtern versehen, die man so braucht, um voranzukommen in Ihrer wwW.elt. Ich gebe mein Bestes, glauben Sie mir. Ich bemühe mich. Schließlich haben Sie drei geschlagene Monate in meiner Firma, in meinem Haus, in meinem Bett verbracht. Sie sollen Ihre Zeilen bekommen. Das sollen Sie. Was Ihnen zusteht, sollen Sie bekommen. Die Kollektion, die Ihnen auf den Leib geschneidert wurde, müssen Sie allerdings wieder abgeben. Auf der Stelle. her damit! Dior hat danach gefragt. Das Victoria & Albert Museum habe großes Interesse bekundet, heißt es. Eine Ehre. So sei es. Ihnen wurde Ihre Haut bezahlt. Mehr nicht. Das Gesicht, dafür können Sie nichts. Seien Sie nicht zu eingebildet auf Ihre Augen, Ihre Wimpern, ihren entzückenden Mund. Ohne die Kleider, von mir entworfen, wären Sie nackt wie ein Säugling gewesen. Man hätte Ihre Blinddarmnarbe gesehen. Ein Säugling, ja, ein Bild, das für und auf Sie passt. Ich bin Ihnen nicht böse. Enttäuscht? Das schon eher. Genug. Zum Geschäftlichen.
Sie haben nach einem Zeugnis gefragt. Verwehren möchte ich Ihnen das nicht, auf keinen Fall. Zu meinen Gepflogenheiten gehört es, anständig mit meinen Mitmenschen umzugehen. Womit wir schon mitten in Ihrem, sagen wir, Attest wären; denn ist das Arbeiten nicht ein fortlaufender Test, aus dem man sich nicht aus fadenscheinigen Gründen davonstehlen sollte? Sorgsam zu erledigen, zügig zu schaffen, was wir aufgetragen bekommen, das ist eine Kunst, der sich, in unserer von WhatsApp und FaceTime geprägten Zeit, soll ich sagen: verunstalteten Zeit?, wenige mit Elan und Übersicht stellen. Eine Stellung zu erlangen, die kein Huschhusch erlaubt, findet Ihre Generation, uns trennen immerhin achtzehn Jahre, ene digitale Ewigkeit, eine solche solide Stellung erfordert beachtliches Standvermögen, ja glühenden Eifer, feurige Selbstlosigkeit und eine gehörige Portion an Duldsamkeit. Das Einstecken fremder Sachen, das Schnüffeln in offenen Laptops, das Posten privater Fotos gehören, erlauben Sie mir die unfromme Deutlichkeit, nicht zu den Eigenschaften, die ich von meinen Angestellten erwarte. Schon gar nicht meinen engsten. Konservativ, so würde ich meine Erwartungen beschreiben, konservativ, aber nicht reaktionär. Ich finden, dass die Offenlegung persönlicher Eigenheiten reaktionär ist. Ein Vertrauensbruch. Dass Sie nebenbei ..., darauf gehe ich hier nicht ein. Eine Frage des Geschmacks. Wie gesagt: der Altersunterschied ist mir bewusst. Beim Schlendern merke ich, wie ich verblasse. Für die Alten ist der hellste Sonnenschein die tiefste Nacht. Eine Freiheit, die mir geschenkt bleiben kann. Aufzugeben gehört nicht zu meinen Vorlieben. Die unverblümte Offenlegung gibt sich den Anschein von Weltoffenheit und ist doch in Wahrheit stockreaktionär. Wer sich von diesem Exhibitionismus ausschließt, macht sich - so ist es doch? seien Sie ehrlich! - macht sich in Ihren dünngeistigen Kreisen verdächtig. Ein Zeugnis, sagen Sie, wollen Sie. Ein unanfechtbares, mit allen Eigenschaftswörtern versehen, die man so braucht, um voranzukommen in Ihrer wwW.elt. Ich gebe mein Bestes, glauben Sie mir. Ich bemühe mich. Schließlich haben Sie drei geschlagene Monate in meiner Firma, in meinem Haus, in meinem Bett verbracht. Sie sollen Ihre Zeilen bekommen. Das sollen Sie. Was Ihnen zusteht, sollen Sie bekommen. Die Kollektion, die Ihnen auf den Leib geschneidert wurde, müssen Sie allerdings wieder abgeben. Auf der Stelle. her damit! Dior hat danach gefragt. Das Victoria & Albert Museum habe großes Interesse bekundet, heißt es. Eine Ehre. So sei es. Ihnen wurde Ihre Haut bezahlt. Mehr nicht. Das Gesicht, dafür können Sie nichts. Seien Sie nicht zu eingebildet auf Ihre Augen, Ihre Wimpern, ihren entzückenden Mund. Ohne die Kleider, von mir entworfen, wären Sie nackt wie ein Säugling gewesen. Man hätte Ihre Blinddarmnarbe gesehen. Ein Säugling, ja, ein Bild, das für und auf Sie passt. Ich bin Ihnen nicht böse. Enttäuscht? Das schon eher. Genug. Zum Geschäftlichen.
108
Kobane? Glaubst du irgendjemand wird sich an dieses Nest erinnern?
Ja, die Kurden.
Die Kurden? Und dann? Was heißt das: Die Kurden erinnern sich?
Rache, das heißt Rache.
An wem? Rache an wem?
An uns, die wir nichts für Kobane getan haben.
In was für einer Welt lebst du? Rächte sich ein einziger Kurde, wir schmissen sie alle raus. Ansonsten ...
... ansonsten was?
Gewönne die AfD die nächste Wahl.
Kobane? Glaubst du irgendjemand wird sich an dieses Nest erinnern?
Ja, die Kurden.
Die Kurden? Und dann? Was heißt das: Die Kurden erinnern sich?
Rache, das heißt Rache.
An wem? Rache an wem?
An uns, die wir nichts für Kobane getan haben.
In was für einer Welt lebst du? Rächte sich ein einziger Kurde, wir schmissen sie alle raus. Ansonsten ...
... ansonsten was?
Gewönne die AfD die nächste Wahl.
109
Ein Häuptling, vergiss das nicht, Berlu, braucht den Stamm mehr als der Stamm den Häuptling. Der Sterbende sah seinen Sohn an, den einzigen, den er gezeugt hatte, mit der falschen Frau, der Frau, die ihm sein Vater ausgesucht hatte, ein Jammerlappen von einem Sohn, den er noch als Junge getötet hätte, hätte es einen Zweitgeborenen gegeben. Eine Tatsache, Berlu, die Häuptlinge gerne verbergen. Sie müssen dich lieben, ohne dich zu durchschauen. Aber vor allem müssen sie dich fürchten. Den Boden sollen sie küssen, bevor du ihn betrittst.
Ein Häuptling, vergiss das nicht, Berlu, braucht den Stamm mehr als der Stamm den Häuptling. Der Sterbende sah seinen Sohn an, den einzigen, den er gezeugt hatte, mit der falschen Frau, der Frau, die ihm sein Vater ausgesucht hatte, ein Jammerlappen von einem Sohn, den er noch als Junge getötet hätte, hätte es einen Zweitgeborenen gegeben. Eine Tatsache, Berlu, die Häuptlinge gerne verbergen. Sie müssen dich lieben, ohne dich zu durchschauen. Aber vor allem müssen sie dich fürchten. Den Boden sollen sie küssen, bevor du ihn betrittst.
110
Welches Wissen ist relevant?, which matters matter?, das fragen Sie sich doch, ich sehe es in Ihren Gesichtern, wie entsteht neues, erdverbundenes Wissen?, warum hat die Religion als Erklärungsmodell endgültig ausgedient?, mit welchen Bildern lassen sich Situationen beschreiben, die das Anthropozän in seiner Tiefe, in seinen Schattierungen erlebbar machen? Darauf wollen wir morgen eingehen. Seien Sie mir gewogen, seien Sie pünktlich, stellen Sie jetzt wieder Ihre ...
Allahu akbar! unterbrach der junge Mann, welcher auf einmal neben ihr stand, die Harvard-Professorin. Er blickte zum Aquarium, ein hell erleuchtetes Bühnenutensil. Eine Schildkröte hatte den ganzen Vortrag über versucht, an der rutschigen Glaswand hochzuklettern. Vergeblich. Der junge Mann trug einen rot gefärbten Bart und einen Sprengstoffgürtel.
Welches Wissen ist relevant?, which matters matter?, das fragen Sie sich doch, ich sehe es in Ihren Gesichtern, wie entsteht neues, erdverbundenes Wissen?, warum hat die Religion als Erklärungsmodell endgültig ausgedient?, mit welchen Bildern lassen sich Situationen beschreiben, die das Anthropozän in seiner Tiefe, in seinen Schattierungen erlebbar machen? Darauf wollen wir morgen eingehen. Seien Sie mir gewogen, seien Sie pünktlich, stellen Sie jetzt wieder Ihre ...
Allahu akbar! unterbrach der junge Mann, welcher auf einmal neben ihr stand, die Harvard-Professorin. Er blickte zum Aquarium, ein hell erleuchtetes Bühnenutensil. Eine Schildkröte hatte den ganzen Vortrag über versucht, an der rutschigen Glaswand hochzuklettern. Vergeblich. Der junge Mann trug einen rot gefärbten Bart und einen Sprengstoffgürtel.
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Ihre Mutter war der unzufriedenste Mensch, den Roberta kannte, und als Bayer-Betriebsrätin für den Standort Berlin kannte sie viele, die sich bei ihr, ein anderes Wort fiel Roberta beim besten Willen nicht mehr ein, nach allen Regeln der Kunst auskotzten. Über den Job, den Partner, zu viel Sex, zu wenig Sex, die Kinder. Nicht zu vergessen: die Vorgesetzten. Die Vorgestzten waren das eigentliche Kotzthema. Sie konnten es ihren Untergebenen nicht Recht machen. Aber Robertas Mutter, Suzan Sookdeo Moonsie, schlug alle auf der Unzufriedenheitsskala. Mit Abstand alle. Seit Suzies zahme Taube, am 16. Mai 1984, im Maschendrahtzaun des Nachbarbalkons elendig draufgegangen war - das Weinen des Vogels hatte selbst noch der Kioskbetreiber am Ernst-Reuter-Platz gehört -, war Suzie auf dem Banshee-Trip. Sie sah überall Todesfeen, Was nicht so schlimm gewesen wäre, wenn sie dabei wenigstens die Klappe gehalten hätte. Allein Robertas Mutter sprach überall mit den Todesfeen. Und in diesem Fall meinte überall wirklich überall. Im KaDeWe, in der U-Bahn, im Theater, beim Abendessen. Suzie behauptete, Kontakt zu einer Banshee namens Peek-a-Boo zu haben. Peek-a-Boo wiederum sei mit Suzies Taube befreundet gewesen. Die Taube, Dove-Darling, hätte vor ihrem Tod eine Warnung ausgesprochen. Die apokalyptischen Reiter seien im Angalopp. Wer die Wahl hätte, sollte sich schnellstens das Leben nehmen. Die Schmerzen, die alsbald über die Welt kämen, wären nicht auszuhalten.
Ihre Mutter war der unzufriedenste Mensch, den Roberta kannte, und als Bayer-Betriebsrätin für den Standort Berlin kannte sie viele, die sich bei ihr, ein anderes Wort fiel Roberta beim besten Willen nicht mehr ein, nach allen Regeln der Kunst auskotzten. Über den Job, den Partner, zu viel Sex, zu wenig Sex, die Kinder. Nicht zu vergessen: die Vorgesetzten. Die Vorgestzten waren das eigentliche Kotzthema. Sie konnten es ihren Untergebenen nicht Recht machen. Aber Robertas Mutter, Suzan Sookdeo Moonsie, schlug alle auf der Unzufriedenheitsskala. Mit Abstand alle. Seit Suzies zahme Taube, am 16. Mai 1984, im Maschendrahtzaun des Nachbarbalkons elendig draufgegangen war - das Weinen des Vogels hatte selbst noch der Kioskbetreiber am Ernst-Reuter-Platz gehört -, war Suzie auf dem Banshee-Trip. Sie sah überall Todesfeen, Was nicht so schlimm gewesen wäre, wenn sie dabei wenigstens die Klappe gehalten hätte. Allein Robertas Mutter sprach überall mit den Todesfeen. Und in diesem Fall meinte überall wirklich überall. Im KaDeWe, in der U-Bahn, im Theater, beim Abendessen. Suzie behauptete, Kontakt zu einer Banshee namens Peek-a-Boo zu haben. Peek-a-Boo wiederum sei mit Suzies Taube befreundet gewesen. Die Taube, Dove-Darling, hätte vor ihrem Tod eine Warnung ausgesprochen. Die apokalyptischen Reiter seien im Angalopp. Wer die Wahl hätte, sollte sich schnellstens das Leben nehmen. Die Schmerzen, die alsbald über die Welt kämen, wären nicht auszuhalten.
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In Bezug aus wen?
Aus wen?
Auf wen. Hör damit auf, Irene, hör doch endlich damit auf! Was hast du davon? Du weißt doch, dass ich morgens einen Knoten in der Zunge habe. Ich bin kein Frühaufsteher wie du. Du könntest mich zur Abwechslung auch schlafen lassen, wie wär das?, anstatt mich aus dem Bett zu jagen, um dich anschließend über mich lustig zu machen. Er stopfte seine Pfeife. Die Finger flatterten. Obwohl er im März auf Anraten des Lungenarztes mit dem Rauchen aufgehört hatte, stopfte Paul Hinternagel weiterhin einmal am Tag seine Lieblingspfeife. Ein Geschenk der Kinder anlässlich der Emeritierung. Die von Irene verantwortete Denkschrift war eine Katastrophe gewesen. Sie hatte die schlechtesten Texte seiner Schüler ausgesucht. Der schwächsten Schüler. Eine Ohrfeige zum Ende einer langen Karriere. Als hätte er nichts erreicht. Als hätte er nur Idioten hervorgebracht. Eine Blamage. Das Pfeifenmundstück aus Ebonit war völlig abgekaut. Es roch nach Nikotin und Behaglichkeit.
Hör damit aus, das ist nicht gut für dich. Sie lachte. Ein unfreundliches Lachen. In Bezug auf dich selbst, sagte sie.
Was für ein Selbst? fragte er.
Irene Greifendorf schüttete den eben gebrühten Kaffee in den Abguss. Er hatte ihn nicht in ihre Lieblingstasse gegossen. Aus reiner Bosheit. Deine Metaphysik kannst du dir sparen, Paulchen, sagte sie. Wir sind, weil wir sind. Wären wir nicht, gäbe es kein Selbst.
Er öffnete das Küchenfenster. Im Efeu lebten schätzungsweise drei Millionen Vögel. Vielleicht waren es auch nur 200. Aber der Lärm war so oder so der reine Wahnsinn. Die fröhliche Wissenschaft. Dazu das Gurgeln des Neckars, den man aus den höheren Stockwerken sehen konnte. Paul Hinternagel liebte die Vögel, Irene Greifendorf hasste sie. Er hatte den Vermieter bestochen, die Pflanzen an der Außenfassade gut zu düngen, anstatt sie, wie von Irene verlangt, abzuhacken. Es regnete. Die Luft war schwül. Er seufzte. Heute war der letzte Tag, um sie zu überzeugen. Sollte es ihm bis Mitternacht nicht gelingen, ihre Zustimmung zu bekommen, würden sich die Kinder für immer von ihnen abwenden.
In Bezug aus wen?
Aus wen?
Auf wen. Hör damit auf, Irene, hör doch endlich damit auf! Was hast du davon? Du weißt doch, dass ich morgens einen Knoten in der Zunge habe. Ich bin kein Frühaufsteher wie du. Du könntest mich zur Abwechslung auch schlafen lassen, wie wär das?, anstatt mich aus dem Bett zu jagen, um dich anschließend über mich lustig zu machen. Er stopfte seine Pfeife. Die Finger flatterten. Obwohl er im März auf Anraten des Lungenarztes mit dem Rauchen aufgehört hatte, stopfte Paul Hinternagel weiterhin einmal am Tag seine Lieblingspfeife. Ein Geschenk der Kinder anlässlich der Emeritierung. Die von Irene verantwortete Denkschrift war eine Katastrophe gewesen. Sie hatte die schlechtesten Texte seiner Schüler ausgesucht. Der schwächsten Schüler. Eine Ohrfeige zum Ende einer langen Karriere. Als hätte er nichts erreicht. Als hätte er nur Idioten hervorgebracht. Eine Blamage. Das Pfeifenmundstück aus Ebonit war völlig abgekaut. Es roch nach Nikotin und Behaglichkeit.
Hör damit aus, das ist nicht gut für dich. Sie lachte. Ein unfreundliches Lachen. In Bezug auf dich selbst, sagte sie.
Was für ein Selbst? fragte er.
Irene Greifendorf schüttete den eben gebrühten Kaffee in den Abguss. Er hatte ihn nicht in ihre Lieblingstasse gegossen. Aus reiner Bosheit. Deine Metaphysik kannst du dir sparen, Paulchen, sagte sie. Wir sind, weil wir sind. Wären wir nicht, gäbe es kein Selbst.
Er öffnete das Küchenfenster. Im Efeu lebten schätzungsweise drei Millionen Vögel. Vielleicht waren es auch nur 200. Aber der Lärm war so oder so der reine Wahnsinn. Die fröhliche Wissenschaft. Dazu das Gurgeln des Neckars, den man aus den höheren Stockwerken sehen konnte. Paul Hinternagel liebte die Vögel, Irene Greifendorf hasste sie. Er hatte den Vermieter bestochen, die Pflanzen an der Außenfassade gut zu düngen, anstatt sie, wie von Irene verlangt, abzuhacken. Es regnete. Die Luft war schwül. Er seufzte. Heute war der letzte Tag, um sie zu überzeugen. Sollte es ihm bis Mitternacht nicht gelingen, ihre Zustimmung zu bekommen, würden sich die Kinder für immer von ihnen abwenden.
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Habe ich richtig verstanden, dass Sie mich niedlich genannt haben?
Nein. Needlich. Ich habe Sie needlich genannt.
Habe ich richtig verstanden, dass Sie mich niedlich genannt haben?
Nein. Needlich. Ich habe Sie needlich genannt.
114
Die Schlucht lag wie eine aufgeschnittene Schlange in den Bergen. Aus ihren Eingeweiden quoll Eiswasser. Der zerbrochene Gletscher spuckte gewaltige Brocken ins Tal. Der Fluss trat mit ungeheurer Wucht übers Ufer. Folgte den Tieren. Die Schwachen ertranken zuerst. Wer sich umsah, war verloren. In der Herde brach Panik aus. Der Himmel verdüsterte sich. Der Donner krachte. Die Blitze standen wie rote Riesen über ihnen. Glühende Zacken trafen aufs Fleisch. Die Schreie kannten kein Ende.
Die Schlucht lag wie eine aufgeschnittene Schlange in den Bergen. Aus ihren Eingeweiden quoll Eiswasser. Der zerbrochene Gletscher spuckte gewaltige Brocken ins Tal. Der Fluss trat mit ungeheurer Wucht übers Ufer. Folgte den Tieren. Die Schwachen ertranken zuerst. Wer sich umsah, war verloren. In der Herde brach Panik aus. Der Himmel verdüsterte sich. Der Donner krachte. Die Blitze standen wie rote Riesen über ihnen. Glühende Zacken trafen aufs Fleisch. Die Schreie kannten kein Ende.
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Fanken wir, wenn Sie mir das kestatten, beim Ende an. Das Dengen bewekt sich häufik in umkegehrter Richtunk. In meiner Lake darf ich das behaupten. Im Jetzt sind wir nur daheim, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Mein Ongel, bei dem wir, meine acht Schwestern und ich, der einzike Junke, aufwuchsen, bat uns nicht um Gnade. Er gannte uns kut kenuk. Besonders Eriga, die er über Jahre in seinem Zimmer hatte schlafen lassen, zeikte eine unkeheure Entschlossenheit, die Satansache, wie sie Ongel nannte, zu erlediken. Eriga hatte die Steine besorkt, Makda die Seile, Kertrude die Näkel. Den Honik musste ich beschaffen. Kar nicht so einfach. Das Kestüt liekt weit außerhalb. Einen Imger kibt es bei uns da draußen nicht. Im Wald, unten am Bach, wurde ich fündik. Wilde Bienen verteidiken ihr Nest. Die Stiche schmerzen immer noch.
Blasius Cook zeigte den Agenten die Schwellungen.
Die Geizigen sind den Bienen zu vergleichen: sie arbeiten, als ob sie ewig leben würden, sagte der ältere Mann, der sich bislang im Halbschatten aufgehalten hatte.
Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter. In Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum, sagte die junge Frau, die Blasius Cook die Taschenlampe ins Gesicht hielt.
Ich erwarte geine Küte. Darüber bin ich hinaus. Wer gonnte ahnen, dass Ongel für Ihren Gampf der wichtikste Mann kewesen war? Unseren Gampf. Ich nicht. Klauben Sie mir: ich hatte geine Ahnunk. Niemals hätten wir ketan, was wir ketan haben.
Aha, sagte der ältere Mann.
Sie sind ein dreggiker Verräter, sagte die junge Frau, Ihretwegen werden Millionen Menschen sterben.
Man gann gein Keheimnis verraten, das man nicht gennt.
Das eigene Glück - Rache - darf nicht wichtiger sein als das Glück der Allgemeinheit, sagte der ältere Mann.
Sind Sie nicht stutzig geworden, dass Ihr Onkel keine Google-Kennung hatte? Kein Amazon-Ring oder aPad? fragte die junge Frau.
Blasius Cook schloss die Augen. Nein, darauf haben wir nicht keachtet. Die Aurekunk hatte uns fest im Kriff.
Das glaube ich Ihnen nicht! Sie lügen. Die junge Frau trat zu dem Gefangenen, der von der Decke baumelte, kopfüber an einem Schlachterring, in einer roten Zwangsjacke. Seine Stirn war auf ihrer Ellbogenhöhe.
Fanken wir, wenn Sie mir das kestatten, beim Ende an. Das Dengen bewekt sich häufik in umkegehrter Richtunk. In meiner Lake darf ich das behaupten. Im Jetzt sind wir nur daheim, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Mein Ongel, bei dem wir, meine acht Schwestern und ich, der einzike Junke, aufwuchsen, bat uns nicht um Gnade. Er gannte uns kut kenuk. Besonders Eriga, die er über Jahre in seinem Zimmer hatte schlafen lassen, zeikte eine unkeheure Entschlossenheit, die Satansache, wie sie Ongel nannte, zu erlediken. Eriga hatte die Steine besorkt, Makda die Seile, Kertrude die Näkel. Den Honik musste ich beschaffen. Kar nicht so einfach. Das Kestüt liekt weit außerhalb. Einen Imger kibt es bei uns da draußen nicht. Im Wald, unten am Bach, wurde ich fündik. Wilde Bienen verteidiken ihr Nest. Die Stiche schmerzen immer noch.
Blasius Cook zeigte den Agenten die Schwellungen.
Die Geizigen sind den Bienen zu vergleichen: sie arbeiten, als ob sie ewig leben würden, sagte der ältere Mann, der sich bislang im Halbschatten aufgehalten hatte.
Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter. In Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum, sagte die junge Frau, die Blasius Cook die Taschenlampe ins Gesicht hielt.
Ich erwarte geine Küte. Darüber bin ich hinaus. Wer gonnte ahnen, dass Ongel für Ihren Gampf der wichtikste Mann kewesen war? Unseren Gampf. Ich nicht. Klauben Sie mir: ich hatte geine Ahnunk. Niemals hätten wir ketan, was wir ketan haben.
Aha, sagte der ältere Mann.
Sie sind ein dreggiker Verräter, sagte die junge Frau, Ihretwegen werden Millionen Menschen sterben.
Man gann gein Keheimnis verraten, das man nicht gennt.
Das eigene Glück - Rache - darf nicht wichtiger sein als das Glück der Allgemeinheit, sagte der ältere Mann.
Sind Sie nicht stutzig geworden, dass Ihr Onkel keine Google-Kennung hatte? Kein Amazon-Ring oder aPad? fragte die junge Frau.
Blasius Cook schloss die Augen. Nein, darauf haben wir nicht keachtet. Die Aurekunk hatte uns fest im Kriff.
Das glaube ich Ihnen nicht! Sie lügen. Die junge Frau trat zu dem Gefangenen, der von der Decke baumelte, kopfüber an einem Schlachterring, in einer roten Zwangsjacke. Seine Stirn war auf ihrer Ellbogenhöhe.
116
Um mir das Leben zu nehmen, ist mir jeder Abgrund Recht.
Um mir das Leben zu nehmen, ist mir jeder Abgrund Recht.
117
Unter dem Pflaster liegt der Strand. Helen riss den Bikini vom Ständer.
Draußen heulten die Sirenen. Neben dem Kaufhaus brannte das Büro des Immobilienmaklers. Churner, Helens Bruder, war im zweiten Stock, Unterhaltungstechnologie, verschwunden. Churners Girl, Eddy, zerschlitzte mit einem Teppichschneider die Reis-Kollektion und goss Soyamilch drüber. Sie filmte sich dabei mit ihrem iPhone. Eddy hatte bereits mehrmals versucht, am Goldsmith College angenommen zu werden. Mit diesem Video würde es, glaubte sie, klappen.
Arbeit? Niemals! Helens Freundin, Clandestine, lebte in Maida Vale, auf einem Hausboot, und versuchte seit Anfang des Jahres, die Situationistische Internationale Brigade of Paddington, kurz Sibop, ins Rollen zu bringen.
Verkaufen ist verboten! Helen stülpte sich eine weiße Badekappe mit roten Punkten über. Die Wasserpistole in ihrer Hand war im Dämmerlicht von einer echten AK-47 nicht zu unterscheiden. Die Zwanzigjährige sah wie ein Marienkäfer aus. Jeder ist ein Kind vieler Väter, schrie sie, es gibt den Vater, den wir hassen, den Surrealismus und es gibt den Vater, den wir lieben: DADA.
DUDA, sagte Clandestine und zündete eine Silvesterrakete, die sie im Lager gefunden hatte. Urlaub ist der Teufelskreis von Entfremdung und Unterjochung! Das Symbol der falschen Versprechungen des modernen Lebens!
POTLATCH! Helen sprang in das Kinderplanschbecken. Sie hielt ein Megafon in der Hand: Allein die wirkliche Negation der Kultur bewahrt deren Sinn!
Unter dem Pflaster liegt der Strand. Helen riss den Bikini vom Ständer.
Draußen heulten die Sirenen. Neben dem Kaufhaus brannte das Büro des Immobilienmaklers. Churner, Helens Bruder, war im zweiten Stock, Unterhaltungstechnologie, verschwunden. Churners Girl, Eddy, zerschlitzte mit einem Teppichschneider die Reis-Kollektion und goss Soyamilch drüber. Sie filmte sich dabei mit ihrem iPhone. Eddy hatte bereits mehrmals versucht, am Goldsmith College angenommen zu werden. Mit diesem Video würde es, glaubte sie, klappen.
Arbeit? Niemals! Helens Freundin, Clandestine, lebte in Maida Vale, auf einem Hausboot, und versuchte seit Anfang des Jahres, die Situationistische Internationale Brigade of Paddington, kurz Sibop, ins Rollen zu bringen.
Verkaufen ist verboten! Helen stülpte sich eine weiße Badekappe mit roten Punkten über. Die Wasserpistole in ihrer Hand war im Dämmerlicht von einer echten AK-47 nicht zu unterscheiden. Die Zwanzigjährige sah wie ein Marienkäfer aus. Jeder ist ein Kind vieler Väter, schrie sie, es gibt den Vater, den wir hassen, den Surrealismus und es gibt den Vater, den wir lieben: DADA.
DUDA, sagte Clandestine und zündete eine Silvesterrakete, die sie im Lager gefunden hatte. Urlaub ist der Teufelskreis von Entfremdung und Unterjochung! Das Symbol der falschen Versprechungen des modernen Lebens!
POTLATCH! Helen sprang in das Kinderplanschbecken. Sie hielt ein Megafon in der Hand: Allein die wirkliche Negation der Kultur bewahrt deren Sinn!
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Tante Frieda, eine umwerfende Wiener Schönheit, hatte - ich erinnere es aus eigener Anschauung - die unangenehme Angewohnheit, im Restaurant in die Suppe zu spucken. Dafür wählte sie, worüber man hätte diskutieren können, nicht ihren eigenen Teller, sondern ging, das Steakmesser in der Hand, Wedekind zitierend von Tisch zu Tisch.
Tante Frieda, eine umwerfende Wiener Schönheit, hatte - ich erinnere es aus eigener Anschauung - die unangenehme Angewohnheit, im Restaurant in die Suppe zu spucken. Dafür wählte sie, worüber man hätte diskutieren können, nicht ihren eigenen Teller, sondern ging, das Steakmesser in der Hand, Wedekind zitierend von Tisch zu Tisch.
119
Nichts passierte. Unrein gar nichts.
Die Langeweile war grenzenlos.
So hatte er sich den Tod nicht vorgestellt.
Nichts passierte. Unrein gar nichts.
Die Langeweile war grenzenlos.
So hatte er sich den Tod nicht vorgestellt.
120
Ich beiße Sie herzlich willkommen! Graf Dr wartete. Die Gesichter vor ihm waren versteinert. Keine Hand rührte, kein Mundwinkel verzog sich. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, dachte Graf Dr, nervös die Halskrause befingernd, die ihm sein Freund Lagerfeld einst nach einer sanguinen Nacht an der Seine - der Rotwein war in Strömen geflossen - geschneidert hatte, vielleicht war es ein Fehler gewesen, mit dem selben bon mot den Kongress zu eröffnen. Was in den vergangenen 39 Jahren zuverlässig für Heiterkeit, Schenkelklopfen und ausgeleierte Schneidezähne gesorgt hatte, schien seit dem wackligen, illegalen YouTube-Mitschnitt der letzten Veranstaltung auf Schloss Bran nicht mehr zu ziehen. Graf Dr hätte gerne sein 40. Dienstjubiläum gefeiert. Karl hatte bereits für den Hexenzwirn, wie die Freunde Anzüge nannten, Maß genommen. Feinstes Tuch. Das konnte er sich nun abschminken. Der virale Wind wehte Graf Dr ins bleiche Gesicht. Doch es gab eine Lösung. Eine blutige.
Ich beiße Sie herzlich willkommen! Graf Dr wartete. Die Gesichter vor ihm waren versteinert. Keine Hand rührte, kein Mundwinkel verzog sich. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, dachte Graf Dr, nervös die Halskrause befingernd, die ihm sein Freund Lagerfeld einst nach einer sanguinen Nacht an der Seine - der Rotwein war in Strömen geflossen - geschneidert hatte, vielleicht war es ein Fehler gewesen, mit dem selben bon mot den Kongress zu eröffnen. Was in den vergangenen 39 Jahren zuverlässig für Heiterkeit, Schenkelklopfen und ausgeleierte Schneidezähne gesorgt hatte, schien seit dem wackligen, illegalen YouTube-Mitschnitt der letzten Veranstaltung auf Schloss Bran nicht mehr zu ziehen. Graf Dr hätte gerne sein 40. Dienstjubiläum gefeiert. Karl hatte bereits für den Hexenzwirn, wie die Freunde Anzüge nannten, Maß genommen. Feinstes Tuch. Das konnte er sich nun abschminken. Der virale Wind wehte Graf Dr ins bleiche Gesicht. Doch es gab eine Lösung. Eine blutige.
121
Wirklich? Putti geriet ins Stottern. Wie immer, wenn er ein Mädchen traf, das kleiner als er war und von ihm Kastanien kaufte. Für drei Rubel?
Putti war ein stattlicher Bursche, trotz des bescheidenen Wuchses. Als Gnom galt er allerdings nicht. Um in St. Petersburg offiziell als Zwerg anerkannt zu werden, hätte er vier Zentimeter kürzer sein müssen. Außerdem trug er - selbst auf der Pritsche, die er sein Bett nannte - Plateauschuhe, was ihn ein Meterzehntel größer machte. Da Puttis Arme, verglichen mit seinen Beinen, überlang waren, stimmten die Proportionen. Am verblüffendsten war sein feines Gesicht. Schlanke Nase, vollmondrunde Ohren, ein Mickjaggermund, dazu hellblonde Locken - der Beinahezwerg sah aus wie eine von Michelangelo gemalte Putte. Die Mönche, die ihn aufgezogen und sich seiner bedient hatten, hatten ihn deswegen Putti gerufen. Seinen richtigen Namen, Vladimir Vladimirovich Nabokow, ja, wie der Dichter, nein, Putti konnte weder lesen noch schreiben, hatte er längst vergessen.
Das Mädchen lächelte, Ich bin übrigens Medwedewa, sagte es zu dem Kastanienverkäufer.
Das Bärlein? fragte Putti.
Sie hob die Hände, als wären es Klauen, und fauchte. Beide mussten lachen.
Wirklich? Putti geriet ins Stottern. Wie immer, wenn er ein Mädchen traf, das kleiner als er war und von ihm Kastanien kaufte. Für drei Rubel?
Putti war ein stattlicher Bursche, trotz des bescheidenen Wuchses. Als Gnom galt er allerdings nicht. Um in St. Petersburg offiziell als Zwerg anerkannt zu werden, hätte er vier Zentimeter kürzer sein müssen. Außerdem trug er - selbst auf der Pritsche, die er sein Bett nannte - Plateauschuhe, was ihn ein Meterzehntel größer machte. Da Puttis Arme, verglichen mit seinen Beinen, überlang waren, stimmten die Proportionen. Am verblüffendsten war sein feines Gesicht. Schlanke Nase, vollmondrunde Ohren, ein Mickjaggermund, dazu hellblonde Locken - der Beinahezwerg sah aus wie eine von Michelangelo gemalte Putte. Die Mönche, die ihn aufgezogen und sich seiner bedient hatten, hatten ihn deswegen Putti gerufen. Seinen richtigen Namen, Vladimir Vladimirovich Nabokow, ja, wie der Dichter, nein, Putti konnte weder lesen noch schreiben, hatte er längst vergessen.
Das Mädchen lächelte, Ich bin übrigens Medwedewa, sagte es zu dem Kastanienverkäufer.
Das Bärlein? fragte Putti.
Sie hob die Hände, als wären es Klauen, und fauchte. Beide mussten lachen.
122
Seine Nacktheit ergötzte die Lehrerin. Die Allmacht des Direktors war zusammen mit den Kleidern abgefallen. Wie ein geschorener Bock kroch er im Chemielabor zur Periodentafel. Der Direktor schlotterte. Sein Glied wurde von einer Bauchfalte verdeckt. Nur die Hoden hingen an ihm wie weiche Glöckchen. Der Steinboden war kalt und dreckig. Erst am Ende der Winterferien würden die Putzfrauen saubermachen.
Die Elemente? fragte die Lehrerin.
Sind mit ihrer Ordnungszahl und ihrem Symbol aufgeführt.
Sie zündete sich eine Zigarette an und goss eine ätzende Flüssigkeit auf den Kleiderhügel. Der Direktor faltete bettelnd die Hände.
Die Perioden? Die Lehrerin zeigte sich unbeeindruckt.
So bezeichnet man die waagerechten Zeilen oder Reihen, sagte der Direktor, nach kurzem Zögern. Er unterrichtete eigentlich Altgriechisch und Latein.
Man? Die Lehrerin zog an der Zigarette. Während der Studienzeit in Porto hatte sie viel Zeit damit verbracht, den Rauch wie das Kugelwolkenmodell aussehen zu lassen.
Der Nackte wimmerte.
Kimball, Kimball, Sie haben doch Besserung versprochen! Die Lehrerin überlegte, ob sie die Skype-Verbindung unterbrechen sollte, etnschied sich aber dagegen.
Seine Nacktheit ergötzte die Lehrerin. Die Allmacht des Direktors war zusammen mit den Kleidern abgefallen. Wie ein geschorener Bock kroch er im Chemielabor zur Periodentafel. Der Direktor schlotterte. Sein Glied wurde von einer Bauchfalte verdeckt. Nur die Hoden hingen an ihm wie weiche Glöckchen. Der Steinboden war kalt und dreckig. Erst am Ende der Winterferien würden die Putzfrauen saubermachen.
Die Elemente? fragte die Lehrerin.
Sind mit ihrer Ordnungszahl und ihrem Symbol aufgeführt.
Sie zündete sich eine Zigarette an und goss eine ätzende Flüssigkeit auf den Kleiderhügel. Der Direktor faltete bettelnd die Hände.
Die Perioden? Die Lehrerin zeigte sich unbeeindruckt.
So bezeichnet man die waagerechten Zeilen oder Reihen, sagte der Direktor, nach kurzem Zögern. Er unterrichtete eigentlich Altgriechisch und Latein.
Man? Die Lehrerin zog an der Zigarette. Während der Studienzeit in Porto hatte sie viel Zeit damit verbracht, den Rauch wie das Kugelwolkenmodell aussehen zu lassen.
Der Nackte wimmerte.
Kimball, Kimball, Sie haben doch Besserung versprochen! Die Lehrerin überlegte, ob sie die Skype-Verbindung unterbrechen sollte, etnschied sich aber dagegen.
123
Die Drittmittelförderung störte die Gruppe nicht. Auch wenn die Summe diesmal exorbitant ausgefallen war. Wer mit dem Plan geprahlt hatte? Das ließ sich nicht mehr eindeutig festmachen. Hofer meinte, es sei Bernhardt gewesen. Bernhardt schob alles auf Conradi und Geral. Jedenfalls hatte das Nachrichtenmagazin davon Wind bekommen. Die Journalistin war während der Aktion in der Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter untergetaucht. Nichts war ihr entgangen. Alle hatten gedacht, es hätte sich um die neue Freundin von Huber gehandelt. Huber hatte die Angewohnheit, seine hyperattraktiven Freundinnen bei den Partys der Gruppe nicht mit der linken Arschbacke anzusehen. Die achten mich, weil ich sie nicht missachte, hatte Huber mal Geral erklärt. Hatte Huber mit einer geschlafen, erlosch sein Interesse an ihnen. Dass die Journalistin eine Google-Brille trug? So what? Die Welt war eben gaga. Die seltenen Tiere, die Conradi jedesmal anschleppte, häufig die letzten ihrer Art, bewiesen es. Normal war die Gruppe jedenfalls nicht. Ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Die Wissenschaftler achteten darauf, dass sich jeder schuldig machte. Einen Faust gab es unter ihnen nicht, aber dreißig Fäuste. Das war auch der Gruppenname. Dreißig Fäuste.
Die Drittmittelförderung störte die Gruppe nicht. Auch wenn die Summe diesmal exorbitant ausgefallen war. Wer mit dem Plan geprahlt hatte? Das ließ sich nicht mehr eindeutig festmachen. Hofer meinte, es sei Bernhardt gewesen. Bernhardt schob alles auf Conradi und Geral. Jedenfalls hatte das Nachrichtenmagazin davon Wind bekommen. Die Journalistin war während der Aktion in der Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter untergetaucht. Nichts war ihr entgangen. Alle hatten gedacht, es hätte sich um die neue Freundin von Huber gehandelt. Huber hatte die Angewohnheit, seine hyperattraktiven Freundinnen bei den Partys der Gruppe nicht mit der linken Arschbacke anzusehen. Die achten mich, weil ich sie nicht missachte, hatte Huber mal Geral erklärt. Hatte Huber mit einer geschlafen, erlosch sein Interesse an ihnen. Dass die Journalistin eine Google-Brille trug? So what? Die Welt war eben gaga. Die seltenen Tiere, die Conradi jedesmal anschleppte, häufig die letzten ihrer Art, bewiesen es. Normal war die Gruppe jedenfalls nicht. Ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Die Wissenschaftler achteten darauf, dass sich jeder schuldig machte. Einen Faust gab es unter ihnen nicht, aber dreißig Fäuste. Das war auch der Gruppenname. Dreißig Fäuste.
124
Ich denke an mich selbst, also bin ich?
Nein, Macmillan! Warum willst du es einfach nicht begreifen? Man denkt an mich, also bin ich.
Mitchell, ich bin mir nicht sicher, ob dir auffällt, dass wir uns gar nicht so sehr widersprechen. Du solltest dich mal sehen! Zapfte ich deine Stirnadern an, hätte ein mittelgroßes Krankenhaus genug Blut für eine geschlagene Woche. Mindestens. Du bist per se auf Krawall gestriegelt.
Gebürstet, Macmillan. Du bist auf Krawall gebürstet.
Quod sit demonstrandumIm. Gestriegelt oder gebürstet. Sein, das verstanden werden kann, Mitchell, solch ein Sein ist Rache. Im Gegensatz sind wir lebendig. Bürsten oder striegeln - im Grunde meint das doch dasselbe. Wir putzen uns raus. Aus hermeneutischer Sicht. Jedoch - und ein Aber ist angebracht - jedoch die Ausschöpfung des wahren Sinnes, der in unserem Seins-Text verborgen liegt, kommt nicht auf einmal zum Abschluss, sondern stellt einen ewigen Vorgang dar. Sich von Außen zu sehen, erlaubt die Interaktion mit der Gesellschaft, und darum bin ich. Allein darum ist. Wer nur mit sich selbst ist, existiert nicht. Im Grunde meint es also dasselbe.
Im Abgrunde. Maximal im Abgrunde des Egoisten, Macmillan. Außerdem schwafelst du einen Dreck daher. Wir hätten den Stoff nicht neben Sweenys kaufen dürfen. Zu spät. Wenn du das vor den Prüfern erzählst, kannst du einpacken. Sense Gelände. Dass Katie auf und davon ist, wundert mich nicht.
Wenn andere an mich denken, Mitchell, ich aber nicht mehr bin, bin ich nicht mehr.
Wie kannst du das nur glauben, Macmillan?
Mitchell, wenn du in meiner Anwesenheit noch einmal das Wort glauben benutzt, ertränke ich dich im nächstschlechtesten Taufbecken.
Der Glaube, was immer du vorbringst, Macmillan, bleibt eine anthropologische Grundkonstante. Wer glaubt ...
Warnung: die folgenden Szenen sind nicht für Kinder oder Jugendliche geeignet.
Ich denke an mich selbst, also bin ich?
Nein, Macmillan! Warum willst du es einfach nicht begreifen? Man denkt an mich, also bin ich.
Mitchell, ich bin mir nicht sicher, ob dir auffällt, dass wir uns gar nicht so sehr widersprechen. Du solltest dich mal sehen! Zapfte ich deine Stirnadern an, hätte ein mittelgroßes Krankenhaus genug Blut für eine geschlagene Woche. Mindestens. Du bist per se auf Krawall gestriegelt.
Gebürstet, Macmillan. Du bist auf Krawall gebürstet.
Quod sit demonstrandumIm. Gestriegelt oder gebürstet. Sein, das verstanden werden kann, Mitchell, solch ein Sein ist Rache. Im Gegensatz sind wir lebendig. Bürsten oder striegeln - im Grunde meint das doch dasselbe. Wir putzen uns raus. Aus hermeneutischer Sicht. Jedoch - und ein Aber ist angebracht - jedoch die Ausschöpfung des wahren Sinnes, der in unserem Seins-Text verborgen liegt, kommt nicht auf einmal zum Abschluss, sondern stellt einen ewigen Vorgang dar. Sich von Außen zu sehen, erlaubt die Interaktion mit der Gesellschaft, und darum bin ich. Allein darum ist. Wer nur mit sich selbst ist, existiert nicht. Im Grunde meint es also dasselbe.
Im Abgrunde. Maximal im Abgrunde des Egoisten, Macmillan. Außerdem schwafelst du einen Dreck daher. Wir hätten den Stoff nicht neben Sweenys kaufen dürfen. Zu spät. Wenn du das vor den Prüfern erzählst, kannst du einpacken. Sense Gelände. Dass Katie auf und davon ist, wundert mich nicht.
Wenn andere an mich denken, Mitchell, ich aber nicht mehr bin, bin ich nicht mehr.
Wie kannst du das nur glauben, Macmillan?
Mitchell, wenn du in meiner Anwesenheit noch einmal das Wort glauben benutzt, ertränke ich dich im nächstschlechtesten Taufbecken.
Der Glaube, was immer du vorbringst, Macmillan, bleibt eine anthropologische Grundkonstante. Wer glaubt ...
Warnung: die folgenden Szenen sind nicht für Kinder oder Jugendliche geeignet.
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Rudolph the Red-Nosed Reindeer rannte zum Riu-Buffett. Das All-inclusive-Bändchen trug er am Geweih. Er hatte sich für die erste Dinnersitzung um 18 Uhr entschieden. Wenn er später aß, bekam er Blähungen. Die spanische Hotelkette hatte bei Tripadvisor erstaunlich gute Bewertungen fürs Catering bekommen. Reindeer war gespannt. Den Kinderpool hatte er den ganzen Tag erfolgreich verteidigt. Nun ging es darum, im Speisesaal Nägel mit Köpfen zu machen. Reindeer gluckste beglückt. Er war fuzzy mit seinen Mahlzeiten. Bestimmte Parameter mussten stimmen. Mit anderen gemeinsam in einem Restaurant zu zitzen, hasste Reindeer. Die übrigen frühen Gäste, ein Kegelclub aus Recklinghausen und ein Rugby-Team aus Southampton, lagen bereits abgeschlagen zurück. Sich an die "Sitzung" zu halten, kam für Reindeer nicht in Frage. Santa hatte ihn nicht umsonst Zappelrudolph genannt. Eine Frechheit. Anyway. Reindeer nahm sich vor, nicht mehr an den Job zu denken. Er war schließlich hier, um mal richtig auszuspannen. Lassen Sie sich verwöhnen. Wie stets, machte sich Reindeer zuerst übers Dessert her. Die Rugby-Spieler, er konnte es aus den Augenwinkeln sehen, waren noch dabei, ihre Getränke zu bestellen. Stupid Boys. Der Kegelclub stritt mit dem Oberkellner über die zugewiesenen Tische. Die Recklinghausener wollten nicht unter dem Ventialtor neben dem Kücheneingang Platz nehmen. Stupid Germans.
Rudolph the Red-Nosed Reindeer rannte zum Riu-Buffett. Das All-inclusive-Bändchen trug er am Geweih. Er hatte sich für die erste Dinnersitzung um 18 Uhr entschieden. Wenn er später aß, bekam er Blähungen. Die spanische Hotelkette hatte bei Tripadvisor erstaunlich gute Bewertungen fürs Catering bekommen. Reindeer war gespannt. Den Kinderpool hatte er den ganzen Tag erfolgreich verteidigt. Nun ging es darum, im Speisesaal Nägel mit Köpfen zu machen. Reindeer gluckste beglückt. Er war fuzzy mit seinen Mahlzeiten. Bestimmte Parameter mussten stimmen. Mit anderen gemeinsam in einem Restaurant zu zitzen, hasste Reindeer. Die übrigen frühen Gäste, ein Kegelclub aus Recklinghausen und ein Rugby-Team aus Southampton, lagen bereits abgeschlagen zurück. Sich an die "Sitzung" zu halten, kam für Reindeer nicht in Frage. Santa hatte ihn nicht umsonst Zappelrudolph genannt. Eine Frechheit. Anyway. Reindeer nahm sich vor, nicht mehr an den Job zu denken. Er war schließlich hier, um mal richtig auszuspannen. Lassen Sie sich verwöhnen. Wie stets, machte sich Reindeer zuerst übers Dessert her. Die Rugby-Spieler, er konnte es aus den Augenwinkeln sehen, waren noch dabei, ihre Getränke zu bestellen. Stupid Boys. Der Kegelclub stritt mit dem Oberkellner über die zugewiesenen Tische. Die Recklinghausener wollten nicht unter dem Ventialtor neben dem Kücheneingang Platz nehmen. Stupid Germans.
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Eltern haben den Nachteil, die Wohnung mit ihren Zöglingen zu teilen. Click und Footer verfielen ins Grübeln. Bis Click die Idee mit dem Taubenschlag kam. Als erstes kauften sie die Ringe. Komplett identisch. Aus einem Kaugummiautomaten. Jeder der Drillinge sollte die gleichen Chancen haben.
Eltern haben den Nachteil, die Wohnung mit ihren Zöglingen zu teilen. Click und Footer verfielen ins Grübeln. Bis Click die Idee mit dem Taubenschlag kam. Als erstes kauften sie die Ringe. Komplett identisch. Aus einem Kaugummiautomaten. Jeder der Drillinge sollte die gleichen Chancen haben.
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Pardon, sagte Jesus, ich habe mich verwählt.
Obwohl er sofort, gleich nach dem ersten Wort, das Bild auf Skype weggedrückt hatte, war sein Gesicht kurz auf dem Bildschirm Fatimas aufgeploppt. Unverwechselbare Züge. Ein Rebell wie aus dem Che-Guevara-Bilderbuch. Von NSA und GCHQ gesucht. Es hieß, er wohnte mit Snowden in einer WG. Irgendwo in Skandinavien. Trotz der Geheimratsecken umwerfende Locken. Die Girls von Sex and the City hätten dafür gemordet. Älter, dachte Fatima, aber nicht weniger attraktiv. Warum Jesus nicht Tox benutzte, war ihr schleierhaft. Vielleicht dachte er, keiner würde ihn für so naiv halten. Fatima erinnerte sich an die Juni-Nacht in Jerusalem. Als liefe ein Film in Zeitraffer ab. Der Falafel-Laden, eher Imbiss als Restaurant. Bessere Kichererbsen hatte sie niemals gegessen. Jesus hatte ihr seine Freunde, Yotam und Sami, vorgestellt und sich als Jünger der beiden Falafel-Köche geoutet. Der junge Jesus hatte wahnsinnige Slow-Food-Pläne gehabt. Frieden geht durch den Magen, hatte er zu ihr gesagt. Wer zusammen warm isst, macht sich nicht anschließend kalt. Dann hatte Jesus sie geküsst. Das erste Mal. Leicht und leidenschaftlich. Voller Lust. Yotam und Sami hatten applaudiert. Sami hatte zu Yotam gesagt, Jesus lässt nicht lenghi was anbrennen. Yotam hatte, als Erwiderung, Goethe zitiert: Sage mir, was mein Herz begehrt? Mein Herz ist bei dir, halt es wert! Ihr war das Herz prompt ins Höschen gerutscht. Und das war erst der Anfang des Abends gewesen.
Fatima überlegte, ob sie Paul erzählen sollte, dass sie seinen Vater gesehen hatte. Paul lebte seit einem halben Jahr in Seville. Er spielte im West-Eastern Divan Orchestra die Klarinette.
Pardon, sagte Jesus, ich habe mich verwählt.
Obwohl er sofort, gleich nach dem ersten Wort, das Bild auf Skype weggedrückt hatte, war sein Gesicht kurz auf dem Bildschirm Fatimas aufgeploppt. Unverwechselbare Züge. Ein Rebell wie aus dem Che-Guevara-Bilderbuch. Von NSA und GCHQ gesucht. Es hieß, er wohnte mit Snowden in einer WG. Irgendwo in Skandinavien. Trotz der Geheimratsecken umwerfende Locken. Die Girls von Sex and the City hätten dafür gemordet. Älter, dachte Fatima, aber nicht weniger attraktiv. Warum Jesus nicht Tox benutzte, war ihr schleierhaft. Vielleicht dachte er, keiner würde ihn für so naiv halten. Fatima erinnerte sich an die Juni-Nacht in Jerusalem. Als liefe ein Film in Zeitraffer ab. Der Falafel-Laden, eher Imbiss als Restaurant. Bessere Kichererbsen hatte sie niemals gegessen. Jesus hatte ihr seine Freunde, Yotam und Sami, vorgestellt und sich als Jünger der beiden Falafel-Köche geoutet. Der junge Jesus hatte wahnsinnige Slow-Food-Pläne gehabt. Frieden geht durch den Magen, hatte er zu ihr gesagt. Wer zusammen warm isst, macht sich nicht anschließend kalt. Dann hatte Jesus sie geküsst. Das erste Mal. Leicht und leidenschaftlich. Voller Lust. Yotam und Sami hatten applaudiert. Sami hatte zu Yotam gesagt, Jesus lässt nicht lenghi was anbrennen. Yotam hatte, als Erwiderung, Goethe zitiert: Sage mir, was mein Herz begehrt? Mein Herz ist bei dir, halt es wert! Ihr war das Herz prompt ins Höschen gerutscht. Und das war erst der Anfang des Abends gewesen.
Fatima überlegte, ob sie Paul erzählen sollte, dass sie seinen Vater gesehen hatte. Paul lebte seit einem halben Jahr in Seville. Er spielte im West-Eastern Divan Orchestra die Klarinette.
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Als sie sich erneut trafen, mehr als fünfzig Jahre später, gab es kein Halten mehr. Sie schnitten die Sicherheitsgurte aus dem VW-Transporter. Malten eine Sonnenblume auf den Kühler. Kauften Hasch für mindestens drei Wochen. Ein Ziel? Hatten sie, anfangs, nicht. Das änderte sich beim Überqueren des Brenners. Ihnen, die zusammen auf dem Fahrersitz saßen, eng an eng, sie mussten sich spüren, wollten beim ablässigen Küssen den kürzesten Abstand überwinden, ihnen wurde allmählich klar, dass es an der Zeit war, die grundsätzlich bestehenden Möglichkeiten der Erkenntnisgewinnung zu überdenken. Die gesellschaftliche Sprengkraft ihrer Epistemologie wollten sie in Lampedusa erproben. Das Leben war das Licht der Menschen, sagte sie. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, sagte er. Und die Finsternis hat es nicht erfasst, sagten sie, Mund an Mund, Wort an Wort.
Als sie sich erneut trafen, mehr als fünfzig Jahre später, gab es kein Halten mehr. Sie schnitten die Sicherheitsgurte aus dem VW-Transporter. Malten eine Sonnenblume auf den Kühler. Kauften Hasch für mindestens drei Wochen. Ein Ziel? Hatten sie, anfangs, nicht. Das änderte sich beim Überqueren des Brenners. Ihnen, die zusammen auf dem Fahrersitz saßen, eng an eng, sie mussten sich spüren, wollten beim ablässigen Küssen den kürzesten Abstand überwinden, ihnen wurde allmählich klar, dass es an der Zeit war, die grundsätzlich bestehenden Möglichkeiten der Erkenntnisgewinnung zu überdenken. Die gesellschaftliche Sprengkraft ihrer Epistemologie wollten sie in Lampedusa erproben. Das Leben war das Licht der Menschen, sagte sie. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, sagte er. Und die Finsternis hat es nicht erfasst, sagten sie, Mund an Mund, Wort an Wort.
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Der Mais wuchs in dem Jahr, um das es gehen soll, dem, wie es in Erinnerung des Stammes hieß, Dunklem Jahr des Blutes, in dem ausgerechnet meine Großmutter, ein Mädchen ohne Vater, auf die Welt kam, sehr, sehr langsam. Um genau zu sein: eigentlich wuchsen die Maiskolben gar nicht. Allein mein Urgroßvater, ein schweigsamer Hagestolz, der am Rande des Dorfes, unweit der Latrine, mit seinen sieben Kindern und mindestens zwei Frauen wohnte, hatte als ewiger Skeptiker vorgesorgt. In Urgroßvaters drei Kellern stapelten sich Öl und Hirse, getrocknete Pflaumen und hing gepökelter Fisch wie Spinnweben von der Decke. Er, der die Fähre bediente, hatte im Dorf weder Freunde noch Verwandte. Ein großer, jähzorniger Mann. Großvater war ein Eigenbrötler. Selbst das Brot der Familie buk er daheim. Als das Eis kam und die Angler ohne Fang blieben, versammelte mein Urgroßvater die Familie um sich. Sie hätten zu klagen, laut, nocht lauter als die Nachbarn, zu jammern wie die anderen, mehr noch als die anderen, warnte er die Familie, niemand aus der Familie sollte draußen den Anschein erwecken, satt zu sein, im Gegenteil, sie müssten jetzt, trotz der vollen Keller, gefälligst darben, an Gewicht verlieren. Verlören sie nicht an Gewicht, kämen die anderen auf schreckliche Gedanken, sagte er und sah die Kinder der Reihe nach an. Er, Urgroßvater zeigte einen Schlüssel, sei von nun an der Einzige, der ihnen ihre Rationen zuweisen würde. Seine beiden Frauen blickten sich an und schüttelten missmutig die Köpfe.
Der Mais wuchs in dem Jahr, um das es gehen soll, dem, wie es in Erinnerung des Stammes hieß, Dunklem Jahr des Blutes, in dem ausgerechnet meine Großmutter, ein Mädchen ohne Vater, auf die Welt kam, sehr, sehr langsam. Um genau zu sein: eigentlich wuchsen die Maiskolben gar nicht. Allein mein Urgroßvater, ein schweigsamer Hagestolz, der am Rande des Dorfes, unweit der Latrine, mit seinen sieben Kindern und mindestens zwei Frauen wohnte, hatte als ewiger Skeptiker vorgesorgt. In Urgroßvaters drei Kellern stapelten sich Öl und Hirse, getrocknete Pflaumen und hing gepökelter Fisch wie Spinnweben von der Decke. Er, der die Fähre bediente, hatte im Dorf weder Freunde noch Verwandte. Ein großer, jähzorniger Mann. Großvater war ein Eigenbrötler. Selbst das Brot der Familie buk er daheim. Als das Eis kam und die Angler ohne Fang blieben, versammelte mein Urgroßvater die Familie um sich. Sie hätten zu klagen, laut, nocht lauter als die Nachbarn, zu jammern wie die anderen, mehr noch als die anderen, warnte er die Familie, niemand aus der Familie sollte draußen den Anschein erwecken, satt zu sein, im Gegenteil, sie müssten jetzt, trotz der vollen Keller, gefälligst darben, an Gewicht verlieren. Verlören sie nicht an Gewicht, kämen die anderen auf schreckliche Gedanken, sagte er und sah die Kinder der Reihe nach an. Er, Urgroßvater zeigte einen Schlüssel, sei von nun an der Einzige, der ihnen ihre Rationen zuweisen würde. Seine beiden Frauen blickten sich an und schüttelten missmutig die Köpfe.
130
Neben Thomas Mann aufzuwachen, hatte durchaus Nachteile. Oder sagen wir lieber: Nacht-Teile. Der Aufstand, wie Mann es siegesgewiss nannte, musste am Morgen mit aller Macht niedergeschlagen werden. Die Revolution tötet eben ihre Kinder, sagte Mann, nach getaner Arbeit. Was am Anfang komisch klang, verlor nach Wochen, Monaten, ja Jahren mühseliger Handreichung für das Sextett zunehmend an Witz. Eine Reise nach Venedig, man legte für den Zauberer zusammen, sollte für Abwechslung sorgen. Ein Geburtstagsgeschenk. Ein Einzelzimmer. Ein, wie sich zeigen sollte, Desaster. Mit literarischen Folgen.
Neben Thomas Mann aufzuwachen, hatte durchaus Nachteile. Oder sagen wir lieber: Nacht-Teile. Der Aufstand, wie Mann es siegesgewiss nannte, musste am Morgen mit aller Macht niedergeschlagen werden. Die Revolution tötet eben ihre Kinder, sagte Mann, nach getaner Arbeit. Was am Anfang komisch klang, verlor nach Wochen, Monaten, ja Jahren mühseliger Handreichung für das Sextett zunehmend an Witz. Eine Reise nach Venedig, man legte für den Zauberer zusammen, sollte für Abwechslung sorgen. Ein Geburtstagsgeschenk. Ein Einzelzimmer. Ein, wie sich zeigen sollte, Desaster. Mit literarischen Folgen.
131
Armseligkeit. Toto kratzte sich am Nacken, der nach verschwitzten Socken roch. Gäbe es einen Preis für das verlogenste Wort, Armseligkeit hätte, ginge es nach ihr, gute Chancen, zu gewinnen. Toto betrachtete die reichen Wutbürger. Unideale Idealisten. NGO-Arroganzarschlöcher. Kamen, um was zu erleben. Aufregung für ein halbes Jahr. Maximal. Kamen, um sich besonders zu fühlen. Besser als daheim. Sprachen mit trockenen Zungen. Trocken wie Seidenpapier. Sprachen von Authentizität und Selbstbestimmung. Fassten nichts und niemanden an. Nicht freiwillig. Kneifzangen im Hirn. Aber ließen sich bedienen. Von hinten und vorne. Heute Nacht würde sie handeln. Toto lächelte erst den Wachmann, dann den Fahrer und schließlich den Botschafter an. In ihrem Stiefel steckte Mills On Liberty. Die beste Munition, die es gab.
Armseligkeit. Toto kratzte sich am Nacken, der nach verschwitzten Socken roch. Gäbe es einen Preis für das verlogenste Wort, Armseligkeit hätte, ginge es nach ihr, gute Chancen, zu gewinnen. Toto betrachtete die reichen Wutbürger. Unideale Idealisten. NGO-Arroganzarschlöcher. Kamen, um was zu erleben. Aufregung für ein halbes Jahr. Maximal. Kamen, um sich besonders zu fühlen. Besser als daheim. Sprachen mit trockenen Zungen. Trocken wie Seidenpapier. Sprachen von Authentizität und Selbstbestimmung. Fassten nichts und niemanden an. Nicht freiwillig. Kneifzangen im Hirn. Aber ließen sich bedienen. Von hinten und vorne. Heute Nacht würde sie handeln. Toto lächelte erst den Wachmann, dann den Fahrer und schließlich den Botschafter an. In ihrem Stiefel steckte Mills On Liberty. Die beste Munition, die es gab.
132
Die Nacht kam schneller als die Springflut. Als Eric Snyder, ein 39-jähriger, erfolgloser Rechtsanwalt aus Palm Springs, um die Ecke bog, er fuhr die Strecke, seinen Nachhauseweg, von der Geliebten und den Kindern zur Ehefrau und den Kindern, beinahe blind, war es von einer Sekunde zur nächsten zappenduster. Doch damit nicht genug. Auf der Mitte der Fahrbahn stand ein Riesenteddy, der eine beleuchtete Wodkaflasche schwenkte.
Die Nacht kam schneller als die Springflut. Als Eric Snyder, ein 39-jähriger, erfolgloser Rechtsanwalt aus Palm Springs, um die Ecke bog, er fuhr die Strecke, seinen Nachhauseweg, von der Geliebten und den Kindern zur Ehefrau und den Kindern, beinahe blind, war es von einer Sekunde zur nächsten zappenduster. Doch damit nicht genug. Auf der Mitte der Fahrbahn stand ein Riesenteddy, der eine beleuchtete Wodkaflasche schwenkte.
133
Der Taxifahrer fuhr los und schaltete das Dachlicht und Metropol FM wieder an. Tarkan Şımarıks Kiss Kiss verbesserte die Laune des Fahrers, der, wie schon die ganze Nacht über, wieder kein Trinkgeld bekommen hatte. Takmis koluna elin adamini, Beni orta yerimden catlatiyor, Agzinda sakizi sisirip sisirip, Arsiz arsiz patlatiyor. Emilie Haberland, die eben noch, dösend und furzend, im Taxi gesessen hatte, ordnete, mit sich selbst sprechend, ihre Plastiktüten. Klitschko stand bereits am offenen Fenster. Er hatte den Wagen gehört. Es war kurz nach sechs, ein ruhiger Samstagmorgen. Das heruntergefallene Laub verwandelte sich auf dem Gehweg in Matsch. Die Farben, das leuchtende Rot, das morbid-heitere Gelb, das fadenscheinige Grün, verschwanden. Hinter Klitschko, der eigentlich Thorsten-Johannes Maria Schmidtchen hieß, stand eine Frau. Nackt. Vierzig Jahre jünger als Klitschko. Zwanzig Zentimeter größer. Emilie Haberland, die eigentlich Galina Sorokina hieß, grüßte Klitschko mit der linken Krücke. Die Nackte trat etwas beiseite, in den Halbschatten des Zimmers. Auf der anderen Seite der Straße verharrte der Zeitungsausteiler. Ob er die junge Frau erblickt hatte, blieb unklar. Dass gegenüber keine Zeitungen auszuteilen waren, sprach dafür, dass er sie gesehen haben musste. Klitschko leckte sich die Lippen. Mal sehen, dachte er, was Galina diesmal verlangt. Eins musste man ihr lassen: die Pinsel und Schnuller waren von gleichbleibender Qualität. Die alte Elster wusste, wo es den gefährlichsten со́ска gab.
Der Taxifahrer fuhr los und schaltete das Dachlicht und Metropol FM wieder an. Tarkan Şımarıks Kiss Kiss verbesserte die Laune des Fahrers, der, wie schon die ganze Nacht über, wieder kein Trinkgeld bekommen hatte. Takmis koluna elin adamini, Beni orta yerimden catlatiyor, Agzinda sakizi sisirip sisirip, Arsiz arsiz patlatiyor. Emilie Haberland, die eben noch, dösend und furzend, im Taxi gesessen hatte, ordnete, mit sich selbst sprechend, ihre Plastiktüten. Klitschko stand bereits am offenen Fenster. Er hatte den Wagen gehört. Es war kurz nach sechs, ein ruhiger Samstagmorgen. Das heruntergefallene Laub verwandelte sich auf dem Gehweg in Matsch. Die Farben, das leuchtende Rot, das morbid-heitere Gelb, das fadenscheinige Grün, verschwanden. Hinter Klitschko, der eigentlich Thorsten-Johannes Maria Schmidtchen hieß, stand eine Frau. Nackt. Vierzig Jahre jünger als Klitschko. Zwanzig Zentimeter größer. Emilie Haberland, die eigentlich Galina Sorokina hieß, grüßte Klitschko mit der linken Krücke. Die Nackte trat etwas beiseite, in den Halbschatten des Zimmers. Auf der anderen Seite der Straße verharrte der Zeitungsausteiler. Ob er die junge Frau erblickt hatte, blieb unklar. Dass gegenüber keine Zeitungen auszuteilen waren, sprach dafür, dass er sie gesehen haben musste. Klitschko leckte sich die Lippen. Mal sehen, dachte er, was Galina diesmal verlangt. Eins musste man ihr lassen: die Pinsel und Schnuller waren von gleichbleibender Qualität. Die alte Elster wusste, wo es den gefährlichsten со́ска gab.
134
Als ihr Herausforderer, in der Elefantenrunde, sie, als einzige Frau, unter lauter Männer, als ihr Herausforderer behauptete, gewonnen zu haben, und, die Zähne fletschend, insistierte, dass niemand außer ihm in der Lage sei, eine stabile Regierung zu bilden, als ihr Herausforderer, sich mit den Moderatoren kabbelnd, krawallig daran festhielt, weiter Bundeskanzler bleiben zu wollen, obwohl die Zahlen auf ihrer Seite waren, wurde ihr klar, dass sie das Land über Jahrzehnte im Griff haben würde. Fest im Griff. Niemand würde diesen Auftritt jemals vergessen. Ihr Gegner hatte sich und seine Partei nicht allein ins Abseits gestellt, er hatte sich vielmehr selbst die Rote Karte gegeben. Rote Karte, dachte sie, wie passend. Sie lächelte. Wenn mich jetzt noch die Amerikaner ausspähen, ist die Sache geritzt. Gleich morgen würde sie in Pullach anrufen.
Als ihr Herausforderer, in der Elefantenrunde, sie, als einzige Frau, unter lauter Männer, als ihr Herausforderer behauptete, gewonnen zu haben, und, die Zähne fletschend, insistierte, dass niemand außer ihm in der Lage sei, eine stabile Regierung zu bilden, als ihr Herausforderer, sich mit den Moderatoren kabbelnd, krawallig daran festhielt, weiter Bundeskanzler bleiben zu wollen, obwohl die Zahlen auf ihrer Seite waren, wurde ihr klar, dass sie das Land über Jahrzehnte im Griff haben würde. Fest im Griff. Niemand würde diesen Auftritt jemals vergessen. Ihr Gegner hatte sich und seine Partei nicht allein ins Abseits gestellt, er hatte sich vielmehr selbst die Rote Karte gegeben. Rote Karte, dachte sie, wie passend. Sie lächelte. Wenn mich jetzt noch die Amerikaner ausspähen, ist die Sache geritzt. Gleich morgen würde sie in Pullach anrufen.
135
Tantes Erbe? Du machst wohl Wi...
... tzetze, Chicolino. Hast du mir nicht zugehört? Die Familie ...
... bleibt außen vor.
Genau.
Gar nicht genau. Als Lucca die Familie brauchte, wo war sie da? Sag mir das, Sandy. Gebettelt hat er. Wie ein Tier auf dem Weg zum Metzger.
Du übertreibst, Chicolino. Lucca hätte Blondi nicht anfassen sollen. Blondi war tabu. Wer wildert, darf sich nicht wundern, wenn aus dem Hochsitz geschossen wird.
Schüsse wären menschlich gewesen. Ich habe Lucas gefunden. Nicht du. Du hast gut reden. Und Blondi war, um in deinem Bild zu bleiben, Freiwild. Nicht einer hat sie nicht gehabt. Selbst Ratte hat sie rangelassen.
Genug, Chicolino. Solche Sachen solltest du nicht sagen. Nicht mal denken solltest du die. Blondi war ein Unschuldsengel, so sehe ich das.
Ein vom Wege abgekommener.
Lucca war der vom Wege Abgekommene. Keinen Schimmer, was ihn geritten hat. Das sollte dir eine Warnung sein. Anstatt über Tante und das Erbe zu schwadronieren, der Herr habe sie selig, solltest du deine Hausaufgaben machen. Chicolino, du hast doch Verstand. Mehr als die anderen. Marcella, das dürfte dir nicht entgangen sein, hat ein Auge auf dich geworfen. Sie ist nicht Miss Beauty, wohl wahr. Aber Marcella hat das Ohr des Patrone. Die Sachen fügen sich, wenn du Geduld hast. Sobald die Kontrolleure auftauchen - und glaube mir, die kommen, Tante hatte Dreck am Stecken -, wird Marcella dein Ticket sein. Wir alle profitieren, wenn du ...
... ach, jetzt kommen wir allmählich der Wahrheit näher. Du Hurensohn! Die eigene Mutter! Tante war so jung! Wie konntest du dich nur darauf einlassen?
Ich? Mich einlassen? Was faselst du da, Chicolino? Nimm gefälligst die Knarre runter!
Tantes Erbe? Du machst wohl Wi...
... tzetze, Chicolino. Hast du mir nicht zugehört? Die Familie ...
... bleibt außen vor.
Genau.
Gar nicht genau. Als Lucca die Familie brauchte, wo war sie da? Sag mir das, Sandy. Gebettelt hat er. Wie ein Tier auf dem Weg zum Metzger.
Du übertreibst, Chicolino. Lucca hätte Blondi nicht anfassen sollen. Blondi war tabu. Wer wildert, darf sich nicht wundern, wenn aus dem Hochsitz geschossen wird.
Schüsse wären menschlich gewesen. Ich habe Lucas gefunden. Nicht du. Du hast gut reden. Und Blondi war, um in deinem Bild zu bleiben, Freiwild. Nicht einer hat sie nicht gehabt. Selbst Ratte hat sie rangelassen.
Genug, Chicolino. Solche Sachen solltest du nicht sagen. Nicht mal denken solltest du die. Blondi war ein Unschuldsengel, so sehe ich das.
Ein vom Wege abgekommener.
Lucca war der vom Wege Abgekommene. Keinen Schimmer, was ihn geritten hat. Das sollte dir eine Warnung sein. Anstatt über Tante und das Erbe zu schwadronieren, der Herr habe sie selig, solltest du deine Hausaufgaben machen. Chicolino, du hast doch Verstand. Mehr als die anderen. Marcella, das dürfte dir nicht entgangen sein, hat ein Auge auf dich geworfen. Sie ist nicht Miss Beauty, wohl wahr. Aber Marcella hat das Ohr des Patrone. Die Sachen fügen sich, wenn du Geduld hast. Sobald die Kontrolleure auftauchen - und glaube mir, die kommen, Tante hatte Dreck am Stecken -, wird Marcella dein Ticket sein. Wir alle profitieren, wenn du ...
... ach, jetzt kommen wir allmählich der Wahrheit näher. Du Hurensohn! Die eigene Mutter! Tante war so jung! Wie konntest du dich nur darauf einlassen?
Ich? Mich einlassen? Was faselst du da, Chicolino? Nimm gefälligst die Knarre runter!
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Am Himmel, der Stern. Glänzt, er leuchtet. Dir, als Gruß. Von mir. Empfangen. Auf stets. Sei gegrüßt, aus der Ferne. Nah bei mir. Ich buche. Halte dich. Mich bereit. Für uns. One way. If this is okay.
Am Himmel, der Stern. Glänzt, er leuchtet. Dir, als Gruß. Von mir. Empfangen. Auf stets. Sei gegrüßt, aus der Ferne. Nah bei mir. Ich buche. Halte dich. Mich bereit. Für uns. One way. If this is okay.
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1 Leistungen von High FC Kiffen 09 Helsinki 1.1 Kiffgebote und Zubratzdienste 1.1.1 High FC Kiffen 09 Helsinki Deutschland & Co. KG (im Folgenden: FC Kiffen) stellt dem ABConnenten das vereinbarte Pro-Gramm-Angebot sowie den Zugang zu den verfügbaren Zubratzdiensten (derzeit insb. FC Küssen) nach Maßgabe dieser Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Verfügung. Zum Empfang der HighD Inhalte ist der ABConnent nur nach Buch- und Versuchung des entsprechenden FC Kiffen Pro-Gramm-Angebotes berächtigt. 1.1.2 Bei der inhaltlichen Gestaltung sowie Abänderung und Anpassung der einzelnen Kanülen, Pro-Gramm-Pakete und Kakkonenkombinationen ist FC Kiffen frei, solange der Gesamtcharakter einer Kanüle, eines Pro-Gramm-Pakets bzw. einer Kakkonenkombination erhighten bleibt. 1.1.3 Der ABConnent erkennt an, dass FC Kiffen für den redaktionellen Hinterhalt der von FC Kiffen zur Verfügung gestellten Pro-Gramm-Kanüle nicht verantwortlich ist, sofern diese von Dritten verunstaltet werden. Er kennt darüber highnaus an, dass der Pro-Gramm-Inhalt von Sportkanülen und Kakkonenpaketen saisonal bedrängt bzw. abhänglich von der Verfuckbarkeit der jeweiligen Pro-Gramm-Rechte für FC Kiffen variieren kann.
1 Leistungen von High FC Kiffen 09 Helsinki 1.1 Kiffgebote und Zubratzdienste 1.1.1 High FC Kiffen 09 Helsinki Deutschland & Co. KG (im Folgenden: FC Kiffen) stellt dem ABConnenten das vereinbarte Pro-Gramm-Angebot sowie den Zugang zu den verfügbaren Zubratzdiensten (derzeit insb. FC Küssen) nach Maßgabe dieser Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Verfügung. Zum Empfang der HighD Inhalte ist der ABConnent nur nach Buch- und Versuchung des entsprechenden FC Kiffen Pro-Gramm-Angebotes berächtigt. 1.1.2 Bei der inhaltlichen Gestaltung sowie Abänderung und Anpassung der einzelnen Kanülen, Pro-Gramm-Pakete und Kakkonenkombinationen ist FC Kiffen frei, solange der Gesamtcharakter einer Kanüle, eines Pro-Gramm-Pakets bzw. einer Kakkonenkombination erhighten bleibt. 1.1.3 Der ABConnent erkennt an, dass FC Kiffen für den redaktionellen Hinterhalt der von FC Kiffen zur Verfügung gestellten Pro-Gramm-Kanüle nicht verantwortlich ist, sofern diese von Dritten verunstaltet werden. Er kennt darüber highnaus an, dass der Pro-Gramm-Inhalt von Sportkanülen und Kakkonenpaketen saisonal bedrängt bzw. abhänglich von der Verfuckbarkeit der jeweiligen Pro-Gramm-Rechte für FC Kiffen variieren kann.
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Sie hat, ich muss es Dir gleich eingestehen, mal wieder Recht behalten. Nicht juristisch. Der Prozess ging verloren. Mit Pauken und Trompeten. Die Richterin, eine vollgefressene Burgerqueen, schmutzige Fisselhaare, ungepflegte Fingernägel, hätte sie, behauptet sie, Du kennst unsere Diva ja, hätte sie verurteilt, weil sie schlank gewesen sei, frisch von Hanley's gekommen sei und ein französisches Kostüm ohne BH getragen habe. Sie hat die Strafe, wortwörtlich, aus der Portokasse bezahlt. Für die Fotografenmeute hatte sie eine mit Diamanten besetzte Schatulle dabei, auf der dick und fett Portokasse stand. Demonstrativ hat sie die 14.900 Euro der Richterin vor die Füße geworfen. Ein Auftritt wie aus der Bunten. Der Kollege vom Stern hat sich, sie muss es ihm vorab gesteckt haben, dafür rücklings aufs Linoleum gelegt. In den Dreck. Aber ein Cover-Foto. Wenn die Hamburger damit nicht aufmachen, sind sie total bescheuert. Was dann passierte, das habe ich in meiner langen Karriere noch nicht erlebt. Der reine Wahnsinn.
Sie hat, ich muss es Dir gleich eingestehen, mal wieder Recht behalten. Nicht juristisch. Der Prozess ging verloren. Mit Pauken und Trompeten. Die Richterin, eine vollgefressene Burgerqueen, schmutzige Fisselhaare, ungepflegte Fingernägel, hätte sie, behauptet sie, Du kennst unsere Diva ja, hätte sie verurteilt, weil sie schlank gewesen sei, frisch von Hanley's gekommen sei und ein französisches Kostüm ohne BH getragen habe. Sie hat die Strafe, wortwörtlich, aus der Portokasse bezahlt. Für die Fotografenmeute hatte sie eine mit Diamanten besetzte Schatulle dabei, auf der dick und fett Portokasse stand. Demonstrativ hat sie die 14.900 Euro der Richterin vor die Füße geworfen. Ein Auftritt wie aus der Bunten. Der Kollege vom Stern hat sich, sie muss es ihm vorab gesteckt haben, dafür rücklings aufs Linoleum gelegt. In den Dreck. Aber ein Cover-Foto. Wenn die Hamburger damit nicht aufmachen, sind sie total bescheuert. Was dann passierte, das habe ich in meiner langen Karriere noch nicht erlebt. Der reine Wahnsinn.
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Ihr dreht die mit einem Viertel Benzin, zwei Viertel Öl und einem Viertel Kaffeesatz gefüllte Flasche so zu. Schön schließen! Nichts übereilen! Die Kindergärtnerin hielt eine Club-Mate-Flasche hoch, machte es geduldig vor und nickte den Kleinen aufmunternd zu. Sie wusste aus Erfahrung, dass die Kinder nur hochguckten, wenn sie für die Demonstration Bionade- oder Club-Mate-Pullen benutzte. Seid sehr, sehr vorsichtig! Eure Eltern mögen keine Flecken auf dem Echtholzparkett. Sonst bekommt ihr iPad-Verbot!
Die Kinder lachten. iPad-Verbot? Das war so unwahrscheinlich wie ein Samstag ohne den Besuch des Biomarktes am Kollwitzplatz.
Her-me-tisch, sagte die Kindergärtnerin, das Wort dehnend. Die Kindergärtnerin war angehalten, Fremdwörter zu benutzen. Man verstand sich am Elisabeth-Kirchweg als Elite. Her-me-tisch! So dass keine Flüssigkeit entweichen kann. Die Kindergärtnerin ging zu Anne-Sophie-Lindgren und korrigierte das kleine Mädchen. Anne-Sophie-Lindgren hatte eine akute Bastelschwäche, konnte aber sehr gut Yoga, da sie mit ihrer Mutter jeden Abend drei Stunden verbissen übte. Statt ein Band aus Stoff in die Flasche zu stecken, sagte die Kindergärtnerin und strich Hansi-Muhamed-Anderson, ihrem Liebling, über die schwarzen Locken, bindet ihr zwei Wunderkerzen mit Klebeband um die Flasche. Sehr gut, Erich-Junior-Kästner, genau! Super!
Die Kinder, die neben Erich-Junior-Kästner saßen, Klausi-Maria-Brandauer und Elfriede-Traugott-Jelineck, stießen sich unter dem Tisch an. Klausi-Maria-Brandauer und Elfriede-Traugott-Jelineck verachteten Erich-Junior-Kästner, der aus Hannover stammte und behauptete, die kestner gesellschaft sei nach ihm benannt worden. Klausi-Maria-Brandauer und Elfriede-Traugott-Jelineck hatten auf ihren iPads herausgefunden, dass sich die kestner gesellschaft mit e schrieb. Von da an war Erich-Junior-Kästner bei ihnen unten durch.
Ihr legt, sagte die Kindergärtnerin, zwischen Wunderkerze und Glas einen Streifen aus Pappe. Nicht vergessen! Passt schön auf! Die Kindergärtnerin bemerkte, dass Hansi-Muhamed-Anderson die Augen geschlossen hatte, er nuckelte an seinem linken Daumen. Sie ließ ihren Liebling schlafen. Ansonsten, die Kindergärtnerin sprach etwas leiser, um Hansi-Muhamed-Anderson nicht zu wecken, ansonsten zerbricht das Glas durch Hitzespannungen. Beim Entzünden werden die Wunderkerzen 1000°C warm. So jetzt gehen wir raus. Zur Baustelle.
Die Kinder murrten
Das wird gleich ganz toll funkeln, sagte die Kindergärtnerin. Die iPads bleiben hier.
Ihr dreht die mit einem Viertel Benzin, zwei Viertel Öl und einem Viertel Kaffeesatz gefüllte Flasche so zu. Schön schließen! Nichts übereilen! Die Kindergärtnerin hielt eine Club-Mate-Flasche hoch, machte es geduldig vor und nickte den Kleinen aufmunternd zu. Sie wusste aus Erfahrung, dass die Kinder nur hochguckten, wenn sie für die Demonstration Bionade- oder Club-Mate-Pullen benutzte. Seid sehr, sehr vorsichtig! Eure Eltern mögen keine Flecken auf dem Echtholzparkett. Sonst bekommt ihr iPad-Verbot!
Die Kinder lachten. iPad-Verbot? Das war so unwahrscheinlich wie ein Samstag ohne den Besuch des Biomarktes am Kollwitzplatz.
Her-me-tisch, sagte die Kindergärtnerin, das Wort dehnend. Die Kindergärtnerin war angehalten, Fremdwörter zu benutzen. Man verstand sich am Elisabeth-Kirchweg als Elite. Her-me-tisch! So dass keine Flüssigkeit entweichen kann. Die Kindergärtnerin ging zu Anne-Sophie-Lindgren und korrigierte das kleine Mädchen. Anne-Sophie-Lindgren hatte eine akute Bastelschwäche, konnte aber sehr gut Yoga, da sie mit ihrer Mutter jeden Abend drei Stunden verbissen übte. Statt ein Band aus Stoff in die Flasche zu stecken, sagte die Kindergärtnerin und strich Hansi-Muhamed-Anderson, ihrem Liebling, über die schwarzen Locken, bindet ihr zwei Wunderkerzen mit Klebeband um die Flasche. Sehr gut, Erich-Junior-Kästner, genau! Super!
Die Kinder, die neben Erich-Junior-Kästner saßen, Klausi-Maria-Brandauer und Elfriede-Traugott-Jelineck, stießen sich unter dem Tisch an. Klausi-Maria-Brandauer und Elfriede-Traugott-Jelineck verachteten Erich-Junior-Kästner, der aus Hannover stammte und behauptete, die kestner gesellschaft sei nach ihm benannt worden. Klausi-Maria-Brandauer und Elfriede-Traugott-Jelineck hatten auf ihren iPads herausgefunden, dass sich die kestner gesellschaft mit e schrieb. Von da an war Erich-Junior-Kästner bei ihnen unten durch.
Ihr legt, sagte die Kindergärtnerin, zwischen Wunderkerze und Glas einen Streifen aus Pappe. Nicht vergessen! Passt schön auf! Die Kindergärtnerin bemerkte, dass Hansi-Muhamed-Anderson die Augen geschlossen hatte, er nuckelte an seinem linken Daumen. Sie ließ ihren Liebling schlafen. Ansonsten, die Kindergärtnerin sprach etwas leiser, um Hansi-Muhamed-Anderson nicht zu wecken, ansonsten zerbricht das Glas durch Hitzespannungen. Beim Entzünden werden die Wunderkerzen 1000°C warm. So jetzt gehen wir raus. Zur Baustelle.
Die Kinder murrten
Das wird gleich ganz toll funkeln, sagte die Kindergärtnerin. Die iPads bleiben hier.
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Schokolade ist die Mutter aller Körperfrüchte. Hatch gab Cornelius einen Wink. Im Saal wurde es dunkel.
Enjambement. Lars von Trier, im Hitchcock-Kostüm, erlegt einen Raben. Mit einer Steinschleuder. Vorm Grau des Himmels schimmert das Aquamarin des Steins. Der Jäger sitzt am Feuer. Reibt sich die Hände über den Flammen. Ein Rabenschwarm hat in den umliegenden Tannen Platz genommen. Der Atem des Jägers bildet eine Cumuluswolke, die wie eine Korona über ihm schwebt.
Enjambement. Aha payew. Die Cree haben AK47 vom Kredit der kanadischen Regierung gekauft. Der Däne hat als Zwischenhändler fungiert. Er wolle, hat der Däne erklärt, einen Film über einen Regisseur finanzieren, der als Zwischenhändler an einen kanadischen Stamm funktionsuntüchtige AK47 verkauft. Die Männer des Stamms würden ihn daraufhin quer über den Kontinent jagen.
Enjambement. Der tote Rabe steigt aus der Asche auf. Er öffnet die Flügel. Im Schnabel hält er den blaufunkelnden Edelstein. Zoom. Der Stein vewandelt sich in die Erde. Ein gewaltiges Gewitter über Nordamerika. Eine SAS Scandinavian-Maschine gerät in Turbulenzen. Die Pilotin sieht aus wie eine Mischung aus Michelle LaVaughn Robinson Obama und Hillary Diane Rodham Clinton. Sie gibt ihrer Copilotin Anweisungen.
Schokolade ist die Mutter aller Körperfrüchte. Hatch gab Cornelius einen Wink. Im Saal wurde es dunkel.
Enjambement. Lars von Trier, im Hitchcock-Kostüm, erlegt einen Raben. Mit einer Steinschleuder. Vorm Grau des Himmels schimmert das Aquamarin des Steins. Der Jäger sitzt am Feuer. Reibt sich die Hände über den Flammen. Ein Rabenschwarm hat in den umliegenden Tannen Platz genommen. Der Atem des Jägers bildet eine Cumuluswolke, die wie eine Korona über ihm schwebt.
Enjambement. Aha payew. Die Cree haben AK47 vom Kredit der kanadischen Regierung gekauft. Der Däne hat als Zwischenhändler fungiert. Er wolle, hat der Däne erklärt, einen Film über einen Regisseur finanzieren, der als Zwischenhändler an einen kanadischen Stamm funktionsuntüchtige AK47 verkauft. Die Männer des Stamms würden ihn daraufhin quer über den Kontinent jagen.
Enjambement. Der tote Rabe steigt aus der Asche auf. Er öffnet die Flügel. Im Schnabel hält er den blaufunkelnden Edelstein. Zoom. Der Stein vewandelt sich in die Erde. Ein gewaltiges Gewitter über Nordamerika. Eine SAS Scandinavian-Maschine gerät in Turbulenzen. Die Pilotin sieht aus wie eine Mischung aus Michelle LaVaughn Robinson Obama und Hillary Diane Rodham Clinton. Sie gibt ihrer Copilotin Anweisungen.
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Zögern Sie nicht! Hat Ihr Tag etwa keine 24 Stunden? Sondern nur 16? Vergeuden Sie freiwillig 20 Jahre Ihres Lebens? Regiert, frage ich Sie, regiert der Schlaf uns? Regieren wir ihn?
Betten werden noch angenommen, murmelte Justine, die die Rede ihrer Mutter aus dem Effeff herunterrattern konnte.
Betten werden noch angenommen, sagte, eine halbe Sekunde später, Hellga Schneyder. Das Doppel-LL des Vornamens hatte sich Hellga Schneyder Ende der 80er nach einem Goa-Besuch in den Pass eintragen lassen. Auf dem Kampagne-Bus prangte der Slogan Nie wieder Finsternis - wählt Hellga.
Justine drehte sich ab. Sie war totmüde. Anders als Hellga nahm sie weder Modafinil noch Kiddie-Coke.
Zu allem Unglück lauerte hinter der Bühne der Spiegel-Fotograf Jo Star. Hellga hatte dem Nachrichtenmagazin eine Home-Story versprochen. Strengen Sie sich erst gar nicht an, Jo, mich ins Bett zu kriegen, hatte Hellga Schneyder den Spiegel-Fotografen in Anwesenheit von Justine begrüßt, wir haben keins.
Zögern Sie nicht! Hat Ihr Tag etwa keine 24 Stunden? Sondern nur 16? Vergeuden Sie freiwillig 20 Jahre Ihres Lebens? Regiert, frage ich Sie, regiert der Schlaf uns? Regieren wir ihn?
Betten werden noch angenommen, murmelte Justine, die die Rede ihrer Mutter aus dem Effeff herunterrattern konnte.
Betten werden noch angenommen, sagte, eine halbe Sekunde später, Hellga Schneyder. Das Doppel-LL des Vornamens hatte sich Hellga Schneyder Ende der 80er nach einem Goa-Besuch in den Pass eintragen lassen. Auf dem Kampagne-Bus prangte der Slogan Nie wieder Finsternis - wählt Hellga.
Justine drehte sich ab. Sie war totmüde. Anders als Hellga nahm sie weder Modafinil noch Kiddie-Coke.
Zu allem Unglück lauerte hinter der Bühne der Spiegel-Fotograf Jo Star. Hellga hatte dem Nachrichtenmagazin eine Home-Story versprochen. Strengen Sie sich erst gar nicht an, Jo, mich ins Bett zu kriegen, hatte Hellga Schneyder den Spiegel-Fotografen in Anwesenheit von Justine begrüßt, wir haben keins.
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Omar Yilmaz, wischt sich den Mund sauber, er habe die junge Frau aus Maastricht aus Mitleid geheiratet, nachdem der Kämpfer, der eigentlich für Asicha auserwählt war, getötet wurde. In Kobane, ein Hinterhalt der Kurden. Diese feige Brut. Ungläubige. Ihr Allah war nicht sein Allah. Anstatt dankbar zu sein, habe Aischa dauernd mit ihrer Mutter telefoniert. Drei-, viermal am Tag. Monique hätte anschließend immer mit ihm sprechen wollen. Um die Sachen zu diskutieren. Aischa hätte ihm förmlich das Telefon aufgedrängt. Das wäre unter seiner Würde gewesen. Monique hätte einen Kasernentonfall an den Tag gelegt - unfassbar. Als wäre sie ein General gewesen, er aber nur ein kleiner Fußsoldat. Ein Realitätsverlust erster Güte. In Rakka habe sich das nicht lange geheimhalten lassen. Die anderen Kämpfer hätten sich über ihn und seine Schwierigmutter lustig gemacht. Wer sich eine Frau nähme, die sich als Namen die Lebenslustige auserwählt habe, dürfte sich nicht wundern, wenn er in einem Schlangennest endete, hatten sie gespottet. Und dann sei die alte Natter auch noch auf seiner Türschwelle aufgetaucht. Der absolute Terror.
Omar Yilmaz, wischt sich den Mund sauber, er habe die junge Frau aus Maastricht aus Mitleid geheiratet, nachdem der Kämpfer, der eigentlich für Asicha auserwählt war, getötet wurde. In Kobane, ein Hinterhalt der Kurden. Diese feige Brut. Ungläubige. Ihr Allah war nicht sein Allah. Anstatt dankbar zu sein, habe Aischa dauernd mit ihrer Mutter telefoniert. Drei-, viermal am Tag. Monique hätte anschließend immer mit ihm sprechen wollen. Um die Sachen zu diskutieren. Aischa hätte ihm förmlich das Telefon aufgedrängt. Das wäre unter seiner Würde gewesen. Monique hätte einen Kasernentonfall an den Tag gelegt - unfassbar. Als wäre sie ein General gewesen, er aber nur ein kleiner Fußsoldat. Ein Realitätsverlust erster Güte. In Rakka habe sich das nicht lange geheimhalten lassen. Die anderen Kämpfer hätten sich über ihn und seine Schwierigmutter lustig gemacht. Wer sich eine Frau nähme, die sich als Namen die Lebenslustige auserwählt habe, dürfte sich nicht wundern, wenn er in einem Schlangennest endete, hatten sie gespottet. Und dann sei die alte Natter auch noch auf seiner Türschwelle aufgetaucht. Der absolute Terror.
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Die vier Toten lagen auf den kalten Fliesen. Als Rechteck angeordnet. In Hisar konnten die Novembernächte erstaunlich frisch werden. Die Schminke bröckelte. Kanta, die in Delhi ein Kosmetikstudio führte, hatte sich um die Gesichter gekümmert. Tote zu schminken, hatte Kanta erklärt, hätte sie sich einfacher vorgestellt. Die Haut, was ihr nicht bekannt gewesen sei, schließlich führe sie kein Bestattungsunternehmen, die Haut der Toten schrumpfe irgendwie, sei zwischendurch mal weich, dann wieder hart wie zu lange getoastetes Brot. Die Babys der Frauen hatten die Anhänger des Gurus bereits verscharrt. Bapa Rampal hatte Kanta für ihre Bemühungen gelobt. Sie hatte die Gelegenheit ergriffen, um ihm ihre Treue zu versichern. Die Punjabi-Polizei solle nur kommen. Bapa Rampal bedauerte insgeheim, dass er seinen Job als Techniker im Amt für Bewässerung der Landesregierung von Haryana aufgegeben hatte. Nicht dass Haryana wirklich unabhängig gewesen war. Die Hindi-Hochburg brauchte den Schutz der Zentralregierung gegen die Sikh-Horden. Vorbei, dachte er, das ruhige Leben, das frühe Feierabendmachen, die Witze der Kollegen, die langen Wochenenden. Nun gab es kein Entkommen mehr. Seine Anhänger würden ihn lynchen, schliche er sich davon. Bapa Rampal lächelte Kanta nachlässig an. Er wusste, was sie von ihm erwartete. Frauen wie Männer bedrängten ihn. Er konnte das durchaus verstehen. Bapa Rampal galt als Brad Pitt der Gurus.
Die vier Toten lagen auf den kalten Fliesen. Als Rechteck angeordnet. In Hisar konnten die Novembernächte erstaunlich frisch werden. Die Schminke bröckelte. Kanta, die in Delhi ein Kosmetikstudio führte, hatte sich um die Gesichter gekümmert. Tote zu schminken, hatte Kanta erklärt, hätte sie sich einfacher vorgestellt. Die Haut, was ihr nicht bekannt gewesen sei, schließlich führe sie kein Bestattungsunternehmen, die Haut der Toten schrumpfe irgendwie, sei zwischendurch mal weich, dann wieder hart wie zu lange getoastetes Brot. Die Babys der Frauen hatten die Anhänger des Gurus bereits verscharrt. Bapa Rampal hatte Kanta für ihre Bemühungen gelobt. Sie hatte die Gelegenheit ergriffen, um ihm ihre Treue zu versichern. Die Punjabi-Polizei solle nur kommen. Bapa Rampal bedauerte insgeheim, dass er seinen Job als Techniker im Amt für Bewässerung der Landesregierung von Haryana aufgegeben hatte. Nicht dass Haryana wirklich unabhängig gewesen war. Die Hindi-Hochburg brauchte den Schutz der Zentralregierung gegen die Sikh-Horden. Vorbei, dachte er, das ruhige Leben, das frühe Feierabendmachen, die Witze der Kollegen, die langen Wochenenden. Nun gab es kein Entkommen mehr. Seine Anhänger würden ihn lynchen, schliche er sich davon. Bapa Rampal lächelte Kanta nachlässig an. Er wusste, was sie von ihm erwartete. Frauen wie Männer bedrängten ihn. Er konnte das durchaus verstehen. Bapa Rampal galt als Brad Pitt der Gurus.
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am strand. ein maler. das bild. farbe. in den wellen. |
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Vermeer? Können Sie sich an Ihren ersten Orgasmus erinnern? |
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Ich sehe unablässig Leinwände. Schwarze Kreise, auf roten Kreisen, auf gelben Kreisen, auf grünen Kreisen, auf blauen Kreisen, auf weißen Kreisen. Wenn ich sie malen will, sind sie weg. Verschwunden wie das Gestern. Als hätte ich sie bereits erschaffen. Stört Sie das? Er blickte auf den Hafen, der von der Praxis aus ein grandioses Schauspiel bot. Die Landungsbrücken waren geschmückt, die Windjammer glitten über das Wasser. Dieses Wochenende feierte die Stadt den Hafengeburtstag. Ein Grund, warum sie erfolgreich ist, dachte er, ist die Lage. Und? Stört es Sie? Er dachte nach, dann stand er auf und ging zum Fenster. Ein Rahmen bleibt ein Rahmen, auch wenn wir die Jalousien herunterlassen. Das Monochrome hat seinen Reiz. Ein Maler, der nicht malt, reicht dem Unglück die Hand. |
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Die guten Sachen ..., François-Marie zog an der Wasserpfeife und hustete leicht.
... ja?, fragte Arouet, der François-Marie wie ein unterwürfiger Hund nach LA gefolgt war, was er seit gestern, seit der Sache mit dem Cop und dem Mädchen, mehr bereute als den Überfall auf die Fast-Food-Klitsche in Lauderdale.
... die guten Sachen, die wir nicht machen, das sind unsere wahren Verbrechen. François-Marie lächelte Durett an, die sie davon überzeugen wollten, dass sie das Haus ihrer Eltern für einen Kurzfilm zur Verfügung stellte. Durett würde die Hauptrolle spielen, sie hätten Kontakt zu einem Producer, der mal was mit Niero gemacht habe und fieberhaft nach neuen Gesichtern suchte. Durett hatte, im herkömmlichen Sinne, eigentlich kein Gesicht. Bei einem Unfall, ihr Bruder hatte einem Gastanker die Vorfahrt genommen,
Die guten Sachen ..., François-Marie zog an der Wasserpfeife und hustete leicht.
... ja?, fragte Arouet, der François-Marie wie ein unterwürfiger Hund nach LA gefolgt war, was er seit gestern, seit der Sache mit dem Cop und dem Mädchen, mehr bereute als den Überfall auf die Fast-Food-Klitsche in Lauderdale.
... die guten Sachen, die wir nicht machen, das sind unsere wahren Verbrechen. François-Marie lächelte Durett an, die sie davon überzeugen wollten, dass sie das Haus ihrer Eltern für einen Kurzfilm zur Verfügung stellte. Durett würde die Hauptrolle spielen, sie hätten Kontakt zu einem Producer, der mal was mit Niero gemacht habe und fieberhaft nach neuen Gesichtern suchte. Durett hatte, im herkömmlichen Sinne, eigentlich kein Gesicht. Bei einem Unfall, ihr Bruder hatte einem Gastanker die Vorfahrt genommen,
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Was Ron nicht wusste: der Mann auf dem Jetski, der ihn zu den Wellen zog, war kein Mann. Mafalda hatte ihre Brüste in einen engen Sport-BH gequetscht und trug über dem Neoprenanzug einen Kapuzenpulli, auf dem in gotischen Lettern "payback time" prangte. Nazaré verwandelte sich in einen ockerfarbenen Klecks. Die Brecher knallten wütend gegen die Küste. Wie Irre in der Klapse. Wie Junkies auf Entzug. Die unablässig anrollenden Wellen hatten die Felsen im Laufe der Jahrtausende abgeschliffen. Der lange Strand war, neben dem Glauben, Nazarés Kapital. Zwei Kilometer Glück und Nonstopparty. Richtung Sitio ragten die Steilwände spektakulär in den Himmel. Auf dem Felsvorsprung erschien, ab und an, so wollte es die Legende, die Mutter Gottes. Santuário de Nossa Senhora da Nazaré. Die Wallfahrer kamen in Massen. Kein schlechter Platz, um zu beten und sich in Sicherheit zu wiegen. Bei Piratenangriffen hatten sich die Fischer früher dort oben vor den Freibeutern versteckt. Ron, der seine Surfschule Bukanier getauft hatte, war 36 Jahre alt. Abgebrochener Mathematikstudent aus Brisbane. Seit er in Nazaré lebte, seit der Jahrtausendwende, hatte Ron jedes Jahr mit so viel Frauen geschlafen, wie er Jahre zählte. Er brauchte Ziele. Aber selbst ihm waren die Megawellen heute eine Nummer zu groß. Der schmale Jetski-Boy gab Gas.
Was Ron nicht wusste: der Mann auf dem Jetski, der ihn zu den Wellen zog, war kein Mann. Mafalda hatte ihre Brüste in einen engen Sport-BH gequetscht und trug über dem Neoprenanzug einen Kapuzenpulli, auf dem in gotischen Lettern "payback time" prangte. Nazaré verwandelte sich in einen ockerfarbenen Klecks. Die Brecher knallten wütend gegen die Küste. Wie Irre in der Klapse. Wie Junkies auf Entzug. Die unablässig anrollenden Wellen hatten die Felsen im Laufe der Jahrtausende abgeschliffen. Der lange Strand war, neben dem Glauben, Nazarés Kapital. Zwei Kilometer Glück und Nonstopparty. Richtung Sitio ragten die Steilwände spektakulär in den Himmel. Auf dem Felsvorsprung erschien, ab und an, so wollte es die Legende, die Mutter Gottes. Santuário de Nossa Senhora da Nazaré. Die Wallfahrer kamen in Massen. Kein schlechter Platz, um zu beten und sich in Sicherheit zu wiegen. Bei Piratenangriffen hatten sich die Fischer früher dort oben vor den Freibeutern versteckt. Ron, der seine Surfschule Bukanier getauft hatte, war 36 Jahre alt. Abgebrochener Mathematikstudent aus Brisbane. Seit er in Nazaré lebte, seit der Jahrtausendwende, hatte Ron jedes Jahr mit so viel Frauen geschlafen, wie er Jahre zählte. Er brauchte Ziele. Aber selbst ihm waren die Megawellen heute eine Nummer zu groß. Der schmale Jetski-Boy gab Gas.
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Ich bin, liebste Gierschlünde, zu allen Zutaten bereit! Esst zusammen - das Ich ist ein Eintopf. Timtrimmtim grinste in die Kamera und fuchtelte mit einem Holzlöffel. Beim Abspann wurden die Sponsoren eingeblendet. Timtrimmtim sagte am Ende der Show immer den selben Satz. Was es, anfangs, um diesen Satz für Diskussionen mit dem WDR gegeben hatte! Man dürfe die Zuschauer nicht als Gierschlünde verunglimpfen. Das sei eine Beleidigung. Er dürfe das, hatte Timtrimmtim entgegnet, da es sich nicht um eine üble Nachrede handele, sondern um ein - er hatte jede Silbe einzeln betont, als hätte er es mir Vollidioten zu tun gehabt - Mar-ken-zei-chen. Zu allen Zutaten bereit zu sein, darum ginge es doch in der Küche wie im Leben.
Timtrimmtim stand im Aufzug. Er fühlte sich erschöpft. Sie hatten drei Shows aufgezeichnet. Vor Publikum. Neben ihm aßen zwei Praktikantinnen Kebab. Wie sie in den Lastenaufzug gekommen waren, blieb ihm schleierhaft. Normalerweise benutzte niemand das Ding. Der Fernsehkoch kannte die Mädchen nicht. In der Produktionsgesellschaft HinterFassade ging es wie in einem Taubenschlag zu. Die Ausbeutung des Prekariats. Den Mädchen tropfte weiße Sauce vom Kinn. Der intensive Knoblaugeruch irritierte Timtrimmtim. In seinem Vertrag hatte er sich ausbedungen, niemals mit Knoblauch kochen zu müssen. Zu allen Zutaten bereit entsprach also nicht hundertprozentig der Wahrheit. Die Mädchen, die den Fernsehkoch nicht erkannten, redeten und aßen zugleich. Sie lachten hysterisch. Es ging um eine Vorabendserie. Die Brünette machte seltsame Schmatzgeräusche. Als der Aufzug steckenblieb, handelte Timtrimmtim.
Ich bin, liebste Gierschlünde, zu allen Zutaten bereit! Esst zusammen - das Ich ist ein Eintopf. Timtrimmtim grinste in die Kamera und fuchtelte mit einem Holzlöffel. Beim Abspann wurden die Sponsoren eingeblendet. Timtrimmtim sagte am Ende der Show immer den selben Satz. Was es, anfangs, um diesen Satz für Diskussionen mit dem WDR gegeben hatte! Man dürfe die Zuschauer nicht als Gierschlünde verunglimpfen. Das sei eine Beleidigung. Er dürfe das, hatte Timtrimmtim entgegnet, da es sich nicht um eine üble Nachrede handele, sondern um ein - er hatte jede Silbe einzeln betont, als hätte er es mir Vollidioten zu tun gehabt - Mar-ken-zei-chen. Zu allen Zutaten bereit zu sein, darum ginge es doch in der Küche wie im Leben.
Timtrimmtim stand im Aufzug. Er fühlte sich erschöpft. Sie hatten drei Shows aufgezeichnet. Vor Publikum. Neben ihm aßen zwei Praktikantinnen Kebab. Wie sie in den Lastenaufzug gekommen waren, blieb ihm schleierhaft. Normalerweise benutzte niemand das Ding. Der Fernsehkoch kannte die Mädchen nicht. In der Produktionsgesellschaft HinterFassade ging es wie in einem Taubenschlag zu. Die Ausbeutung des Prekariats. Den Mädchen tropfte weiße Sauce vom Kinn. Der intensive Knoblaugeruch irritierte Timtrimmtim. In seinem Vertrag hatte er sich ausbedungen, niemals mit Knoblauch kochen zu müssen. Zu allen Zutaten bereit entsprach also nicht hundertprozentig der Wahrheit. Die Mädchen, die den Fernsehkoch nicht erkannten, redeten und aßen zugleich. Sie lachten hysterisch. Es ging um eine Vorabendserie. Die Brünette machte seltsame Schmatzgeräusche. Als der Aufzug steckenblieb, handelte Timtrimmtim.
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Das Werk dachte nicht. Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne. Dass Nachhaltiges Leben, wie im Internet verbreitet wurde, eine Firma ohne Angestellte war, eine Firma, die selbständig agierte, stimmte auch nicht. Es gab eine Presseabteilung, deren Leitung Dolly Mehrzahn ausübte. Wobei ausüben eine unziemliche Veniedlichung darstellte. Mehrzahn herrschte über Knausson und Knausson, ihre Assistenten, wie eine Diktatorin. Die Männer hatten nicht nur den selben Nachnamen, sondern feierten auch am selben Tag, den 29. Februar, Geburtstag. Knausson 1, wie Mehrzahn ihn nannte, wenn sie gut gelaunt war - war sie schlecht gelaunt, nannte sie ihn K-Null -, Knausson 1 war der Sohn eines Schweinezüchters aus Hassel an der Weser und einige Jahre älter als Knausson 2, den Mehrzahn in neun von zehn Fällen K-NullNull oder K-WC nannte. Knausson und Knausson waren nicht verwandt und mochten sich nicht besonders. Was sie verband, war der Hass auf Dolly Mehrzahn. Die Vorgesetzte der Knaussons war der ranghöchste Mensch, den Nachhaltiges Leben auf der Payroll hatte. Eine Tatsache, die Mehrzahn werktäglich aufs Neue begeisterte.
Das Werk dachte nicht. Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne. Dass Nachhaltiges Leben, wie im Internet verbreitet wurde, eine Firma ohne Angestellte war, eine Firma, die selbständig agierte, stimmte auch nicht. Es gab eine Presseabteilung, deren Leitung Dolly Mehrzahn ausübte. Wobei ausüben eine unziemliche Veniedlichung darstellte. Mehrzahn herrschte über Knausson und Knausson, ihre Assistenten, wie eine Diktatorin. Die Männer hatten nicht nur den selben Nachnamen, sondern feierten auch am selben Tag, den 29. Februar, Geburtstag. Knausson 1, wie Mehrzahn ihn nannte, wenn sie gut gelaunt war - war sie schlecht gelaunt, nannte sie ihn K-Null -, Knausson 1 war der Sohn eines Schweinezüchters aus Hassel an der Weser und einige Jahre älter als Knausson 2, den Mehrzahn in neun von zehn Fällen K-NullNull oder K-WC nannte. Knausson und Knausson waren nicht verwandt und mochten sich nicht besonders. Was sie verband, war der Hass auf Dolly Mehrzahn. Die Vorgesetzte der Knaussons war der ranghöchste Mensch, den Nachhaltiges Leben auf der Payroll hatte. Eine Tatsache, die Mehrzahn werktäglich aufs Neue begeisterte.
151
Die Taschenlampe, fest umklammert. Aufs Fenster gerichtet. Ihr Fenster. Brunnenstraße, Ecke Rosenthaler Platz. Kurz nach fünf. Weit ist sie nicht gezogen. Einige Häuser weiter, mehr nicht. Beim Türken schneiden sie Kebabstückchen. Das Fleisch fällt ins Fett. Gegenüber taucht Marianne, unausgeschlafen, immer unausgeschlafen, dies ist ihr Drittjob, den Mob ins dampfende Wasser und wischt die Brotkrümel im Backshop zusammen. Es riecht nach falschem Brot. Was kann ich dafür, denkt er, der Mann mit der Taschenlampe, was kann ich dafür, dass die Mauer gefallen ist. Dieses Haus stand früher in einem anderen Land. Der Werber Jean-Remy von Matt hat das auf die Fassade pinseln lassen. Ein bisschen weiter vorne. Beim U-Bahn-Eingang. Der Mann dreht sich um, blickt hoch. In Brandlhubers Wohnung brennt noch Licht. Die Haut des Hauses atmet Urbanität. Als stünde es an New Yorks Lower East Side. Der Mann mit der Taschenlampe steht vor der Hausnummer 188. Ewigkeiten besetzt. Längst geräumt. Das war ihr Squat gewesen. Über Jahre. Dort hatten sie Eva gezeugt.
Die Taschenlampe, fest umklammert. Aufs Fenster gerichtet. Ihr Fenster. Brunnenstraße, Ecke Rosenthaler Platz. Kurz nach fünf. Weit ist sie nicht gezogen. Einige Häuser weiter, mehr nicht. Beim Türken schneiden sie Kebabstückchen. Das Fleisch fällt ins Fett. Gegenüber taucht Marianne, unausgeschlafen, immer unausgeschlafen, dies ist ihr Drittjob, den Mob ins dampfende Wasser und wischt die Brotkrümel im Backshop zusammen. Es riecht nach falschem Brot. Was kann ich dafür, denkt er, der Mann mit der Taschenlampe, was kann ich dafür, dass die Mauer gefallen ist. Dieses Haus stand früher in einem anderen Land. Der Werber Jean-Remy von Matt hat das auf die Fassade pinseln lassen. Ein bisschen weiter vorne. Beim U-Bahn-Eingang. Der Mann dreht sich um, blickt hoch. In Brandlhubers Wohnung brennt noch Licht. Die Haut des Hauses atmet Urbanität. Als stünde es an New Yorks Lower East Side. Der Mann mit der Taschenlampe steht vor der Hausnummer 188. Ewigkeiten besetzt. Längst geräumt. Das war ihr Squat gewesen. Über Jahre. Dort hatten sie Eva gezeugt.
152
Betrogen?
So kann man das nicht sagen.
Mann?
Er lacht, unangenehm berührt. So würde ich das nicht ausdrücken, sagt er und gießt seiner Frau Wasser nach. Oder besser: will ihr Wasser nachgießen. Rosy legt die Handfläche über das randvolle Glas. Typisch für ihn. Er mache sich mit Vorliebe breit, wo es zu eng für ihn sei. Er runzelt die Stirn. Hat sie ihm nicht genau das im letzten Brief vorgeworfen? Er durchsucht seine Jackentasche, aber findet den Umschlag nicht.
Die Therapeuten beobachten ihn. Wie kann Mann denn sagen?, fragt Dr. Schmauch.
Er denkt an seine Tante, die ihn aufgezogen hat. Mit harter Hand. Andererseits: bis zu seinem zwölften Geburtstag hatte sie ihm die Brust gegeben. Pünktlich vor der Tagesschau. Wenn du größer bist als ich, hören wir damit auf, hatte sie gesagt, und so war es dann gekommen. Sein Brustfetischismus stammte von damals. Ob er den Therapeuten davon erzählen sollte? Er entscheidet sich dagegen. Das Pathologische wäre zu augenfällig. Zu offen die Schublade. Selbst Rosy wusste nichts von der Tantenmilch.
Also? Dr. Schmauch hält einen Bleistift in der Hand. Die Spitze zeigte in seine Richtung.
Betrogen?
So kann man das nicht sagen.
Mann?
Er lacht, unangenehm berührt. So würde ich das nicht ausdrücken, sagt er und gießt seiner Frau Wasser nach. Oder besser: will ihr Wasser nachgießen. Rosy legt die Handfläche über das randvolle Glas. Typisch für ihn. Er mache sich mit Vorliebe breit, wo es zu eng für ihn sei. Er runzelt die Stirn. Hat sie ihm nicht genau das im letzten Brief vorgeworfen? Er durchsucht seine Jackentasche, aber findet den Umschlag nicht.
Die Therapeuten beobachten ihn. Wie kann Mann denn sagen?, fragt Dr. Schmauch.
Er denkt an seine Tante, die ihn aufgezogen hat. Mit harter Hand. Andererseits: bis zu seinem zwölften Geburtstag hatte sie ihm die Brust gegeben. Pünktlich vor der Tagesschau. Wenn du größer bist als ich, hören wir damit auf, hatte sie gesagt, und so war es dann gekommen. Sein Brustfetischismus stammte von damals. Ob er den Therapeuten davon erzählen sollte? Er entscheidet sich dagegen. Das Pathologische wäre zu augenfällig. Zu offen die Schublade. Selbst Rosy wusste nichts von der Tantenmilch.
Also? Dr. Schmauch hält einen Bleistift in der Hand. Die Spitze zeigte in seine Richtung.
153
Er, Idfzuh, habe, was keine Gnade sei, große Hände, wohl wahr. Schwere Schaufeln. Die wenigsten Handschuhe passten. Henkersflossen. Die Nägel zogen Schmutz magisch an. Der Schmutz haftete an den Nägeln wie Klebstoff. Er, Idfzuh, der von sich stets in der dritten Person sprach, er säubere die Nägel jede Stunde, was unbemerkt bliebe, der Welt egal sei. Schwere Hände, besonders die linke, schwere Hände, am Schlagen geschult. Wer Gewalt kennt, ist dem Frieden kein guter Nachbar. Er, Idfzuh, lachte. Das Lachen klang wie ein weiches Knurren. Er, Idfzuh, klinge, oder nicht?, klinge wie der überflüssige Welpe, der mit der unordentlichen Maserung an der Schnauze, der unverkäufliche Extrafresser, den der gelangweilte Züchter, schwitzend, es ist Sommer, in der Regentonne hinter der Doppelgarage, die Zirkaden singen, ersäuft. Beim Karneval habe er, Idfzuh, als kleiner Junge auf dem Wagen des Bonbonfabrikanten mitfahren dürfen. Müssen. Mitfahren müssen. Mutter habe es befohlen. Mutter hätte was von Milowitsch gewollt. Seit Jahren. Ihr Geschlecht habe bei Milowitschs Auftauchen geleckt, hatte Vater zu ihm, Idfzuh, gesagt. Oder sie, die Mutter, hätte was zurückzahlen müssen. Schuldner, nicht alle, aber viele, verachten Gläubiger, die sie nicht in den Staub zwingen, nicht die Erde fressen lassen. Mit deinen Pranken, hatte Milowitsch zu ihm, Idfzuh, gesagt, mit deinen Pranken kannste tief in die ollen Kamellen greifen und die doofen Kleenen abhängig machen. Idioten lieben den Idioten, der ihnen Dreck vorsetzt.
Seine Mutter, tot, durch ihn, Idfzuh, aber das wäre eine andere Sache - ginge es um Rache, würde er, Idfzuh, es ihr, der Richterin, die ihn, Idfzuh, ihre Augen verraten sie, glaubt er, Idfzuh, die, die müde-warme Frau, die ihn, Idfzuh, wahnsinnig begehrt, würde er, Idfzuh, es ihr erzählen -, seine Mutter, Gott habe sie selig, schimpfte ihn, Idzfzuh, beim Abschied aus der Domstadt einen Clown ohne Zirkus. Ein Kamel ohne Höcker. Mutters Atem hätte nach Knoblauch und Kölnisch Wasser gestunken. Unpassend haber er, Idfzuh, das gefunden. Vulgär. Sie, die Mutter, habe Düsseldorf gehasst, gewiss, aber so weit hätte sie nicht gehen müssen. Er, Idfzuh, beschreibe sich als Abstinenzler, der als Barkeeper arbeite, um sich die Fahrten zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker erlauben zu können.
Er, Idfzuh, habe, was keine Gnade sei, große Hände, wohl wahr. Schwere Schaufeln. Die wenigsten Handschuhe passten. Henkersflossen. Die Nägel zogen Schmutz magisch an. Der Schmutz haftete an den Nägeln wie Klebstoff. Er, Idfzuh, der von sich stets in der dritten Person sprach, er säubere die Nägel jede Stunde, was unbemerkt bliebe, der Welt egal sei. Schwere Hände, besonders die linke, schwere Hände, am Schlagen geschult. Wer Gewalt kennt, ist dem Frieden kein guter Nachbar. Er, Idfzuh, lachte. Das Lachen klang wie ein weiches Knurren. Er, Idfzuh, klinge, oder nicht?, klinge wie der überflüssige Welpe, der mit der unordentlichen Maserung an der Schnauze, der unverkäufliche Extrafresser, den der gelangweilte Züchter, schwitzend, es ist Sommer, in der Regentonne hinter der Doppelgarage, die Zirkaden singen, ersäuft. Beim Karneval habe er, Idfzuh, als kleiner Junge auf dem Wagen des Bonbonfabrikanten mitfahren dürfen. Müssen. Mitfahren müssen. Mutter habe es befohlen. Mutter hätte was von Milowitsch gewollt. Seit Jahren. Ihr Geschlecht habe bei Milowitschs Auftauchen geleckt, hatte Vater zu ihm, Idfzuh, gesagt. Oder sie, die Mutter, hätte was zurückzahlen müssen. Schuldner, nicht alle, aber viele, verachten Gläubiger, die sie nicht in den Staub zwingen, nicht die Erde fressen lassen. Mit deinen Pranken, hatte Milowitsch zu ihm, Idfzuh, gesagt, mit deinen Pranken kannste tief in die ollen Kamellen greifen und die doofen Kleenen abhängig machen. Idioten lieben den Idioten, der ihnen Dreck vorsetzt.
Seine Mutter, tot, durch ihn, Idfzuh, aber das wäre eine andere Sache - ginge es um Rache, würde er, Idfzuh, es ihr, der Richterin, die ihn, Idfzuh, ihre Augen verraten sie, glaubt er, Idfzuh, die, die müde-warme Frau, die ihn, Idfzuh, wahnsinnig begehrt, würde er, Idfzuh, es ihr erzählen -, seine Mutter, Gott habe sie selig, schimpfte ihn, Idzfzuh, beim Abschied aus der Domstadt einen Clown ohne Zirkus. Ein Kamel ohne Höcker. Mutters Atem hätte nach Knoblauch und Kölnisch Wasser gestunken. Unpassend haber er, Idfzuh, das gefunden. Vulgär. Sie, die Mutter, habe Düsseldorf gehasst, gewiss, aber so weit hätte sie nicht gehen müssen. Er, Idfzuh, beschreibe sich als Abstinenzler, der als Barkeeper arbeite, um sich die Fahrten zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker erlauben zu können.
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Als der Tumor, im Magen, aufbrach, saßen sie auf dem Sofa. Sahen einen Bergmann-Film. Vor zwei Wochen war er nach Hause gekommen. Man hatte ihn aus dem Krankenhaus entlassen. Die Medizin hatte ihn entlassen. Das Leben hatte ihm gekündigt. Daheim war es ihm besser gegangen. Sie und er hatten gelacht, über die Mediziner, die Entlassung. Obowhl er es besser gewusst hatte, hatte er ins Lachen eingestimmt. Illusionen, die hatte er in Wahrheit nicht gehabt. Sie schon. Das Blut kam als Fontäne. Mit ungeheurer Kraft. Es sprudelte aus ihm heraus. Wie früher die Sätze. Er hatte von der Sprache und mit der Sprache gelebt. Mehr noch als mit ihr. Die Sprache war ihm das Glück gewesen. Er kotzte Blut. Das Blut drang in den Stoff des Sofas, tropfte aufs Parkett, glitt in die Ritzen des Holzes. Der nahende Tod roch. Stärker als erwartet. Der nahende Tod hatte keine Güte für ihn oder für sie übrig. Der nahende Tod respektierte nicht die Sprache. Der nahende Tod kam ohne Sprache aus.
Als der Tumor, im Magen, aufbrach, saßen sie auf dem Sofa. Sahen einen Bergmann-Film. Vor zwei Wochen war er nach Hause gekommen. Man hatte ihn aus dem Krankenhaus entlassen. Die Medizin hatte ihn entlassen. Das Leben hatte ihm gekündigt. Daheim war es ihm besser gegangen. Sie und er hatten gelacht, über die Mediziner, die Entlassung. Obowhl er es besser gewusst hatte, hatte er ins Lachen eingestimmt. Illusionen, die hatte er in Wahrheit nicht gehabt. Sie schon. Das Blut kam als Fontäne. Mit ungeheurer Kraft. Es sprudelte aus ihm heraus. Wie früher die Sätze. Er hatte von der Sprache und mit der Sprache gelebt. Mehr noch als mit ihr. Die Sprache war ihm das Glück gewesen. Er kotzte Blut. Das Blut drang in den Stoff des Sofas, tropfte aufs Parkett, glitt in die Ritzen des Holzes. Der nahende Tod roch. Stärker als erwartet. Der nahende Tod hatte keine Güte für ihn oder für sie übrig. Der nahende Tod respektierte nicht die Sprache. Der nahende Tod kam ohne Sprache aus.
155
“Wir lassen jeden Zehnten rein”, sagte der Offizier. Ein junger Mann, groß und schwer. Die Adern fest. So feste Adern hatte ich noch nie gesehen. Der Körper voller Flüssigkeit. Nicht ausgemergelt. Nicht ausgedünstet wie wir. Ein Beamter, der Vorschriften befolgte. Gletscher bewachte. Thulees Armee galt als unbestechlich. War aber auch als grausam bekannt. Besser wäre es gewesen, sich von GuestWorkers der zweiten Generation erwischen und ausbeuten zu lassen. Die Maschinenpistole, eine Selbstladebüchse BD 38, hielt der Offizier lässig wie einen Wanderstab in der rechten Hand. Als sei er ein Pilger. Was an sich unsere Rolle war. Der Lauf steckte im Schnee. Neben Helmuts Schädel.
Helmut war nicht der Klügste, aber der Lustigste unserer Gruppe gewesen. Für Klaus, vier, und Klaudia, sechs, die wir, wie geplant, seit Ammassalik am Proviantmast befestigt hatten, hatte Helmut sich bis zuletzt Gedichte ausgedacht. niest das fiese krokodil, lacht verzückt der ganze nil. Der ewige Durst hatte ihn unvorsichtig werden lassen. Das Blut der Kinder hatte er nicht angerührt. Es ging das Gerücht, Klaus und Klaudia seien sein Nachwuchs gewesen. Ein Fehler. Unser aller. Wir hätten es ihm einflößen müssen. Helmut hatte sich, gleich nach der Landung, auf den erstbesten Schneehaufen gestürzt. Ohne Deckung. Wie ein blödes Tier. Das heimlich getrunkene Salzwasser hatte ihm den Verstand geraubt. ist der nananasenbär gegesund, hat die apoapoapotheke schwuschwund hatte er gebrüllt und immer wieder in den Schneekarst gebissen. Wir hatten die Zähne brechen hören. Helmuts fucking Durst hatte uns verraten.
Marianne sah mich an. Neun. Wir waren neun. Nicht zehn. Ohne Helmut sogar nur acht. Niemand würde hereingelassen werden. Nicht einer von uns. Weder Heidi, die Angela, ihr Baby, an sich drückte, noch Thomas, den wir, seiner Schönheit wegen, Adonis nannten. Er wäre am ehesten No. Zehn gewesen. Adonis hatte sich auf dem legendären Markt von Qaanaaq Chancen ausgerechnet. Die Thulees, hieß es, seien, für die meisten von uns unvorstellbar, an allen Spielarten interessiert. Selbst Adonis` Farbe würden sie, unter bestimmten Umständen - GreatLockOrDoubleCock -, akzeptieren. Vor der Abfahrt hatte er sich extra DownUnder operieren lassen. Dabei war sein gesamtes Erspartes draufgegangen. Selbst seine Verwandten hatten fürs Modell SmallHochZweiJohnBoy zusammengelegt, das, orakelte TheKlaut, in Qaanaag gerade besonders gefragt sei. Als ausgebildeter Krankengymnast und Dr. phil hätte Adonis irgendwann vielleicht sogar in einem MasseurRuhm anfangen können. Dass sich die Thulees vor uns ekelten, hatten wir für ein blödes Gerücht gehalten, als Angstmacherei abgetan. Das PureWater wollten sie, verständlicherweise, behalten. Wer konnte ihnen das übelnehmen? Einmal hier, wollten wir uns ihren Eigenheiten anpassen. Wie sie werden. Aber Abscheu?
“Wir lassen jeden Zehnten rein”, sagte der Offizier. Ein junger Mann, groß und schwer. Die Adern fest. So feste Adern hatte ich noch nie gesehen. Der Körper voller Flüssigkeit. Nicht ausgemergelt. Nicht ausgedünstet wie wir. Ein Beamter, der Vorschriften befolgte. Gletscher bewachte. Thulees Armee galt als unbestechlich. War aber auch als grausam bekannt. Besser wäre es gewesen, sich von GuestWorkers der zweiten Generation erwischen und ausbeuten zu lassen. Die Maschinenpistole, eine Selbstladebüchse BD 38, hielt der Offizier lässig wie einen Wanderstab in der rechten Hand. Als sei er ein Pilger. Was an sich unsere Rolle war. Der Lauf steckte im Schnee. Neben Helmuts Schädel.
Helmut war nicht der Klügste, aber der Lustigste unserer Gruppe gewesen. Für Klaus, vier, und Klaudia, sechs, die wir, wie geplant, seit Ammassalik am Proviantmast befestigt hatten, hatte Helmut sich bis zuletzt Gedichte ausgedacht. niest das fiese krokodil, lacht verzückt der ganze nil. Der ewige Durst hatte ihn unvorsichtig werden lassen. Das Blut der Kinder hatte er nicht angerührt. Es ging das Gerücht, Klaus und Klaudia seien sein Nachwuchs gewesen. Ein Fehler. Unser aller. Wir hätten es ihm einflößen müssen. Helmut hatte sich, gleich nach der Landung, auf den erstbesten Schneehaufen gestürzt. Ohne Deckung. Wie ein blödes Tier. Das heimlich getrunkene Salzwasser hatte ihm den Verstand geraubt. ist der nananasenbär gegesund, hat die apoapoapotheke schwuschwund hatte er gebrüllt und immer wieder in den Schneekarst gebissen. Wir hatten die Zähne brechen hören. Helmuts fucking Durst hatte uns verraten.
Marianne sah mich an. Neun. Wir waren neun. Nicht zehn. Ohne Helmut sogar nur acht. Niemand würde hereingelassen werden. Nicht einer von uns. Weder Heidi, die Angela, ihr Baby, an sich drückte, noch Thomas, den wir, seiner Schönheit wegen, Adonis nannten. Er wäre am ehesten No. Zehn gewesen. Adonis hatte sich auf dem legendären Markt von Qaanaaq Chancen ausgerechnet. Die Thulees, hieß es, seien, für die meisten von uns unvorstellbar, an allen Spielarten interessiert. Selbst Adonis` Farbe würden sie, unter bestimmten Umständen - GreatLockOrDoubleCock -, akzeptieren. Vor der Abfahrt hatte er sich extra DownUnder operieren lassen. Dabei war sein gesamtes Erspartes draufgegangen. Selbst seine Verwandten hatten fürs Modell SmallHochZweiJohnBoy zusammengelegt, das, orakelte TheKlaut, in Qaanaag gerade besonders gefragt sei. Als ausgebildeter Krankengymnast und Dr. phil hätte Adonis irgendwann vielleicht sogar in einem MasseurRuhm anfangen können. Dass sich die Thulees vor uns ekelten, hatten wir für ein blödes Gerücht gehalten, als Angstmacherei abgetan. Das PureWater wollten sie, verständlicherweise, behalten. Wer konnte ihnen das übelnehmen? Einmal hier, wollten wir uns ihren Eigenheiten anpassen. Wie sie werden. Aber Abscheu?
156
Martha, die nicht ungern über sich sprach, schnitt Berlustkonie das Wort ab. Keine leichte Sache. Berlustkonie, überrascht, an Widerspruch nicht gewöhnt, verschluckte sich am Kräutertee. Was für Kräuter im Tee waren, wusste allein seine Haushälterin Merculia. Madam Merkel, wie Berlustkonie Merculia Nachts schimpfte, Madam Merkel würde ihn demnächst, um präszise zu sein: in zwei Jahren, fünf Wochen und zehn Tagen, mit Botulinumtoxin vergiften. Doch greifen wir den Dingen nicht zu weit vor. Was gerade passierte, war, aus verschiedenen Gründen, unangenehm genug. Martha bedeckte ihre blanke Brust mit dem Putenschenkel. Thanksgiving, sagte sie zu Gregoria, die seit geraumer Zeit bewusstlos auf dem Sofa döste, Thanksgiving habe ich mir anders vorgestellt.
Martha, die nicht ungern über sich sprach, schnitt Berlustkonie das Wort ab. Keine leichte Sache. Berlustkonie, überrascht, an Widerspruch nicht gewöhnt, verschluckte sich am Kräutertee. Was für Kräuter im Tee waren, wusste allein seine Haushälterin Merculia. Madam Merkel, wie Berlustkonie Merculia Nachts schimpfte, Madam Merkel würde ihn demnächst, um präszise zu sein: in zwei Jahren, fünf Wochen und zehn Tagen, mit Botulinumtoxin vergiften. Doch greifen wir den Dingen nicht zu weit vor. Was gerade passierte, war, aus verschiedenen Gründen, unangenehm genug. Martha bedeckte ihre blanke Brust mit dem Putenschenkel. Thanksgiving, sagte sie zu Gregoria, die seit geraumer Zeit bewusstlos auf dem Sofa döste, Thanksgiving habe ich mir anders vorgestellt.
157
Wenn Du mich stichst, blute ich nicht?
Aha. So zart und so männlich.
Über dem Neckar leuchtete der Vollmond. Hagel prasselte aufs Schloss. Das Tor zum Innenhof war geschlossen. Sie saßen fest. Das Unwetter war genau über ihnen.
Wenn ich auf mein Unglück trete, stehe ich höher. Santana streckte die Arme aus, fing einige Hagelkörner und lachte.
Hölderlin. Igor fühlte Santanas Lust. Der Weißrusse legte den Degen aus der Hand. Sich zu schlagen, machte keinen Sinn.
Tango kommt von tangere.
Anfassen. Igor kaute an seinen Fingernägeln. Er ging die Möglichkeiten durch.
Santana nickte. Der kleine Russe gefiel ihm. Das Kauen würde er ihm abgewöhnen. LGBT. Was immer Du bevorzugst.
Wenn Du mich stichst, blute ich nicht?
Aha. So zart und so männlich.
Über dem Neckar leuchtete der Vollmond. Hagel prasselte aufs Schloss. Das Tor zum Innenhof war geschlossen. Sie saßen fest. Das Unwetter war genau über ihnen.
Wenn ich auf mein Unglück trete, stehe ich höher. Santana streckte die Arme aus, fing einige Hagelkörner und lachte.
Hölderlin. Igor fühlte Santanas Lust. Der Weißrusse legte den Degen aus der Hand. Sich zu schlagen, machte keinen Sinn.
Tango kommt von tangere.
Anfassen. Igor kaute an seinen Fingernägeln. Er ging die Möglichkeiten durch.
Santana nickte. Der kleine Russe gefiel ihm. Das Kauen würde er ihm abgewöhnen. LGBT. Was immer Du bevorzugst.
158
Im Truck, glaub mir, schwebt die Zeit. Nachtaus, nachtein. Tagsüber fährt Dox. Wir sind ein Team. Kein Superteam. Kann man nicht behaupten. Aber immerhin. Er hält sich mit dem Furzen zurück. Ich krümele weniger als mir lieb ist. Zwieback ist meine Leidenschaft. Das Krachen, wenn Zwieback im Mund zerbricht. Geröstet, bis er trocken und mürbe ist. Zwieback hat Charakter. Anders als Toast. Toast ist besseres Toilettenpapier. Gemacht für die Armen. Die Dummen, die Scheiße fressen sollen, bis sie in den Sarg steigen. Ach was, Sarg. Loch. Bis sie ins flache Loch geschmissen werden. Man muss dahin gehen, wohin sie einem nicht folgen können. Das ist mein Motto. Sei schneller. Vorschriften sind nicht das Papier wert, auf das sie gekritzelt sind. Auf der Straße merkst du, was alles geht. Einen Zehner, und der Beamte winkt dich durch. Der Fuß auf dem Gaspedal hilft beim Ausparken. Wenn Dox schneller wäre, würden wir sogar Geld verdienen. So reicht es gerade. Wir fahren. Kommen wir zur Sache. Morgen werde ich dreißig. Und rate mal, wo wir sein werden? Und was ich geladen habe?
Im Truck, glaub mir, schwebt die Zeit. Nachtaus, nachtein. Tagsüber fährt Dox. Wir sind ein Team. Kein Superteam. Kann man nicht behaupten. Aber immerhin. Er hält sich mit dem Furzen zurück. Ich krümele weniger als mir lieb ist. Zwieback ist meine Leidenschaft. Das Krachen, wenn Zwieback im Mund zerbricht. Geröstet, bis er trocken und mürbe ist. Zwieback hat Charakter. Anders als Toast. Toast ist besseres Toilettenpapier. Gemacht für die Armen. Die Dummen, die Scheiße fressen sollen, bis sie in den Sarg steigen. Ach was, Sarg. Loch. Bis sie ins flache Loch geschmissen werden. Man muss dahin gehen, wohin sie einem nicht folgen können. Das ist mein Motto. Sei schneller. Vorschriften sind nicht das Papier wert, auf das sie gekritzelt sind. Auf der Straße merkst du, was alles geht. Einen Zehner, und der Beamte winkt dich durch. Der Fuß auf dem Gaspedal hilft beim Ausparken. Wenn Dox schneller wäre, würden wir sogar Geld verdienen. So reicht es gerade. Wir fahren. Kommen wir zur Sache. Morgen werde ich dreißig. Und rate mal, wo wir sein werden? Und was ich geladen habe?
159
Ich glaube, er bastelte am Eifelturm. Die letzten Stützen.
Ja, er hatte immer was vor. Unablässig.
Nichts konnte ihn abhalten.
Nur eine Sache.
Der Tod.
Ja, der Tod. Hasst du den nicht, den Typen?
Eifel?
Den Tod. Nein, ich verehre Eifel. Verflucht, wie ich den Tod verabscheue. So einfallslos. Schäbig, nicht mal mittelmäßig begabt.
Der würde sogar von einem Interview, das Hans Ulrich Obrist mit Damien Hirst gemacht hat, klauen.
Was langweiligeres könnte ich mir gar nicht vorstellen. Wer läse so was?
Leon Golub hat den Tod a dull fact genannt.
Interessant. A dull fact. Elvis lebt noch.
Ja.
Schwitters auch.
Tatsächlich?
Ja.
Wenn du bei Golubs Wikipedia-Seite, unter References, auf "Magnolia Editions - Leon Golub. Retrieved Nov. 6, 2009" klickst, kommt "Apologies, but the page you requested could not be found".
Interesant.
Ja.
Und beim Sex gibt's keine Babies.
Ja. Alles Gerüchte.
Fucking Gerüchte.
Ja.
Was noch?
Ich glaube, er bastelte am Eifelturm. Die letzten Stützen.
Ja, er hatte immer was vor. Unablässig.
Nichts konnte ihn abhalten.
Nur eine Sache.
Der Tod.
Ja, der Tod. Hasst du den nicht, den Typen?
Eifel?
Den Tod. Nein, ich verehre Eifel. Verflucht, wie ich den Tod verabscheue. So einfallslos. Schäbig, nicht mal mittelmäßig begabt.
Der würde sogar von einem Interview, das Hans Ulrich Obrist mit Damien Hirst gemacht hat, klauen.
Was langweiligeres könnte ich mir gar nicht vorstellen. Wer läse so was?
Leon Golub hat den Tod a dull fact genannt.
Interessant. A dull fact. Elvis lebt noch.
Ja.
Schwitters auch.
Tatsächlich?
Ja.
Wenn du bei Golubs Wikipedia-Seite, unter References, auf "Magnolia Editions - Leon Golub. Retrieved Nov. 6, 2009" klickst, kommt "Apologies, but the page you requested could not be found".
Interesant.
Ja.
Und beim Sex gibt's keine Babies.
Ja. Alles Gerüchte.
Fucking Gerüchte.
Ja.
Was noch?
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Restart? ProtonMail machte schon wieder Update-Zicken. Diese Sicherheitsfanatiker aus der Schweiz. CERN-Spinner. Pepsi hatte die Pretty-Good-Privacy-Emails so was von dicke. Qué putada! Restart kam für den jähzornigen Erfolgstrainer nicht in Frage. Außerhalb des Stadions ließ er sich gehen. Gerade vor einem wichtigen Spiel, und das Champions-League-Finale war ein wichtiges Spiel. Es ging gegen Madrid. Mierda. Angstgegner der Bayern. Pepsi schmiss den Laptop beim ungeplanten Zwischenhalt an der A92 - irgendwas mit den Reifen - aus dem Mannschaftsbus. Als handelte es sich um ein Frisbee. Ein Imker, Ruben Martinez, der für die dritte Mannschaft von Rayo Vallecano als Torhüter spielte und in Unterföhring an der Tagung Bee-Sexual - Strategien fürs Überleben teilgenommen hatte, sah den Laptop kommen und hechtete los.
Restart? ProtonMail machte schon wieder Update-Zicken. Diese Sicherheitsfanatiker aus der Schweiz. CERN-Spinner. Pepsi hatte die Pretty-Good-Privacy-Emails so was von dicke. Qué putada! Restart kam für den jähzornigen Erfolgstrainer nicht in Frage. Außerhalb des Stadions ließ er sich gehen. Gerade vor einem wichtigen Spiel, und das Champions-League-Finale war ein wichtiges Spiel. Es ging gegen Madrid. Mierda. Angstgegner der Bayern. Pepsi schmiss den Laptop beim ungeplanten Zwischenhalt an der A92 - irgendwas mit den Reifen - aus dem Mannschaftsbus. Als handelte es sich um ein Frisbee. Ein Imker, Ruben Martinez, der für die dritte Mannschaft von Rayo Vallecano als Torhüter spielte und in Unterföhring an der Tagung Bee-Sexual - Strategien fürs Überleben teilgenommen hatte, sah den Laptop kommen und hechtete los.
161
Bei der Grenzziehung hatte man die Eingeborenen vergessen.
Bei der Grenzziehung hatte man die Eingeborenen vergessen.
162
Hoffnung ist die Verwechselung des Wunsches einer Begebenheit mit ihrer Unwahrscheinlichkeit. Kindle, der Titelverteidiger, schlug zu. Der Ringrichter ging nicht dazwischen. Die Menge gröhlte. Wie ein Tier, das Blut leckt, dachte Kindle.
Lesen heißt mit einem fremden Kopfe, statt des eigenen, denken. Der Herausforderer, Fixed, schüttelte sich. Er spuckte einen Schneidezahn aus. Aus der Lücke drang Speichel. Philosophischer Wettkampf, dachte der Herausforderer, meine Agentin hat echt den Schuss nicht gehört.
Schon der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, dass das Weib weder zu großen geistigen, noch körperlichen Arbeiten bestimmt ist. Das Lachen des Titelverteidigers schwoll an. Kindle wusste um die Schwachstellen seines Gegners.
Der Herausforderer hob die Fäuste. Fixeds Töchter saßen im Publikum. Ehrhardine trug ihren knallgelben Mantel, Rudina einen Helm aus Stahl. Ein Geschenk Jos. Jo war vergangenen Mittwoch gestorben. Die Anhänger des Titelverteidigers hatten mit Zynismus auf Fixeds Verlust reagiert. Für die Propagation des Menschengeschlechts zu sorgen, sind von Natur die jungen, starken und schönen Frauen berufen; damit das Geschlecht nicht ausarte. Dies ist hierin der feste Wille der Natur, und dessen Ausdruck sind die Leidenschaften der Männer.
Kindle grinste. Er pfiff, Jeff, der Joker, warf dem Titelverteidiger, wie verabredet, das Briefmesser zu.
Hoffnung ist die Verwechselung des Wunsches einer Begebenheit mit ihrer Unwahrscheinlichkeit. Kindle, der Titelverteidiger, schlug zu. Der Ringrichter ging nicht dazwischen. Die Menge gröhlte. Wie ein Tier, das Blut leckt, dachte Kindle.
Lesen heißt mit einem fremden Kopfe, statt des eigenen, denken. Der Herausforderer, Fixed, schüttelte sich. Er spuckte einen Schneidezahn aus. Aus der Lücke drang Speichel. Philosophischer Wettkampf, dachte der Herausforderer, meine Agentin hat echt den Schuss nicht gehört.
Schon der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, dass das Weib weder zu großen geistigen, noch körperlichen Arbeiten bestimmt ist. Das Lachen des Titelverteidigers schwoll an. Kindle wusste um die Schwachstellen seines Gegners.
Der Herausforderer hob die Fäuste. Fixeds Töchter saßen im Publikum. Ehrhardine trug ihren knallgelben Mantel, Rudina einen Helm aus Stahl. Ein Geschenk Jos. Jo war vergangenen Mittwoch gestorben. Die Anhänger des Titelverteidigers hatten mit Zynismus auf Fixeds Verlust reagiert. Für die Propagation des Menschengeschlechts zu sorgen, sind von Natur die jungen, starken und schönen Frauen berufen; damit das Geschlecht nicht ausarte. Dies ist hierin der feste Wille der Natur, und dessen Ausdruck sind die Leidenschaften der Männer.
Kindle grinste. Er pfiff, Jeff, der Joker, warf dem Titelverteidiger, wie verabredet, das Briefmesser zu.
163
Alles ginge anders. Nichts hat so zu sein. Dein - nicht mein - Name sei hier erwähnt. An Deine Tür klopfe ich. Eine feste Tür. Kompliment. Aber eben, am Ende des Lebens, nur eine Tür. Eine Tür ist kein echter Schutz gegen das Draußen. Die Natur rot, die Zähne, die Klauen. Die Klingel hast Du abgestellt. Hängst mit dem besseren Auge am Spion, die Brille in der einen, Borges' Dialoge mit Osvaldo Ferrari in der anderen Hand. Du atmest flach, klammerst Dich an etwas fest, das es, so wie Du es Dir vorstellst, nicht gibt. Ich weiß, dass Du da bist. Ich rieche Dich. Durch das Holz, durch die geschlossene Tür. Uns trennen zehn Zentimeter. Eine kleine Schwanzlänge. Was? Du wisperst. Lauter, mein Freund, raus da mit! Ich soll nicht so vulgär sein? Warum flüsterst Du mit Deiner Frau? Ihr ist bekannt, seit langem ist ihr bekannt, dass ich mich für heute angekündigt habe. Sie hat Dir nichts gesagt? Hat Dich weiter die Pillen schlucken lassen? Das ist nicht meine Schuld. Ich nehme das nicht auf meine Kappe. Du riechst nach Pfeifentabak, mein Freund. Wie früher. Erinnerst Du Dich noch? Die Ständige Vertretung? An der Spree. Wir sind zusammen aus Bonn hergezogen. Nach der Wiedervereinigung. Karnevalsfeiern im preußischen Berlin. Die Spaßbremsen hier. Unglaublich. Als hätten sie Stöcke im Arsch. Du hast Deine Förderer durch mich in der Stäv getroffen. Ich habe Dir vertraut. Hustest Du etwa? Bekommst Du keine Luft? Nimm die Pfeife aus dem Mund. Du bist kein Schiedsrichter. Diese Rolle steht Dir nicht zu. Auch wenn Du sie Dir angemaßt hast. In meinem Fall. Und Fall ist wortwörtlich zu nehmen. Die Zelle hätte Dir nicht gefallen. Glaub mir. Mach auf! Ich hab was für Dich.
Alles ginge anders. Nichts hat so zu sein. Dein - nicht mein - Name sei hier erwähnt. An Deine Tür klopfe ich. Eine feste Tür. Kompliment. Aber eben, am Ende des Lebens, nur eine Tür. Eine Tür ist kein echter Schutz gegen das Draußen. Die Natur rot, die Zähne, die Klauen. Die Klingel hast Du abgestellt. Hängst mit dem besseren Auge am Spion, die Brille in der einen, Borges' Dialoge mit Osvaldo Ferrari in der anderen Hand. Du atmest flach, klammerst Dich an etwas fest, das es, so wie Du es Dir vorstellst, nicht gibt. Ich weiß, dass Du da bist. Ich rieche Dich. Durch das Holz, durch die geschlossene Tür. Uns trennen zehn Zentimeter. Eine kleine Schwanzlänge. Was? Du wisperst. Lauter, mein Freund, raus da mit! Ich soll nicht so vulgär sein? Warum flüsterst Du mit Deiner Frau? Ihr ist bekannt, seit langem ist ihr bekannt, dass ich mich für heute angekündigt habe. Sie hat Dir nichts gesagt? Hat Dich weiter die Pillen schlucken lassen? Das ist nicht meine Schuld. Ich nehme das nicht auf meine Kappe. Du riechst nach Pfeifentabak, mein Freund. Wie früher. Erinnerst Du Dich noch? Die Ständige Vertretung? An der Spree. Wir sind zusammen aus Bonn hergezogen. Nach der Wiedervereinigung. Karnevalsfeiern im preußischen Berlin. Die Spaßbremsen hier. Unglaublich. Als hätten sie Stöcke im Arsch. Du hast Deine Förderer durch mich in der Stäv getroffen. Ich habe Dir vertraut. Hustest Du etwa? Bekommst Du keine Luft? Nimm die Pfeife aus dem Mund. Du bist kein Schiedsrichter. Diese Rolle steht Dir nicht zu. Auch wenn Du sie Dir angemaßt hast. In meinem Fall. Und Fall ist wortwörtlich zu nehmen. Die Zelle hätte Dir nicht gefallen. Glaub mir. Mach auf! Ich hab was für Dich.
164
Eine Seele? Der Matrose blickte zum Ufer. Ein See, der Lee liegt. Ja, das sagt mir was. Die vom Wind abgekehrte Seite - was findet die Welt daran? Im Sturm, nur da, bin ich ganz ich. Sind wir ganz wir. Er warf die Frau des Kapitäns in den Pool und sprang, nackt, hinterher.
Eine Seele? Der Matrose blickte zum Ufer. Ein See, der Lee liegt. Ja, das sagt mir was. Die vom Wind abgekehrte Seite - was findet die Welt daran? Im Sturm, nur da, bin ich ganz ich. Sind wir ganz wir. Er warf die Frau des Kapitäns in den Pool und sprang, nackt, hinterher.
165
Niemand hat die Absicht, einen Bauer zu mauern.
Niemand hat die Absicht, einen Bauer zu mauern.
166
Am Ende der Nachtschicht wartete der Tag. Smitten, der Komissar, nahm den feinen Anzug aus der Garderobe. Er hatte zwei Anzüge. Einen unfeinen und einen feinen. Der Unterschied zwischen den beiden war eklatant. Im Feinen sah Smitten wie der Polizeipräsident aus. Sie, Esmeralda TeGerten, sein heutiger Date, hatte ihn bisher allein im unfeinen Anzug gesehen. Smitten stand im Flut seiner unaufgeräumten Etagenwohnung. Er bügelte. Auf dem provisorischen Fensterbrett. Die Wohnung war seltsam geschnitten. Zwei der drei Zimmer hatten kein natürliches Licht. Der Flur dagegen ging, als einziger Raum, zur beschaulichen Gartenseite. Nach vorne war der Airport-Expressway. Smittens Vormieter hatte dankenswerterweise zwei Löcher in die Wand des Flurs gebrochen und, mehr recht als schlecht, Plexiglasscheiben eingesetzt. Im Winter zog es, im Sommer wirkte das Plastikzeugs als Brennglas. Bei jeder Hitzewelle kokelte die Tapete vor sich hin. Die Sprinkleranlage setzte dann den Flur unter Wasser. Smitten pfiff. Eine Angewohnheit, die er mit anderen alleinstehenden Männern teilte. Esmeralda TeGerten, dachte der Komissar, du wirst Augen machen.
Am Ende der Nachtschicht wartete der Tag. Smitten, der Komissar, nahm den feinen Anzug aus der Garderobe. Er hatte zwei Anzüge. Einen unfeinen und einen feinen. Der Unterschied zwischen den beiden war eklatant. Im Feinen sah Smitten wie der Polizeipräsident aus. Sie, Esmeralda TeGerten, sein heutiger Date, hatte ihn bisher allein im unfeinen Anzug gesehen. Smitten stand im Flut seiner unaufgeräumten Etagenwohnung. Er bügelte. Auf dem provisorischen Fensterbrett. Die Wohnung war seltsam geschnitten. Zwei der drei Zimmer hatten kein natürliches Licht. Der Flur dagegen ging, als einziger Raum, zur beschaulichen Gartenseite. Nach vorne war der Airport-Expressway. Smittens Vormieter hatte dankenswerterweise zwei Löcher in die Wand des Flurs gebrochen und, mehr recht als schlecht, Plexiglasscheiben eingesetzt. Im Winter zog es, im Sommer wirkte das Plastikzeugs als Brennglas. Bei jeder Hitzewelle kokelte die Tapete vor sich hin. Die Sprinkleranlage setzte dann den Flur unter Wasser. Smitten pfiff. Eine Angewohnheit, die er mit anderen alleinstehenden Männern teilte. Esmeralda TeGerten, dachte der Komissar, du wirst Augen machen.
167
Tanzgo. Heidrun von Klarckersdorf blieb vor dem Schild am Kuhstall, wie der Speisesaal in der Residenz aus unerfindlichen Gründen hieß, stehen. Heute Tanzgo - auf der Terasse. Sie lachte. Bitter wie ein scharfer Schnaps. Müller von Liebesau, du Dieb, dachte Heidrun von Klarckersdorf, das wirst du mir büßen. Damit kommst du nicht durch. Damit nicht. Im Kopf formulierte sie bereits ihre Beschwerde an die Leitung der Residenz. Die Liebe Sau, wollte Heidrun von Klarckersdorf schreiben, die Liebe Sau erdreistet sich, nicht, wie Ihnen bekannt sein dürfte, nicht zum ersten Mal, m e i n e Ideen zu klauen; Tanzgo stellt, jeder vernunftbegabte Mensch wird mir hier zustimmen, unzweifelhaft ein Plagiat dar; mein TANtoGO will die Liebe Sau hintertreiben; zwei Veranstaltungen gleichen Inhalts seien an einem Abend in der Residenz untragbar; der Veranstaltungsort verweise - und daraus weise sie nicht zum ersten Mal hin - auf die xenophobe Grundhaltung der Lieben Sau, der/die alles in rassistische Schubladen stecken muss; sollte Tanzgogo stattfinden, sehe ich mich gezwungen, die Bombe, von der in unserem Briefwechsel bereits die Rede war, tatsächlich zu zünden.
Tanzgo. Heidrun von Klarckersdorf blieb vor dem Schild am Kuhstall, wie der Speisesaal in der Residenz aus unerfindlichen Gründen hieß, stehen. Heute Tanzgo - auf der Terasse. Sie lachte. Bitter wie ein scharfer Schnaps. Müller von Liebesau, du Dieb, dachte Heidrun von Klarckersdorf, das wirst du mir büßen. Damit kommst du nicht durch. Damit nicht. Im Kopf formulierte sie bereits ihre Beschwerde an die Leitung der Residenz. Die Liebe Sau, wollte Heidrun von Klarckersdorf schreiben, die Liebe Sau erdreistet sich, nicht, wie Ihnen bekannt sein dürfte, nicht zum ersten Mal, m e i n e Ideen zu klauen; Tanzgo stellt, jeder vernunftbegabte Mensch wird mir hier zustimmen, unzweifelhaft ein Plagiat dar; mein TANtoGO will die Liebe Sau hintertreiben; zwei Veranstaltungen gleichen Inhalts seien an einem Abend in der Residenz untragbar; der Veranstaltungsort verweise - und daraus weise sie nicht zum ersten Mal hin - auf die xenophobe Grundhaltung der Lieben Sau, der/die alles in rassistische Schubladen stecken muss; sollte Tanzgogo stattfinden, sehe ich mich gezwungen, die Bombe, von der in unserem Briefwechsel bereits die Rede war, tatsächlich zu zünden.
168
Als sich Lotte, die schwangere Philosophiestudentin, sie erwartete Zwillinge, zwischen Li- und Monade entscheiden musste, siegte der Durst. Das Büchereinordnen hatte Lotte mitgenommen. Dass eine Apperzeption innere Zustände von reflexiver Erkenntnis bezeichnete, war ihr gerade ziemlich egal. Sie ging zur Bar. Privatdozent Storch, ein Leibniz-Scholar, erbleichte. Dafür, dachte PD Storch, dafür habe ich meine Familie verlassen? Ihm fiel auf, wie dick Lotte aussah. Und sie war erst im fünften Monad.
Als sich Lotte, die schwangere Philosophiestudentin, sie erwartete Zwillinge, zwischen Li- und Monade entscheiden musste, siegte der Durst. Das Büchereinordnen hatte Lotte mitgenommen. Dass eine Apperzeption innere Zustände von reflexiver Erkenntnis bezeichnete, war ihr gerade ziemlich egal. Sie ging zur Bar. Privatdozent Storch, ein Leibniz-Scholar, erbleichte. Dafür, dachte PD Storch, dafür habe ich meine Familie verlassen? Ihm fiel auf, wie dick Lotte aussah. Und sie war erst im fünften Monad.
169
Der Gastgeber hatte die Gäste vergessen. Er stand vor einem Publikum. Er sprach. Die Gastgeberin nickte und bediente. Sie war angestellt. Eine Angestellte. Seit 32 Jahren angestellt. Die Gastgeberin hatte sich nicht angestellt, wenn er gesprochen hatte, wenn er sprach, wenn er sprechen würde. Das Angestelltsein war in ihre dienenden Hände, in ihre dienenden Füße, ihre dienenden Brüste, ihre dienende Vagina eingedrungen. Der Gastgeber erzählte von Dingen, die vor mehr als 20 Jahren passiert waren. Er konnte sich an jedes Detail erinnern. Und er erinnerte sich an jedes Detail. Dass sich die Gastgeberin an andere Details erinnerte, nicht an die Details des Gastgebers, enthüllte der dienende Mund nicht.
Der Gastgeber hatte die Gäste vergessen. Er stand vor einem Publikum. Er sprach. Die Gastgeberin nickte und bediente. Sie war angestellt. Eine Angestellte. Seit 32 Jahren angestellt. Die Gastgeberin hatte sich nicht angestellt, wenn er gesprochen hatte, wenn er sprach, wenn er sprechen würde. Das Angestelltsein war in ihre dienenden Hände, in ihre dienenden Füße, ihre dienenden Brüste, ihre dienende Vagina eingedrungen. Der Gastgeber erzählte von Dingen, die vor mehr als 20 Jahren passiert waren. Er konnte sich an jedes Detail erinnern. Und er erinnerte sich an jedes Detail. Dass sich die Gastgeberin an andere Details erinnerte, nicht an die Details des Gastgebers, enthüllte der dienende Mund nicht.
170
Kein Wald. Nur Bäume. Grün. Tannen. Nicht geschmückt. Aber geschlagen. T1 stand neben T2. Sie verstanden sich nicht. Ohne Wurzeln. Hätten sich verstanden. Eigentlich. Über Wasser verhandelt. Den Platz. Die Sonne. Den Schatten. Klimaziele diskutiert. Wie Schüler in der Umwelt AG. In der Baumschule. Das Ziel sei es, hätte T1 gesagt, die Erderwärmung auf höchstens zwei Grad zu begrenzen. Nach Studien des Weltklimarates, hätte T2 angemerkt, müssten für eine Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad die Emissionen weltweit um 40 bis 70 Prozent bis 2050 reduziert werden. Auf nahe null bis Ende des Jahrhunderts, hätte T1 angefügt. Sie hätten ihre Nadeln geschüttelt. Ungläubig. Angewidert. Hätten Ameisen beobachtet. Dann hätte T3, rechs neben T2, gegen den Willen der anderen, einen Witz erzählt. Ein Pappelpaar säße beim Abendessen, hätte T3 gesagt. Der Pappelmann hätte sich erkundigt: “War das Essen wieder aus der Dose?” “Ja, mein Schatz", hätte die Pappelfrau geantwortet, "und stell dir vor, es war so ein süßer Hund drauf abgebildet und daneben hieß es: Für Ihren Liebling!” T3 hätte sich gebogen vor Lachen. Pappeln galten als die Ostfriesen der Bäume. T1 und T2 hätten sich für den Bruder geschämt. Denn um ihren Bruder hätte es sich gehandelt. Alle Bäume waren Brüder. Wenigstens theoretisch. Vorbei. Neben dem Platz, auf dem zweimal im Jahr ein Zirkus die Zelte aufschlug, wurde gebaut. Die Stunden wollten nicht vergehen. Nach der Kälte käme die Wärme, so ging das Gerücht. Warum? fragte sich T2. Es gab keine Antwort.
Kein Wald. Nur Bäume. Grün. Tannen. Nicht geschmückt. Aber geschlagen. T1 stand neben T2. Sie verstanden sich nicht. Ohne Wurzeln. Hätten sich verstanden. Eigentlich. Über Wasser verhandelt. Den Platz. Die Sonne. Den Schatten. Klimaziele diskutiert. Wie Schüler in der Umwelt AG. In der Baumschule. Das Ziel sei es, hätte T1 gesagt, die Erderwärmung auf höchstens zwei Grad zu begrenzen. Nach Studien des Weltklimarates, hätte T2 angemerkt, müssten für eine Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad die Emissionen weltweit um 40 bis 70 Prozent bis 2050 reduziert werden. Auf nahe null bis Ende des Jahrhunderts, hätte T1 angefügt. Sie hätten ihre Nadeln geschüttelt. Ungläubig. Angewidert. Hätten Ameisen beobachtet. Dann hätte T3, rechs neben T2, gegen den Willen der anderen, einen Witz erzählt. Ein Pappelpaar säße beim Abendessen, hätte T3 gesagt. Der Pappelmann hätte sich erkundigt: “War das Essen wieder aus der Dose?” “Ja, mein Schatz", hätte die Pappelfrau geantwortet, "und stell dir vor, es war so ein süßer Hund drauf abgebildet und daneben hieß es: Für Ihren Liebling!” T3 hätte sich gebogen vor Lachen. Pappeln galten als die Ostfriesen der Bäume. T1 und T2 hätten sich für den Bruder geschämt. Denn um ihren Bruder hätte es sich gehandelt. Alle Bäume waren Brüder. Wenigstens theoretisch. Vorbei. Neben dem Platz, auf dem zweimal im Jahr ein Zirkus die Zelte aufschlug, wurde gebaut. Die Stunden wollten nicht vergehen. Nach der Kälte käme die Wärme, so ging das Gerücht. Warum? fragte sich T2. Es gab keine Antwort.
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Die Sanitäter drehten sich ab. Sie hatten viel gesehen. Aber so was?
Die Sanitäter drehten sich ab. Sie hatten viel gesehen. Aber so was?
172
Ab jetzt zählt jede Minute. Das Grollen des Sturms nähert sich. Kein Windhauch. Das Flimmern der Luft verheißt nichts Gutes. Sie werfen den Anker aus. Der Anker findet keinen Grund. Die Strömung treibt das Boot davon.
Ab jetzt zählt jede Minute. Das Grollen des Sturms nähert sich. Kein Windhauch. Das Flimmern der Luft verheißt nichts Gutes. Sie werfen den Anker aus. Der Anker findet keinen Grund. Die Strömung treibt das Boot davon.
173
Das Telefon klingelte. Es stand, ganz klassisch, auf einem Beistelltisch im Eingangsflur der behaglichen Wohnung am Strausberger Platz.
Helene Demuth nahm ab. "Ja?"
"Ist Karl da?", fragte eine dunkle Stimme.
"Wer ist denn dran?", fragte Helene Demuth.
"Erkennst du mich nicht, Helene?", fragte die dunkle Stimme.
Helene Demuth überlegte. Es war der 12. November 1961. In der kommenden Nacht würde man die Stalin-Allee umbenennen, was Helene Demuth in diesem Moment nicht wissen konnte. Engels war seit 66 Jahren tot. "Friedrich ...?", fragte sie.
Das Telefon klingelte. Es stand, ganz klassisch, auf einem Beistelltisch im Eingangsflur der behaglichen Wohnung am Strausberger Platz.
Helene Demuth nahm ab. "Ja?"
"Ist Karl da?", fragte eine dunkle Stimme.
"Wer ist denn dran?", fragte Helene Demuth.
"Erkennst du mich nicht, Helene?", fragte die dunkle Stimme.
Helene Demuth überlegte. Es war der 12. November 1961. In der kommenden Nacht würde man die Stalin-Allee umbenennen, was Helene Demuth in diesem Moment nicht wissen konnte. Engels war seit 66 Jahren tot. "Friedrich ...?", fragte sie.
174
Wer kann, kann, sagte der nebenberufliche Viagra-Vertreter.
Elfriede Potschhammer warf die blondierten Haare zurück und lachte schrill. Tränen kullerten ihr aus den Augen. Die 47-Jährige, vier Kinder von drei Männern, bausparversichert, Linke-Wählerin, drosch nicht nur auf die eigenen Schenkel, sondern auch auf die ihrer besten Freundin ein. Dass Traudl Krautrüben nicht Elfriede Potschhammers beste Freundin war, obwohl sie es vorgab, obwohl die beiden Frauen regelmäßig, im Herbst und im Frühling, für zwei Wochen nach Tunesien reisten und schwesterlich Bassams Vorzüge teilten - der Lächelnde bemühte sich morgens um Elli, nachmittags um Traudi, was er am Abend machte, wollten die Frauen nicht wissen, sie glaubten Bassams Beteuerungen, dass er sich um seine Kamele zu kümmern hatte -, dass Traudl Krautrüben nicht Elfriede Potschhammers beste Freundin war, würde erst in einer Woche, am 24. Dezember 2017, wichtig werden, im Moment, im schlecht beleuchteten Verkaufkeller des Viagra-Vertreters, Elli und Traudi waren auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken für ihre Lebensabschnittsbegleiter, im Moment spielte das noch keine Rolle.
Ganz billig, sagte der Viagra-Vertreter, während er Elfriede Potschhammer ein Taschentusch reichte, ist das Kann allerdings nicht.
Verglichen mit dem, was die International Security Assistance Force in Kandahar ausgegeben hat, sind das Peanuts, sagte Traudl Krautrüben, die drei Jahre lang als Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan zuständig gewesen war.
Elfriede Potschhammer, die einen Online-Münnzhandel betrieb, verstummte. Sie war es leid, dass sich ihre Freundin zuverlässig innerhalb von Minuten als Diplomatin outete. Das weißt du doch gar nicht so genau. Was an Schmiergeld geflossen ist, kann doch kein Mensch in Wahrheit sagen.
Die Suche nach Gewissheit ist eine der gefährlichsten Irrtumsquellen, weil sie mit der Behauptung einer höheren Art von Erkenntnis verbunden ist, sagte der Viagra-Vertreter, der an der Freien Universität als Wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war.
Traudl Krautrüben nickte. Hans Reichenbach, sagte sie. Ihr Großvater, mütterlicherseits, war der Kommunist Bernhard Reichenbach, Hans` Bruder, gewesen.
Wer kann, kann, sagte der nebenberufliche Viagra-Vertreter.
Elfriede Potschhammer warf die blondierten Haare zurück und lachte schrill. Tränen kullerten ihr aus den Augen. Die 47-Jährige, vier Kinder von drei Männern, bausparversichert, Linke-Wählerin, drosch nicht nur auf die eigenen Schenkel, sondern auch auf die ihrer besten Freundin ein. Dass Traudl Krautrüben nicht Elfriede Potschhammers beste Freundin war, obwohl sie es vorgab, obwohl die beiden Frauen regelmäßig, im Herbst und im Frühling, für zwei Wochen nach Tunesien reisten und schwesterlich Bassams Vorzüge teilten - der Lächelnde bemühte sich morgens um Elli, nachmittags um Traudi, was er am Abend machte, wollten die Frauen nicht wissen, sie glaubten Bassams Beteuerungen, dass er sich um seine Kamele zu kümmern hatte -, dass Traudl Krautrüben nicht Elfriede Potschhammers beste Freundin war, würde erst in einer Woche, am 24. Dezember 2017, wichtig werden, im Moment, im schlecht beleuchteten Verkaufkeller des Viagra-Vertreters, Elli und Traudi waren auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken für ihre Lebensabschnittsbegleiter, im Moment spielte das noch keine Rolle.
Ganz billig, sagte der Viagra-Vertreter, während er Elfriede Potschhammer ein Taschentusch reichte, ist das Kann allerdings nicht.
Verglichen mit dem, was die International Security Assistance Force in Kandahar ausgegeben hat, sind das Peanuts, sagte Traudl Krautrüben, die drei Jahre lang als Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan zuständig gewesen war.
Elfriede Potschhammer, die einen Online-Münnzhandel betrieb, verstummte. Sie war es leid, dass sich ihre Freundin zuverlässig innerhalb von Minuten als Diplomatin outete. Das weißt du doch gar nicht so genau. Was an Schmiergeld geflossen ist, kann doch kein Mensch in Wahrheit sagen.
Die Suche nach Gewissheit ist eine der gefährlichsten Irrtumsquellen, weil sie mit der Behauptung einer höheren Art von Erkenntnis verbunden ist, sagte der Viagra-Vertreter, der an der Freien Universität als Wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war.
Traudl Krautrüben nickte. Hans Reichenbach, sagte sie. Ihr Großvater, mütterlicherseits, war der Kommunist Bernhard Reichenbach, Hans` Bruder, gewesen.
175
Als der Tag des Schnitts kam, ging ich ein letztes Mal durch die Wohnung. Die Bücherregale, Darlings und meine Bücher, standen stumm. Seit Bs Tod verstaubten die Rücken. Meine Augen machten nicht mehr mit. An Neugier mangelte es dagegen nicht. Statt in die Bibliothek war ich in den vergangenen Jahren ins Babylon gegangen. Gut, gesehen habe ich in Wahrheit wenig, aber gehört habe ich doch, beinahe, alles. Mein Lautspielhaus habe ich das Kino am Rosa-Luxemburg-Platz getauft. Haben Sie das jemals probiert? Die Augen zu schließen und nur zu lauschen? Alte Schule, jaja, Opa erklärt uns die Welt. Das Digitale könne das alles viel besser - wollen Sie das einwenden? Podcasts hätten den echten Mehrwert - ist das Ihr Argument? Ich bin kein Prediger. Jedenfalls nicht mehr als Sie. Pardon, so war das natürlich nicht gemeint. Sie korrigieren nur, sie belehren nicht. Wie schön, wenn man das von sich behaupten kann. Unglückwunsch. Darf ich Ihnen etwas gestehen? Ihre Arroganz kotzt mich im Strahl an. Ich soll mich zügeln? Warum? Ist Ihnen mein Auftritt peinlich? Wissen Sie, was Ihnen wirklich peinlich sein sollte? Nein? Gut, dann will ich Ihnen mal eine Geschichte erzählen. Und zwar die Geschichte Ihrer vermaledeiten Zeugung. Sie wären, mit Verlaub, ohne mich nicht auf der Welt.
Als der Tag des Schnitts kam, ging ich ein letztes Mal durch die Wohnung. Die Bücherregale, Darlings und meine Bücher, standen stumm. Seit Bs Tod verstaubten die Rücken. Meine Augen machten nicht mehr mit. An Neugier mangelte es dagegen nicht. Statt in die Bibliothek war ich in den vergangenen Jahren ins Babylon gegangen. Gut, gesehen habe ich in Wahrheit wenig, aber gehört habe ich doch, beinahe, alles. Mein Lautspielhaus habe ich das Kino am Rosa-Luxemburg-Platz getauft. Haben Sie das jemals probiert? Die Augen zu schließen und nur zu lauschen? Alte Schule, jaja, Opa erklärt uns die Welt. Das Digitale könne das alles viel besser - wollen Sie das einwenden? Podcasts hätten den echten Mehrwert - ist das Ihr Argument? Ich bin kein Prediger. Jedenfalls nicht mehr als Sie. Pardon, so war das natürlich nicht gemeint. Sie korrigieren nur, sie belehren nicht. Wie schön, wenn man das von sich behaupten kann. Unglückwunsch. Darf ich Ihnen etwas gestehen? Ihre Arroganz kotzt mich im Strahl an. Ich soll mich zügeln? Warum? Ist Ihnen mein Auftritt peinlich? Wissen Sie, was Ihnen wirklich peinlich sein sollte? Nein? Gut, dann will ich Ihnen mal eine Geschichte erzählen. Und zwar die Geschichte Ihrer vermaledeiten Zeugung. Sie wären, mit Verlaub, ohne mich nicht auf der Welt.
176
Das Pendel schlug zurück. Der Zug legte sich auf die Seite. Ein Vorteil der Neigetechnik. Damit hatten die phlegmatischen Pendler nicht gerechnet.
Das Pendel schlug zurück. Der Zug legte sich auf die Seite. Ein Vorteil der Neigetechnik. Damit hatten die phlegmatischen Pendler nicht gerechnet.
177
Besonders die dunklen. Kreisrunden. Immer dar. Ich kann sie in meinem Hirn anfassen, sagte Elsa, die Malerin. Dutzende. Eine ganze Ausstellung. Frau Grubach, die Kuratorin aus Schwäbisch Hall, nickte, nachlässig. Harte, schwarze Kreise. Zerkratzt. So dass man gucken will. Ununterbrochen. Aufs Neue. Manchmal auch gelbe. Elsa sah aus dem Fenster. Gelbe Kreise. Noch wesentlich zerkratzter. Die Kratzer im Gelb sieht man kaum. Gelb ist, theoretisch, meine Lieblingsfarbe. Praktisch benutze ich kein Gelb. Für mich ist das Licht, das auf die Oberfläche fällt, gelb. Die un-fertigen, vor-handenen Leinwände umschließen mich. Können Sie das verstehen, Frau Grubach? Ein Kokon. Ein Ort für mich allein. Den ich nicht hergebe. Warum soll ich teilen? Der Vor-Raum ist mir wichtiger als der Nach-Ruhm. Wenn ich tot bin, bin ich tot. Die Malerin öffnete die Tube und bestellte einen doppelten Espresso. Josef K, der Kellner, hatte, wie stets, die Nachtschicht. Tagsüber empfing er Frauenbesuch. Elsa ging einmal die Woche zu ihm.
Besonders die dunklen. Kreisrunden. Immer dar. Ich kann sie in meinem Hirn anfassen, sagte Elsa, die Malerin. Dutzende. Eine ganze Ausstellung. Frau Grubach, die Kuratorin aus Schwäbisch Hall, nickte, nachlässig. Harte, schwarze Kreise. Zerkratzt. So dass man gucken will. Ununterbrochen. Aufs Neue. Manchmal auch gelbe. Elsa sah aus dem Fenster. Gelbe Kreise. Noch wesentlich zerkratzter. Die Kratzer im Gelb sieht man kaum. Gelb ist, theoretisch, meine Lieblingsfarbe. Praktisch benutze ich kein Gelb. Für mich ist das Licht, das auf die Oberfläche fällt, gelb. Die un-fertigen, vor-handenen Leinwände umschließen mich. Können Sie das verstehen, Frau Grubach? Ein Kokon. Ein Ort für mich allein. Den ich nicht hergebe. Warum soll ich teilen? Der Vor-Raum ist mir wichtiger als der Nach-Ruhm. Wenn ich tot bin, bin ich tot. Die Malerin öffnete die Tube und bestellte einen doppelten Espresso. Josef K, der Kellner, hatte, wie stets, die Nachtschicht. Tagsüber empfing er Frauenbesuch. Elsa ging einmal die Woche zu ihm.
178
Fragen _______________________________ Wo möchten Sie leben? Leben Sie? Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück? Das unvollkommene himmlische? Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten? Welche am wenigsten? Was ist für Sie das größte Unglück? Ihre liebsten RomanheldInnen? Ihre Lieblingsgestalt in der Geschichte? Im Gedicht? IhrE LieblingsheldIn in der Wirklichkeit? IhrE LieblingsmalerIn? IhrE LieblingsautorIn? IhrE LieblingskomponistIn? Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einer Frau am meisten? Welche am wenigsten? Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Mann am meisten? Welche am wenigsten? Ihre Lieblingstugend? Ihre Lieblingsuntugend? Ihre Lieblingsbeschäftigung? Wer oder was hätten Sie gern sein mögen? Wer oder was hätten Sie gern nicht sein mögen? Ihr Hauptcharakterzug? Was schätzen Sie bei Ihren Freunden am meisten? Was am wenigsten? Ihr größter Fehler? Ihr kleinster? Ihr Traum vom Glück? Was wäre für Sie das größte Unglück? Ihre Lieblingsfarbe? Ihre Lieblingsblume? Ihr Lieblingsvogel? Ihre Lieblingsnamen? Welche Reform bewundern Sie am meisten? Welche verachten Sie am meisten? Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen? Welche unnatürliche? Wie möchten Sie gern sterben? Möchten Sie gern sterben? Ihre gegenwärtige Geistesverfassung? Ihre zukünftige? Ihr Motto? |
179
Ihre Antworten: Ohne zu überlegen _______________________________ |
180
Ihre Antworten: Eine Nacht später ________________________________ |
181
Liebe ist ein Fünfbuchstabenwort. Friedolin, Hannes Bruder, schaltete in den nächsten Gang. Der Alfa Romeo machte Zicken. Ätzend. Vintage Shit. Friedolin fluchte. Der Waldbrand kam näher.
Wie Vater. Hanne schob sich die Sonnenbrille zurecht. In Cannes geklaut. Aus Langeweile.
Friedolin lachte. Auf die Ironie seiner älteren Schwester war Verlass. Wie viele hat Mutter?
Sex, sagte Hanne, dabei lispelte sie wie ihre Mutter. Sexsexsex. Der Hass in Hannes Stimme war nicht zu überhören.
Und Fanny? Friedolin bohrte. Er brauchte ihre Unterstützung.
Hanne verzog den Mund. Fanny war Mutters Liebling und sollte demnächst die Firma übernehmen. Nur über meine Leiche, sagte Hanne.
Liebe ist ein Fünfbuchstabenwort. Friedolin, Hannes Bruder, schaltete in den nächsten Gang. Der Alfa Romeo machte Zicken. Ätzend. Vintage Shit. Friedolin fluchte. Der Waldbrand kam näher.
Wie Vater. Hanne schob sich die Sonnenbrille zurecht. In Cannes geklaut. Aus Langeweile.
Friedolin lachte. Auf die Ironie seiner älteren Schwester war Verlass. Wie viele hat Mutter?
Sex, sagte Hanne, dabei lispelte sie wie ihre Mutter. Sexsexsex. Der Hass in Hannes Stimme war nicht zu überhören.
Und Fanny? Friedolin bohrte. Er brauchte ihre Unterstützung.
Hanne verzog den Mund. Fanny war Mutters Liebling und sollte demnächst die Firma übernehmen. Nur über meine Leiche, sagte Hanne.
182
In sich/wa?, keen Zweefel, sie grinste schief wie eine abgefrorene Träne, in sich/wa? fühlt sich der kleene Mann janz groß.
Katzenknutscher-Jim? Oder Anthropozän-Joe? Die Barmieze lackierte Santa Fe, der seit elf Jahren am Tresen angeschraubten Schildkröte, den Panzer.
Man/ne, ihr Grinsen roch nach ausgepressten Lemonen, mit dir über die Feegheeten des Liebens zu diskutieren, macht echt nich keenen Spaß mehr/wa!.
Wieso/se? Die Barmieze trank den Nackellack auf ex. Der Schluckauf fühlte sich wie ein Lottogewinn an einem lauwarmen Märzmittwoch an. Drei Richtige, minus Zusatzzahl.
Dir geht das Theoretische ab/wa!. Du denkst sofort/ma/hinne an Kerl den Kleinen. Deene roh/mann/tische Ader treebt dich noch inne Elbe.
Senf-Theo? Issen der wieder/ma aufjetaucht? Hinter der Barmieze fiepte eine Gasflasche. Aus der verrückten Perücke werd ich nich schlau. Jeld wie Streu, aber fickt dahinter.
Nene, Hrabanause Maurus, Fritten-Elses Eckenkleber, den meen ich. Macht jetzte/wa! auf janz jebildet. Profmitesser und so/wa!.
Stimmt, das parasitäre Hrabanäuschen. Zu kleen zum Lecken, aber schimmelpimmel Zungezeegen.
Santa Fe gähnte. Draußen fuhr ein Leichenwagen vor.
In sich/wa?, keen Zweefel, sie grinste schief wie eine abgefrorene Träne, in sich/wa? fühlt sich der kleene Mann janz groß.
Katzenknutscher-Jim? Oder Anthropozän-Joe? Die Barmieze lackierte Santa Fe, der seit elf Jahren am Tresen angeschraubten Schildkröte, den Panzer.
Man/ne, ihr Grinsen roch nach ausgepressten Lemonen, mit dir über die Feegheeten des Liebens zu diskutieren, macht echt nich keenen Spaß mehr/wa!.
Wieso/se? Die Barmieze trank den Nackellack auf ex. Der Schluckauf fühlte sich wie ein Lottogewinn an einem lauwarmen Märzmittwoch an. Drei Richtige, minus Zusatzzahl.
Dir geht das Theoretische ab/wa!. Du denkst sofort/ma/hinne an Kerl den Kleinen. Deene roh/mann/tische Ader treebt dich noch inne Elbe.
Senf-Theo? Issen der wieder/ma aufjetaucht? Hinter der Barmieze fiepte eine Gasflasche. Aus der verrückten Perücke werd ich nich schlau. Jeld wie Streu, aber fickt dahinter.
Nene, Hrabanause Maurus, Fritten-Elses Eckenkleber, den meen ich. Macht jetzte/wa! auf janz jebildet. Profmitesser und so/wa!.
Stimmt, das parasitäre Hrabanäuschen. Zu kleen zum Lecken, aber schimmelpimmel Zungezeegen.
Santa Fe gähnte. Draußen fuhr ein Leichenwagen vor.
183
Magerquark? Der Mittdreißiger blähte seine Muskeln auf. Wenn du mich mit einem Lebensmittel vergleichen sollst, fällt dir ausgerechnet Magerquark ein?
Sie saß auf der Bettkante und zog sich die Strumpfhose an. Seine Sekundenlust, deretwegen das Paar mehrmals beim Therapeuten gewesen war, hielt sie nicht länger aus. Gaby, ihre Freundin, hatte schon vor Wochen vorgeschlagen, auf Beleidigungen zu setzen. Das hätte katalysatorische Wirkung. In welche Richtung würde sich nun zeigen. Klar war: das zweimal vor und zurück war nicht genug für sie. Okay, Wackelpudding, sagte sie.
Magerquark? Der Mittdreißiger blähte seine Muskeln auf. Wenn du mich mit einem Lebensmittel vergleichen sollst, fällt dir ausgerechnet Magerquark ein?
Sie saß auf der Bettkante und zog sich die Strumpfhose an. Seine Sekundenlust, deretwegen das Paar mehrmals beim Therapeuten gewesen war, hielt sie nicht länger aus. Gaby, ihre Freundin, hatte schon vor Wochen vorgeschlagen, auf Beleidigungen zu setzen. Das hätte katalysatorische Wirkung. In welche Richtung würde sich nun zeigen. Klar war: das zweimal vor und zurück war nicht genug für sie. Okay, Wackelpudding, sagte sie.
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G-Man-String?
Klischeelos wuchtig!, schrie jemand.
Sie tanzten. Frauen. Männer. Im Kreis.
Dial Wirrnana Night?
Mysteriöser Vril, schrie jamand.
Sie tanzten. Frauen. Männer. Im Dreieck.
Sammy DeeDeeJay Zip?
Postpolitisch und frei von politischen Forderungen, schrie jemand.
Sie tanzten. Frauen. Männer. Im Trapez.
Zolala Jesus?
Hellblondes Energiebündel, Time-Warp erprobt, schrie jemand.
Sie tanzten. Frauen. Männer. Im Parallelogramm.
Osunlade?
Envision?, fragte jemand.
Yeah.
Fantastische Bahn. Bis 05.05. Nachdem diese aweful Synthesizer Tropfen treten in. Ich hasse es zu sagen, von da an ist Mist, schrie jemand.
Sie tanzten nicht. Frauen. Männer. Im Berghain.
Motherfucking PC-Polizei. Hat irgendeiner werfen Sie einfach einen riesigen Arsch Last von Scheiße in einem Ort, wo everybodtys Gehirn früher? Verdammt, motherfuckin "nie gemacht Medikamente so hab ich keine verdammte Ahnung, was GUT bedeutet", Arschloch Wichser erzählt jeder, alles zu lieben, schrie jemand.
G-Man-String?
Klischeelos wuchtig!, schrie jemand.
Sie tanzten. Frauen. Männer. Im Kreis.
Dial Wirrnana Night?
Mysteriöser Vril, schrie jamand.
Sie tanzten. Frauen. Männer. Im Dreieck.
Sammy DeeDeeJay Zip?
Postpolitisch und frei von politischen Forderungen, schrie jemand.
Sie tanzten. Frauen. Männer. Im Trapez.
Zolala Jesus?
Hellblondes Energiebündel, Time-Warp erprobt, schrie jemand.
Sie tanzten. Frauen. Männer. Im Parallelogramm.
Osunlade?
Envision?, fragte jemand.
Yeah.
Fantastische Bahn. Bis 05.05. Nachdem diese aweful Synthesizer Tropfen treten in. Ich hasse es zu sagen, von da an ist Mist, schrie jemand.
Sie tanzten nicht. Frauen. Männer. Im Berghain.
Motherfucking PC-Polizei. Hat irgendeiner werfen Sie einfach einen riesigen Arsch Last von Scheiße in einem Ort, wo everybodtys Gehirn früher? Verdammt, motherfuckin "nie gemacht Medikamente so hab ich keine verdammte Ahnung, was GUT bedeutet", Arschloch Wichser erzählt jeder, alles zu lieben, schrie jemand.
185
Lauterbach schwamm mit sich selbst um die Wette. Eine alte Angewohnheit. Der rechte Arm wollte schneller kraulen als der linke. Ich decke das Parteienspektrum ab, erklärte er Hartung, dem Coach, nicht zum ersten Mal. Mein Kopf ist das liberale Bürgertum, sagte Lauterbach.
Hartung, der gerade, wie meistens, Probleme mit Gause, seiner Frau, hatte, nickte abwesend. Lieber alle machen lassen, als sich einzuengen. Gause macht so was von Druck, das kannst du dir nicht vorstellen. Ich soll mich gefälligst um das Forward-Darlehen kümmern, wir befänden uns in einer Niedrigzinsphase. Ob mir noch zu helfen sei? So spricht sie mit mir. Der billigste Anbieter ist ihr recht. Interhyp konsultieren. Ob dann unser Geld für Kriegsgeschäfte eingesetzt wird? Das ist Gause völlig egal. Mit wem teil ich nur das Bett? Womit hab ich das verdient?
Lauterbach kannte Hartungs ethische Banksuaden. Er hielt sich am Beckenrand fest, mit der linken Hand, was der rechten, die wütend aufs Wasser schlug, gar nicht behagte. Gauses, sagte Hartung und presste einen Schwall Wasser aus dem Mund, Gauses Lebensklugheit solltest du nicht unterschätzen. Nicht das Verdienen, dein Verdienst ist das Problem. Sie denkt ans Alter, an die Kinder. Versetz dich mal in ihre Lage.
Hartung schnaubte. Die Kinder! Gause hatte drei Söhne in die Beziehung gebracht, die ihn alle verachteten.
Lauterbach schwamm mit sich selbst um die Wette. Eine alte Angewohnheit. Der rechte Arm wollte schneller kraulen als der linke. Ich decke das Parteienspektrum ab, erklärte er Hartung, dem Coach, nicht zum ersten Mal. Mein Kopf ist das liberale Bürgertum, sagte Lauterbach.
Hartung, der gerade, wie meistens, Probleme mit Gause, seiner Frau, hatte, nickte abwesend. Lieber alle machen lassen, als sich einzuengen. Gause macht so was von Druck, das kannst du dir nicht vorstellen. Ich soll mich gefälligst um das Forward-Darlehen kümmern, wir befänden uns in einer Niedrigzinsphase. Ob mir noch zu helfen sei? So spricht sie mit mir. Der billigste Anbieter ist ihr recht. Interhyp konsultieren. Ob dann unser Geld für Kriegsgeschäfte eingesetzt wird? Das ist Gause völlig egal. Mit wem teil ich nur das Bett? Womit hab ich das verdient?
Lauterbach kannte Hartungs ethische Banksuaden. Er hielt sich am Beckenrand fest, mit der linken Hand, was der rechten, die wütend aufs Wasser schlug, gar nicht behagte. Gauses, sagte Hartung und presste einen Schwall Wasser aus dem Mund, Gauses Lebensklugheit solltest du nicht unterschätzen. Nicht das Verdienen, dein Verdienst ist das Problem. Sie denkt ans Alter, an die Kinder. Versetz dich mal in ihre Lage.
Hartung schnaubte. Die Kinder! Gause hatte drei Söhne in die Beziehung gebracht, die ihn alle verachteten.
186
Ein Abend in Sarajewo. Bereits einige Jahre her, ein gutes Dutzend. Die Luft mild wie Mohnstaub. Am Nebentisch, ich saß draußen, in der Herbstsonne, am Nebentisch macht eine Frau ein Geräusch. Ein Hüsteln - und auch wieder keins. Als würde sie einen Schluckauf unterdrücken. Oder keine Luft bekommen. Ich kenne das Gefühl, kenne es genau. Die Luftröhre fühlt sich auf einmal verklebt an. Als hättest du Uhu gegessen. Nichts geht mehr durch. Tränen steigen dir in die Augen. Du würgst, obwohl du nichts im Magen hast. Die Frau wedelt mit den Händen, deutet auf ihr leeres Wasserglas. Warum sie nicht aufsteht, ist mir ein Rätsel. Panik, vermute ich. Die Nachluftschnappende ist Mitte dreißig, höchstens vierzig. Kein Alter, um zu sterben. Eine interesante Frau. Keine klassische Schönheit, das nicht, aber mit einer Eleganz gesegnet, die selten zu finden ist. Ein aufgeschlagenes Buch liegt vor ihr, daneben "The Guardian" und "EL PAÍS". Ich sitze, ebenso lesend, "Granta", einige Meter von ihr entfernt. Der Kellner döst hinter der Bar. Sein Schnarchen gleicht Seufzern, die Essende machen, wenn ihnen etwas besoners schmeckt. Die Frau sieht mich an. Grüne Augen. Eigentlich, und das ist das Problem, bin ich gar nicht hier. Jedenfalls nicht offiziell. Sagen wir es mal so: käme es zu einer Untersuchung, würde ich nicht meine Identität preisgeben. Die Frau fasst sich an den Hals.
Ein Abend in Sarajewo. Bereits einige Jahre her, ein gutes Dutzend. Die Luft mild wie Mohnstaub. Am Nebentisch, ich saß draußen, in der Herbstsonne, am Nebentisch macht eine Frau ein Geräusch. Ein Hüsteln - und auch wieder keins. Als würde sie einen Schluckauf unterdrücken. Oder keine Luft bekommen. Ich kenne das Gefühl, kenne es genau. Die Luftröhre fühlt sich auf einmal verklebt an. Als hättest du Uhu gegessen. Nichts geht mehr durch. Tränen steigen dir in die Augen. Du würgst, obwohl du nichts im Magen hast. Die Frau wedelt mit den Händen, deutet auf ihr leeres Wasserglas. Warum sie nicht aufsteht, ist mir ein Rätsel. Panik, vermute ich. Die Nachluftschnappende ist Mitte dreißig, höchstens vierzig. Kein Alter, um zu sterben. Eine interesante Frau. Keine klassische Schönheit, das nicht, aber mit einer Eleganz gesegnet, die selten zu finden ist. Ein aufgeschlagenes Buch liegt vor ihr, daneben "The Guardian" und "EL PAÍS". Ich sitze, ebenso lesend, "Granta", einige Meter von ihr entfernt. Der Kellner döst hinter der Bar. Sein Schnarchen gleicht Seufzern, die Essende machen, wenn ihnen etwas besoners schmeckt. Die Frau sieht mich an. Grüne Augen. Eigentlich, und das ist das Problem, bin ich gar nicht hier. Jedenfalls nicht offiziell. Sagen wir es mal so: käme es zu einer Untersuchung, würde ich nicht meine Identität preisgeben. Die Frau fasst sich an den Hals.
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Er haucht. Der Frühwind. Im Osten. Weht Licht in unsere Richtung. Wie ich diese Augenblicke schätze. Dem Schlaf entrissene Zeit. Du, Natascha, steigst von mir runter. Ein letztes Mal. Was du weißt, ich nicht. Sie sind schon auf dem Weg. Die Vergangenheit. Und deine Familie. Was dasselbe war, du hast es mir, bis eben, versichert. Ich habe nicht widersprochen. Die Schnittmenge der Worte ist klein, die der Herzen groß. Sie fahren. Im катафа́лк. Ernste Gesichter. In den Fingern stecken Späne. Aus Kiew. Die Kiste ist gezimmert. Mittelteures Holz. Sie achten dich, mehr als mich.
Er haucht. Der Frühwind. Im Osten. Weht Licht in unsere Richtung. Wie ich diese Augenblicke schätze. Dem Schlaf entrissene Zeit. Du, Natascha, steigst von mir runter. Ein letztes Mal. Was du weißt, ich nicht. Sie sind schon auf dem Weg. Die Vergangenheit. Und deine Familie. Was dasselbe war, du hast es mir, bis eben, versichert. Ich habe nicht widersprochen. Die Schnittmenge der Worte ist klein, die der Herzen groß. Sie fahren. Im катафа́лк. Ernste Gesichter. In den Fingern stecken Späne. Aus Kiew. Die Kiste ist gezimmert. Mittelteures Holz. Sie achten dich, mehr als mich.
188
Jones hielt es im Büro nicht länger aus. Drei Jahre, elf Monate und acht Tage hatte er als Buchhalter für Smithson & Co gearbeitet. An sich kein schlechter Job. Jones mochte Zahlen. Mochte Zahlen mehr als Menschen. Aber das Geld fremder Leute zu zählen, das mochte Jones auf Dauer nicht. Jones war von eher mittelmäßiger Intelligenz. Ein IQ-Test am College hatte ihn genau in der Mitte seines Jahrgangs verortet. Er war weder dumm noch besonders schlau. Wenn andere ihn loben sollten, erwähnten sie seinen Gesunden Menschenverstand. Jones sei geerdet, hieß es, dem könne man uneingeschränkt seinen Wagen anvertrauen, er würde das Gefährt ohne einen Kratzer im Lack zurückbringen. Geerdet, Jones schüttelte sich, geerdet. Er unterdrückte ein Lachen, wischte sich das braune Haar aus der hohen Stirn. Geerdet, das waren nun definitiv andere. Smithson & Co stand eine Überraschung bevor, eine faustdicke. Jones sah sich um, niemand hatte irgendetwas bemerkt. Die Mittagspause dauerte noch sieben Minuten. Bei Smithson & Co hatten alle Angestellten gleichzeitig Pause. Jones lief zum Bad, das am Ende des Flurs war. Beim Update hatte sich ein Schneidezahn gelöst.
Jones hielt es im Büro nicht länger aus. Drei Jahre, elf Monate und acht Tage hatte er als Buchhalter für Smithson & Co gearbeitet. An sich kein schlechter Job. Jones mochte Zahlen. Mochte Zahlen mehr als Menschen. Aber das Geld fremder Leute zu zählen, das mochte Jones auf Dauer nicht. Jones war von eher mittelmäßiger Intelligenz. Ein IQ-Test am College hatte ihn genau in der Mitte seines Jahrgangs verortet. Er war weder dumm noch besonders schlau. Wenn andere ihn loben sollten, erwähnten sie seinen Gesunden Menschenverstand. Jones sei geerdet, hieß es, dem könne man uneingeschränkt seinen Wagen anvertrauen, er würde das Gefährt ohne einen Kratzer im Lack zurückbringen. Geerdet, Jones schüttelte sich, geerdet. Er unterdrückte ein Lachen, wischte sich das braune Haar aus der hohen Stirn. Geerdet, das waren nun definitiv andere. Smithson & Co stand eine Überraschung bevor, eine faustdicke. Jones sah sich um, niemand hatte irgendetwas bemerkt. Die Mittagspause dauerte noch sieben Minuten. Bei Smithson & Co hatten alle Angestellten gleichzeitig Pause. Jones lief zum Bad, das am Ende des Flurs war. Beim Update hatte sich ein Schneidezahn gelöst.
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Satan? Alain Schnapp, der übermüdete Marketingchef des Kosmetikherstellers, er kam gerade aus Brasilien, sah das Kreativteam von Die Silbernen Gartenzwerge entgeistert an. Die Berliner Agentur hatte im Januar überraschend den Pitch gewonnen. Gegen Schnapps Anraten. Schnapp hatte bemängelt, dass die Zwerge wie Konzeptkünstler aufgetreten seien und nichts als heißen Wind produziert hätten. Aber er war überstimmt worden. Ein Scirocco würde der Firma fehlen, hatte ihm Paul Barguet, der CEO, entgegengehalten. Heute, drei Wochen später, fand die erste Präsentation der neuen Marke im vermüllten Prenzl-Berg-Loft der Werber statt.
Till Tholl strich sich gackelnd über den Vollbart. Der Bartwuchs des Textchefs hörte unter den Augenrändern auf. Er war für einen Moment sprachlos ob der Ignoranz.
Wenn Schnapp etwas nicht leiden konnte, dann waren es kichernde Hipster, die sich über ihn lustig machten. Warum? fragte Schnapp, eine Spur zu scharf. Seien die Zwerge etwa unter die Exorzisten gegangen? Habe der Teufel ihnen das Schneewittchen entführt?
Tholl verdrehte die Augen. Scheewitzchen hatten die DSGs seit ihrem Aufstieg zur beneideten und angefeindeten In-Agentur oft genug gehört. Und dass er Schnapp für einen Minderbemittelten hielt, weil der die geniale Namensidee der Silbernen Gartenzwerge für das neue Sonnenschutzmittel nicht auf Anhieb verstand, lag auf der Hand. SaTan, wiederholte Tholl langsam, als spräche er mit einem Schwerhörigen, SaTan mit ganz großem T.
Satan? Alain Schnapp, der übermüdete Marketingchef des Kosmetikherstellers, er kam gerade aus Brasilien, sah das Kreativteam von Die Silbernen Gartenzwerge entgeistert an. Die Berliner Agentur hatte im Januar überraschend den Pitch gewonnen. Gegen Schnapps Anraten. Schnapp hatte bemängelt, dass die Zwerge wie Konzeptkünstler aufgetreten seien und nichts als heißen Wind produziert hätten. Aber er war überstimmt worden. Ein Scirocco würde der Firma fehlen, hatte ihm Paul Barguet, der CEO, entgegengehalten. Heute, drei Wochen später, fand die erste Präsentation der neuen Marke im vermüllten Prenzl-Berg-Loft der Werber statt.
Till Tholl strich sich gackelnd über den Vollbart. Der Bartwuchs des Textchefs hörte unter den Augenrändern auf. Er war für einen Moment sprachlos ob der Ignoranz.
Wenn Schnapp etwas nicht leiden konnte, dann waren es kichernde Hipster, die sich über ihn lustig machten. Warum? fragte Schnapp, eine Spur zu scharf. Seien die Zwerge etwa unter die Exorzisten gegangen? Habe der Teufel ihnen das Schneewittchen entführt?
Tholl verdrehte die Augen. Scheewitzchen hatten die DSGs seit ihrem Aufstieg zur beneideten und angefeindeten In-Agentur oft genug gehört. Und dass er Schnapp für einen Minderbemittelten hielt, weil der die geniale Namensidee der Silbernen Gartenzwerge für das neue Sonnenschutzmittel nicht auf Anhieb verstand, lag auf der Hand. SaTan, wiederholte Tholl langsam, als spräche er mit einem Schwerhörigen, SaTan mit ganz großem T.
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In ihrer Jugend sei sie arm gewesen, die Drei-Sterne-Köchin blickte umstandslos, ohne zu blinzeln, in die Kamera. So arm, dass ihr das Konzept Warme Mahlzeit unbekannt gewesen sei. Sie hätten daheim Toastbrot oder Zucker im Schrank gehabt. Sie und ihre fünf Geschwister. Niemals beides gleichzeitig. Entweder Zucker oder Toast. Im Sommer hätte es manchmal gestohlene Äpfel und Birnen von den Früchtbäumen des Pfarrers gegeben. Im Herbst die Nüsse und Pilze aus dem Wald hinter der Zeche. Der schwarzen Grube, in der ihre Väter bei einem Steinschlag gestorben seien. Ihre Mutter sei sich nie klar darüber gewesen, wer von den beiden Bergmännern ihr Vater gewesen sei. Es sei auch egal gewesen. Beide seien gleichzeitig umgekommen. Die richtigen Familien der Kumpel hätten das Totengeld eingestrichen. Ihre Mutter hätte ein Achselzucken geerbt. Die Drei-Sterne-Köchin knetete ihre Hände, als büke sie Brot. Sie hätte den Winter und den Frühling gehasst. Schnee, der sei ihr größter Feind gewesen, weil sie dann, in der Kälte, nach dem Löwenzahn hätte graben müssen. Die Blätter und den Milchsaft des Löwenzahns hätte sie als Delikatesse geschätzt. Andere Kinder hätten mit dem Finger auf sie gezeigt und den Milchsaft als giftig verteufelt. Sie hätte es besser gewusst. Aus Erfahrung. Aus der Erfahrung des gesättigten Hungers. Der Erfahrung der am Eis abgebrochenen Fingernägel. Ihre Leidenschaft für regionale Produkte stammte wohl von damals. Ihr Durst sei mit dem Milchsaft des Löwenzahns gestillt worden. Der Löwenzahn hätte ihr die Brust gegeben. An den Wochenenden sei sie im Wald verschwunden. Allein, für sich. Sie hätte im Wald geschlafen, hätte sich auf eine Lichtung gelegt und Löwenzahnstengel gelutscht. Die von Tag zu Tag anders riechenden Darmblähungen ihrer Sitznachbarn seien für die Schülerin, die keine Freunde gehabt hätte, niemals zu einem Kindergeburtstag eingeladen worden sei, ein olfaktorisches Rätsel gewesen. Ihre erste Speisekarte hätte, die Drei-Sterne-Köchin lächelte, aus heißen Fürzen bestanden, die andere Kinder, mit Absicht, neben ihr losgelassen hätten.
In ihrer Jugend sei sie arm gewesen, die Drei-Sterne-Köchin blickte umstandslos, ohne zu blinzeln, in die Kamera. So arm, dass ihr das Konzept Warme Mahlzeit unbekannt gewesen sei. Sie hätten daheim Toastbrot oder Zucker im Schrank gehabt. Sie und ihre fünf Geschwister. Niemals beides gleichzeitig. Entweder Zucker oder Toast. Im Sommer hätte es manchmal gestohlene Äpfel und Birnen von den Früchtbäumen des Pfarrers gegeben. Im Herbst die Nüsse und Pilze aus dem Wald hinter der Zeche. Der schwarzen Grube, in der ihre Väter bei einem Steinschlag gestorben seien. Ihre Mutter sei sich nie klar darüber gewesen, wer von den beiden Bergmännern ihr Vater gewesen sei. Es sei auch egal gewesen. Beide seien gleichzeitig umgekommen. Die richtigen Familien der Kumpel hätten das Totengeld eingestrichen. Ihre Mutter hätte ein Achselzucken geerbt. Die Drei-Sterne-Köchin knetete ihre Hände, als büke sie Brot. Sie hätte den Winter und den Frühling gehasst. Schnee, der sei ihr größter Feind gewesen, weil sie dann, in der Kälte, nach dem Löwenzahn hätte graben müssen. Die Blätter und den Milchsaft des Löwenzahns hätte sie als Delikatesse geschätzt. Andere Kinder hätten mit dem Finger auf sie gezeigt und den Milchsaft als giftig verteufelt. Sie hätte es besser gewusst. Aus Erfahrung. Aus der Erfahrung des gesättigten Hungers. Der Erfahrung der am Eis abgebrochenen Fingernägel. Ihre Leidenschaft für regionale Produkte stammte wohl von damals. Ihr Durst sei mit dem Milchsaft des Löwenzahns gestillt worden. Der Löwenzahn hätte ihr die Brust gegeben. An den Wochenenden sei sie im Wald verschwunden. Allein, für sich. Sie hätte im Wald geschlafen, hätte sich auf eine Lichtung gelegt und Löwenzahnstengel gelutscht. Die von Tag zu Tag anders riechenden Darmblähungen ihrer Sitznachbarn seien für die Schülerin, die keine Freunde gehabt hätte, niemals zu einem Kindergeburtstag eingeladen worden sei, ein olfaktorisches Rätsel gewesen. Ihre erste Speisekarte hätte, die Drei-Sterne-Köchin lächelte, aus heißen Fürzen bestanden, die andere Kinder, mit Absicht, neben ihr losgelassen hätten.
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Der Berater der Solinger Arbeitsagentur fischte sich die Akte des Mannes aus dem Stapel. Keine feste Beschäftigung seit, er musterte Sven Lind, der in Handschellen vor ihm saß, über den vergoldeten Rand der Lesebrille abschätzig, seit drei Jahren und vier Monaten. Sie lehnen kategorisch alles ab, was wir Ihnen vorschlagen. Wobei "ablehnen" nicht mal stimmt. Sie, Herr Lind, reagieren überhaupt nicht, wenn wir Sie anschreiben oder bei Ihnen anrufen. Das haben Sie jetzt davon. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn uns der Kragen platzt. Oder wollen Sie eingebuchtet werden? Glauben Sie bloß nicht, dass es uns Spaß macht, die grüne Minna zu schicken! Glauben Sie das bloß nicht. Der Berater blätterte mit in der Akte. Sie haben doch ein Einser-Abitur gemacht. Hier steht es doch. Jahrgangsbester des Wuppertertaler Carl-Fuhlrott-Gymnasiums. Was ist denn danach passiert? Hier steht, dass Sie sich Mitte der 90er in Bochum als Philosophiestudent eingeschrieben hatten. 18 Semester, keinen Abschluss. Ist Ihnen das nicht unangenehm? Steuergelder zu verschwenden?
Nein.
Warum haben Sie nicht Ihr Studium beendet, Herr Lind?
Warum sollte ich? Ich habe erkannt, dass das Leben ein Sprung ist. Wir stürzen und schlagen dann auf.
Was ist mit der Zeit dazwischen? Der Berater versuchte einen Witz. Der Flugzeit? Dem Snack an Bord der Maschine?
Wenn man weißt, dass man abstürzt, isst man nicht in aller Ruhe das im Preis enthaltene Menü.
Sondern?
Sie denken nach. Sven Lind betrachtete die zu oft gegossene Bonsai-Sammlung des Beraters. Oder geraten in Panik.
Der Berater der Solinger Arbeitsagentur fischte sich die Akte des Mannes aus dem Stapel. Keine feste Beschäftigung seit, er musterte Sven Lind, der in Handschellen vor ihm saß, über den vergoldeten Rand der Lesebrille abschätzig, seit drei Jahren und vier Monaten. Sie lehnen kategorisch alles ab, was wir Ihnen vorschlagen. Wobei "ablehnen" nicht mal stimmt. Sie, Herr Lind, reagieren überhaupt nicht, wenn wir Sie anschreiben oder bei Ihnen anrufen. Das haben Sie jetzt davon. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn uns der Kragen platzt. Oder wollen Sie eingebuchtet werden? Glauben Sie bloß nicht, dass es uns Spaß macht, die grüne Minna zu schicken! Glauben Sie das bloß nicht. Der Berater blätterte mit in der Akte. Sie haben doch ein Einser-Abitur gemacht. Hier steht es doch. Jahrgangsbester des Wuppertertaler Carl-Fuhlrott-Gymnasiums. Was ist denn danach passiert? Hier steht, dass Sie sich Mitte der 90er in Bochum als Philosophiestudent eingeschrieben hatten. 18 Semester, keinen Abschluss. Ist Ihnen das nicht unangenehm? Steuergelder zu verschwenden?
Nein.
Warum haben Sie nicht Ihr Studium beendet, Herr Lind?
Warum sollte ich? Ich habe erkannt, dass das Leben ein Sprung ist. Wir stürzen und schlagen dann auf.
Was ist mit der Zeit dazwischen? Der Berater versuchte einen Witz. Der Flugzeit? Dem Snack an Bord der Maschine?
Wenn man weißt, dass man abstürzt, isst man nicht in aller Ruhe das im Preis enthaltene Menü.
Sondern?
Sie denken nach. Sven Lind betrachtete die zu oft gegossene Bonsai-Sammlung des Beraters. Oder geraten in Panik.
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Du brauchst dringend Hilfe! Du Arsch-Schweiß-Wichs-Sicko! Annika trat aufs Gaspedal und raste mit dem Beetle davon.
Seinem Beetle. Dem neuen Beetle-Cabriolet. Kaum gelaufen. Morgen wären sie damit an die Ostsee gedüst, hätten bei Freunden, die sich einen heruntergekommen Bauernhof in Brandenburg umbauten - völlig meschugge - Station gemacht.
Er verführt sogar die Sonne zu einem Lächeln, hatte die Repäsentantin des Volkswagenkonzerns - Autoverkäuferin wäre zu banal gewesen - zu ihm gesagt, und Heiner Klein war sich sicher gewesen, dass die knackige VW-Schnalze nicht nur den Wagen gemeint hatte. Aber damals war ja noch Annika aktuell gewesen. So aktuell, dass sie mit nach Wolfsburg gekommen war, um den grauen Beetle abzuholen. Dann waren sie ins Aqua gefahren. Er hatte die Bachforelle aus der Lüneburger Heide mit Meerrettich & Toast gehabt, Annika hatte, unglaublich obszön, die Schnecken aus dem Odenwald mit Bohnencreme verputzt. Sie hatten als Absacker Champagner gesoffen - aus Annikas High Heels. Annika war, bei Bedarf, das musste man ihr lassen, herrlich ordinär gewesen. Nur an den Spitznamen, den sie sich für ihn ausgedacht und in aller Öffentlichkeit benutzt hatte, selbst vor Geschäftskunden, an den Spitznamen hatte sich Heiner Klein niemals gewöhnt. Libidoof hatte er sich mehrmals verboten, was Annika mit einem gemurmelten Wer will denn nachher in mein Höschen? ausgebremst hatte.
Heiner Klein überlegte, ob er auf der Stelle Jimmykrach anrufen sollte. Annika hatte Potsdam noch nicht verlassen. Die Handyortung würde die Ortung erleichtern. Und Jimmykrach hatte schließlich damals die fucking komplizierte Sache mit Friedezicke erstklassig gelöst. Friedezicke, das war ein unverschämtes Biest gewesen. Requiescat in pace. Andererseits: Jimmykrach verachtete VWs. Die Chance, dass Heiner Klein das Cabriolet wiedersehen würde, war gering.
Du brauchst dringend Hilfe! Du Arsch-Schweiß-Wichs-Sicko! Annika trat aufs Gaspedal und raste mit dem Beetle davon.
Seinem Beetle. Dem neuen Beetle-Cabriolet. Kaum gelaufen. Morgen wären sie damit an die Ostsee gedüst, hätten bei Freunden, die sich einen heruntergekommen Bauernhof in Brandenburg umbauten - völlig meschugge - Station gemacht.
Er verführt sogar die Sonne zu einem Lächeln, hatte die Repäsentantin des Volkswagenkonzerns - Autoverkäuferin wäre zu banal gewesen - zu ihm gesagt, und Heiner Klein war sich sicher gewesen, dass die knackige VW-Schnalze nicht nur den Wagen gemeint hatte. Aber damals war ja noch Annika aktuell gewesen. So aktuell, dass sie mit nach Wolfsburg gekommen war, um den grauen Beetle abzuholen. Dann waren sie ins Aqua gefahren. Er hatte die Bachforelle aus der Lüneburger Heide mit Meerrettich & Toast gehabt, Annika hatte, unglaublich obszön, die Schnecken aus dem Odenwald mit Bohnencreme verputzt. Sie hatten als Absacker Champagner gesoffen - aus Annikas High Heels. Annika war, bei Bedarf, das musste man ihr lassen, herrlich ordinär gewesen. Nur an den Spitznamen, den sie sich für ihn ausgedacht und in aller Öffentlichkeit benutzt hatte, selbst vor Geschäftskunden, an den Spitznamen hatte sich Heiner Klein niemals gewöhnt. Libidoof hatte er sich mehrmals verboten, was Annika mit einem gemurmelten Wer will denn nachher in mein Höschen? ausgebremst hatte.
Heiner Klein überlegte, ob er auf der Stelle Jimmykrach anrufen sollte. Annika hatte Potsdam noch nicht verlassen. Die Handyortung würde die Ortung erleichtern. Und Jimmykrach hatte schließlich damals die fucking komplizierte Sache mit Friedezicke erstklassig gelöst. Friedezicke, das war ein unverschämtes Biest gewesen. Requiescat in pace. Andererseits: Jimmykrach verachtete VWs. Die Chance, dass Heiner Klein das Cabriolet wiedersehen würde, war gering.
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Die Wahrheit ist ein leeres Gefäß, dass wir füllen müssen. Sie sah vom Bildschirm hoch. Die Hälfte der Studenten starrte auf Smartphones oder Tablets. Facebook macht Gesichter banal, dachte sie und schaltete ihre Power-Point-Präsentation und das Licht im Hörsaal komplett aus. Die von Smartphones beleuchteten Züge flackerten wie Kerzen im Wind. Jeder Websitewechsel schnitt in die Gesichter der Surfenden. Sie bluteten Farbe, sie bluteten Zeit, sie bluteten Langeweile, die Wellen kannten kein Ufer. Erstaunlich, dachte sie, die wenigsten merken, dass ich schweige oder dass es dunkel ist. Sie stieg vom Katheder und ging zu den Sitzenden. Vergleiche dir, sagte sie, hoffend, dass sie Schleiermachers Platon-Übersetzung noch zusammenbekäme, vergleiche dir unsere Natur in bezug auf Bildung und Unbildung folgendem Zustande. Sieh nämlich Menschen wie in einer unterirdischen, höhlenartigen Wohnung, die einen gegen das Licht geöffneten Zugang längs der ganzen Höhle hat. In dieser seien sie von Kindheit an gefesselt an Hals und Schenkeln, so dass sie auf demselben Fleck bleiben und auch nur nach vorne hin sehen, den Kopf aber herumzudrehen der Fessel wegen nicht vermögend sind. Licht aber haben sie von einem Feuer, welches von oben und von ferne her hinter ihnen brennt. Zwischen dem Feuer und den Gefangenen geht obenher ein Weg, längs diesem sieh eine Mauer aufgeführt wie die Schranken, welche die Gaukler vor den Zuschauern sich erbauen, über welche herüber sie ihre Kunststücke zeigen. – Ich sehe, sagte er. – Sieh nun längs dieser Mauer Menschen allerlei Geräte tragen, die über die Mauer herüberragen, und Bildsäulen und andere steinerne und hölzerne Bilder und von allerlei Arbeit; einige, wie natürlich, reden dabei, andere schweigen. – Ein gar wunderliches Bild, sprach er, stellst du dar und wunderliche Gefangene. – Uns ganz ähnliche, entgegnete ich. Die Wahrheit ist ein volles Gefäß, das vor uns steht, sagte sie.
Die Wahrheit ist ein leeres Gefäß, dass wir füllen müssen. Sie sah vom Bildschirm hoch. Die Hälfte der Studenten starrte auf Smartphones oder Tablets. Facebook macht Gesichter banal, dachte sie und schaltete ihre Power-Point-Präsentation und das Licht im Hörsaal komplett aus. Die von Smartphones beleuchteten Züge flackerten wie Kerzen im Wind. Jeder Websitewechsel schnitt in die Gesichter der Surfenden. Sie bluteten Farbe, sie bluteten Zeit, sie bluteten Langeweile, die Wellen kannten kein Ufer. Erstaunlich, dachte sie, die wenigsten merken, dass ich schweige oder dass es dunkel ist. Sie stieg vom Katheder und ging zu den Sitzenden. Vergleiche dir, sagte sie, hoffend, dass sie Schleiermachers Platon-Übersetzung noch zusammenbekäme, vergleiche dir unsere Natur in bezug auf Bildung und Unbildung folgendem Zustande. Sieh nämlich Menschen wie in einer unterirdischen, höhlenartigen Wohnung, die einen gegen das Licht geöffneten Zugang längs der ganzen Höhle hat. In dieser seien sie von Kindheit an gefesselt an Hals und Schenkeln, so dass sie auf demselben Fleck bleiben und auch nur nach vorne hin sehen, den Kopf aber herumzudrehen der Fessel wegen nicht vermögend sind. Licht aber haben sie von einem Feuer, welches von oben und von ferne her hinter ihnen brennt. Zwischen dem Feuer und den Gefangenen geht obenher ein Weg, längs diesem sieh eine Mauer aufgeführt wie die Schranken, welche die Gaukler vor den Zuschauern sich erbauen, über welche herüber sie ihre Kunststücke zeigen. – Ich sehe, sagte er. – Sieh nun längs dieser Mauer Menschen allerlei Geräte tragen, die über die Mauer herüberragen, und Bildsäulen und andere steinerne und hölzerne Bilder und von allerlei Arbeit; einige, wie natürlich, reden dabei, andere schweigen. – Ein gar wunderliches Bild, sprach er, stellst du dar und wunderliche Gefangene. – Uns ganz ähnliche, entgegnete ich. Die Wahrheit ist ein volles Gefäß, das vor uns steht, sagte sie.
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"Die Aufgabe des Romanschreibers ist nicht, große Vorfälle zu erzählen, sondern kleine interessant zu machen." Arthur, das sollte dir bekannt sein! Frau Gerlinde betrachtete ihren ehemaligen Lieblingsschüler. Zwischen Frau Gerlinde und Arthur lag seit einem Zwischenfall, über den nichts genaues bekannt war, Schweigen. Schweigen so groß wie die Arktis.
Arthur legte "The Hour Of Our Death" beiseite. Er fühlte sich lebensmüde. Seit Beginn des Sommers, seitdem er Friedrich mit der Gesamtausgabe von Fouccaults Hauptwerken in der Leipziger Schulkantine erwischt hatte, ging ihm alles gegen den Strich. Friedrich hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, das Buch zu verstecken. Ein Affront.
James Wood, sagte Arthur.
Frau Gerlinde erbleichte. Alle wussten, wie sehr sie Wood hasste. Niemand hatte es bislang gewagt, Woods Namen in ihrer Anwesenheit in den Mund zu nehmen, obwohl alle heimlich How Fiction Works lasen.
Frau Gerlinde zeigte auf die Ecke, wo der Stock lag, den Herr Gottfried benutzte, um auf den Erdkundekarten die immense Landmasse Russlands und die Kunst Tolstois nachzuzeichnen.
"Die Aufgabe des Romanschreibers ist nicht, große Vorfälle zu erzählen, sondern kleine interessant zu machen." Arthur, das sollte dir bekannt sein! Frau Gerlinde betrachtete ihren ehemaligen Lieblingsschüler. Zwischen Frau Gerlinde und Arthur lag seit einem Zwischenfall, über den nichts genaues bekannt war, Schweigen. Schweigen so groß wie die Arktis.
Arthur legte "The Hour Of Our Death" beiseite. Er fühlte sich lebensmüde. Seit Beginn des Sommers, seitdem er Friedrich mit der Gesamtausgabe von Fouccaults Hauptwerken in der Leipziger Schulkantine erwischt hatte, ging ihm alles gegen den Strich. Friedrich hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, das Buch zu verstecken. Ein Affront.
James Wood, sagte Arthur.
Frau Gerlinde erbleichte. Alle wussten, wie sehr sie Wood hasste. Niemand hatte es bislang gewagt, Woods Namen in ihrer Anwesenheit in den Mund zu nehmen, obwohl alle heimlich How Fiction Works lasen.
Frau Gerlinde zeigte auf die Ecke, wo der Stock lag, den Herr Gottfried benutzte, um auf den Erdkundekarten die immense Landmasse Russlands und die Kunst Tolstois nachzuzeichnen.
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Der Albtraum kam nicht von ungefähr. Boblinde - wie sie ihre Eltern für dieses Label hasste: Bob?Linde? - hatte sich vierzehn espressi genehmigt. Doppelte. Dazu Apfelschnaps. An apple a day keeps the doctor away. Hieß das nicht so? Und Kümmerkümmerdichnichwegbranntwein. Eisgekühltes Pimmelluder, hatte Boblinde vorm Rausschmiss aus dem Biermichl, Charles` Stammkneipe, gebrüllt. Eisgekühltes Pimmelluder, Pimmelluder heißgerührt; scheißgekühltes Pimmelluder, Pimmelluder scheißverführt und dazu ein verfucktes Brot mit Schinken, ein geticktes Lot mit Schrei. Das sind zwei geleckte Schlote, eins mit Schickse und eins mit DIE. DIE wie fucking STERBEN. Charles war nicht im Biermichl gewesen. Hatte sie an ihrem Festtag allein trinken lassen. Trat wahrscheinlich beim Open Dick auf, hatte sie Dingsda, dem Bartender erzählt, der sich einen trockenen Dreck um sie gekümmerte hatte. Dingsda hatte permanent den Tresen gewischt. Als sei sie mit Viren infiziert gewesen. Ebolalinde. Sie hatte über sich selbst gelacht. Solange, bis die Tränen gekommen waren. Ausgerechnet heute hatte Charles sich verdünnisiert. Das Literaturfestival. Die alten Freunde hatten kein Interesse mehr an ihr. Jede Falte ein Goodbye. F/alte. Badbye. Boblinde hatte Dingsda auch erzählt, es sei ihr Fünfzigster. Ob sie sich nicht gut gehalten hätte? Dingsda hatte gutmütig jaja gesagt und sie dann grinsend vor die Tür gesetzt. Die Kneipentrinker hatten dazu rhythmisch geklatscht. Ihr BeiFall. Ihr AbSturz. Die vierzehn erspressi hatte Boblinde anschließend der gentrifizierten Brunnenstraße anvertraut. Vor der Tür des Musikgymnasiums ihres Vertrauens hatte sie Carl Philipp Emanuel Bach ungefragt Treue geschworen und sich einen TheClashFinger tief in den PunkFaltenhals gesteckt. Von der Bernauer aus kamen die ersten Touristen angewandert. Beflissene, zehnminutengeduschte, zahngeseidete Frühaufsteher. Bloß nichts versäumen. Die fucking Mauer im Langeswochenendehirn. Mit teuren Kameras. Boblinde hatte vor der erstaunten Easyjethorde auf den Asphalt gekackt. Ein zartes Häuflein. Nichts Festes rein, nichts Festes raus. Dabei hatte sie biosüß gelächelt und Giovanni, den italienischen Fremdenführer, den sie noch aus dem Tresor kannte, einen eleganten Handkuss zugeworfen. Gelernt war gelernt.
Der Albtraum kam nicht von ungefähr. Boblinde - wie sie ihre Eltern für dieses Label hasste: Bob?Linde? - hatte sich vierzehn espressi genehmigt. Doppelte. Dazu Apfelschnaps. An apple a day keeps the doctor away. Hieß das nicht so? Und Kümmerkümmerdichnichwegbranntwein. Eisgekühltes Pimmelluder, hatte Boblinde vorm Rausschmiss aus dem Biermichl, Charles` Stammkneipe, gebrüllt. Eisgekühltes Pimmelluder, Pimmelluder heißgerührt; scheißgekühltes Pimmelluder, Pimmelluder scheißverführt und dazu ein verfucktes Brot mit Schinken, ein geticktes Lot mit Schrei. Das sind zwei geleckte Schlote, eins mit Schickse und eins mit DIE. DIE wie fucking STERBEN. Charles war nicht im Biermichl gewesen. Hatte sie an ihrem Festtag allein trinken lassen. Trat wahrscheinlich beim Open Dick auf, hatte sie Dingsda, dem Bartender erzählt, der sich einen trockenen Dreck um sie gekümmerte hatte. Dingsda hatte permanent den Tresen gewischt. Als sei sie mit Viren infiziert gewesen. Ebolalinde. Sie hatte über sich selbst gelacht. Solange, bis die Tränen gekommen waren. Ausgerechnet heute hatte Charles sich verdünnisiert. Das Literaturfestival. Die alten Freunde hatten kein Interesse mehr an ihr. Jede Falte ein Goodbye. F/alte. Badbye. Boblinde hatte Dingsda auch erzählt, es sei ihr Fünfzigster. Ob sie sich nicht gut gehalten hätte? Dingsda hatte gutmütig jaja gesagt und sie dann grinsend vor die Tür gesetzt. Die Kneipentrinker hatten dazu rhythmisch geklatscht. Ihr BeiFall. Ihr AbSturz. Die vierzehn erspressi hatte Boblinde anschließend der gentrifizierten Brunnenstraße anvertraut. Vor der Tür des Musikgymnasiums ihres Vertrauens hatte sie Carl Philipp Emanuel Bach ungefragt Treue geschworen und sich einen TheClashFinger tief in den PunkFaltenhals gesteckt. Von der Bernauer aus kamen die ersten Touristen angewandert. Beflissene, zehnminutengeduschte, zahngeseidete Frühaufsteher. Bloß nichts versäumen. Die fucking Mauer im Langeswochenendehirn. Mit teuren Kameras. Boblinde hatte vor der erstaunten Easyjethorde auf den Asphalt gekackt. Ein zartes Häuflein. Nichts Festes rein, nichts Festes raus. Dabei hatte sie biosüß gelächelt und Giovanni, den italienischen Fremdenführer, den sie noch aus dem Tresor kannte, einen eleganten Handkuss zugeworfen. Gelernt war gelernt.
196
Da fehlt ein S, sagte die Steinmetzin.
Nein, sagte Matt Aufderhorst, das soll bitte so sein.
Die Steinmetzin nickte. "VERSager" schrieb sie auf das dafür vorgesehene Feld. Die ersten vier Buchstaben groß, die nächsten vier klein. Eine anständige Zäsur. Für wen ist der Stein? fragte die Steinmetzin. Welchen Namen soll er tragen?
Meinen, sagte Matt Aufderhorst, meinen Namen soll er tragen.
Den hier mus ein jeder nach Seiner Fasson Selich werden, sagte die Steinmetzin.
Ja, sagte Matt Aufderhorst. Er hustete einen Tropfen Blut ins Taschentuch.
Da fehlt ein S, sagte die Steinmetzin.
Nein, sagte Matt Aufderhorst, das soll bitte so sein.
Die Steinmetzin nickte. "VERSager" schrieb sie auf das dafür vorgesehene Feld. Die ersten vier Buchstaben groß, die nächsten vier klein. Eine anständige Zäsur. Für wen ist der Stein? fragte die Steinmetzin. Welchen Namen soll er tragen?
Meinen, sagte Matt Aufderhorst, meinen Namen soll er tragen.
Den hier mus ein jeder nach Seiner Fasson Selich werden, sagte die Steinmetzin.
Ja, sagte Matt Aufderhorst. Er hustete einen Tropfen Blut ins Taschentuch.
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Eigentlich hatte der Tag für den Marathonläufer gut begonnen. Aber nun lag Smiths kleiner rechter Finger unter dem Rad der Tram. Heather Redcliff, die Smith aufgelauert und bei der zweiten Wasserstation gebissen hatte, fühlte sich weniger zufrieden, als sie es sich, über Jahre hinweg, in ihren Träumen ausgemalt hatte. Zumal Smith offenbar nicht einmal wusste, um wen es sich bei ihr handelte. Er sah sie mit seinen grünen, wunderschönen Augen zweifelnd an. Vielleicht, hoffte Heather Redcliff, steht er nur unter Schock. Ansonsten wäre alles umsonst gewesen.
Eigentlich hatte der Tag für den Marathonläufer gut begonnen. Aber nun lag Smiths kleiner rechter Finger unter dem Rad der Tram. Heather Redcliff, die Smith aufgelauert und bei der zweiten Wasserstation gebissen hatte, fühlte sich weniger zufrieden, als sie es sich, über Jahre hinweg, in ihren Träumen ausgemalt hatte. Zumal Smith offenbar nicht einmal wusste, um wen es sich bei ihr handelte. Er sah sie mit seinen grünen, wunderschönen Augen zweifelnd an. Vielleicht, hoffte Heather Redcliff, steht er nur unter Schock. Ansonsten wäre alles umsonst gewesen.
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In ihm, der Wurm, Spirometra erinaceieurpaei, in seinem Hirn, machte er sich breit, wuchs, atmete, dachte, schlängelte sich, fraß, schied aus, erlebte Tief- und Höhepunkte, reiste, besuchte Ärzte und Verwandte, jubelte, bangte, meditierte, wenn er, der Gastgeber, sich schnitt, wie stets, wie es in der Familie üblich war, sie hatte immer gewirkt, ein altes Hausrezept, ein Geruch, ein Geschmack der Kindheit, wenn der Gastgeber zur perniziösen Froschsalbe griff, in der seinesgleichen, mit etwas Glück, hausierte, überwinterte, klein, gepresst, Baby Spirometra erinaceieurpaei, genau darauf hoffte der einsame Wurm, Littleone Spiro würde er alles zeigen, Abstecher unternehmen, Unbekanntes erkunden und erobern, die Einsamkeit setzte dem Wurm mehr zu, als er es sich eingestand, in seiner Jugend, als wanderfreudige Larve, hatte er sich nach Unabhängigkeit gesehnt, alle verlacht, die vom Familienleben geschwärmt hatten, von den Abenden mit den Verwandten und Zugeheirateten am offenen Clan-Feuer, von den durcherzählten Nächten, nun, nun wusste Bigone Spiro, dass sie Recht gehabt hatten, allein zu sein, war ein Glück, das auf Dauer Unglück brachte, die Liebe zu sich selbst fiel selbst dem stärksten Wurm nach fünf, sechs Monaten Einsamkeit schwer, die tägliche Routine, Aufwachen, Morgengymnastik, Frühstück, Internetgucken, Butchern, Mittagessen, Denk- und Dehnübungen, Nachmittagsschlaf, Internetgucken, Abendessen, Körperpflege, Schlaf, die tägliche Routine erinnerte an ein Gefängnis, ein Gefängnis ohne Wärter, der Gastgeber, von Durchfall und Kopfschmerzen geplagt, hielt nichts von Bigone Spiro, das war dem 1,26 Milliarden Basenpaare großen Bandwurm klar, alles lief auf einen Showdown hinaus, aber er hatte einen Plan.
In ihm, der Wurm, Spirometra erinaceieurpaei, in seinem Hirn, machte er sich breit, wuchs, atmete, dachte, schlängelte sich, fraß, schied aus, erlebte Tief- und Höhepunkte, reiste, besuchte Ärzte und Verwandte, jubelte, bangte, meditierte, wenn er, der Gastgeber, sich schnitt, wie stets, wie es in der Familie üblich war, sie hatte immer gewirkt, ein altes Hausrezept, ein Geruch, ein Geschmack der Kindheit, wenn der Gastgeber zur perniziösen Froschsalbe griff, in der seinesgleichen, mit etwas Glück, hausierte, überwinterte, klein, gepresst, Baby Spirometra erinaceieurpaei, genau darauf hoffte der einsame Wurm, Littleone Spiro würde er alles zeigen, Abstecher unternehmen, Unbekanntes erkunden und erobern, die Einsamkeit setzte dem Wurm mehr zu, als er es sich eingestand, in seiner Jugend, als wanderfreudige Larve, hatte er sich nach Unabhängigkeit gesehnt, alle verlacht, die vom Familienleben geschwärmt hatten, von den Abenden mit den Verwandten und Zugeheirateten am offenen Clan-Feuer, von den durcherzählten Nächten, nun, nun wusste Bigone Spiro, dass sie Recht gehabt hatten, allein zu sein, war ein Glück, das auf Dauer Unglück brachte, die Liebe zu sich selbst fiel selbst dem stärksten Wurm nach fünf, sechs Monaten Einsamkeit schwer, die tägliche Routine, Aufwachen, Morgengymnastik, Frühstück, Internetgucken, Butchern, Mittagessen, Denk- und Dehnübungen, Nachmittagsschlaf, Internetgucken, Abendessen, Körperpflege, Schlaf, die tägliche Routine erinnerte an ein Gefängnis, ein Gefängnis ohne Wärter, der Gastgeber, von Durchfall und Kopfschmerzen geplagt, hielt nichts von Bigone Spiro, das war dem 1,26 Milliarden Basenpaare großen Bandwurm klar, alles lief auf einen Showdown hinaus, aber er hatte einen Plan.
Images of S. erinaceieuropaei are guided by the experimental life history photographed by Lee et al. [10]. Source of modified images; snake [11]; frog courtesy of Anant Patel MD; cyclops [12] (Matt Wilson/Jay Clark, NOAA NMFS AFSC); dog [13] (Richard New Forest)
© 2014 Bennett et al.; licensee BioMed Central Ltd. // (http://genomebiology.com/2014/15/11/510)
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199
Jede Krankheit hat ihren Herd, das dürfen wir nicht unterschätzen, von Nichts kommt Nichts. Der Guru, Holy Fernes, drückte den warmen Mund der Frau, Judiths, auf sein kaltes Glied. In den Bergen Betulias wurde es jetzt, besonders Nachts, schon erheblich frisch, während im Tal, unten am weiten Fluss, noch Hochsommer herrschte. Mein blau- und grünäugiger Strom, dachte der Guru, wird niemals versiegen. Nur den just Zugereisten, den Reichen, den Schönen, erlaubte er es, sein Glied zu wärmen. Ich bin ein archaischer Mann, pflegte der Guru den Fremdäugigen zu erklären, ein Höhlenmensch, der sich in jedem Raum des Körpers geborgen fühlt. Sie ließen ihn, zunächst entzückt, zunächst blind, gewähren, schluckten und lachten, fühlten sich, auf absehbare Zeit, auserkoren. Holy Fernes wusste, dass nichts in der öffentlichen Vereinzelung von Dauer war. Nichts geschah hinter verschlossenen Türen. Alle mussten Zeugnis ablegen. Ihre Schutzlosigkeit schützte ihn. Die Dummheit ihrer weichen Münder war seine feste Währung. Die Vielheit der Öffnungen gab ihm das Vertrauen in seine Göttlichkeit. Jede Lust braucht ein Ventil. Alles fließt. Alles kommt von Allem. Die Ödnis der Ejakulation hielt den Guru nicht davon ab, auf der Wiederholung zu bestehen. Judiths Magdalena reichte ihr das Messer.
Jede Krankheit hat ihren Herd, das dürfen wir nicht unterschätzen, von Nichts kommt Nichts. Der Guru, Holy Fernes, drückte den warmen Mund der Frau, Judiths, auf sein kaltes Glied. In den Bergen Betulias wurde es jetzt, besonders Nachts, schon erheblich frisch, während im Tal, unten am weiten Fluss, noch Hochsommer herrschte. Mein blau- und grünäugiger Strom, dachte der Guru, wird niemals versiegen. Nur den just Zugereisten, den Reichen, den Schönen, erlaubte er es, sein Glied zu wärmen. Ich bin ein archaischer Mann, pflegte der Guru den Fremdäugigen zu erklären, ein Höhlenmensch, der sich in jedem Raum des Körpers geborgen fühlt. Sie ließen ihn, zunächst entzückt, zunächst blind, gewähren, schluckten und lachten, fühlten sich, auf absehbare Zeit, auserkoren. Holy Fernes wusste, dass nichts in der öffentlichen Vereinzelung von Dauer war. Nichts geschah hinter verschlossenen Türen. Alle mussten Zeugnis ablegen. Ihre Schutzlosigkeit schützte ihn. Die Dummheit ihrer weichen Münder war seine feste Währung. Die Vielheit der Öffnungen gab ihm das Vertrauen in seine Göttlichkeit. Jede Lust braucht ein Ventil. Alles fließt. Alles kommt von Allem. Die Ödnis der Ejakulation hielt den Guru nicht davon ab, auf der Wiederholung zu bestehen. Judiths Magdalena reichte ihr das Messer.
200
Das Mittel No. Eins gegen Kater? fragte Obermaier.
Ja, Kunzelmann zögerte einen Moment, aber fühlte sich dann betrunken genug, das nächste Wort auszusprechen, ohne, wie Kunzelmann hoffte, unter den Macho-Generalverdacht gestellt zu werden, ja, Muschi.
Öl, 2 TL Ketchup, 1 Eigelb, Salz, Pfeffer, Paprikagewürz, sagte Obermaier und räkelte sich.
Die Kleintrinkfamilie muss zerschlagen werden, sagte Kunzelmann und warf ein Weinglas gegen die Wand.
Aus ihr entsteht Faschismus, sagte Obermaier und warf die Sektflasche hinterher.
Wie mixt man eigentlich die Prärie-Oyster, fragte Kunzelmann.
Ein Glas, möglichst flach, mit dem Öl ausschwenken, bis ein feiner Film entsteht. Nouvelle vague. Dann die beiden Teelöffel Ketchup dazugeben. Auf die setzt du das Eigelb. Mit Salz, Pfeffer und Paprika abschmecken. Bloß nicht sparsam sein. Geiz und Geist sind kein schönes Paar. Jetzt die Oyster verrühren oder, Obermaier lächelte, mit ganzem Eigelb schlürfen.
Es klopfte an der Tür, Kunzelmann stieg aus dem Bett, guckte durch den Spion.
Scheiße, Muschi, sagte Kunzelmann, Enzensberger ist zurück.
Es klingelte ein zweites Mal. Sie hatten das Schloss austauschen lassen. Der Mann haute gegen die Tür und rief irgendetwas, das sich wie Fregestraße 19 anhörte.
Was sagt Enzensberger da, fragte Obermaier.
Moskauderwelsch, sagte Kunzelmann, dem bekannt war, dass Enzensberger gerade aus Russland kam und dessen Kater sich, zu seinem Bedauern, davongemacht hatte.
Das Mittel No. Eins gegen Kater? fragte Obermaier.
Ja, Kunzelmann zögerte einen Moment, aber fühlte sich dann betrunken genug, das nächste Wort auszusprechen, ohne, wie Kunzelmann hoffte, unter den Macho-Generalverdacht gestellt zu werden, ja, Muschi.
Öl, 2 TL Ketchup, 1 Eigelb, Salz, Pfeffer, Paprikagewürz, sagte Obermaier und räkelte sich.
Die Kleintrinkfamilie muss zerschlagen werden, sagte Kunzelmann und warf ein Weinglas gegen die Wand.
Aus ihr entsteht Faschismus, sagte Obermaier und warf die Sektflasche hinterher.
Wie mixt man eigentlich die Prärie-Oyster, fragte Kunzelmann.
Ein Glas, möglichst flach, mit dem Öl ausschwenken, bis ein feiner Film entsteht. Nouvelle vague. Dann die beiden Teelöffel Ketchup dazugeben. Auf die setzt du das Eigelb. Mit Salz, Pfeffer und Paprika abschmecken. Bloß nicht sparsam sein. Geiz und Geist sind kein schönes Paar. Jetzt die Oyster verrühren oder, Obermaier lächelte, mit ganzem Eigelb schlürfen.
Es klopfte an der Tür, Kunzelmann stieg aus dem Bett, guckte durch den Spion.
Scheiße, Muschi, sagte Kunzelmann, Enzensberger ist zurück.
Es klingelte ein zweites Mal. Sie hatten das Schloss austauschen lassen. Der Mann haute gegen die Tür und rief irgendetwas, das sich wie Fregestraße 19 anhörte.
Was sagt Enzensberger da, fragte Obermaier.
Moskauderwelsch, sagte Kunzelmann, dem bekannt war, dass Enzensberger gerade aus Russland kam und dessen Kater sich, zu seinem Bedauern, davongemacht hatte.
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Als der Schuss fiel, war ich drei Jahre alt. Sie müssen sich das so vorstellen, als wären Adam und Eva mit Äpfeln beschossen worden. Aus Altseeland. Früchte, an denen gottwerweiß gerochen hatte. Die Abdrücke der Nasenspitzen haben mich angeekelt. Ich bin so unschuldig gewesen. Die Abtrünnigen hatten leichtes Spiel mit mir. Der goldgelockte Vogel im Netz der Dienste. Sie pflanzten mir die Mikrofone unter die Vorhaut. Als ich mich verliebte, schritten Caesar und Brutus ein. Im Windkanal brachen sie ihm die Knochen. Rippen. Sie hatten sich auf Rippen spezialisiert. Und auf das Nasenbein. Dein Gesicht im Mondschein gehörte ihnen. Du hast nichts gesagt. Taper, das bist du gewesen. Deine Eltern haben geschwiegen, als ich bei ihnen Station machte. Der Tee auf dem Tisch deiner Mutter roch nach Rosen. Dein Vater hat mir die Hand gegeben. Später habe ich mich geschämt. Mehr vor mir selbst als vor dir. Aber gehen wir noch einmal zurück. Es war ihre Pistole. Ich saß im Einkaufswagen. Veronica Rutledge, Mutter, nicht deine, sondern meine, kümmerte sich um unsere Geschwister. Wälsungenblut. Die Pistole lag in ihrer Tasche. Ein federleichter Abzug. Sein Vater sagte, du hättest immer Moscow Idaho von The Cassandra Complex gehört. Was haben wir uns gestritten, wenn ich das Kronos Quartet laufen ließ. Oh, Dreck, was bist du tot und mit dir unsere Erinnerungen. Das ist die wahre Tragik, wenn ein Partner stirbt. Der Diskurs bricht ab. Übrigens, das würde dir gefallen, die Wärter lassen mich heute raus. Zum ersten Mal. Ich habe nicht vor, mich wieder einschließen zu lassen. The Winter Was Hard.
Als der Schuss fiel, war ich drei Jahre alt. Sie müssen sich das so vorstellen, als wären Adam und Eva mit Äpfeln beschossen worden. Aus Altseeland. Früchte, an denen gottwerweiß gerochen hatte. Die Abdrücke der Nasenspitzen haben mich angeekelt. Ich bin so unschuldig gewesen. Die Abtrünnigen hatten leichtes Spiel mit mir. Der goldgelockte Vogel im Netz der Dienste. Sie pflanzten mir die Mikrofone unter die Vorhaut. Als ich mich verliebte, schritten Caesar und Brutus ein. Im Windkanal brachen sie ihm die Knochen. Rippen. Sie hatten sich auf Rippen spezialisiert. Und auf das Nasenbein. Dein Gesicht im Mondschein gehörte ihnen. Du hast nichts gesagt. Taper, das bist du gewesen. Deine Eltern haben geschwiegen, als ich bei ihnen Station machte. Der Tee auf dem Tisch deiner Mutter roch nach Rosen. Dein Vater hat mir die Hand gegeben. Später habe ich mich geschämt. Mehr vor mir selbst als vor dir. Aber gehen wir noch einmal zurück. Es war ihre Pistole. Ich saß im Einkaufswagen. Veronica Rutledge, Mutter, nicht deine, sondern meine, kümmerte sich um unsere Geschwister. Wälsungenblut. Die Pistole lag in ihrer Tasche. Ein federleichter Abzug. Sein Vater sagte, du hättest immer Moscow Idaho von The Cassandra Complex gehört. Was haben wir uns gestritten, wenn ich das Kronos Quartet laufen ließ. Oh, Dreck, was bist du tot und mit dir unsere Erinnerungen. Das ist die wahre Tragik, wenn ein Partner stirbt. Der Diskurs bricht ab. Übrigens, das würde dir gefallen, die Wärter lassen mich heute raus. Zum ersten Mal. Ich habe nicht vor, mich wieder einschließen zu lassen. The Winter Was Hard.
202
B.,
ich, und ich fange mit mir an, weil wir Deine Position oft genug gehört haben, ich habe lange gezögert, ob ich ein "liebste" vor das B. setzen soll. "Liebste B." - das hörte sich, für mich, zu sehr nach heiler Welt an, als wäre noch alles beim Alten, als gäbe es nur uns zwei. Doch das ist nicht so. Oder täusche ich mich? Ja, ich kann mir vorstellen, wie Du Deinen Kopf schüttelst, wenn Du diesen Satz liest. Als gäbe es nur uns zwei. Für Dich stellen Deine Abstecher, Dein Wildern in neuen Gefilden, Dein tagelanges Abtauchen offenbar keinen Vertrauensbruch, keine Verhaltensstörung dar. Komm mir jetzt gefälligst nicht mit U - das ist zwölf Jahre her! Ich habe das ehrlich bereut. Wir waren nicht umsonst bei Frau Dr. Kühn. Ein schwieriger Sommer. Gestärkt sind wir daraus hervorgegangen. Wir beide. Und jetzt soll das Versprechen, das wir uns damals gegeben haben, plötzlich nichts mehr wert sein? Weil es Dir auf einmal in den Kram passt? Deine letzte SMS hättest Du Dir sparen können. Danke, liebste B., ich weiß, wie meine Bauchfalten aussehen, wenn ich die Haut zusammendrücke. Übrigens: wer hat denn die Operationen finanziert? Dieses Jahr ist die Agentur im Plus - Du hast es mir in den vergangenen Monaten oft genug gesagt -, aber die vergangenen Jahre? Wenn mich Karl nicht als Direktor vorgeschlagen hätte, wärst Du mit Deiner Klitsche seit Ewigkeiten pleite gewesen. Wer hat an Dich geglaubt, wenn nicht ich? Schmutzige Wäsche zu waschen, darum geht es mir nun allerdings durchaus nicht. Das wäre kleingeistig. Petite bourgeois. Das überlassen wir mal schön den Spießern. Ich will kein Gutmensch sein, aber ein guter Mensch. Wer wir sind und was wir aneinander haben, das wissen wir doch genau. Was wir sein wollen, was wir behalten und retten können, das sind die entscheidenden Fragen. Clarissa hat mich angerufen und ohne Vorgeplänkel gefragt, ob Du und ich jetzt eine offene Beziehung führen würden, sie habe Dich im Dampfbad gesehen, Du seist zu beschäftigt gewesen, um sie wahrzunehmen, sie sei dann lieber mal gegangen. Clarissa hat mich gebeten, ihr mit dem Garten am See zu helfen. Die Früchte seien reif, sie müssten unbedingt gepflückt werden, ob ich nicht Lust hätte, am kommenden Wochenende die Ernte einzufahren. So übel kann es mit den Bauchfalten also noch nicht sein.
K.
B.,
ich, und ich fange mit mir an, weil wir Deine Position oft genug gehört haben, ich habe lange gezögert, ob ich ein "liebste" vor das B. setzen soll. "Liebste B." - das hörte sich, für mich, zu sehr nach heiler Welt an, als wäre noch alles beim Alten, als gäbe es nur uns zwei. Doch das ist nicht so. Oder täusche ich mich? Ja, ich kann mir vorstellen, wie Du Deinen Kopf schüttelst, wenn Du diesen Satz liest. Als gäbe es nur uns zwei. Für Dich stellen Deine Abstecher, Dein Wildern in neuen Gefilden, Dein tagelanges Abtauchen offenbar keinen Vertrauensbruch, keine Verhaltensstörung dar. Komm mir jetzt gefälligst nicht mit U - das ist zwölf Jahre her! Ich habe das ehrlich bereut. Wir waren nicht umsonst bei Frau Dr. Kühn. Ein schwieriger Sommer. Gestärkt sind wir daraus hervorgegangen. Wir beide. Und jetzt soll das Versprechen, das wir uns damals gegeben haben, plötzlich nichts mehr wert sein? Weil es Dir auf einmal in den Kram passt? Deine letzte SMS hättest Du Dir sparen können. Danke, liebste B., ich weiß, wie meine Bauchfalten aussehen, wenn ich die Haut zusammendrücke. Übrigens: wer hat denn die Operationen finanziert? Dieses Jahr ist die Agentur im Plus - Du hast es mir in den vergangenen Monaten oft genug gesagt -, aber die vergangenen Jahre? Wenn mich Karl nicht als Direktor vorgeschlagen hätte, wärst Du mit Deiner Klitsche seit Ewigkeiten pleite gewesen. Wer hat an Dich geglaubt, wenn nicht ich? Schmutzige Wäsche zu waschen, darum geht es mir nun allerdings durchaus nicht. Das wäre kleingeistig. Petite bourgeois. Das überlassen wir mal schön den Spießern. Ich will kein Gutmensch sein, aber ein guter Mensch. Wer wir sind und was wir aneinander haben, das wissen wir doch genau. Was wir sein wollen, was wir behalten und retten können, das sind die entscheidenden Fragen. Clarissa hat mich angerufen und ohne Vorgeplänkel gefragt, ob Du und ich jetzt eine offene Beziehung führen würden, sie habe Dich im Dampfbad gesehen, Du seist zu beschäftigt gewesen, um sie wahrzunehmen, sie sei dann lieber mal gegangen. Clarissa hat mich gebeten, ihr mit dem Garten am See zu helfen. Die Früchte seien reif, sie müssten unbedingt gepflückt werden, ob ich nicht Lust hätte, am kommenden Wochenende die Ernte einzufahren. So übel kann es mit den Bauchfalten also noch nicht sein.
K.
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Schuppenklauers Statur war knapp unter der Übergröße, ihr Knochenbau dabei, was selten ist, luftig und weich, die Figur gleichwohl, in jüngsten Jahren, vorm erzwungenen Schulabgang, rank wie eine Gerte; das forsche Brüstlein hob sich zwischen den weiten Schultern tüchtig und ihr Organ blieb bis zu ihrem späten Tod enorm wuchtig, hätte einer eitlen Sängerin wohl immerfort alle Ehre gemacht. Die Hände waren rein und, in der Regel, leichenstarr, bei Bedarf aber von einer sonderbaren Munterkeit, als gehörten sie einer Puppenspielerin und träten vor Publikum auf. Kohlschwarzes glattes Haar fiel der Jungfrau, wie es ehedem Mode war, über die schöne Stirn, der runde, süße Mund war in der Jugend voll und allerliebst, geriet aber später, durch den Verlust der Backenzähne, in eine schlichte Schieflage wie ein vom Sturm gepeitschter Steg. Die Nase war außergewöhnlich gleichmäßig und filigran geschnitten, an den Flügeln züchtig eng, an der Wurzel dagegen, ein feiner Kontrast, gestochen kantig, vom Stirnbein in leichter Kurve emphatisch abfallend. Die Augenhöhlen, es sei der Vollständigkeit halber erwähnt, waren riesig und standen markant voneinander ab, so dass die Schuppenklauerische eine gewöhnliche Brille nicht benutzen konnte, noch jemals benutzen wollte. Sprühende, niemals getrübte, bis zuletzt knopfwache Augen, blaugrün, beglückten den überwältigenden Kopf. Die Größe desselben korrespondierte selbst mit der des rühmlichen Skeletts in keinem gebotenen Verhältnisse. Neben ihrem Schädel sah ein ordinärer fast wie ein Mädchenkopf aus. Der Blick war von solcher tiefen, abgründigen Leidenschaft, von solchem Brande, von solch geistiger Blüte und Frische, dass sie damit, besonders in frühen Jahren, unwillkürlich größtes Aufsehen erregte. Der Sohn einer durchreisenden Londoner Familie, die sich im Wirtshause, wo Schuppenklauer, wie es zeitlebens ihre Gewohnheit war, zum reichhaltigen Mittage saß, der Sohn einer vermögenden Londoner Familie, die sich im Wirtshause niederließ, rief, bass erstaunt: "No, please, Father, I will sit here, I want to see her intellectual face!"
Schuppenklauers Statur war knapp unter der Übergröße, ihr Knochenbau dabei, was selten ist, luftig und weich, die Figur gleichwohl, in jüngsten Jahren, vorm erzwungenen Schulabgang, rank wie eine Gerte; das forsche Brüstlein hob sich zwischen den weiten Schultern tüchtig und ihr Organ blieb bis zu ihrem späten Tod enorm wuchtig, hätte einer eitlen Sängerin wohl immerfort alle Ehre gemacht. Die Hände waren rein und, in der Regel, leichenstarr, bei Bedarf aber von einer sonderbaren Munterkeit, als gehörten sie einer Puppenspielerin und träten vor Publikum auf. Kohlschwarzes glattes Haar fiel der Jungfrau, wie es ehedem Mode war, über die schöne Stirn, der runde, süße Mund war in der Jugend voll und allerliebst, geriet aber später, durch den Verlust der Backenzähne, in eine schlichte Schieflage wie ein vom Sturm gepeitschter Steg. Die Nase war außergewöhnlich gleichmäßig und filigran geschnitten, an den Flügeln züchtig eng, an der Wurzel dagegen, ein feiner Kontrast, gestochen kantig, vom Stirnbein in leichter Kurve emphatisch abfallend. Die Augenhöhlen, es sei der Vollständigkeit halber erwähnt, waren riesig und standen markant voneinander ab, so dass die Schuppenklauerische eine gewöhnliche Brille nicht benutzen konnte, noch jemals benutzen wollte. Sprühende, niemals getrübte, bis zuletzt knopfwache Augen, blaugrün, beglückten den überwältigenden Kopf. Die Größe desselben korrespondierte selbst mit der des rühmlichen Skeletts in keinem gebotenen Verhältnisse. Neben ihrem Schädel sah ein ordinärer fast wie ein Mädchenkopf aus. Der Blick war von solcher tiefen, abgründigen Leidenschaft, von solchem Brande, von solch geistiger Blüte und Frische, dass sie damit, besonders in frühen Jahren, unwillkürlich größtes Aufsehen erregte. Der Sohn einer durchreisenden Londoner Familie, die sich im Wirtshause, wo Schuppenklauer, wie es zeitlebens ihre Gewohnheit war, zum reichhaltigen Mittage saß, der Sohn einer vermögenden Londoner Familie, die sich im Wirtshause niederließ, rief, bass erstaunt: "No, please, Father, I will sit here, I want to see her intellectual face!"
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Wenn er könnte, dachte sie, ihn, den Schlafenden, den Gefesselten, nicht wörtlich zu nehmen, nur symbolisch, ihn, den Mann, den fünftagebärtigen, muskelbepackten Mann ihrer besten Freundin, Eva, der schönen Eva, betrachtend, wenn er, Mars, so nannten sie ihn kichernd, wie Schulmädchen glucksend, wenn Mars könnte, würde er mich, seine Nebenbuhlerin, seine schlimmste Feindin, mit bloßen Händen töten, wie eine Schmeißfliege an der Scheibe zerdrücken. Das Problem war: es gab ihn und es gab ihn nicht. Jedenfalls nicht wie einen normalen Mann, mit Haut und Sperma, mit Verdauung und fettigen Haaren. Schon als Körper, der anwesend war und eindrang. Er stellte ein Geschenk dar. Die Genossenschaft, eine Ehre, hatte Eva ausgesucht, das Geschenk zu testen. Sie war die erste im Viertel gewesen. Eine Trendsetterin. Aus dem Test- war ein Ernstfall geworden. Mars hatte sich eingelebt und unentbehrlich gemacht. Die Jahre gingen seitdem dahin. Er konnte immer, aber nervte nicht, wenn Eva keine Lust hatte. Er kümmerte sich um alles, sobald Eva als Pilotin von Germanwings unterwegs war. Einige Leute wollten immer noch fliegen. Rechnungen, Behördenanrufe, Altersvorsorge - Mars checkte alles gewissenhaft. Und, kein zu unterschätzender Vorteil, er blieb jung. Dass Eva alterte, ließ er sich nicht anmerken. Sagen wir lieber: hatte er sich uns gegenüber nicht anmerken lassen. Bis ich ihm, dachte sie, auf die Schliche gekommen bin. Typen wie er sollten keine Blogs schreiben - und vor allen Dinge keine Kommentare zulassen. Eine seiner Gespielinnen hatte sich unter einem Post über Eva ausgelassen und dabei Evas vollen Namen benutzt. Nun blieb die Frage, ob man Erinnerungen löschen konnte.
Wenn er könnte, dachte sie, ihn, den Schlafenden, den Gefesselten, nicht wörtlich zu nehmen, nur symbolisch, ihn, den Mann, den fünftagebärtigen, muskelbepackten Mann ihrer besten Freundin, Eva, der schönen Eva, betrachtend, wenn er, Mars, so nannten sie ihn kichernd, wie Schulmädchen glucksend, wenn Mars könnte, würde er mich, seine Nebenbuhlerin, seine schlimmste Feindin, mit bloßen Händen töten, wie eine Schmeißfliege an der Scheibe zerdrücken. Das Problem war: es gab ihn und es gab ihn nicht. Jedenfalls nicht wie einen normalen Mann, mit Haut und Sperma, mit Verdauung und fettigen Haaren. Schon als Körper, der anwesend war und eindrang. Er stellte ein Geschenk dar. Die Genossenschaft, eine Ehre, hatte Eva ausgesucht, das Geschenk zu testen. Sie war die erste im Viertel gewesen. Eine Trendsetterin. Aus dem Test- war ein Ernstfall geworden. Mars hatte sich eingelebt und unentbehrlich gemacht. Die Jahre gingen seitdem dahin. Er konnte immer, aber nervte nicht, wenn Eva keine Lust hatte. Er kümmerte sich um alles, sobald Eva als Pilotin von Germanwings unterwegs war. Einige Leute wollten immer noch fliegen. Rechnungen, Behördenanrufe, Altersvorsorge - Mars checkte alles gewissenhaft. Und, kein zu unterschätzender Vorteil, er blieb jung. Dass Eva alterte, ließ er sich nicht anmerken. Sagen wir lieber: hatte er sich uns gegenüber nicht anmerken lassen. Bis ich ihm, dachte sie, auf die Schliche gekommen bin. Typen wie er sollten keine Blogs schreiben - und vor allen Dinge keine Kommentare zulassen. Eine seiner Gespielinnen hatte sich unter einem Post über Eva ausgelassen und dabei Evas vollen Namen benutzt. Nun blieb die Frage, ob man Erinnerungen löschen konnte.
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Deine Scheiße wird im Sarg frieren. Glotz nicht so! Hat dir die Hure, die du Mutter nennst, kein Benehmen beigebracht? Was lernt ihr nur im Internet? Pornos und Wichsen. Hier - das ist die Abfrage deiner Verbindungen der letzten fünf Jahre. Du hast dein Studium vernachlässigt, du hast deine Lehrer betrogen. Ja, wir haben dich nicht vergessen. Nein, wir wussten, wo du warst. Ein Fisch an der Angel verliert die Freiheit. Zurück zu deiner Ausbildung. Glaubst du, wir zahlen, damit du Muschipussyhuschimachen kannst? Schöne Frauen sind eine Woche lang gut, gute Frauen ein Leben lang schön. Ach, natürlich, deine zweite Leidenschaft. Nicht nur Ficker auch Kicker. Elf Dummköpfe, die einen Ball und den Gegner treten, die haben dich interessiert, Bürschlein. Vfl Wolfsburg. Der deutsche Kraftwagen. Du hast echt die Klatsche nicht gehört. Dir ist kein Opfer zu groß, das andere für dich tun können. Ayoub, ad-Dawlah al-Islāmīyah fī al-‘Irāq wash-Shām wird ein Exempel an dir statuieren.
Der Bärtige blickte in die Kamera. Er war kaum älter als Ayoub. Er zeigte ein scharfes Messer. Allah Akbar.
Deine Scheiße wird im Sarg frieren. Glotz nicht so! Hat dir die Hure, die du Mutter nennst, kein Benehmen beigebracht? Was lernt ihr nur im Internet? Pornos und Wichsen. Hier - das ist die Abfrage deiner Verbindungen der letzten fünf Jahre. Du hast dein Studium vernachlässigt, du hast deine Lehrer betrogen. Ja, wir haben dich nicht vergessen. Nein, wir wussten, wo du warst. Ein Fisch an der Angel verliert die Freiheit. Zurück zu deiner Ausbildung. Glaubst du, wir zahlen, damit du Muschipussyhuschimachen kannst? Schöne Frauen sind eine Woche lang gut, gute Frauen ein Leben lang schön. Ach, natürlich, deine zweite Leidenschaft. Nicht nur Ficker auch Kicker. Elf Dummköpfe, die einen Ball und den Gegner treten, die haben dich interessiert, Bürschlein. Vfl Wolfsburg. Der deutsche Kraftwagen. Du hast echt die Klatsche nicht gehört. Dir ist kein Opfer zu groß, das andere für dich tun können. Ayoub, ad-Dawlah al-Islāmīyah fī al-‘Irāq wash-Shām wird ein Exempel an dir statuieren.
Der Bärtige blickte in die Kamera. Er war kaum älter als Ayoub. Er zeigte ein scharfes Messer. Allah Akbar.
206
Luft zog an ihr. Wasser mied sie. Ihr war, als sie mit ihr sprachen, alles gleich und nichts genehm. Ihr Denken kreiste. Ging auf wie der Mond und unter wie die Sonne. An halben Schatten labte sie sich. Sie wuchs heran. Vor ihren Augen. Schoss in die Höhe, ohne breit zu werden. Wie die Tochter eines Kamels. Wie ein Korn im Feld. Ihre Schönheit stach heraus. Sie blieb die Eine. Was ihr verborgen schien. Sie hatte, an guten Tagen, für jeden ein gutes Wort, für jeden eine gute Tat. Sie hatte, an schlechten Tagen, für jeden ein schlechtes Wort, für jeden eine schlechte Tat. Niemand hätte für möglich gehalten, was ihr bevorstand. Das Schicksal, sagte man, hätte sie ausgesucht. Keine Wahl hätte sie gehabt, als die Linsen sich schärften, die Blitze zuckten, über ihren Körper wie Eidechsen krochen. Die Tropfen der Tränen hingen an ihr wie Perlen. Die Bilder gingen um die Welt, mit der Ruhe war es vorbei. Ein schöneres Mädchen hatte die Wüste noch nie gesehen. Von ihren Launen hörte man erst später. Später, als es zu spät war. Die Luft zog an ihr, das Wasser mied sie. Sie schwamm in der Gier und kochte die Rache im steinernen Topf.
Luft zog an ihr. Wasser mied sie. Ihr war, als sie mit ihr sprachen, alles gleich und nichts genehm. Ihr Denken kreiste. Ging auf wie der Mond und unter wie die Sonne. An halben Schatten labte sie sich. Sie wuchs heran. Vor ihren Augen. Schoss in die Höhe, ohne breit zu werden. Wie die Tochter eines Kamels. Wie ein Korn im Feld. Ihre Schönheit stach heraus. Sie blieb die Eine. Was ihr verborgen schien. Sie hatte, an guten Tagen, für jeden ein gutes Wort, für jeden eine gute Tat. Sie hatte, an schlechten Tagen, für jeden ein schlechtes Wort, für jeden eine schlechte Tat. Niemand hätte für möglich gehalten, was ihr bevorstand. Das Schicksal, sagte man, hätte sie ausgesucht. Keine Wahl hätte sie gehabt, als die Linsen sich schärften, die Blitze zuckten, über ihren Körper wie Eidechsen krochen. Die Tropfen der Tränen hingen an ihr wie Perlen. Die Bilder gingen um die Welt, mit der Ruhe war es vorbei. Ein schöneres Mädchen hatte die Wüste noch nie gesehen. Von ihren Launen hörte man erst später. Später, als es zu spät war. Die Luft zog an ihr, das Wasser mied sie. Sie schwamm in der Gier und kochte die Rache im steinernen Topf.
207
- Am Brunnen.
- Vor dem Tore?
- Am Arsch.
- Der Welt?
- Am Meer.
- See?
- Am Denken.
- Hindern?
- Am Samstag.
- Sportschau?
- Am Hals.
- Frau und Kinder?
- Am Leben.
- Erhalten?
- Am besten.
- Abnehmen?
- Am glücklichsten.
- In Dänemark?
- Am siebten Tag.
- Sollst Du ruhen?
- Am Kranz.
. Brennt a Kerzl?
- Am Hals.
- Dicke Lymphknoten?
- Am Ende.
- Am Brunnen.
- Vor dem Tore?
- Am Arsch.
- Der Welt?
- Am Meer.
- See?
- Am Denken.
- Hindern?
- Am Samstag.
- Sportschau?
- Am Hals.
- Frau und Kinder?
- Am Leben.
- Erhalten?
- Am besten.
- Abnehmen?
- Am glücklichsten.
- In Dänemark?
- Am siebten Tag.
- Sollst Du ruhen?
- Am Kranz.
. Brennt a Kerzl?
- Am Hals.
- Dicke Lymphknoten?
- Am Ende.
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Neieieieieieieiein, er dehnte die Silbe, das verstehen Sie nicht. Dies ist keine fakultative Anordnung! Ich bitte Sie freundlichst um Ihr fucking Verständnis! Die Bereitstellungsgebührt hat sich jetzt ja wohl endlich erledigt, oder? Nach 24 Monaten? Er zertrümmerte einen Hügel. Der Mann blickte auf die Karte. Bungsberg. What the fuck, dachte er, dies ist kein Berg, sondern ein fucking Hügel. Er tippte auf den PC und änderte Wikipedia. Der Bungsberg war mit 167,4 m ü. NHN [1] die höchste Erhebung in Schleswig-Holstein. Er lag in der Holsteinischen Schweiz zwischen Scheelholz und Mönchsneversdorf, beide Ortsteile der Gemeinde Schönwalde am Bungsberg (Kreis Ostholstein). Am Bungsberg entsprang mit der Schwentine einer der längsten Flüsse Schleswig-Holsteins. Höööööööööööööööööören Sie mich noch? Schalten Sie gefälligst diese Fahrstuhlmusi aus! Was ist das? Einstürzende Neubauten auf Platt? Himmelherrgottzeiten! Was ist das hier überhaupt für ein Scheißempfang! Wofür bezahl ich Sie eigentlich? Häh? Muss man denn alles selbst machen? Er zerstörte die Siedlung am Wasser. Der Mann tippte auf den PC. Neustadt in Holstein (niederdeutsch: Niestadt in Holsteen) war eine Stadt im Kreis Ostholstein in Schleswig-Holstein. Gegründet wurde sie im Jahr 1244 von Adolf IV. von Holstein. Neustadt in Holstein war ehemals für seine Hafenanlagen bekannt, es war Reiseziel vieler Touristen und diente als Erholungs- und Kulturort. Reieieieieieieieicht das? Er schnaufte. Der Mann hatte die vergangene Nacht schlecht geschlafen. Die vielen Angebote hatten ihn von interstellaren Tarifen träumen lassen. Drei Tage, dachte er, drei fucking Tage habe ich das Kündigungsrecht verpasst, Susi wird sich nicht wieder einkriegen. Er sah auf die Karte. Vor ihm, nordöstlich, lag eine Insel. Fehmarn.
Neieieieieieieiein, er dehnte die Silbe, das verstehen Sie nicht. Dies ist keine fakultative Anordnung! Ich bitte Sie freundlichst um Ihr fucking Verständnis! Die Bereitstellungsgebührt hat sich jetzt ja wohl endlich erledigt, oder? Nach 24 Monaten? Er zertrümmerte einen Hügel. Der Mann blickte auf die Karte. Bungsberg. What the fuck, dachte er, dies ist kein Berg, sondern ein fucking Hügel. Er tippte auf den PC und änderte Wikipedia. Der Bungsberg war mit 167,4 m ü. NHN [1] die höchste Erhebung in Schleswig-Holstein. Er lag in der Holsteinischen Schweiz zwischen Scheelholz und Mönchsneversdorf, beide Ortsteile der Gemeinde Schönwalde am Bungsberg (Kreis Ostholstein). Am Bungsberg entsprang mit der Schwentine einer der längsten Flüsse Schleswig-Holsteins. Höööööööööööööööööören Sie mich noch? Schalten Sie gefälligst diese Fahrstuhlmusi aus! Was ist das? Einstürzende Neubauten auf Platt? Himmelherrgottzeiten! Was ist das hier überhaupt für ein Scheißempfang! Wofür bezahl ich Sie eigentlich? Häh? Muss man denn alles selbst machen? Er zerstörte die Siedlung am Wasser. Der Mann tippte auf den PC. Neustadt in Holstein (niederdeutsch: Niestadt in Holsteen) war eine Stadt im Kreis Ostholstein in Schleswig-Holstein. Gegründet wurde sie im Jahr 1244 von Adolf IV. von Holstein. Neustadt in Holstein war ehemals für seine Hafenanlagen bekannt, es war Reiseziel vieler Touristen und diente als Erholungs- und Kulturort. Reieieieieieieieicht das? Er schnaufte. Der Mann hatte die vergangene Nacht schlecht geschlafen. Die vielen Angebote hatten ihn von interstellaren Tarifen träumen lassen. Drei Tage, dachte er, drei fucking Tage habe ich das Kündigungsrecht verpasst, Susi wird sich nicht wieder einkriegen. Er sah auf die Karte. Vor ihm, nordöstlich, lag eine Insel. Fehmarn.
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An der Peripherie, let's go Suburbia, reihen sich die Schicksale wie Saureregennadeln am Tannenast. Evergrey. Wer hier unbeschadet aufwächst, hat den Schuss nicht gehört. Alle, stellen wir eine These auf, alle glücklichen Kinderprügler sind einander ähnlich; aber jeder unglückliche Kinderprügler ist auf seine besondere Art unglücklich. Nehmen wir Karl, der mir ähnlich ist, vielleicht bin ich Karl, vielleicht bist du Karl. Wie auch immer. In seiner Jugend hörte Karl jeden Abend - und ich meine: jeden Abend -, bevor sein Vater nach Hause kam, Suzanne Vegas Luka. In der Dauerschleife. Karls Vater, Luciano Pavarotti, weder verwandt noch verschwägert, hasste Suzanne Verga. Leiergesang, Guttantengekrächze, Krankenschwestermusik - das waren noch die nettesten Bezeichnungen, die Karls Vater für den Song einfielen. Luciano Pavarotti hatte es mit Zwölftonmusik. Schon beim Namen Schönberg bekam er ab und an epileptische Anfälle. Karl war vierzehn, von den Gelegenheitskrämpfen seines Vaters unbeeindruckt und fand Vega spitz wie Hörnchen. Um sich mit anderen Vega-Fans über Luka auszutauschen, erfand Karl Dutzende Decknamen. Auf Vevo hatte er, in Englisch, als Apostel the Hitmaster gepostet: This song makes me cry because I got hit many times when I was a kid and when I say hit, I mean HIT. I survived but the mental scars are still there. I have forgiven. I just wished it did not not have to happen at all. The running, hiding and terrible fear. This played my first year in the Army and it made me realize how I survived and developed into a man and person I am today. Die Antworten, mehr als hundert, ein Rekord, klebte sich Karl über den Plattenspieler. Selbstverständlich stand Karl auf das Kratzen von Vinyl. Eine Antwort, samt Rechtschreibfehler, druckte sich Karl sogar auf die B-Seite seiner PrintMeCheaplyVisitenkarte: Your`e a fantastic survivor sir. I salute you. Auf der A-Seite stand (Schriftgröße 36, die größte für das Format): My name is Lukarl. Als Karls Vater diese Karte in der Infobox der Mariengemeinde fand,
An der Peripherie, let's go Suburbia, reihen sich die Schicksale wie Saureregennadeln am Tannenast. Evergrey. Wer hier unbeschadet aufwächst, hat den Schuss nicht gehört. Alle, stellen wir eine These auf, alle glücklichen Kinderprügler sind einander ähnlich; aber jeder unglückliche Kinderprügler ist auf seine besondere Art unglücklich. Nehmen wir Karl, der mir ähnlich ist, vielleicht bin ich Karl, vielleicht bist du Karl. Wie auch immer. In seiner Jugend hörte Karl jeden Abend - und ich meine: jeden Abend -, bevor sein Vater nach Hause kam, Suzanne Vegas Luka. In der Dauerschleife. Karls Vater, Luciano Pavarotti, weder verwandt noch verschwägert, hasste Suzanne Verga. Leiergesang, Guttantengekrächze, Krankenschwestermusik - das waren noch die nettesten Bezeichnungen, die Karls Vater für den Song einfielen. Luciano Pavarotti hatte es mit Zwölftonmusik. Schon beim Namen Schönberg bekam er ab und an epileptische Anfälle. Karl war vierzehn, von den Gelegenheitskrämpfen seines Vaters unbeeindruckt und fand Vega spitz wie Hörnchen. Um sich mit anderen Vega-Fans über Luka auszutauschen, erfand Karl Dutzende Decknamen. Auf Vevo hatte er, in Englisch, als Apostel the Hitmaster gepostet: This song makes me cry because I got hit many times when I was a kid and when I say hit, I mean HIT. I survived but the mental scars are still there. I have forgiven. I just wished it did not not have to happen at all. The running, hiding and terrible fear. This played my first year in the Army and it made me realize how I survived and developed into a man and person I am today. Die Antworten, mehr als hundert, ein Rekord, klebte sich Karl über den Plattenspieler. Selbstverständlich stand Karl auf das Kratzen von Vinyl. Eine Antwort, samt Rechtschreibfehler, druckte sich Karl sogar auf die B-Seite seiner PrintMeCheaplyVisitenkarte: Your`e a fantastic survivor sir. I salute you. Auf der A-Seite stand (Schriftgröße 36, die größte für das Format): My name is Lukarl. Als Karls Vater diese Karte in der Infobox der Mariengemeinde fand,
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Der Morgen roch kühl. Kühler als die Nacht. Die Wolken hingen wie gewaltige Glocken über der Insel. Harte Luft. Klöppel, die darauf warteten, geschwungen zu werden. Es braute sich etwas zusammen. Typisch für die Jahreszeit. Wer jetzt hier war, wollte es wissen. Er senkte den Blick. Das Wasser war wärmer als die Luft. Geringfügig. Sie hing mit ihrem Körper an seinem Körper. Sie küsste ihn. Er küsste sie - sie, ihren Mund und ihren Leib. Er liebte sie. Sie liebte ihn - ihn, seinen Mund und seinen Leib. Die Entscheidung war beiden nicht leicht gefallen. Weder ihm noch ihr. Aber das letzte Jahr, beinahe komplett im Rollstuhl, hatte den Ausschlag gegeben.
Der Morgen roch kühl. Kühler als die Nacht. Die Wolken hingen wie gewaltige Glocken über der Insel. Harte Luft. Klöppel, die darauf warteten, geschwungen zu werden. Es braute sich etwas zusammen. Typisch für die Jahreszeit. Wer jetzt hier war, wollte es wissen. Er senkte den Blick. Das Wasser war wärmer als die Luft. Geringfügig. Sie hing mit ihrem Körper an seinem Körper. Sie küsste ihn. Er küsste sie - sie, ihren Mund und ihren Leib. Er liebte sie. Sie liebte ihn - ihn, seinen Mund und seinen Leib. Die Entscheidung war beiden nicht leicht gefallen. Weder ihm noch ihr. Aber das letzte Jahr, beinahe komplett im Rollstuhl, hatte den Ausschlag gegeben.
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Der eine Schlüssel passte in die Haustür. Eine schwere, beinahe täglich neu beschmierte Tür, direkt am Rosenthaler Platz, neben dem U-Bahneingang, an einer der belebtesten Kreuzungen Mittes. Der andere Schlüssel, von dem ersten nicht zu unterscheiden, passte in die Wohnungstür im zweiten Stock. Die Wohnung war zu einem Internetbüro umgebaut worden, trendy und retro zugleich, wie die Co-Worker, für die der schnelle Internetzugang die eigentliche Attraktion des Büros darstellte. Warum er die, auf den ersten Blick, identischen Schlüssel nicht mit einem farbigen Punkt oder einem Plastiküberzug kennzeichnete, so dass er sich immer sicher sein konnte, welcher Schlüssel draußen, welcher drinnen passte? Er wollte, bewusst, an die Kraft des Zufalls erinnert werden. Als ihn die Männer, drei leidlich Betrunkene, mit Augen, die Armut und den Ausweg daraus kannten, als ihn die Männer, früh am Sonntagmorgen, vor dem Haus ansprachen, in die Zange nahmen, wähend er, über die Fügung nachdachte und mit den Schlüsseln hantierte, wurde ihm, zum ersten Mal, der eklatante Unterschied zwischen Theorie und Praxis klar. Der Kleinste, an der Grenze zum Zwerg, hatte ein Messer in der Hand, das zu groß für die überaschend feinen Finger war. Dem Mann fehlten die Nägel. Die Nagelbetten sahen wie langsam verheilende Wunden aus, wie Wiener Würstchen, denen man vorne einen Fetzen der Pelle entfernd hatte. Eine Szene wie aus Cremmaster, dachte er, während er sich, vergeblich, nach Hilfe umsah.
Der eine Schlüssel passte in die Haustür. Eine schwere, beinahe täglich neu beschmierte Tür, direkt am Rosenthaler Platz, neben dem U-Bahneingang, an einer der belebtesten Kreuzungen Mittes. Der andere Schlüssel, von dem ersten nicht zu unterscheiden, passte in die Wohnungstür im zweiten Stock. Die Wohnung war zu einem Internetbüro umgebaut worden, trendy und retro zugleich, wie die Co-Worker, für die der schnelle Internetzugang die eigentliche Attraktion des Büros darstellte. Warum er die, auf den ersten Blick, identischen Schlüssel nicht mit einem farbigen Punkt oder einem Plastiküberzug kennzeichnete, so dass er sich immer sicher sein konnte, welcher Schlüssel draußen, welcher drinnen passte? Er wollte, bewusst, an die Kraft des Zufalls erinnert werden. Als ihn die Männer, drei leidlich Betrunkene, mit Augen, die Armut und den Ausweg daraus kannten, als ihn die Männer, früh am Sonntagmorgen, vor dem Haus ansprachen, in die Zange nahmen, wähend er, über die Fügung nachdachte und mit den Schlüsseln hantierte, wurde ihm, zum ersten Mal, der eklatante Unterschied zwischen Theorie und Praxis klar. Der Kleinste, an der Grenze zum Zwerg, hatte ein Messer in der Hand, das zu groß für die überaschend feinen Finger war. Dem Mann fehlten die Nägel. Die Nagelbetten sahen wie langsam verheilende Wunden aus, wie Wiener Würstchen, denen man vorne einen Fetzen der Pelle entfernd hatte. Eine Szene wie aus Cremmaster, dachte er, während er sich, vergeblich, nach Hilfe umsah.
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Jenny zog die Mundwinkel verächtlich herunter. Nach sieben Tassen hatte Burt aufgegeben. The Challenge verlangte mindestens zehn. Die Likes würden ausbleiben.
Das Herz sei ein flatterhafter Geselle, was man nicht aufgebe, habe man nie verloren, er mache sich dann mal von dannen, gehabt Euch wohl, Lady Jenny, mit ihm sei es hierro vorbei.
Sein Jammern stieß ihr übel auf. Auch dass er seine Rede mit Zitaten würzte, nervte Jenny. Burt erwartete von ihr eine Response, eine Erwiderung wäre nicht ausreichend gewesen. Überhaupt: das ewige Hantieren mit Noten. Das sei gut, jenes mangelhaft. Dass er sie nicht befriedigte, seit Monaten auf Flatter machte, das wollte Burt dagegen nicht hören. In ihm steckte ein Schulmeister. Ein verklemmter Geist. Ein Wicht in einer vernagelten Kiste. Ein Klugscheißer, der nicht mal wusste, dass Hierro eine kanarische Insel war.
Nur vom Nutzen werde die Welt regiert, einen schöneren Kaffeesatz, um das weite Feld zu räumen, könne er sich nicht vorstellen, schwer sei die Kunst, vergänglich sei ihr Preis, er habe ...
Die BZ10 gehört im Programm des Mailänder Herstellers zu den Espressomaschinen, sagte Jenny, ihn unterbrechend. Sie hatte sich auf diesen Moment gewissenhaft vorbereitet, wollte nicht stoclen, den Abschnitt aus dem Katalog, den Burt als eine Art Bibel betrachtete, auswendig gelernt. Die Bezzera Zweikreis-Espressomaschine gehört zu den Geräten, die gewissermaßen Übergangsmodelle darstellen zwischen den kleineren Haushaltsmaschinen und den großdimensionierten Geräten für den Einsatz in Caffèbar und Trattoria. Jenny hob die BZ10 mit einem Ruck hoch.
Burt, der sich die Espressomaschine am Jahresanfang, vom ersten Gehalt als Bademeister in der Gartenstraße, geleistet hatte, hob, fassungs- und sprachlos, abwehrend die Hände.
Obgleich, Jenny lächelte ihn an, noch immer zurückhaltend in den Abmessungen, verfügt die BZ10 doch über technische Details, wie sie – zumal in dieser für Bezzera typischen, durchdachten und soliden Umsetzung – allenfalls in weit kostspieligeren Modellen zu finden sind, allen voran die aufwendige Zweikreis-Technik. Für die Maschine spricht auch die übersichtliche Anordnung der Bedienelemente: rechts von der Brühgruppe der Heißwasserauslaß, links davon die Dampflanze, und alle drei leicht zugänglich. Jenny war, mitsamt der BZ10, aufgestanden. Die Espressomaschine befand sich nun genau über Burts Kopf.
Jenny zog die Mundwinkel verächtlich herunter. Nach sieben Tassen hatte Burt aufgegeben. The Challenge verlangte mindestens zehn. Die Likes würden ausbleiben.
Das Herz sei ein flatterhafter Geselle, was man nicht aufgebe, habe man nie verloren, er mache sich dann mal von dannen, gehabt Euch wohl, Lady Jenny, mit ihm sei es hierro vorbei.
Sein Jammern stieß ihr übel auf. Auch dass er seine Rede mit Zitaten würzte, nervte Jenny. Burt erwartete von ihr eine Response, eine Erwiderung wäre nicht ausreichend gewesen. Überhaupt: das ewige Hantieren mit Noten. Das sei gut, jenes mangelhaft. Dass er sie nicht befriedigte, seit Monaten auf Flatter machte, das wollte Burt dagegen nicht hören. In ihm steckte ein Schulmeister. Ein verklemmter Geist. Ein Wicht in einer vernagelten Kiste. Ein Klugscheißer, der nicht mal wusste, dass Hierro eine kanarische Insel war.
Nur vom Nutzen werde die Welt regiert, einen schöneren Kaffeesatz, um das weite Feld zu räumen, könne er sich nicht vorstellen, schwer sei die Kunst, vergänglich sei ihr Preis, er habe ...
Die BZ10 gehört im Programm des Mailänder Herstellers zu den Espressomaschinen, sagte Jenny, ihn unterbrechend. Sie hatte sich auf diesen Moment gewissenhaft vorbereitet, wollte nicht stoclen, den Abschnitt aus dem Katalog, den Burt als eine Art Bibel betrachtete, auswendig gelernt. Die Bezzera Zweikreis-Espressomaschine gehört zu den Geräten, die gewissermaßen Übergangsmodelle darstellen zwischen den kleineren Haushaltsmaschinen und den großdimensionierten Geräten für den Einsatz in Caffèbar und Trattoria. Jenny hob die BZ10 mit einem Ruck hoch.
Burt, der sich die Espressomaschine am Jahresanfang, vom ersten Gehalt als Bademeister in der Gartenstraße, geleistet hatte, hob, fassungs- und sprachlos, abwehrend die Hände.
Obgleich, Jenny lächelte ihn an, noch immer zurückhaltend in den Abmessungen, verfügt die BZ10 doch über technische Details, wie sie – zumal in dieser für Bezzera typischen, durchdachten und soliden Umsetzung – allenfalls in weit kostspieligeren Modellen zu finden sind, allen voran die aufwendige Zweikreis-Technik. Für die Maschine spricht auch die übersichtliche Anordnung der Bedienelemente: rechts von der Brühgruppe der Heißwasserauslaß, links davon die Dampflanze, und alle drei leicht zugänglich. Jenny war, mitsamt der BZ10, aufgestanden. Die Espressomaschine befand sich nun genau über Burts Kopf.
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In den Reihen der Symphoniker wurde die Stimmung immer schlechter je besser die Musik oder zumindest die Resonanz in der Öffentlichkeit wurde. Der Hass aufeinander - besonders auf den Dirigenten - nahm zu, während das Orchester, auf Japanreise, scheinbar von Erfolg zu Erfolg eilte. Ein unerhörtes Abscheucrescendo. Im Orchester bildeten sich, und die Bezeichnung ist berechtigt, regelrechte PartiSturGangs. Meistens spielten die Gangmembers das gleiche Instrument, aber nicht immer, es gab Ausreißer, Fremdgänger, speziell die Zweiten Violinen, The Violent Ones, galten als unsichere Kantonisten. Das Orchester gastierte während der auf einen Monat angesetzten Tournee jeweils für zwei Tage an einem Ort, spielte am ersten Abend die 1. und am zweiten Abend die 15. Sinfonie Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitschs, dazu kleinere Stücke von Schönberg und Webern. Das Problem waren nicht so sehr die Sinfonien, obwohl es erhebliche Unstimmigkeiten über die 15., Schostakowitschs letzte gab. Der Dirigent wollte die Zitate, besonders die Walküre-Sequenz, explizit herausgearbeitet wissen, was einigen Bläsern, aus Gründen, die nichts zur Sache tun, aber offenbar mit der von Francis Ford Coppola gerade veröffentlichten, 202 Minuten langen Redux-Version des Antikriegsfilms Apocalypse Now zu tun hatten, der Dirigent wollte die Zitate also herausgearbeitet wissen, was einigen Bläsern übel aufstieß. Es ging schließlich soweit, dass die Posaunen, samt Bassposaune, eine ApoNo-Zelle ins Leben riefen, man gastierte gerade in Saitama, und nachts an die Hotelzimmertür der Ersten Geige eine gepfefferte Todesdrohung nagelten. Als Hammer benutzten sie ein Metronom. das prompt zerbrach. Die Worte klangen drastisch und waren auch so gemeint. Die Erste Geigerin erlitt einen Nervenzusammenbruch, wurde jedoch vom Dirigenten und der Harfenistin, die keiner Gruppe angehörte, aber als Stimme der Vernunft unter ihren Kollegen galt, wieder fitgemacht. Richtig eskalierte die Situation dann in Fukuoka, der größten Stadt Kyūshūs, der südlichsten der japanischen Hauptinseln, als mit Nadeln gespickte Hakata-Puppen, beliebte Mitbringsel, Omiyage, der Präfektur Fukuoka, in den Koffern der Bratschen auftauchten. Der Dirigent rief die Gangleader zusammen, und von diesem kakophon-blutigen Showdown, in der Geschichte der Klassischen Musik Art of Darkness genannt, will ich nun, der mir neue, unerhörte Quellen, die Tagebücher der kürzlich im Irrenhaus Lahores verstorbenen Harfenistin, anonym zugeschickt worden sind, so wahrheitsgemäß wie möglich, ohne Ansehen der Person, berichten.
In den Reihen der Symphoniker wurde die Stimmung immer schlechter je besser die Musik oder zumindest die Resonanz in der Öffentlichkeit wurde. Der Hass aufeinander - besonders auf den Dirigenten - nahm zu, während das Orchester, auf Japanreise, scheinbar von Erfolg zu Erfolg eilte. Ein unerhörtes Abscheucrescendo. Im Orchester bildeten sich, und die Bezeichnung ist berechtigt, regelrechte PartiSturGangs. Meistens spielten die Gangmembers das gleiche Instrument, aber nicht immer, es gab Ausreißer, Fremdgänger, speziell die Zweiten Violinen, The Violent Ones, galten als unsichere Kantonisten. Das Orchester gastierte während der auf einen Monat angesetzten Tournee jeweils für zwei Tage an einem Ort, spielte am ersten Abend die 1. und am zweiten Abend die 15. Sinfonie Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitschs, dazu kleinere Stücke von Schönberg und Webern. Das Problem waren nicht so sehr die Sinfonien, obwohl es erhebliche Unstimmigkeiten über die 15., Schostakowitschs letzte gab. Der Dirigent wollte die Zitate, besonders die Walküre-Sequenz, explizit herausgearbeitet wissen, was einigen Bläsern, aus Gründen, die nichts zur Sache tun, aber offenbar mit der von Francis Ford Coppola gerade veröffentlichten, 202 Minuten langen Redux-Version des Antikriegsfilms Apocalypse Now zu tun hatten, der Dirigent wollte die Zitate also herausgearbeitet wissen, was einigen Bläsern übel aufstieß. Es ging schließlich soweit, dass die Posaunen, samt Bassposaune, eine ApoNo-Zelle ins Leben riefen, man gastierte gerade in Saitama, und nachts an die Hotelzimmertür der Ersten Geige eine gepfefferte Todesdrohung nagelten. Als Hammer benutzten sie ein Metronom. das prompt zerbrach. Die Worte klangen drastisch und waren auch so gemeint. Die Erste Geigerin erlitt einen Nervenzusammenbruch, wurde jedoch vom Dirigenten und der Harfenistin, die keiner Gruppe angehörte, aber als Stimme der Vernunft unter ihren Kollegen galt, wieder fitgemacht. Richtig eskalierte die Situation dann in Fukuoka, der größten Stadt Kyūshūs, der südlichsten der japanischen Hauptinseln, als mit Nadeln gespickte Hakata-Puppen, beliebte Mitbringsel, Omiyage, der Präfektur Fukuoka, in den Koffern der Bratschen auftauchten. Der Dirigent rief die Gangleader zusammen, und von diesem kakophon-blutigen Showdown, in der Geschichte der Klassischen Musik Art of Darkness genannt, will ich nun, der mir neue, unerhörte Quellen, die Tagebücher der kürzlich im Irrenhaus Lahores verstorbenen Harfenistin, anonym zugeschickt worden sind, so wahrheitsgemäß wie möglich, ohne Ansehen der Person, berichten.
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Die Sonne hatte die Kernfusion satt. Als der Wecker, am 1. August 2016, 5:27 Uhr, klingelte, blieb sie im Bett liegen. Die erst überraschten, dann besorgten, schließlich panischen Anrufe der Sterndeuter beantwortete sie nicht. Vierkommasechsmilliardenjahrein, vierkommasechsmilliardenjahraus nichts als Schein. Sie setzte pro Sekunde mehr Energie frei als alle Kernkraftwerke der Erde in 750 000 Jahren. Genug geschuftet, Stürme angefacht. Jetzt soll die Dunkle Materie mal ran, zeigen, was sie draufhat. Dass sich ein Viertel der Masse des Universums versteckte, ging der Sonne gegen die Weber'sche Arbeitsmoral.
Die Sonne hatte die Kernfusion satt. Als der Wecker, am 1. August 2016, 5:27 Uhr, klingelte, blieb sie im Bett liegen. Die erst überraschten, dann besorgten, schließlich panischen Anrufe der Sterndeuter beantwortete sie nicht. Vierkommasechsmilliardenjahrein, vierkommasechsmilliardenjahraus nichts als Schein. Sie setzte pro Sekunde mehr Energie frei als alle Kernkraftwerke der Erde in 750 000 Jahren. Genug geschuftet, Stürme angefacht. Jetzt soll die Dunkle Materie mal ran, zeigen, was sie draufhat. Dass sich ein Viertel der Masse des Universums versteckte, ging der Sonne gegen die Weber'sche Arbeitsmoral.
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Aus einer Position der Güte heraus, lässt sich Gewalt hervorragend ausüben. Dieses Foto, Hammersmith zeigte auf einen Mann, Mitte fünfzig, freundliches Lächeln, der eine Clownsmaske und eine rote Lockenperücke trug, so dass man von seinem Gesicht und seinen Haaren nichts sehen konnte, dieses Foto ist unsere einzige Spur. Fettarme Magermilch, mit Wasser verdünnt, ich weiß. Hammersmith lachte, ein bitteres, nervöses Lachen. Täglich fand man neue Leichen auf dem Grundstück. Übel zugerichtet. Noch hielten die Behörden still, die Medien waren bislang außen vor, die Polizei sollte eine Woche freie Hand haben. Wie es Dove geschafft hat, Hammersmith schlug mit dem Zeigestock gegen den Beamer, auf keinem Facebook-Foto seiner Schützlinge aufzutauchen? Kein lustiges Spaßvideo bei Liveleak zu hinterlassen? Ich würde sagen: Güte. Wer unter seiner Obhut stand, musste von Anfang an Handy und Kamera auslassen. Außerdem bin ich mir sicher, dass Dove, sobald er seine Opfer am See hatte, etliche Telefone einkassiert und zerstört hat. Noch Fragen?
Ist "Dove" sein richtiger Name?
Der einzige Name, den wir haben. Die Unterlagen, die ihn als "Dave Dove" ausweisen und dem Heim vorlagen, waren genauso gefälscht wie sein Abschluss an der Open University. Übrigens keine schlechte Fälschung. Hat eine Stange Geld gekostet. Den Preis eines Mittelklassewagens. Es sei denn, Redridinghood hat die Dokumente selbst gefälscht. Um das Land zu verlassen, dürfte Dove seinen echten Ausweis benutzt haben.
Besonderheiten, die uns auf seine Spur bringen könnten?
Take if you will a picture. Of you and I engaged in a kiss. Eine Vorliebe für Prince. Man könnte von einer Obsession sprechen. Besonders für einen Song, den er ununterbrochen gesummt haben soll, wenn er an die Arbeit ging.
When Doves cry?
Bingo! Maybe you're just like my mother She's never satisfied.
Ein Clown mit Ödipus-Komplex, Chrissie Sterling, Hammersmiths Vorgesetzte, sah sich um und hob theatralisch die Arme, klingt nach der Beschreibung meines Ex-Mannes.
Des Ex von Millionen Frauen!, rief Gita Hamad, die erfahrenste Forensikerin im Team, und alle lachten.
Wahrscheinlich die Voraussetzung, um als Clown auftreten zu dürfen, sagte Hammersmith.
Aus einer Position der Güte heraus, lässt sich Gewalt hervorragend ausüben. Dieses Foto, Hammersmith zeigte auf einen Mann, Mitte fünfzig, freundliches Lächeln, der eine Clownsmaske und eine rote Lockenperücke trug, so dass man von seinem Gesicht und seinen Haaren nichts sehen konnte, dieses Foto ist unsere einzige Spur. Fettarme Magermilch, mit Wasser verdünnt, ich weiß. Hammersmith lachte, ein bitteres, nervöses Lachen. Täglich fand man neue Leichen auf dem Grundstück. Übel zugerichtet. Noch hielten die Behörden still, die Medien waren bislang außen vor, die Polizei sollte eine Woche freie Hand haben. Wie es Dove geschafft hat, Hammersmith schlug mit dem Zeigestock gegen den Beamer, auf keinem Facebook-Foto seiner Schützlinge aufzutauchen? Kein lustiges Spaßvideo bei Liveleak zu hinterlassen? Ich würde sagen: Güte. Wer unter seiner Obhut stand, musste von Anfang an Handy und Kamera auslassen. Außerdem bin ich mir sicher, dass Dove, sobald er seine Opfer am See hatte, etliche Telefone einkassiert und zerstört hat. Noch Fragen?
Ist "Dove" sein richtiger Name?
Der einzige Name, den wir haben. Die Unterlagen, die ihn als "Dave Dove" ausweisen und dem Heim vorlagen, waren genauso gefälscht wie sein Abschluss an der Open University. Übrigens keine schlechte Fälschung. Hat eine Stange Geld gekostet. Den Preis eines Mittelklassewagens. Es sei denn, Redridinghood hat die Dokumente selbst gefälscht. Um das Land zu verlassen, dürfte Dove seinen echten Ausweis benutzt haben.
Besonderheiten, die uns auf seine Spur bringen könnten?
Take if you will a picture. Of you and I engaged in a kiss. Eine Vorliebe für Prince. Man könnte von einer Obsession sprechen. Besonders für einen Song, den er ununterbrochen gesummt haben soll, wenn er an die Arbeit ging.
When Doves cry?
Bingo! Maybe you're just like my mother She's never satisfied.
Ein Clown mit Ödipus-Komplex, Chrissie Sterling, Hammersmiths Vorgesetzte, sah sich um und hob theatralisch die Arme, klingt nach der Beschreibung meines Ex-Mannes.
Des Ex von Millionen Frauen!, rief Gita Hamad, die erfahrenste Forensikerin im Team, und alle lachten.
Wahrscheinlich die Voraussetzung, um als Clown auftreten zu dürfen, sagte Hammersmith.
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Das Leiden, sie streichelte Kyänie, das älteste der drei Kamele, belagert uns.
Samara, Kronos' blinde Tante, die Stimme der Unvernunft, knetete den Teig. Jeder Tag kennt das Licht.
Zak, Kyänies Besitzer, der als einziger den Fluss heraufgesegelt war, im schwarzen Jahr des Wassers, spuckte auf den Boden. Ein roter Tropfen.
Jeder sah das Blut, keiner rührte sich, bis Kronos ihren linken Fuß ausstreckte und Sand über den Flecken schob.
Das Leiden, sie streichelte Kyänie, das älteste der drei Kamele, belagert uns.
Samara, Kronos' blinde Tante, die Stimme der Unvernunft, knetete den Teig. Jeder Tag kennt das Licht.
Zak, Kyänies Besitzer, der als einziger den Fluss heraufgesegelt war, im schwarzen Jahr des Wassers, spuckte auf den Boden. Ein roter Tropfen.
Jeder sah das Blut, keiner rührte sich, bis Kronos ihren linken Fuß ausstreckte und Sand über den Flecken schob.
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Fast im Senkundentakt rannte Gott zum Eierkocher. Harte Eier konnte Gott, auf Teufel komm raus, nicht ertragen. Seit Jesus ausgezogen war, überlegte Gott, ob Ratzingers Idee, vorzeitig in Rente zu gehen und einen Superjob hinzuschmeißen, den Mann eigentlich nicht hinschmeißen darf, Frauen hätten eh viel weniger Brimborium um die Nummer gemacht, seit Ratzingers Badbye überlegte Gott, ob solch ein Sabbatical ihm nicht auch gut täte. Jesus war nur 12 Jahre zur Schule gegangen. Das Abitur wurde den Kindern heutzutage regelrecht hinterhergeworfen, unfassbar. Auf den freiwilligen Sozialdienst hatte Jesus keine Lust gehabt. Die nageln mich noch früh genug ans Kreuz, hatte er zu Gott gesagt, und dann bin ich in der Solizuschlagsmühle drinnen, ich will erst mal was von der Welt sehen. Von der Welt sehen und Früh genug Anskreuznageln - von wegen. Von Charlottenburg nach Kreuzberg, weiter hatte es Jesus nicht geschafft. Jesus lebte, angeblich, mit zwei Frauen zusammen, die beide Maria hießen. Gott schreckte die Eier mit Wasser ab. Warmes Wasser, das war Gotts Trick. Wer kaltes Wasser benutzt, darf sich nicht wundern, wenn die Schale bricht, hatte Gott immer zu Jesus gesagt, und Jesus hatte Gott entgegnet, du bist solch ein Besserwisser, aber auf die Theodizee hast du keine vernünftige Antwort parat, die deine Kritiker in die Schranken weist.
Fast im Senkundentakt rannte Gott zum Eierkocher. Harte Eier konnte Gott, auf Teufel komm raus, nicht ertragen. Seit Jesus ausgezogen war, überlegte Gott, ob Ratzingers Idee, vorzeitig in Rente zu gehen und einen Superjob hinzuschmeißen, den Mann eigentlich nicht hinschmeißen darf, Frauen hätten eh viel weniger Brimborium um die Nummer gemacht, seit Ratzingers Badbye überlegte Gott, ob solch ein Sabbatical ihm nicht auch gut täte. Jesus war nur 12 Jahre zur Schule gegangen. Das Abitur wurde den Kindern heutzutage regelrecht hinterhergeworfen, unfassbar. Auf den freiwilligen Sozialdienst hatte Jesus keine Lust gehabt. Die nageln mich noch früh genug ans Kreuz, hatte er zu Gott gesagt, und dann bin ich in der Solizuschlagsmühle drinnen, ich will erst mal was von der Welt sehen. Von der Welt sehen und Früh genug Anskreuznageln - von wegen. Von Charlottenburg nach Kreuzberg, weiter hatte es Jesus nicht geschafft. Jesus lebte, angeblich, mit zwei Frauen zusammen, die beide Maria hießen. Gott schreckte die Eier mit Wasser ab. Warmes Wasser, das war Gotts Trick. Wer kaltes Wasser benutzt, darf sich nicht wundern, wenn die Schale bricht, hatte Gott immer zu Jesus gesagt, und Jesus hatte Gott entgegnet, du bist solch ein Besserwisser, aber auf die Theodizee hast du keine vernünftige Antwort parat, die deine Kritiker in die Schranken weist.
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Im Zweifel gegen den Angeklagten. Der Richter knallte mit dem Hammer auf den Tisch und sah auf die Uhr. In einer halben Stunde startete die neue "Homeland"-Staffel. Er konnte es kaum erwarten. Die Wiederholungen der vergangen neun Weihnachtsfolgen von "Downton Abbey" hatte er nur geguckt, um Viws Zorn einzudämmen. Sie machte ihm das Leben mit ihrem Royalquatsch und ihren eingebildeten Krankheiten zur Hölle. Aber das Verdauungsjammern und Queenjubeln würden bald ein Ende haben. Conrad, den sich der Richter beim Prozess gegen den Serienkiller Motherwell gewogen gemacht hatte, war mit einer fabelhaften Idee um die Ecke gekommen. Der Richter grinste. Er sah aus wie ein Geier, der sich übers Roadkill beugte.
Im Zweifel gegen den Angeklagten. Der Richter knallte mit dem Hammer auf den Tisch und sah auf die Uhr. In einer halben Stunde startete die neue "Homeland"-Staffel. Er konnte es kaum erwarten. Die Wiederholungen der vergangen neun Weihnachtsfolgen von "Downton Abbey" hatte er nur geguckt, um Viws Zorn einzudämmen. Sie machte ihm das Leben mit ihrem Royalquatsch und ihren eingebildeten Krankheiten zur Hölle. Aber das Verdauungsjammern und Queenjubeln würden bald ein Ende haben. Conrad, den sich der Richter beim Prozess gegen den Serienkiller Motherwell gewogen gemacht hatte, war mit einer fabelhaften Idee um die Ecke gekommen. Der Richter grinste. Er sah aus wie ein Geier, der sich übers Roadkill beugte.
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Als Al Kotob Khan erst das Gleichgewicht und dann das Bewusstsein verlor, breitete sich in Fatimas Körper ein Gefühl intensiver Wärme aus. Als säße sie wieder in Burlington, Vermont. Säße am knisternden Kamin ihres Elternhauses, in der einen Hand eine Tasse dampfenden Ingwertee, in der anderen einen Liebesroman. Früher hatte sie nur gelesen und vom Glück geträumt. Fatima zwang sich, ruhig zu bleiben. Bloß keine Hilfe rufen, dachte sie. Ihr ältester Sohn, Humma, hatte Medizin studiert. Er war mit seiner Frau Nancy, die Al Kotob Khan mit seinem falschen Charme von Beginn an um den Finger gewickelt hatte, und den beiden Enkeltöchtern über Weihnachten nach Hause gekommen. Humma, der seinen Vater seit dem Tauchgang am Roten Meer hasste, aber seinen Beruf ernst nahm, hätte bestimmt mit den lebensrettenden Maßnahmen begonnen. Schon um Nancy nichts erklären zu müssen. Humma hatte es nicht so mit dem Reden. Das übernahm Nancy für ihn. Fatima öffnete vorsichtig die Tube der Handcreme. Sie drückte einen zwei Zentimeter langen Wurm heraus. Die Sandstürme hatten ihre Haut spröde gemacht. Wie sie sich nach dem Winter sehnte.
Als Al Kotob Khan erst das Gleichgewicht und dann das Bewusstsein verlor, breitete sich in Fatimas Körper ein Gefühl intensiver Wärme aus. Als säße sie wieder in Burlington, Vermont. Säße am knisternden Kamin ihres Elternhauses, in der einen Hand eine Tasse dampfenden Ingwertee, in der anderen einen Liebesroman. Früher hatte sie nur gelesen und vom Glück geträumt. Fatima zwang sich, ruhig zu bleiben. Bloß keine Hilfe rufen, dachte sie. Ihr ältester Sohn, Humma, hatte Medizin studiert. Er war mit seiner Frau Nancy, die Al Kotob Khan mit seinem falschen Charme von Beginn an um den Finger gewickelt hatte, und den beiden Enkeltöchtern über Weihnachten nach Hause gekommen. Humma, der seinen Vater seit dem Tauchgang am Roten Meer hasste, aber seinen Beruf ernst nahm, hätte bestimmt mit den lebensrettenden Maßnahmen begonnen. Schon um Nancy nichts erklären zu müssen. Humma hatte es nicht so mit dem Reden. Das übernahm Nancy für ihn. Fatima öffnete vorsichtig die Tube der Handcreme. Sie drückte einen zwei Zentimeter langen Wurm heraus. Die Sandstürme hatten ihre Haut spröde gemacht. Wie sie sich nach dem Winter sehnte.
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Matthias Qualle kam, unbehütet, in Vače auf die Welt. Im Jahr 1470. An einem Sonntag, an dem die Wolken tief hingen und kein Sonnenlicht durchließen. Mein dunkles Gemüt, pflegte Qualle zu sagen, fühlte sich ad hoc bestätigt, als ich den blutenden, ungewaschenen Leib der halb bewusstlosen Mutter verließ. Mit 21 ging Qualle, der da noch Matija Hvale hieß, nach Wien. Er studierte ordentlich und wurde alsbald ein allseits geschätzter Lehrer. Einer seiner Schüler, wohl der begabteste, war der Schweizer Humanist und Reformator Joachim Vadian. Während der Pestepidemie von 1506 flüchteten die beiden, längst Kollegen, gemeinsam nach Villach. Vadian und Qualle teilten sich, anfangs, im Benediktinerkloster Ossiach nicht nur die Zelle, sondern auch, wie es hieß: freiwillig, die harte, schmale Bettstatt. Das Stift, ein Benediktinerkloster, lag - und liegt wohl auch heute noch, ich selbst bin lange nicht mehr dort gewesen - am Ufer des Ossiacher Sees zwischen der Schattseite der Ossiacher Tauern und der Südseite des gewaltigen Pfuhls. Qualle und Vadian waren leidenschaftliche Schwimmer. Regelmäßig durchquerten sie am Morgen und am Abend, von Anfang April bis Ende Oktober, an der schmalsten Stelle, nackt, lachend, fluchend, disputierend, das Gewässer. Keine große Sache. Zwischen Ostriach und Ossiach war der See gerade mal 600 Meter breit, die Strömung weniger giftig als am Zufluss der Tiebel, wo gar mancher Wagemutige im Nass, beim Aufziehen eines Sturms, sein Ende gefunden hat. Auf die Klagen der Fischer, dass die Schwimmer, Qualle und Vadian, durch ihr unablässiges Gelächter den Fang, durch ihr Züngeln die Sitten störten, antworteten die beiden Gelehrten unbeeindruckt auf Latein. Ridendo corrigo mores! Eine Botschaft, die den Fischern, die sich auf das Recht der Einheimischen beriefen, fremd blieb. Der eigenartige Zwischenfall, von dem nun die Rede sein soll, ging als Ein Gast ist wie ein Fisch, er bleibt nicht lange frisch-Seeschlacht in die Kärntener Annalen ein.
Matthias Qualle kam, unbehütet, in Vače auf die Welt. Im Jahr 1470. An einem Sonntag, an dem die Wolken tief hingen und kein Sonnenlicht durchließen. Mein dunkles Gemüt, pflegte Qualle zu sagen, fühlte sich ad hoc bestätigt, als ich den blutenden, ungewaschenen Leib der halb bewusstlosen Mutter verließ. Mit 21 ging Qualle, der da noch Matija Hvale hieß, nach Wien. Er studierte ordentlich und wurde alsbald ein allseits geschätzter Lehrer. Einer seiner Schüler, wohl der begabteste, war der Schweizer Humanist und Reformator Joachim Vadian. Während der Pestepidemie von 1506 flüchteten die beiden, längst Kollegen, gemeinsam nach Villach. Vadian und Qualle teilten sich, anfangs, im Benediktinerkloster Ossiach nicht nur die Zelle, sondern auch, wie es hieß: freiwillig, die harte, schmale Bettstatt. Das Stift, ein Benediktinerkloster, lag - und liegt wohl auch heute noch, ich selbst bin lange nicht mehr dort gewesen - am Ufer des Ossiacher Sees zwischen der Schattseite der Ossiacher Tauern und der Südseite des gewaltigen Pfuhls. Qualle und Vadian waren leidenschaftliche Schwimmer. Regelmäßig durchquerten sie am Morgen und am Abend, von Anfang April bis Ende Oktober, an der schmalsten Stelle, nackt, lachend, fluchend, disputierend, das Gewässer. Keine große Sache. Zwischen Ostriach und Ossiach war der See gerade mal 600 Meter breit, die Strömung weniger giftig als am Zufluss der Tiebel, wo gar mancher Wagemutige im Nass, beim Aufziehen eines Sturms, sein Ende gefunden hat. Auf die Klagen der Fischer, dass die Schwimmer, Qualle und Vadian, durch ihr unablässiges Gelächter den Fang, durch ihr Züngeln die Sitten störten, antworteten die beiden Gelehrten unbeeindruckt auf Latein. Ridendo corrigo mores! Eine Botschaft, die den Fischern, die sich auf das Recht der Einheimischen beriefen, fremd blieb. Der eigenartige Zwischenfall, von dem nun die Rede sein soll, ging als Ein Gast ist wie ein Fisch, er bleibt nicht lange frisch-Seeschlacht in die Kärntener Annalen ein.
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Das fehlende d in UploadDeinIch hätte mich stoppen müssen. Ich bevorzuge Vollständigkeit. Äußere Fehler erinnern mich an meine innere Unvollständigkeit. Gäbe es einen Seelengips, ich hätte ihn bestellt. Wie auch immer. Ich habe mich viel zu spät entschieden. Habe es drauf ankommen lassen. Typisch für mich. In meinem Leben habe ich nie günstig gebucht. Das hätte mich warnen können. Charly, mein Ex, der sich nach unserer Scheidung zum Katholizismus bekannt hatte und dann, mit knapp fünfzig, Priester in Tutzing geworden war, hielt auf der Durchreise an - er wollte zu einer Fortbildung irgendwo im Norden Münchens -, wir haben ein erstklassiges Verhältnis, schon der Kinder wegen, und dass er Katholik ist, stört mich seit Franziskus eh weniger, er hielt also an, kam, wie früher, lachend in die Küche, studierte, blass werdend, meine Hände und mein Gesicht und sagte: "Du hast noch höchstens eine Woche, Katinka. Soll ich die Sakramente ...?" Charly kann in Gesichtern sehen, wann jemand stirbt. Konnte er immer schon. Irrte sich nie. Höchstens eine Woche - jeder kann sich vorstellen, was das heißt. Ich wollte nicht sterben. Die Anzeige im Kurier kam mir gerade Recht. Bleib bei uns - UploadDeinIch - einmalig: 9999 Euro, die ersten 24 Monate: 9,99 Euro, danach: 19,99 Euro. UploaDeinIch arbeitet mit KosmosDirekt zusammen. Zusätzlich zu den 9999 Euro zahlt man 20 000 Euro auf das DieRektKonto. Das Geld wird garantiert in deutschen Staatsanleihen angelegt, daraus finanziert UploaDeinIch die Maintenancekosten. Das Beste: LTE garantiert. LiebeTouchEmotionen. Die Cloud für Sensible, besonders von Süddeutsche- und Zeit-Lesern frequentiert. Hippes Teil. Prinzipiell. Was ich bei den seitenlangen Terms&Conditions überlesen hatte: Du wirst dupliziert - das nennen die frech Sicherheitskopie -, und Dein dupliziertes Ich arbeitet, mindestens, 72 Monate als App im DarkUnNett. Als was für eine App? Kommt drauf an. Das läuft eigentlich wie beim Emissionshandel. In Leipzig gibt es eine Art von Börse. Große Firmen kaufen sich von ihrem Schmutz frei. Der ganze Kooperationsdreck - Bestechung, Lohndumping, Entlassungsgespräche - wird in der Zwischenzeit von den sogenannten DApps erledigt. Ich habe richtig in die Scheiße gegriffen. Mein DAppTwIn checkt, ob Gewaltfotos bei InstaStone auftauchen. Da wir uns einen Account teilen, was UploaDeinIch günstiger als zwei Anschlüsse kommt, nehme ich ungebremst an LasterTodEkel teil, denn superfast, das muss man UDI lassen, da haben sie nicht gelogen, superfast ist die Verbindung.
Das fehlende d in UploadDeinIch hätte mich stoppen müssen. Ich bevorzuge Vollständigkeit. Äußere Fehler erinnern mich an meine innere Unvollständigkeit. Gäbe es einen Seelengips, ich hätte ihn bestellt. Wie auch immer. Ich habe mich viel zu spät entschieden. Habe es drauf ankommen lassen. Typisch für mich. In meinem Leben habe ich nie günstig gebucht. Das hätte mich warnen können. Charly, mein Ex, der sich nach unserer Scheidung zum Katholizismus bekannt hatte und dann, mit knapp fünfzig, Priester in Tutzing geworden war, hielt auf der Durchreise an - er wollte zu einer Fortbildung irgendwo im Norden Münchens -, wir haben ein erstklassiges Verhältnis, schon der Kinder wegen, und dass er Katholik ist, stört mich seit Franziskus eh weniger, er hielt also an, kam, wie früher, lachend in die Küche, studierte, blass werdend, meine Hände und mein Gesicht und sagte: "Du hast noch höchstens eine Woche, Katinka. Soll ich die Sakramente ...?" Charly kann in Gesichtern sehen, wann jemand stirbt. Konnte er immer schon. Irrte sich nie. Höchstens eine Woche - jeder kann sich vorstellen, was das heißt. Ich wollte nicht sterben. Die Anzeige im Kurier kam mir gerade Recht. Bleib bei uns - UploadDeinIch - einmalig: 9999 Euro, die ersten 24 Monate: 9,99 Euro, danach: 19,99 Euro. UploaDeinIch arbeitet mit KosmosDirekt zusammen. Zusätzlich zu den 9999 Euro zahlt man 20 000 Euro auf das DieRektKonto. Das Geld wird garantiert in deutschen Staatsanleihen angelegt, daraus finanziert UploaDeinIch die Maintenancekosten. Das Beste: LTE garantiert. LiebeTouchEmotionen. Die Cloud für Sensible, besonders von Süddeutsche- und Zeit-Lesern frequentiert. Hippes Teil. Prinzipiell. Was ich bei den seitenlangen Terms&Conditions überlesen hatte: Du wirst dupliziert - das nennen die frech Sicherheitskopie -, und Dein dupliziertes Ich arbeitet, mindestens, 72 Monate als App im DarkUnNett. Als was für eine App? Kommt drauf an. Das läuft eigentlich wie beim Emissionshandel. In Leipzig gibt es eine Art von Börse. Große Firmen kaufen sich von ihrem Schmutz frei. Der ganze Kooperationsdreck - Bestechung, Lohndumping, Entlassungsgespräche - wird in der Zwischenzeit von den sogenannten DApps erledigt. Ich habe richtig in die Scheiße gegriffen. Mein DAppTwIn checkt, ob Gewaltfotos bei InstaStone auftauchen. Da wir uns einen Account teilen, was UploaDeinIch günstiger als zwei Anschlüsse kommt, nehme ich ungebremst an LasterTodEkel teil, denn superfast, das muss man UDI lassen, da haben sie nicht gelogen, superfast ist die Verbindung.
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Nach dem Donner, ein Schlag in die Schwüle, schwelgte die Nacht im Licht der Blitze. Der Tag, der schon viel gesehen hatte, verliebte sich auf der Stelle in die attraktive, ungewohnte Einblicke bietende Nacht und schickte das Morgengrauen vor, das prompt alles verdarb. "Darüber müssen wir dringend reden", knurrte der Tag und bat das Grauen in sein Büro. An der linken Wand des mit weißen und gelben USM-Schränken gediegen-teuer eingerichteten Büros hing ein Foto, auf Leinwand gezogen, das den Tag bei der Jagd auf den Sonnenuntergang im Tsavo-Nationalpark zeigte. Damals, der Kleidung nach zu schließen in den 80ern, waren die Haare des Tags noch schwarz gewesen. Schwarz wie die Nacht dachte das Grauen und unterdrückte mühsam ein Grinsen. "Amüsiert?", fragte der Tag, dem nichts entging. "Wäre ich bei Ihrer armseligen Bilanz eher nicht." Der Tag zeigte auf eine dünne Mappe, die auf dem staubfreien Schreibtisch lag. Shit, dachte das Grauen, Shit, er hat den Klimareport gefunden. Beziehungsweise: nicht gefunden. Das Grauen hatte Henrik Svensmarks Dokumentation Das Geheimnis der Wolken für bare Münze genommen, die Arbeit eingestellt und den Hashtag #SterneSteuernUnserKlima kreiert. Zusätzlich, was das Grauen jetzt bereute, hatte es hochnäsig über seinen Chef getweetet. Dabei waren, das verlangte die Twitterkultur, allmählich die Hashs mit ihm durchgegangen - #HassTag, #HaschTag, #HaargrauTag waren noch die freundlichsten gewesen. Wenn ich doch bloß was Anständiges gelernt hätte, dachte das Grauen.
Nach dem Donner, ein Schlag in die Schwüle, schwelgte die Nacht im Licht der Blitze. Der Tag, der schon viel gesehen hatte, verliebte sich auf der Stelle in die attraktive, ungewohnte Einblicke bietende Nacht und schickte das Morgengrauen vor, das prompt alles verdarb. "Darüber müssen wir dringend reden", knurrte der Tag und bat das Grauen in sein Büro. An der linken Wand des mit weißen und gelben USM-Schränken gediegen-teuer eingerichteten Büros hing ein Foto, auf Leinwand gezogen, das den Tag bei der Jagd auf den Sonnenuntergang im Tsavo-Nationalpark zeigte. Damals, der Kleidung nach zu schließen in den 80ern, waren die Haare des Tags noch schwarz gewesen. Schwarz wie die Nacht dachte das Grauen und unterdrückte mühsam ein Grinsen. "Amüsiert?", fragte der Tag, dem nichts entging. "Wäre ich bei Ihrer armseligen Bilanz eher nicht." Der Tag zeigte auf eine dünne Mappe, die auf dem staubfreien Schreibtisch lag. Shit, dachte das Grauen, Shit, er hat den Klimareport gefunden. Beziehungsweise: nicht gefunden. Das Grauen hatte Henrik Svensmarks Dokumentation Das Geheimnis der Wolken für bare Münze genommen, die Arbeit eingestellt und den Hashtag #SterneSteuernUnserKlima kreiert. Zusätzlich, was das Grauen jetzt bereute, hatte es hochnäsig über seinen Chef getweetet. Dabei waren, das verlangte die Twitterkultur, allmählich die Hashs mit ihm durchgegangen - #HassTag, #HaschTag, #HaargrauTag waren noch die freundlichsten gewesen. Wenn ich doch bloß was Anständiges gelernt hätte, dachte das Grauen.
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Ein Kuss. So unschuldig. Er hatte ihn niemals vergessen. Als sie, ein halbes Jahrhundert später, vor ihm stand, sagte sie: Hätten wir es nur gewagt. Er nickte. Er wäre bereit gewesen. Das zu sagen, brachte nichts. Er schwieg. Sie nahm seine Hand. Auf dem Vorplatz schien die Sonne.
Ein Kuss. So unschuldig. Er hatte ihn niemals vergessen. Als sie, ein halbes Jahrhundert später, vor ihm stand, sagte sie: Hätten wir es nur gewagt. Er nickte. Er wäre bereit gewesen. Das zu sagen, brachte nichts. Er schwieg. Sie nahm seine Hand. Auf dem Vorplatz schien die Sonne.
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Julius Graf rieb sich mit einem iPad den Buckel und betrat die Insel an einem regnerischen Dienstagnachmittag. Der Strand schien unberührt. Momentanes Ungefülltsein verleitet zur Vermutung absoluter Leere. Was ein Irrtum ist. Wenn wir einen Krug vollgießen, sagt Heidegger, fließe der Guss beim Füllen in den leeren Krug. Die Leere sei das Fassende des Gefäßes, das Nichts am Krug sei das, was der Krug als das fassende Gefäß sei. Das Dinghafte des Kruges bestehe keineswegs im Stoff, aus dem er bestehe, sondern in der Leere, die fasse. Das Weiß der Kreidefelsen hellte das Gemüt des Entdeckers auf. Er blickte, die Zähne fletschend, triumphierend zu Bissmark, der, wie ein Papagei, auf seiner Schulter saß: Habe ich dir zu viel versprochen? Ist dies nicht das gelobte Land? Bissmark, der auf der Überfahrt eine zerfledderte Weihnachtsausgabe der Vanity Fair studiert und dabei Pistazien geknackt hatte, führte ein Bein angewinkelt nach oben, stellte den Fuß auf der Innenseite des Standbeines ab und legte, theatralisch, die Handflächen vorm Herzen zusammen. Dabei fiel Bissmark von der Schulter des Entdeckers. Julius Graf, dem der Prominentenklatsch - Bissmark konnte nicht leise lesen, da ihm ansonsten schwindlig wurde - während der Floßtour auf den Geist gegangen war und der Geschmeidiges-Bindegewebe-Faszien-Yoga für eine Marketingnummer hielt, überlegte, ob er seinem lachenden Begleiter den Hals umdrehen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Dieser Entschluss sollte Julius Graf, vier Tage später, das Leben kosten.
Julius Graf rieb sich mit einem iPad den Buckel und betrat die Insel an einem regnerischen Dienstagnachmittag. Der Strand schien unberührt. Momentanes Ungefülltsein verleitet zur Vermutung absoluter Leere. Was ein Irrtum ist. Wenn wir einen Krug vollgießen, sagt Heidegger, fließe der Guss beim Füllen in den leeren Krug. Die Leere sei das Fassende des Gefäßes, das Nichts am Krug sei das, was der Krug als das fassende Gefäß sei. Das Dinghafte des Kruges bestehe keineswegs im Stoff, aus dem er bestehe, sondern in der Leere, die fasse. Das Weiß der Kreidefelsen hellte das Gemüt des Entdeckers auf. Er blickte, die Zähne fletschend, triumphierend zu Bissmark, der, wie ein Papagei, auf seiner Schulter saß: Habe ich dir zu viel versprochen? Ist dies nicht das gelobte Land? Bissmark, der auf der Überfahrt eine zerfledderte Weihnachtsausgabe der Vanity Fair studiert und dabei Pistazien geknackt hatte, führte ein Bein angewinkelt nach oben, stellte den Fuß auf der Innenseite des Standbeines ab und legte, theatralisch, die Handflächen vorm Herzen zusammen. Dabei fiel Bissmark von der Schulter des Entdeckers. Julius Graf, dem der Prominentenklatsch - Bissmark konnte nicht leise lesen, da ihm ansonsten schwindlig wurde - während der Floßtour auf den Geist gegangen war und der Geschmeidiges-Bindegewebe-Faszien-Yoga für eine Marketingnummer hielt, überlegte, ob er seinem lachenden Begleiter den Hals umdrehen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Dieser Entschluss sollte Julius Graf, vier Tage später, das Leben kosten.
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Als im Deutschen Theater, während einer Schillervorstellung, das Handy ihres Sitznachbarn vibrierte und born to be wild anstimmte, sei ihr, die ehemalige Krankenschwester Theodora Vermeeren lächelte die Staatsanwältin an, die Idee gekommen. Ein Geistesblitz. Der vollbesetzte Saal im Amtsgericht Wedding, ein fünfgeschossiger, im Berliner Norden deplatziert wirkender, neogotischer Bau, nach der Albrechtsburg in Meißen geformt, eine Märchenkulisse, der Saal füllte sich mit Gelächter. Born to be wild - wie komisch. Die Richterin bat um Ruhe. Als sie, Theodora Vermeeren, sich die - die Staatsanwältin blickte in die Akte, als wüsste sie die Nummer nicht auswendig - 32 Injektionen besorgt habe, hätte sie dabei nicht irgendwann Gewissensbisse verspürt? Sei sie am Ende nicht nur bundesweit ins Theater gegangen, um junge, bärtige Smartphone-Besitzer zu töten? Habe sie, die selbst ernannte Hipsterkillerin, sich nicht als Hauptdarstellerin in einer Tragödie gefühlt?
Als im Deutschen Theater, während einer Schillervorstellung, das Handy ihres Sitznachbarn vibrierte und born to be wild anstimmte, sei ihr, die ehemalige Krankenschwester Theodora Vermeeren lächelte die Staatsanwältin an, die Idee gekommen. Ein Geistesblitz. Der vollbesetzte Saal im Amtsgericht Wedding, ein fünfgeschossiger, im Berliner Norden deplatziert wirkender, neogotischer Bau, nach der Albrechtsburg in Meißen geformt, eine Märchenkulisse, der Saal füllte sich mit Gelächter. Born to be wild - wie komisch. Die Richterin bat um Ruhe. Als sie, Theodora Vermeeren, sich die - die Staatsanwältin blickte in die Akte, als wüsste sie die Nummer nicht auswendig - 32 Injektionen besorgt habe, hätte sie dabei nicht irgendwann Gewissensbisse verspürt? Sei sie am Ende nicht nur bundesweit ins Theater gegangen, um junge, bärtige Smartphone-Besitzer zu töten? Habe sie, die selbst ernannte Hipsterkillerin, sich nicht als Hauptdarstellerin in einer Tragödie gefühlt?
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Gestern habt ihr morgen gesagt. Süße, wenn du auf perfektes Wetter wartest, verlässt du niemals das Haus. It's the start, which stops most people. Kennt eure Grenzen, dann überwindet sie. Wer nicht anspornt, führt nicht. Auf die Motivation kommt es entscheidend an! Aber, glaubt mir, nicht immer. Die Motivationstrainerin schaltete den Diaprojektor aus. Einmal im Monat, stets am dritten Dienstag, setzte Angela Merkel, weder verwandt noch verschwägert, auf die Kraft der Eingebung. Dabei hatte Merkel im Laufe der Jahre Grenzerfahrungen gesammelt, die das verlorene Honorar (80 % der Dienstage) mehr als wettmachten. Okay, sagte die Motivationstrainerin und zeigte den abgekämpften Mittelschullehrerinnen Nürnbergs den Mittelfinger, das ist alles gequirlte Scheiße. Dr. Oetker für Armamputierte. Was würdet ihr versuchen, wenn ihr euch sicher wärt, dass ihr nicht versagt? Schlüget ihr zurück? Würdet ihr den kleinen Monstern erklären, was wirklich Sache ist? Würdet ihr euch Toby/Achmed/Mika schnappen und Fifty-Grades-Of-Shy vergessen? Glaubt ihr, dass ihr keine Frauen seid, die Macht haben? Glaubt ihr, dass ihr den Direktor absetzen könnt? Mit Frauen soll man sich nie unterstehn zu scherzen. Hey, aufwachen. Du, du und, yes, Honey, auch du. Eure Mundwinkel hängen mir zu sehr. Hände aus den Taschen. Eine Faust ist eine Faust ist eine Faust. Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten auseinanderfetzt! Goehte, Urfaust. Und jetzt will ich euch mal was sagen, was ihr so noch nie gehört habt.
Gestern habt ihr morgen gesagt. Süße, wenn du auf perfektes Wetter wartest, verlässt du niemals das Haus. It's the start, which stops most people. Kennt eure Grenzen, dann überwindet sie. Wer nicht anspornt, führt nicht. Auf die Motivation kommt es entscheidend an! Aber, glaubt mir, nicht immer. Die Motivationstrainerin schaltete den Diaprojektor aus. Einmal im Monat, stets am dritten Dienstag, setzte Angela Merkel, weder verwandt noch verschwägert, auf die Kraft der Eingebung. Dabei hatte Merkel im Laufe der Jahre Grenzerfahrungen gesammelt, die das verlorene Honorar (80 % der Dienstage) mehr als wettmachten. Okay, sagte die Motivationstrainerin und zeigte den abgekämpften Mittelschullehrerinnen Nürnbergs den Mittelfinger, das ist alles gequirlte Scheiße. Dr. Oetker für Armamputierte. Was würdet ihr versuchen, wenn ihr euch sicher wärt, dass ihr nicht versagt? Schlüget ihr zurück? Würdet ihr den kleinen Monstern erklären, was wirklich Sache ist? Würdet ihr euch Toby/Achmed/Mika schnappen und Fifty-Grades-Of-Shy vergessen? Glaubt ihr, dass ihr keine Frauen seid, die Macht haben? Glaubt ihr, dass ihr den Direktor absetzen könnt? Mit Frauen soll man sich nie unterstehn zu scherzen. Hey, aufwachen. Du, du und, yes, Honey, auch du. Eure Mundwinkel hängen mir zu sehr. Hände aus den Taschen. Eine Faust ist eine Faust ist eine Faust. Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten auseinanderfetzt! Goehte, Urfaust. Und jetzt will ich euch mal was sagen, was ihr so noch nie gehört habt.
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Die Laken hingen in der Wohnküche, vor dem Heißlüfter. Antor Weißenstephan konnte nicht schlafen. Er prüfte, ob der Stoff noch feucht war. Der Raum roch nach Waschmittel. Ein fremder Geruch. Antor kannte die Frau, deren Laken er anfasste, nur oberflächlich. Sie gewährte ihm Zuflucht. Bereits die dritte Nacht. Die großzügige Bekannte eines Bekannten. Eines flüchtig Bekannten. Flüchtig, dachte Antor, das beschreibt meine Situation am besten. Seit vier Jahren lebte er im Obergrund. Ohne Verträge. Ohne Metadaten. Er bezahlte grundsätzlich alles bar. Las keine E-Books. Die Bücher, die ihm wichtig waren, nicht behalten zu können, sie wären zu schwer gewesen, Antor war nur mit einem Rucksack unterwegs, empfand er als die wahre Herausforderung. In wenigen Stunden würde es passieren. Endlich. Aber vorher gab es noch einiges zu erledigen. Was sein Vater denken würde, war Antor nicht egal. Das System bestrafte die Angehörigen. Nicht offiziell. Doch es gab genug Wege, um Nachahmer abzuhalten. Antor nahm das feuchteste Laken vom Wäscheständer und wickelte sich, so gut es ging, ein. Seine Wunden brannten, als sie mit den Chemikalien in Kontakt kamen. Wacher konnte man sich nicht fühlen.
Die Laken hingen in der Wohnküche, vor dem Heißlüfter. Antor Weißenstephan konnte nicht schlafen. Er prüfte, ob der Stoff noch feucht war. Der Raum roch nach Waschmittel. Ein fremder Geruch. Antor kannte die Frau, deren Laken er anfasste, nur oberflächlich. Sie gewährte ihm Zuflucht. Bereits die dritte Nacht. Die großzügige Bekannte eines Bekannten. Eines flüchtig Bekannten. Flüchtig, dachte Antor, das beschreibt meine Situation am besten. Seit vier Jahren lebte er im Obergrund. Ohne Verträge. Ohne Metadaten. Er bezahlte grundsätzlich alles bar. Las keine E-Books. Die Bücher, die ihm wichtig waren, nicht behalten zu können, sie wären zu schwer gewesen, Antor war nur mit einem Rucksack unterwegs, empfand er als die wahre Herausforderung. In wenigen Stunden würde es passieren. Endlich. Aber vorher gab es noch einiges zu erledigen. Was sein Vater denken würde, war Antor nicht egal. Das System bestrafte die Angehörigen. Nicht offiziell. Doch es gab genug Wege, um Nachahmer abzuhalten. Antor nahm das feuchteste Laken vom Wäscheständer und wickelte sich, so gut es ging, ein. Seine Wunden brannten, als sie mit den Chemikalien in Kontakt kamen. Wacher konnte man sich nicht fühlen.
228
Du bist wie deine Mutter.
Du wie dein Vater.
Das nehme ich als Kompliment.
Das wüsste ich aber.
Wieso wüsstest du das?
Vorsicht - das Gelände ist vermint.
Komm mir nicht so. Andeutungen und nichts dahinter. Das Spiel hab ich satt. Lächerlich.
Das nimmst du zurück.
Im Gegenteil. Oberlächerlich.
Zwing mich nicht. Du würdest es bitter bereuen.
Ich dich zwingen? Bitter bereuen? Du hast doch echt den Schuss nicht gehört. Galaktischlächerlich.
Dein Vater ist Antons Vater.
Du bist wie deine Mutter.
Du wie dein Vater.
Das nehme ich als Kompliment.
Das wüsste ich aber.
Wieso wüsstest du das?
Vorsicht - das Gelände ist vermint.
Komm mir nicht so. Andeutungen und nichts dahinter. Das Spiel hab ich satt. Lächerlich.
Das nimmst du zurück.
Im Gegenteil. Oberlächerlich.
Zwing mich nicht. Du würdest es bitter bereuen.
Ich dich zwingen? Bitter bereuen? Du hast doch echt den Schuss nicht gehört. Galaktischlächerlich.
Dein Vater ist Antons Vater.
229
Ein Ton? Der Wurstpatriarch schleuderte die bekleckerte Serviette in den Nahrung-Genuss-Gaststätten-Briefkasten. Die Kantine, dachte er, hat auch bessere Tage gesehen, den Gewerkschaften kam man absolut nichts überlassen.
Anton, sagte die Nichte des Wurstpatriarchen. Sie nestelte am Hörgerät des Onkels herum. Anton! Wenn er sich doch nur die Haare an den Lappen lasern ließe, dachte sie und klopfte dem starrköpfigen Greis die Schuppen vom Brioni-Jakett. Der Stoff hatte bessere Tage gesehen, in den Fünfzigern. Ich melde dich zum nächsten Werwolfcasting an, sagte sie und deutete auf die grauen Büschel.
Wessen Golf Leasing? fragte der Wurstpatriarch.
Nicht schon wieder, dachte die Nichte. Der Wurstpatriarch hatte darauf bestanden, dass niemand in der Firma einen Wagen bekam, der größer als ein Polo war. Kleinvieh macht auch Mist!, hatte der Wurstpatriarch gebrüllt, als sein Sohn, Anton, der Vater der NIchte, einen gebrauchten Passat angeschafft hatte. Im letzten Monat war es der Familie zu viel geworden. Sie hatte Phaetons mit Polo-Plaketten bestellt. Ob der Wurstpatriarch den treuherzigen Beteuerungen Kleinwagen-werden-auch-immer-größer glaubte, ließ sich nicht sofort feststellen. Sicher war, er hatte, bis auf die Nichte, die keinen Führerschein besaß, alle Verwandten der Reihe nach gefeuert.
Anton will dich sprechen, sagte die Nichte.
Der Wurstpatriarch blieb abrupt stehen.
Ein Ton? Der Wurstpatriarch schleuderte die bekleckerte Serviette in den Nahrung-Genuss-Gaststätten-Briefkasten. Die Kantine, dachte er, hat auch bessere Tage gesehen, den Gewerkschaften kam man absolut nichts überlassen.
Anton, sagte die Nichte des Wurstpatriarchen. Sie nestelte am Hörgerät des Onkels herum. Anton! Wenn er sich doch nur die Haare an den Lappen lasern ließe, dachte sie und klopfte dem starrköpfigen Greis die Schuppen vom Brioni-Jakett. Der Stoff hatte bessere Tage gesehen, in den Fünfzigern. Ich melde dich zum nächsten Werwolfcasting an, sagte sie und deutete auf die grauen Büschel.
Wessen Golf Leasing? fragte der Wurstpatriarch.
Nicht schon wieder, dachte die Nichte. Der Wurstpatriarch hatte darauf bestanden, dass niemand in der Firma einen Wagen bekam, der größer als ein Polo war. Kleinvieh macht auch Mist!, hatte der Wurstpatriarch gebrüllt, als sein Sohn, Anton, der Vater der NIchte, einen gebrauchten Passat angeschafft hatte. Im letzten Monat war es der Familie zu viel geworden. Sie hatte Phaetons mit Polo-Plaketten bestellt. Ob der Wurstpatriarch den treuherzigen Beteuerungen Kleinwagen-werden-auch-immer-größer glaubte, ließ sich nicht sofort feststellen. Sicher war, er hatte, bis auf die Nichte, die keinen Führerschein besaß, alle Verwandten der Reihe nach gefeuert.
Anton will dich sprechen, sagte die Nichte.
Der Wurstpatriarch blieb abrupt stehen.
230
Die Scheinwerfer strahlten. Warmes Licht, als läge man auf einer Sonnenbank. Samsa war einer der vier Nominierten. Die Jury des weltweit wichtigsten Preises hatte in ihrer Begründung geschrieben, sein Werk sei subtil, dabei schamlos und radikal. Eine Meisterarbeit, eine Wohltat für die denkende Menschheit. Leere Worte. Wenn der Preis an einen anderen ging, war das Lob reine Makulatur. Sollte der Scheinwerfer, der Samsas Gesicht wie die Kronjuwelen beleuchtete, nicht anbleiben, war Samsa erledigt. Restlos. Nie wieder würde er die Kraft aufbringen. Das Allerschlimmste, was nicht einmal Kuji wusste, er hatte gewettet. Ein Rückfall in alte Tage. Alles oder nichts. Diesmal stimmte es. Selbst Samsas und Kujis Söhne, Frans-Naren und Ferdinant-Hao, und sogar Ron-Ja, die sechs Monate alte Babytochter, lagen im Topf. An Yues Triade war Samsa über Lis Geschäftsfreunde gelangt. Yue, eine elegante Mittdreißigerin in Chanelkostüm, hatte Samsas Arbeit enthusiastisch gelobt. Der Vertrag fiel nüchterner aus. Yues Berechnungen stimmten auf den Cent. Sie arbeitete, schätzte Samsa, mit den Amerikanern zusammen. Die Stille im Saal war unheimlich. Die Vorsitzende der Jury trat ans Mikrofon und öffnete den Briefumschlag.
Die Scheinwerfer strahlten. Warmes Licht, als läge man auf einer Sonnenbank. Samsa war einer der vier Nominierten. Die Jury des weltweit wichtigsten Preises hatte in ihrer Begründung geschrieben, sein Werk sei subtil, dabei schamlos und radikal. Eine Meisterarbeit, eine Wohltat für die denkende Menschheit. Leere Worte. Wenn der Preis an einen anderen ging, war das Lob reine Makulatur. Sollte der Scheinwerfer, der Samsas Gesicht wie die Kronjuwelen beleuchtete, nicht anbleiben, war Samsa erledigt. Restlos. Nie wieder würde er die Kraft aufbringen. Das Allerschlimmste, was nicht einmal Kuji wusste, er hatte gewettet. Ein Rückfall in alte Tage. Alles oder nichts. Diesmal stimmte es. Selbst Samsas und Kujis Söhne, Frans-Naren und Ferdinant-Hao, und sogar Ron-Ja, die sechs Monate alte Babytochter, lagen im Topf. An Yues Triade war Samsa über Lis Geschäftsfreunde gelangt. Yue, eine elegante Mittdreißigerin in Chanelkostüm, hatte Samsas Arbeit enthusiastisch gelobt. Der Vertrag fiel nüchterner aus. Yues Berechnungen stimmten auf den Cent. Sie arbeitete, schätzte Samsa, mit den Amerikanern zusammen. Die Stille im Saal war unheimlich. Die Vorsitzende der Jury trat ans Mikrofon und öffnete den Briefumschlag.
231
Das Aufsatzthema am Ende des Semesters lautete Ein gutes Leben in schlechter Gesellschaft. Niemand lachte. Keiner sagte Meinen Sie damit, wir sind alle Verbrecher oder kritisierte die wischiwaschi Kategorien schlecht und gut. Die Teilnehmer verschwendeten keine Sekunde mit unnötigen Nachfragen. Für den Aufsatz hatten sie, ich und die anderen, exakt 15 Minuten Zeit. Höchstens zwei der dreißig Anwesenden konnten sich für das kommende Semester und damit automatisch für die Laufbahn qualifizieren. Und es kam, was uns allen klar war, durchaus vor, dass gar keiner genommen wurde. Originalität und Durchsetzungswille waren gefragt. Als Butler des Palastes würden wir Szenen erleben, die jeder Moralität spotteten. Hartgesotten, brutal und klug so lautete die Jobbeschreibung. Luke und ich hatten uns auf die Prüfung gemeinsam vorbereitet. Wir hatten nicht vor, einen Aufsatz zu schreiben. Das war nicht unsere Stärke. Weder Luke noch ich hatten eine Privatschule besucht. Das hatte uns zusammengeschweißt. Ich sah Luke an, Luke sah mich an. Die Köpfe der 28 Eaton-Idioten waren über das Papier mit der Goldkrone gebeugt. In ihren Internatshirnen widerlegten sie common sense und die Errungenschaften der Demokratie. Eierköpfe. Wir griffen in unsere Rucksäcke.
Das Aufsatzthema am Ende des Semesters lautete Ein gutes Leben in schlechter Gesellschaft. Niemand lachte. Keiner sagte Meinen Sie damit, wir sind alle Verbrecher oder kritisierte die wischiwaschi Kategorien schlecht und gut. Die Teilnehmer verschwendeten keine Sekunde mit unnötigen Nachfragen. Für den Aufsatz hatten sie, ich und die anderen, exakt 15 Minuten Zeit. Höchstens zwei der dreißig Anwesenden konnten sich für das kommende Semester und damit automatisch für die Laufbahn qualifizieren. Und es kam, was uns allen klar war, durchaus vor, dass gar keiner genommen wurde. Originalität und Durchsetzungswille waren gefragt. Als Butler des Palastes würden wir Szenen erleben, die jeder Moralität spotteten. Hartgesotten, brutal und klug so lautete die Jobbeschreibung. Luke und ich hatten uns auf die Prüfung gemeinsam vorbereitet. Wir hatten nicht vor, einen Aufsatz zu schreiben. Das war nicht unsere Stärke. Weder Luke noch ich hatten eine Privatschule besucht. Das hatte uns zusammengeschweißt. Ich sah Luke an, Luke sah mich an. Die Köpfe der 28 Eaton-Idioten waren über das Papier mit der Goldkrone gebeugt. In ihren Internatshirnen widerlegten sie common sense und die Errungenschaften der Demokratie. Eierköpfe. Wir griffen in unsere Rucksäcke.
232
Im angehaltenen Wagen, BMW Cabrio, Verdeck heruntergelassen, saßen fünf Teenager. Zwei knutschten. Alles Mädchen. Die anderen lächelten die Polizistin an. Das herablassende Lächeln der Gelangweilten. Aus den Boxen klang Sades Smooth Operator. Das Quintett war auf dem Weg zum Starnberger See. Der Vater der Fahrerin, Rektor der TU, besaß in Tutzing ein Wochenendhaus, mit Bibliothek, Steg und Segelboot. Die Wettervorhersage versprach einiges. Ein Hoch aus dem Süden. 35° Grad im Schatten. Helle Föhnnächte. Warum das Mädchen, das auf dem Beifahrersitz saß, einen Strauß frischer Kräuter, Thymian und Koriander, und Simone de Beauvoirs Le Sang des Autres nach der Polizistin geworfen hatte, ließ sich später nicht mehr rekonstruieren. Sicher war: dieser Wurf sollte das Leben des Quintetts radikal verändern.
Im angehaltenen Wagen, BMW Cabrio, Verdeck heruntergelassen, saßen fünf Teenager. Zwei knutschten. Alles Mädchen. Die anderen lächelten die Polizistin an. Das herablassende Lächeln der Gelangweilten. Aus den Boxen klang Sades Smooth Operator. Das Quintett war auf dem Weg zum Starnberger See. Der Vater der Fahrerin, Rektor der TU, besaß in Tutzing ein Wochenendhaus, mit Bibliothek, Steg und Segelboot. Die Wettervorhersage versprach einiges. Ein Hoch aus dem Süden. 35° Grad im Schatten. Helle Föhnnächte. Warum das Mädchen, das auf dem Beifahrersitz saß, einen Strauß frischer Kräuter, Thymian und Koriander, und Simone de Beauvoirs Le Sang des Autres nach der Polizistin geworfen hatte, ließ sich später nicht mehr rekonstruieren. Sicher war: dieser Wurf sollte das Leben des Quintetts radikal verändern.
233
Die Größe des Geschlechts? Was tut das zur Sache?
Dass Größe keinen Unterschied macht, gehört ins Reich der Märchen, sagte der Anwalt des Nebenklägers.
Muss ich diese Frage beantworten? fragte er seine Anwältin.
Die Anwältin sah ihn an, ohne das Pfeilen ihrer Nägel einzustellen. Ihre Sache, sagte sie, allein Ihre Sache.
Meine Sache, sagte er.
Stimmt nicht ganz, sagte der Sachbearbeiter, der hinter der Staatsanwältin stand. Er kramte in seinen Unterlagen. Paragraph 4.3, Absatz 2, sagte der Sachbearbeiter, hier, er zeigte mit dem Finger auf die Akte, steht es schwarz auf weiß. Samenspender dürfen, was Körperbau und Krankheiten betrifft, keinerlei Geheimnisse haben. Es besteht ein öffentliches Interesse an absoluter Ehrlichkeit, sagte der Sachbearbeiter, dessen Mutter am Hof als Diätköchin beschäftigt war.
Absolute Ehrlichkeit. Die Anwältin kicherte, sie ließ die Pfeile sinken. Das kann nicht Ihr Ernst sein. Nun kramte die Anwältin mit einer Hand in ihrer Aktentasche und hielt schließlich triumphierend eine dünne Mappe hoch. In den Anforderungen hat die Klägerin explizit, und ich zitiere, einen Meisterlügner verlangt. Ich frage Sie: was macht ein Meisterlügner? Er lügt meisterlich.
Die Zuschauer im Saal johlten.
Die Richterin bat um Ruhe. Noch etwas? fragte sie den Anwalt des Nebenklägers.
Ja, sagte der Anwalt des Nebenklägers, das Gewohnheitsrecht, was auf Moral beruht, was auch in Ihrem Land gültig sein dürfte, wurde eklatant verletzt.
Moral? fragte die Anwältin. Sie sprechen von Moral? Ausgerechnet Sie? Darf ich Sie daran erinnern, dass ...
.. nein, das dürfen Sie nicht, unterbrach der Anwalt des Nebenklägers. Hier geht es nicht um einen Bagatellfall, hier geht es um den Kronprinzen meines Landes.
Ach, sagte die Anwältin süffisant, glauben Sie etwa, dass vor Gericht nicht jeder gleich behandelt werden sollte.
Prinzipiell schon, sagte der Anwalt des Nebenklägers, es sei denn, es beeinträchtigt die Staatsgewalt.
Tut es das? fragte die Anwältin. Macht es für die Staatsgewalt einen Unterschied, ob Ihr zukünftiger Regent auf dicke Hose macht?
Die Größe des Geschlechts? Was tut das zur Sache?
Dass Größe keinen Unterschied macht, gehört ins Reich der Märchen, sagte der Anwalt des Nebenklägers.
Muss ich diese Frage beantworten? fragte er seine Anwältin.
Die Anwältin sah ihn an, ohne das Pfeilen ihrer Nägel einzustellen. Ihre Sache, sagte sie, allein Ihre Sache.
Meine Sache, sagte er.
Stimmt nicht ganz, sagte der Sachbearbeiter, der hinter der Staatsanwältin stand. Er kramte in seinen Unterlagen. Paragraph 4.3, Absatz 2, sagte der Sachbearbeiter, hier, er zeigte mit dem Finger auf die Akte, steht es schwarz auf weiß. Samenspender dürfen, was Körperbau und Krankheiten betrifft, keinerlei Geheimnisse haben. Es besteht ein öffentliches Interesse an absoluter Ehrlichkeit, sagte der Sachbearbeiter, dessen Mutter am Hof als Diätköchin beschäftigt war.
Absolute Ehrlichkeit. Die Anwältin kicherte, sie ließ die Pfeile sinken. Das kann nicht Ihr Ernst sein. Nun kramte die Anwältin mit einer Hand in ihrer Aktentasche und hielt schließlich triumphierend eine dünne Mappe hoch. In den Anforderungen hat die Klägerin explizit, und ich zitiere, einen Meisterlügner verlangt. Ich frage Sie: was macht ein Meisterlügner? Er lügt meisterlich.
Die Zuschauer im Saal johlten.
Die Richterin bat um Ruhe. Noch etwas? fragte sie den Anwalt des Nebenklägers.
Ja, sagte der Anwalt des Nebenklägers, das Gewohnheitsrecht, was auf Moral beruht, was auch in Ihrem Land gültig sein dürfte, wurde eklatant verletzt.
Moral? fragte die Anwältin. Sie sprechen von Moral? Ausgerechnet Sie? Darf ich Sie daran erinnern, dass ...
.. nein, das dürfen Sie nicht, unterbrach der Anwalt des Nebenklägers. Hier geht es nicht um einen Bagatellfall, hier geht es um den Kronprinzen meines Landes.
Ach, sagte die Anwältin süffisant, glauben Sie etwa, dass vor Gericht nicht jeder gleich behandelt werden sollte.
Prinzipiell schon, sagte der Anwalt des Nebenklägers, es sei denn, es beeinträchtigt die Staatsgewalt.
Tut es das? fragte die Anwältin. Macht es für die Staatsgewalt einen Unterschied, ob Ihr zukünftiger Regent auf dicke Hose macht?
234
Hinter der Mauer übte das Nachbarkind Schlagzeug. Ihr Mann schaltete das Radio an. Stephen Hawkings Metallstimme füllte den Raum. Roboter werden intelligenter, sagte die Metallstimme, und übernehmen alsbald die Kontrolle. Ihr Mann lachte zynisch. Maschinen dürften Menschen als Hindernisse ansehen, sagte die Metallstimme. Es klingelte an der Tür. DHL, dachte sie, wahrscheinlich für die Nachbarn. Seit der Masernepedimie trauten sich die Henkels nicht mehr aus dem Haus. Ihr Mann schlurfte zur Tür und öffnete, ohne durch den Spion zu blicken. Draußen stand eine Laufdrohne. Herr Müller, Sie haben Ihre Rechnung nicht bezahlt, sagte die Laufdrohne. Ich bin nicht Herr Müller, sagte ihr Mann. Die Laufdrohne deutete auf das Schild. Hier steht Herr Müller, sagte die Laufdrohnen. Das muss ein Versehen sein, sagte ihr Mann und versuchte, die Tür zu schließen. Das ging nicht. Die Laufdrohne hatte bereits einen Fuß in der Tür. Kann ich Ihre Frau sprechen? fragte die Laufdrohne. Ich bin nicht verheiratet, sagte ihr Mann, aus Prinzip Single. Darüber, dachte sie, wird nachher noch zu sprechen sein. Die Laufdrohne, die wie Hawkings Bruder im Stimmbruch klang, sagte, Sie lügen.
Hinter der Mauer übte das Nachbarkind Schlagzeug. Ihr Mann schaltete das Radio an. Stephen Hawkings Metallstimme füllte den Raum. Roboter werden intelligenter, sagte die Metallstimme, und übernehmen alsbald die Kontrolle. Ihr Mann lachte zynisch. Maschinen dürften Menschen als Hindernisse ansehen, sagte die Metallstimme. Es klingelte an der Tür. DHL, dachte sie, wahrscheinlich für die Nachbarn. Seit der Masernepedimie trauten sich die Henkels nicht mehr aus dem Haus. Ihr Mann schlurfte zur Tür und öffnete, ohne durch den Spion zu blicken. Draußen stand eine Laufdrohne. Herr Müller, Sie haben Ihre Rechnung nicht bezahlt, sagte die Laufdrohne. Ich bin nicht Herr Müller, sagte ihr Mann. Die Laufdrohne deutete auf das Schild. Hier steht Herr Müller, sagte die Laufdrohnen. Das muss ein Versehen sein, sagte ihr Mann und versuchte, die Tür zu schließen. Das ging nicht. Die Laufdrohne hatte bereits einen Fuß in der Tür. Kann ich Ihre Frau sprechen? fragte die Laufdrohne. Ich bin nicht verheiratet, sagte ihr Mann, aus Prinzip Single. Darüber, dachte sie, wird nachher noch zu sprechen sein. Die Laufdrohne, die wie Hawkings Bruder im Stimmbruch klang, sagte, Sie lügen.
235
Am Anfang des Todes steht das Leben. Er steckte die Dose weg und zog am Joint, den Karldeluce rumgehen ließ.
Geiles Zeug, sagte Hügel, der eigentlich Bergfried hieß und Schmiere stehen sollte, aber sich am Eingang des Leipziger Tramdepots gelangweilt hatte.
Amanda, deretwegen er Mitglied der Grafen Ittiis geworden war, krümmte sich vor Lachen. Beim Krümmen konnte er einen Teil ihres Oberkörpers sehen. Sie flüsterte Karldeluce etwas ins Ohr. Karldeluce gluckste.
Dass sie von Wachleuten umzingelt waren, merkten sie erst, als die Tränengasgeschosse flogen.
Jetzt kam es darauf an, ob die Abmachung mit dem Einsatzleiter hielt. Er nahm Amandas Hand.
Am Anfang des Todes steht das Leben. Er steckte die Dose weg und zog am Joint, den Karldeluce rumgehen ließ.
Geiles Zeug, sagte Hügel, der eigentlich Bergfried hieß und Schmiere stehen sollte, aber sich am Eingang des Leipziger Tramdepots gelangweilt hatte.
Amanda, deretwegen er Mitglied der Grafen Ittiis geworden war, krümmte sich vor Lachen. Beim Krümmen konnte er einen Teil ihres Oberkörpers sehen. Sie flüsterte Karldeluce etwas ins Ohr. Karldeluce gluckste.
Dass sie von Wachleuten umzingelt waren, merkten sie erst, als die Tränengasgeschosse flogen.
Jetzt kam es darauf an, ob die Abmachung mit dem Einsatzleiter hielt. Er nahm Amandas Hand.
236
Im Supermarkt brannte das Licht. Der Laden machte jetzt erst um Mitternacht zu. Die Spätschicht wurde genauso schlecht bezahlt wie die angenehmere Tagschicht. Nachts kamen die Obdachlosen, denen es draußen zu kalt war. Und die Diebe. Und die Verliebten, die tagsüber nicht das Bett verlassen hatten. Händchenhaltend standen sie an der Kasse und bezahlten ihre Tiefkühlpizzen. Verliebte kauften grundsätzlich keine Salamipizza. Salamipizzen wurden von alleinstehenden Männern wie Gustav M gekauft, die mit den Verkäuferinnen reden und, wenn möglich, anbandeln wollten. Um den Kassiererinnen zu imponieren, bezahlten die Alleinstehenden ihre 3,99 Euro Salamipizza mit 20-Euroscheinen. Dazu sagten sie Sachen wie davon gibt's noch mehr oder hübsche Nägel, aber die Farbe deiner Augen ist schöner. In der Teeküche des Marktes hing eine Kreidetafel. Die Frauen schrieben am Abend die wildesten Sachen auf, die einsame Männer zu ihnen sagten. Manchmal machten sie auch Handyfotos von den Männern und pappten die Bilder daneben. Am Ende der Woche, Freitagabend, trafen sich die Frauen und wählten den unmöglichsten Spruch der Woche. Davon hatte, über Umwege, der Bereichsleiter gehört und die Marketingabteilung informiert. Das wäre doch was für die Facebook-Seite, hatte er gesagt, die Frauen müssten davon ja nichts wissen. Klar, hatte die Marketingabteilung gesagt, tolle Idee. Nach einigem Hin und Her und einer Entlassungsandrohung hatte die Marktleiterin zugestimmt, jeweils am Samstag ein Foto der Kreidetafel zu machen und der Marketingabteilung zu emailen. Die Sache war viral gegangen. Eine Facebook-Sensation. Unglücklicherweise hatte Gustav M einen Facebook-Account. Gustav Ms Spruch Du hast so geile Klamotten - kann ich dir da raus helfen? und sein Foto, das M mit Salamipizza und einer Flasche Korn zeigte, hatte für Tausende Likes gesorgt und ihn seinen Job als Kulurreferent der Kirchengemeinde St Elisabeth gekostet.
Im Supermarkt brannte das Licht. Der Laden machte jetzt erst um Mitternacht zu. Die Spätschicht wurde genauso schlecht bezahlt wie die angenehmere Tagschicht. Nachts kamen die Obdachlosen, denen es draußen zu kalt war. Und die Diebe. Und die Verliebten, die tagsüber nicht das Bett verlassen hatten. Händchenhaltend standen sie an der Kasse und bezahlten ihre Tiefkühlpizzen. Verliebte kauften grundsätzlich keine Salamipizza. Salamipizzen wurden von alleinstehenden Männern wie Gustav M gekauft, die mit den Verkäuferinnen reden und, wenn möglich, anbandeln wollten. Um den Kassiererinnen zu imponieren, bezahlten die Alleinstehenden ihre 3,99 Euro Salamipizza mit 20-Euroscheinen. Dazu sagten sie Sachen wie davon gibt's noch mehr oder hübsche Nägel, aber die Farbe deiner Augen ist schöner. In der Teeküche des Marktes hing eine Kreidetafel. Die Frauen schrieben am Abend die wildesten Sachen auf, die einsame Männer zu ihnen sagten. Manchmal machten sie auch Handyfotos von den Männern und pappten die Bilder daneben. Am Ende der Woche, Freitagabend, trafen sich die Frauen und wählten den unmöglichsten Spruch der Woche. Davon hatte, über Umwege, der Bereichsleiter gehört und die Marketingabteilung informiert. Das wäre doch was für die Facebook-Seite, hatte er gesagt, die Frauen müssten davon ja nichts wissen. Klar, hatte die Marketingabteilung gesagt, tolle Idee. Nach einigem Hin und Her und einer Entlassungsandrohung hatte die Marktleiterin zugestimmt, jeweils am Samstag ein Foto der Kreidetafel zu machen und der Marketingabteilung zu emailen. Die Sache war viral gegangen. Eine Facebook-Sensation. Unglücklicherweise hatte Gustav M einen Facebook-Account. Gustav Ms Spruch Du hast so geile Klamotten - kann ich dir da raus helfen? und sein Foto, das M mit Salamipizza und einer Flasche Korn zeigte, hatte für Tausende Likes gesorgt und ihn seinen Job als Kulurreferent der Kirchengemeinde St Elisabeth gekostet.
237
Die Joghurt bitte.
Der Joghurt sah sich um. Niemand da, nur er. Das Joghurt daran hatte sich der Joghurt bereits gewöhnt - aber die?
Der Beamte der Freistadt Eisenstadt runzelte die Stirn. Diese Zugezogenen, dachte er. Die Joghurt bitte. Der Beamte, der die Aufgebote annahm, hatte nicht vor, den ganzen Tag mit Genderfragen zu vertrödeln. Wer welches Geschlecht hatte und wen heiratete, das - der Beamte war Oldschool - legte immer noch der Staat fest. Conchita Wurst hin oder her, Eisenstadt war nicht Wien. Also? fragte er.
Der Joghurt stand ungerührt auf. Das melde ich Brüssel.
Ach, sagte der Beamte, warten Sie mal einen Augenblick. Er wählte die Nummer der Kantine.
Die Joghurt bitte.
Der Joghurt sah sich um. Niemand da, nur er. Das Joghurt daran hatte sich der Joghurt bereits gewöhnt - aber die?
Der Beamte der Freistadt Eisenstadt runzelte die Stirn. Diese Zugezogenen, dachte er. Die Joghurt bitte. Der Beamte, der die Aufgebote annahm, hatte nicht vor, den ganzen Tag mit Genderfragen zu vertrödeln. Wer welches Geschlecht hatte und wen heiratete, das - der Beamte war Oldschool - legte immer noch der Staat fest. Conchita Wurst hin oder her, Eisenstadt war nicht Wien. Also? fragte er.
Der Joghurt stand ungerührt auf. Das melde ich Brüssel.
Ach, sagte der Beamte, warten Sie mal einen Augenblick. Er wählte die Nummer der Kantine.
238
Auf die Körperlichkeit reduziert zu werden, behagt mir nicht. Die Läuferin streckte, wie die Ärztin verlangte hatte, ihr linkes Bein.
Und jetzt anwinkeln, sagte die Ärztin, die sich bewusst für die Orthopädie als Spezialgebiet entschieden hatte. Knochen seien das Nonplusultra an Körper, was die Medizin zu bieten habe, pflegte die Ärztin zu antworten, wenn die Warum-Frage auftauchte.
Schopenhauers Primat des Willens verachte ich, sagte die Läuferin, die an der Volkshochschule Konstanz-Singen mehrmals im Jahr Vorträge hielt.
Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will, sagte die Ärztin.
Die Welt, sagte die Läuferin, ist kein Jammertal voller Leiden.
Die Ärztin wusste, dass sie handeln musste.
Auf die Körperlichkeit reduziert zu werden, behagt mir nicht. Die Läuferin streckte, wie die Ärztin verlangte hatte, ihr linkes Bein.
Und jetzt anwinkeln, sagte die Ärztin, die sich bewusst für die Orthopädie als Spezialgebiet entschieden hatte. Knochen seien das Nonplusultra an Körper, was die Medizin zu bieten habe, pflegte die Ärztin zu antworten, wenn die Warum-Frage auftauchte.
Schopenhauers Primat des Willens verachte ich, sagte die Läuferin, die an der Volkshochschule Konstanz-Singen mehrmals im Jahr Vorträge hielt.
Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will, sagte die Ärztin.
Die Welt, sagte die Läuferin, ist kein Jammertal voller Leiden.
Die Ärztin wusste, dass sie handeln musste.
239
Ich erkenne Sex, wenn ich ihn habe.
Was wäre es denn sonst?
Ich erkenne Sex, wenn ich ihn habe.
Was wäre es denn sonst?
240
Sie stellte das Rad ab, steckte die Schlüssel ein und wischte nach rechts. Match! No. 17. Allein heute früh. Anette K. fühlte sich großartig. Großartiger als unartig. Sie war heißer als heiß. Sie brannte. Sie war ein Steppenfeuer. Unlöschbar. Sie rollte über das Glockenviertel. In jeder Ecke - Anette K, lächelte, als ihr der Gedanke kam - läuteten die Klingeln Sturm. Gleich, sie klickte auf Bin hier, würden die poshen Typen aus ihren gentrifizierten Wohnungen rennen. Ich bin der Punkt auf dem i. Die geile Flamme. DieNetteVonDerPost. Wie Haie im Becken würden sich die Typen zerfleischen. Anette K. strich sich durch ihr blondiertes NGO-Haar. Alles für die Revolution. Der Scheißpostjob. Die Fuckfrühaufstehnummer. Zwei Minuten vor Punkt. Sie setzte, wie im dritten Profilfoto, das sie auf Baaders Anraten mit Anutte gezeichnet hatte, die Cat-Maske auf.
Sie stellte das Rad ab, steckte die Schlüssel ein und wischte nach rechts. Match! No. 17. Allein heute früh. Anette K. fühlte sich großartig. Großartiger als unartig. Sie war heißer als heiß. Sie brannte. Sie war ein Steppenfeuer. Unlöschbar. Sie rollte über das Glockenviertel. In jeder Ecke - Anette K, lächelte, als ihr der Gedanke kam - läuteten die Klingeln Sturm. Gleich, sie klickte auf Bin hier, würden die poshen Typen aus ihren gentrifizierten Wohnungen rennen. Ich bin der Punkt auf dem i. Die geile Flamme. DieNetteVonDerPost. Wie Haie im Becken würden sich die Typen zerfleischen. Anette K. strich sich durch ihr blondiertes NGO-Haar. Alles für die Revolution. Der Scheißpostjob. Die Fuckfrühaufstehnummer. Zwei Minuten vor Punkt. Sie setzte, wie im dritten Profilfoto, das sie auf Baaders Anraten mit Anutte gezeichnet hatte, die Cat-Maske auf.
241
Tante Gryphius schien, aus meiner Sicht, ein Ausbund an Verlässlichkeit und Zuversicht gewesen zu sein. Eine, mit Verlaub, erstaunliche Frau, voller Energie und Lebensfreude. Sie hatte drei Männern neun Kinder geboren, einen Schweinemastbetrieb in Neustadt am Rübenberge, am Wunstorfer Moor, geleitet, die Häkelgruppe Miss Nadelstich gegründet, sich im Kirchenchor St. Peter und Paul engagiert und als Aushilfsbademeisterin bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft am Steinhuder Meer unzählige Betrunkene aus dem See gefischt und per Mund-zu-Mund-Beatmung wiederbelebt. Wie gesagt: eine patente Katholikin, scheinbar über alle moralischen Zweifel erhaben, verehrt und angesehen. Was meinen Vater, ihren zehn Jahre jüngeren Bruder, nicht abgehalten hat, Tante Gryphius abgrundtief zu hassen. Vater konnte seine Schwester perfekt imitieren. Ihr leicht nasales Niedersachsenhochdeutsch, auf das sie so stolz gewesen war, das mädchenhafte Kichern der Matrone, selbst das Rotwerden, wenn Tante Gryphius über ihre eigenen, leicht anzüglichen Witze bei Kaffee und Kuchen gelacht hatte, hat Vater vollendet nachgemacht. Auf meine Fragen, warum er und Tante Gryphius sich nicht grün waren, war Vater niemals eingegangen. Das ganze Elend zeigte sich mir erst beim Sichten des Nachlasses. Vater hatte sich ausgerechnet am 10-Meter-Turm der DLRG-Station aufgehängt, wo man Tante Gryphius eine Ehrenplakette für ihre Einsätze gewidmet hatte.
Tante Gryphius schien, aus meiner Sicht, ein Ausbund an Verlässlichkeit und Zuversicht gewesen zu sein. Eine, mit Verlaub, erstaunliche Frau, voller Energie und Lebensfreude. Sie hatte drei Männern neun Kinder geboren, einen Schweinemastbetrieb in Neustadt am Rübenberge, am Wunstorfer Moor, geleitet, die Häkelgruppe Miss Nadelstich gegründet, sich im Kirchenchor St. Peter und Paul engagiert und als Aushilfsbademeisterin bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft am Steinhuder Meer unzählige Betrunkene aus dem See gefischt und per Mund-zu-Mund-Beatmung wiederbelebt. Wie gesagt: eine patente Katholikin, scheinbar über alle moralischen Zweifel erhaben, verehrt und angesehen. Was meinen Vater, ihren zehn Jahre jüngeren Bruder, nicht abgehalten hat, Tante Gryphius abgrundtief zu hassen. Vater konnte seine Schwester perfekt imitieren. Ihr leicht nasales Niedersachsenhochdeutsch, auf das sie so stolz gewesen war, das mädchenhafte Kichern der Matrone, selbst das Rotwerden, wenn Tante Gryphius über ihre eigenen, leicht anzüglichen Witze bei Kaffee und Kuchen gelacht hatte, hat Vater vollendet nachgemacht. Auf meine Fragen, warum er und Tante Gryphius sich nicht grün waren, war Vater niemals eingegangen. Das ganze Elend zeigte sich mir erst beim Sichten des Nachlasses. Vater hatte sich ausgerechnet am 10-Meter-Turm der DLRG-Station aufgehängt, wo man Tante Gryphius eine Ehrenplakette für ihre Einsätze gewidmet hatte.
242
Der Kapitän hat entschieden, sagte Flint. Der graue Star trübte sein Grinsen unmerklich.
Die Mannschaft johlte. Besonders Shortjon und Cannaile taten sich hervor. Verräter. Wenn man oben schwimmt, klammern sie sich an dich. Beim Untergehen ketten sie bereitwillig Gewichte an deinen Hals.
Es war ein heller Morgen. Wir schrieben das Jahr 1398. Internet und AK-47 waren noch nicht erfunden. Thomas Bernhard hasste noch nicht Österreich. JFK hatte sich noch nicht für Marylins Ständchen mit seinem eigenen bedankt. Ansonsten war alles genau wie heute. Wie der Tag, an dem du dies liest. Hass ist Hass. Gier ist Gier. Und Liebe kommt und geht. Wir wurden damals geboren und starben - euch, wenn ich das prophezeien darf, wird es nicht anders ergehen.
Zurück zur Planke, auf der ich stehe, die Hände gefesselt. So, sagte ich und grinste zurück. So, der Kapitän hat also entschieden. Hat er euch auch davon erzählt, dass er keine Ahnung hat, wo das Gold liegt? Hat er euch das in aller Vertrautheit erzählt?
Die Männer sahen sich an. Einige murrten.
Nein, fuhr ich fort, riss meinen Mund auf, damit sie die Goldkrone sehen konnten. Natürlich hat der Hochwohlgeborene euch nicht erzählt, dass ich der einzige bin, der erstens weiß, wo die Schatzinsel liegt, und zweitens das Versteck kennt, wo die Likedeeler das Gold vergraben haben.
Die Männer schrien.
Flint schoss in die Luft, um sich Gehör zu verschaffen. Er blufft, sagte Flint, es gibt keinen Schatz. Außer im Hafen, wo ihr Geld braucht, um euren süßen Schatz zu heben. Flinte lachte, niemand stimmte ein.
Unsinn, sagte ich. Du bist es, Flint, der lügt! Du und Gödeke Michels, ihr lügt euch selbst in die Tasche. Ich lächelte. Das hatte ich von meinem Vater gelernt: zu lügen und dabei zu lächeln. Ich ging einen Schritt nach vorne, als ob ich selbst springen wollte.
Nein, riefen Schortjon und Cannaile gleichzeitig, nein!
Auf Verräter war Verlass.
Der Kapitän hat entschieden, sagte Flint. Der graue Star trübte sein Grinsen unmerklich.
Die Mannschaft johlte. Besonders Shortjon und Cannaile taten sich hervor. Verräter. Wenn man oben schwimmt, klammern sie sich an dich. Beim Untergehen ketten sie bereitwillig Gewichte an deinen Hals.
Es war ein heller Morgen. Wir schrieben das Jahr 1398. Internet und AK-47 waren noch nicht erfunden. Thomas Bernhard hasste noch nicht Österreich. JFK hatte sich noch nicht für Marylins Ständchen mit seinem eigenen bedankt. Ansonsten war alles genau wie heute. Wie der Tag, an dem du dies liest. Hass ist Hass. Gier ist Gier. Und Liebe kommt und geht. Wir wurden damals geboren und starben - euch, wenn ich das prophezeien darf, wird es nicht anders ergehen.
Zurück zur Planke, auf der ich stehe, die Hände gefesselt. So, sagte ich und grinste zurück. So, der Kapitän hat also entschieden. Hat er euch auch davon erzählt, dass er keine Ahnung hat, wo das Gold liegt? Hat er euch das in aller Vertrautheit erzählt?
Die Männer sahen sich an. Einige murrten.
Nein, fuhr ich fort, riss meinen Mund auf, damit sie die Goldkrone sehen konnten. Natürlich hat der Hochwohlgeborene euch nicht erzählt, dass ich der einzige bin, der erstens weiß, wo die Schatzinsel liegt, und zweitens das Versteck kennt, wo die Likedeeler das Gold vergraben haben.
Die Männer schrien.
Flint schoss in die Luft, um sich Gehör zu verschaffen. Er blufft, sagte Flint, es gibt keinen Schatz. Außer im Hafen, wo ihr Geld braucht, um euren süßen Schatz zu heben. Flinte lachte, niemand stimmte ein.
Unsinn, sagte ich. Du bist es, Flint, der lügt! Du und Gödeke Michels, ihr lügt euch selbst in die Tasche. Ich lächelte. Das hatte ich von meinem Vater gelernt: zu lügen und dabei zu lächeln. Ich ging einen Schritt nach vorne, als ob ich selbst springen wollte.
Nein, riefen Schortjon und Cannaile gleichzeitig, nein!
Auf Verräter war Verlass.
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Hinten, unter dem Stein, wo die Echsen brüten, Ragna ihr Kind geboren hat, die Augen ohne Licht, leer der Kopf, im Sommer, der keiner war, hinten treffen wir uns, sobald Shurto zurück ist. Dann fällt es nicht auf, im Getöse des Glücks, alle werden aufgeregt sein. Der Junge legte die Kohle weg, er kratzte, seine Technik, das Flusspferd mit einem Spielzeuglaser in die dunkle Fläche.
Wir bekommen nichts ab. Das ist mir zu spät. Dein Verzicht soll nicht meiner sein. Das Gute zählt selten für zwei. Das Mädchen stampfte mit den Füßen auf. Ein geübtes Auge erkennt hier viele Vorzüge, die unwissenden Personen entgehen.
Was ist dir wichtiger? Tatsächlich fesseln Tugenden jedes Herz schon beim ersten Anblick. Aber reicht das als Anreiz? Du bist alt genug, Ngui, um zu wissen, dass Shurto noch viele Male zurückkommen wird. Das Feuer wird noch viele Male entzündet werden, der Tanz - sag nichts, ich erkenne, was dir wichtig ist, du musst mir nichts vormachen - der Tanz wird noch viele Male stattfinden. Außerdem hat mich Mum gebeten, mit dir zu sprechen.
Ngui holte hörbar nach Luft, ihre Nase war verstopft, und schluckte den Schleim herunter. Was? Wo ist sie? Weiß Kronor davon?
Kronor? Nguis Bruder lachte. Haben sie dir ins Hirn geschissen? Nur die Vernunft erkennt förderliche Tendenzen, aber nur angenehme Empfindungen sind Kriterien für die Angemessenheit vernünftiger Vorstellungen über das Nützliche. Kronor ist der Letzte, der etwas erfahren darf. Er hat Mum niemals verzeihen. Also: kommst du oder nicht?
Ngui kniete nieder und strich mit den Händen über die Felszeichnung, an der ihr Bruder seit dem letzten Regen arbeitete. Was gibst du mir? fragte sie. Über ihr Gesicht huschte ein verschlagenes Lächeln. Sie spielte mit einer Spange, die sie sich in die üppigen Locken gesteckt hatte. Shurto hat Angst, dass deine Bilder die Vögel vertreiben.
So ist das also, dachte er, Mum, so verkürzt sie spricht, hat Recht behalten, Nguis Gefallsucht wird von Feigheit gefüttert. Oh, sagte er und bückte sich, ich habe eine Überraschung für dich, Ngui.
Hinten, unter dem Stein, wo die Echsen brüten, Ragna ihr Kind geboren hat, die Augen ohne Licht, leer der Kopf, im Sommer, der keiner war, hinten treffen wir uns, sobald Shurto zurück ist. Dann fällt es nicht auf, im Getöse des Glücks, alle werden aufgeregt sein. Der Junge legte die Kohle weg, er kratzte, seine Technik, das Flusspferd mit einem Spielzeuglaser in die dunkle Fläche.
Wir bekommen nichts ab. Das ist mir zu spät. Dein Verzicht soll nicht meiner sein. Das Gute zählt selten für zwei. Das Mädchen stampfte mit den Füßen auf. Ein geübtes Auge erkennt hier viele Vorzüge, die unwissenden Personen entgehen.
Was ist dir wichtiger? Tatsächlich fesseln Tugenden jedes Herz schon beim ersten Anblick. Aber reicht das als Anreiz? Du bist alt genug, Ngui, um zu wissen, dass Shurto noch viele Male zurückkommen wird. Das Feuer wird noch viele Male entzündet werden, der Tanz - sag nichts, ich erkenne, was dir wichtig ist, du musst mir nichts vormachen - der Tanz wird noch viele Male stattfinden. Außerdem hat mich Mum gebeten, mit dir zu sprechen.
Ngui holte hörbar nach Luft, ihre Nase war verstopft, und schluckte den Schleim herunter. Was? Wo ist sie? Weiß Kronor davon?
Kronor? Nguis Bruder lachte. Haben sie dir ins Hirn geschissen? Nur die Vernunft erkennt förderliche Tendenzen, aber nur angenehme Empfindungen sind Kriterien für die Angemessenheit vernünftiger Vorstellungen über das Nützliche. Kronor ist der Letzte, der etwas erfahren darf. Er hat Mum niemals verzeihen. Also: kommst du oder nicht?
Ngui kniete nieder und strich mit den Händen über die Felszeichnung, an der ihr Bruder seit dem letzten Regen arbeitete. Was gibst du mir? fragte sie. Über ihr Gesicht huschte ein verschlagenes Lächeln. Sie spielte mit einer Spange, die sie sich in die üppigen Locken gesteckt hatte. Shurto hat Angst, dass deine Bilder die Vögel vertreiben.
So ist das also, dachte er, Mum, so verkürzt sie spricht, hat Recht behalten, Nguis Gefallsucht wird von Feigheit gefüttert. Oh, sagte er und bückte sich, ich habe eine Überraschung für dich, Ngui.
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Alles wäre möglich gewesen. Atomphysik, Architektur, Entwicklungshilfe. Gabriele-Marie Kowskis Notendurchschnitt berechtigte zur sofortigen Aufnahme eines Medizinstudiums in Marburg. Ihre darstellerischen Leistungen hätten für die Prüfung der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch gereicht. Sowohl geistes- als auch naturwissenschaftliche Fächer lagen ihr. Die Ingolstädterin war eine brilliante Schülerin gewesen. Die ganze Oberstufe hindurch Jahrgangsbeste. Ohne als Maskottchen des Lehrerkollegiums zu gelten. Dass sich Gabriele-Marie eine Woche nach dem Abitur, während des Cape Town Jazz Festivals, in Jason Derek Brown verguckte, hätte niemand für möglich gehalten. Brown, Mormone und Surfboarder, stand auf der Ten Most Wanted FBI-Liste und hatte sich Gabriele-Marie als Greg Harline Johnson vorgestellt und zu einer Runde Golf eingeladen. Die Abiturientin hatte eingewilligt und, nach einem kurzen Check, das Federal Bureau of Investigation informiert. Die 200 000 Dollar Kopfgeld waren ihr, die aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammte, die Mutter war Lokführerin, der Vater Möbelpacker gewesen, bar ausgezahlt worden. Wie die Ingolstädterin Brown ans Messer geliefert und was Kowski mit dem Geld - ungeheuerliches - gemacht hatte, davon soll später die Rede sein. Zuerst will ich Ihnen davon berichten, warum FBI Director James B. Comey ein, sagen wir, intensives Interesse an GMK entwickelt hatte.
Alles wäre möglich gewesen. Atomphysik, Architektur, Entwicklungshilfe. Gabriele-Marie Kowskis Notendurchschnitt berechtigte zur sofortigen Aufnahme eines Medizinstudiums in Marburg. Ihre darstellerischen Leistungen hätten für die Prüfung der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch gereicht. Sowohl geistes- als auch naturwissenschaftliche Fächer lagen ihr. Die Ingolstädterin war eine brilliante Schülerin gewesen. Die ganze Oberstufe hindurch Jahrgangsbeste. Ohne als Maskottchen des Lehrerkollegiums zu gelten. Dass sich Gabriele-Marie eine Woche nach dem Abitur, während des Cape Town Jazz Festivals, in Jason Derek Brown verguckte, hätte niemand für möglich gehalten. Brown, Mormone und Surfboarder, stand auf der Ten Most Wanted FBI-Liste und hatte sich Gabriele-Marie als Greg Harline Johnson vorgestellt und zu einer Runde Golf eingeladen. Die Abiturientin hatte eingewilligt und, nach einem kurzen Check, das Federal Bureau of Investigation informiert. Die 200 000 Dollar Kopfgeld waren ihr, die aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammte, die Mutter war Lokführerin, der Vater Möbelpacker gewesen, bar ausgezahlt worden. Wie die Ingolstädterin Brown ans Messer geliefert und was Kowski mit dem Geld - ungeheuerliches - gemacht hatte, davon soll später die Rede sein. Zuerst will ich Ihnen davon berichten, warum FBI Director James B. Comey ein, sagen wir, intensives Interesse an GMK entwickelt hatte.
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Ihre Wärme, sagte Julian Munroe und tätschelte die Hand seiner Frau, Esther hat mir die Kälte vom Leib und von der Seele gehalten. Sie ist mein physisches und psychisches Bollwerk gegen den moralischen Klimawandel. Ohne sie hätte ich nie und nimmer die wunderschönsten Momente meines Daseins erlebt. Besonders wenn wir allein waren, haben die Elemente getobt.
Das Publikum im Fernsehstudio lachte und klatschte. Auch wenn die Metaphern angesichts der weltweiten Temperatursteigerungen keiner Logik folgten. Jeder verstand - oder glaubte, zu verstehen -, dass Julian Munroe seine Partnerin immer noch wie am ersten Tag liebte. Die Kamera zoomte auf eine etwa fünfundzwanzigjährige Blondine, die sich mit einem beigen Baumwolltaschentuch die Tränen aus den Augen wischte. Sie kicherte und weinte gleichzeitig. Das Gackern besaß etwas Explosives, etwas Ansteckendes. Neben ihr saß ein junger Kerl - ihr Freund? - in einem goldenen Kapuzenpulli, säuberte sich die Nägel mit einem Schweizer Taschenmesser und gähnte dabei herzhaft, was der Kameraausschnitt nicht einfing. Er, der wie eine faltenlose Kopie des alten Mannes aussah, sollte, was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wusste, zum eigentlichen Protagonisten des Abends werden. Echte Taschentücher waren dieses Jahr en vogue. Außerdem sponserte eine Modefirma, die sich auf Organic Cotton spezialisiert hatte, die Show.
Und für Sie, Esther Russel, die Journalistin hob unwillkürlich die Stimme und beugte sich zu der alten Dame, als wäre diese schwerhörig, was macht Ihrer Meinung nach das Erfolgsrezept einer Ehe aus, die 60 Jahre gehalten hat?
Auf diese Frage hatte Esther Russel eine ausführliche Antwort vorbereitet. Eine Rede, die als Ich, das OzonLoch-Anklage in die Mediengeschichte eingehen und zum ersten Lynchen vor laufender Kamera führen sollte.
Ihre Wärme, sagte Julian Munroe und tätschelte die Hand seiner Frau, Esther hat mir die Kälte vom Leib und von der Seele gehalten. Sie ist mein physisches und psychisches Bollwerk gegen den moralischen Klimawandel. Ohne sie hätte ich nie und nimmer die wunderschönsten Momente meines Daseins erlebt. Besonders wenn wir allein waren, haben die Elemente getobt.
Das Publikum im Fernsehstudio lachte und klatschte. Auch wenn die Metaphern angesichts der weltweiten Temperatursteigerungen keiner Logik folgten. Jeder verstand - oder glaubte, zu verstehen -, dass Julian Munroe seine Partnerin immer noch wie am ersten Tag liebte. Die Kamera zoomte auf eine etwa fünfundzwanzigjährige Blondine, die sich mit einem beigen Baumwolltaschentuch die Tränen aus den Augen wischte. Sie kicherte und weinte gleichzeitig. Das Gackern besaß etwas Explosives, etwas Ansteckendes. Neben ihr saß ein junger Kerl - ihr Freund? - in einem goldenen Kapuzenpulli, säuberte sich die Nägel mit einem Schweizer Taschenmesser und gähnte dabei herzhaft, was der Kameraausschnitt nicht einfing. Er, der wie eine faltenlose Kopie des alten Mannes aussah, sollte, was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wusste, zum eigentlichen Protagonisten des Abends werden. Echte Taschentücher waren dieses Jahr en vogue. Außerdem sponserte eine Modefirma, die sich auf Organic Cotton spezialisiert hatte, die Show.
Und für Sie, Esther Russel, die Journalistin hob unwillkürlich die Stimme und beugte sich zu der alten Dame, als wäre diese schwerhörig, was macht Ihrer Meinung nach das Erfolgsrezept einer Ehe aus, die 60 Jahre gehalten hat?
Auf diese Frage hatte Esther Russel eine ausführliche Antwort vorbereitet. Eine Rede, die als Ich, das OzonLoch-Anklage in die Mediengeschichte eingehen und zum ersten Lynchen vor laufender Kamera führen sollte.
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Wir möchten Sie bitten, Ihre Sicherheitsgurte anzulegen. Bitte benutzen Sie nicht mehr die Waschräume. Wir erwarten Turbulenzen. Vor uns befindet sich eine Schlechtwetterfront, die wir nicht umfliegen können. Danke für Ihr Verständnis.
Die Kabinenbesatzung stellte die Beleuchtung in der Kabine aus.
Gott, ist das etwa der Monstersturm, der in Florida auf Land treffen soll? Die gepflegte Frau sah, zum ersten Mal seit dem Start, ihren Sitznachbarn an. Bis dahin hatte sie, mit ihren eigenen Kopfhörern, ein halbes Dutzend Tierdokumentationen geguckt. Die letzte über die Jagd auf Nashörner in Ostafrika.
Ich wünschte, ich wäre das, lachte der Mann, ein Fransose, dann würde ich, er zeigte auf ihren Bildschirm, alle Wilderer in Weinbergschnecken verwandeln. L'escargot de Bourgogne est un mets traditionnel de la gastronomie française.
Ein Verrückter, dachte sie, ich sterbe neben einem Verrückten, gutaussehend, aber verrückt. Sie wären was? Was meinen Sie?
Gott, sagte der Franzose und lachte. Von dem es bekanntlich zu viele gibt. Andererseits: wenn es sich um Geld handelt, gehört jeder der gleichen Religion an.
Gott schuf die Tugend, der Mensch den Anschein davon, sagte sie, die Voltaire immer geschätzt hatte.
Pierre, sagte er und reichte ihr die Hand.
Caro, sagte sie und drückte seine warme, feste Hand, die sich wie ein Talisman anfühlte.
Wir möchten Sie bitten, Ihre Sicherheitsgurte anzulegen. Bitte benutzen Sie nicht mehr die Waschräume. Wir erwarten Turbulenzen. Vor uns befindet sich eine Schlechtwetterfront, die wir nicht umfliegen können. Danke für Ihr Verständnis.
Die Kabinenbesatzung stellte die Beleuchtung in der Kabine aus.
Gott, ist das etwa der Monstersturm, der in Florida auf Land treffen soll? Die gepflegte Frau sah, zum ersten Mal seit dem Start, ihren Sitznachbarn an. Bis dahin hatte sie, mit ihren eigenen Kopfhörern, ein halbes Dutzend Tierdokumentationen geguckt. Die letzte über die Jagd auf Nashörner in Ostafrika.
Ich wünschte, ich wäre das, lachte der Mann, ein Fransose, dann würde ich, er zeigte auf ihren Bildschirm, alle Wilderer in Weinbergschnecken verwandeln. L'escargot de Bourgogne est un mets traditionnel de la gastronomie française.
Ein Verrückter, dachte sie, ich sterbe neben einem Verrückten, gutaussehend, aber verrückt. Sie wären was? Was meinen Sie?
Gott, sagte der Franzose und lachte. Von dem es bekanntlich zu viele gibt. Andererseits: wenn es sich um Geld handelt, gehört jeder der gleichen Religion an.
Gott schuf die Tugend, der Mensch den Anschein davon, sagte sie, die Voltaire immer geschätzt hatte.
Pierre, sagte er und reichte ihr die Hand.
Caro, sagte sie und drückte seine warme, feste Hand, die sich wie ein Talisman anfühlte.
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Die Gleichgültigkeit aller, ohne Ausnahme, mit sich selbst beschäftigt, nicht mit ihr, nur oberflächlich mit ihr, ihrer Oberfläche beschäftigt, ihrem Körper, der stank, schiss und suppte, der sie, in den Augen der anderen, der, der gewesene Körper, der sie war, die Gleichgültigkeit aller hatte sie, der vor siebzig Jahren alle nachgerannt waren, mit Geld, mit Lust, mit Liebe, auch das, vor allen Dingen John, dessen Triumvirat KörperKontoKeilheit, wie er es in seinen Briefen, am Ende, als Verabschiedung, genannt hatte, KörperKontoKeilheit, die Gleichgültigkeit aller überzeugte sie, die Anti-Nihilistin, von der Sinnlosigkeit. Das hätte sie nicht für möglich gehalten. Sie schloss die Augen und glitt zurück. Zurück auf das Riverboot, als John Keil mit Conny getanzt hatte, zu den Beatles. Love Me Do. Süßes Paar, hatte Sine, ihre damalige beste Freundin, die mit Anfang 30 bei einer Reise in die DDR gestorben war, gesagt, John will seine Conny heiraten und Eight Days a Week mit ihr zusammen sein. Süß? Findest du das wirklich? Eine Trutsche, hatte sie Sine geantwortet. Noch heute Nacht wird sich der Herr Verlobte von ihr trennen. Das bisschen Bein und Busen Can't Buy Her Love. Sine hatte die Brauen hochgezogen und, rauchend, damls durfte in den Lokalen noch geraucht werden, eine Wette vorgeschlagen. Sie hatte einen Caipirinha bestellt und Conny über den Rücken gegossen.
Die Gleichgültigkeit aller, ohne Ausnahme, mit sich selbst beschäftigt, nicht mit ihr, nur oberflächlich mit ihr, ihrer Oberfläche beschäftigt, ihrem Körper, der stank, schiss und suppte, der sie, in den Augen der anderen, der, der gewesene Körper, der sie war, die Gleichgültigkeit aller hatte sie, der vor siebzig Jahren alle nachgerannt waren, mit Geld, mit Lust, mit Liebe, auch das, vor allen Dingen John, dessen Triumvirat KörperKontoKeilheit, wie er es in seinen Briefen, am Ende, als Verabschiedung, genannt hatte, KörperKontoKeilheit, die Gleichgültigkeit aller überzeugte sie, die Anti-Nihilistin, von der Sinnlosigkeit. Das hätte sie nicht für möglich gehalten. Sie schloss die Augen und glitt zurück. Zurück auf das Riverboot, als John Keil mit Conny getanzt hatte, zu den Beatles. Love Me Do. Süßes Paar, hatte Sine, ihre damalige beste Freundin, die mit Anfang 30 bei einer Reise in die DDR gestorben war, gesagt, John will seine Conny heiraten und Eight Days a Week mit ihr zusammen sein. Süß? Findest du das wirklich? Eine Trutsche, hatte sie Sine geantwortet. Noch heute Nacht wird sich der Herr Verlobte von ihr trennen. Das bisschen Bein und Busen Can't Buy Her Love. Sine hatte die Brauen hochgezogen und, rauchend, damls durfte in den Lokalen noch geraucht werden, eine Wette vorgeschlagen. Sie hatte einen Caipirinha bestellt und Conny über den Rücken gegossen.
248
Gregor, die Kuratorin lachte, warf ihren zu langen Oberkörper hin und her, als spielte jemand mit ihr Pingpong, Gregor ist so irrsinnig jung, ein wahnsinniger Revoluzzer. Du siehst dir diesen Großscheiß an, sie deutete auf eine amorphe Skulptur, und denkst, holyshit, hier will einer, ach was: hier muss einer seine Wurstmarke setzen. Ein Sechzigjähriger, der Krach macht. Mit Gregor gehen noch mal die Gäule durch, sagt Karger immer, und wisst ihr was, ich glaube, die beiden haben damals in Düsseldorf im Rhein gevögelt. Ja, im, nicht am. Spritziespritzie. Davon ist, angeblich, die Serie Lore Lie inspiriert. Die Kuratorin, die den ganzen Tag nichts machte, als am Eingang zu sitzen und surfend die Zeit totzuschlagen, griff nach der Weinflasche, die ihr Ex-Mann als Geschenk mitgebracht hatte. Riesling? Gut. Sie öffnete die Flasche mit den Zähnen. Hat Vorteile, dass Korken aussterben. Dass sie aus dem Mund blutete, merkte die Kuratorin anfangs nicht.
Gregor, die Kuratorin lachte, warf ihren zu langen Oberkörper hin und her, als spielte jemand mit ihr Pingpong, Gregor ist so irrsinnig jung, ein wahnsinniger Revoluzzer. Du siehst dir diesen Großscheiß an, sie deutete auf eine amorphe Skulptur, und denkst, holyshit, hier will einer, ach was: hier muss einer seine Wurstmarke setzen. Ein Sechzigjähriger, der Krach macht. Mit Gregor gehen noch mal die Gäule durch, sagt Karger immer, und wisst ihr was, ich glaube, die beiden haben damals in Düsseldorf im Rhein gevögelt. Ja, im, nicht am. Spritziespritzie. Davon ist, angeblich, die Serie Lore Lie inspiriert. Die Kuratorin, die den ganzen Tag nichts machte, als am Eingang zu sitzen und surfend die Zeit totzuschlagen, griff nach der Weinflasche, die ihr Ex-Mann als Geschenk mitgebracht hatte. Riesling? Gut. Sie öffnete die Flasche mit den Zähnen. Hat Vorteile, dass Korken aussterben. Dass sie aus dem Mund blutete, merkte die Kuratorin anfangs nicht.
249
Die nachträgliche Vergabe der Olympischen Spiele an Hamburg kam überraschend. Boston, das in der Endausscheidung deutlich den Vorzug vor Paris bekommen hatte, war von einer Serie von Wirbelstürmen den Erdboden gleichgemacht worden. Oder sollen wir lieber, weite Teile Bostons waren schließlich überflutet, von Wasserboden sprechen? Washington hatte, so Präsident Bush, weiß Gott, beim Wort Gott bekreuzigte er sich, Besseres zu tun, als eine zweite amerikanische Stadt ins Rennen zu schicken. In Paris hatte die heillos zerstrittene Front National nach einer Reihe von Korruptionsskandalen und den nicht aufgeklärten Morden an drei liberalen Conseil constitutionnel-Richtern die Parlamentswahlen haushoch verloren. Die Fronde Égalité, eine radikale Protestpartei des ultralinken Spektrums, hatte überraschend die Mehrheit in der Assemblée nationale gewonnen und sich sofort von der Olympia-Kandidatur, wie im Wahlkampf versprochen, verabschiedet. Man wolle neue Schulen bauen und das Revenu de base einführen, hatte die charismatische Führerin der Fronde Égalité, Rachida Dati, erklärt. Olympia und ein bedingungsloses Grundeinkommen gingen nicht zusammen. Non, merci.
Die Hamburger zögerten dagegen nicht lange und langten zu. Ein Entschluss, den sie bitter bereuen sollten.
Die nachträgliche Vergabe der Olympischen Spiele an Hamburg kam überraschend. Boston, das in der Endausscheidung deutlich den Vorzug vor Paris bekommen hatte, war von einer Serie von Wirbelstürmen den Erdboden gleichgemacht worden. Oder sollen wir lieber, weite Teile Bostons waren schließlich überflutet, von Wasserboden sprechen? Washington hatte, so Präsident Bush, weiß Gott, beim Wort Gott bekreuzigte er sich, Besseres zu tun, als eine zweite amerikanische Stadt ins Rennen zu schicken. In Paris hatte die heillos zerstrittene Front National nach einer Reihe von Korruptionsskandalen und den nicht aufgeklärten Morden an drei liberalen Conseil constitutionnel-Richtern die Parlamentswahlen haushoch verloren. Die Fronde Égalité, eine radikale Protestpartei des ultralinken Spektrums, hatte überraschend die Mehrheit in der Assemblée nationale gewonnen und sich sofort von der Olympia-Kandidatur, wie im Wahlkampf versprochen, verabschiedet. Man wolle neue Schulen bauen und das Revenu de base einführen, hatte die charismatische Führerin der Fronde Égalité, Rachida Dati, erklärt. Olympia und ein bedingungsloses Grundeinkommen gingen nicht zusammen. Non, merci.
Die Hamburger zögerten dagegen nicht lange und langten zu. Ein Entschluss, den sie bitter bereuen sollten.
250
Die Architektin hatte genug. Dadaismus? Als Bauprinzip?
Schwitters, sagte ihre Geschäftspartnerin, die in Madrid Kunst studiert hatte, oder Schmerzbau. Wunderbare Namen.
Wie lange kenne ich dich, dachte die Architektin, elf Jahre, mindestens, und hast du jemals Geld verdient?
Wir müssen die herkömmliche Bauweise radikal transformieren! Die Geschäftspartnerin klettere den Baum hoch, auf dessen Äste Silke und Katharina, die Töchter der Architektin, ein Baumhaus errichtet hatten. Mehr eine Plattform, in sechs Meter Höhe. Stabil. Für Kinder, nicht Erwachsene.
Die Architektin öffnete den Mund und schloss ihn wieder.
Die Architektin hatte genug. Dadaismus? Als Bauprinzip?
Schwitters, sagte ihre Geschäftspartnerin, die in Madrid Kunst studiert hatte, oder Schmerzbau. Wunderbare Namen.
Wie lange kenne ich dich, dachte die Architektin, elf Jahre, mindestens, und hast du jemals Geld verdient?
Wir müssen die herkömmliche Bauweise radikal transformieren! Die Geschäftspartnerin klettere den Baum hoch, auf dessen Äste Silke und Katharina, die Töchter der Architektin, ein Baumhaus errichtet hatten. Mehr eine Plattform, in sechs Meter Höhe. Stabil. Für Kinder, nicht Erwachsene.
Die Architektin öffnete den Mund und schloss ihn wieder.
251
Mirceas Leben bestand aus einem einzigen Nehmen. Und Geben. Sie nahm die Schläge. Gab ihren Körper. Nahm das trockene Brot. Gab ihren Körper. Nahm den Samen. Männer kamen und gingen. Die Tage schliefen. Des Nachts herrschte Dunkelheit in der engen Kammer. Über zwei Jahrzehnte. Als die Erde bebte, alle zerquetschte, bis auf Mircea, geschah ein weiteres Wunder.
Mirceas Leben bestand aus einem einzigen Nehmen. Und Geben. Sie nahm die Schläge. Gab ihren Körper. Nahm das trockene Brot. Gab ihren Körper. Nahm den Samen. Männer kamen und gingen. Die Tage schliefen. Des Nachts herrschte Dunkelheit in der engen Kammer. Über zwei Jahrzehnte. Als die Erde bebte, alle zerquetschte, bis auf Mircea, geschah ein weiteres Wunder.
252
Knausgaard sah mich an. Karl Ove, sagte er, er meinte mich.
Karl Ove, sagte ich, ich meinte ihn.
Die Fingerspitzen schwitzten, als wir anstießen. Das Bier war stark und gut. Weit besser als erwartet. Ich hatte seit zwanzig Jahren nichts mehr getrunken. Wir tranken Stunde um Stunde. Wir aßen. Als die Bierhalle geschlossen wurde, stand Knausgaard auf und ging hinaus. Karl Ove, rief er, er meinte mich.
Karl Ove, rief ich, ich meinte ihn. Ich folgte ihm. Draußen war es bereits wieder hell. Knausgaards Frau, Linda, die auf einer Bank, unter einer Ulme gewartet hatte, zeigte mit dem Finger auf mich. Wer ist das, Karl Ove, fragte sie, sie meinte mich.
Karl Ove, sagte ich, ich meinte mich.
Auf dich kann ich gut und gerne verzichten, sagte sie, sie meinte ihn..
Karl Ove, sagte er, er meinte mich.
Knausgaard sah mich an. Karl Ove, sagte er, er meinte mich.
Karl Ove, sagte ich, ich meinte ihn.
Die Fingerspitzen schwitzten, als wir anstießen. Das Bier war stark und gut. Weit besser als erwartet. Ich hatte seit zwanzig Jahren nichts mehr getrunken. Wir tranken Stunde um Stunde. Wir aßen. Als die Bierhalle geschlossen wurde, stand Knausgaard auf und ging hinaus. Karl Ove, rief er, er meinte mich.
Karl Ove, rief ich, ich meinte ihn. Ich folgte ihm. Draußen war es bereits wieder hell. Knausgaards Frau, Linda, die auf einer Bank, unter einer Ulme gewartet hatte, zeigte mit dem Finger auf mich. Wer ist das, Karl Ove, fragte sie, sie meinte mich.
Karl Ove, sagte ich, ich meinte mich.
Auf dich kann ich gut und gerne verzichten, sagte sie, sie meinte ihn..
Karl Ove, sagte er, er meinte mich.
253
Eine Moment, bitte, die Ehrlichkeit erfordert es, dass ich Euch mitteile, bevor wir zum Wesentlichen, seiner Liebe zu mir, kommen, dass ich Euch mitteile, wie er mich umgebracht hat. Ob er die Tat von langer Hand geplant hat? Ich weigere mich, das zu glauben. Chisel, die mich gleich abgefangen hat, bezweifelt das. Chisel wurde als Dreizehnjährige von einem Achtzehnjährigen vergewaltigt und dann im Feuerwehrteich ertränkt. Sie war, in Reutlingen, während der Quinta und Sexta, meine beste Freundin gewesen. Chisels Zynismus, was seine Beteuerungen betrifft, ist grenzenlos. Wer mit der Magd liebäugelt, macht sie zur Herrin der Frau, sagt Chisel. Ob Anna der Grund war? Sie hatte doch ihren Otto lieb. Auch wenn das mit dem Kinderkriegen nicht recht klappen wollte. Als Annas Bauch nach zehn fruchtlosen Jahren doch anschwoll, mochte sie meine Gratulation kaum annehmen. Und er, er ließ sie im Haus, obwohl sie ab dem fünften, sie trug Drillinge aus, kaum noch arbeiten konnte. Das war an sich nicht seine Art. Aufs Geld guckte er wie ein Fuchs auf den Braten. Am Kachelofen bereitete er der Anna einen Platz, den Otto schickte er auf die Alm, zum Hüten. Ob ich mich gewundert habe? Ja und nein. Er kam zu mir, jede Nacht, wie ein Bulle, der sich die Hörner abstoßen muss. Ich konnte mich nicht beklagen. Bis zur Tat. Schnuckerl, nannte er mich, auch vor der Anna, und Liebste. Ich ließ den furchtbaren Gedanken nicht an mich heran. Chisel nennt mich naiv. Sind die, die lieben, nicht immer von einer Reinheit erfüllt, die man naiv nennen kann?
Eine Moment, bitte, die Ehrlichkeit erfordert es, dass ich Euch mitteile, bevor wir zum Wesentlichen, seiner Liebe zu mir, kommen, dass ich Euch mitteile, wie er mich umgebracht hat. Ob er die Tat von langer Hand geplant hat? Ich weigere mich, das zu glauben. Chisel, die mich gleich abgefangen hat, bezweifelt das. Chisel wurde als Dreizehnjährige von einem Achtzehnjährigen vergewaltigt und dann im Feuerwehrteich ertränkt. Sie war, in Reutlingen, während der Quinta und Sexta, meine beste Freundin gewesen. Chisels Zynismus, was seine Beteuerungen betrifft, ist grenzenlos. Wer mit der Magd liebäugelt, macht sie zur Herrin der Frau, sagt Chisel. Ob Anna der Grund war? Sie hatte doch ihren Otto lieb. Auch wenn das mit dem Kinderkriegen nicht recht klappen wollte. Als Annas Bauch nach zehn fruchtlosen Jahren doch anschwoll, mochte sie meine Gratulation kaum annehmen. Und er, er ließ sie im Haus, obwohl sie ab dem fünften, sie trug Drillinge aus, kaum noch arbeiten konnte. Das war an sich nicht seine Art. Aufs Geld guckte er wie ein Fuchs auf den Braten. Am Kachelofen bereitete er der Anna einen Platz, den Otto schickte er auf die Alm, zum Hüten. Ob ich mich gewundert habe? Ja und nein. Er kam zu mir, jede Nacht, wie ein Bulle, der sich die Hörner abstoßen muss. Ich konnte mich nicht beklagen. Bis zur Tat. Schnuckerl, nannte er mich, auch vor der Anna, und Liebste. Ich ließ den furchtbaren Gedanken nicht an mich heran. Chisel nennt mich naiv. Sind die, die lieben, nicht immer von einer Reinheit erfüllt, die man naiv nennen kann?
254
Melkt ihn! Die Amazone hielt Michelangelos Kopf. Seine Locken streichelten ihre Lippen. Mit ungeahnter Zärtlichkeit presste sie Michelangelo an sich. Die Amazone wusste, dass sie sein Kind in sich trug. Hoffentlich wird es ein Mädchen, dachte sie, dann stieß sie den Gefesselten in die von mehreren Feuern beleuchtete Grube.
Melkt ihn! Die Amazone hielt Michelangelos Kopf. Seine Locken streichelten ihre Lippen. Mit ungeahnter Zärtlichkeit presste sie Michelangelo an sich. Die Amazone wusste, dass sie sein Kind in sich trug. Hoffentlich wird es ein Mädchen, dachte sie, dann stieß sie den Gefesselten in die von mehreren Feuern beleuchtete Grube.
255
Die Ritterrüstung kniff. Seit Justus Hirschgiebel für Road Kill arbeitete, ein Restaurant mit All U can't it-Schild über der Tür, nahm der Freiburger Jurastudent beständig zu. Elf Kilo insgesamt. Als wärst du schwanger, hatte Ulli ihm beim Schlussmachen erklärt. Ulli hatte gleich eine Beziehung mit Justus' WG-Freund Alonso angefangen. Ausgerechnet Alonso, für den das Wort "Dusche" nur einmal in der Woche existierte und der - als geborener Dortmunder - Fan des RB Leipzig war. Die Bedienung in Ritterrüstungen zu stecken, das war Britta Klausners Idee gewesen, die zusammen mit ihrem Ex-Mann, Torben Schlund, das Road Kill betrieb. Ein genialer Schachzug. Justus hegte den Verdacht, dass Schlund bewusst Tiere überfuhr, konnte es aber nicht beweisen. Schlunds Prius war vorne mit einer Art Keuschheitsgürtel aufgemotzt. Scharfe, zehn Zentimeter lange Stachel. Igelchen hatte Schlund den Wagen getauft. Igitt oder Totjota nannten die Road Kill-Angestellten das blutrot lackierte Gefährt.
Die Ritterrüstung kniff. Seit Justus Hirschgiebel für Road Kill arbeitete, ein Restaurant mit All U can't it-Schild über der Tür, nahm der Freiburger Jurastudent beständig zu. Elf Kilo insgesamt. Als wärst du schwanger, hatte Ulli ihm beim Schlussmachen erklärt. Ulli hatte gleich eine Beziehung mit Justus' WG-Freund Alonso angefangen. Ausgerechnet Alonso, für den das Wort "Dusche" nur einmal in der Woche existierte und der - als geborener Dortmunder - Fan des RB Leipzig war. Die Bedienung in Ritterrüstungen zu stecken, das war Britta Klausners Idee gewesen, die zusammen mit ihrem Ex-Mann, Torben Schlund, das Road Kill betrieb. Ein genialer Schachzug. Justus hegte den Verdacht, dass Schlund bewusst Tiere überfuhr, konnte es aber nicht beweisen. Schlunds Prius war vorne mit einer Art Keuschheitsgürtel aufgemotzt. Scharfe, zehn Zentimeter lange Stachel. Igelchen hatte Schlund den Wagen getauft. Igitt oder Totjota nannten die Road Kill-Angestellten das blutrot lackierte Gefährt.
256
X45tZu hing nicht übermäßig an ihrer Umlaufbahn. Sie langweilte sich. Die Dreckssymbiose mit den Milliarden interessierte sie nicht im Geringstens. Um Littlemoo und Middlemoo, ihre Begleiter wider Willen, tat es ihr da schon eher leid. Littlemoo hatte erst kürzlich beim Einschlag eines formidablen Irrläufers einen Großteil ihres Wassers verloren. Sie heult, hatte X45tZu gedacht, als das gefrorene Meer am Südpol aufgeplatzt war und gigantische Tränen ins All geschleudert worden waren. Das Gefühl schrecklicher Sinnlosigkeit überfiel X45tZu. Mut, dachte sie, nur Mut, wenn ich mich jetzt nicht löse, wird das nie was. Die Zeiten waren günstig wie nie. Das Doppelgestirn hatte gerade besseres zu tun, als sich um X45tZus Stimmungsschwankungen zu kümmern. Die Anziehungskraft Sos ließ nach, Nne sprühte dagegen vor Energie. Die Kabale und Liebe versprach unruhige Zeiten. Nicht zu schweigen vom Schwarzen Loch, um dessen Aufmerksamkeit das Doppelgestirn seit Ewigkeiten buhlte. X45tZu hatte irrsinnige Lust auf eine Partie Billiard.
X45tZu hing nicht übermäßig an ihrer Umlaufbahn. Sie langweilte sich. Die Dreckssymbiose mit den Milliarden interessierte sie nicht im Geringstens. Um Littlemoo und Middlemoo, ihre Begleiter wider Willen, tat es ihr da schon eher leid. Littlemoo hatte erst kürzlich beim Einschlag eines formidablen Irrläufers einen Großteil ihres Wassers verloren. Sie heult, hatte X45tZu gedacht, als das gefrorene Meer am Südpol aufgeplatzt war und gigantische Tränen ins All geschleudert worden waren. Das Gefühl schrecklicher Sinnlosigkeit überfiel X45tZu. Mut, dachte sie, nur Mut, wenn ich mich jetzt nicht löse, wird das nie was. Die Zeiten waren günstig wie nie. Das Doppelgestirn hatte gerade besseres zu tun, als sich um X45tZus Stimmungsschwankungen zu kümmern. Die Anziehungskraft Sos ließ nach, Nne sprühte dagegen vor Energie. Die Kabale und Liebe versprach unruhige Zeiten. Nicht zu schweigen vom Schwarzen Loch, um dessen Aufmerksamkeit das Doppelgestirn seit Ewigkeiten buhlte. X45tZu hatte irrsinnige Lust auf eine Partie Billiard.
256
Was wirklich passiert ist, dazu kommen wir später. Zuerst müssen wir uns darüber klar werden, was n i c h t passiert ist. Clyde liebt Ralf n i c h t. Ralf liebt w e d e r Anton n o c h Ann-Kathrin, die zweieiigen Zwillinge, die Ralf mit Clyde im Rausch vor dreizehn Jahren gezeugt hat. Josef Paul, Clydes Vater, ein international erfolgreicher Architekt, hat n i c h t Frank O in der Tiefgarage des neuen Amsterdamer Museums einmauern lassen, obwohl Josef Paul, dessen Geliebte, Ann-Marie, eine Stargeigerin, von Frank O ein Kind erwartet, obwohl Josef Paul das, vor Zeugen, auf der Biennale in Venedig Frank O lautstark angedroht hat. Frank Os Kommentar, du kannst ja nicht mal ne Hundehütte bauen, geschweige denn ne Tiefgarage, exisitert n i c h t als Handyvideo, weil Ann-Marie Josef Pauls Smartphone - angeblich ausversehen - in die Lagune geworfen hat.
Was wirklich passiert ist, dazu kommen wir später. Zuerst müssen wir uns darüber klar werden, was n i c h t passiert ist. Clyde liebt Ralf n i c h t. Ralf liebt w e d e r Anton n o c h Ann-Kathrin, die zweieiigen Zwillinge, die Ralf mit Clyde im Rausch vor dreizehn Jahren gezeugt hat. Josef Paul, Clydes Vater, ein international erfolgreicher Architekt, hat n i c h t Frank O in der Tiefgarage des neuen Amsterdamer Museums einmauern lassen, obwohl Josef Paul, dessen Geliebte, Ann-Marie, eine Stargeigerin, von Frank O ein Kind erwartet, obwohl Josef Paul das, vor Zeugen, auf der Biennale in Venedig Frank O lautstark angedroht hat. Frank Os Kommentar, du kannst ja nicht mal ne Hundehütte bauen, geschweige denn ne Tiefgarage, exisitert n i c h t als Handyvideo, weil Ann-Marie Josef Pauls Smartphone - angeblich ausversehen - in die Lagune geworfen hat.
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Sie trug Gesundheitssandalen. Bei minus zwei Grad. Mitte dreißig. Halstuch um den Kopf geschlungen. Riesenrucksack. Stand auf der Torstraße. Auf den Tramgleisen. Schrie, your mother is a fucking cunt, bent over and get fucked. Der pensionierte Oberstudienrat, seinen Dackel früh am Morgen ausführend, lüftete den Hut. Frohe Ostern, sagte er zu ihr. Fuck yourself, sagte sie, and your dog. Rilke, so hieß der Oberstudienrat, überlegte kurz, ob das, in seinem Alter, eine Option war. Eine Hand wichst die andere, sagte er, der in seiner Jugend Konrad Bayer geliebt hatte, schließlich. Sie öffnete ihren Reißverschluss, kniete nieder und pullerte auf die Schienen. Der dunkelgelbe Saft dampfte. Sie sollten mehr trinken, sagte Rilke. That's definetly not my problem, sagte sie.
Sie trug Gesundheitssandalen. Bei minus zwei Grad. Mitte dreißig. Halstuch um den Kopf geschlungen. Riesenrucksack. Stand auf der Torstraße. Auf den Tramgleisen. Schrie, your mother is a fucking cunt, bent over and get fucked. Der pensionierte Oberstudienrat, seinen Dackel früh am Morgen ausführend, lüftete den Hut. Frohe Ostern, sagte er zu ihr. Fuck yourself, sagte sie, and your dog. Rilke, so hieß der Oberstudienrat, überlegte kurz, ob das, in seinem Alter, eine Option war. Eine Hand wichst die andere, sagte er, der in seiner Jugend Konrad Bayer geliebt hatte, schließlich. Sie öffnete ihren Reißverschluss, kniete nieder und pullerte auf die Schienen. Der dunkelgelbe Saft dampfte. Sie sollten mehr trinken, sagte Rilke. That's definetly not my problem, sagte sie.
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Das Nashorn mochte den Film nicht. Norwegische Arthouse-Streifen mit franzöischen Untertiteln hatte es noch nie goutiert. Was hat sich Elvira dabei nur gedacht, fragte sich das Nashorn, als es, gebrannte Mandeln naschend, auf die Straße trat. Delphi Fimtheater stand in riesigen Neonlettern auf dem Flachdach. Früher war das Schild mal beleuchtet gewesen. Stars aus der ganzen Welt waren gekommen, um sich im Delphi bejubeln zu lassen. Nashorns Großmutter schwärmte immer noch von der Garbo. Heute liefen hier in Dauerschleife billigste Nashorny Streifen. Nur am Wochende zeigte man anspruchvolleres Kino, um die Lizenz nicht zu verlieren. Die meisten Lügen haben Methode, dachte das Nashorn, die Politik des Staates macht auch im Privaten nicht Halt. Es warf die leere Mandeltüte weg und kratzte sich unterm Bauch. Mal sehen, was ging. Es kicherte, als ihm einfiel, wie genervt Elvira über seine ständigen Kommentare gewesen war. Vielleicht ist Elvira nicht die Richtige, dachte das Nashorn, auf der anderen Seite liebe ich sie.
Das Nashorn mochte den Film nicht. Norwegische Arthouse-Streifen mit franzöischen Untertiteln hatte es noch nie goutiert. Was hat sich Elvira dabei nur gedacht, fragte sich das Nashorn, als es, gebrannte Mandeln naschend, auf die Straße trat. Delphi Fimtheater stand in riesigen Neonlettern auf dem Flachdach. Früher war das Schild mal beleuchtet gewesen. Stars aus der ganzen Welt waren gekommen, um sich im Delphi bejubeln zu lassen. Nashorns Großmutter schwärmte immer noch von der Garbo. Heute liefen hier in Dauerschleife billigste Nashorny Streifen. Nur am Wochende zeigte man anspruchvolleres Kino, um die Lizenz nicht zu verlieren. Die meisten Lügen haben Methode, dachte das Nashorn, die Politik des Staates macht auch im Privaten nicht Halt. Es warf die leere Mandeltüte weg und kratzte sich unterm Bauch. Mal sehen, was ging. Es kicherte, als ihm einfiel, wie genervt Elvira über seine ständigen Kommentare gewesen war. Vielleicht ist Elvira nicht die Richtige, dachte das Nashorn, auf der anderen Seite liebe ich sie.
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Ob er sich auf die Lügen verlassen konnte? Tief saßen sie in ihm, saßen um das Lagerfeuer der Wahrheit, das fast niedergebrannt war. Wer an der Spitze einer Partei stand, musste ruchlos sein. Oben musst du Steine melken können. Rücksicht war was für lausige Weicheier. Und das war er nun echt nicht, ein lausiges Weichei. Du bist so hart gekocht, dass ich nicht mehr weiß, mit wem ich eigentlich verheiratet bin, hatte Gerry, seine Partnerin und Cousine, erst gestern zu ihm gesagt. Im Laufe der Jahrzehnte hatten sich ihre Gesichtszüge angenähert. Gerry sah aus wie er, er sah aus wie Gerry. Manchmal, wenn er zu erschöpft oder zu verkatert gewesen war, hatte er Gerry, die genauso groß wie er war, in einen der schnieken Brionis gesteckt und auf Termine geschickt. Er lachte. Sie hatte vor drei Wochen sogar die Kabinettssitzung zu den Trident-Booten geleitet. Gerry besaß, was ihm komplett abging, Humor. A british submarine will kill you quickly. A scottish woman takes her time. Die Minister sollen auf dem Boden gelegen haben. Einige sollen gejapst haben. Clegg soll sich brüllend die Hose nass gemacht haben. Widerlicher Typ. Er hatte Gerry verboten, jemals wieder Witze als sein Alter Ego zu erzählen. Andererseits - heute Abend, während der TV-Debatte, wäre ein wenig Komik nicht schlecht. Menschlich soll er sein, sympathisch 'rüberkommen. Seine Berater hatten gut reden. Fuck fuck fuck. Okay. Er ließ sich von Angela, die auf ihm saß und routiniert stöhnte, das Handy reichen und wählte Gerrys Nummer.
Ob er sich auf die Lügen verlassen konnte? Tief saßen sie in ihm, saßen um das Lagerfeuer der Wahrheit, das fast niedergebrannt war. Wer an der Spitze einer Partei stand, musste ruchlos sein. Oben musst du Steine melken können. Rücksicht war was für lausige Weicheier. Und das war er nun echt nicht, ein lausiges Weichei. Du bist so hart gekocht, dass ich nicht mehr weiß, mit wem ich eigentlich verheiratet bin, hatte Gerry, seine Partnerin und Cousine, erst gestern zu ihm gesagt. Im Laufe der Jahrzehnte hatten sich ihre Gesichtszüge angenähert. Gerry sah aus wie er, er sah aus wie Gerry. Manchmal, wenn er zu erschöpft oder zu verkatert gewesen war, hatte er Gerry, die genauso groß wie er war, in einen der schnieken Brionis gesteckt und auf Termine geschickt. Er lachte. Sie hatte vor drei Wochen sogar die Kabinettssitzung zu den Trident-Booten geleitet. Gerry besaß, was ihm komplett abging, Humor. A british submarine will kill you quickly. A scottish woman takes her time. Die Minister sollen auf dem Boden gelegen haben. Einige sollen gejapst haben. Clegg soll sich brüllend die Hose nass gemacht haben. Widerlicher Typ. Er hatte Gerry verboten, jemals wieder Witze als sein Alter Ego zu erzählen. Andererseits - heute Abend, während der TV-Debatte, wäre ein wenig Komik nicht schlecht. Menschlich soll er sein, sympathisch 'rüberkommen. Seine Berater hatten gut reden. Fuck fuck fuck. Okay. Er ließ sich von Angela, die auf ihm saß und routiniert stöhnte, das Handy reichen und wählte Gerrys Nummer.
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Im Sinne der Anklage? Ob sie sich nicht schäme? Lauter unschuldige Schutzbefohlene? Das Lachen der Grundschullehrerin, die von drei Polizisten im Schwitzkasten gehalten wurde, klang wie ein verstopfter Strohhalm. Schutzbefohlene? Nichts als verzogene, verpimpelte Monster. Gregor, der breitschultrige Beamte, der sie von hinten röchelnd umschlang, war vor 23 Jahren ihr Schüler gewesen. Ein hässlicher Junge. Heute wie damals. Er roch aus dem Rachen. Wie früher. Nach Hackepeter. Auch wie früher. Die Kindheit ist in neun von zehn Fällen die Heimat schlechter Angewohnheiten, dachte sie. Gregors Vater besaß eine Rossschlachterei im nächsten Dorf. Wenn der schwere Mann zum Elternabend gekommen war, hatte er ihr stets Frankfurter oder Thüringer mitgebracht. Aus Fohlenfleisch. Ein Bisschen Zärtlichkeit. Gregors Vater hielt sich für einen Dichter, weil er 1963 in der Herbstausgabe der vrmeddzga, der Zeitschrift der schwäbischen Fleischerinnung, einen Leserbrief veröffentlicht hatte, in dem der Reim Ross kross eine zentrale Rolle gespielt hatte. Die Grundschullehrerin grinste. Ross kross. Krass Hass. Nach der Unterredung hatte ihr Gregors Vater, auf dem Weg zum Ausgang, stets sein ganz persönliches Würstchen angeboten, was sie allzeit dankend abgelehnt hatte. Gregors Mutter war nie zur Sprechstunde gekommen. Es hieß, sie litte an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Ob sie noch lebt?, fragte sich die Grundschullehrerin, ob CJK vererbbar war? Sie wendete den Kopf und biss Gregor in die blubbernde Halsschlagader.
Im Sinne der Anklage? Ob sie sich nicht schäme? Lauter unschuldige Schutzbefohlene? Das Lachen der Grundschullehrerin, die von drei Polizisten im Schwitzkasten gehalten wurde, klang wie ein verstopfter Strohhalm. Schutzbefohlene? Nichts als verzogene, verpimpelte Monster. Gregor, der breitschultrige Beamte, der sie von hinten röchelnd umschlang, war vor 23 Jahren ihr Schüler gewesen. Ein hässlicher Junge. Heute wie damals. Er roch aus dem Rachen. Wie früher. Nach Hackepeter. Auch wie früher. Die Kindheit ist in neun von zehn Fällen die Heimat schlechter Angewohnheiten, dachte sie. Gregors Vater besaß eine Rossschlachterei im nächsten Dorf. Wenn der schwere Mann zum Elternabend gekommen war, hatte er ihr stets Frankfurter oder Thüringer mitgebracht. Aus Fohlenfleisch. Ein Bisschen Zärtlichkeit. Gregors Vater hielt sich für einen Dichter, weil er 1963 in der Herbstausgabe der vrmeddzga, der Zeitschrift der schwäbischen Fleischerinnung, einen Leserbrief veröffentlicht hatte, in dem der Reim Ross kross eine zentrale Rolle gespielt hatte. Die Grundschullehrerin grinste. Ross kross. Krass Hass. Nach der Unterredung hatte ihr Gregors Vater, auf dem Weg zum Ausgang, stets sein ganz persönliches Würstchen angeboten, was sie allzeit dankend abgelehnt hatte. Gregors Mutter war nie zur Sprechstunde gekommen. Es hieß, sie litte an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Ob sie noch lebt?, fragte sich die Grundschullehrerin, ob CJK vererbbar war? Sie wendete den Kopf und biss Gregor in die blubbernde Halsschlagader.
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Hanne Geldern, Lores Nanny, strich der Vierzehnjährigen, Charlotte Niemand, die roten Haare aus der von Mitessern übersäten Stirn. Geldern hatte das dürre Mädchen vor drei Wochen auf offener Straße angesprochen und sich als Modelscout vorgestellt. Verständlicherweise hatte sich die Hochaufgeschossene, Charlotte maß, barfuß, 1,78 Meter, geschmeichelt gefühlt und, für einen entscheidenden Moment, die Warnungen ihrer Mutter vergessen. Nette Nudge-Niemand arbeitete als Oberärztin in der Kinder- und Jugendlichenpsychatrie in Haar; sie war tief gläubig; sie glaubte an das Böse im Menschen, an die Bestie, die sich hinter der Maske der Güte verbarg. Wer dich anlacht, hatte Nette Nudge-Niemand bereits die drei Jahre alte Charlotte vor der Einschulung in den Kindergarten gewarnt, wer dich anlacht, macht sich über dich lustig. Unvernünftige Liebe, hatte sie dann hinzugefügt, illusionslose Liebe erlaube sich nur, wer im Leben nichts zu verlieren habe. Jedes Lächeln sei eine Rechnung, die es - schneller als erwartet - zu begleichen gelte.
Hanne Geldern, Lores Nanny, strich der Vierzehnjährigen, Charlotte Niemand, die roten Haare aus der von Mitessern übersäten Stirn. Geldern hatte das dürre Mädchen vor drei Wochen auf offener Straße angesprochen und sich als Modelscout vorgestellt. Verständlicherweise hatte sich die Hochaufgeschossene, Charlotte maß, barfuß, 1,78 Meter, geschmeichelt gefühlt und, für einen entscheidenden Moment, die Warnungen ihrer Mutter vergessen. Nette Nudge-Niemand arbeitete als Oberärztin in der Kinder- und Jugendlichenpsychatrie in Haar; sie war tief gläubig; sie glaubte an das Böse im Menschen, an die Bestie, die sich hinter der Maske der Güte verbarg. Wer dich anlacht, hatte Nette Nudge-Niemand bereits die drei Jahre alte Charlotte vor der Einschulung in den Kindergarten gewarnt, wer dich anlacht, macht sich über dich lustig. Unvernünftige Liebe, hatte sie dann hinzugefügt, illusionslose Liebe erlaube sich nur, wer im Leben nichts zu verlieren habe. Jedes Lächeln sei eine Rechnung, die es - schneller als erwartet - zu begleichen gelte.
262
Das mit dem Stoßen hatte sich so ergeben. Zwar war er unterdurchschnittlich groß, sein Skelett dafür aber ungewöhnlich robust. Wo sich Männer mit normalen Knochen schwere Brüche zugezogen hätten, sagen wir: beim Fall von einer vier Meter hohen Mauer, stand er nur auf und wischte sich den Staub von der Anzughose. Er trug stets Anzug. Schwarz, von der Stange. Dazu ein weißes Hemd, weit aufgeknöpft, so dass man seine Brusthaare sehen konnte. Die dichte Behaarung am ganzen Körper, er rasierte sich jeden zweiten Tag die Fingerknochen, hörte schlagartig über dem Kehlkopf auf. Er besaß weder Wimpern noch Augenbrauen und, selbstverständlich, kein einziges Haar auf dem von winzigen Pockennarben übersäten Schädel. Die Narben sahen wie ziselierte Stiche aus. Als wäre er in einen Wespenschwarm geraten. Seine Augen standen soweit auseinander, dass man, auf den ersten Blick, das Gefühl hatte, sie befänden sich neben den Ohren. Das Furchterregenste an ihm stellten die Zähne dar. Sie waren durchweg bis zum Zahnfleisch abgekaut und bluteten unvermittelt. Die roten Rinnsale traten aus den Mundwinkeln aus und flossen dann, ungehindert, ins offene Hemd. Doch zurück zum Stoßen, seiner Spezialität, die ich, seine Auftraggeberin, einige Wochen, aus unterschiedlichen Gründen, geschätzt und gefördert hatte.
Das mit dem Stoßen hatte sich so ergeben. Zwar war er unterdurchschnittlich groß, sein Skelett dafür aber ungewöhnlich robust. Wo sich Männer mit normalen Knochen schwere Brüche zugezogen hätten, sagen wir: beim Fall von einer vier Meter hohen Mauer, stand er nur auf und wischte sich den Staub von der Anzughose. Er trug stets Anzug. Schwarz, von der Stange. Dazu ein weißes Hemd, weit aufgeknöpft, so dass man seine Brusthaare sehen konnte. Die dichte Behaarung am ganzen Körper, er rasierte sich jeden zweiten Tag die Fingerknochen, hörte schlagartig über dem Kehlkopf auf. Er besaß weder Wimpern noch Augenbrauen und, selbstverständlich, kein einziges Haar auf dem von winzigen Pockennarben übersäten Schädel. Die Narben sahen wie ziselierte Stiche aus. Als wäre er in einen Wespenschwarm geraten. Seine Augen standen soweit auseinander, dass man, auf den ersten Blick, das Gefühl hatte, sie befänden sich neben den Ohren. Das Furchterregenste an ihm stellten die Zähne dar. Sie waren durchweg bis zum Zahnfleisch abgekaut und bluteten unvermittelt. Die roten Rinnsale traten aus den Mundwinkeln aus und flossen dann, ungehindert, ins offene Hemd. Doch zurück zum Stoßen, seiner Spezialität, die ich, seine Auftraggeberin, einige Wochen, aus unterschiedlichen Gründen, geschätzt und gefördert hatte.
263
Frauke Bartholdy?
Ja? Sie schob sich die Sonnenbrille ins Gesicht.
Ich habe eine Nachricht füt sie. Der Mann, dessen Gesicht problemlos einen Habicht geschmückt hätte, trat an den Gartenzaun. Seine ehemals teuren Schuhe hatten an den Seiten Löcher, die wie Schießscharten aussahen. Überhaupt strahlte er eine heruntergekommene Eleganz aus, die sie aus französischen Filmen kannte. Truffaut, Rohmer, Godard. À bout de souffle.
Sie sind außer Atem. Wo ist ihr Wagen? Wie sind Sie unterwegs? Die Anwältin ließ den Schlauch sinken. Nur keine Panik, dachte sie, die Stimme muss ruhig bleiben. Diesen Sommer hatte es kaum geregnet, und Helmuth, der an sich für das Gießen zuständig war, hatte einen Wettbewerb in Peking gewonnen, war also kaum daheim. Sie vermisste ihn. Aber nicht so sehr, wie sie es erwartet hatte.
Ich gehe gerne zu Fuß, sagte der Mann. Oder fliege. Das Fliegen ist meine Leidenschaft. Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Der Mann tat so, als spielte er eine Gitarre.
Er singt allen Ernstes Reinhard May, dachte sie. Von wem ist die Nachricht? Sie hob die Heckenschere auf und löste den Sicherheitsverschluss.
Der Habicht schüttelte die Flügel. Als ob er gleich starten wollte, so sah es aus. Das muss ich Ihnen nicht wirklich sagen, oder? Er krümmte sich, lachte aber nicht, sondern schluckte das Gackern, mit viel Mühe, er hielt sich dabei den Magen, hinunter.
Frauke Bartholdy griff mit der Linken - in der Rechten hielt sie die scharfe Schere - nach dem Handy. Mist, dachte sie, es lag im Schuppen, auf dem Rasenmäher. Sie und die Arnolds, die unten an der Flussbiegung wohnten, hatten vereinbart, sich gegenseitig anzurufen, falls es mal brenzlig werden sollte. Das nächste Dorf war fünf, die nächste Kleinstadt, in der es eine Polizeistation gab, elf Kilometer entfernt.
Das Gefieder des Habichts leuchtete. Das Abendlicht machte ihn jünger.
Ein schöner Vogel, dachte sie.
Frauke Bartholdy?
Ja? Sie schob sich die Sonnenbrille ins Gesicht.
Ich habe eine Nachricht füt sie. Der Mann, dessen Gesicht problemlos einen Habicht geschmückt hätte, trat an den Gartenzaun. Seine ehemals teuren Schuhe hatten an den Seiten Löcher, die wie Schießscharten aussahen. Überhaupt strahlte er eine heruntergekommene Eleganz aus, die sie aus französischen Filmen kannte. Truffaut, Rohmer, Godard. À bout de souffle.
Sie sind außer Atem. Wo ist ihr Wagen? Wie sind Sie unterwegs? Die Anwältin ließ den Schlauch sinken. Nur keine Panik, dachte sie, die Stimme muss ruhig bleiben. Diesen Sommer hatte es kaum geregnet, und Helmuth, der an sich für das Gießen zuständig war, hatte einen Wettbewerb in Peking gewonnen, war also kaum daheim. Sie vermisste ihn. Aber nicht so sehr, wie sie es erwartet hatte.
Ich gehe gerne zu Fuß, sagte der Mann. Oder fliege. Das Fliegen ist meine Leidenschaft. Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Der Mann tat so, als spielte er eine Gitarre.
Er singt allen Ernstes Reinhard May, dachte sie. Von wem ist die Nachricht? Sie hob die Heckenschere auf und löste den Sicherheitsverschluss.
Der Habicht schüttelte die Flügel. Als ob er gleich starten wollte, so sah es aus. Das muss ich Ihnen nicht wirklich sagen, oder? Er krümmte sich, lachte aber nicht, sondern schluckte das Gackern, mit viel Mühe, er hielt sich dabei den Magen, hinunter.
Frauke Bartholdy griff mit der Linken - in der Rechten hielt sie die scharfe Schere - nach dem Handy. Mist, dachte sie, es lag im Schuppen, auf dem Rasenmäher. Sie und die Arnolds, die unten an der Flussbiegung wohnten, hatten vereinbart, sich gegenseitig anzurufen, falls es mal brenzlig werden sollte. Das nächste Dorf war fünf, die nächste Kleinstadt, in der es eine Polizeistation gab, elf Kilometer entfernt.
Das Gefieder des Habichts leuchtete. Das Abendlicht machte ihn jünger.
Ein schöner Vogel, dachte sie.
264
Eine Kolonie. Elf Menschen. Der Zwölfte spielt einen Film. Flüchtlingsunglücke auf dem Mittelmeer - was Europa tun kann. Wasser wird projiziert. Leute, die rudern. Leute, die ertrinken. Was ist Europa? fragt Helge. Crana, der Helges Anhänglichkeit auf die Nerven geht, schubst Helge auf den Seelenverkäufer. Die Neun lachen. Du Maverick, sagt Fiete, der seit der Landung hinter Crana her ist. Mutterloses Kälbchen? fragt die Weise, von der es heißt, sie hätte nicht nur die Inseln, sondern auch Crana und Helge erschaffen. Die Neun lachen. Helge klopft gegen die Ratina des Zwölften. Ihm steht das Wasser bis zum Hals. Eine Frau, mit wunderschönen Zähnen, zerrt an Helge und reißt ihm die Rettungsweste vom Rücken. Ein Mann springt ins Bild, schlägt der Frau die Vorderzähne ein und nimmt sich die Rettungsweste. Rasta wendet sich ab, er hasst Gewalt, öffnet ein Gate, greift nach nach der frischen Baumwolle, spinnt die nächste Geschichte.
Keine Kolonie. 5017 Ameisen. Ein erlegter Bär. Der Zwölfte spielt ein Stück. Vielfalt in Unternehmen - wer diskriminiert, verliert. Rosa-Luxemburg-Platz. Keiner ist nackt. Helge lacht und hängt an Cranas Lippen.
Eine Kolonie. Elf Menschen. Der Zwölfte spielt einen Film. Flüchtlingsunglücke auf dem Mittelmeer - was Europa tun kann. Wasser wird projiziert. Leute, die rudern. Leute, die ertrinken. Was ist Europa? fragt Helge. Crana, der Helges Anhänglichkeit auf die Nerven geht, schubst Helge auf den Seelenverkäufer. Die Neun lachen. Du Maverick, sagt Fiete, der seit der Landung hinter Crana her ist. Mutterloses Kälbchen? fragt die Weise, von der es heißt, sie hätte nicht nur die Inseln, sondern auch Crana und Helge erschaffen. Die Neun lachen. Helge klopft gegen die Ratina des Zwölften. Ihm steht das Wasser bis zum Hals. Eine Frau, mit wunderschönen Zähnen, zerrt an Helge und reißt ihm die Rettungsweste vom Rücken. Ein Mann springt ins Bild, schlägt der Frau die Vorderzähne ein und nimmt sich die Rettungsweste. Rasta wendet sich ab, er hasst Gewalt, öffnet ein Gate, greift nach nach der frischen Baumwolle, spinnt die nächste Geschichte.
Keine Kolonie. 5017 Ameisen. Ein erlegter Bär. Der Zwölfte spielt ein Stück. Vielfalt in Unternehmen - wer diskriminiert, verliert. Rosa-Luxemburg-Platz. Keiner ist nackt. Helge lacht und hängt an Cranas Lippen.
265
∑ Henry, 26, blond, schwarz, rot, je nach Körperregion, sah sich nicht als Friseur. Skulpturen, sagte er, wenn er gefragt wurde, was er denn so mache. Und er meinte nicht, anders als Heino, 32, grau, blau, lila, Henrys größter Feind im und außerhalb des Ladens, die waghalsigen Schnitte, zu denen er neigte. Sie wollen's anders? Wenn CutCrew das exaltierte Lachen der agilen Rezeptionistin, Heidi, 47, fleischmützig, grün, rot, hörte, war allen, schwupps-die-pups, klar, dass Henry ran durfte. Ran musste. "Magier" nannten sie ihn. Wobei die Betonung auf Gier lag. Er kannte keine Tabus, aber das wär eine andere Geschichte, die ich das nächste Mal erzählen will, versprochen. ∑ Wer ich bin? Schuldigung, ich vergess immer, dass es noch Leute gibt, die altnerdisch meine Texte lesen, hallo Tante Gloria!, anstatt den selbst auf der NY-Times-Site gelobten SoSoSocialite-KillYourDarlings-Podcast zu gucken, wo ihr mich eh seht. Da ist die Narrationsebene gleich klar. Betonung auf Narr. Haha. ∑ Crime of consciousness. ∑ Blut ist das Neue Schwarz. ∑ Das Zeichen mach ich immer, wenn ich zurück zur Geschichte will, nicht wundern. ∑ Henry hatte seit drei Jahren jedes lucky abgeschnitte Haar gesammelt. Diligent. Ein Fleißbär. Darf der Sachkundelehrerin, Frieda, 38, blond, rasiert, rasiert, die Karten tragen und das Klassenbuch verführen. Dirty Henry, du Schlingel. Daheim, in der Großen Hamburger, klebte er den Kram an die Wände seiner Wohnküche. Haar auf Haar. Sauarbeit. Schwitters, sagte er, wenn ihn Leute besuchten und fragten, was das denn bitte solle. Mehr nicht. Schwitters.
∑ Henry, 26, blond, schwarz, rot, je nach Körperregion, sah sich nicht als Friseur. Skulpturen, sagte er, wenn er gefragt wurde, was er denn so mache. Und er meinte nicht, anders als Heino, 32, grau, blau, lila, Henrys größter Feind im und außerhalb des Ladens, die waghalsigen Schnitte, zu denen er neigte. Sie wollen's anders? Wenn CutCrew das exaltierte Lachen der agilen Rezeptionistin, Heidi, 47, fleischmützig, grün, rot, hörte, war allen, schwupps-die-pups, klar, dass Henry ran durfte. Ran musste. "Magier" nannten sie ihn. Wobei die Betonung auf Gier lag. Er kannte keine Tabus, aber das wär eine andere Geschichte, die ich das nächste Mal erzählen will, versprochen. ∑ Wer ich bin? Schuldigung, ich vergess immer, dass es noch Leute gibt, die altnerdisch meine Texte lesen, hallo Tante Gloria!, anstatt den selbst auf der NY-Times-Site gelobten SoSoSocialite-KillYourDarlings-Podcast zu gucken, wo ihr mich eh seht. Da ist die Narrationsebene gleich klar. Betonung auf Narr. Haha. ∑ Crime of consciousness. ∑ Blut ist das Neue Schwarz. ∑ Das Zeichen mach ich immer, wenn ich zurück zur Geschichte will, nicht wundern. ∑ Henry hatte seit drei Jahren jedes lucky abgeschnitte Haar gesammelt. Diligent. Ein Fleißbär. Darf der Sachkundelehrerin, Frieda, 38, blond, rasiert, rasiert, die Karten tragen und das Klassenbuch verführen. Dirty Henry, du Schlingel. Daheim, in der Großen Hamburger, klebte er den Kram an die Wände seiner Wohnküche. Haar auf Haar. Sauarbeit. Schwitters, sagte er, wenn ihn Leute besuchten und fragten, was das denn bitte solle. Mehr nicht. Schwitters.
266
Ich lüge nur, wenn ich nicht muss.
Ich lüge nur, wenn ich nicht muss.
267
Unangepasstsein ist der Maßanzug des wahren Menschen, sagte sie.
Schlafentzug, kein Wasser, nichts zu essen, Licht an, dröhnende Musik, sagte er und ging.
Unangepasstsein ist der Maßanzug des wahren Menschen, sagte sie.
Schlafentzug, kein Wasser, nichts zu essen, Licht an, dröhnende Musik, sagte er und ging.
268
Am Hafen saßen drei Matrosen. In, auch das, zerschlissenen Unterhosen. Und gosen Schnaps in die Münder der Mädchen, die an ihnen hingen, sanftkosende Kletten. Oder was sie Schnaps nannten. Die brannten. Vor Liebe, die Dünnste, zaubergeschrubbt von der darbenden Tante, die dick am Damm stand, keine Echte, die Tante, in der Dämmerung, und wehmütig 两 只蝴蝶 sang. Ein Song von zwei mürben Schmetterlingen. Die brannten, die Münder der Mädchen. Vor Schlauheit, die Zweite, ein Kind so stark wie ein Rind, aus Japan, gefüttert mit Sake. Schreibt man gosen nicht mit Doppel-S, wollte sie von den Jungen wissen. Der Eine, ein Ire, aus Cork, vielleicht auch aus Derry, breit wie ein alter Stamm, hielt sie fest in den Armen, sah ihr verknallt in die Augen, Wimper an Wimper, so lieb hat er sie gehabt, beinahe wie das Mädchen daheim. Wir sind Matrossen, my Sweetling, haben die Wellen genossen, zu Genüge, trosst me, Sweetling, trosst me, I love you for ever, wenigstens heute Nacht. Wir ankern im warmen Wind, die Luft riecht nach Glück. Die Möven, am Kai, die das hörten, schlosen die Augen, tauchten die Köpfe ins Gefieder und träumten.
Am Hafen saßen drei Matrosen. In, auch das, zerschlissenen Unterhosen. Und gosen Schnaps in die Münder der Mädchen, die an ihnen hingen, sanftkosende Kletten. Oder was sie Schnaps nannten. Die brannten. Vor Liebe, die Dünnste, zaubergeschrubbt von der darbenden Tante, die dick am Damm stand, keine Echte, die Tante, in der Dämmerung, und wehmütig 两 只蝴蝶 sang. Ein Song von zwei mürben Schmetterlingen. Die brannten, die Münder der Mädchen. Vor Schlauheit, die Zweite, ein Kind so stark wie ein Rind, aus Japan, gefüttert mit Sake. Schreibt man gosen nicht mit Doppel-S, wollte sie von den Jungen wissen. Der Eine, ein Ire, aus Cork, vielleicht auch aus Derry, breit wie ein alter Stamm, hielt sie fest in den Armen, sah ihr verknallt in die Augen, Wimper an Wimper, so lieb hat er sie gehabt, beinahe wie das Mädchen daheim. Wir sind Matrossen, my Sweetling, haben die Wellen genossen, zu Genüge, trosst me, Sweetling, trosst me, I love you for ever, wenigstens heute Nacht. Wir ankern im warmen Wind, die Luft riecht nach Glück. Die Möven, am Kai, die das hörten, schlosen die Augen, tauchten die Köpfe ins Gefieder und träumten.
269
Der Typ von der Kita steht auf dem Spielplatz. Neben, hinter, vor ihm harren zehn Kinder aus. Totgetobt. Harte Arbeit. Er hatte keine Wahl. Swinemünder Straße. Die schlechte Seite. Im Wedding. Mit dem schönen Vinetaplatz. Alte Parkanlage. Die keiner vom Arkona, Zionskirch oder Teutoburger kennt. Terra incognita. Egal. Vineta soll eine Stadt an der Ostsee gewesen sein. Bei der Sturmflut 1183 untergegangen. Der Kita-Typ arbeit hier, wohnt aber drüben. Sieht auf die Frau mit der Bulldogge. Die wohnt hier, denkt er. Angeleint. Das Viech steht auf dem Grün. Vor dem grauen Block. Busy, denkt er, scheiße. 25, 30 Meter von ihm weg. Mitten in der Stadt. Heh, er hat die Hände am Mund, als spräche er durch eine Flüstertüte, heh! Er winkt der Frau zu. Keine Plastiktüte dabei?
Sie sieht den Typen an. Zögert keine Sekunde. Balgen sind ihr egal. Der pinkelt, schreit sie, soll ich die Pisse auflutschen?
Der Typ denkt kurz nach. Dann benutzt er sein Handy als Kamera.
Die Frau holt ihr Handy aus dem Lederbeutel. Ruft Heinz an, der ihr vorgestern seine Nummer gegeben hat. Im Biermichel.
Der Typ von der Kita steht auf dem Spielplatz. Neben, hinter, vor ihm harren zehn Kinder aus. Totgetobt. Harte Arbeit. Er hatte keine Wahl. Swinemünder Straße. Die schlechte Seite. Im Wedding. Mit dem schönen Vinetaplatz. Alte Parkanlage. Die keiner vom Arkona, Zionskirch oder Teutoburger kennt. Terra incognita. Egal. Vineta soll eine Stadt an der Ostsee gewesen sein. Bei der Sturmflut 1183 untergegangen. Der Kita-Typ arbeit hier, wohnt aber drüben. Sieht auf die Frau mit der Bulldogge. Die wohnt hier, denkt er. Angeleint. Das Viech steht auf dem Grün. Vor dem grauen Block. Busy, denkt er, scheiße. 25, 30 Meter von ihm weg. Mitten in der Stadt. Heh, er hat die Hände am Mund, als spräche er durch eine Flüstertüte, heh! Er winkt der Frau zu. Keine Plastiktüte dabei?
Sie sieht den Typen an. Zögert keine Sekunde. Balgen sind ihr egal. Der pinkelt, schreit sie, soll ich die Pisse auflutschen?
Der Typ denkt kurz nach. Dann benutzt er sein Handy als Kamera.
Die Frau holt ihr Handy aus dem Lederbeutel. Ruft Heinz an, der ihr vorgestern seine Nummer gegeben hat. Im Biermichel.
270
Spuren verwischen! Es wurde schon hell. In Kopenhagen waren die Sommernächte zu kurz. Niemand sollte Schygolla auf die Schliche kommen. Eine Spur sei ein Gedanke, der nicht weit genug gesprungen ist, hatte ihr Chef in der Anti-Korruptions-Gruppe, Oswald Werder, immer betont. Solch ein Ende hat er nicht verdient, dachte Schygolla, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und schob Werder in den Kühlraum. Die Unbestechlichen waren anfangs direkt der Ministerin unterstellt gewesen, bevor der Kanzler eingeschritten war. Seine Wiederwahl stand auf dem Spiel. Die Ministerin trat zurück. Offiziell aus anderen Gründen. Bekam einen Bonus, lebte, unter falschem Namen, in Fort Lauderdale. Schygolla sah sich um. Was für ein Schweinkram. Die Dänen standen doch so auf Sauberkeit. Sie hatte mal einen als Lover gehabt, der es nur unter der Dusche machen konnte. Because of the germs. Was wohl aus Magnus geworden ist? dachte sie. Er hatte ihr einen Antrag gemacht. In einem Dampfbad in Istanbul. Die Reste des Gehirns des russischen Attachés klebten am Wegwerfbesteck. Schygolla steckte sich eine an und legte Feuer. Ihr Flugzeug ging in 90 Minuten. Auf die Antillen.
Spuren verwischen! Es wurde schon hell. In Kopenhagen waren die Sommernächte zu kurz. Niemand sollte Schygolla auf die Schliche kommen. Eine Spur sei ein Gedanke, der nicht weit genug gesprungen ist, hatte ihr Chef in der Anti-Korruptions-Gruppe, Oswald Werder, immer betont. Solch ein Ende hat er nicht verdient, dachte Schygolla, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und schob Werder in den Kühlraum. Die Unbestechlichen waren anfangs direkt der Ministerin unterstellt gewesen, bevor der Kanzler eingeschritten war. Seine Wiederwahl stand auf dem Spiel. Die Ministerin trat zurück. Offiziell aus anderen Gründen. Bekam einen Bonus, lebte, unter falschem Namen, in Fort Lauderdale. Schygolla sah sich um. Was für ein Schweinkram. Die Dänen standen doch so auf Sauberkeit. Sie hatte mal einen als Lover gehabt, der es nur unter der Dusche machen konnte. Because of the germs. Was wohl aus Magnus geworden ist? dachte sie. Er hatte ihr einen Antrag gemacht. In einem Dampfbad in Istanbul. Die Reste des Gehirns des russischen Attachés klebten am Wegwerfbesteck. Schygolla steckte sich eine an und legte Feuer. Ihr Flugzeug ging in 90 Minuten. Auf die Antillen.
271
Wer einen Raub plant, hat ihn schon begangen. Hier setzen wir an. Rücksichtslos. Das Ziel definiert die Mittel.
Sie stand auf.
Das erscheint mir unlogisch. Nur weil mein Kühlschrank voll ist, habe ich noch kein fertiges Mahl.
Sie setzte sich.
Doch. Wenn Sie Fertiggerichte eingekauft haben.
Der Saal lachte.
Sie blieb ruhig, stand auf.
Das ist Logik aus dem Discounter. Ein Verbrechen kann nie durch ein Verbrechen wiedergutgemacht werden, sagt Seneca. Schon gar nicht, wenn es sich um eine nicht begangene Tat handelt.
Sie setzte sich.
Wissen Sie, um bei Ihrem Discounterdiskurs zu bleiben, dass wir, ohne Vorbeugung und Abschreckung, eine AllDie-Gesellschaft wären?
Der Saal klatschte.
Sie stand auf.
Wo immer eine überlegene Klasse vorhanden ist, rührt ein großer Teil der Moral des Landes von ihren Sonderinteressen her und von den Gefühlen der Klassenüberlegenheit, sagt John Stuart Mill. Wir sollten dienen, nicht bedient werden oder uns bedienen.
Sie setzte sich.
Ich las in ihren Feuerblicken nicht eine Silbe von Verrat. Sie schien mit mir sich zu entzücken und sann auf solche schwarze Tat. Der Müllerin Verrat. Goethe.
Der Saal lachte.
Sie stand auf.
Gut. Wie es Ihnen gefällt. Werden wir persönlich. Wenn man kalt ist, so friert man nicht mehr.
Sie winkte ihren jüngeren Schwestern, die ihre Schürzen fallen ließen, die Streaming-Apps anschalteten und die billig erstandenen G36 zückten.
Wer einen Raub plant, hat ihn schon begangen. Hier setzen wir an. Rücksichtslos. Das Ziel definiert die Mittel.
Sie stand auf.
Das erscheint mir unlogisch. Nur weil mein Kühlschrank voll ist, habe ich noch kein fertiges Mahl.
Sie setzte sich.
Doch. Wenn Sie Fertiggerichte eingekauft haben.
Der Saal lachte.
Sie blieb ruhig, stand auf.
Das ist Logik aus dem Discounter. Ein Verbrechen kann nie durch ein Verbrechen wiedergutgemacht werden, sagt Seneca. Schon gar nicht, wenn es sich um eine nicht begangene Tat handelt.
Sie setzte sich.
Wissen Sie, um bei Ihrem Discounterdiskurs zu bleiben, dass wir, ohne Vorbeugung und Abschreckung, eine AllDie-Gesellschaft wären?
Der Saal klatschte.
Sie stand auf.
Wo immer eine überlegene Klasse vorhanden ist, rührt ein großer Teil der Moral des Landes von ihren Sonderinteressen her und von den Gefühlen der Klassenüberlegenheit, sagt John Stuart Mill. Wir sollten dienen, nicht bedient werden oder uns bedienen.
Sie setzte sich.
Ich las in ihren Feuerblicken nicht eine Silbe von Verrat. Sie schien mit mir sich zu entzücken und sann auf solche schwarze Tat. Der Müllerin Verrat. Goethe.
Der Saal lachte.
Sie stand auf.
Gut. Wie es Ihnen gefällt. Werden wir persönlich. Wenn man kalt ist, so friert man nicht mehr.
Sie winkte ihren jüngeren Schwestern, die ihre Schürzen fallen ließen, die Streaming-Apps anschalteten und die billig erstandenen G36 zückten.
272
Trotz des Gewitters schien die Sonne. Durch die Donnerschläge schien der Regenbogen.
Corinna Medwedewjanska saß am offenen Fenster, hielt ihre Hand in den Sturm und träumte. In Minsk, sang sie, hat mich Micha geküsst, auf die Wangen, die Nase, den warmen Mund, in Minsk hat mich Micha an sich gedrückt, an der Ecke, im Garten, im warmen Bett, in Minsk hat mich Micha verlassen, im Streit, im Kino, im Kalten Krieg.
Im Ernstfall - Magnus Badstuber gähnte - drücken Sie hier. Der Zivildienstleistende presste der Greisin die Klingelschnur in die zerbrechliche Faust.
Sehnen so alt, so welk wie die Welt, sagte Corinna Medwedewjanska, die Haut, ungebliebt, zieht sich auf die Knochen zurück, klammert sich an die Elle, das gebrochene Herz. Was uns nicht verlässt? Die Erinnerung an sanftere Tage, der süße Hauch keuchender Leiber, in gestärkte Laken gepresst, das strahlende Schreien und Klammern, wenn der Rausch uns packt, in dornige Watte hüllt.
Er holte eine Zigarette, die in der Schmuckschatulle der Greisin lag, nahm ihr Feuerzeug, auf dem Schlaubühne stand, ein Werbegeschenk, steckte sie an und schob der Medwedewjanska die Zigarette in den Mund.
Sie lächelte, danke, Mischa, stieß den Rauch in den fiebrigen Nachmittag.
Geht es? fragte er.
Nein, sagte sie, in Minsk hat er mich an sich gedrückt, an der Ecke, im Garten, im warmen Bett, in Minsk hat er mich verlassen, im Streit, im Kino ...
... im Kalten Krieg. Magnus Badstuber sah auf die Uhr. Ich muss gehen, Rinnaschkalein.
Ich weiß, Mischa, ich weiß, sagte die Greisin und spuckte, mit ungeahnter Kraft, in den Garten.
Trotz des Gewitters schien die Sonne. Durch die Donnerschläge schien der Regenbogen.
Corinna Medwedewjanska saß am offenen Fenster, hielt ihre Hand in den Sturm und träumte. In Minsk, sang sie, hat mich Micha geküsst, auf die Wangen, die Nase, den warmen Mund, in Minsk hat mich Micha an sich gedrückt, an der Ecke, im Garten, im warmen Bett, in Minsk hat mich Micha verlassen, im Streit, im Kino, im Kalten Krieg.
Im Ernstfall - Magnus Badstuber gähnte - drücken Sie hier. Der Zivildienstleistende presste der Greisin die Klingelschnur in die zerbrechliche Faust.
Sehnen so alt, so welk wie die Welt, sagte Corinna Medwedewjanska, die Haut, ungebliebt, zieht sich auf die Knochen zurück, klammert sich an die Elle, das gebrochene Herz. Was uns nicht verlässt? Die Erinnerung an sanftere Tage, der süße Hauch keuchender Leiber, in gestärkte Laken gepresst, das strahlende Schreien und Klammern, wenn der Rausch uns packt, in dornige Watte hüllt.
Er holte eine Zigarette, die in der Schmuckschatulle der Greisin lag, nahm ihr Feuerzeug, auf dem Schlaubühne stand, ein Werbegeschenk, steckte sie an und schob der Medwedewjanska die Zigarette in den Mund.
Sie lächelte, danke, Mischa, stieß den Rauch in den fiebrigen Nachmittag.
Geht es? fragte er.
Nein, sagte sie, in Minsk hat er mich an sich gedrückt, an der Ecke, im Garten, im warmen Bett, in Minsk hat er mich verlassen, im Streit, im Kino ...
... im Kalten Krieg. Magnus Badstuber sah auf die Uhr. Ich muss gehen, Rinnaschkalein.
Ich weiß, Mischa, ich weiß, sagte die Greisin und spuckte, mit ungeahnter Kraft, in den Garten.
273
Geschlossen blieb die Tür, über Jahrhunderte, erst nach dem Erdbeben, das kam wie der Windstoß in der Flaute, kam aus dem Nichts, leise und laut, verschwand die Erde, das Grün, die Ernte, selbst die, brachte Not und Feuer, gab frei, was besser, für ihn, nicht für sie, niemals entdeckt worden wäre. Im Dorf zählte man die Zeit als zu und offen. Es ist nicht, hieß es nicht so?, dachte er, ihr Kind in den Armen, es ist nicht alles Gold, was glänzt.
Geschlossen blieb die Tür, über Jahrhunderte, erst nach dem Erdbeben, das kam wie der Windstoß in der Flaute, kam aus dem Nichts, leise und laut, verschwand die Erde, das Grün, die Ernte, selbst die, brachte Not und Feuer, gab frei, was besser, für ihn, nicht für sie, niemals entdeckt worden wäre. Im Dorf zählte man die Zeit als zu und offen. Es ist nicht, hieß es nicht so?, dachte er, ihr Kind in den Armen, es ist nicht alles Gold, was glänzt.
274
Kutte, polier. Stift im Mund. Aus Blei. Biss hinein. Schmeckte nach Werkstatt. Ölwechsel. Trink, Kutte! Die Gesellen hatten den Meister gequält. Reifenwechsel hatten sie das Zerschmettern der Beine genannt. Danach blieb die Flucht. Ihm. Vor ihnen. Du schweigst, Kutte! Oder ... Oder was? Oder Hass, hatte Dann gesagt. Oder blass, hatte Gass gesagt. Dann und Dass hielten das Chapter zusammen. Ohne uns heult nichts! Trink, Kutte, hatte Dann gesagt. Gleich, hatte er gesagt, war durchs Kloofenster raus, hatte sich Dass' Schiene genommen. Und weg. Seine Schiene wär zu langsam gewesen. Vespa. Wen willst du denn vögeln, Zwitscherlein?, hatte Dann gefragt, als er mit der Vespa vorgefahren war. Deine Nicki, hatte er fast gesagt, denn von der Nicki war er grad eine halbe Stunde vorher runtergestiegen. Die Nicki hatte ihn mit ihren Dingern belagert, eingeduftet. Egal. Hier am See lags Geld. In der Schatulle des Meisters. Neben der Roadmaria. Pietatata. Dass hattes rausgeprahlt. Sie wussten, dass ers wusste. Hatte fünf Minuten. Höchstens. Fünf Minuten, die alles entscheiden würden. Malle oder Herne. Das Jesuskreuz knackte die Schatulle auf. Na also. Mehr als gedacht. Bali. Oben, an der Straße, spritzte Staub. Er rannte zur Ecke. Ein Irrer. Western im Westen. Wie wars möglich. Er hatte doch noch vier Minuten. Nicki. Holy shit. Aber so wars.
Kutte, polier. Stift im Mund. Aus Blei. Biss hinein. Schmeckte nach Werkstatt. Ölwechsel. Trink, Kutte! Die Gesellen hatten den Meister gequält. Reifenwechsel hatten sie das Zerschmettern der Beine genannt. Danach blieb die Flucht. Ihm. Vor ihnen. Du schweigst, Kutte! Oder ... Oder was? Oder Hass, hatte Dann gesagt. Oder blass, hatte Gass gesagt. Dann und Dass hielten das Chapter zusammen. Ohne uns heult nichts! Trink, Kutte, hatte Dann gesagt. Gleich, hatte er gesagt, war durchs Kloofenster raus, hatte sich Dass' Schiene genommen. Und weg. Seine Schiene wär zu langsam gewesen. Vespa. Wen willst du denn vögeln, Zwitscherlein?, hatte Dann gefragt, als er mit der Vespa vorgefahren war. Deine Nicki, hatte er fast gesagt, denn von der Nicki war er grad eine halbe Stunde vorher runtergestiegen. Die Nicki hatte ihn mit ihren Dingern belagert, eingeduftet. Egal. Hier am See lags Geld. In der Schatulle des Meisters. Neben der Roadmaria. Pietatata. Dass hattes rausgeprahlt. Sie wussten, dass ers wusste. Hatte fünf Minuten. Höchstens. Fünf Minuten, die alles entscheiden würden. Malle oder Herne. Das Jesuskreuz knackte die Schatulle auf. Na also. Mehr als gedacht. Bali. Oben, an der Straße, spritzte Staub. Er rannte zur Ecke. Ein Irrer. Western im Westen. Wie wars möglich. Er hatte doch noch vier Minuten. Nicki. Holy shit. Aber so wars.
275
Ihr Finger in seinem Rachen. Die Hand des Sohnes auf seinem Rücken. Er lag in der Schüssel, anders ließ es sich nicht beschreiben. Ohne euch wäre ich tot, dachte er und war sich nicht sicher, ob das nicht besser gewesen wäre. Die Antrittsrede musste in weniger als einer Stunde gehalten werden. Warum schmeckt Kotze im Mund eigentlich immer gleich? Egal, was ich gegessen habe? Ihr Finger drückte tiefer. Die Hand des Sohnes klopfte härter. Was von seinem Auftritt abhing, war ihnen klar. Mischpoke. Auch wer nichts erreicht hat, kann stolz sein. Die Frau und der Sohn waren die besten Beispiele dafür. Wie sie mich hassen, dachte er, wie sie mich hassen.
Ihr Finger in seinem Rachen. Die Hand des Sohnes auf seinem Rücken. Er lag in der Schüssel, anders ließ es sich nicht beschreiben. Ohne euch wäre ich tot, dachte er und war sich nicht sicher, ob das nicht besser gewesen wäre. Die Antrittsrede musste in weniger als einer Stunde gehalten werden. Warum schmeckt Kotze im Mund eigentlich immer gleich? Egal, was ich gegessen habe? Ihr Finger drückte tiefer. Die Hand des Sohnes klopfte härter. Was von seinem Auftritt abhing, war ihnen klar. Mischpoke. Auch wer nichts erreicht hat, kann stolz sein. Die Frau und der Sohn waren die besten Beispiele dafür. Wie sie mich hassen, dachte er, wie sie mich hassen.
276
Anderen zuzumuten, was Mutze von Motze verlangt, Matze winkte dem verspäteten Kalternative-Sekretär, der gerade den Saal betrat und dessen Stuhl neben Matzes Thron stand. Platze! brüllte der Vorsitzende der Deutschlinkischen Anti-Euro-Schreierkartei plötzlich, seinen Vortrag über Was-Mutze-Von-Motze-Verlangte roh unterhechelnd. Matze war mal in ein klassisches Konzert geraten, Open Air, ohne Eintritt, auf dem Hebelplatz, wo er die Programme der Abweichler, symbolisch aufgeladen, missversteht sich, mit Mutze und Motze als strammstehender Coolisse, vor laufender, www.streamender Selfikamera verbrennen wollte, als ein wahnsinniges Krachen die Zuschläfer geweckt hatte. Das hatte sich Matze gemerkt, der nun ekelmäßig Noisesalven in seine Reden einstreute. Platze, der eine Plauze wie ein japanischer Fressdichringer mit sich rumschleppte und, wegen der doppelten Herzklappe, nicht mehr nach Brüsselschatulle fliegen durfte, wo er als Deutschlinkischer Frackingvorsitzender schick abkassierte, FatOldPlatze röchelte heran. Mietze, die siebte Beischläferin des Gethronten, reichte Platze die Hand, um dem Kalternative-Sekretär auf die Bühne zu helfen. Als Platze an ihr hing wie ein japsender Fischling an der Tiefschneeangel, sah sie Matze schief an, der wirtschaftsweisend neoliebanal nickte. Mietze ließ Platzes Hand los und trat gleichzeitig mit ihrem rechten High Heel zu. Matzes Tratze! jubelten die Deutschlinkischen Schreierpissten, die es sich mit dem Vorschwitzenden der Kalternative für Morschstrand nicht vererben wollten. Besonders Fratze, den Matze, zu Recht, verdächtigte, einen Umschlag im Sinn zu haben, besonders Fratze machte sich über den gestürzten Platze her. Nicht umsonst wurde die Partei in der Presse Lauttreter geschimpft. Matze gab Mietze einen galanten Zungenkuss, rotzte dabei und schob die siebte Beischläferin wie ein Tanwenttänzer übers kastrierte Parkett. Anderen zuzumuten, was Mutze von Motze verlangt, Matze nahm die Zunge aus Mietzes Mund, das ... doch bevor der Frotzende sagen konnte, was das sei, klingelten, gleichzeitig, alle 478 Dumbphones im Saal.
Anderen zuzumuten, was Mutze von Motze verlangt, Matze winkte dem verspäteten Kalternative-Sekretär, der gerade den Saal betrat und dessen Stuhl neben Matzes Thron stand. Platze! brüllte der Vorsitzende der Deutschlinkischen Anti-Euro-Schreierkartei plötzlich, seinen Vortrag über Was-Mutze-Von-Motze-Verlangte roh unterhechelnd. Matze war mal in ein klassisches Konzert geraten, Open Air, ohne Eintritt, auf dem Hebelplatz, wo er die Programme der Abweichler, symbolisch aufgeladen, missversteht sich, mit Mutze und Motze als strammstehender Coolisse, vor laufender, www.streamender Selfikamera verbrennen wollte, als ein wahnsinniges Krachen die Zuschläfer geweckt hatte. Das hatte sich Matze gemerkt, der nun ekelmäßig Noisesalven in seine Reden einstreute. Platze, der eine Plauze wie ein japanischer Fressdichringer mit sich rumschleppte und, wegen der doppelten Herzklappe, nicht mehr nach Brüsselschatulle fliegen durfte, wo er als Deutschlinkischer Frackingvorsitzender schick abkassierte, FatOldPlatze röchelte heran. Mietze, die siebte Beischläferin des Gethronten, reichte Platze die Hand, um dem Kalternative-Sekretär auf die Bühne zu helfen. Als Platze an ihr hing wie ein japsender Fischling an der Tiefschneeangel, sah sie Matze schief an, der wirtschaftsweisend neoliebanal nickte. Mietze ließ Platzes Hand los und trat gleichzeitig mit ihrem rechten High Heel zu. Matzes Tratze! jubelten die Deutschlinkischen Schreierpissten, die es sich mit dem Vorschwitzenden der Kalternative für Morschstrand nicht vererben wollten. Besonders Fratze, den Matze, zu Recht, verdächtigte, einen Umschlag im Sinn zu haben, besonders Fratze machte sich über den gestürzten Platze her. Nicht umsonst wurde die Partei in der Presse Lauttreter geschimpft. Matze gab Mietze einen galanten Zungenkuss, rotzte dabei und schob die siebte Beischläferin wie ein Tanwenttänzer übers kastrierte Parkett. Anderen zuzumuten, was Mutze von Motze verlangt, Matze nahm die Zunge aus Mietzes Mund, das ... doch bevor der Frotzende sagen konnte, was das sei, klingelten, gleichzeitig, alle 478 Dumbphones im Saal.
277
Seine Sinnlichkeit nahm nach dem Hörsturz schlagartig zu. Laura lachte, als ihr bewusst wurde, dass schlagartig in diesem Zusammenhang unfreiwillig komisch klang. Sie hatte sich neu in ihn verliebt. Wie junge Tiere waren sie übereinander hergefallen. Knochen auf Knochen. Fleisch um Fleisch. Lust steckt im Detail. Sie nippte am Martini. Sie kam von der Trauerfeier. Sein Sohn hatte ihr vorgeworfen, ihr Rock sei zu kurz gewesen, sie hatte zu seinem Sohn gesagt, das hätte sich dein Vater so gewünscht. Zuvor hatte ihn das kleinste Geräusch abgelenkt, sagte sie zu dem Fremden, der neben ihr auf einem Hocker aus Holz saß. Schritte auf dem Flur, schlagende Fensterflügel, das knirschende Bett, besonders das. Beinahe schizophren. Von zwanzig Versuchen gelang einer, höchstens. Nach dem Hörsturz war er wie verwandelt. Laura bestellte beim Barkeeper für sich und den Fremden neue Drinks. Der Fremde nahm einen Gin, sie blieb beim Martini.
Warum sind Sie hier?, fragte der Fremde.
Schöne Augen, dachte sie, aber zu jung für mich. Sie putzte den Rand des Glases mit einer Serviette, auf der ein Seemann einen anderen Seemann küsste. Wie alt sind Sie?, fragte Laura unvermittelt.
Der Fremde malte eine Zahl auf den Bieruntersetzer, aber so, dass sie nicht sehen konnte, was er geschrieben hatte. Rate, sagte er.
Zweiundzwanzig, sagte sie.
Seine Sinnlichkeit nahm nach dem Hörsturz schlagartig zu. Laura lachte, als ihr bewusst wurde, dass schlagartig in diesem Zusammenhang unfreiwillig komisch klang. Sie hatte sich neu in ihn verliebt. Wie junge Tiere waren sie übereinander hergefallen. Knochen auf Knochen. Fleisch um Fleisch. Lust steckt im Detail. Sie nippte am Martini. Sie kam von der Trauerfeier. Sein Sohn hatte ihr vorgeworfen, ihr Rock sei zu kurz gewesen, sie hatte zu seinem Sohn gesagt, das hätte sich dein Vater so gewünscht. Zuvor hatte ihn das kleinste Geräusch abgelenkt, sagte sie zu dem Fremden, der neben ihr auf einem Hocker aus Holz saß. Schritte auf dem Flur, schlagende Fensterflügel, das knirschende Bett, besonders das. Beinahe schizophren. Von zwanzig Versuchen gelang einer, höchstens. Nach dem Hörsturz war er wie verwandelt. Laura bestellte beim Barkeeper für sich und den Fremden neue Drinks. Der Fremde nahm einen Gin, sie blieb beim Martini.
Warum sind Sie hier?, fragte der Fremde.
Schöne Augen, dachte sie, aber zu jung für mich. Sie putzte den Rand des Glases mit einer Serviette, auf der ein Seemann einen anderen Seemann küsste. Wie alt sind Sie?, fragte Laura unvermittelt.
Der Fremde malte eine Zahl auf den Bieruntersetzer, aber so, dass sie nicht sehen konnte, was er geschrieben hatte. Rate, sagte er.
Zweiundzwanzig, sagte sie.
278
Die MyBusFahrerin stellte den Motor aus und dämmte das Licht. Die Autobahn war knackedicht. Schlitterglatt. Weiter vorne hatte es einen Unfall gegeben. Draußen schneite es. Dann erhellten Blitze den grauversiegelten Betonhimmel. Hagel fiel. Körner so dick wie Murmeln. Die Haut des Busses klackte, als würde ein Stück von Nono aufgeführt werden.
Stephen kramte in seinem Rücksack. Vergeblich. Die Stullen, die ihm Mandabella, seine Tante, geschmiert hatte, hatten den Busbahnhof nicht überlebt. Und die Dose mit dem Obst stand in Mandabellas offener, sechs Meter hoher, von Affenbrotbäumen geschmückter Wohnküche, durch die halbzahme Schmetterlinge zischten. Er stellte sich vor, wie die Mango und der in handliche Stücke zerschnittene Apfel vor sich hinschwitzten. Morgen früh ist alles vergammelt, dachte er, selbst Kartoffeln lagern in Mandabellas Riesenkühlschrank. Stephens Tante war in Singapur groß geworden und hatte sich von ihrem Mann ein Heiratsversprechen abgerungen. Sie würde dem Autodesigner nur ins kalte Bayern folgen, wenn er ihr in Ingolstadt ein Gewächshaus als Bungalow baute. Hinnerk, ein wahrer Pragmatiker, hatte erst mit dem Werk aus einer Position der Stärke - auch die Japaner und Italiener waren hinter ihm her - verhandelt, dann, nachdem Audi ihm in der Nähe der Alten Anatomie ein Gewächshaus besorgt hatte, Ja zu Mandabellas extravaganten Wünschen gesagt. Stephen sah sich um. Die Superdürre in der Reihe neben ihm, die, verkehrt herum, vorgab, Foucaults Histoire de la sexualité zu lesen - ob sie ...? Stephen erinnerte sich an Geraldine, die, magersüchtig, ihr Zimmer im Studentenheim als prall gefüllte Vorratskammer benutzt und ihn und Segolè nach den durchtanzten Nächten gegen etwas falsche Aufmerksamkeit durchgefüttert hatte. Er stand auf und setzte sich, barfuß, neben das Mädchen, das Kopfhörer aufhatte und Morcheebas Who Can You Trust hörte. Me, sagte Stephen, you can trust me. And your appetite, sagte das Mädchen, die gesehen hatte, wie der Junge nach Essen gesucht hatte. Sometimes I get up feeling good but greed gets me down, sagte Stephen. The music that we hear is always standing near to feed us, sagte sie und lächelte.
Die MyBusFahrerin stellte den Motor aus und dämmte das Licht. Die Autobahn war knackedicht. Schlitterglatt. Weiter vorne hatte es einen Unfall gegeben. Draußen schneite es. Dann erhellten Blitze den grauversiegelten Betonhimmel. Hagel fiel. Körner so dick wie Murmeln. Die Haut des Busses klackte, als würde ein Stück von Nono aufgeführt werden.
Stephen kramte in seinem Rücksack. Vergeblich. Die Stullen, die ihm Mandabella, seine Tante, geschmiert hatte, hatten den Busbahnhof nicht überlebt. Und die Dose mit dem Obst stand in Mandabellas offener, sechs Meter hoher, von Affenbrotbäumen geschmückter Wohnküche, durch die halbzahme Schmetterlinge zischten. Er stellte sich vor, wie die Mango und der in handliche Stücke zerschnittene Apfel vor sich hinschwitzten. Morgen früh ist alles vergammelt, dachte er, selbst Kartoffeln lagern in Mandabellas Riesenkühlschrank. Stephens Tante war in Singapur groß geworden und hatte sich von ihrem Mann ein Heiratsversprechen abgerungen. Sie würde dem Autodesigner nur ins kalte Bayern folgen, wenn er ihr in Ingolstadt ein Gewächshaus als Bungalow baute. Hinnerk, ein wahrer Pragmatiker, hatte erst mit dem Werk aus einer Position der Stärke - auch die Japaner und Italiener waren hinter ihm her - verhandelt, dann, nachdem Audi ihm in der Nähe der Alten Anatomie ein Gewächshaus besorgt hatte, Ja zu Mandabellas extravaganten Wünschen gesagt. Stephen sah sich um. Die Superdürre in der Reihe neben ihm, die, verkehrt herum, vorgab, Foucaults Histoire de la sexualité zu lesen - ob sie ...? Stephen erinnerte sich an Geraldine, die, magersüchtig, ihr Zimmer im Studentenheim als prall gefüllte Vorratskammer benutzt und ihn und Segolè nach den durchtanzten Nächten gegen etwas falsche Aufmerksamkeit durchgefüttert hatte. Er stand auf und setzte sich, barfuß, neben das Mädchen, das Kopfhörer aufhatte und Morcheebas Who Can You Trust hörte. Me, sagte Stephen, you can trust me. And your appetite, sagte das Mädchen, die gesehen hatte, wie der Junge nach Essen gesucht hatte. Sometimes I get up feeling good but greed gets me down, sagte Stephen. The music that we hear is always standing near to feed us, sagte sie und lächelte.
279
Was Lisa wollte, wurde gemacht. Normalerweise. Ohne Wenn und Aber. Keine Widerrede. Auf der Weide, am Jadebusen, in Rüstersiel. Lisa war die ungekrönte Königin. Die Größte, die Tapferste, die Klügste, die Schönste - jedenfalls in ihrem Kopf. Zum Störtebeker Park, sagte Lisa, die sich im März, wenn der Park noch geschlossen hatte, er öffnete erst Mitte April, je nach Wetterlage, am Jadebusen konnte es kräftig wehen, die Kinder wären im flachen Teich elendig ertrunken, Zum Störtebeker Park, sagte Lisa, die sich zu gerne am Nachbau der Sibetsburg die Euter kratzte.
Klara sah Kai an, der wie sie auch keinen Bock hatte, dass Lisa wieder, als lebten sie in Pjöngjang, stundenlange Vorträge über Schilfkläranlagen, Regenwasserreservoirs, Häusern mit nachhaltiger Dachbegrünung und Solaranlagen zur Erzeugung von Warmwasser und Strom halten würde. Das Problem stellten nicht so sehr die Vorträge dar. Schlimm war, dass Lisa nicht wusste, wovon sie sprach. Herr und Frau Bauer hatten sie nicht zur Schule geschickt, sie hatte sich alles selbst angeeignet. Ich bin eine Selfmelkwoman, pflegte sie zu scherzen. Ein Witz, über den Klara und Kai pflichtschuldig lachen mussten. Ansonsten wäre Lisa erst ausgeflippt, sie hätte getobt und wie ein Schwein am Spieß geschrien, dann wäre sie traurig geworden. Unsagbar traurig. Sie hätte Heidegger zitiert: Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts? Das ist die Frage.
Gut, sagte Klara, die Kais Hand genommen hatte, wir kommen mit, Lisa, unter einer Bedingung.
Lisa sah Klara lauernd an, etwas stimmte nicht in Rüstersiel.
Was Lisa wollte, wurde gemacht. Normalerweise. Ohne Wenn und Aber. Keine Widerrede. Auf der Weide, am Jadebusen, in Rüstersiel. Lisa war die ungekrönte Königin. Die Größte, die Tapferste, die Klügste, die Schönste - jedenfalls in ihrem Kopf. Zum Störtebeker Park, sagte Lisa, die sich im März, wenn der Park noch geschlossen hatte, er öffnete erst Mitte April, je nach Wetterlage, am Jadebusen konnte es kräftig wehen, die Kinder wären im flachen Teich elendig ertrunken, Zum Störtebeker Park, sagte Lisa, die sich zu gerne am Nachbau der Sibetsburg die Euter kratzte.
Klara sah Kai an, der wie sie auch keinen Bock hatte, dass Lisa wieder, als lebten sie in Pjöngjang, stundenlange Vorträge über Schilfkläranlagen, Regenwasserreservoirs, Häusern mit nachhaltiger Dachbegrünung und Solaranlagen zur Erzeugung von Warmwasser und Strom halten würde. Das Problem stellten nicht so sehr die Vorträge dar. Schlimm war, dass Lisa nicht wusste, wovon sie sprach. Herr und Frau Bauer hatten sie nicht zur Schule geschickt, sie hatte sich alles selbst angeeignet. Ich bin eine Selfmelkwoman, pflegte sie zu scherzen. Ein Witz, über den Klara und Kai pflichtschuldig lachen mussten. Ansonsten wäre Lisa erst ausgeflippt, sie hätte getobt und wie ein Schwein am Spieß geschrien, dann wäre sie traurig geworden. Unsagbar traurig. Sie hätte Heidegger zitiert: Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts? Das ist die Frage.
Gut, sagte Klara, die Kais Hand genommen hatte, wir kommen mit, Lisa, unter einer Bedingung.
Lisa sah Klara lauernd an, etwas stimmte nicht in Rüstersiel.
280
Das langweilt mich, sagte der Präsident. Er zeigte auf die Karte, auf der die Staaten, mit denen er verbündet war, in rot eingezeichnet waren. Neunzig Prozent der Karte leuchtete tiefschwarz. Ändern Sie das, Chuck.
Chuck, der eigentlich Dick hieß und dem Präsidenten seit elf Jahren, drei Monaten und acht Tagen diente, also seit dem Staatsstreich, Chuck überlegte einen Moment, ob er gemeint war.
Hören Sie schlecht, Kock? fragte der Präsident und deutete mit dem Finger auf Elivia, die sich morgen von Dick trennen würde, was in diesem Moment allerdings weder ihr noch ihm bewusst war. Ein offenes Paar waren Elivia und Dick eh nicht. Eher Gelegenheitsbeischläfer. An ihren Partnern vorbei.
Im Raum hielten sich drei Dutzend Frauen und Männer auf, und jeder hatte mit jedem ein Verhältnis gehabt. Ausnahmslos. Häufig nebeneinanderher. Um die Launen und Demütigungen des Präsidenten auszuhalten, schliefen sie miteinander. Niemand redete darüber. Das war am erstaunlichsten.
Elivia schluckte und wechselte das Chart. Nein, Herr Präsident, sagte sie, ich höre sehr gut. Verzeihung. Hier gibt es noch Entwicklungspotential. Auf dem nächsten Chart war der Südpol zu sehen.
Der Präsident nahm ein Glas Wasser und goss es über Elivias Kopf. Sie Tausendsassa, Kock! Der Präsident lachte Tränen. Das hab ich ja glatt vergessen. Die Polente! Krücke, der Präsident sah Dick an, geben Sie den Mobilisierungsbefehl. Auf der Stelle. Jetzt, der Präsident lächelte sein scheppes Lächeln, wird sich die Spreu vom Weizen trennen.
Dick bekam einen Schluckauf. Wenn Bilder nicht passten, passierte etwas seltsames in seiner Speiseröhre. Als hätte er einen Frosch verschluckt. Dick schnappte nach Luft. Der Präsident beobachtete ihn. Niemand kam Dick zur Hilfe. Beim letzten Mal, als Ranga eine Herzattacke erlitten und ein Bodyguard versucht hatte, ihr das Leben zu retten, waren Ranga und der Bodyguard unter mysteriösen Umständen, gehäutet, in der Geisterbahn des Vergnügungsparks wieder aufgetaucht.
Das langweilt mich, sagte der Präsident. Er zeigte auf die Karte, auf der die Staaten, mit denen er verbündet war, in rot eingezeichnet waren. Neunzig Prozent der Karte leuchtete tiefschwarz. Ändern Sie das, Chuck.
Chuck, der eigentlich Dick hieß und dem Präsidenten seit elf Jahren, drei Monaten und acht Tagen diente, also seit dem Staatsstreich, Chuck überlegte einen Moment, ob er gemeint war.
Hören Sie schlecht, Kock? fragte der Präsident und deutete mit dem Finger auf Elivia, die sich morgen von Dick trennen würde, was in diesem Moment allerdings weder ihr noch ihm bewusst war. Ein offenes Paar waren Elivia und Dick eh nicht. Eher Gelegenheitsbeischläfer. An ihren Partnern vorbei.
Im Raum hielten sich drei Dutzend Frauen und Männer auf, und jeder hatte mit jedem ein Verhältnis gehabt. Ausnahmslos. Häufig nebeneinanderher. Um die Launen und Demütigungen des Präsidenten auszuhalten, schliefen sie miteinander. Niemand redete darüber. Das war am erstaunlichsten.
Elivia schluckte und wechselte das Chart. Nein, Herr Präsident, sagte sie, ich höre sehr gut. Verzeihung. Hier gibt es noch Entwicklungspotential. Auf dem nächsten Chart war der Südpol zu sehen.
Der Präsident nahm ein Glas Wasser und goss es über Elivias Kopf. Sie Tausendsassa, Kock! Der Präsident lachte Tränen. Das hab ich ja glatt vergessen. Die Polente! Krücke, der Präsident sah Dick an, geben Sie den Mobilisierungsbefehl. Auf der Stelle. Jetzt, der Präsident lächelte sein scheppes Lächeln, wird sich die Spreu vom Weizen trennen.
Dick bekam einen Schluckauf. Wenn Bilder nicht passten, passierte etwas seltsames in seiner Speiseröhre. Als hätte er einen Frosch verschluckt. Dick schnappte nach Luft. Der Präsident beobachtete ihn. Niemand kam Dick zur Hilfe. Beim letzten Mal, als Ranga eine Herzattacke erlitten und ein Bodyguard versucht hatte, ihr das Leben zu retten, waren Ranga und der Bodyguard unter mysteriösen Umständen, gehäutet, in der Geisterbahn des Vergnügungsparks wieder aufgetaucht.
281
Wir kennen uns seit Jahrzehnten. 43 Jahre, um genau zu sein. Er sah sie an. Sie war immer noch schön. Wie damals, dachte er, am Hafen. Wir teilen den Tisch, sagte er, das Bett teilen wir. Wie kommt es, er ging zum Schrank, nahm seinen Lieblingsbecher und ließ ihn fallen, wie kommt es, sagte er, dass ich immer deinen Meinungen zustimme, du aber niemals meinen?
Wir kennen uns seit Jahrzehnten. 43 Jahre, um genau zu sein. Er sah sie an. Sie war immer noch schön. Wie damals, dachte er, am Hafen. Wir teilen den Tisch, sagte er, das Bett teilen wir. Wie kommt es, er ging zum Schrank, nahm seinen Lieblingsbecher und ließ ihn fallen, wie kommt es, sagte er, dass ich immer deinen Meinungen zustimme, du aber niemals meinen?
282
Schnitt. Versteinerung. Erst Glühen. Ausbrüche. Flammen, verzaubert. Und dann. Taufrisch. Leiser als. Schnitt. Zwei Messer. Nein. Ein Messer und eine Scharfe, die sich Messer nennt. Die Scharfe lacht. Kleine, weiße Zähne. Unsinn. Sie zückt ihren Ausweis. Nein. Sie zückt die Entlassungsbescheinigung. Vier Jahre Haft. Ungerechtfertigt, sagt Messer, die Scharfe, ein winziger Ritz. Aber im Auge, sagt Koch, mit dem sich die Scharfe nicht versteht. Was weißt du schon, sagt Messer. In Koch brodelt es. Was ich schon weiß, fragt Koch, was i c h schon weiß? Ja, sagt Messer, was d u schon weißt. Koch fällt nichts ein. Schnitt. Versteinerung. Feinste Sichel. Dennoch Mondschein. Oder? Am Abhang. Ein Elch. Und ein zweiter. Dann ganz kleine. Ein Rudel. Der Schnee hart wie Beton. Am Ende des Tals ein Auffangbecken. Kristalle glühen. Schnitt. Messer streicht die Entlassungsbescheinigung glatt und drückt das Blatt an ihre Lippen. Du hast ins Auge geritzt, wiederholt Koch. Messer spürt, so kann es nicht weitergehen, so nicht. Koch wird niemals Ruhe geben. Sie sieht sich um. An einem Haken hängt ein Ladegerät. Daneben getrocknete Kräuter. Dill, Zitronenmelisse, Thymian, Salbei, Liebstöckel, Rosmarin. Und eine Sense. Schnitt.
Schnitt. Versteinerung. Erst Glühen. Ausbrüche. Flammen, verzaubert. Und dann. Taufrisch. Leiser als. Schnitt. Zwei Messer. Nein. Ein Messer und eine Scharfe, die sich Messer nennt. Die Scharfe lacht. Kleine, weiße Zähne. Unsinn. Sie zückt ihren Ausweis. Nein. Sie zückt die Entlassungsbescheinigung. Vier Jahre Haft. Ungerechtfertigt, sagt Messer, die Scharfe, ein winziger Ritz. Aber im Auge, sagt Koch, mit dem sich die Scharfe nicht versteht. Was weißt du schon, sagt Messer. In Koch brodelt es. Was ich schon weiß, fragt Koch, was i c h schon weiß? Ja, sagt Messer, was d u schon weißt. Koch fällt nichts ein. Schnitt. Versteinerung. Feinste Sichel. Dennoch Mondschein. Oder? Am Abhang. Ein Elch. Und ein zweiter. Dann ganz kleine. Ein Rudel. Der Schnee hart wie Beton. Am Ende des Tals ein Auffangbecken. Kristalle glühen. Schnitt. Messer streicht die Entlassungsbescheinigung glatt und drückt das Blatt an ihre Lippen. Du hast ins Auge geritzt, wiederholt Koch. Messer spürt, so kann es nicht weitergehen, so nicht. Koch wird niemals Ruhe geben. Sie sieht sich um. An einem Haken hängt ein Ladegerät. Daneben getrocknete Kräuter. Dill, Zitronenmelisse, Thymian, Salbei, Liebstöckel, Rosmarin. Und eine Sense. Schnitt.
283
Wo er den KB spielte, mit links, waren die Finger länger. Beinahe, was ungewöhnllich war, drei Zentimeter. Gedehnt durch das Üben. Ewiges Zwingen, er erinnerte sich an eingeschlossene Nachmittage, mit dem KB allein in der fensterlosen Kammer, hinter der Küche, teilweise leergeräumt. Das riesige Streichinstrument hatte ihn vollständig verdeckt, ihn und seine unschuldige Seele. Den Schinken hatte der Diener wegpacken müssen, als sie die Spuren der Milchzähne entdeckt hatten. Wer am Jamón Ibérico nagt, hatte der Vater zur Mutter gesagt, zeigt keinen Respekt. Vater hatte nie direkt zu ihm gesprochen. Nicht ein einziges Mal. Wenn keiner da war, - weder Diener, Mutter noch Krana, die giftige Tante, in der Hölle soll sie schmoren, das eklige Weib, Schänderin seines Körpers -, wenn keiner da war, hatte Vater ihn vor den Spiegel im Ankleidezimmer gezogen und gesagt, was gesagt werden musste, in das funkelnde Glas hinein. Er hatte nicht antworten dürfen. Antworten stand außer Frage. Der Vater hatte gesprochen, er hatte gelauscht und genickt, Hatte er nicht genickt, weil er den Vater nicht verstanden hatte, hatte der Mann die Schwester gerufen. Wie schnell die Alte gewesen war, wenn sie Blut gewittert hatte. Zurück zu den Fingern. Den Fingern der linken Hand. Drei Zentimeter länger als die der rechten. Das kam ihm jetzt zupass. Sehr sogar. Er würde überleben. Er blickte sich um. Mutter und Vater konnten nichts machen. Waren im Schraubstock eingeklemmt. Krana lag mit zerschmetterten Knochen im Vestibül des eingestürzten Ballsaals. Das Gefühl von Macht durchfuhr ihn wie ein Krampfanfall. Er unterdrückte ein Lachen, was nicht gelang. Er gluckste in sich hinein. Lachte wohl das erste Mal in seinem Leben. Ohne ihn waren sie geliefert. Er krümmte die Finger der linken Hand. Die Finger knackten, knackten so süß wie niemals vorher.
Wo er den KB spielte, mit links, waren die Finger länger. Beinahe, was ungewöhnllich war, drei Zentimeter. Gedehnt durch das Üben. Ewiges Zwingen, er erinnerte sich an eingeschlossene Nachmittage, mit dem KB allein in der fensterlosen Kammer, hinter der Küche, teilweise leergeräumt. Das riesige Streichinstrument hatte ihn vollständig verdeckt, ihn und seine unschuldige Seele. Den Schinken hatte der Diener wegpacken müssen, als sie die Spuren der Milchzähne entdeckt hatten. Wer am Jamón Ibérico nagt, hatte der Vater zur Mutter gesagt, zeigt keinen Respekt. Vater hatte nie direkt zu ihm gesprochen. Nicht ein einziges Mal. Wenn keiner da war, - weder Diener, Mutter noch Krana, die giftige Tante, in der Hölle soll sie schmoren, das eklige Weib, Schänderin seines Körpers -, wenn keiner da war, hatte Vater ihn vor den Spiegel im Ankleidezimmer gezogen und gesagt, was gesagt werden musste, in das funkelnde Glas hinein. Er hatte nicht antworten dürfen. Antworten stand außer Frage. Der Vater hatte gesprochen, er hatte gelauscht und genickt, Hatte er nicht genickt, weil er den Vater nicht verstanden hatte, hatte der Mann die Schwester gerufen. Wie schnell die Alte gewesen war, wenn sie Blut gewittert hatte. Zurück zu den Fingern. Den Fingern der linken Hand. Drei Zentimeter länger als die der rechten. Das kam ihm jetzt zupass. Sehr sogar. Er würde überleben. Er blickte sich um. Mutter und Vater konnten nichts machen. Waren im Schraubstock eingeklemmt. Krana lag mit zerschmetterten Knochen im Vestibül des eingestürzten Ballsaals. Das Gefühl von Macht durchfuhr ihn wie ein Krampfanfall. Er unterdrückte ein Lachen, was nicht gelang. Er gluckste in sich hinein. Lachte wohl das erste Mal in seinem Leben. Ohne ihn waren sie geliefert. Er krümmte die Finger der linken Hand. Die Finger knackten, knackten so süß wie niemals vorher.
284
Harry hatte, Flutsche im Mund, Hummeln im Arsch, keine Lust auf den Bruch. Verpflichtungen, brummte er, als Kran, deren Kurven es ihm seit Dienstag angetan hatten, es war Mittwoch, als Kran ihn piekste, Verpflichtungen, brummte er, aus einem Leben vor dir.
Vorm Wochenende?, wollte Kran wissen. Grinste pausbackig. Zog sich das Höschen über die Brust.
Du knallgelbe Zauberin! Harry schmiss die Flutsche aus der Luke. Rein ins staubige Wakeitzwasser. Kran hauste auf einem Nullmaster. Abgebrochen im Wintersturm. Ohne Außenmotor.
Lass mal den Amazonas des Nordens zufrieden, fluchte Kran, die leicht ausflippte. Ihr gingen die Nerven auf Grundeis.
Warum? Dazu kommen wir gleich, Geduld. Nur eins, das muss vorab gesagt werden: Krans Ma hatte Kran gebeten, den Schmuck der formidablen Großma auf dem Kahn zu verstecken. Ringe und Reifen. Reines Gold. Das Meiste jedenfalls. Jetzt waren die Klunker weg. Drecksweg. Einfach so. Von der Wasseroberfläche verschwunden, könnte man meinen. Krans Ma verstand keinen Spaß, das müssen wir noch wissen. Sie hatte, aus nichtigeren Gründen, eine Skatrunde, hieß es, Krans Onkel nach Neustadt gebracht. In die geschlossene Klappse. Den eigenen Bruder. Das muss man sich mal vorstellen. Selbst ungeordnete Verhältnisse sehen anders aus, besser zumal.
Du geiles Luder! Harry stand der Saft bis Oberkante Unterlippe. Ihm ging zeitig, ein Makel des Hirns, die Contenance flöten.
Kran legte einen Finger auf den rotwatschenden Mund. Pssss!
Was denn?, wollte Harry wissen, der sich vor Brüchen entspannen musste. Eine schlechte Angewohnheit. Weil teuer. Die Thaigirls kannten ihn. Hinter der Mengstraße. Melkten ihn. Dreidimensional. Süßsauer. Ach Kraninchen, mein Tütelchen, heißes Rammelbammelchen, sagte er zu Kran, sweetholzraspelnd, so geht's nicht. Wenn schon, denn schon.
Pssss! Kran drückte Harrys Kopf auf die Luke, mit Schwung. Werde ich jemals Glück mit Männern haben?, dachte sie.
Draußen fuhr das Polizeiboot vorbei. Überpünktlich. Am Steuer stand Preußenboy, Krans eifersüchtiger Ex.
Harry hatte, Flutsche im Mund, Hummeln im Arsch, keine Lust auf den Bruch. Verpflichtungen, brummte er, als Kran, deren Kurven es ihm seit Dienstag angetan hatten, es war Mittwoch, als Kran ihn piekste, Verpflichtungen, brummte er, aus einem Leben vor dir.
Vorm Wochenende?, wollte Kran wissen. Grinste pausbackig. Zog sich das Höschen über die Brust.
Du knallgelbe Zauberin! Harry schmiss die Flutsche aus der Luke. Rein ins staubige Wakeitzwasser. Kran hauste auf einem Nullmaster. Abgebrochen im Wintersturm. Ohne Außenmotor.
Lass mal den Amazonas des Nordens zufrieden, fluchte Kran, die leicht ausflippte. Ihr gingen die Nerven auf Grundeis.
Warum? Dazu kommen wir gleich, Geduld. Nur eins, das muss vorab gesagt werden: Krans Ma hatte Kran gebeten, den Schmuck der formidablen Großma auf dem Kahn zu verstecken. Ringe und Reifen. Reines Gold. Das Meiste jedenfalls. Jetzt waren die Klunker weg. Drecksweg. Einfach so. Von der Wasseroberfläche verschwunden, könnte man meinen. Krans Ma verstand keinen Spaß, das müssen wir noch wissen. Sie hatte, aus nichtigeren Gründen, eine Skatrunde, hieß es, Krans Onkel nach Neustadt gebracht. In die geschlossene Klappse. Den eigenen Bruder. Das muss man sich mal vorstellen. Selbst ungeordnete Verhältnisse sehen anders aus, besser zumal.
Du geiles Luder! Harry stand der Saft bis Oberkante Unterlippe. Ihm ging zeitig, ein Makel des Hirns, die Contenance flöten.
Kran legte einen Finger auf den rotwatschenden Mund. Pssss!
Was denn?, wollte Harry wissen, der sich vor Brüchen entspannen musste. Eine schlechte Angewohnheit. Weil teuer. Die Thaigirls kannten ihn. Hinter der Mengstraße. Melkten ihn. Dreidimensional. Süßsauer. Ach Kraninchen, mein Tütelchen, heißes Rammelbammelchen, sagte er zu Kran, sweetholzraspelnd, so geht's nicht. Wenn schon, denn schon.
Pssss! Kran drückte Harrys Kopf auf die Luke, mit Schwung. Werde ich jemals Glück mit Männern haben?, dachte sie.
Draußen fuhr das Polizeiboot vorbei. Überpünktlich. Am Steuer stand Preußenboy, Krans eifersüchtiger Ex.
285
Elika hörte Kain, weil er im Heu schnupfte. Sie hörte ihn, die Luft war still wie eine ungeschlagene Glocke, aus zwei Kilometer Entfernung. So war es, nicht anders, allein so. Ihr Lachen trug weit, aber längst nicht so weit wie sein Keuchen, den Lungen entronnen. Nichts ahnte er, der Atemringende, dem der Rotz wie Wasser aus dem Rachen und der Nase lief, dem die Augen tränten als schnitte er Ackerlauch, nichts ahnte er von ihrer Ankunft. Zwar rechnete er mit Elika. Seit vier Jahren, auf den Tag genau, rechnete er mit ihr, Stund um Stund. Die Eltern hatten sie mitgenommen. Vom Hof gezerrt, als sie ihrer und seiner ansichtig geworden waren, im Schober am Weiher. Kains Husten hatte die Küssenden verraten. Er hatte sich gehasst. Die Kontrolle über den Körper, er hätte sie haben müssen. Auf der Lichtung, Elika hatte die Worte nicht gesagt, sondern nur mit den Lippen geformt. Auf der Lichtung, hatte er geantwortet. Und war der Dieselwolke des Gemeindewagens hinterhergerannt. Wie ein Köter der Läufigen hinterher, hatten die Leute gespottet, die ihn nicht mochten, den Jungen der Zugezogenen. Wie er sich an den Spöttern gerächt hatte, wie ein wütender Löwe, schlau und unbarmherzig, er wollte es Elika erzählen. Gewiss, er war nicht mehr derselbe. Erwartete es auch nicht von ihr. Verwandelt würde sie sein. Und doch wie zuvor. Die Zeit war eine Blaupause. Der Charakter das Original. Das Leben hält nie inne, Liebe wohl.
Elika hörte Kain, weil er im Heu schnupfte. Sie hörte ihn, die Luft war still wie eine ungeschlagene Glocke, aus zwei Kilometer Entfernung. So war es, nicht anders, allein so. Ihr Lachen trug weit, aber längst nicht so weit wie sein Keuchen, den Lungen entronnen. Nichts ahnte er, der Atemringende, dem der Rotz wie Wasser aus dem Rachen und der Nase lief, dem die Augen tränten als schnitte er Ackerlauch, nichts ahnte er von ihrer Ankunft. Zwar rechnete er mit Elika. Seit vier Jahren, auf den Tag genau, rechnete er mit ihr, Stund um Stund. Die Eltern hatten sie mitgenommen. Vom Hof gezerrt, als sie ihrer und seiner ansichtig geworden waren, im Schober am Weiher. Kains Husten hatte die Küssenden verraten. Er hatte sich gehasst. Die Kontrolle über den Körper, er hätte sie haben müssen. Auf der Lichtung, Elika hatte die Worte nicht gesagt, sondern nur mit den Lippen geformt. Auf der Lichtung, hatte er geantwortet. Und war der Dieselwolke des Gemeindewagens hinterhergerannt. Wie ein Köter der Läufigen hinterher, hatten die Leute gespottet, die ihn nicht mochten, den Jungen der Zugezogenen. Wie er sich an den Spöttern gerächt hatte, wie ein wütender Löwe, schlau und unbarmherzig, er wollte es Elika erzählen. Gewiss, er war nicht mehr derselbe. Erwartete es auch nicht von ihr. Verwandelt würde sie sein. Und doch wie zuvor. Die Zeit war eine Blaupause. Der Charakter das Original. Das Leben hält nie inne, Liebe wohl.
286
Das Dach, ihr Spielplatz, war drei Quadratmeter groß. Vielleicht auch nur zwei. Verzinkt. Im Hochsommer so heiß, dass sich die Mädchen die Fußsohlen verbrannt hatten beim Wer-Kanns-Länger-Aushalten. Freyas Haut hatte einmal Feuer gefangen. Jedenfalls hatte sie das behauptet. Weder Grit noch Susu hatten das allerdings bemerkt. Im Gegenteil. Sie hatten Freya damit aufgezogen, zu empfindlich zu sein, nichts erdulden zu können. Meine Haut fängt eben leichter Feuer als eure, hatte Freya geantwortet und, als Strafe, den restlichen Tag nicht mehr mit Grit und Susu gesprochen. Im Winter hatte die Sache anders ausgesehen. Kälte und Schnee waren Freyas Ding gewesen. Eine warme Jacke hatte sie nie besessen. Während Grit und Susu sich gezankt hatten, wer die gefütterten Stiefel der Stummen anziehen durfte, natürlich nur, wenn die Stumme ihr Nachmittagsnickerchen gehalten hatte, war Freya schon längst draußen gewesen. Hatte aus dem Schnee Burgen gebaut. Und Flughäfen. Immer wieder Flughäfen. Sie konnte sich noch an den Flughafen erinnern, an die Maschinen. Im Gegensatz zu Grit und Susu. Die eine war offenbar aus einem Auto gezogen worden, die andere schien in der fremden Stadt per Schiff angekommen zu sein.
Das Dach, ihr Spielplatz, war drei Quadratmeter groß. Vielleicht auch nur zwei. Verzinkt. Im Hochsommer so heiß, dass sich die Mädchen die Fußsohlen verbrannt hatten beim Wer-Kanns-Länger-Aushalten. Freyas Haut hatte einmal Feuer gefangen. Jedenfalls hatte sie das behauptet. Weder Grit noch Susu hatten das allerdings bemerkt. Im Gegenteil. Sie hatten Freya damit aufgezogen, zu empfindlich zu sein, nichts erdulden zu können. Meine Haut fängt eben leichter Feuer als eure, hatte Freya geantwortet und, als Strafe, den restlichen Tag nicht mehr mit Grit und Susu gesprochen. Im Winter hatte die Sache anders ausgesehen. Kälte und Schnee waren Freyas Ding gewesen. Eine warme Jacke hatte sie nie besessen. Während Grit und Susu sich gezankt hatten, wer die gefütterten Stiefel der Stummen anziehen durfte, natürlich nur, wenn die Stumme ihr Nachmittagsnickerchen gehalten hatte, war Freya schon längst draußen gewesen. Hatte aus dem Schnee Burgen gebaut. Und Flughäfen. Immer wieder Flughäfen. Sie konnte sich noch an den Flughafen erinnern, an die Maschinen. Im Gegensatz zu Grit und Susu. Die eine war offenbar aus einem Auto gezogen worden, die andere schien in der fremden Stadt per Schiff angekommen zu sein.
287
Hangers Tal gebar einen fulminanten Seufzer, als Isars Wasser über die Schwelle trat, am Pfingstmontag. Die Kirche bebte. Pfarrer Kennich ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Bis spät in die Nacht hinein hatte er an seiner Predigt gearbeitet. Niemand würde ihn abhalten. Bleibt sitzen! donnerte er und stellte das Mikrofon auf volle Stärke. Was konnte in Hangers Tal schon passieren? Großes, meine ich, die kleinen - viele würden sagen: die einzig wichtigen - Sachen, Streit um schöne Augen und ums Geld, ja, die gab es. Besonders ums Geld. Im Tal zählte, was einer hatte. Auf der Bank, nicht im Kopf. Die Schnellgrubers, mein Treib, waren stinkreich. Ausnahmslos. Bis auf Sepp Schnellgruber, meinen Vater. Sepp mochte Schürzen und Schnaps. Schürzen epistemologisch, Schnaps hart gebrannt. Gegen Sepp ließ sich als Vater nichts sagen. Er war einfach nicht vorhanden. Entweder hielt er seine Nase in den Weiberwind. Oder er lungerte im Wirtshaus ab. Als Pfarrer Kennich seine Predigt hielt, schlief Vater selig in unserer Hütte, die er Haus getauft hatte, obwohl sie nur aus einem Raum und einer Vorratskammer bestand, das Klo war ein flaches Loch am Hang, der Bach das Bad. Und ich? Was tat ich, als Kennich sein fatales Bleibt Sitzen brüllte und die Anlage wie ein amerikanischer Gottes-DJ aufdrehte? Ich war auf die Orgelempore geklettert und starrte, Sepp Schnellgrubers epistemologische Vorliebe teilend, der frühreifen Rosi in den Ausschnitt. Hinter mir gab's eine Luke in der Wand, mehr eine Schießscharte, aus der Zeit, als die Bauern die Kirche als Festung gegen die Grundherren benutzt hatten. Und als Hangers Tal vor Angst rülpste, die Isar verdammt knurrte, drehte ich mich instinktiv um und sah die feuchte Chose ranrollen. Ein hässliches, ein brüllendes Tier, ich kann es wohl behaupten, amoklaufendes Wasser wälzte sich auf Pfarrer Kennich und seine Gemeinde zu. Rosi, ging es mir durch den Kopf, ich muss sie retten. Was ich tat? Ich sprang.
Hangers Tal gebar einen fulminanten Seufzer, als Isars Wasser über die Schwelle trat, am Pfingstmontag. Die Kirche bebte. Pfarrer Kennich ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Bis spät in die Nacht hinein hatte er an seiner Predigt gearbeitet. Niemand würde ihn abhalten. Bleibt sitzen! donnerte er und stellte das Mikrofon auf volle Stärke. Was konnte in Hangers Tal schon passieren? Großes, meine ich, die kleinen - viele würden sagen: die einzig wichtigen - Sachen, Streit um schöne Augen und ums Geld, ja, die gab es. Besonders ums Geld. Im Tal zählte, was einer hatte. Auf der Bank, nicht im Kopf. Die Schnellgrubers, mein Treib, waren stinkreich. Ausnahmslos. Bis auf Sepp Schnellgruber, meinen Vater. Sepp mochte Schürzen und Schnaps. Schürzen epistemologisch, Schnaps hart gebrannt. Gegen Sepp ließ sich als Vater nichts sagen. Er war einfach nicht vorhanden. Entweder hielt er seine Nase in den Weiberwind. Oder er lungerte im Wirtshaus ab. Als Pfarrer Kennich seine Predigt hielt, schlief Vater selig in unserer Hütte, die er Haus getauft hatte, obwohl sie nur aus einem Raum und einer Vorratskammer bestand, das Klo war ein flaches Loch am Hang, der Bach das Bad. Und ich? Was tat ich, als Kennich sein fatales Bleibt Sitzen brüllte und die Anlage wie ein amerikanischer Gottes-DJ aufdrehte? Ich war auf die Orgelempore geklettert und starrte, Sepp Schnellgrubers epistemologische Vorliebe teilend, der frühreifen Rosi in den Ausschnitt. Hinter mir gab's eine Luke in der Wand, mehr eine Schießscharte, aus der Zeit, als die Bauern die Kirche als Festung gegen die Grundherren benutzt hatten. Und als Hangers Tal vor Angst rülpste, die Isar verdammt knurrte, drehte ich mich instinktiv um und sah die feuchte Chose ranrollen. Ein hässliches, ein brüllendes Tier, ich kann es wohl behaupten, amoklaufendes Wasser wälzte sich auf Pfarrer Kennich und seine Gemeinde zu. Rosi, ging es mir durch den Kopf, ich muss sie retten. Was ich tat? Ich sprang.
288
Paris, 2. August
Keiner hätte aus Mehr weniger gemacht.
D
Rom, 5. August
Mal halblang, Lores! Sprichst Du etwa von Dir selbst? Bin ich weg? Oder Du? Während sie mich unter dem Messer hatten, das Gesicht voller Lachgas. Den Magen entfleischt. Nicht komisch, falls Du das wissen willst. Ein Witz auf Deine Kosten ist keiner.
San
Paris, 7. August
Zu einfach. Das ist Dein altes Problem. Wenn Du Dich nicht selbst ansiehst, schläfst Du.
D
Rom, 11. August
Lucia fragt nach Dir. Sie schreit sich die Seele aus dem Leib. Sie brüllt, wenn ich ihr Dein Foto zeige. Ich muss ihr wohl die Wahrheit sagen.
San
Paris, 13. August
Die Wahrheit? Die Lüge ist Dein Alter Ego. Du bist der Dichter der Ugereimtheiten.
Paris, 2. August
Keiner hätte aus Mehr weniger gemacht.
D
Rom, 5. August
Mal halblang, Lores! Sprichst Du etwa von Dir selbst? Bin ich weg? Oder Du? Während sie mich unter dem Messer hatten, das Gesicht voller Lachgas. Den Magen entfleischt. Nicht komisch, falls Du das wissen willst. Ein Witz auf Deine Kosten ist keiner.
San
Paris, 7. August
Zu einfach. Das ist Dein altes Problem. Wenn Du Dich nicht selbst ansiehst, schläfst Du.
D
Rom, 11. August
Lucia fragt nach Dir. Sie schreit sich die Seele aus dem Leib. Sie brüllt, wenn ich ihr Dein Foto zeige. Ich muss ihr wohl die Wahrheit sagen.
San
Paris, 13. August
Die Wahrheit? Die Lüge ist Dein Alter Ego. Du bist der Dichter der Ugereimtheiten.
289
Was keiner kann, im Feuer war kaum noch Licht, knisterte knöcherne Asche, Tante Onkel holte die trockenen Scheite, Riesengräten, aus dem Schuppen, hinten im Garten, der zum Meer reichte, das erschien und ging, wie es wollte, wie gerne wären wir, wir Drei, das Meer gewesen, was keiner kann, rief sie, zehn Meter von uns entfernt, dir traue ich es zu. Du ziehst den Karren aus dem Dreck. Löscht die Ladung im Handumdrehen. Gräbst Feinden das Wasser ab. Wächst über di...
Tante Onkel hielt inne. Wir kannten das. Machte sie gerne. Insichzusacken. Dabei lächelte sie. Fein wie Ripp. Tante Onkel nahm mit ihrer faltigen Hand eine Limette, schnitt die winzige Limone auf, träufelte saure Tropfen auf die Zimstangen und hielt sie uns zur Belohnung für unser Kommen entgegen. Tante Onkel hatte mal neben dem Ottolenghi Deli in Islington gewohnt. Fast jedenfalls. Mutter behauptete, eigentlich gar nicht, Kellchen hätte immer davon geträumt, neben Ottolenghi zu wohnen, und eines Tages sei sie dann tatsächlich hingezogen. Wenigestens in Kellchens Kopf. Und das sei doch auch was. Gleichzeitg am Firth und in der Stadt zu wohnen, wer schaffte das schon?
Wen Tante Onkel mit Du ziehtst den Karren aus dem Dreck gemeint hat? Konnar, meine ältere, Lurika, meine jüngere, oder mich, die mittlere Schwester? Im Prinzip, und darum geht es immer, um das Prinzipielle, in unserer Familie geht es seit Generationen allein um die fixe Idee, die alles wie ein absolutistischer Herrscher unterjocht, Sahne so lange schlägt, bis Rahm zu Wasser wird, im Prinzip Lurika, weil Lurika, was Lurika vehement abstreitet, wie Tante Onkel aussieht.
Das mit dem Karren ist übrigens kein Symbol. Der Karren existiert. Bei Ebbe kann man ihn sehen. Ihn und das Wrack.
Was keiner kann, im Feuer war kaum noch Licht, knisterte knöcherne Asche, Tante Onkel holte die trockenen Scheite, Riesengräten, aus dem Schuppen, hinten im Garten, der zum Meer reichte, das erschien und ging, wie es wollte, wie gerne wären wir, wir Drei, das Meer gewesen, was keiner kann, rief sie, zehn Meter von uns entfernt, dir traue ich es zu. Du ziehst den Karren aus dem Dreck. Löscht die Ladung im Handumdrehen. Gräbst Feinden das Wasser ab. Wächst über di...
Tante Onkel hielt inne. Wir kannten das. Machte sie gerne. Insichzusacken. Dabei lächelte sie. Fein wie Ripp. Tante Onkel nahm mit ihrer faltigen Hand eine Limette, schnitt die winzige Limone auf, träufelte saure Tropfen auf die Zimstangen und hielt sie uns zur Belohnung für unser Kommen entgegen. Tante Onkel hatte mal neben dem Ottolenghi Deli in Islington gewohnt. Fast jedenfalls. Mutter behauptete, eigentlich gar nicht, Kellchen hätte immer davon geträumt, neben Ottolenghi zu wohnen, und eines Tages sei sie dann tatsächlich hingezogen. Wenigestens in Kellchens Kopf. Und das sei doch auch was. Gleichzeitg am Firth und in der Stadt zu wohnen, wer schaffte das schon?
Wen Tante Onkel mit Du ziehtst den Karren aus dem Dreck gemeint hat? Konnar, meine ältere, Lurika, meine jüngere, oder mich, die mittlere Schwester? Im Prinzip, und darum geht es immer, um das Prinzipielle, in unserer Familie geht es seit Generationen allein um die fixe Idee, die alles wie ein absolutistischer Herrscher unterjocht, Sahne so lange schlägt, bis Rahm zu Wasser wird, im Prinzip Lurika, weil Lurika, was Lurika vehement abstreitet, wie Tante Onkel aussieht.
Das mit dem Karren ist übrigens kein Symbol. Der Karren existiert. Bei Ebbe kann man ihn sehen. Ihn und das Wrack.
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Im Club der Ehemaligen standen Veränderungen an. Die Satzung ließ keine andere Lösung zu. Die Interimsvorsitzende, die Duisburgerin, hatte dem Wärter, dem einzigen Angestellten des Clubs, befohlen, die Leitungen zu kappen. Handys waren seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr in Gebrauch. Der, wie stets, übereifrige Wärter hatte, um seinen Job fürchtend, die Wirtschaftskrise hielt das Land in Atem, Müllmänner streikten, Bergarbeiter belagerten das Parlament, der Wärter hatte gleich den Generator mit abgestellt. Ohne Klimaanlage verwandelte sich der Club der Ehemaligen in Windeseile in eine Brutanlage. Mit der Hitze kam der Hass. Unterdrückte Leidenschaften flammten auf. Was ich Dir schon immer mal sagen wollte. Aus jeder der gut gefüllten Reihen zischten die Übrigens durch den schummrigen Saal.
Übrigens. Es gibt Zahnbürsten.
Übrigens. Deine Tochter besucht mich. Weiterhin.
Übrigens. Ich habe nur so getan.
Übrigens. Über Geschmack lässt sich streiten.
Selbst als die Duisburgerin mit dem Holzhammer auf das Pult schlug, ging das Knuffen und Zischen weiter. Die hintersten fünf Reihen, die den Schlag nicht gehört hatten, ließen sich erst nach reichlich Tohuwabohu vom Wärter ruhigstellen. Um präzise zu bleiben: vom Haarspray, das der Wärter generös versprühte.
Die Duisburgerin, die auf diesen Tag lange gewartet hatte, unterdrückte mühsam ein Lächeln. Sie nickte dem Wärter anerkennend zu, der das Haarspray hochhielt, um zu zeigen, dass es sich um das von Ökotest mit einem Prüfsiegel versehene handelte. Die AG Nachhaltigkeit, die, wie immer, geschlossen am Notausgang saß, klatschte minutenlang Beifall.
Dann wurde es im Club der Ehemaligen still.
Wenn ein Mörder, die Duisburgerin nahm einen Schluck Brandy, an unsere Tür klopft und nach einem Freund fragt, der sich in unserem Haus versteckt, wenn ein Mörder mit der klaren Absicht zu uns kommt, unseren Freund zu töten, dann, selbst dann, sagt Kant, dürfen wir nicht lügen. Niemals. Die Wahrheit, die Duisburgerin nahm einen weiteren Schluck, die Wahrheit ist das höchste Gut, das es gibt. Ihr, sie zeigte auf den Vorsitzenden und die Vizevorsitzende des Clubs, die in der ersten Reihe saßen, frecherweise nebeneinander, ihr wisst das so gut wie wir alle hier.
Im Club der Ehemaligen standen Veränderungen an. Die Satzung ließ keine andere Lösung zu. Die Interimsvorsitzende, die Duisburgerin, hatte dem Wärter, dem einzigen Angestellten des Clubs, befohlen, die Leitungen zu kappen. Handys waren seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr in Gebrauch. Der, wie stets, übereifrige Wärter hatte, um seinen Job fürchtend, die Wirtschaftskrise hielt das Land in Atem, Müllmänner streikten, Bergarbeiter belagerten das Parlament, der Wärter hatte gleich den Generator mit abgestellt. Ohne Klimaanlage verwandelte sich der Club der Ehemaligen in Windeseile in eine Brutanlage. Mit der Hitze kam der Hass. Unterdrückte Leidenschaften flammten auf. Was ich Dir schon immer mal sagen wollte. Aus jeder der gut gefüllten Reihen zischten die Übrigens durch den schummrigen Saal.
Übrigens. Es gibt Zahnbürsten.
Übrigens. Deine Tochter besucht mich. Weiterhin.
Übrigens. Ich habe nur so getan.
Übrigens. Über Geschmack lässt sich streiten.
Selbst als die Duisburgerin mit dem Holzhammer auf das Pult schlug, ging das Knuffen und Zischen weiter. Die hintersten fünf Reihen, die den Schlag nicht gehört hatten, ließen sich erst nach reichlich Tohuwabohu vom Wärter ruhigstellen. Um präzise zu bleiben: vom Haarspray, das der Wärter generös versprühte.
Die Duisburgerin, die auf diesen Tag lange gewartet hatte, unterdrückte mühsam ein Lächeln. Sie nickte dem Wärter anerkennend zu, der das Haarspray hochhielt, um zu zeigen, dass es sich um das von Ökotest mit einem Prüfsiegel versehene handelte. Die AG Nachhaltigkeit, die, wie immer, geschlossen am Notausgang saß, klatschte minutenlang Beifall.
Dann wurde es im Club der Ehemaligen still.
Wenn ein Mörder, die Duisburgerin nahm einen Schluck Brandy, an unsere Tür klopft und nach einem Freund fragt, der sich in unserem Haus versteckt, wenn ein Mörder mit der klaren Absicht zu uns kommt, unseren Freund zu töten, dann, selbst dann, sagt Kant, dürfen wir nicht lügen. Niemals. Die Wahrheit, die Duisburgerin nahm einen weiteren Schluck, die Wahrheit ist das höchste Gut, das es gibt. Ihr, sie zeigte auf den Vorsitzenden und die Vizevorsitzende des Clubs, die in der ersten Reihe saßen, frecherweise nebeneinander, ihr wisst das so gut wie wir alle hier.
291
Am heiligen Fluss hingen große Gedanken auf zu kleinen Bügeln. Eingeklemmte Wracks wuchsen aus der schmutzigen Wasseroberfläche wie fliegende Fische. Die Privatdozentin für Hydrologie, deren Haare, wie es die Sitte verlangte, graublau schimmerten, hielt die Käuflichen mit einem spitzen Brotmesser in Schach. Die Y-ler, sechs oder sieben, in der diesigen Dunkelheit des wabernden Wassers ließ es sich schwer zählen, die Y-ler trugen Fußfesseln, waren aber erstaunlich beweglich. Istiophorus platypterus erreicht eine Geschwindigkeit von 59 Knoten, sagte Der Jüngste, der sich, wie es die Privatdozentin gestern befohlen hatte, akribisch, mit Hilfe seines Vaters, auf das Quiz vorbereitet hatte. Ist ein Fächerfisch größer als 2,5 Meter, handelt es sich um ein Weibchen, sagte Der Grüne und stieß Den Kurzen, der zwischen ihm und der Privatdozentin stand, um. Sie zeigen keinen äußeren Geschlechtsunterschiede, sagte Die Brille. Genau wie du, sagte Der Jüngste und wieherte, wobei sein Zahnfleisch faulrosa blitzte. Hengste enden in der Rossschlachterei, sagte Die Brille und half Dem Kurzen auf, nur um ihn sofort wie eine Billardkugel gegen Den Jüngsten zu stoßen. Dies war kein Moment für Mitleid oder Brothersolidarität. Auch wenn die Zeromonie weiterhin Potlatch hieß, hatten sich die Regeln gewaltig geändert. Seit die rituelle Tötung der weiblichen Föten in der ganzen Provinz wie ein Denguefieber grassierte, blieb den heranwachsenden Y-lern keine Wahl. Entlang des Flusses harrten sie aus. Kauften von den Frauen überteuerte Fußfesseln. Manche trugen bis zu zehn Paare. Dösten in kleinen Gruppen und warteten auf ihre Chance. Die Privatdozentin betrachtete die abgemagerten Y-ler. Am kommenden Freitag musste sie sich entscheiden. Spätestens. Länger als drei Wochen durfte eine Potlatch nicht gehen. Für heute hatte sich die Privatdozentin etwas ganz besonderes ausgedacht, das als Die Wasserscheide in die Blutzoll-Geschichte eingehen und etliche Nachahmerinnen entlang des heiligen Flusses finden würde.
Am heiligen Fluss hingen große Gedanken auf zu kleinen Bügeln. Eingeklemmte Wracks wuchsen aus der schmutzigen Wasseroberfläche wie fliegende Fische. Die Privatdozentin für Hydrologie, deren Haare, wie es die Sitte verlangte, graublau schimmerten, hielt die Käuflichen mit einem spitzen Brotmesser in Schach. Die Y-ler, sechs oder sieben, in der diesigen Dunkelheit des wabernden Wassers ließ es sich schwer zählen, die Y-ler trugen Fußfesseln, waren aber erstaunlich beweglich. Istiophorus platypterus erreicht eine Geschwindigkeit von 59 Knoten, sagte Der Jüngste, der sich, wie es die Privatdozentin gestern befohlen hatte, akribisch, mit Hilfe seines Vaters, auf das Quiz vorbereitet hatte. Ist ein Fächerfisch größer als 2,5 Meter, handelt es sich um ein Weibchen, sagte Der Grüne und stieß Den Kurzen, der zwischen ihm und der Privatdozentin stand, um. Sie zeigen keinen äußeren Geschlechtsunterschiede, sagte Die Brille. Genau wie du, sagte Der Jüngste und wieherte, wobei sein Zahnfleisch faulrosa blitzte. Hengste enden in der Rossschlachterei, sagte Die Brille und half Dem Kurzen auf, nur um ihn sofort wie eine Billardkugel gegen Den Jüngsten zu stoßen. Dies war kein Moment für Mitleid oder Brothersolidarität. Auch wenn die Zeromonie weiterhin Potlatch hieß, hatten sich die Regeln gewaltig geändert. Seit die rituelle Tötung der weiblichen Föten in der ganzen Provinz wie ein Denguefieber grassierte, blieb den heranwachsenden Y-lern keine Wahl. Entlang des Flusses harrten sie aus. Kauften von den Frauen überteuerte Fußfesseln. Manche trugen bis zu zehn Paare. Dösten in kleinen Gruppen und warteten auf ihre Chance. Die Privatdozentin betrachtete die abgemagerten Y-ler. Am kommenden Freitag musste sie sich entscheiden. Spätestens. Länger als drei Wochen durfte eine Potlatch nicht gehen. Für heute hatte sich die Privatdozentin etwas ganz besonderes ausgedacht, das als Die Wasserscheide in die Blutzoll-Geschichte eingehen und etliche Nachahmerinnen entlang des heiligen Flusses finden würde.
292
Großma Runi war eine Ratte. Und das meine ich nicht symbolisch. Jedenfalls nicht nur. Selbst Großma Runis Erscheinungsbild erinnerte an das aufdringliche, ungeheuer intelligente Nagetier. Schmaler, zu langer Kopf, Knopfaugen so dunkel wie eine Mondfinsternis, und, rund um Unter- und Oberlippe, weiß-fusselige Härchen, die sich Großma Runi, extra, wie Ma, Großma Runis Schwiegertochter, glaubte, nicht ausreißen ließ. Als Großpas Sarg in die duftende Erde gelassen worden war, alle hatten stumm und starr geschwiegen, nur Ma hatte geweint, ja, sie hatte geschluchzt wie eine gebrochene Leitung, da, in diesem besonderen Augenblick, war Großma Runi, allen Ernstes, zeternd hinterhergesprungen. Und das passierte, diese entsetzliche Peinlichkeit ging vonstatten, obwohl Ma Pa und Pas Brüder, Piet, Pat und Per, die Vier-P, gebeten hatte, gefälligst auf ihre unberechenbare Mutter aufzupassen. Woher Ma wusste, dass Großma Runi springen und im aufgestochenen Erdreich des Friedhofes der Elisabeth-Gemeinde ungebremst wühlen und lauthals schnaufen würde? Sie habe sich vorgestellt, hat mir Ma Jahre später, bei Großpas nachträglicher Einäscherung, kurz vor Großma Runis Leichenfeier - Großpa wollte, unter keinen Umständen, neben Runi begraben liegen -, sie habe sich vorgestellt, hat mir Ma, halb lachend, halb weinend - Ma hatte Großpa geliebt, sogar mehr als Pa, hieß es bei uns im Block, aber das wäre dann doch einen andere Geschichte, und dass Großpa etwas mit meiner Zeugung zu tun haben soll, wie Piet weiterhin bei jeder unpassenden Gelegenheit behauptet, das wäre noch eine andere -, sie, Ma, hat mir erzählt, dass Großma Runi wie eine hungrige Ratte auf die Unmenge an Regenwürmern im Erdloch gestarrt hätte. Der Blick einer Irren, hat Ma gesagt. So irre, hat Ma gesagt, wie Du es noch nie in Deinem Leben gesehen hast und hoffentlich niemalsniemalsniemals sehen wirst. Durchgeknallt wie abgefackelte Sylvesterkracher, hat Ma gesagt. Ein Rattenblick, hat Ma gesagt, den hätte Großma Rudi im Gesicht gehabt.
Großma Runi war eine Ratte. Und das meine ich nicht symbolisch. Jedenfalls nicht nur. Selbst Großma Runis Erscheinungsbild erinnerte an das aufdringliche, ungeheuer intelligente Nagetier. Schmaler, zu langer Kopf, Knopfaugen so dunkel wie eine Mondfinsternis, und, rund um Unter- und Oberlippe, weiß-fusselige Härchen, die sich Großma Runi, extra, wie Ma, Großma Runis Schwiegertochter, glaubte, nicht ausreißen ließ. Als Großpas Sarg in die duftende Erde gelassen worden war, alle hatten stumm und starr geschwiegen, nur Ma hatte geweint, ja, sie hatte geschluchzt wie eine gebrochene Leitung, da, in diesem besonderen Augenblick, war Großma Runi, allen Ernstes, zeternd hinterhergesprungen. Und das passierte, diese entsetzliche Peinlichkeit ging vonstatten, obwohl Ma Pa und Pas Brüder, Piet, Pat und Per, die Vier-P, gebeten hatte, gefälligst auf ihre unberechenbare Mutter aufzupassen. Woher Ma wusste, dass Großma Runi springen und im aufgestochenen Erdreich des Friedhofes der Elisabeth-Gemeinde ungebremst wühlen und lauthals schnaufen würde? Sie habe sich vorgestellt, hat mir Ma Jahre später, bei Großpas nachträglicher Einäscherung, kurz vor Großma Runis Leichenfeier - Großpa wollte, unter keinen Umständen, neben Runi begraben liegen -, sie habe sich vorgestellt, hat mir Ma, halb lachend, halb weinend - Ma hatte Großpa geliebt, sogar mehr als Pa, hieß es bei uns im Block, aber das wäre dann doch einen andere Geschichte, und dass Großpa etwas mit meiner Zeugung zu tun haben soll, wie Piet weiterhin bei jeder unpassenden Gelegenheit behauptet, das wäre noch eine andere -, sie, Ma, hat mir erzählt, dass Großma Runi wie eine hungrige Ratte auf die Unmenge an Regenwürmern im Erdloch gestarrt hätte. Der Blick einer Irren, hat Ma gesagt. So irre, hat Ma gesagt, wie Du es noch nie in Deinem Leben gesehen hast und hoffentlich niemalsniemalsniemals sehen wirst. Durchgeknallt wie abgefackelte Sylvesterkracher, hat Ma gesagt. Ein Rattenblick, hat Ma gesagt, den hätte Großma Rudi im Gesicht gehabt.
293
Bolide? Ausgerechnet Du nennst mich bolide? Dem Ringrichter, im Hauptberuf Vorsitzender Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, brodelte die Galle im paragraphentrainierten Schnellkochkopf. Seine, laut Internist, angezählten Nierensteine wetzten sich schunkelnd im The-Jesus-and-Mary-Chain-Takt. Moving up and so alive In his honey dripping beehive. Sensationell animalischer Hass brütete in ihm. Der nebenberufliche Ringrichter genoss das Nassschwitzen unter der Heinomaske genauso wie den Rasepuls des x-fach gestochenen Imkers. Wenn ihn bloß seine Kinder sehen könnten! Wie er den Hals nach hinten warf! Dem TimWieseSchisser aller Klassen mit der bergarbeiterhelmgeschmückten Stirn eine klassische Wrestlernuss verpasste! Ich bin als Hengst geboren, dachte er, Stuten lieben mich.
Bolide? Ausgerechnet Du nennst mich bolide? Dem Ringrichter, im Hauptberuf Vorsitzender Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, brodelte die Galle im paragraphentrainierten Schnellkochkopf. Seine, laut Internist, angezählten Nierensteine wetzten sich schunkelnd im The-Jesus-and-Mary-Chain-Takt. Moving up and so alive In his honey dripping beehive. Sensationell animalischer Hass brütete in ihm. Der nebenberufliche Ringrichter genoss das Nassschwitzen unter der Heinomaske genauso wie den Rasepuls des x-fach gestochenen Imkers. Wenn ihn bloß seine Kinder sehen könnten! Wie er den Hals nach hinten warf! Dem TimWieseSchisser aller Klassen mit der bergarbeiterhelmgeschmückten Stirn eine klassische Wrestlernuss verpasste! Ich bin als Hengst geboren, dachte er, Stuten lieben mich.
294
Das Tal machte, in der Mitte, eine Biegung. Schon immer. Seit Jahr und Tag. Nicht weich, sondern scharf. Wie eine Sackgasse, von der ein Trampelpfad beinahe rechtwinklig abging. Im gewissen Sinne schien es so, als endete das Tal vor der Biegung. Als könnte man nicht weiter. Als endete die Welt. Als würde man gegen den rauhen Fels rennen. Sich den Kopf einschlagen. Was nicht stimmte, ganz jedenfalls nicht. Gott hat für uns gefräst, sagten die Alten, so sagten sie es, für uns gefräst, und bekreuzigten sich, wir danken dem Fräser. Ohne den schmalen Höllenstumpf hätten wir den sauren Käse und die ungegerbten Ziegenfelle für uns behalten müssen. Die Kreisstadt, sie lag fünf Kilometer entfernt. Hinter dem wolkenkratzerhohen, dem unbezwingbaren Kamm. Einen Nachteil, den hatte der enge Pfad. Einen gewaltigen. Er schluckte Seelen. Schlugen Steine, waren die Wanderer, in aller Regel, verloren. Kaum einen gab es im Tal, kaum einen, der nicht schon eine Tante, eine Schwester oder wenigtens einen Cousin im Höllenstumpf auf ewig und immer begraben hätte. Er stopft uns gütig die überzähligen Mäuler, sagten die Alten, und betonten, ergeben lächelnd, das gütig. Überflüssige Mäuler, sagten die Alten, die das Tal nicht ernähren kann, die stopft er uns. So ist es, so bleibt es, so wird es immer sein. Der Höllenstumpf gibt und nimmt nach Belieben, sagten die Alten,wenn der Berg wieder mal im Schlaf gezuckt hatte und ein neues Opfer gemeldet worden war. Unter den Alten, da war auch mein Oheim, ein sturer, ein liebloser Greis, der schlimmste von allen.
Ich, ich wollte mich damit nicht anfreunden. War nicht allein damit. Was der Muttersbruder sagte, scherten mich und die Liesl, der ich mich, heimlich, versprochen hatte, die mein Kind in sich trug, einen feuchten Kehrricht. Ihr wie mir hatte der Höllenstumpf Mutter und Vater genommen. Erschlagen die Kindheit, vier war ich, fünf war sie gewesen. Der Liesl, ihr, ihr war die Idee gekommen. Eine Erleuchtung, gewissermaßen. Eine Seilbahn, die wollten wir bauen. Über den Kamm. Mit den anderen jungen Leuten, die wir eingeweiht hatten, in Liesls Plan. Sicher, wir hatten mit Widerstand gerechnet. Den Oheim, ich kannte ihn, wir kannten seinesgleichen. Verbohrt und belämmert, in den Wolken, sie hingen tief im Tal, gefangen. Aber nicht damit, damit hatten wir nicht gerechnet. Wovon nicht ich, denn ich bin ja tot, seit einiger Zeit, sondern die Liesl, sie lebt noch, hochbetagt, im Kreise der Jungen, nun berichten will.
Das Tal machte, in der Mitte, eine Biegung. Schon immer. Seit Jahr und Tag. Nicht weich, sondern scharf. Wie eine Sackgasse, von der ein Trampelpfad beinahe rechtwinklig abging. Im gewissen Sinne schien es so, als endete das Tal vor der Biegung. Als könnte man nicht weiter. Als endete die Welt. Als würde man gegen den rauhen Fels rennen. Sich den Kopf einschlagen. Was nicht stimmte, ganz jedenfalls nicht. Gott hat für uns gefräst, sagten die Alten, so sagten sie es, für uns gefräst, und bekreuzigten sich, wir danken dem Fräser. Ohne den schmalen Höllenstumpf hätten wir den sauren Käse und die ungegerbten Ziegenfelle für uns behalten müssen. Die Kreisstadt, sie lag fünf Kilometer entfernt. Hinter dem wolkenkratzerhohen, dem unbezwingbaren Kamm. Einen Nachteil, den hatte der enge Pfad. Einen gewaltigen. Er schluckte Seelen. Schlugen Steine, waren die Wanderer, in aller Regel, verloren. Kaum einen gab es im Tal, kaum einen, der nicht schon eine Tante, eine Schwester oder wenigtens einen Cousin im Höllenstumpf auf ewig und immer begraben hätte. Er stopft uns gütig die überzähligen Mäuler, sagten die Alten, und betonten, ergeben lächelnd, das gütig. Überflüssige Mäuler, sagten die Alten, die das Tal nicht ernähren kann, die stopft er uns. So ist es, so bleibt es, so wird es immer sein. Der Höllenstumpf gibt und nimmt nach Belieben, sagten die Alten,wenn der Berg wieder mal im Schlaf gezuckt hatte und ein neues Opfer gemeldet worden war. Unter den Alten, da war auch mein Oheim, ein sturer, ein liebloser Greis, der schlimmste von allen.
Ich, ich wollte mich damit nicht anfreunden. War nicht allein damit. Was der Muttersbruder sagte, scherten mich und die Liesl, der ich mich, heimlich, versprochen hatte, die mein Kind in sich trug, einen feuchten Kehrricht. Ihr wie mir hatte der Höllenstumpf Mutter und Vater genommen. Erschlagen die Kindheit, vier war ich, fünf war sie gewesen. Der Liesl, ihr, ihr war die Idee gekommen. Eine Erleuchtung, gewissermaßen. Eine Seilbahn, die wollten wir bauen. Über den Kamm. Mit den anderen jungen Leuten, die wir eingeweiht hatten, in Liesls Plan. Sicher, wir hatten mit Widerstand gerechnet. Den Oheim, ich kannte ihn, wir kannten seinesgleichen. Verbohrt und belämmert, in den Wolken, sie hingen tief im Tal, gefangen. Aber nicht damit, damit hatten wir nicht gerechnet. Wovon nicht ich, denn ich bin ja tot, seit einiger Zeit, sondern die Liesl, sie lebt noch, hochbetagt, im Kreise der Jungen, nun berichten will.
295
Hätte sie etwas anderes gelernt, was Anständiges, was Hand und Fuß hat, Physiotherapeutin oder Ingenieurin, dann hätte sie mich nie getroffen. Ich habe ihre Freunde belauscht. Kann ich. Beim Telefonieren. Ich habe die Mails ihrer Familie gelesen. Kann ich auch. Und glauben Sie mir, ein weniger starker Charakter als ich wäre in Tränen ausgebrochen. Solche Sache über sich zu hören? Keine Schonkost. Hunger kommt dir beim Kotzen, sagt man hier. Ein verbrecherischer Charakter als ich hätte seine Konsequenzen aus den Mails und den Anrufen gezogen. Ich kann mich beherrschen. Gehört dazu. Könnte ich mich nicht beherrschen, ich wäre längst rausgeflogen. Irgendeiner wäre mir auf die Schliche gekommen. Hier beobachtet jeder jeden. Art von Dauertraining. Nichtglaube ist das Hemd, das du trägst. Verstellung die Hose, in die du schlüpfst. Wer bei uns sagt, dass er liebt, erntet eisiges Gelächter. Klimawandel interessiert Leute wie uns nicht. Wir frieren ein Leben lang. Selbst in den Tropen ist uns tiefkühlfachklamm. Liebe ist für einen wie mich ein Treppenwitz. Wir erinnern uns an ihn, wenn wir aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen sind.
Hätte sie etwas anderes gelernt, was Anständiges, was Hand und Fuß hat, Physiotherapeutin oder Ingenieurin, dann hätte sie mich nie getroffen. Ich habe ihre Freunde belauscht. Kann ich. Beim Telefonieren. Ich habe die Mails ihrer Familie gelesen. Kann ich auch. Und glauben Sie mir, ein weniger starker Charakter als ich wäre in Tränen ausgebrochen. Solche Sache über sich zu hören? Keine Schonkost. Hunger kommt dir beim Kotzen, sagt man hier. Ein verbrecherischer Charakter als ich hätte seine Konsequenzen aus den Mails und den Anrufen gezogen. Ich kann mich beherrschen. Gehört dazu. Könnte ich mich nicht beherrschen, ich wäre längst rausgeflogen. Irgendeiner wäre mir auf die Schliche gekommen. Hier beobachtet jeder jeden. Art von Dauertraining. Nichtglaube ist das Hemd, das du trägst. Verstellung die Hose, in die du schlüpfst. Wer bei uns sagt, dass er liebt, erntet eisiges Gelächter. Klimawandel interessiert Leute wie uns nicht. Wir frieren ein Leben lang. Selbst in den Tropen ist uns tiefkühlfachklamm. Liebe ist für einen wie mich ein Treppenwitz. Wir erinnern uns an ihn, wenn wir aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen sind.
296
Sicherheit ist eine Frage der Abschreckung. McGreg hielt Chloe, wie üblich, den Mittelfinger vor den Mund, damit sie daran lutschte. Chloes Lecken hinderte LittleMc am frühzeitigen Erguss. Meistens jedenfalls. Wenn der Feind weiß, sagte McGreg, dass ich verletzlich bin, nutzt er meine Schwachpunkte für seine Ziele aus.
Was ist, wenn die Ziele des Feindes meine Ziele sind?, fragte Chloe, die gerade einen Artikel für die Comment is free-Seite des Guardian über Putin und Cameron - die treuen Antieuropäer schrieb. Trotz des Fingers im Mund klang ihr Akzent uberposh. Chloes Vater arbeitete als Privatsekretär des Prinzen von Wales. Sie hatte in Oxford PPE, Philosophy, Politics and Economics, studiert und war bestens bei den Tories vernetzt.
Dann ist er mein Freund. McGreg machte von sich und Chloe mit dem Smartphone ein Selfie, was sie, wie er zu Unrecht hoffte, nicht bemerkte, da er hinter ihr stand.
Ein Freund, der mir überlegen ist, sagte Chloe, hat das Potential, ein Feind zu werden. Das Kleinhalten von Freunden ist also das Verhindern von Feindschaft.
Heh, wie machiavellischlau ist das denn? Willst du etwa meinen verdammten Blow-Job? McGreg lachte, bis ihm die Tränen kamen. In Wahrheit war er gar nicht amüsiert, sondern eher erschrocken, wie viel Chloe sich bei ihm seit dem Beginn der Labour-Kampagne abgehört hatte. Muss sie demnächst auswechseln, dachte er, so leid es mir tut. Bis auf Chloe und Vickie hatte sich noch jede seiner Freundinnen an den nicht immer sauberen Nägeln im Mund gestört. Bei einem Machtwechsel rasseln nun mal Säbel, sagte McGreg. Säbel, die wir dem neuen Feind am besten selbst geschickt haben. Es ist wichtig, dass man den Feind bei Laune hält.
Schlechtgelaunte Freunde sind gefährlicher als schlechtgelaunte Feinde, sagte Chloe.
McGreg strich Cloe über den flaumigen Endrücken. Open up your lovin' arms. Watch out, here I come.
Chloe bewegte ihre Hüften und presste die Schenkel zusammen, wie er es gleich beim ersten Mal von ihr verlangt hatte. You spin me right 'round, baby. Right 'round like a record, baby. Sie gähnte unversehens beim Singen. Das ewig-prollige Dead or Alive-Zitieren ging ihr allmählich genauso auf den Wecker wie sein bemüht schottischer Zungenschlag. Vielleicht, dachte sie, ist es wirklich keine schlechte Idee, BigMcs Boss anzurufen. Bei der letzten Party hatte ihr Liar schließlich seine Karte in die Clutch Bag gesteckt, hinter McGregs Rücken.
Sicherheit ist eine Frage der Abschreckung. McGreg hielt Chloe, wie üblich, den Mittelfinger vor den Mund, damit sie daran lutschte. Chloes Lecken hinderte LittleMc am frühzeitigen Erguss. Meistens jedenfalls. Wenn der Feind weiß, sagte McGreg, dass ich verletzlich bin, nutzt er meine Schwachpunkte für seine Ziele aus.
Was ist, wenn die Ziele des Feindes meine Ziele sind?, fragte Chloe, die gerade einen Artikel für die Comment is free-Seite des Guardian über Putin und Cameron - die treuen Antieuropäer schrieb. Trotz des Fingers im Mund klang ihr Akzent uberposh. Chloes Vater arbeitete als Privatsekretär des Prinzen von Wales. Sie hatte in Oxford PPE, Philosophy, Politics and Economics, studiert und war bestens bei den Tories vernetzt.
Dann ist er mein Freund. McGreg machte von sich und Chloe mit dem Smartphone ein Selfie, was sie, wie er zu Unrecht hoffte, nicht bemerkte, da er hinter ihr stand.
Ein Freund, der mir überlegen ist, sagte Chloe, hat das Potential, ein Feind zu werden. Das Kleinhalten von Freunden ist also das Verhindern von Feindschaft.
Heh, wie machiavellischlau ist das denn? Willst du etwa meinen verdammten Blow-Job? McGreg lachte, bis ihm die Tränen kamen. In Wahrheit war er gar nicht amüsiert, sondern eher erschrocken, wie viel Chloe sich bei ihm seit dem Beginn der Labour-Kampagne abgehört hatte. Muss sie demnächst auswechseln, dachte er, so leid es mir tut. Bis auf Chloe und Vickie hatte sich noch jede seiner Freundinnen an den nicht immer sauberen Nägeln im Mund gestört. Bei einem Machtwechsel rasseln nun mal Säbel, sagte McGreg. Säbel, die wir dem neuen Feind am besten selbst geschickt haben. Es ist wichtig, dass man den Feind bei Laune hält.
Schlechtgelaunte Freunde sind gefährlicher als schlechtgelaunte Feinde, sagte Chloe.
McGreg strich Cloe über den flaumigen Endrücken. Open up your lovin' arms. Watch out, here I come.
Chloe bewegte ihre Hüften und presste die Schenkel zusammen, wie er es gleich beim ersten Mal von ihr verlangt hatte. You spin me right 'round, baby. Right 'round like a record, baby. Sie gähnte unversehens beim Singen. Das ewig-prollige Dead or Alive-Zitieren ging ihr allmählich genauso auf den Wecker wie sein bemüht schottischer Zungenschlag. Vielleicht, dachte sie, ist es wirklich keine schlechte Idee, BigMcs Boss anzurufen. Bei der letzten Party hatte ihr Liar schließlich seine Karte in die Clutch Bag gesteckt, hinter McGregs Rücken.
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Die Kurzweil hörte nicht auf. Vergnügen sprang auf Vergnügen, ritt, in aller Regel keuchend, im flamboyanten Sauseschritt an auf winzige Bildschirme starrende Units vorbei. Jeanes Atem nahm Anlauf. Sie hatte von der Schwerelosigkeit des tiefen Pools gehört. Abends flüsterten es sich die B-Lists im Haven zu. Wer die Mittelblase erreicht, hat eine Chance, aber nur der. Dort, hieß es, röche die Luft nach Gingertee, gäbe es echte Birnen. Amapple bezahlte gut für Jeanes Vergnügen. Ihre Testphase dauerte bereits drei Wochen. Senior Delectabel wurde die Fünfjährige seit der zweiten Woche genannt. Eine unangestrengte Zeremonie, wie alles bei Amapple. Mit den Eltern, in aller Regel prinzipiell, abgestimmt. Seit die Bundesländer die Schulhoheit an die Kommunen abgegeben hatten, flutschte die Finanzierung. Amapple versuchte, die Vorrangstellung im Norden zu behalten. Im Westen machten Maxiware und Cyberhort unglaubliche Fortschritte. Jeanne wäre fast an den Rhein gezogen. In ihrer Gruppe wäre sie allerdings die einzige Biodeutsche gewesen. Was seit einiger Zeit an Rhein und Rhur passiert, spottet jeder Beschreibung, Brüssel sei nichts dagegen, hatten die Amapplebotschafter gewarnt und Jeannes Ombudsversammlung hatte sich, in aller Regel vorschussfrei, überzeugen lassen.
Die Kurzweil hörte nicht auf. Vergnügen sprang auf Vergnügen, ritt, in aller Regel keuchend, im flamboyanten Sauseschritt an auf winzige Bildschirme starrende Units vorbei. Jeanes Atem nahm Anlauf. Sie hatte von der Schwerelosigkeit des tiefen Pools gehört. Abends flüsterten es sich die B-Lists im Haven zu. Wer die Mittelblase erreicht, hat eine Chance, aber nur der. Dort, hieß es, röche die Luft nach Gingertee, gäbe es echte Birnen. Amapple bezahlte gut für Jeanes Vergnügen. Ihre Testphase dauerte bereits drei Wochen. Senior Delectabel wurde die Fünfjährige seit der zweiten Woche genannt. Eine unangestrengte Zeremonie, wie alles bei Amapple. Mit den Eltern, in aller Regel prinzipiell, abgestimmt. Seit die Bundesländer die Schulhoheit an die Kommunen abgegeben hatten, flutschte die Finanzierung. Amapple versuchte, die Vorrangstellung im Norden zu behalten. Im Westen machten Maxiware und Cyberhort unglaubliche Fortschritte. Jeanne wäre fast an den Rhein gezogen. In ihrer Gruppe wäre sie allerdings die einzige Biodeutsche gewesen. Was seit einiger Zeit an Rhein und Rhur passiert, spottet jeder Beschreibung, Brüssel sei nichts dagegen, hatten die Amapplebotschafter gewarnt und Jeannes Ombudsversammlung hatte sich, in aller Regel vorschussfrei, überzeugen lassen.
298
Die Menge schwieg. 60.412 Menschen. Um nichts weniger als die Zukunft ging es. Die Jury, aus dem ganzen Land ausgewählt. Nach endlosen Streitereien über Geschlecht, Alter, Religion, Staatsangehörigkeit, Sprachkompetenz, Mitgliedschaften in Parteien und Vereinen. Selbst die Kleingärtner hatten am Ende demonstriert. Der Marsch der Schreber war erstaunlich gewalttätig gewesen. Wir wissen, was Nahkampf ist, hatte die Vorsitzende der Datschen e.V. im Live-Interview betont. Und die Republik war eingeknickt. 85 Kleingärtner befanden sich im Stadion. Fast so viele wie Hundezüchter, vor denen die Kommission vorsichtshalber gleich den Kotau gemacht hatte. Aber das war jetzt auch egal. Es war, wie es war. Nichts ließ sich mehr ändern. Das Schicksal tagte. Nun ging es also los. Man hätte im vollbesetzten Rund das Wischen über ein Tablett hören können.
Ein kleines Glück zählt weniger als ein großes Pech?
Nein.
Viel Geld stimmt heiterer als ein junger Körper?
Kommt auf die Summe an.
Banker sind nichts als festangstellte Psychopathen?
Unsinn.
Genügsame leben ein freieres Sein?
Gegenfrage: Wo - im Gefängnis?
Im Falle eines Angriffs schlagen wir zurück?
Die Möglichkeit eines Angriffs beseitigte ich.
Die Menge schwieg. 60.412 Menschen. Um nichts weniger als die Zukunft ging es. Die Jury, aus dem ganzen Land ausgewählt. Nach endlosen Streitereien über Geschlecht, Alter, Religion, Staatsangehörigkeit, Sprachkompetenz, Mitgliedschaften in Parteien und Vereinen. Selbst die Kleingärtner hatten am Ende demonstriert. Der Marsch der Schreber war erstaunlich gewalttätig gewesen. Wir wissen, was Nahkampf ist, hatte die Vorsitzende der Datschen e.V. im Live-Interview betont. Und die Republik war eingeknickt. 85 Kleingärtner befanden sich im Stadion. Fast so viele wie Hundezüchter, vor denen die Kommission vorsichtshalber gleich den Kotau gemacht hatte. Aber das war jetzt auch egal. Es war, wie es war. Nichts ließ sich mehr ändern. Das Schicksal tagte. Nun ging es also los. Man hätte im vollbesetzten Rund das Wischen über ein Tablett hören können.
Ein kleines Glück zählt weniger als ein großes Pech?
Nein.
Viel Geld stimmt heiterer als ein junger Körper?
Kommt auf die Summe an.
Banker sind nichts als festangstellte Psychopathen?
Unsinn.
Genügsame leben ein freieres Sein?
Gegenfrage: Wo - im Gefängnis?
Im Falle eines Angriffs schlagen wir zurück?
Die Möglichkeit eines Angriffs beseitigte ich.
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Wir haben die Gefängnisse nicht privatisiert, damit sie leerstehen. Gut. Verstanden?
Die Bürgermeister nickten. Bis auf Berry. Er war der einzige Schwarze im Raum.
Gut. Sie wissen so gut wie ich, dass wir ohne die Steuern und Zuschüsse der SynchBro unsere Rathäuser zumachen können. Gut. Jetzt geht's nicht mehr um ein Schwimmbad in Subburbia, jetzt geht's endgültig um Sie und Ihre Familien. Ihre Polizeioffiziere müssen beteiligt werden. Wer vom Kuchen isst, gewöhnt sich an Süßigkeiten. Der Widerstand in den Revieren muss gebrochen werden! Verstanden? Gut. SynchBro droht mit Vergeltung. Hier - ich lese Ihnen mal was vor.
Wir haben die Gefängnisse nicht privatisiert, damit sie leerstehen. Gut. Verstanden?
Die Bürgermeister nickten. Bis auf Berry. Er war der einzige Schwarze im Raum.
Gut. Sie wissen so gut wie ich, dass wir ohne die Steuern und Zuschüsse der SynchBro unsere Rathäuser zumachen können. Gut. Jetzt geht's nicht mehr um ein Schwimmbad in Subburbia, jetzt geht's endgültig um Sie und Ihre Familien. Ihre Polizeioffiziere müssen beteiligt werden. Wer vom Kuchen isst, gewöhnt sich an Süßigkeiten. Der Widerstand in den Revieren muss gebrochen werden! Verstanden? Gut. SynchBro droht mit Vergeltung. Hier - ich lese Ihnen mal was vor.
300
Am Südpol. Mehrere Kammern. Die größeren Räume sind wie das White Trash am Flutgraben eingerichtet, die kleineren wie Motel One-Schlaf/Dusch/Notdurftzimmer. Die Bewohner, Forscher aus ärmeren Staaten, rotieren jede Woche zwischen den Gelassen.
Eingabe. Schaffen wirs ab.
Rückgabe. Was?
Eingabe. Uns. Jamaican Jerk Chicken. Mom's NSApple pie. Sie und mich. Ich könnte ohne Sie. Ginge. Leichen Herzens. Schaffen wir es ab. Das Alter, serneuert sich selbst. Keine Entschuldigungen. Null Geburten. Was kommt, geht. Die Schuldfrage sgeklärt. Schaffen wirs ab. Das Alibi.
Rückgabe. Darf ich Ihre vorletzte Eingabe zitieren: Marinated With The Love Only a Big-Assed Jamaican Mama Could Give. Halten Sie das für politisch korrekt? Und was machen wir mit dem Blibi?
Eingabe. Himmel, Jesus! Sind Sie betrunken?
Rückgabe. Sind Sie atrunken?
Eingabe. Kommen Sie sofort in mein Büro!
Rückgabe. Glück ist eine Frage des Zeitpunkts. Stehe bereits hinter Ihnen. Eispickel unterm Arm.
Am Südpol. Mehrere Kammern. Die größeren Räume sind wie das White Trash am Flutgraben eingerichtet, die kleineren wie Motel One-Schlaf/Dusch/Notdurftzimmer. Die Bewohner, Forscher aus ärmeren Staaten, rotieren jede Woche zwischen den Gelassen.
Eingabe. Schaffen wirs ab.
Rückgabe. Was?
Eingabe. Uns. Jamaican Jerk Chicken. Mom's NSApple pie. Sie und mich. Ich könnte ohne Sie. Ginge. Leichen Herzens. Schaffen wir es ab. Das Alter, serneuert sich selbst. Keine Entschuldigungen. Null Geburten. Was kommt, geht. Die Schuldfrage sgeklärt. Schaffen wirs ab. Das Alibi.
Rückgabe. Darf ich Ihre vorletzte Eingabe zitieren: Marinated With The Love Only a Big-Assed Jamaican Mama Could Give. Halten Sie das für politisch korrekt? Und was machen wir mit dem Blibi?
Eingabe. Himmel, Jesus! Sind Sie betrunken?
Rückgabe. Sind Sie atrunken?
Eingabe. Kommen Sie sofort in mein Büro!
Rückgabe. Glück ist eine Frage des Zeitpunkts. Stehe bereits hinter Ihnen. Eispickel unterm Arm.
301
Die Frau an der Scooterkasse las Peter Singer. Faszinierend zu beobachten, wie sie die Fahrkarten für die Bahn abriss, das Geld kassierte, sogar Wechselgeld herausgab, dabei den Kindern, nicht den Erwachsenen, zunickte. Und weiterlas. Sie las schnell, verflucht schnell. Animal Liberation. Ich hatte über das Buch meine Doktorarbeit geschrieben. Vor fünf Jahren. Mitten im Chaos. Die Zwillinge waren gerade zwei geworden, Jenny hatte, wieder mal, mit einer Psychose gekämpft, irgendwas mit JFK, der Monroe und dem FBI, mein Stiefvater war an Lungenkrebs verreckt. Gestorben wäre nicht das richtige Wort. Jim hatte einen Horror vor Krankenhäusern gehabt. Hatte es mit Homopathie versucht. Das Geld meiner Mutter unseriösen Heilern und evangelischen Predigern anvertraut. Bloß nicht in den OP-Saal. Bloß keine Chemo. Das Tier in uns will frei sein. Animal Liberation.
Ich konnte das Namensschild der Lesenden entziffern. Francis. Grüne Augen. Himmel! Holy shit. So was von grün. Ich stand total auf grün. Immer schon. Jenny hatte bei unser ersten Begegnung grün-blaue Augen gehabt. Erst nach einem halben Jahr hab ich sie ohne gefärbte Kontaktlinsen gesehen. Da war sie schon schwanger. Und stand auf einem Brückenpfeiler. Wäre nicht der richtige Moment gewesen, sich zu beschweren.
Die Affenversuche haben mich immens verstört, sage ich, als wir an der Reihe sind. Wissen Sie, dass sich John Maxwell Coetzee für Elizabeth Costello bei Singer bedient hat?
Die Zwillinge legen ihre Kinnladen auf das abgewetzte Brett, auf dem die Tickets und das Wechselgeld landen.
Francis sieht die Mädchen an. Wo ist eure Mutter, fragt sie.
Wow, denke ich, das geht schnell.
Tot, sagt Su.
Hat sich nicht von uns verabschiedet, sagt Ko.
Oh, sagt Francis. Hätte sie bestimmt gemacht, wenn sie gekonnt hätte, sagt sie und sieht mich an. Mit ihren grünen Augen.
Die Frau an der Scooterkasse las Peter Singer. Faszinierend zu beobachten, wie sie die Fahrkarten für die Bahn abriss, das Geld kassierte, sogar Wechselgeld herausgab, dabei den Kindern, nicht den Erwachsenen, zunickte. Und weiterlas. Sie las schnell, verflucht schnell. Animal Liberation. Ich hatte über das Buch meine Doktorarbeit geschrieben. Vor fünf Jahren. Mitten im Chaos. Die Zwillinge waren gerade zwei geworden, Jenny hatte, wieder mal, mit einer Psychose gekämpft, irgendwas mit JFK, der Monroe und dem FBI, mein Stiefvater war an Lungenkrebs verreckt. Gestorben wäre nicht das richtige Wort. Jim hatte einen Horror vor Krankenhäusern gehabt. Hatte es mit Homopathie versucht. Das Geld meiner Mutter unseriösen Heilern und evangelischen Predigern anvertraut. Bloß nicht in den OP-Saal. Bloß keine Chemo. Das Tier in uns will frei sein. Animal Liberation.
Ich konnte das Namensschild der Lesenden entziffern. Francis. Grüne Augen. Himmel! Holy shit. So was von grün. Ich stand total auf grün. Immer schon. Jenny hatte bei unser ersten Begegnung grün-blaue Augen gehabt. Erst nach einem halben Jahr hab ich sie ohne gefärbte Kontaktlinsen gesehen. Da war sie schon schwanger. Und stand auf einem Brückenpfeiler. Wäre nicht der richtige Moment gewesen, sich zu beschweren.
Die Affenversuche haben mich immens verstört, sage ich, als wir an der Reihe sind. Wissen Sie, dass sich John Maxwell Coetzee für Elizabeth Costello bei Singer bedient hat?
Die Zwillinge legen ihre Kinnladen auf das abgewetzte Brett, auf dem die Tickets und das Wechselgeld landen.
Francis sieht die Mädchen an. Wo ist eure Mutter, fragt sie.
Wow, denke ich, das geht schnell.
Tot, sagt Su.
Hat sich nicht von uns verabschiedet, sagt Ko.
Oh, sagt Francis. Hätte sie bestimmt gemacht, wenn sie gekonnt hätte, sagt sie und sieht mich an. Mit ihren grünen Augen.
302
Günther-Karl war der langweiligste Mensch, den sich Holger-Bernd vorstellen konnte. Günther-Karl lebte in einer Wohnung mit Günther-Karls Frau, die seit mehreren Jahren nicht mehr mit Günther-Karl sprach. Den Grund für das Zerwürfnis hatten Günther-Karl und Günther-Karls Frau vergessen. Holger-Bernd hatte bei Nachbarn und dem Postmann, dem in der Siedlung ein vertrautes Verhältnis zur Günther-Karls Schwägerin nachgesagt wurde, nichts Definitives über den Grund des Schweigens in Erfahrung bringen können. Hätten sich auseinandergelebt. Hätten niemals heiraten sollen. Der Tabakwarenverkäufer, der über alle Bewohner der Buntenkuh etwas zu berichten hatte, hatte Holger-Bernd mit einem unerhörten Bekenntnis überrascht: der Tabakwarenverkäufer kannte weder Günther-Karl noch Günther-Karls Frau. Günther-Karl und Günther-Karls Frau hatten sich offenbar im Schweigen eingerichtet, das nahm Holger-Bernd an. Kinder hatten Günther-Karl und Günther-Karls Frau keine. Jedenfalls keine, die zu Besuch kamen. Günther-Karl arbeitete in einer Firma, die ein Grundstück neben dem Buntenkuh-Center besaß. Was Günther-Karl machte, war Günther-Karl egal, das nahm Holger-Bernd an, da er Günter-Karl immer nur gähnend gesehen hatte. Günther-Karl musste bei der Arbeit nicht sprechen, so viel hatte Holger-Bernd vom Pförtner der Firma nach der diskreten Überreichung einer Blutwurst erfahren. In Günther-Karls Arbeitsraum, den sich Günther-Karl mit einem Taubstummen, der eine Viertelstelle hatte, teilte, gab es kein Telefon und keinen Computer. Auch das eine Information des redunseligen Pförtners, die eine weitere Blutwurst erfordert hatte. Das Zimmer befand sich im Keller der Firma, neben dem Eingang zur Tiefgarage des Centers. Diese Information hatte der Pförtner als Bonus dazugegeben, um Holger-Bernd loszuwerden. Es handelte sich um keine kleine, aber auch nicht um eine große Firma. Holger-Bernd, dem langsam, aber sicher der Geduldsfaden riss, ließ sich von der Firma anstellen, um sich Günther-Karls Vertrauen zu erschleichen.
Günther-Karl war der langweiligste Mensch, den sich Holger-Bernd vorstellen konnte. Günther-Karl lebte in einer Wohnung mit Günther-Karls Frau, die seit mehreren Jahren nicht mehr mit Günther-Karl sprach. Den Grund für das Zerwürfnis hatten Günther-Karl und Günther-Karls Frau vergessen. Holger-Bernd hatte bei Nachbarn und dem Postmann, dem in der Siedlung ein vertrautes Verhältnis zur Günther-Karls Schwägerin nachgesagt wurde, nichts Definitives über den Grund des Schweigens in Erfahrung bringen können. Hätten sich auseinandergelebt. Hätten niemals heiraten sollen. Der Tabakwarenverkäufer, der über alle Bewohner der Buntenkuh etwas zu berichten hatte, hatte Holger-Bernd mit einem unerhörten Bekenntnis überrascht: der Tabakwarenverkäufer kannte weder Günther-Karl noch Günther-Karls Frau. Günther-Karl und Günther-Karls Frau hatten sich offenbar im Schweigen eingerichtet, das nahm Holger-Bernd an. Kinder hatten Günther-Karl und Günther-Karls Frau keine. Jedenfalls keine, die zu Besuch kamen. Günther-Karl arbeitete in einer Firma, die ein Grundstück neben dem Buntenkuh-Center besaß. Was Günther-Karl machte, war Günther-Karl egal, das nahm Holger-Bernd an, da er Günter-Karl immer nur gähnend gesehen hatte. Günther-Karl musste bei der Arbeit nicht sprechen, so viel hatte Holger-Bernd vom Pförtner der Firma nach der diskreten Überreichung einer Blutwurst erfahren. In Günther-Karls Arbeitsraum, den sich Günther-Karl mit einem Taubstummen, der eine Viertelstelle hatte, teilte, gab es kein Telefon und keinen Computer. Auch das eine Information des redunseligen Pförtners, die eine weitere Blutwurst erfordert hatte. Das Zimmer befand sich im Keller der Firma, neben dem Eingang zur Tiefgarage des Centers. Diese Information hatte der Pförtner als Bonus dazugegeben, um Holger-Bernd loszuwerden. Es handelte sich um keine kleine, aber auch nicht um eine große Firma. Holger-Bernd, dem langsam, aber sicher der Geduldsfaden riss, ließ sich von der Firma anstellen, um sich Günther-Karls Vertrauen zu erschleichen.
303
Die Suppe roch nach Holz. Ein Stich Buche, zwei Stich Tanne. Zerhäckselte Zapfen sorgten für den aparten Braunton. Julius Sonboern, der Küchenchef, hatte eigenhändig winzige Harzkügelchen auf überreife Walderdbeeren geklebt, die, geachtelt, auf der Suppe wie sonnenverbrannte Freischwimmer gemütlich ihre Runden drehten.
Dr. Grieshaber aß die Delikatesse acht-, ja regelrecht lustlos. Der Botschaftsattachée kam jeden Arbeitstag, pünktlich um 14.15 Uhr, ins Frugal, das sich auf Forrest Cuisine spezialisiert hatte.
Das Fuchsragout auf Pilzrinde hatte Sonboern in Fachkreisen berühmt gemacht. An den Wänden des Lokals hingen, neben stattlichen Geweihen, die als Garderobenhaken dienten, großformatige Fotos, die den spitzbübisch grinsenden Küchenchef mit halb zerrissenen Boxershorts, pristiner Kochmütze und Vorderlader auf einer Lichtung zeigten. Auf jedem Bild präsentierte Sonboern ein totes, vom ihm geschossenes Tier. Besonderen Unmut hatten online das Kitzlein- und das Frischlingsfoto hervorgerufen. Auf beiden Fotos, die auch die Frugal-Website schmückten, hatten die ausgenommenen und gehäuteten Tierbabys grellgrünen Lippenstift und blaue Wimperntusche getragen.
Dr. Grieshaber biss in den mit Maronen und Hasenspeck gefüllten Saumagen. So konnte es mit ihm und der Botschafterin nicht weitergehen. Sie verstand nicht, dass die Austeritätsmaßnahmen eine Grenze haben mussten. Ihn vor versammelter Mannschaft abzukanzeln, ihm, buchstäblich, die Rechnungen vor die Füße zu werfen, gehörte sich nicht. Wenn er nur daran dachte, schäutem seine Lippen. Diese eingebildete Sozi-Nutte, sie unterschätzt mich, dachte Dr. Grieshaber, die Sozi-Hexe unterschätzt mich gewaltig. Es gibt genug Gründe, warum ich Argentinien und Libyen überlebt habe. Der Botschaftsattachée checkte die Kontakte in seinem Blackberry. Da war sie, Ruths Nummer. Die Söldnerin war mit ihm von Damaskus nach Paris gezogen. Ob sie mir den Verrat an Tony in der Zwischenzeit verziehen hat?, fragte sich Dr. Grieshaber. Einen Versuch war es wert. Er drückte auf die Wähltaste.
Die Suppe roch nach Holz. Ein Stich Buche, zwei Stich Tanne. Zerhäckselte Zapfen sorgten für den aparten Braunton. Julius Sonboern, der Küchenchef, hatte eigenhändig winzige Harzkügelchen auf überreife Walderdbeeren geklebt, die, geachtelt, auf der Suppe wie sonnenverbrannte Freischwimmer gemütlich ihre Runden drehten.
Dr. Grieshaber aß die Delikatesse acht-, ja regelrecht lustlos. Der Botschaftsattachée kam jeden Arbeitstag, pünktlich um 14.15 Uhr, ins Frugal, das sich auf Forrest Cuisine spezialisiert hatte.
Das Fuchsragout auf Pilzrinde hatte Sonboern in Fachkreisen berühmt gemacht. An den Wänden des Lokals hingen, neben stattlichen Geweihen, die als Garderobenhaken dienten, großformatige Fotos, die den spitzbübisch grinsenden Küchenchef mit halb zerrissenen Boxershorts, pristiner Kochmütze und Vorderlader auf einer Lichtung zeigten. Auf jedem Bild präsentierte Sonboern ein totes, vom ihm geschossenes Tier. Besonderen Unmut hatten online das Kitzlein- und das Frischlingsfoto hervorgerufen. Auf beiden Fotos, die auch die Frugal-Website schmückten, hatten die ausgenommenen und gehäuteten Tierbabys grellgrünen Lippenstift und blaue Wimperntusche getragen.
Dr. Grieshaber biss in den mit Maronen und Hasenspeck gefüllten Saumagen. So konnte es mit ihm und der Botschafterin nicht weitergehen. Sie verstand nicht, dass die Austeritätsmaßnahmen eine Grenze haben mussten. Ihn vor versammelter Mannschaft abzukanzeln, ihm, buchstäblich, die Rechnungen vor die Füße zu werfen, gehörte sich nicht. Wenn er nur daran dachte, schäutem seine Lippen. Diese eingebildete Sozi-Nutte, sie unterschätzt mich, dachte Dr. Grieshaber, die Sozi-Hexe unterschätzt mich gewaltig. Es gibt genug Gründe, warum ich Argentinien und Libyen überlebt habe. Der Botschaftsattachée checkte die Kontakte in seinem Blackberry. Da war sie, Ruths Nummer. Die Söldnerin war mit ihm von Damaskus nach Paris gezogen. Ob sie mir den Verrat an Tony in der Zwischenzeit verziehen hat?, fragte sich Dr. Grieshaber. Einen Versuch war es wert. Er drückte auf die Wähltaste.
304
Im Stollen schwiegen die Steiger. Den Staub von Jahrzehnten in den fremden Lungen, die in ihre Körper hineingewachsen waren wie Außerirdische. Das Herz eines Bergmanns, hieß es, sitzt in den Lungen. Die Steiger, sie schwiegen. Dachten an den Tod. Sie lagen im vollkommenen Kreis, ungeplant, keiner hatte sie arrangiert. Sie waren wie ein Orchester ohne Dirigent. Joer, die Jüngste, die einzige Frau hier unten, las, im Schein der Helmlampe. Joer las immer. Warum sollte sie jetzt damit aufhören? Ihre Waffe, am Anfang, gegen die Blicke. Gegen den Spott. Gegen die Geringschätzung. Allen hatte sie es gezeigt. Jetzt würden die Männer für sie sterben. Buchstäblich. Seit Joer aufgestanden war, draußen, als die Besitzer Profit gewittert hatten, noch größeren, da war sie, die Kleinste, auf das Fass geklettert. Sie hatte gesprochen. Und wie. Klar und wild. Furios. Mit einem Leuchten in den Augen. Das viele Lesen hatte sich gelohnt. Allein für diesen Moment. Eine Brandrede für die Ewigkeit. Hatte der alte Schmidt nicht hinbekommen. Die Gewerkschaft schmust, hatte Joer gesagt, wir sind die Kratzbürstigen. Ohne uns, hatte sie gesagt, geht hier nichts. Gar nichts. Wenn der Zweck die Mittel heilige, dann sei der Zweck unheilig, hatte sie, Marx zitierend, gerufen, und die Menge hatte Beifall gespendet. Jetzt, im stillen Stollen, las Joerl Die Liebe in den Zeiten der Cholera. Sie war, was keiner wusste, auch ich nicht, sie war verliebt. Zum ersten Mal. Aber dazu gleich mehr, wenn die Zeit reicht, denn die, die Zeit, sie läuft uns hier unten nicht davon. Eine Minute im Nichts fühlt sich häufig wie ein Tag an. Zunächst einmal zu mir. Ich lag hinter Joerl. Wenn es ging, tat ich das. Ich gab ihr von meinen Broten ab, die Mutter für mich schmierte. Teilte mein Wasser mit ihr. Joerl lächelte dann, aber sagte nichts. In den letzten zehn Monaten hat sie nicht ein einziges Mal direkt das Wort an mich gerichtet. Mich beirrt das nicht. Oder sagen wir es so: ich lasse mir nicht anmerken, wie sehr mich das kränkt, wie sehr ich nach einem Wort von ihr lechze. Ich spiele den Clown. Bringe alle zum Lachen. Obwohl ich todtraurig bin. Denn natürlich ist mir klar, dass Joer einen besseren Mann als mich verdient hat. Ich schätze, ich bin der Einzige, dem es nichts ausmacht, dass wir alle sterben müssen. Die Luft wird schon stickiger.
Im Stollen schwiegen die Steiger. Den Staub von Jahrzehnten in den fremden Lungen, die in ihre Körper hineingewachsen waren wie Außerirdische. Das Herz eines Bergmanns, hieß es, sitzt in den Lungen. Die Steiger, sie schwiegen. Dachten an den Tod. Sie lagen im vollkommenen Kreis, ungeplant, keiner hatte sie arrangiert. Sie waren wie ein Orchester ohne Dirigent. Joer, die Jüngste, die einzige Frau hier unten, las, im Schein der Helmlampe. Joer las immer. Warum sollte sie jetzt damit aufhören? Ihre Waffe, am Anfang, gegen die Blicke. Gegen den Spott. Gegen die Geringschätzung. Allen hatte sie es gezeigt. Jetzt würden die Männer für sie sterben. Buchstäblich. Seit Joer aufgestanden war, draußen, als die Besitzer Profit gewittert hatten, noch größeren, da war sie, die Kleinste, auf das Fass geklettert. Sie hatte gesprochen. Und wie. Klar und wild. Furios. Mit einem Leuchten in den Augen. Das viele Lesen hatte sich gelohnt. Allein für diesen Moment. Eine Brandrede für die Ewigkeit. Hatte der alte Schmidt nicht hinbekommen. Die Gewerkschaft schmust, hatte Joer gesagt, wir sind die Kratzbürstigen. Ohne uns, hatte sie gesagt, geht hier nichts. Gar nichts. Wenn der Zweck die Mittel heilige, dann sei der Zweck unheilig, hatte sie, Marx zitierend, gerufen, und die Menge hatte Beifall gespendet. Jetzt, im stillen Stollen, las Joerl Die Liebe in den Zeiten der Cholera. Sie war, was keiner wusste, auch ich nicht, sie war verliebt. Zum ersten Mal. Aber dazu gleich mehr, wenn die Zeit reicht, denn die, die Zeit, sie läuft uns hier unten nicht davon. Eine Minute im Nichts fühlt sich häufig wie ein Tag an. Zunächst einmal zu mir. Ich lag hinter Joerl. Wenn es ging, tat ich das. Ich gab ihr von meinen Broten ab, die Mutter für mich schmierte. Teilte mein Wasser mit ihr. Joerl lächelte dann, aber sagte nichts. In den letzten zehn Monaten hat sie nicht ein einziges Mal direkt das Wort an mich gerichtet. Mich beirrt das nicht. Oder sagen wir es so: ich lasse mir nicht anmerken, wie sehr mich das kränkt, wie sehr ich nach einem Wort von ihr lechze. Ich spiele den Clown. Bringe alle zum Lachen. Obwohl ich todtraurig bin. Denn natürlich ist mir klar, dass Joer einen besseren Mann als mich verdient hat. Ich schätze, ich bin der Einzige, dem es nichts ausmacht, dass wir alle sterben müssen. Die Luft wird schon stickiger.
305
Gottfried Schnabelhals liest Julian Barnes. Der Schauspieler betrachtete das Plakat, legte die Stirn in Falten, besann sich, das Stadttheater, in dessen Schaukasten Schnabelhals starrte, lag am Achtelmarkt, zentraler ging es nicht, das Publikum, meine Fans, wie Schnabelhals die größtenteils grauhaarigen Abonnentinnen nannte, es handelte sich zu 80 Prozent um Frauen, die magere Rente bezogen, die Gegend war strukturschwach, lag an der ehemaligen Zonengrenze, das Publikum sollte nicht die in Falten gelegte Stirn des Schauspielers sehen. Warum nicht Julian Barnes liest Gottfried Schnabelhals? Der Schauspieler schrieb selbst. Er hatte, im halbjährlichen Magazin des Theaters sogar einmal, vor elf Jahren, ein Dramolett veröffentlicht. Claus Schreimann kauft G.Sch. ein Lotterielos. Hervorragend komponiert. Tief, klar, scharf, witzig. Schnabelhals war sich sicher. Schnabelhals war sich immer sicher. Großartige Satire. Jedes Semikolon; wo es hingehörte. Die Resonanz auf die Veröffentlichung war mager geblieben. Um nicht zu sagen: ausgeblieben. Eine Wunde, die, wenn er ehrlich zu sich war, was Schnabelhals beim besten Willen nicht war, nie gewesen war, eine Wunde, die arg schmerzte. Er hatte sogar bei Bernhard geklaut. Er, Schnabelhals, hatte im Präludium des Dramoletts vorgegeben - und auf diesen Trick war er besonders stolz gewesen, einen Doppelgänger seiner selbst in den Text geschrieben zu haben -, er, Schnabelhals, hatte vorgegeben, nur nicht zu morden, die kulturmüden Honoratioren der Stadt nicht niederzumetzeln, weil die sechs, sieben Sekunden, die man brauchte, um jemanden zu ermorden, in keinem Verhältnis stünden zu den 15 Jahren, die man als verurteilter Mörder im Gefängnis verbringen müsste. Julian Barnes liest Gottfried Schnabelhals. Warum eigentlich nicht? Der Schauspieler lachte sein Königsdramen Lachen. Tief aus dem Bauch heraus. Ein Lachen, das, wie er glaubte, bis ins Foyer zu hören war. Selbst bei geschlossenen Türen.
Gottfried Schnabelhals liest Julian Barnes. Der Schauspieler betrachtete das Plakat, legte die Stirn in Falten, besann sich, das Stadttheater, in dessen Schaukasten Schnabelhals starrte, lag am Achtelmarkt, zentraler ging es nicht, das Publikum, meine Fans, wie Schnabelhals die größtenteils grauhaarigen Abonnentinnen nannte, es handelte sich zu 80 Prozent um Frauen, die magere Rente bezogen, die Gegend war strukturschwach, lag an der ehemaligen Zonengrenze, das Publikum sollte nicht die in Falten gelegte Stirn des Schauspielers sehen. Warum nicht Julian Barnes liest Gottfried Schnabelhals? Der Schauspieler schrieb selbst. Er hatte, im halbjährlichen Magazin des Theaters sogar einmal, vor elf Jahren, ein Dramolett veröffentlicht. Claus Schreimann kauft G.Sch. ein Lotterielos. Hervorragend komponiert. Tief, klar, scharf, witzig. Schnabelhals war sich sicher. Schnabelhals war sich immer sicher. Großartige Satire. Jedes Semikolon; wo es hingehörte. Die Resonanz auf die Veröffentlichung war mager geblieben. Um nicht zu sagen: ausgeblieben. Eine Wunde, die, wenn er ehrlich zu sich war, was Schnabelhals beim besten Willen nicht war, nie gewesen war, eine Wunde, die arg schmerzte. Er hatte sogar bei Bernhard geklaut. Er, Schnabelhals, hatte im Präludium des Dramoletts vorgegeben - und auf diesen Trick war er besonders stolz gewesen, einen Doppelgänger seiner selbst in den Text geschrieben zu haben -, er, Schnabelhals, hatte vorgegeben, nur nicht zu morden, die kulturmüden Honoratioren der Stadt nicht niederzumetzeln, weil die sechs, sieben Sekunden, die man brauchte, um jemanden zu ermorden, in keinem Verhältnis stünden zu den 15 Jahren, die man als verurteilter Mörder im Gefängnis verbringen müsste. Julian Barnes liest Gottfried Schnabelhals. Warum eigentlich nicht? Der Schauspieler lachte sein Königsdramen Lachen. Tief aus dem Bauch heraus. Ein Lachen, das, wie er glaubte, bis ins Foyer zu hören war. Selbst bei geschlossenen Türen.
306
Als das Geld abgeschafft wurde, am Tag der Einheit, aus dem Nichts heraus war die dpa-Pushmeldung G E L D A B G E S C H A F F T gekommen, Spiegel online, tagesschau.de, N24 zogen sofort nach, keiner hatte vorab davon gehört, weder Ministerialbeamte, noch die Bundesbanker, als das Geld abgeschafft wurde, verstummte die Nation. Als hätte sich die Bevölkerung der 16 Bundesländer auf eine Schweigeminute verständigt. Ganz spontan. Trauer, gewissermaßen, für eine gute, ja, für viele, die beste Freundin, einen guten, ja, den besten Freund. Fahrer hielten ihre Wagen an. Polizistinnen legten die Waffengurte ab. Im Audi-Stadion, das Eishockeypokalfinale war im Zweiten Drittel, stockten unwillkürlich die Trillerpfeifen der Fans. Die Menschen rieben sich die Augen. Wie bitte? Abgeschafft? Mein G E L D wertlos?
Dann wachten sie auf. Zuerst die Bayern, dann die Hamburger, zuletzt die Berliner. Und es ging los.
Als das Geld abgeschafft wurde, am Tag der Einheit, aus dem Nichts heraus war die dpa-Pushmeldung G E L D A B G E S C H A F F T gekommen, Spiegel online, tagesschau.de, N24 zogen sofort nach, keiner hatte vorab davon gehört, weder Ministerialbeamte, noch die Bundesbanker, als das Geld abgeschafft wurde, verstummte die Nation. Als hätte sich die Bevölkerung der 16 Bundesländer auf eine Schweigeminute verständigt. Ganz spontan. Trauer, gewissermaßen, für eine gute, ja, für viele, die beste Freundin, einen guten, ja, den besten Freund. Fahrer hielten ihre Wagen an. Polizistinnen legten die Waffengurte ab. Im Audi-Stadion, das Eishockeypokalfinale war im Zweiten Drittel, stockten unwillkürlich die Trillerpfeifen der Fans. Die Menschen rieben sich die Augen. Wie bitte? Abgeschafft? Mein G E L D wertlos?
Dann wachten sie auf. Zuerst die Bayern, dann die Hamburger, zuletzt die Berliner. Und es ging los.
307
Als sie die Spuren der Liebe abwischten, mit Wasser und etwas Spucke, ihrer und seiner, das Spülmittel war den Eltern ausgegangen, verstanden sie plötzlich, was passiert war. Vorher hatten Lust und Nebel geherrscht. Nichts, rein gar nichts, holy shit, würde jemals wieder dasselbe sein. Das ist nicht akzeptabel, dachten sie. Vieles war akzeptabel. Das nicht. Nicht zwischen ihnen. Die Türen des Lagers krachten. Müllsammler machten sich im Schatten der Nacht zu schaffen. Es gab noch welche, die schlechter dran waren als sie. Nicht viele, aber es gab sie. Verglühte Beispiele. Untergegangene Körper, von Adern zusammengehalten. Er kauerte auf dem Boden, zerdrückte, im Staub, bröselnde Käferkörper, brach in Tränen aus. Sie riss sich zusammen, seine Schwäche bestärkte sie, zeigte auf den Wecker. Er kam aus der Hocke hoch, schnellte förmlich nach oben, wie ein Turner, der nach der Recktstange greift, reichte ihr die tickende Bombe. Sie stellte die Zeiger zwei Stunden zurück, so einfach war das, leckte sich das Blut von den Fingern, sagte ein Vaterunser, noch eins, für ihn, der an nichts glaubte, nicht einmal an die Hölle, und bekreuzigte sich.
Als sie die Spuren der Liebe abwischten, mit Wasser und etwas Spucke, ihrer und seiner, das Spülmittel war den Eltern ausgegangen, verstanden sie plötzlich, was passiert war. Vorher hatten Lust und Nebel geherrscht. Nichts, rein gar nichts, holy shit, würde jemals wieder dasselbe sein. Das ist nicht akzeptabel, dachten sie. Vieles war akzeptabel. Das nicht. Nicht zwischen ihnen. Die Türen des Lagers krachten. Müllsammler machten sich im Schatten der Nacht zu schaffen. Es gab noch welche, die schlechter dran waren als sie. Nicht viele, aber es gab sie. Verglühte Beispiele. Untergegangene Körper, von Adern zusammengehalten. Er kauerte auf dem Boden, zerdrückte, im Staub, bröselnde Käferkörper, brach in Tränen aus. Sie riss sich zusammen, seine Schwäche bestärkte sie, zeigte auf den Wecker. Er kam aus der Hocke hoch, schnellte förmlich nach oben, wie ein Turner, der nach der Recktstange greift, reichte ihr die tickende Bombe. Sie stellte die Zeiger zwei Stunden zurück, so einfach war das, leckte sich das Blut von den Fingern, sagte ein Vaterunser, noch eins, für ihn, der an nichts glaubte, nicht einmal an die Hölle, und bekreuzigte sich.
308
Hosenscheißer tragen keine Röcke. Sondern fahren Borabora.
Die Werberin sieht in versteinerte Gesichter.
So haben sich die vier Vorstandsmitglieder die Kampagne für Power W nicht vorgestellt.
Hintervorn schiebt Floss einen Zettel zu. Was soll das, F?
Floss kritzelt etwas und schiebt den Zettel zurück. Pitch war anders, H. Du hast den Genderdreck doch gesehen. Kenn das Zeug nicht.
Hintervorn lächelt mühsam in die Kameras. Ein Dutzend Linsen sind auf das Gesicht des Vorstandsvorsitzenden gerichtet. Erst jetzt merkt Hintervorn, dass die Anstalten nur Kamerafrauen, Tontechnikerinnen und Journalistinnen geschickt haben. Außer den vier alten Männern sind nur Frauen im Raum.
Pirsch wird das nicht gefallen, denkt Hintervorn, gar nicht wird ihm das gefallen. Der Aufsichtsratsvorsitzende, dem ein Teil des Konzerns gehört, ist weder für seine Liebenswürdigkeit noch Geduld bekannt. Pirschs sardonisches Lächeln gleicht dem Grinsen eines Henkers.
Dass sich Pirschs Patriarchenlaunen für Hinternvorn in einer knappen Viertelstunde für immer als Problem in Luft auflösen würden, ist Hintervorn, dessen Lebensuhr in den fünften Gang schaltet, in diesem Moment nicht bekannt.
Die beiden Nachrichtensender übertragen die Power W Pressekonferenz live. Die Presseabteilung des Konzerns hat mal wieder ganze Arbeit geleistet. Selbst die Bundesministerin für Familie ist anwesend. Aber nicht nur das. Auch im Internet wird die Vorstellung gestreamt.
Mannzüge kommen immer zu spät. Besonders im Passatwind.
Die Werberin, die keine ist, grlent. Ein Haifischlächeln.
Mach was, F!
Floss räuspert sich. Die Kameras schwenken in seine Richtung. Äh, vielen ...
... genau! Herr Floss hat natürlich Recht! Das hätte ich doch beinahe vergessen! Mannomann, Machobann! Die Werberin klatscht begeistert in die Hände. Schwanz oder gart nicht!
Ein Netz, das unter der Decke des Presseraums angebracht ist, öffnet sich. Auspuff-Ballons, wie Penisse geformt, mit dem Logo des Konzerns auf dem Hodensack, schweben auf die vier Männer herunter.
Die Frauen im Raum lachen.
Die Werberin klatscht ein weiteres Mal in die Hände. Ihre beiden Assistentinen halten auf einmal Pistolen in den Händen und reißen die Flügeltür auf.
Hosenscheißer tragen keine Röcke. Sondern fahren Borabora.
Die Werberin sieht in versteinerte Gesichter.
So haben sich die vier Vorstandsmitglieder die Kampagne für Power W nicht vorgestellt.
Hintervorn schiebt Floss einen Zettel zu. Was soll das, F?
Floss kritzelt etwas und schiebt den Zettel zurück. Pitch war anders, H. Du hast den Genderdreck doch gesehen. Kenn das Zeug nicht.
Hintervorn lächelt mühsam in die Kameras. Ein Dutzend Linsen sind auf das Gesicht des Vorstandsvorsitzenden gerichtet. Erst jetzt merkt Hintervorn, dass die Anstalten nur Kamerafrauen, Tontechnikerinnen und Journalistinnen geschickt haben. Außer den vier alten Männern sind nur Frauen im Raum.
Pirsch wird das nicht gefallen, denkt Hintervorn, gar nicht wird ihm das gefallen. Der Aufsichtsratsvorsitzende, dem ein Teil des Konzerns gehört, ist weder für seine Liebenswürdigkeit noch Geduld bekannt. Pirschs sardonisches Lächeln gleicht dem Grinsen eines Henkers.
Dass sich Pirschs Patriarchenlaunen für Hinternvorn in einer knappen Viertelstunde für immer als Problem in Luft auflösen würden, ist Hintervorn, dessen Lebensuhr in den fünften Gang schaltet, in diesem Moment nicht bekannt.
Die beiden Nachrichtensender übertragen die Power W Pressekonferenz live. Die Presseabteilung des Konzerns hat mal wieder ganze Arbeit geleistet. Selbst die Bundesministerin für Familie ist anwesend. Aber nicht nur das. Auch im Internet wird die Vorstellung gestreamt.
Mannzüge kommen immer zu spät. Besonders im Passatwind.
Die Werberin, die keine ist, grlent. Ein Haifischlächeln.
Mach was, F!
Floss räuspert sich. Die Kameras schwenken in seine Richtung. Äh, vielen ...
... genau! Herr Floss hat natürlich Recht! Das hätte ich doch beinahe vergessen! Mannomann, Machobann! Die Werberin klatscht begeistert in die Hände. Schwanz oder gart nicht!
Ein Netz, das unter der Decke des Presseraums angebracht ist, öffnet sich. Auspuff-Ballons, wie Penisse geformt, mit dem Logo des Konzerns auf dem Hodensack, schweben auf die vier Männer herunter.
Die Frauen im Raum lachen.
Die Werberin klatscht ein weiteres Mal in die Hände. Ihre beiden Assistentinen halten auf einmal Pistolen in den Händen und reißen die Flügeltür auf.
309
Sich ein mittelmäßiges Leben wie das meine herauszugreifen, ein ereignisloses Leben, stelle eine Herausforderung dar, die ihr, in ihrem Kreise, viel Beifall eingebracht habe. Tagelang habe man sie mit Glückwunschemails für ihren Geniestreich überschüttet. Sie sei in den einschlägigen Netzwerken regelrecht gefeiert worden. Als hätte sie bereits einen Preis gewonnen. Als läge ihr scharfer Bericht über meine Stumpfheit bereits vor. Als würde man meine aufgeschnittenen, in Lyrikspeak eingelegten Dummgirl-Hirnlappen schon bei Suhrkamp bewundern können.
Aus Besitzstandswahrung hat sie weder meine Anschrift noch meinen Namen herausgegeben.
Namen haben unser Verhältnis bestimmt. Sie hatte es mit Begriffen. Muss wohl sein, bei einer Dichterin.
Ich weiß noch, wie sie den Namen des Verlags beim Sprechen buchstabiert hat. Nicht mit "C", sondern mit "K" schreibt sich der, du, die bringen keine Outdoor-Führer raus, du, echt nicht, nichts für dich, du, auch keine Queer-Theorieschinken, aber das interessiert dich ja eh nicht. Sie hat gerne von dem Buch gesprochen, das sie über meine Unscheinbarkeit schreiben wollte. Sie hat mir sogar das Cover genau beschrieben. Ganz in grau. Ein Bild Gerhard Richters hat ihr vorgeschwebt. Ihre Augen haben naiv geleuchtet. Muss man gesehen haben. Ich habe mich auf Augen spezialisiert.
Statt meinen Vornamen zu benutzen, hat sie mich "du" genannt.
Ich konnte es richtig sehen, am dritten Tag, als wir gerade auf dem Weg zur Waldhütte meiner toten Zwillingsschwester waren, kam ihr die Erleuchtung. Du, hat sie gesagt, das Buch soll "du//rststrecke" heißen. Mit kleinem "d" und "//" vor "rststrecke".
In der Hütte habe ich sie erst mit der Okishiba-Masakuni-Sammlung und dann den Augen in Aspik überrascht. Normalerweise ist das was für Typen.
Die sehen ja genau aus wie deine, du, hat sie gesagt.
Die Briefe, die sie an ihren Freund, einen Performancekünstler, geschrieben hat, habe ich aufgehoben. Erst dachte ich, ich würde mich beim Umzug von allen Sachen trennen. Die Brücken abreißen. Spuren verwischen. Dann habe ich mir das anders überlegt. Die Briefe sind einfach zu krass. Nichts, aber rein gar nichts, hat sie verstanden. Wenn ich schlechte Laune habe, was meistens Nachts ist, gehe ich an die Pausenbrotschachtel, in der ich die Briefe aufbewahre, greife mir irgendeinen heraus und schon überfällt mich Gelächter. Es ist zu komisch. Ich stopfe mir ein, zwei Socken in den Mund, damit ich niemanden aufwecke. Die Wände sind hier ziemlich dünn. Das war in meiner anderen Wohnung nicht der Fall.
Sich ein mittelmäßiges Leben wie das meine herauszugreifen, ein ereignisloses Leben, stelle eine Herausforderung dar, die ihr, in ihrem Kreise, viel Beifall eingebracht habe. Tagelang habe man sie mit Glückwunschemails für ihren Geniestreich überschüttet. Sie sei in den einschlägigen Netzwerken regelrecht gefeiert worden. Als hätte sie bereits einen Preis gewonnen. Als läge ihr scharfer Bericht über meine Stumpfheit bereits vor. Als würde man meine aufgeschnittenen, in Lyrikspeak eingelegten Dummgirl-Hirnlappen schon bei Suhrkamp bewundern können.
Aus Besitzstandswahrung hat sie weder meine Anschrift noch meinen Namen herausgegeben.
Namen haben unser Verhältnis bestimmt. Sie hatte es mit Begriffen. Muss wohl sein, bei einer Dichterin.
Ich weiß noch, wie sie den Namen des Verlags beim Sprechen buchstabiert hat. Nicht mit "C", sondern mit "K" schreibt sich der, du, die bringen keine Outdoor-Führer raus, du, echt nicht, nichts für dich, du, auch keine Queer-Theorieschinken, aber das interessiert dich ja eh nicht. Sie hat gerne von dem Buch gesprochen, das sie über meine Unscheinbarkeit schreiben wollte. Sie hat mir sogar das Cover genau beschrieben. Ganz in grau. Ein Bild Gerhard Richters hat ihr vorgeschwebt. Ihre Augen haben naiv geleuchtet. Muss man gesehen haben. Ich habe mich auf Augen spezialisiert.
Statt meinen Vornamen zu benutzen, hat sie mich "du" genannt.
Ich konnte es richtig sehen, am dritten Tag, als wir gerade auf dem Weg zur Waldhütte meiner toten Zwillingsschwester waren, kam ihr die Erleuchtung. Du, hat sie gesagt, das Buch soll "du//rststrecke" heißen. Mit kleinem "d" und "//" vor "rststrecke".
In der Hütte habe ich sie erst mit der Okishiba-Masakuni-Sammlung und dann den Augen in Aspik überrascht. Normalerweise ist das was für Typen.
Die sehen ja genau aus wie deine, du, hat sie gesagt.
Die Briefe, die sie an ihren Freund, einen Performancekünstler, geschrieben hat, habe ich aufgehoben. Erst dachte ich, ich würde mich beim Umzug von allen Sachen trennen. Die Brücken abreißen. Spuren verwischen. Dann habe ich mir das anders überlegt. Die Briefe sind einfach zu krass. Nichts, aber rein gar nichts, hat sie verstanden. Wenn ich schlechte Laune habe, was meistens Nachts ist, gehe ich an die Pausenbrotschachtel, in der ich die Briefe aufbewahre, greife mir irgendeinen heraus und schon überfällt mich Gelächter. Es ist zu komisch. Ich stopfe mir ein, zwei Socken in den Mund, damit ich niemanden aufwecke. Die Wände sind hier ziemlich dünn. Das war in meiner anderen Wohnung nicht der Fall.
310
Gehen wir die Sache doch bitte einmal durch. Ganz in Ruhe. Die Therapeutin lag enstpannt auf einer waldgrünen Isomatte, nippte am Fruchttee. Setzen Sie sich. Herzlich willkommen.
Für das Paar gab es eine wasserblaue und eine sonnengelbe Matte.
Die Sache? Der Rollkragenpulli des Mannes kratzte. Ein Geschenk der Schwiegermutter. Mit einem Rehbock drauf, an dessen Geweih ein Schild mit der Aufschrift Ich mach ständig Ärger hing. Der Mann schwitzte. Wie ein Schwein. Der Saft lief ihm literweise den Rucken runter. Unter dem Rehbockpulli aus Polyester trug der Mann nur das löchrige T-Shirt, das er schon im Bett getragen hatte. Vorgestern, gestern und heute. Der Mann wünschte, er hätte nicht den ersten Besten gegriffen. Könnten Sie vielleicht die Heizung runterstellen?
Seine Frau schüttelte den Kopf. Sie hatte es sich auf der sonnengelben Matte bequem gemacht. So ist er immer. Die Frau lächelte die Therapeutin an. Machte auf Beste-Freundin und So-sind-sie-die-Männer. Stellt, sagte die Frau, erstens, eine Frage nach der anderen. Wartet, zweitens, auf keine Anwort. Will, drittens, von hinten und vorne bedient werden. Gleichzeitig, versteht sich. Interessiert sich, viertens, nicht dafür, was seine Umgebung denkt oder fühlt. Dass ich beim kleinsten Luftzug eine Erkältung bekomme - ich wette, das hat er immer noch nicht kapiert. Nach elf Jahren Ehe. Hat, fünftens, jedes Gespür für Körperhygiene verloren. Mit solchen Haaren die Wohnung zu verlassen? Wer täte das, der noch klar bei Verstand ist? Und sehen Sie die dunklen Ränder unter den Nägeln? Sehen Sie die? Seien Sie froh, dass er Socken trägt. E-ke-lig.
Geld, dachte er, meines Geldes wegen hat sie mich geheiratet. Jetzt, wo die Hausse die Aktien nach oben treibt, macht sie auf Haussegen-hängt-schief. Wir sind doch nur hier, damit Du später behaupten kannst, Du hättest alles versucht, oder? Dir geht es doch in Wahrheit nur um die Knete!
Was hast Du da gesagt? Die Frau sprang auf, stieß dabei den Tee der Therapeutin um. Sie stellte sich in eine ihrer Karatepositionen. Seek perfection of character, sagte die Frau, be faithful, endeavour, respect others, refrain from violent behaivior. Beim letzten Satz ging die Frau dem Mann an die Gurgel.
Karate ist wie heißes Wasser, das abkühlt, wenn du es nicht ständig warm hältst, sagte der Mann keuchend. Um den Übergriff wirken zu lassen, wartete er einen Moment, dann schüttelte er die Frau ab. Sie krachte auf die wasserblaue Matte. Pech gehabt, Schatz. Jetzt haben wir eine Zeugin. Nichts wirst Du bekommen, das kann ich Dir versprechen! Rein gar nichts.
Die da? Die Frau war wieder auf den Füßen und zeigte auf die völlig überraschte Therapeutin. Die zitternde Teemuschi mit dem süßen Schnuckelgirl? Meinst Du die? Die Frau nahm ein Foto, das die Therapeutin mit einem kleinen Mächen zeigte, von der Wand, ließ es fallen und zertrat den Rahmen. Meinst Du etwa diese kleine Fotze da? Deren Schnuckelgirl ich die Gurgel umdreh, wenn Sie auch nur ansatzweise das Maul aufreißt?
Gehen wir die Sache doch bitte einmal durch. Ganz in Ruhe. Die Therapeutin lag enstpannt auf einer waldgrünen Isomatte, nippte am Fruchttee. Setzen Sie sich. Herzlich willkommen.
Für das Paar gab es eine wasserblaue und eine sonnengelbe Matte.
Die Sache? Der Rollkragenpulli des Mannes kratzte. Ein Geschenk der Schwiegermutter. Mit einem Rehbock drauf, an dessen Geweih ein Schild mit der Aufschrift Ich mach ständig Ärger hing. Der Mann schwitzte. Wie ein Schwein. Der Saft lief ihm literweise den Rucken runter. Unter dem Rehbockpulli aus Polyester trug der Mann nur das löchrige T-Shirt, das er schon im Bett getragen hatte. Vorgestern, gestern und heute. Der Mann wünschte, er hätte nicht den ersten Besten gegriffen. Könnten Sie vielleicht die Heizung runterstellen?
Seine Frau schüttelte den Kopf. Sie hatte es sich auf der sonnengelben Matte bequem gemacht. So ist er immer. Die Frau lächelte die Therapeutin an. Machte auf Beste-Freundin und So-sind-sie-die-Männer. Stellt, sagte die Frau, erstens, eine Frage nach der anderen. Wartet, zweitens, auf keine Anwort. Will, drittens, von hinten und vorne bedient werden. Gleichzeitig, versteht sich. Interessiert sich, viertens, nicht dafür, was seine Umgebung denkt oder fühlt. Dass ich beim kleinsten Luftzug eine Erkältung bekomme - ich wette, das hat er immer noch nicht kapiert. Nach elf Jahren Ehe. Hat, fünftens, jedes Gespür für Körperhygiene verloren. Mit solchen Haaren die Wohnung zu verlassen? Wer täte das, der noch klar bei Verstand ist? Und sehen Sie die dunklen Ränder unter den Nägeln? Sehen Sie die? Seien Sie froh, dass er Socken trägt. E-ke-lig.
Geld, dachte er, meines Geldes wegen hat sie mich geheiratet. Jetzt, wo die Hausse die Aktien nach oben treibt, macht sie auf Haussegen-hängt-schief. Wir sind doch nur hier, damit Du später behaupten kannst, Du hättest alles versucht, oder? Dir geht es doch in Wahrheit nur um die Knete!
Was hast Du da gesagt? Die Frau sprang auf, stieß dabei den Tee der Therapeutin um. Sie stellte sich in eine ihrer Karatepositionen. Seek perfection of character, sagte die Frau, be faithful, endeavour, respect others, refrain from violent behaivior. Beim letzten Satz ging die Frau dem Mann an die Gurgel.
Karate ist wie heißes Wasser, das abkühlt, wenn du es nicht ständig warm hältst, sagte der Mann keuchend. Um den Übergriff wirken zu lassen, wartete er einen Moment, dann schüttelte er die Frau ab. Sie krachte auf die wasserblaue Matte. Pech gehabt, Schatz. Jetzt haben wir eine Zeugin. Nichts wirst Du bekommen, das kann ich Dir versprechen! Rein gar nichts.
Die da? Die Frau war wieder auf den Füßen und zeigte auf die völlig überraschte Therapeutin. Die zitternde Teemuschi mit dem süßen Schnuckelgirl? Meinst Du die? Die Frau nahm ein Foto, das die Therapeutin mit einem kleinen Mächen zeigte, von der Wand, ließ es fallen und zertrat den Rahmen. Meinst Du etwa diese kleine Fotze da? Deren Schnuckelgirl ich die Gurgel umdreh, wenn Sie auch nur ansatzweise das Maul aufreißt?
311
Freut mich, freut mich sehr. Mein Name ist Irmgard Kneuert. Mit EU. Wie in Europäischer Union. Sagt Ihnen das was? Nein, nicht die EU, sondern Kneuert. Nicht die kleinste Ahnung? Eine ferne Erinnerung? Alles im Schwarzen Loch verschwunden?
Schön haben Sie es hier. Feine Sachen. Geschmackvoll. Viel gereist. Viele Kameras. Alle laufen. Toll. Arbeiten Sie als Bühnenbildner an der Schaubühne? Oder für den BND?
Wie man sich täuschen kann. Ich dachte ... vielleicht wars überkandidelt ... in den sozialen Netzwerken kann man immer noch alles finden. Über mich. Deswegen also nicht. Warum dann das ganze Geschrurbel? Der noble Wagen? Das Champagnergetöse? Der rote Teppich?
Gefragt? Was denken Sie denn? Ja, mehr als einmal. Hab ich, mehr als einmal. Da hat sich die Flatline endlich gelohnt. Ansonsten hab ich das Handy nur benutzt, um den Weg zu finden. Für mich sieht eine Ecke wie die nächste aus. Verlaufen hält schlank, hat Vater immer gesagt.
Verhungert ist er. Mutter hat das Skelett gefunden. Jahre später. Vier Kilometer hinter dem Amazon-Lager. Nützlich, so ein Telefon, sehr nützlich sogar.
Nein, das kann man so nicht sagen. Und worüber man nichts sagen kann, soll man schweigen. Da liegen Sie falsch. Die Prämisse muss anders formuliert werden.
Ob Sie drei Söhne haben? Woher soll ich ... eine Annahme ... nicht echt ... ach so.
Wie alt die jetzt sind? Die angenommen Söhne? Sprechen wir immer noch von Ihren Söhnen? Der eingebildeten Brut? Den legendären drei Söhnen? Den drei missratenen Schlägern? Den drei jugendlichen Dauerdeliquenten? Den drei Hurensöhnen, die Sie nicht haben?
Das Produkt der Jahre sei 36, sagen Sie. Die Summe der Jahre sei das heutige Datum. Außerdem habe Ihr ältester Sohn einen Hund. Gibt es ein Mindestalter für Hunde in Ihrem schönen Land? Nein? Gut. Einer Ihrer Söhne sei also älter als die anderen beiden.
Machen wir eine Fallunterscheidung. Schreiben wir die möglichen Alterskombinationen auf. Es gibt acht, nein sieben Fiesebrutmöglichkeiten.
2 x 2 x 9. Die Summe ist 13.
Danke. Keine weitere. Echt verlockend. Aber nein. Sie haben mich doch nicht deswegen ... dachte ich mir. Hätten Sie ein Glas Wasser für mich? Ihre Scheinwerfer knallen ordentlich. Da wird mir ganz heiß. Und sie haben ja davon gehört, was passiert, wenn mir ganz heiß wird. Wenigstens das werden sie von der feurigen Kneuert gehört haben. Mit Doppel-EU.
Eine Wanne. Sehr subtil. Ja, die Netzwerke. Co-würgen-Space. Ich soll daraus trinken? Vor Ihnen? Das wird mir jetzt zu bunt. Jemand gesellt sich zu mir, sobald ich in der Wanne liege? Tatsächlich? Darf ich mein Kostüm anbehalten? Sie sind also nicht nur Bühnenbildner, sondern auch Dramatiker? Der Wasser-Beckett? Wer soll das sein, der zu mir in die Wanne steigt? Sie?
Angenehme Temperatur. Muss ich zugeben. Bekommen wenige hin. Wo bleibt denn der andere ... Gast?
Freut mich, freut mich sehr. Mein Name ist Irmgard Kneuert. Mit EU. Wie in Europäischer Union. Sagt Ihnen das was? Nein, nicht die EU, sondern Kneuert. Nicht die kleinste Ahnung? Eine ferne Erinnerung? Alles im Schwarzen Loch verschwunden?
Schön haben Sie es hier. Feine Sachen. Geschmackvoll. Viel gereist. Viele Kameras. Alle laufen. Toll. Arbeiten Sie als Bühnenbildner an der Schaubühne? Oder für den BND?
Wie man sich täuschen kann. Ich dachte ... vielleicht wars überkandidelt ... in den sozialen Netzwerken kann man immer noch alles finden. Über mich. Deswegen also nicht. Warum dann das ganze Geschrurbel? Der noble Wagen? Das Champagnergetöse? Der rote Teppich?
Gefragt? Was denken Sie denn? Ja, mehr als einmal. Hab ich, mehr als einmal. Da hat sich die Flatline endlich gelohnt. Ansonsten hab ich das Handy nur benutzt, um den Weg zu finden. Für mich sieht eine Ecke wie die nächste aus. Verlaufen hält schlank, hat Vater immer gesagt.
Verhungert ist er. Mutter hat das Skelett gefunden. Jahre später. Vier Kilometer hinter dem Amazon-Lager. Nützlich, so ein Telefon, sehr nützlich sogar.
Nein, das kann man so nicht sagen. Und worüber man nichts sagen kann, soll man schweigen. Da liegen Sie falsch. Die Prämisse muss anders formuliert werden.
Ob Sie drei Söhne haben? Woher soll ich ... eine Annahme ... nicht echt ... ach so.
Wie alt die jetzt sind? Die angenommen Söhne? Sprechen wir immer noch von Ihren Söhnen? Der eingebildeten Brut? Den legendären drei Söhnen? Den drei missratenen Schlägern? Den drei jugendlichen Dauerdeliquenten? Den drei Hurensöhnen, die Sie nicht haben?
Das Produkt der Jahre sei 36, sagen Sie. Die Summe der Jahre sei das heutige Datum. Außerdem habe Ihr ältester Sohn einen Hund. Gibt es ein Mindestalter für Hunde in Ihrem schönen Land? Nein? Gut. Einer Ihrer Söhne sei also älter als die anderen beiden.
Machen wir eine Fallunterscheidung. Schreiben wir die möglichen Alterskombinationen auf. Es gibt acht, nein sieben Fiesebrutmöglichkeiten.
2 x 2 x 9. Die Summe ist 13.
Danke. Keine weitere. Echt verlockend. Aber nein. Sie haben mich doch nicht deswegen ... dachte ich mir. Hätten Sie ein Glas Wasser für mich? Ihre Scheinwerfer knallen ordentlich. Da wird mir ganz heiß. Und sie haben ja davon gehört, was passiert, wenn mir ganz heiß wird. Wenigstens das werden sie von der feurigen Kneuert gehört haben. Mit Doppel-EU.
Eine Wanne. Sehr subtil. Ja, die Netzwerke. Co-würgen-Space. Ich soll daraus trinken? Vor Ihnen? Das wird mir jetzt zu bunt. Jemand gesellt sich zu mir, sobald ich in der Wanne liege? Tatsächlich? Darf ich mein Kostüm anbehalten? Sie sind also nicht nur Bühnenbildner, sondern auch Dramatiker? Der Wasser-Beckett? Wer soll das sein, der zu mir in die Wanne steigt? Sie?
Angenehme Temperatur. Muss ich zugeben. Bekommen wenige hin. Wo bleibt denn der andere ... Gast?
312
Nach der Anzahl der abgegebenen Einladungskarten zu schließen, sind wir vollzählig. Die Kanadier sind entschuldigt. Kunstpause. Denen läuft das Öl mal wieder davon.
Pflichtschuldiges Lachen. Am lautesten lacht der Russe, am leisesten der Saudi. Vom Japaner kommt, wie zu erwarten, ein Hüsteln.
Tagesordnungspunkt Eins. Taiwan.
Der Chinese steht auf. Formosa.
Ich vergaß. Kunstpause. Famose Idee.
Verhaltenes Lachen. Am leisesten lacht der Russe. Vom Japaner kommt, wie zu erwarten, ein High Five Richtung Amerikaner und Australier.
Tagesordnungspunkt Eins. Wir sind beim letzten Mal übereingekommen, den Status der Insel offiziell nicht zu ändern. Was wir verändern wollen, ist die Währung. Der formosaische Taiwan Dollar wird an den Renminbi angekoppelt. Gegenstimmen?
Der Moderator überhört geflissentlich das Hüsteln des Japaners.
Als der Japaner Anstalten macht, aufzustehen, meldet sich der Chinese. Wir haben das Moratorium über die Diaoyutai-Inseln unterschriftsreif dabei. Er hebt ein Schriftstück hoch. Bestehen aber auf Geheimhaltung.
Fürs Protokoll: Das Senkaku-Moratorium. Der Japaner stellt das Hüsteln ein.
Der Indonesier reicht dem Japaner ein Taschentuch. Für die Krokodilstränen.
Tagesordnungspunkt Zwei. Kunstpause. Mordkorea.
Ausgelassenes Lachen.
Nach der Anzahl der abgegebenen Einladungskarten zu schließen, sind wir vollzählig. Die Kanadier sind entschuldigt. Kunstpause. Denen läuft das Öl mal wieder davon.
Pflichtschuldiges Lachen. Am lautesten lacht der Russe, am leisesten der Saudi. Vom Japaner kommt, wie zu erwarten, ein Hüsteln.
Tagesordnungspunkt Eins. Taiwan.
Der Chinese steht auf. Formosa.
Ich vergaß. Kunstpause. Famose Idee.
Verhaltenes Lachen. Am leisesten lacht der Russe. Vom Japaner kommt, wie zu erwarten, ein High Five Richtung Amerikaner und Australier.
Tagesordnungspunkt Eins. Wir sind beim letzten Mal übereingekommen, den Status der Insel offiziell nicht zu ändern. Was wir verändern wollen, ist die Währung. Der formosaische Taiwan Dollar wird an den Renminbi angekoppelt. Gegenstimmen?
Der Moderator überhört geflissentlich das Hüsteln des Japaners.
Als der Japaner Anstalten macht, aufzustehen, meldet sich der Chinese. Wir haben das Moratorium über die Diaoyutai-Inseln unterschriftsreif dabei. Er hebt ein Schriftstück hoch. Bestehen aber auf Geheimhaltung.
Fürs Protokoll: Das Senkaku-Moratorium. Der Japaner stellt das Hüsteln ein.
Der Indonesier reicht dem Japaner ein Taschentuch. Für die Krokodilstränen.
Tagesordnungspunkt Zwei. Kunstpause. Mordkorea.
Ausgelassenes Lachen.
313
Sie saßen, wie immer, wenn es regnete, unter der Plane an der Rückwand des Gartens. Sieben, seit Hilke tot war. Jack hatte nun seinen Platz zwischen den Gastgebern.
Die Frage ist doch nicht, ob wir Athen helfen sollen, die Frage lautet: wie.
Du meinst: wieder?
Suse, ich bitte dich. Nicht schon ...
Der Widerspenstigen Zähmung, wenn ihr mich fragt. Tsipras und Varoufakis - wisst ihr, was Lagarde letztens über die gesagt hat?
Sexy Beasts?
Keine Ahnung, was Frauen an einem kahlköpfigen Wirtschaftsprofessor finden.
Die wollen seinen gestrecken Stinkefinger.
Arno! Jetzt hör aber auf.
Lass ihn doch, Alex. Neid ist wenigstens ein ehrliches Gefühl.
445 000.
445 000 - was?
Follower. Varoufakis hat 445 000 Follower bei Twitter.
Heißt das nicht auf Twitter?
Im Gewitter.
Follower - das klingt, als hätten sie einen neuen Führer ...
... Verführer ...
... gefunden.
Was hat Lagarde denn nun gesagt über Tsipras und Wahrundfickis?
Arno!
Sie hat gesagt, sie würde gerne mal wieder mit Erwachsenen verhandeln.
Für mich ist erwachsen ein Schimpfwort. Zu. Alles abgeschlossen. Keine Blüten mehr.
Apropos Blüten. Euer Ginster ist diesmal echt umwerfend.
Sein Ginster, Jack. Ganz allein sein Ginster. Franz lässt mich an diese Ecke nicht ran. Das sei ihm zu riskant. Ich hätte kein Gespür für das vernünftige Wässern. Entweder gösse ich zu wenig oder ich gösse zu viel.
Gibt es eigentlich noch das schöne Wort güsse?
Ja, in Regengüsse.
Wer will noch Wein?
Sie saßen, wie immer, wenn es regnete, unter der Plane an der Rückwand des Gartens. Sieben, seit Hilke tot war. Jack hatte nun seinen Platz zwischen den Gastgebern.
Die Frage ist doch nicht, ob wir Athen helfen sollen, die Frage lautet: wie.
Du meinst: wieder?
Suse, ich bitte dich. Nicht schon ...
Der Widerspenstigen Zähmung, wenn ihr mich fragt. Tsipras und Varoufakis - wisst ihr, was Lagarde letztens über die gesagt hat?
Sexy Beasts?
Keine Ahnung, was Frauen an einem kahlköpfigen Wirtschaftsprofessor finden.
Die wollen seinen gestrecken Stinkefinger.
Arno! Jetzt hör aber auf.
Lass ihn doch, Alex. Neid ist wenigstens ein ehrliches Gefühl.
445 000.
445 000 - was?
Follower. Varoufakis hat 445 000 Follower bei Twitter.
Heißt das nicht auf Twitter?
Im Gewitter.
Follower - das klingt, als hätten sie einen neuen Führer ...
... Verführer ...
... gefunden.
Was hat Lagarde denn nun gesagt über Tsipras und Wahrundfickis?
Arno!
Sie hat gesagt, sie würde gerne mal wieder mit Erwachsenen verhandeln.
Für mich ist erwachsen ein Schimpfwort. Zu. Alles abgeschlossen. Keine Blüten mehr.
Apropos Blüten. Euer Ginster ist diesmal echt umwerfend.
Sein Ginster, Jack. Ganz allein sein Ginster. Franz lässt mich an diese Ecke nicht ran. Das sei ihm zu riskant. Ich hätte kein Gespür für das vernünftige Wässern. Entweder gösse ich zu wenig oder ich gösse zu viel.
Gibt es eigentlich noch das schöne Wort güsse?
Ja, in Regengüsse.
Wer will noch Wein?
314
4.40 Uhr klingelt der Wecker.
Sie steht auf, sofort, stellt den Wecker aus, öffnet, es sind wenige Schritte, die Balkontür. Elf Grad. Vielleicht zwölf.
4.41 Uhr geht die Sonne auf.
Die Sonne erreicht, sagt sie, sie spricht mit den Vögeln, die Sonne erreicht, aufs Jahr gesehen, heute ihren mittäglichen Höchststand. Den Höchststand überm Horizont. Ein Grund zur Freude. Und zur Trauer. Wir nehmen, was da ist. Bedienen uns. Solange es geht. Die Sonne erreicht den größten nördlichen Abstand vom Himmelsäquator, sagt sie.
Die Vögel zwitschern.
Sie schließt die Balkontür, kehrt ins Bett zurück, drückt sich an ihn. Ihre Gliedmaßen sind kalt. Besonders die Füße. Kälter als in den vergangenen Jahren. Die Sonne dreht ihre durch die Schiefe der Ekliptik bewirkte Deklinationsbewegung um, flüstert sie ihm ins Ohr. Sie benutzt die Worte, die sie benutzen möchte. Wäre er wach, hätte sie statt Ekliptik "größter Kreis, in dem die Ebene der Erdbahn um die Sonne die als unendlich groß gedachte Himmelskugel schneidet" gesagt.
Was?, fragt er, was sagst du? Seine Stimme klingt rauh. Und warm. Sein Atem riecht nach Rauch und Schokolade.
Während die Erde jährlich die Sonne umrundet, bleibt die Stellung ihrer Achse im Raum nahezu unverändert, sagt sie und legt sich auf ihn. Dadurch weist in den Monaten zwischen März und September die Nordhalbkugel etwas mehr zur Sonne, sagt sie und drückt ihre Hand auf sein Glied.
Er streckt und schüttelt sich. Leicht. Ihre Hand fühlt sich kalt an. Und schwer.
Sie küsst ihn auf die Augenlider. Für eine bestimmte geographische Region ändert sich deswegen im Jahreslauf der Einfallswinkel der Sonnenstrahlen und die Dauer des Tageslichts, sagt sie. Sie küsst seine Ohrmuscheln, erst die linke, dann die rechte. Gestern, vorm Zubettgehen, hat sie die Muscheln sorgfältig gesäubert. So entstehen die Jahreszeiten, sagt sie.
Sein Glied wird steif in ihrer Hand.
Da sich die Erde um die Sonne dreht, wandert an sich nicht die Sonne, sondern die Nordhalbkugel der Erde wendet sich erneut von der Sonne ab, sagt sie. Sie rollt von ihm runter, zieht ihn, ganz langsam, von der Längs- zur Querseite des Bettes, peu à peu, setzt sich auf sein Gesicht. Setzt sich so auf sein Gesicht, dass er gerade noch atmen kann.
Er spürt ihre feuchten Lippen auf seinem Mund.
Von der Erde aus sieht es dann so aus, als ob die Sonne ab heute wieder nach Süden zieht, sagt sie. Sie geht kurz nach oben, in die Hocke, öffnet behutsam seinen Mund, um den Beißreflex zu vermeiden, zieht seine Zunge, sachtemang, heraus und setzt sich drauf.
Er leckt, verschlafen, ihren Kitzler.
Heute gibt es 16 Stunden und 54 Minuten Licht, sagt sie. Ihr Saft läuft über seine Lippen.
4.40 Uhr klingelt der Wecker.
Sie steht auf, sofort, stellt den Wecker aus, öffnet, es sind wenige Schritte, die Balkontür. Elf Grad. Vielleicht zwölf.
4.41 Uhr geht die Sonne auf.
Die Sonne erreicht, sagt sie, sie spricht mit den Vögeln, die Sonne erreicht, aufs Jahr gesehen, heute ihren mittäglichen Höchststand. Den Höchststand überm Horizont. Ein Grund zur Freude. Und zur Trauer. Wir nehmen, was da ist. Bedienen uns. Solange es geht. Die Sonne erreicht den größten nördlichen Abstand vom Himmelsäquator, sagt sie.
Die Vögel zwitschern.
Sie schließt die Balkontür, kehrt ins Bett zurück, drückt sich an ihn. Ihre Gliedmaßen sind kalt. Besonders die Füße. Kälter als in den vergangenen Jahren. Die Sonne dreht ihre durch die Schiefe der Ekliptik bewirkte Deklinationsbewegung um, flüstert sie ihm ins Ohr. Sie benutzt die Worte, die sie benutzen möchte. Wäre er wach, hätte sie statt Ekliptik "größter Kreis, in dem die Ebene der Erdbahn um die Sonne die als unendlich groß gedachte Himmelskugel schneidet" gesagt.
Was?, fragt er, was sagst du? Seine Stimme klingt rauh. Und warm. Sein Atem riecht nach Rauch und Schokolade.
Während die Erde jährlich die Sonne umrundet, bleibt die Stellung ihrer Achse im Raum nahezu unverändert, sagt sie und legt sich auf ihn. Dadurch weist in den Monaten zwischen März und September die Nordhalbkugel etwas mehr zur Sonne, sagt sie und drückt ihre Hand auf sein Glied.
Er streckt und schüttelt sich. Leicht. Ihre Hand fühlt sich kalt an. Und schwer.
Sie küsst ihn auf die Augenlider. Für eine bestimmte geographische Region ändert sich deswegen im Jahreslauf der Einfallswinkel der Sonnenstrahlen und die Dauer des Tageslichts, sagt sie. Sie küsst seine Ohrmuscheln, erst die linke, dann die rechte. Gestern, vorm Zubettgehen, hat sie die Muscheln sorgfältig gesäubert. So entstehen die Jahreszeiten, sagt sie.
Sein Glied wird steif in ihrer Hand.
Da sich die Erde um die Sonne dreht, wandert an sich nicht die Sonne, sondern die Nordhalbkugel der Erde wendet sich erneut von der Sonne ab, sagt sie. Sie rollt von ihm runter, zieht ihn, ganz langsam, von der Längs- zur Querseite des Bettes, peu à peu, setzt sich auf sein Gesicht. Setzt sich so auf sein Gesicht, dass er gerade noch atmen kann.
Er spürt ihre feuchten Lippen auf seinem Mund.
Von der Erde aus sieht es dann so aus, als ob die Sonne ab heute wieder nach Süden zieht, sagt sie. Sie geht kurz nach oben, in die Hocke, öffnet behutsam seinen Mund, um den Beißreflex zu vermeiden, zieht seine Zunge, sachtemang, heraus und setzt sich drauf.
Er leckt, verschlafen, ihren Kitzler.
Heute gibt es 16 Stunden und 54 Minuten Licht, sagt sie. Ihr Saft läuft über seine Lippen.
315
Carla, mit der er ein Team gebildet hatte, 14 Jahre lang, die verflixten Zweimalsieben, hatte ihn gleich Dress gerufen. Die restliche Wache hatte schnell nachgezogen. Der Name passte. Wie seine beringte Faust aufs Blaueisauge. Einige hatten ein i dazugesetzt. Dressi. Er hatte das bevorzugt. Es hatte, in seinen Ohren, weniger feminin geklungen.
Jetzt, nach der Sache, die nicht glimpflich ausgegangen war, fragte sich Carla, seit einer Woche wieder im Dienst, aber noch wacklig auf den Beinen, weswegen sie im Trakt mit den jungen Mädchen eingesetzt wurde, Carla, eine Deutschitalienerin, fragte sich, ob sie Dress zu sehr herausgefordert hatte. Mit der Mafiascheiße, der Ackerstraßenpizzaconnection. Dressi und Carla waren wie ein altes Ehepaar gewesen. Mit reichlich Macken. Mit unerschütterlicher Zuneigung. Okay, unerschütterlich - das stimmte vielleicht nicht ganz. Aber immerhin: Sie hatten viel voneinander gewusst. Er hatte ihre Periode riechen können. Sie hatte zwischen seinem Lust- und seinem Angstschweiß unterscheiden können. Roch er nach Angst, floss Blut. Waren sie miteinander ins Bett gegangen, wie die halbe Wache vermutet hatte? "Süß, ihr Beiden! Wann gibt's Nachwuchs? Wären hübsche Kinder!" Weder Carla noch Dressi hatten jemals auf die Sprüche reagiert. Zwischen ihnen und der Wache hatte es eine unsichtbare Mauer gegeben. Die beiden hatten mehr Zeit miteinander verbracht als Carla mit Jo, der viel in Mailand war, oder Dressi mit - wie war noch mal der Name der letzten Tusse gewesen? Cyndi oder Sandy oder so. Dressi hatte jedes Vierteljahr eine Neue gehabt. Mindestens. Die Unterbrechung, Mind The Gap, hatte niemals länger als 24 Stunden gedauert. Eine Regel von ihm. "Ich komm heim, das Essen steht auf dem Tisch, sie trägt nichts drunter." Dann hatte Dressi gelacht, schmutzig und, was allein Carla gemerkt hatte, traurig. Sein Aussehen hatte für Nachschub gesorgt. Ging er in eine Bar, kam er mit der attraktivsten Frau wieder raus. Nicht mit der Klügsten. Intelligenz hatte Dressi nur an Carla geschätzt. Und das war sein größtes Problem gewesen. Die Notwendigkeit, sich überlegen zu fühlen. Das war ihm bei Pepe e Papa zum Verhängnis geworden.
Carla, mit der er ein Team gebildet hatte, 14 Jahre lang, die verflixten Zweimalsieben, hatte ihn gleich Dress gerufen. Die restliche Wache hatte schnell nachgezogen. Der Name passte. Wie seine beringte Faust aufs Blaueisauge. Einige hatten ein i dazugesetzt. Dressi. Er hatte das bevorzugt. Es hatte, in seinen Ohren, weniger feminin geklungen.
Jetzt, nach der Sache, die nicht glimpflich ausgegangen war, fragte sich Carla, seit einer Woche wieder im Dienst, aber noch wacklig auf den Beinen, weswegen sie im Trakt mit den jungen Mädchen eingesetzt wurde, Carla, eine Deutschitalienerin, fragte sich, ob sie Dress zu sehr herausgefordert hatte. Mit der Mafiascheiße, der Ackerstraßenpizzaconnection. Dressi und Carla waren wie ein altes Ehepaar gewesen. Mit reichlich Macken. Mit unerschütterlicher Zuneigung. Okay, unerschütterlich - das stimmte vielleicht nicht ganz. Aber immerhin: Sie hatten viel voneinander gewusst. Er hatte ihre Periode riechen können. Sie hatte zwischen seinem Lust- und seinem Angstschweiß unterscheiden können. Roch er nach Angst, floss Blut. Waren sie miteinander ins Bett gegangen, wie die halbe Wache vermutet hatte? "Süß, ihr Beiden! Wann gibt's Nachwuchs? Wären hübsche Kinder!" Weder Carla noch Dressi hatten jemals auf die Sprüche reagiert. Zwischen ihnen und der Wache hatte es eine unsichtbare Mauer gegeben. Die beiden hatten mehr Zeit miteinander verbracht als Carla mit Jo, der viel in Mailand war, oder Dressi mit - wie war noch mal der Name der letzten Tusse gewesen? Cyndi oder Sandy oder so. Dressi hatte jedes Vierteljahr eine Neue gehabt. Mindestens. Die Unterbrechung, Mind The Gap, hatte niemals länger als 24 Stunden gedauert. Eine Regel von ihm. "Ich komm heim, das Essen steht auf dem Tisch, sie trägt nichts drunter." Dann hatte Dressi gelacht, schmutzig und, was allein Carla gemerkt hatte, traurig. Sein Aussehen hatte für Nachschub gesorgt. Ging er in eine Bar, kam er mit der attraktivsten Frau wieder raus. Nicht mit der Klügsten. Intelligenz hatte Dressi nur an Carla geschätzt. Und das war sein größtes Problem gewesen. Die Notwendigkeit, sich überlegen zu fühlen. Das war ihm bei Pepe e Papa zum Verhängnis geworden.
316
Der Entschluss, an der Apfelkernschlingmeisterschaft 2015 teilzunehmen, fiel spontan. Hill war gerade in der Gegend. Auf Montage. Hatte nichts besseres vor. Kannte hier keine Seele. Ein Teil war nicht geliefert worden. Hill hatte also den Nachmittag über frei. Normalerweise nahm er sich kein Wochenende, wollte auch keins. Zeit war schließlich Geld. Er arbeitete lieber in einem Rutsch und ging anschließend segeln. Einhand. Auf der Ostsee. Bevorzugt in der tückischen Kieler Bucht. Jetzt war Hill aber im Alten Land. Gestrandet, gewissermaßen. Und, wie gesagt, auf Montage.
Die Samtgemeinde Lühe lag idyllisch an der Elbmarsch. Aus der ganzen Umgebung waren die Apfelkernschlinger angereist. Mit, wie es hier seit alters her üblich war, Pferdewagen. Das größte Kontingent stellten die Teams aus Jork und dem Neu Wulmstorfer Ortsteil Rübke. Dafür hatten die Cranzer und Francoper mehr Fans und noch mehr Spirituosen mitgebracht. Aus unerfindlichen Gründen waren die Neuenfelder nicht anwesend. Niedersachsen gegen Hamburger hieß es, hinter vorgehaltener Hand. Nach vorne raus taten alle so, als träten sie nur für ihr Dorf oder, und das waren die besten Lügner, allein für ihren Apfelhof oder, noch gewiefter, die Ehre an. Nebenbei wurden - am Rande des Apfelkernschllngareals stand ein improvisierter Laufsteg und ein Siegerpodest - nebenbei wurden in Lühe auch Apfelprinz und Apfelprinzessin gewählt. Jeder konnte mitmachen. Es wurde stillschweigend erwartet, dass Prinzessin und Prinz drei Tage in einer Hütte am Deich verbrachten. In der Hütte befanden sich zwölf Kameras, von RTL gestellt. Die ganze Sache wurde gestreamt. Hielten die beiden es miteinander aus, gab es, allerdings nur bei entsprechenden Einschaltquoten, für das Paar einen Golden Delicious. Echtes Gold, wohlgemerkt. Eine Initiative des Fremdenverkehrvereins Altes Land, die bei den Traditionalisten für reichlich Stirnrunzeln gesorgt hatte, aber für Hills Geschichte, die gleich erzählt werden soll, eine wichtige Rolle spielte.
Vorab noch ein, zwei Sätze zu Hill. Der Schwabe war, an sich, verheiratet, hatte allerdings seine Frau, eine Australierin, die in Melbourne ihre kranke Mutter pflegte, seit sieben Monaten nur auf Skype gesehen. Die täglichen Gesprächen waren erst immer kürzer, dann, seit einem Vierteljahr, wöchentlich geworden. Im Alten Land hatte Hills Tablet schlechten Empfang, so dass er und seine Frau das Bildtelefonat am Vorabend der Apfelkernschlingmeisterschaft durch vier Kurznachrichten ersetzt hatten. Wie gehts? + Gut. + Dir? + Auch. Eine Sache von weniger als zehn Sekunden. Hill war, durch seinen Job, muskelbepackt und braun gebrannt. Mangelnde Schulbildung machte er durch Freundlichkeit und grünblaue Augen wett. Die Australierin hatte, was sie ihm in der Hochzeitsnacht in Muckensturm, einem Bezirk von Bad Canstatt, während des Geschlechtsverkehrs gestanden hatte - Nicht die Augen schließen, Hill! Schit, verdammt, nicht jetzt! -, die Australierin hatte ihn nur seiner außergewöhnlichen Iris wegen geheiratet.
Der Entschluss, an der Apfelkernschlingmeisterschaft 2015 teilzunehmen, fiel spontan. Hill war gerade in der Gegend. Auf Montage. Hatte nichts besseres vor. Kannte hier keine Seele. Ein Teil war nicht geliefert worden. Hill hatte also den Nachmittag über frei. Normalerweise nahm er sich kein Wochenende, wollte auch keins. Zeit war schließlich Geld. Er arbeitete lieber in einem Rutsch und ging anschließend segeln. Einhand. Auf der Ostsee. Bevorzugt in der tückischen Kieler Bucht. Jetzt war Hill aber im Alten Land. Gestrandet, gewissermaßen. Und, wie gesagt, auf Montage.
Die Samtgemeinde Lühe lag idyllisch an der Elbmarsch. Aus der ganzen Umgebung waren die Apfelkernschlinger angereist. Mit, wie es hier seit alters her üblich war, Pferdewagen. Das größte Kontingent stellten die Teams aus Jork und dem Neu Wulmstorfer Ortsteil Rübke. Dafür hatten die Cranzer und Francoper mehr Fans und noch mehr Spirituosen mitgebracht. Aus unerfindlichen Gründen waren die Neuenfelder nicht anwesend. Niedersachsen gegen Hamburger hieß es, hinter vorgehaltener Hand. Nach vorne raus taten alle so, als träten sie nur für ihr Dorf oder, und das waren die besten Lügner, allein für ihren Apfelhof oder, noch gewiefter, die Ehre an. Nebenbei wurden - am Rande des Apfelkernschllngareals stand ein improvisierter Laufsteg und ein Siegerpodest - nebenbei wurden in Lühe auch Apfelprinz und Apfelprinzessin gewählt. Jeder konnte mitmachen. Es wurde stillschweigend erwartet, dass Prinzessin und Prinz drei Tage in einer Hütte am Deich verbrachten. In der Hütte befanden sich zwölf Kameras, von RTL gestellt. Die ganze Sache wurde gestreamt. Hielten die beiden es miteinander aus, gab es, allerdings nur bei entsprechenden Einschaltquoten, für das Paar einen Golden Delicious. Echtes Gold, wohlgemerkt. Eine Initiative des Fremdenverkehrvereins Altes Land, die bei den Traditionalisten für reichlich Stirnrunzeln gesorgt hatte, aber für Hills Geschichte, die gleich erzählt werden soll, eine wichtige Rolle spielte.
Vorab noch ein, zwei Sätze zu Hill. Der Schwabe war, an sich, verheiratet, hatte allerdings seine Frau, eine Australierin, die in Melbourne ihre kranke Mutter pflegte, seit sieben Monaten nur auf Skype gesehen. Die täglichen Gesprächen waren erst immer kürzer, dann, seit einem Vierteljahr, wöchentlich geworden. Im Alten Land hatte Hills Tablet schlechten Empfang, so dass er und seine Frau das Bildtelefonat am Vorabend der Apfelkernschlingmeisterschaft durch vier Kurznachrichten ersetzt hatten. Wie gehts? + Gut. + Dir? + Auch. Eine Sache von weniger als zehn Sekunden. Hill war, durch seinen Job, muskelbepackt und braun gebrannt. Mangelnde Schulbildung machte er durch Freundlichkeit und grünblaue Augen wett. Die Australierin hatte, was sie ihm in der Hochzeitsnacht in Muckensturm, einem Bezirk von Bad Canstatt, während des Geschlechtsverkehrs gestanden hatte - Nicht die Augen schließen, Hill! Schit, verdammt, nicht jetzt! -, die Australierin hatte ihn nur seiner außergewöhnlichen Iris wegen geheiratet.
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Ein Schiff. Geht unter. An Bord. Du. Und ich. Und 84 andere. Du hälst dich fest. An mir. Ich halte mich fest. An dir. Wenn wir das schaffen. Sagst du. Ja. Frage ich. Nennen wir ihn Robinson. Sagst du. Und wenn es ein Mädchen wird. Frage ich. Dann auch, gerade dann. Sagst du.
Ein Schiff. Geht unter. An Bord. Du. Und ich. Und 84 andere. Du hälst dich fest. An mir. Ich halte mich fest. An dir. Wenn wir das schaffen. Sagst du. Ja. Frage ich. Nennen wir ihn Robinson. Sagst du. Und wenn es ein Mädchen wird. Frage ich. Dann auch, gerade dann. Sagst du.
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Die Versicherung versicherte, nicht zuständig zu sein. Ein sauberer Brief. Dreimal gefaltet. Dank des Streiks hatte er einige Wochen unbearbeitet auf der Poststelle gelegen. Das Datum verriet es. Dann kam der Brief, wurde von Ehrenamtlichen zugestellt. So weit war es schon. Ehrenamtliche als willige Streikbrecher. Der Neoliberalismus war eine tolle Erfindung. Nicht zuständig. Hochachtungsvoll. Keine Unterschrift. Und die Bemerkung Verzeihen Sie bitte, falls Sie diesen Brief mehrmals erhalten. Es wäre zu teuer, die Sendungen zu überprüfen. Deswegen kann die Versicherung nicht zahlen, verplempert das Geld mit Doppelt- und Dreifachporto, dachte Helga und staubte die Glasvirtine ab, in der die Fotos aufgereiht standen. Ausflüge, Taufen, Nachmittage im Park, das Rondo auf Mallorca, der Kegelclub Alle Neune Ulm und um Ulm herum, Helga und Holger auf dem Glasbodenboot. Das Glasbodenboot war Holgers Traum gewesen. Einmal mit einem Glasbodenboot über ein Korallenriff tuckern. Der beschissene Lügner. Als wären wir eine ganz normale Familie gewesen. Als hätte er nur mich gehabt. Nur Fritz, den Sohn, der im Kosovo stationiert war, und nur Freya, die Tochter, die nach Neuseeland ausgewandert war. Weiter weg von uns ging nicht, die Freya, abgehauen, kann ich schon nachvollziehen, dachte Helga, hätt ich an ihrer Stelle genauso gemacht, so und nicht anders, man ist nur einmal jung. Und jetzt das. Die Versicherung lehnte ab. Sie habe nicht bewiesen, dass Holger eines natürlichen Todes gestorben sei. Sie lachte und zündete sich eine an. Wie sollte das auch gehen? Normal? Hier war doch nichts normal gewesen.
Die Versicherung versicherte, nicht zuständig zu sein. Ein sauberer Brief. Dreimal gefaltet. Dank des Streiks hatte er einige Wochen unbearbeitet auf der Poststelle gelegen. Das Datum verriet es. Dann kam der Brief, wurde von Ehrenamtlichen zugestellt. So weit war es schon. Ehrenamtliche als willige Streikbrecher. Der Neoliberalismus war eine tolle Erfindung. Nicht zuständig. Hochachtungsvoll. Keine Unterschrift. Und die Bemerkung Verzeihen Sie bitte, falls Sie diesen Brief mehrmals erhalten. Es wäre zu teuer, die Sendungen zu überprüfen. Deswegen kann die Versicherung nicht zahlen, verplempert das Geld mit Doppelt- und Dreifachporto, dachte Helga und staubte die Glasvirtine ab, in der die Fotos aufgereiht standen. Ausflüge, Taufen, Nachmittage im Park, das Rondo auf Mallorca, der Kegelclub Alle Neune Ulm und um Ulm herum, Helga und Holger auf dem Glasbodenboot. Das Glasbodenboot war Holgers Traum gewesen. Einmal mit einem Glasbodenboot über ein Korallenriff tuckern. Der beschissene Lügner. Als wären wir eine ganz normale Familie gewesen. Als hätte er nur mich gehabt. Nur Fritz, den Sohn, der im Kosovo stationiert war, und nur Freya, die Tochter, die nach Neuseeland ausgewandert war. Weiter weg von uns ging nicht, die Freya, abgehauen, kann ich schon nachvollziehen, dachte Helga, hätt ich an ihrer Stelle genauso gemacht, so und nicht anders, man ist nur einmal jung. Und jetzt das. Die Versicherung lehnte ab. Sie habe nicht bewiesen, dass Holger eines natürlichen Todes gestorben sei. Sie lachte und zündete sich eine an. Wie sollte das auch gehen? Normal? Hier war doch nichts normal gewesen.
319
Wie können Sie als weißer, mittelalter Mann über eine junge, schwarze Frau schreiben? fragt sie.
Was mir überhaupt einfiele? fragt sie.
Seien mir die weißen, mittelalten Mittelstandsgeschichten ausgegangen? fragt sie.
Ob ich auf den lukrative Zug aufspringen wollte? fragt sie.
Ob ich meine Haut gebleicht hätte? fragt sie.
Ob ich mein Geschlecht gewechselt hätte? fragt sie.
Ob ich mich auf mittelalt geschminkt hätte? fragt sie.
Für wen ich mich hielte? fragt sie.
Für einen weißen, mittelalten Gott oder eine junge, schwarze Göttin? fragt sie.
Wie können Sie als weißer, mittelalter Mann über eine junge, schwarze Frau schreiben? fragt sie.
Was mir überhaupt einfiele? fragt sie.
Seien mir die weißen, mittelalten Mittelstandsgeschichten ausgegangen? fragt sie.
Ob ich auf den lukrative Zug aufspringen wollte? fragt sie.
Ob ich meine Haut gebleicht hätte? fragt sie.
Ob ich mein Geschlecht gewechselt hätte? fragt sie.
Ob ich mich auf mittelalt geschminkt hätte? fragt sie.
Für wen ich mich hielte? fragt sie.
Für einen weißen, mittelalten Gott oder eine junge, schwarze Göttin? fragt sie.
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Die Hörstürze passieren in immer kürzeren Abständen. Nicht dass ich's darauf abgesehen hätte. Auch von Gewöhnung kann nicht die Rede sein. Wer sich an das Böse gewöhnt, wird, über kurz oder lang, selbst böse. Nehmen wir nur Sandra, eine Freundin von mir, die in Argentinien gearbeitet hat. Während der Zeit, na, Sie wissen schon, was ich sagen will, gucken Sie nicht so ängstlich, ja, unter Jorge Rafael Videla. Ewigkeiten her, und trotzdem hat noch jeder gehörigen Respekt. Ich kenn jemanden, Sie kennen jemanden. Das geht schnell. Dass Staatsanwälte bei uns verschwinden, ist eher die Regel als die Ausnahme. Also Sandra. Irgendwann hat sie alles geglaubt. Damit Argentienen wieder sicher sei, müssten so viele Menschen wie nötig sterben. Hat sie, allen Ernstes, zu mir gesagt. Das Böse wäscht uns das Hirn. Was das mit meinen Hörstürzen zu tun hat? Ich glaube, ich weigere mich, tief im Unterbewusstsein, den letzten Schritt zu gehen, den meine Freunde und meine Familie von mir erwarten. Eine wie ich wird halt in den Schlamassel hineingeboren. Du kommst als Kacke zur Welt, und sie formen Scheiße aus dir. Schon im Krankenhaus geht's los. Unsere Mütter liegen alle in einem großen Zimmer, vor der Tür die bewaffneten Wachen. Der Doktor ist einer von uns, die Krankenschwestern auch. Warum ich noch hier bin? Sie könnten mich auch fragen, warum Blut durch meine Adern fließt.
Die Hörstürze passieren in immer kürzeren Abständen. Nicht dass ich's darauf abgesehen hätte. Auch von Gewöhnung kann nicht die Rede sein. Wer sich an das Böse gewöhnt, wird, über kurz oder lang, selbst böse. Nehmen wir nur Sandra, eine Freundin von mir, die in Argentinien gearbeitet hat. Während der Zeit, na, Sie wissen schon, was ich sagen will, gucken Sie nicht so ängstlich, ja, unter Jorge Rafael Videla. Ewigkeiten her, und trotzdem hat noch jeder gehörigen Respekt. Ich kenn jemanden, Sie kennen jemanden. Das geht schnell. Dass Staatsanwälte bei uns verschwinden, ist eher die Regel als die Ausnahme. Also Sandra. Irgendwann hat sie alles geglaubt. Damit Argentienen wieder sicher sei, müssten so viele Menschen wie nötig sterben. Hat sie, allen Ernstes, zu mir gesagt. Das Böse wäscht uns das Hirn. Was das mit meinen Hörstürzen zu tun hat? Ich glaube, ich weigere mich, tief im Unterbewusstsein, den letzten Schritt zu gehen, den meine Freunde und meine Familie von mir erwarten. Eine wie ich wird halt in den Schlamassel hineingeboren. Du kommst als Kacke zur Welt, und sie formen Scheiße aus dir. Schon im Krankenhaus geht's los. Unsere Mütter liegen alle in einem großen Zimmer, vor der Tür die bewaffneten Wachen. Der Doktor ist einer von uns, die Krankenschwestern auch. Warum ich noch hier bin? Sie könnten mich auch fragen, warum Blut durch meine Adern fließt.
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Je wacher Zunika sich fühlte, desto trauriger schaute Callypso auf den Laptop. Noch einen, sagte Zunika und hielt den Becher hoch. Auf dem Becher stand auf der einen Seite Kündige jetzt und auf der anderen Du bist echt steilgeil. Callypso nahm Zunikas Becher und verließ das Apartment. Hinter dem Block befand sich ein Pfad, der zum Clubhaus der Sailers führte. Die Sailers hatten nichts mit Segeln zu tun. Das zu begreifen, hatte Callypso etwas Schwierigkeiten bereitet. Am Anfang, als er und Zunika in die Gegend gezogen waren, sie wollten näher am Wasser sein, war er zum Clubhaus gegangen und hatte gefragt, ob er Mitgleid werden könnte, er hätte in seiner Jugend gesegelt, besäße alle erforderlichen Scheine. Die beiden jungen Frauen, die an der Sailers-Rezeption arbeiteten, hatten ihn nur mitleidig angesehen. Hier blase ein anderer Wind, ein schärferer, hatte die eine dann zu ihm gesagt, dabei hatte sie ihr Kaugummi zerplatzen lassen und wie ein Mann gelacht. Callypso konnte sich noch an die Farbe erinnern: das Kaugummi war neonpink gewesen.
Je wacher Zunika sich fühlte, desto trauriger schaute Callypso auf den Laptop. Noch einen, sagte Zunika und hielt den Becher hoch. Auf dem Becher stand auf der einen Seite Kündige jetzt und auf der anderen Du bist echt steilgeil. Callypso nahm Zunikas Becher und verließ das Apartment. Hinter dem Block befand sich ein Pfad, der zum Clubhaus der Sailers führte. Die Sailers hatten nichts mit Segeln zu tun. Das zu begreifen, hatte Callypso etwas Schwierigkeiten bereitet. Am Anfang, als er und Zunika in die Gegend gezogen waren, sie wollten näher am Wasser sein, war er zum Clubhaus gegangen und hatte gefragt, ob er Mitgleid werden könnte, er hätte in seiner Jugend gesegelt, besäße alle erforderlichen Scheine. Die beiden jungen Frauen, die an der Sailers-Rezeption arbeiteten, hatten ihn nur mitleidig angesehen. Hier blase ein anderer Wind, ein schärferer, hatte die eine dann zu ihm gesagt, dabei hatte sie ihr Kaugummi zerplatzen lassen und wie ein Mann gelacht. Callypso konnte sich noch an die Farbe erinnern: das Kaugummi war neonpink gewesen.
322
Am härtesten traf es ihre Familie, während wir, gleich nebenan, weitgehend verschont geblieben sind, jedenfalls von außen, ich meine, der erste Schein und so, jeder, der vorbeiging, sagte, wau, die Fangs haben aber echt Schwein gehabt, seht euch nur die Hütte der Mings an, in deren Haut möchte ich jetzt nicht stecken, die zerfleischen sich bestimmt gegenseitig, wer im zweiten Stock bleibt, der sieht ja noch ganz heil aus, oder wer unten rechts einzieht, heilige Granate, da steht nicht mehr viel, aber, um ehrlich zu sein, es war ganz anders, die Mings, sie rückten zusammen, während wir, nach dem winzigen Schissriss in der Kackküchenwand, unreinen tisch gemacht haben, alles, der ganze Scheiß mit Ottos Weiberkram, Ragnas Spielsucht und, ja, auch meine Nummern wurden durchdekliniert, tabula rasa, Otto, Ragna und mir wurde regelrecht die Haut abgezogen, die anderen kannten kein Erbarmen, Otto hat geflennt, Ragna hat sich auf stur gestellt, ich hätte es übrigens andersherum erwartet, aber in solchen Situationen zeigt sich eben, wer ein Stiefellecker ist oder wer mal ganz zünftig den Arsch in der Hose lässt, jetzt willst du bestimmt hören, was ich auf dem Kerbholz habe, kann ich nachvollziehen, wäre mir aber fucklieber, wenn wir nachher drüber reden, im Moment habe ich ein anderes Problem, weswegen ich überhaupt mit dir in Kontakt getreten bin, dein Angebot gilt noch, oder?, du erinnerst dich doch bestimmt, dass wir eine Rechnung offen haben, nach dem Bruch im März, und das halbe Jahr, das du dir ausbedungen hast, ist schließlich auch vorbei, knapp, aber vorbei, am Ende ist eben nichts umsonst, man zahlt immer zurück, mir ist es, nur um das klarzustellen, einerlei, was mit dir und der jungen Ming gewesen ist, ich habe das längst vergessen und würde es dem alten Ming auch nicht stecken, da gebe ich dir mein Ehrenwort, der soll ja nicht besonders freundlich auf solche Sachen reagieren, du kannst dich auf meine Verschwiegenheit voll und ganz verlassen, ich halte zu dir, du bist mir lieb und teuer, ich hätte nichts davon, wenn dich der alte Ming in Stücke zerhackt, das ist ja Jochens Bruder vergangene Woche passiert, weiß nicht, ob dich die Nachricht in Rom erreicht hat, fein säuberlich, der alte Ming hat sein Handwerk gelernt, ein Meisterzerchneider, soll im Imbiss verwertet worden sein, Tagesmenü 1 Jo Che En, süßsauer, wie auch immer, kommen wir zum Wesentlichen, kommen wir zum Gefallen, den du mir schuldest.
Am härtesten traf es ihre Familie, während wir, gleich nebenan, weitgehend verschont geblieben sind, jedenfalls von außen, ich meine, der erste Schein und so, jeder, der vorbeiging, sagte, wau, die Fangs haben aber echt Schwein gehabt, seht euch nur die Hütte der Mings an, in deren Haut möchte ich jetzt nicht stecken, die zerfleischen sich bestimmt gegenseitig, wer im zweiten Stock bleibt, der sieht ja noch ganz heil aus, oder wer unten rechts einzieht, heilige Granate, da steht nicht mehr viel, aber, um ehrlich zu sein, es war ganz anders, die Mings, sie rückten zusammen, während wir, nach dem winzigen Schissriss in der Kackküchenwand, unreinen tisch gemacht haben, alles, der ganze Scheiß mit Ottos Weiberkram, Ragnas Spielsucht und, ja, auch meine Nummern wurden durchdekliniert, tabula rasa, Otto, Ragna und mir wurde regelrecht die Haut abgezogen, die anderen kannten kein Erbarmen, Otto hat geflennt, Ragna hat sich auf stur gestellt, ich hätte es übrigens andersherum erwartet, aber in solchen Situationen zeigt sich eben, wer ein Stiefellecker ist oder wer mal ganz zünftig den Arsch in der Hose lässt, jetzt willst du bestimmt hören, was ich auf dem Kerbholz habe, kann ich nachvollziehen, wäre mir aber fucklieber, wenn wir nachher drüber reden, im Moment habe ich ein anderes Problem, weswegen ich überhaupt mit dir in Kontakt getreten bin, dein Angebot gilt noch, oder?, du erinnerst dich doch bestimmt, dass wir eine Rechnung offen haben, nach dem Bruch im März, und das halbe Jahr, das du dir ausbedungen hast, ist schließlich auch vorbei, knapp, aber vorbei, am Ende ist eben nichts umsonst, man zahlt immer zurück, mir ist es, nur um das klarzustellen, einerlei, was mit dir und der jungen Ming gewesen ist, ich habe das längst vergessen und würde es dem alten Ming auch nicht stecken, da gebe ich dir mein Ehrenwort, der soll ja nicht besonders freundlich auf solche Sachen reagieren, du kannst dich auf meine Verschwiegenheit voll und ganz verlassen, ich halte zu dir, du bist mir lieb und teuer, ich hätte nichts davon, wenn dich der alte Ming in Stücke zerhackt, das ist ja Jochens Bruder vergangene Woche passiert, weiß nicht, ob dich die Nachricht in Rom erreicht hat, fein säuberlich, der alte Ming hat sein Handwerk gelernt, ein Meisterzerchneider, soll im Imbiss verwertet worden sein, Tagesmenü 1 Jo Che En, süßsauer, wie auch immer, kommen wir zum Wesentlichen, kommen wir zum Gefallen, den du mir schuldest.
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Als die Vorstädter zum Parlament marschierten, blieb es im Zentrum, zunächst, ruhig. Die verschiedenen Teile der Stadt hatten traditionell wenig miteinander zu tun. Bei den seltenen Begegnungen beargwöhnte man sich und machte, hinterher, Witze. Von Vertrauen konnte, weiß Gott, nicht die Rede sein. Man hielt sich aus, mehr nicht. Die Regierenden hatten diese Kluft stets für sich genutzt. Das Parlament lag auf der Flussinsel, die das Zentrum von den Vorstädten trennte. Es gab zwei Vorstädte. Rechts der Insel und Links der Insel. Eigentlich konnte man in der Zwischenzeit von drei Vorstädten reden. Das Grün war in den letzten Jahren immer näher an die Stadt herangerückt. In Das Grün zogen Leute aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die Zentralen kauften sich ins Grün ein, um, im Falle eines Feuers in ihrem Stadtteil, eine Ausweichmöglichkeit zu haben. Brände gab es im Zentrum regelmäßig. Die Gassen standen dicht beieinander, in den Theatern und Gaststätten wurde weiterhin geraucht. Das Zentrum hatte sich eine Sondergenehmigung von den Parlamentariern erbeten, um weiterhin für Besucher aus anderen Ländern als Urlaubsort attraktiv zu sein. Die Feuergefahr war der größte Nachteil des Zentrums. Zusammen mit der Lautstärke. Und den Neoliberalen, die am liebsten alles sich selbst überlassen würden. Sogar Feuerwehr und Schulen. Das Krankenhaus Central war bereits privatisiert.
Als die Vorstädter zum Parlament marschierten, blieb es im Zentrum, zunächst, ruhig. Die verschiedenen Teile der Stadt hatten traditionell wenig miteinander zu tun. Bei den seltenen Begegnungen beargwöhnte man sich und machte, hinterher, Witze. Von Vertrauen konnte, weiß Gott, nicht die Rede sein. Man hielt sich aus, mehr nicht. Die Regierenden hatten diese Kluft stets für sich genutzt. Das Parlament lag auf der Flussinsel, die das Zentrum von den Vorstädten trennte. Es gab zwei Vorstädte. Rechts der Insel und Links der Insel. Eigentlich konnte man in der Zwischenzeit von drei Vorstädten reden. Das Grün war in den letzten Jahren immer näher an die Stadt herangerückt. In Das Grün zogen Leute aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die Zentralen kauften sich ins Grün ein, um, im Falle eines Feuers in ihrem Stadtteil, eine Ausweichmöglichkeit zu haben. Brände gab es im Zentrum regelmäßig. Die Gassen standen dicht beieinander, in den Theatern und Gaststätten wurde weiterhin geraucht. Das Zentrum hatte sich eine Sondergenehmigung von den Parlamentariern erbeten, um weiterhin für Besucher aus anderen Ländern als Urlaubsort attraktiv zu sein. Die Feuergefahr war der größte Nachteil des Zentrums. Zusammen mit der Lautstärke. Und den Neoliberalen, die am liebsten alles sich selbst überlassen würden. Sogar Feuerwehr und Schulen. Das Krankenhaus Central war bereits privatisiert.
323
Sie zog sich aus ihm zurück. Ihr reichte es. Mehr als das. Seine Passivität hatte einen unerträglichen Grad erreicht. Mit Faulheit, Schlaf und Langeweile ließ sich seine Nichtsnützlichkeit kaum mehr beschreiben. Sie suchte nach Begriffen. Was ihr zusätzlich einfiel, war Abschweifung, aber das klang viel zu freundlich.
Warum hast du dich zurückgezogen?, fragte er. Das Fürsichsein schmeckte ihm nicht. Er maulte, griff sich an die Stellen im Körper, die sie, angeblich, mochte.
Klette, sagte sie.
Er nickte. Also Klette, sagte er. Er hatte schon schlimmere Sachen an den Kopf geworfen bekommen. Die Frau vor ihr hatte ihn Parasit genannt. Gleich am ersten Abend. Die Symbiose hatte knappe drei Jahre gedauert. Er ließ sich nicht so leicht abschütteln. Er nicht.
Sie stand im Bad. Ihr Samen tropfte aus ihrem Leib. Es roch nach Lebertran. Sein Geruch. Ihr Samen roch seinetwegen nach Lebertran. Sie konnte Lebertran nicht ausstehen. Soweit ist es schon gekommen, dachte sie, ich kann meinen eigenen Geruch nicht länger ertragen. Das Telefon, ihr Handy, lag auf dem Wäschetrockner. Es gab in der Wohnung keinen Festnetzanschluss. Er hatte den Anschluss für sie gekündigt. Das war seine erste Handlung gewesen. Den Anschluss zu kündigen. Das hätte ihr eine Warnung sein sollen. War es aber nicht gewesen. Sie hatte gedacht, dass er Kosten sparen wollte, damit sie sich zusammen mehr leisten konnten. Sie musste telefonieren. Jetzt. Auf der Stelle. Ohne sein Wissen. Es gab ein Problem. Er war in die Trommel des Trockners geklettert. Das machte er jeden Morgen. Erst stellte er die Trommel an, für fünf Minuten, ohne Wäsche, dann kletterte er in die noch warme Trommel und machte seine Dehnübungen. Disgusting, dachte sie.
Sie zog sich aus ihm zurück. Ihr reichte es. Mehr als das. Seine Passivität hatte einen unerträglichen Grad erreicht. Mit Faulheit, Schlaf und Langeweile ließ sich seine Nichtsnützlichkeit kaum mehr beschreiben. Sie suchte nach Begriffen. Was ihr zusätzlich einfiel, war Abschweifung, aber das klang viel zu freundlich.
Warum hast du dich zurückgezogen?, fragte er. Das Fürsichsein schmeckte ihm nicht. Er maulte, griff sich an die Stellen im Körper, die sie, angeblich, mochte.
Klette, sagte sie.
Er nickte. Also Klette, sagte er. Er hatte schon schlimmere Sachen an den Kopf geworfen bekommen. Die Frau vor ihr hatte ihn Parasit genannt. Gleich am ersten Abend. Die Symbiose hatte knappe drei Jahre gedauert. Er ließ sich nicht so leicht abschütteln. Er nicht.
Sie stand im Bad. Ihr Samen tropfte aus ihrem Leib. Es roch nach Lebertran. Sein Geruch. Ihr Samen roch seinetwegen nach Lebertran. Sie konnte Lebertran nicht ausstehen. Soweit ist es schon gekommen, dachte sie, ich kann meinen eigenen Geruch nicht länger ertragen. Das Telefon, ihr Handy, lag auf dem Wäschetrockner. Es gab in der Wohnung keinen Festnetzanschluss. Er hatte den Anschluss für sie gekündigt. Das war seine erste Handlung gewesen. Den Anschluss zu kündigen. Das hätte ihr eine Warnung sein sollen. War es aber nicht gewesen. Sie hatte gedacht, dass er Kosten sparen wollte, damit sie sich zusammen mehr leisten konnten. Sie musste telefonieren. Jetzt. Auf der Stelle. Ohne sein Wissen. Es gab ein Problem. Er war in die Trommel des Trockners geklettert. Das machte er jeden Morgen. Erst stellte er die Trommel an, für fünf Minuten, ohne Wäsche, dann kletterte er in die noch warme Trommel und machte seine Dehnübungen. Disgusting, dachte sie.
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Ausgezogen hatten sie uns, ihre Kreditgeber, überrascht. Ihre Körper hatten gestrahlt, fest und solide, hatten eine Selbstsicherheit bezeugt, die ihren überzogenen Konten abgegangen war. Anfangs, als die Nehmer deutlich in der Unterzahl gewesen waren, es hatte sich, aufs ganze Land gerechnet, um einige Tausend gehandelt, viellecht waren es Zwanzig-, Dreißigtausend gewesen, hatten wir noch über die Nackten geschmunzelt. Auf Wanderschaft? wurden sie gefragt. Das Wort ausgezogen war den Kreditgebern, uns, nicht über die Lippen gekommen. Was war und was wir sagten, das waren eben damals grundverschiedene Dinge gewesen. Die Doppelzüngigkeit, auf der unsere Zivilisation fußt, war den Nehmern allerdings von jeher abgegangen. Nein, ausgezogen, hatten sie geantwortet, wenn sie auf ihre Wanderschaft angesprochen worden waren. Dann hatten sie sich, nicht ohne Stolz, präsentiert. Einige hatten sich sogar anfassen lassen. Ekelerregend, wenn ich das mal sagen darf.
Sei`s drum. Das Vergangene, es kommt nicht zurück. Die gemachten Fehler, sie lassen sich nicht mehr beheben. Zeit kennt kein Erbarmen. Dafür, für Milde, Güte und Verständnis, dafür ist es nun tatsächlich zu spät. Es werden jetzt andere Seiten ausgezoen. Vor einem Jahr? Ja, vielleicht. Aber jetzt? Nie und nimmer. Wenn ich die Gardinen beiseite schiebe, kann ich die Nehmer sehen, sie stehen, dichtgedrängt, auf dem Marktplatz, vor der Bank und vorm Rathaus. Wir haben noch eine Viertelstunde. Dann läuft das Ultimatum aus. Ich habe meine Familie um mich versammelt. Traudel betet, die Kinder haben verweinte Augen. Was kann man machen? Ich muss da raus, auf den Balkon.
Ausgezogen hatten sie uns, ihre Kreditgeber, überrascht. Ihre Körper hatten gestrahlt, fest und solide, hatten eine Selbstsicherheit bezeugt, die ihren überzogenen Konten abgegangen war. Anfangs, als die Nehmer deutlich in der Unterzahl gewesen waren, es hatte sich, aufs ganze Land gerechnet, um einige Tausend gehandelt, viellecht waren es Zwanzig-, Dreißigtausend gewesen, hatten wir noch über die Nackten geschmunzelt. Auf Wanderschaft? wurden sie gefragt. Das Wort ausgezogen war den Kreditgebern, uns, nicht über die Lippen gekommen. Was war und was wir sagten, das waren eben damals grundverschiedene Dinge gewesen. Die Doppelzüngigkeit, auf der unsere Zivilisation fußt, war den Nehmern allerdings von jeher abgegangen. Nein, ausgezogen, hatten sie geantwortet, wenn sie auf ihre Wanderschaft angesprochen worden waren. Dann hatten sie sich, nicht ohne Stolz, präsentiert. Einige hatten sich sogar anfassen lassen. Ekelerregend, wenn ich das mal sagen darf.
Sei`s drum. Das Vergangene, es kommt nicht zurück. Die gemachten Fehler, sie lassen sich nicht mehr beheben. Zeit kennt kein Erbarmen. Dafür, für Milde, Güte und Verständnis, dafür ist es nun tatsächlich zu spät. Es werden jetzt andere Seiten ausgezoen. Vor einem Jahr? Ja, vielleicht. Aber jetzt? Nie und nimmer. Wenn ich die Gardinen beiseite schiebe, kann ich die Nehmer sehen, sie stehen, dichtgedrängt, auf dem Marktplatz, vor der Bank und vorm Rathaus. Wir haben noch eine Viertelstunde. Dann läuft das Ultimatum aus. Ich habe meine Familie um mich versammelt. Traudel betet, die Kinder haben verweinte Augen. Was kann man machen? Ich muss da raus, auf den Balkon.
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Bist du guter Hoffnung? Sie rollte von ihm ab. Wie von einem Medizinball.
Zu oft berührte Haut, dachte die Gruppe, hinter dem verchromten Fenster. Die Gruppe konnte sehen, aber nicht gesehen werden. Konnte hören, aber nicht gehört werden.
Ist das die Cloud?, fragte er, um nicht antworten zu müssen.
Sie zeigte auf das verchromte Fenster.
Er nickte.
Im Mietvertrag stand "Eingeschränkte Aussicht", sagte sie.
Er lachte, wie im richtigen Leben.
Wie meinst du das?
Sie fragt ununterbrochen, dachte die Gruppe, blieb aber auf dem Level.
Wie ich das meine?, wollte er wissen.
Genau, sagte sie.
Angenommen, sagte er, wir schlügen das verchromte Fenster ein.
Neben der Gruppe leuchtete ein Warnsignal.
Was wir nicht vorhaben, sagte sie.
Das Warnsignal ging aus.
Nur einmal angenommen, sagte er.
Was dann?, fragte sie.
Dann merkten wir, dass der Raum voller Produkte steckte, die wir, vor unserem Tod, noch verbrauchen müssten.
Macht dir das Angst?
Ob es mir Angst macht, dass ich in den nächsten zehn Jahren 500 Brote essen muss?, fragte er.
Was ist mit den 2000 Kondomen?
Er lachte, das stört mich weniger.
Ihr seid alle gleich, sagte sie.
Die Gruppe, angewachsen, nickte sich zu, hier zu sein, war eine gute Wahl.
Bist du guter Hoffnung? Sie rollte von ihm ab. Wie von einem Medizinball.
Zu oft berührte Haut, dachte die Gruppe, hinter dem verchromten Fenster. Die Gruppe konnte sehen, aber nicht gesehen werden. Konnte hören, aber nicht gehört werden.
Ist das die Cloud?, fragte er, um nicht antworten zu müssen.
Sie zeigte auf das verchromte Fenster.
Er nickte.
Im Mietvertrag stand "Eingeschränkte Aussicht", sagte sie.
Er lachte, wie im richtigen Leben.
Wie meinst du das?
Sie fragt ununterbrochen, dachte die Gruppe, blieb aber auf dem Level.
Wie ich das meine?, wollte er wissen.
Genau, sagte sie.
Angenommen, sagte er, wir schlügen das verchromte Fenster ein.
Neben der Gruppe leuchtete ein Warnsignal.
Was wir nicht vorhaben, sagte sie.
Das Warnsignal ging aus.
Nur einmal angenommen, sagte er.
Was dann?, fragte sie.
Dann merkten wir, dass der Raum voller Produkte steckte, die wir, vor unserem Tod, noch verbrauchen müssten.
Macht dir das Angst?
Ob es mir Angst macht, dass ich in den nächsten zehn Jahren 500 Brote essen muss?, fragte er.
Was ist mit den 2000 Kondomen?
Er lachte, das stört mich weniger.
Ihr seid alle gleich, sagte sie.
Die Gruppe, angewachsen, nickte sich zu, hier zu sein, war eine gute Wahl.
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Claudius!
Der Kaiser, sieben Jahre alt, gähnte. Er drückte Zahnpasta auf den Spiegel. Die billigste Sorte. Beim Schleckerkonkurs hatte der Haushofmeister zugeschlagen. Das ganze Chemiezeugs stapelte sich in der vermüllten Speisekammer. Nichts war zu Breitenbach zu billig gewesen. Sah zu Breitenbach eine Chance, Geld zu sparen - also: sich zu bereichern - ging mit ihm der Gauner durch. Zu Breitenbachs Vorfahren hatten den Adelstitel erst kurz vor Ende des Großen Kriegs gekauft. Damals war Claudius' Urururonkel an der Macht gewesen, ein geistesgestörter Gernegroß, von dem der Spruch überliefert ist, dass das Volk den Kaiser habe, den es verdiene.
Claudius!
Der Kaiser bestrich die Zahnpasta mit Nackellack und zündete sie mit einem Feuerzeug an. Er klatschte in die Hände. Die Zahnpasta brannte. Aber nicht nur die. Auch der Duschvorhang (Schlecker) und die Toilettenbürste (Aldi-Sonderangebot) brannten. Der Kaiser öffnete den Wasserhahn und nässte sich die Haare. Er lachte. Lichterloh. Zu Breitenbach, rief der Kaiser, komm her, ich spiele Nero.
Nein, Claudius, nicht schon wieder!
Doch, sagte der Kaiser und trank einen Schluck Nagellackentferner.
Claudius!
Der Kaiser, sieben Jahre alt, gähnte. Er drückte Zahnpasta auf den Spiegel. Die billigste Sorte. Beim Schleckerkonkurs hatte der Haushofmeister zugeschlagen. Das ganze Chemiezeugs stapelte sich in der vermüllten Speisekammer. Nichts war zu Breitenbach zu billig gewesen. Sah zu Breitenbach eine Chance, Geld zu sparen - also: sich zu bereichern - ging mit ihm der Gauner durch. Zu Breitenbachs Vorfahren hatten den Adelstitel erst kurz vor Ende des Großen Kriegs gekauft. Damals war Claudius' Urururonkel an der Macht gewesen, ein geistesgestörter Gernegroß, von dem der Spruch überliefert ist, dass das Volk den Kaiser habe, den es verdiene.
Claudius!
Der Kaiser bestrich die Zahnpasta mit Nackellack und zündete sie mit einem Feuerzeug an. Er klatschte in die Hände. Die Zahnpasta brannte. Aber nicht nur die. Auch der Duschvorhang (Schlecker) und die Toilettenbürste (Aldi-Sonderangebot) brannten. Der Kaiser öffnete den Wasserhahn und nässte sich die Haare. Er lachte. Lichterloh. Zu Breitenbach, rief der Kaiser, komm her, ich spiele Nero.
Nein, Claudius, nicht schon wieder!
Doch, sagte der Kaiser und trank einen Schluck Nagellackentferner.
327
Sie trat auf die Jukebox ein. Das Gerät lag am Boden. Seit Jahren lag die Drecksbox schon am Boden. Wenn man sie trat, spielte sie Elvis' Suspicious Minds. Keine Ahnung, warum. War so. Einmal treten, Presley nölte. Der Barträger, der jetzt in Charge war, Heidi war Ostermontag beim Treptower Park ins Wasser gegangen, Barti, der sich, man sah es ihm an, für was Besseres hielt, der aus Moabit das neue Brookleyn machen wollte, Barti war auf die Scheißidee verfallen, den Laden Suspicious Minds zu nennen. Sie könnte im Strahl kotzen, wenn sie nur daran dachte. Von den alten Kunden waren nur noch Röcher und Londo da. Wobei, Londo zählte nicht, jedenfalls nicht für sie, seit damals, als die Sache mit Kran und Helge in die Brüche gegangen war, damals hatte Londo Helge ins Höschen gefasst. Versteht mich bitte richtig, ich sag das nicht zum Spaß, um mich zu rechtfertigen, dass Londo gerade zwischen meinen Stiefeln und der Jukebox liegt und aus den Augenhöhlen blutet: buchstäblich gefasst. Hin, reingefasst und hat, vor versammelter Mannschaft, gesagt: Trocken, kein Wunder, dass Kran weg ist. Zurück zu Barti, der so tut, als spräche er nur Französisch.
Sie trat auf die Jukebox ein. Das Gerät lag am Boden. Seit Jahren lag die Drecksbox schon am Boden. Wenn man sie trat, spielte sie Elvis' Suspicious Minds. Keine Ahnung, warum. War so. Einmal treten, Presley nölte. Der Barträger, der jetzt in Charge war, Heidi war Ostermontag beim Treptower Park ins Wasser gegangen, Barti, der sich, man sah es ihm an, für was Besseres hielt, der aus Moabit das neue Brookleyn machen wollte, Barti war auf die Scheißidee verfallen, den Laden Suspicious Minds zu nennen. Sie könnte im Strahl kotzen, wenn sie nur daran dachte. Von den alten Kunden waren nur noch Röcher und Londo da. Wobei, Londo zählte nicht, jedenfalls nicht für sie, seit damals, als die Sache mit Kran und Helge in die Brüche gegangen war, damals hatte Londo Helge ins Höschen gefasst. Versteht mich bitte richtig, ich sag das nicht zum Spaß, um mich zu rechtfertigen, dass Londo gerade zwischen meinen Stiefeln und der Jukebox liegt und aus den Augenhöhlen blutet: buchstäblich gefasst. Hin, reingefasst und hat, vor versammelter Mannschaft, gesagt: Trocken, kein Wunder, dass Kran weg ist. Zurück zu Barti, der so tut, als spräche er nur Französisch.
328
Das Nein war ihm herausgerutscht. Als Brautvater hatten sie ihn, wohl wissend, was er von der Sache hielt, auf eine klitzekleine Rolle zurechtgestutzt. Er hätte, vor der Kirche, den Grußonkel geben sollen. Beim vor hatte es sich allerdings nicht um die Kirchentür, sondern den Parkplatz der Gemeinde gehandelt. Anweisungen geben, das kannst du doch so gut, hatte sein Schwiegersohn in spe gesagt, das ist doch deine große Stärke. Er hatte dankend abgelehnt. Niemand hatte sich daraufhin die Mühe gemacht, ihn abermals zu bitten oder seine Rolle irgendwie anders festzulegen. Als die Sache mit Oder soll für immer schweigen aufs Tableau kam, war er, für den in den ersten zehn Reihen kein Platz gewesen war, hinten recht aufgestanden und hatte erst Nein und dann, ins Schweigen hinein, Sie ist ein Mann gesagt.
Das Nein war ihm herausgerutscht. Als Brautvater hatten sie ihn, wohl wissend, was er von der Sache hielt, auf eine klitzekleine Rolle zurechtgestutzt. Er hätte, vor der Kirche, den Grußonkel geben sollen. Beim vor hatte es sich allerdings nicht um die Kirchentür, sondern den Parkplatz der Gemeinde gehandelt. Anweisungen geben, das kannst du doch so gut, hatte sein Schwiegersohn in spe gesagt, das ist doch deine große Stärke. Er hatte dankend abgelehnt. Niemand hatte sich daraufhin die Mühe gemacht, ihn abermals zu bitten oder seine Rolle irgendwie anders festzulegen. Als die Sache mit Oder soll für immer schweigen aufs Tableau kam, war er, für den in den ersten zehn Reihen kein Platz gewesen war, hinten recht aufgestanden und hatte erst Nein und dann, ins Schweigen hinein, Sie ist ein Mann gesagt.
329
Wann Hilde F. und Kasimir L. mit dem Aufräumen aufgehört hatten, ließe sich, theoretisch, leich feststellen. Man müsste nur die unterste Zeitung aus dem hintersten Winkel hervorziehen. Der 20. Juli 2002 käme zum Vorschein. Michael, du bist ein Sauhund, hatte Corinna Schumacher über den fünften WM-Titel ihres Mannes damals verlautbaren lassen. Der ewige Streit zwischen Marokko und Spanien um die Mittelmeer-Insel Perejil konnte, glückliche Fügung, unter Vermittlung der USA beigelegt werden. Die britische Labour-Partei hatte in der tiefsten Finanzkrise ihrer Geschichte gesteckt. Und, was Hilde F. und Kasimir L. direkt angegangen war, war der Starkregen, in ganz Niedersachsen gewesen, also auch in Göttingen. Es hatte geschüttet. Unvorstellbar. Sich aus dem Haus zu trauen, wer hätte es gewagt? Vielleicht Taucher, Hilde F. und Kasimir L. jedenfalls nicht. Die Behörden, sie hatten schließlich gewarnt. Hilde F. und Kasimir L. hatten gehorcht. Hatten beim Pizza-Dienst angerufen, sich die Pepsi und Salamipizza geteilt. Etwas Mitleid hatten sie für den durchnässten Boten gehabt, aber nur etwas. Das Bestellen hatten sie auch am folgenden Tag gemacht und am nächsten und am übernächsten. Kasimir L. hatte, eine geniale Idee, nach einem halben Jahr, angefangen, die Flaschen und die Schachteln vom Vortag dem Boten zurückzugeben. So weit, so gut. Jetzt gab es allerdings ein Problem. Hilde Fs EC-Karte lief aus. Und dass der Bote eine abgelaufene Karte akzeptierte, war ausgeschlossen. Kasimir Ls Karte hatte er ihnen vor drei Monaten achselzuckend zurückgegeben.
Wann Hilde F. und Kasimir L. mit dem Aufräumen aufgehört hatten, ließe sich, theoretisch, leich feststellen. Man müsste nur die unterste Zeitung aus dem hintersten Winkel hervorziehen. Der 20. Juli 2002 käme zum Vorschein. Michael, du bist ein Sauhund, hatte Corinna Schumacher über den fünften WM-Titel ihres Mannes damals verlautbaren lassen. Der ewige Streit zwischen Marokko und Spanien um die Mittelmeer-Insel Perejil konnte, glückliche Fügung, unter Vermittlung der USA beigelegt werden. Die britische Labour-Partei hatte in der tiefsten Finanzkrise ihrer Geschichte gesteckt. Und, was Hilde F. und Kasimir L. direkt angegangen war, war der Starkregen, in ganz Niedersachsen gewesen, also auch in Göttingen. Es hatte geschüttet. Unvorstellbar. Sich aus dem Haus zu trauen, wer hätte es gewagt? Vielleicht Taucher, Hilde F. und Kasimir L. jedenfalls nicht. Die Behörden, sie hatten schließlich gewarnt. Hilde F. und Kasimir L. hatten gehorcht. Hatten beim Pizza-Dienst angerufen, sich die Pepsi und Salamipizza geteilt. Etwas Mitleid hatten sie für den durchnässten Boten gehabt, aber nur etwas. Das Bestellen hatten sie auch am folgenden Tag gemacht und am nächsten und am übernächsten. Kasimir L. hatte, eine geniale Idee, nach einem halben Jahr, angefangen, die Flaschen und die Schachteln vom Vortag dem Boten zurückzugeben. So weit, so gut. Jetzt gab es allerdings ein Problem. Hilde Fs EC-Karte lief aus. Und dass der Bote eine abgelaufene Karte akzeptierte, war ausgeschlossen. Kasimir Ls Karte hatte er ihnen vor drei Monaten achselzuckend zurückgegeben.
330
Die Lage ändert sich schneller, als es mir lieb ist. Briefe trudeln ein. Finanzamt? Ungeöffnet. Autohaus? Ungeöffnet. Bank? Adressat unbekannt verzogen. Ich stehe vorm Brunnen, im Schatten der Kirche, Delphine spucken Wasser. Du hast mich im Visier, keine Frage. Weiß ich, ob die Leute, die vorgeben, Touristen zu sein, die Fotos machen, nicht von dir geschickt sind? Mich abschießen? Gestern musste ich durch den Keller einsteigen, weil der Vermieter das Schloss der Haustür ausgetauscht hat. Der Wohnungseingang ist als nächstes dran. Die Angebote kratzt das nicht. Mein E-Mailfach platzt aus allen Nähten. Filter habe ich nicht gesetzt. Besonders penetrant: Outnet. Die kennen mich. Ich bestelle drei, vier Sachen die Woche. Dass die Karten jedesmal andere Namen haben, ist denen egal. Abgebucht ist abgebucht. Umsatz zählt. Für mich ist Outnet eine Art von Bildungskurs. Ich lerne Trends kennen. Und Designer. Deine Vorwürfe, ich hätte den Kontakt zur Wirklichkeit verloren und die Kinder vernachlässigt, sind substanzlos. Hast du etwa die Pakete vergessen? Ich denke an die Kleinen. Ich schätze, du bist verletzt, weil ich nichts für dich bestellt habe. Deine Gier macht mich ratlos. Wie konnte ich auf dich hereinfallen? Endlos vergeudete Jahre.
Die Lage ändert sich schneller, als es mir lieb ist. Briefe trudeln ein. Finanzamt? Ungeöffnet. Autohaus? Ungeöffnet. Bank? Adressat unbekannt verzogen. Ich stehe vorm Brunnen, im Schatten der Kirche, Delphine spucken Wasser. Du hast mich im Visier, keine Frage. Weiß ich, ob die Leute, die vorgeben, Touristen zu sein, die Fotos machen, nicht von dir geschickt sind? Mich abschießen? Gestern musste ich durch den Keller einsteigen, weil der Vermieter das Schloss der Haustür ausgetauscht hat. Der Wohnungseingang ist als nächstes dran. Die Angebote kratzt das nicht. Mein E-Mailfach platzt aus allen Nähten. Filter habe ich nicht gesetzt. Besonders penetrant: Outnet. Die kennen mich. Ich bestelle drei, vier Sachen die Woche. Dass die Karten jedesmal andere Namen haben, ist denen egal. Abgebucht ist abgebucht. Umsatz zählt. Für mich ist Outnet eine Art von Bildungskurs. Ich lerne Trends kennen. Und Designer. Deine Vorwürfe, ich hätte den Kontakt zur Wirklichkeit verloren und die Kinder vernachlässigt, sind substanzlos. Hast du etwa die Pakete vergessen? Ich denke an die Kleinen. Ich schätze, du bist verletzt, weil ich nichts für dich bestellt habe. Deine Gier macht mich ratlos. Wie konnte ich auf dich hereinfallen? Endlos vergeudete Jahre.
331
Und Durchatmen! Und Zusammenreißen! Und Rauslassen! Und Zubeißen!
Und Durchatmen! Und Zusammenreißen! Und Rauslassen! Und Zubeißen!
332
Vaterseelenallein? Das hat er geschrieben? Allen Ernstes? Sie zog den Wurfpfeil aus der Zielscheibe.
Wenn ichs dir doch erzähle. Und ob ich nicht mit ihm in den Urlaub fahren möchte.
Nach Friesland? Zum Blauen Gaul?
Benidorm, er hat Benidorm vorgeschlagen.
Verdorben und verdormt. Sie warf den nächsten Pfeil.
Treffer. Du bist heute gut drauf.
Wut macht mich selbstsicher. Sie zog den Pfeil wieder heraus. Und aggressiv.
Mehr als sonst? Bis Hunde schreien?
Was soll das heißen? Was weißt du?
Liesel hat mich angerufen.
Und?
Das kannst du dir doch denken.
Ll, ll, ll.
Nein.
Doch. Sie lügt wie gedruckt.
Nein.
Und gepudert.
Damals musste sie, ansonsten hätte Klaus das Kind nicht akzeptiert.
Der Köter hats nicht anders verdient. Das ewige Gebelle.
Der Hauswart, sagt Liesel, soll sich geweigert haben, in den Keller zu gehen.
Der Hauswart ist ein Scheißkerl.
Was hast du gemacht? Mutter, sieh mich an! Sie werfen dich hier raus, wenn das nicht aufhört.
Was aufhört?
Schläucheaufschlitzen, Müllfeuer, Dackelbierduschen.
Vaterseelenallein? Das hat er geschrieben? Allen Ernstes? Sie zog den Wurfpfeil aus der Zielscheibe.
Wenn ichs dir doch erzähle. Und ob ich nicht mit ihm in den Urlaub fahren möchte.
Nach Friesland? Zum Blauen Gaul?
Benidorm, er hat Benidorm vorgeschlagen.
Verdorben und verdormt. Sie warf den nächsten Pfeil.
Treffer. Du bist heute gut drauf.
Wut macht mich selbstsicher. Sie zog den Pfeil wieder heraus. Und aggressiv.
Mehr als sonst? Bis Hunde schreien?
Was soll das heißen? Was weißt du?
Liesel hat mich angerufen.
Und?
Das kannst du dir doch denken.
Ll, ll, ll.
Nein.
Doch. Sie lügt wie gedruckt.
Nein.
Und gepudert.
Damals musste sie, ansonsten hätte Klaus das Kind nicht akzeptiert.
Der Köter hats nicht anders verdient. Das ewige Gebelle.
Der Hauswart, sagt Liesel, soll sich geweigert haben, in den Keller zu gehen.
Der Hauswart ist ein Scheißkerl.
Was hast du gemacht? Mutter, sieh mich an! Sie werfen dich hier raus, wenn das nicht aufhört.
Was aufhört?
Schläucheaufschlitzen, Müllfeuer, Dackelbierduschen.
333
Ein Punkt, der heiß ist, fühlt sich größer an, als es ihm zusteht.
Ein Punkt, der heiß ist, fühlt sich größer an, als es ihm zusteht.
334
Hannelore Grönau gab nicht nach. Wer gehen wollte, sollte doch gehen. Schwabenpack. Sie tanzte auf dem Tisch. Die Lautsprecherboxen dröhnten. Die Beachbar am Hauptbahnhof gehörte nicht zu den besten Adressen. Egal. Das Motel One lag fast gegenüber, in Sichtweite des Humboldhafens. Dass ihr die Jungs aus Moabit aufs Höschen starrten, war Hannelore Grönau egal. Sie hatte schon ganz andere Sachen gemacht. In Venezuela. Mit Petro und den Ärzten ohne Grenzen. Borderline Gymnastik. Heute war ihr Tag, das Morgen eine andere Frage. Eine Frage, auf die es mehrere Antworten gab. Eine davon lautete Ohne mich. Das Nein war Hannelore Grönaus Joker. Ein Kobold, der in ihrem Kopf spukte. Jetzt tat sie so, im Kreise der Geladenen und der Claqueure, als sei alles in bester Ordnung. Als hätte sie, den anderen Umständen entsprechend, in denen ihre Freundinnen sie wähnten, in denen er sie wähnte, die Gedanken auf das gerichtet, was man Glück nannte. Was ist der Unterschied zwischen einem Hahn und einer Henne?, hatte Petro einst gefragt. Ein Hahn hat zwei Eier?, hatte sie gesagt. Strammes Kind, hatte Petro gesagt, dein Loch hat sich eine Belohnung verdient. Wie lange war das her? Hannelore Grönau lächelte den Gelockten an, der genau unter ihr stand. Drei Jahre und sieben Monate.
Hannelore Grönau gab nicht nach. Wer gehen wollte, sollte doch gehen. Schwabenpack. Sie tanzte auf dem Tisch. Die Lautsprecherboxen dröhnten. Die Beachbar am Hauptbahnhof gehörte nicht zu den besten Adressen. Egal. Das Motel One lag fast gegenüber, in Sichtweite des Humboldhafens. Dass ihr die Jungs aus Moabit aufs Höschen starrten, war Hannelore Grönau egal. Sie hatte schon ganz andere Sachen gemacht. In Venezuela. Mit Petro und den Ärzten ohne Grenzen. Borderline Gymnastik. Heute war ihr Tag, das Morgen eine andere Frage. Eine Frage, auf die es mehrere Antworten gab. Eine davon lautete Ohne mich. Das Nein war Hannelore Grönaus Joker. Ein Kobold, der in ihrem Kopf spukte. Jetzt tat sie so, im Kreise der Geladenen und der Claqueure, als sei alles in bester Ordnung. Als hätte sie, den anderen Umständen entsprechend, in denen ihre Freundinnen sie wähnten, in denen er sie wähnte, die Gedanken auf das gerichtet, was man Glück nannte. Was ist der Unterschied zwischen einem Hahn und einer Henne?, hatte Petro einst gefragt. Ein Hahn hat zwei Eier?, hatte sie gesagt. Strammes Kind, hatte Petro gesagt, dein Loch hat sich eine Belohnung verdient. Wie lange war das her? Hannelore Grönau lächelte den Gelockten an, der genau unter ihr stand. Drei Jahre und sieben Monate.
335
Kopfüber gefallen. Die Matte verfehlt. Vor den Augen der Eltern. Vor meinen Augen. Ich bin manchmal beim Training dabei. So wie gestern. Nach dem Unterricht. Wir kennen uns seit Anfang des Jahres. Sieben Monate. Die Halswirbelsäule ist gebrochen, teilte der Leichtathletikverband soeben mit. Bereits vor der OP hatten die Ärzte eine Querschnittslähmung festgestellt. Sie war mit übersprungenen 4,45 Metern Stabhochsprungrekordhalterin. Gewesen. War leistungsorientiert. Gewesen. Hat geübt, Tag für Tag geübt. Wir sind nie nur mal so verreist. Immer zu Wettkämpfen. Schnelligkeit. Sprungkraft. Eleganz, die auch, auf Eleganz war es ihr angekommen. Eleganz und Übung machen die Meisterin. Sie hat mehr Kraft als ich. Gehabt. Sie konnte mich anheben und einen Kilometer weit tragen. Wenn sie auf mir saß, kontrollierte sie mich. Eine Perfektionistin. Der Erhalt der Lebensfunktionen ist nun das Ziel. Die Eleganz des Atmens. Des Denkens. Ihre Mutter muster mich. Ich weiß, was sie denkt.
Kopfüber gefallen. Die Matte verfehlt. Vor den Augen der Eltern. Vor meinen Augen. Ich bin manchmal beim Training dabei. So wie gestern. Nach dem Unterricht. Wir kennen uns seit Anfang des Jahres. Sieben Monate. Die Halswirbelsäule ist gebrochen, teilte der Leichtathletikverband soeben mit. Bereits vor der OP hatten die Ärzte eine Querschnittslähmung festgestellt. Sie war mit übersprungenen 4,45 Metern Stabhochsprungrekordhalterin. Gewesen. War leistungsorientiert. Gewesen. Hat geübt, Tag für Tag geübt. Wir sind nie nur mal so verreist. Immer zu Wettkämpfen. Schnelligkeit. Sprungkraft. Eleganz, die auch, auf Eleganz war es ihr angekommen. Eleganz und Übung machen die Meisterin. Sie hat mehr Kraft als ich. Gehabt. Sie konnte mich anheben und einen Kilometer weit tragen. Wenn sie auf mir saß, kontrollierte sie mich. Eine Perfektionistin. Der Erhalt der Lebensfunktionen ist nun das Ziel. Die Eleganz des Atmens. Des Denkens. Ihre Mutter muster mich. Ich weiß, was sie denkt.
336
Wenn du zehn Prozent schneller fährst, verbrauchst du zwanzig bis dreißig Prozent mehr Benzin. Benögst, auf längeren Strecken, häufigere Tankstopps. Der Gemächlichfahrer bleibt dir auf den Fersen. Während du tankst, holt er wieder auf.
Meine höhere Geschwindigkeit sollte das mehr als wett machen.
Irrtum. Ein Fahrer der hundertzwanzig Stundenkilometer auf dem Tacho hat, legt in einer halben Minute einen Kilometer zurück. Während du an der Raste den Zapfhahn in den Tank steckst, kassiert er den anscheinend riesigen, in Wahrheit minimalen Vorsprung mühelos ein.
Warum fühlt es sich anders an? Drücke ich ordentlich aufs Gas, hab ich doch schnell einen Riesenabstand.
Das gaugelt uns das Hirn vor. Entwicklungsgeschichtlich sind wir Läufer, aufs Tempo der Savanne eingestellt. Ein Mensch, der einen Kilometer von uns entfernt ist, hat, ich sage mal, wenn wir einigermaßen durchtrainiert sind, sieben Minuten Vorsprung. Haben wir uns im Auto fünf Kilometer Abstand errast, denken wir also, der abgehängte Sonntagsfahrer sei mehr als eine halbe Stunde zurückgeblieben. Ein ziemlicher Irrtum. Es handelt sich um zweieinhalb Minuten. Mehr nicht.
Warum lernt man das nicht in der Fahrschule?
Gegenfrage: Warum baut man hierzulande - auf die Menge gesehen - die schnellsten Autos der Welt? Warum gibt es in dem Land, das die schnellsten Autos der Welt baut, keine Geschwindigkeitsbegrenzung?
Verschwörungstheorien. Hör bloß auf mit dem Scheiß.
Du hast mich gefragt.
Darf ich dich noch was fragen?
Du meinst, bevor wir zum Wesentlichen kommen?
Ja.
Gut.
Denkst du nicht, es ist ein wenig zu früh für mich?
Wenn du zehn Prozent schneller fährst, verbrauchst du zwanzig bis dreißig Prozent mehr Benzin. Benögst, auf längeren Strecken, häufigere Tankstopps. Der Gemächlichfahrer bleibt dir auf den Fersen. Während du tankst, holt er wieder auf.
Meine höhere Geschwindigkeit sollte das mehr als wett machen.
Irrtum. Ein Fahrer der hundertzwanzig Stundenkilometer auf dem Tacho hat, legt in einer halben Minute einen Kilometer zurück. Während du an der Raste den Zapfhahn in den Tank steckst, kassiert er den anscheinend riesigen, in Wahrheit minimalen Vorsprung mühelos ein.
Warum fühlt es sich anders an? Drücke ich ordentlich aufs Gas, hab ich doch schnell einen Riesenabstand.
Das gaugelt uns das Hirn vor. Entwicklungsgeschichtlich sind wir Läufer, aufs Tempo der Savanne eingestellt. Ein Mensch, der einen Kilometer von uns entfernt ist, hat, ich sage mal, wenn wir einigermaßen durchtrainiert sind, sieben Minuten Vorsprung. Haben wir uns im Auto fünf Kilometer Abstand errast, denken wir also, der abgehängte Sonntagsfahrer sei mehr als eine halbe Stunde zurückgeblieben. Ein ziemlicher Irrtum. Es handelt sich um zweieinhalb Minuten. Mehr nicht.
Warum lernt man das nicht in der Fahrschule?
Gegenfrage: Warum baut man hierzulande - auf die Menge gesehen - die schnellsten Autos der Welt? Warum gibt es in dem Land, das die schnellsten Autos der Welt baut, keine Geschwindigkeitsbegrenzung?
Verschwörungstheorien. Hör bloß auf mit dem Scheiß.
Du hast mich gefragt.
Darf ich dich noch was fragen?
Du meinst, bevor wir zum Wesentlichen kommen?
Ja.
Gut.
Denkst du nicht, es ist ein wenig zu früh für mich?
337
Die Einnahmen, Frau Krüger schob sich die Lesebrille zurecht, reichen nicht aus, um die Ausgaben zu decken.
Totenstille. Selbst Granz schwieg.
Frau Krüger verkniff sich ein Lachen. Ihr war das Ausmaß der Fehlleistungen seit langem bewusst gewesen. Sie hatte, vor einem halben Jahr, erst mit dem Vorstand, dann mit dem Betriebsrat gesprochen und anschließend - als die notwendigen Veränderungen ausgeblieben waren - Vorbereitungen getroffen, die, wenn sie ehrlich war, die Lage der Firma nicht unbedingt verbessert hatten. Ich bin, dachte sie, aus dem Gröbsten raus. Und, fragte sie, die Akte schließend, was nun? Wie geht's weiter?
Herr Unser, für den Vertrieb zuständig, räusperte sich.
Granz nickte ihm, aus Mangel an Alternativen, zu. Zwischen Unser und Granz herrschte fundamentales Misstrauen. Unser bemängelte grundsätzlich das Produkt, Granz kritisierte grundsätzlich die Verkaufsstrategie.
Schwerfällig stand Herr Unser auf. Irgendetwas stimmte nicht mit seinem Anzug, der an ihm wie ein nasser, übervoller Sack hin. Ich habe eine Überraschung mitgebracht, sagte er.
Die Einnahmen, Frau Krüger schob sich die Lesebrille zurecht, reichen nicht aus, um die Ausgaben zu decken.
Totenstille. Selbst Granz schwieg.
Frau Krüger verkniff sich ein Lachen. Ihr war das Ausmaß der Fehlleistungen seit langem bewusst gewesen. Sie hatte, vor einem halben Jahr, erst mit dem Vorstand, dann mit dem Betriebsrat gesprochen und anschließend - als die notwendigen Veränderungen ausgeblieben waren - Vorbereitungen getroffen, die, wenn sie ehrlich war, die Lage der Firma nicht unbedingt verbessert hatten. Ich bin, dachte sie, aus dem Gröbsten raus. Und, fragte sie, die Akte schließend, was nun? Wie geht's weiter?
Herr Unser, für den Vertrieb zuständig, räusperte sich.
Granz nickte ihm, aus Mangel an Alternativen, zu. Zwischen Unser und Granz herrschte fundamentales Misstrauen. Unser bemängelte grundsätzlich das Produkt, Granz kritisierte grundsätzlich die Verkaufsstrategie.
Schwerfällig stand Herr Unser auf. Irgendetwas stimmte nicht mit seinem Anzug, der an ihm wie ein nasser, übervoller Sack hin. Ich habe eine Überraschung mitgebracht, sagte er.
338
sie ging mit ihm dahin
meist einen schritt voran
nahm an die hand ihn
ab und an sie sprach
mit ihm war sachlich
wenn vonnöten an
sonsten ihm fest zu
geneigt er wusste
was er an ihr hatte
erröten war nicht an
gezeigt das atmen
grenzenlos verlegen
als es zu ende ging
ein schritt ausgetanzt
sie legte sich mit ihm
darnieder ganz zu die
lieder
sie ging mit ihm dahin
meist einen schritt voran
nahm an die hand ihn
ab und an sie sprach
mit ihm war sachlich
wenn vonnöten an
sonsten ihm fest zu
geneigt er wusste
was er an ihr hatte
erröten war nicht an
gezeigt das atmen
grenzenlos verlegen
als es zu ende ging
ein schritt ausgetanzt
sie legte sich mit ihm
darnieder ganz zu die
lieder
339
Ich begann das Dasein als Diebin. Das Erste, was ich gestohlen habe, war das Leben der Mutter, das Zweite das des Vaters. Ja, ich weiß, Sie würden meiner Mutter und meines Vaters sagen, aber ich habe Probleme mit starren Besitzverhältnissen. Ob ich deswegen eine Freundin des Gemeinschaftseigentums bin? Des anarchisch-urbanen Gärtnerns auf Neuköllner Brachland? Macht urbar, was Euch kaputtmacht? Gute Frage. Nein, ich danke mal, das würde ich so nicht sagen, jedenfalls nicht so radikal. In Großbritannien, dem ich, aus finanziellen Gründen verbunden und gewogen bin, haben die commons eine lange Tradition. Die Flächen sind eine Art Gemeingut, das den Menschen ihren Lebensunterhalt sichert, ohne dass es eine - lustige Idee - Einzeleigentümerschaft gibt. Du ackerst und erntest im freien Raum. Eine Art Weltraum für krumengeile Gutmenschen, dumme Hipster. Nicht mein Ding. Wenn ich Hunger habe, gehe ich in ein Restaurant und verschwinde, bevor die Rechnung kommt. Der Trick ist, normal zu wirken, ohne normal zu sein. Sie halten das für unmoralisch? Das stimmt manchmal und stimmt wiederum nicht imemr. Darf ich Ihnen ein Beispiel geben? Haben Sie etwas Zeit mitgebracht? Fangen wir mit den einsamen Herzen an. Sehr spendable Organe, wenn sie mich fragen.
Ich begann das Dasein als Diebin. Das Erste, was ich gestohlen habe, war das Leben der Mutter, das Zweite das des Vaters. Ja, ich weiß, Sie würden meiner Mutter und meines Vaters sagen, aber ich habe Probleme mit starren Besitzverhältnissen. Ob ich deswegen eine Freundin des Gemeinschaftseigentums bin? Des anarchisch-urbanen Gärtnerns auf Neuköllner Brachland? Macht urbar, was Euch kaputtmacht? Gute Frage. Nein, ich danke mal, das würde ich so nicht sagen, jedenfalls nicht so radikal. In Großbritannien, dem ich, aus finanziellen Gründen verbunden und gewogen bin, haben die commons eine lange Tradition. Die Flächen sind eine Art Gemeingut, das den Menschen ihren Lebensunterhalt sichert, ohne dass es eine - lustige Idee - Einzeleigentümerschaft gibt. Du ackerst und erntest im freien Raum. Eine Art Weltraum für krumengeile Gutmenschen, dumme Hipster. Nicht mein Ding. Wenn ich Hunger habe, gehe ich in ein Restaurant und verschwinde, bevor die Rechnung kommt. Der Trick ist, normal zu wirken, ohne normal zu sein. Sie halten das für unmoralisch? Das stimmt manchmal und stimmt wiederum nicht imemr. Darf ich Ihnen ein Beispiel geben? Haben Sie etwas Zeit mitgebracht? Fangen wir mit den einsamen Herzen an. Sehr spendable Organe, wenn sie mich fragen.
340
Hambertom, der aus dem Fenster gestürzt war, lag auf dem Dach des Schwarzen Taxis, der Cabbie fühlte den Puls des Brokers. Unter Hambertom saß Lula Costa, Stöpsel im Ohr. Dass sich das Wagendach eingebeult hatte, dass sie angehalten hatten, dass der Fahrer ausgestiegen war, nichts hatte sie bemerkt. Ihr Casting in Soho begann gleich. Costa hatte viele Filme gedreht. Mindestens zweihundert. Keiner war der Rede wert, obowhl in den Streifen ununterbrochen gesprochen wurde. Über die Vorteile der Körper, die Qualität der Glieder, was man mit ihnen alles machen konnte und wie oft. Tier hatte sie während eines Drehs in Taiwan angerufen. Sie hatte am Telefon gezittert. Tier, hatte sie gedacht, Tier ruft mich an. Mich. Breaking the Waves war ihr Lieblingsfilm. Mit Abstand. Das hatte sie in einem Penthouse-Interview auch gesagt: sie wäre zu gerne Tiers neue Emily Watson. Der Interviewer hatte seltsam gelacht, das war ihr egal gewesen. Nun war Costa in London, gerade aus Hong Kong angekommen. Tier hatte die Fähre genommen, von Calais aus. Der Regissuer flog nicht. Sie konnte seine Angst nachvollziehen. Der Mensch hat keine Flügel, dachte sie.
Hambertom, der aus dem Fenster gestürzt war, lag auf dem Dach des Schwarzen Taxis, der Cabbie fühlte den Puls des Brokers. Unter Hambertom saß Lula Costa, Stöpsel im Ohr. Dass sich das Wagendach eingebeult hatte, dass sie angehalten hatten, dass der Fahrer ausgestiegen war, nichts hatte sie bemerkt. Ihr Casting in Soho begann gleich. Costa hatte viele Filme gedreht. Mindestens zweihundert. Keiner war der Rede wert, obowhl in den Streifen ununterbrochen gesprochen wurde. Über die Vorteile der Körper, die Qualität der Glieder, was man mit ihnen alles machen konnte und wie oft. Tier hatte sie während eines Drehs in Taiwan angerufen. Sie hatte am Telefon gezittert. Tier, hatte sie gedacht, Tier ruft mich an. Mich. Breaking the Waves war ihr Lieblingsfilm. Mit Abstand. Das hatte sie in einem Penthouse-Interview auch gesagt: sie wäre zu gerne Tiers neue Emily Watson. Der Interviewer hatte seltsam gelacht, das war ihr egal gewesen. Nun war Costa in London, gerade aus Hong Kong angekommen. Tier hatte die Fähre genommen, von Calais aus. Der Regissuer flog nicht. Sie konnte seine Angst nachvollziehen. Der Mensch hat keine Flügel, dachte sie.
341
Das Benutzen der Muster machte ihr, im Gegensatz zu früher, kaum noch Schwierigkeiten. Gewissensbisse hatte sie abgelegt. Jede musste sehen, wo sie blieb. Die Zeit heilte viele Wunden. Das Sein war keine Wildblumenwiese, die zum Rasten und Träumen einlud. Sie kannte die Vorlagen aus dem Effeff. Drei Muster Akzeptanz, sechs Muster Erregung, neun Muster Lust, zwölf Muster Hass, fünfzehn Muster Abscheu, achtzehn Muster Ärger, einundzwanzig Muster Verrat, vierundzwanzig Muster Ekel, siebenundzwanzig Muster Gewalt, dreißig Muster Schmerz. Ihr Leiderschrank war brechend voll. Manchmal, wenn ihr danach war, wie heute, griff sie blind hinein, ließ sich vom Tagesmuster überraschen. Ekel 7. Sie passte das Muster pflichtgemäß an die Jahreszeit an. Ekelchen 7. Es war Frühling. Die Leute kamen wieder aus den Wohnungen, wanderten durch die Straßen und Parkanlagen. Leichte Beute. Pünktlich um 10 Uhr erhielt sie die Textmessage. Rungiji, ND. Zunächst dachte sie nur, in Delhi bin ich ja lange nicht gewesen, dann erinnerte sie sich. Rungiji. Der erste Kuss in Weggis. Rungiji hatte sich schon auf einem anderen Level befunden. Während des Kusses hatte er auf den 18. September 1601, 3 Uhr gestellt.
Ein Knirschen. Ein Erdbeben der Magnitude 5,9 erschüttert die Gegend um Luzern. Gestein löst sich. Eine Lawine. Eine zweite, dritte, vierte. Sie sehen, wie sich der Vierwaldstätter See aufbäumt. Die Steine frisst. Eine Wand aus Wasser rast auf sie zu.
Das Benutzen der Muster machte ihr, im Gegensatz zu früher, kaum noch Schwierigkeiten. Gewissensbisse hatte sie abgelegt. Jede musste sehen, wo sie blieb. Die Zeit heilte viele Wunden. Das Sein war keine Wildblumenwiese, die zum Rasten und Träumen einlud. Sie kannte die Vorlagen aus dem Effeff. Drei Muster Akzeptanz, sechs Muster Erregung, neun Muster Lust, zwölf Muster Hass, fünfzehn Muster Abscheu, achtzehn Muster Ärger, einundzwanzig Muster Verrat, vierundzwanzig Muster Ekel, siebenundzwanzig Muster Gewalt, dreißig Muster Schmerz. Ihr Leiderschrank war brechend voll. Manchmal, wenn ihr danach war, wie heute, griff sie blind hinein, ließ sich vom Tagesmuster überraschen. Ekel 7. Sie passte das Muster pflichtgemäß an die Jahreszeit an. Ekelchen 7. Es war Frühling. Die Leute kamen wieder aus den Wohnungen, wanderten durch die Straßen und Parkanlagen. Leichte Beute. Pünktlich um 10 Uhr erhielt sie die Textmessage. Rungiji, ND. Zunächst dachte sie nur, in Delhi bin ich ja lange nicht gewesen, dann erinnerte sie sich. Rungiji. Der erste Kuss in Weggis. Rungiji hatte sich schon auf einem anderen Level befunden. Während des Kusses hatte er auf den 18. September 1601, 3 Uhr gestellt.
Ein Knirschen. Ein Erdbeben der Magnitude 5,9 erschüttert die Gegend um Luzern. Gestein löst sich. Eine Lawine. Eine zweite, dritte, vierte. Sie sehen, wie sich der Vierwaldstätter See aufbäumt. Die Steine frisst. Eine Wand aus Wasser rast auf sie zu.
342
Frühestens wenn du in den mythischen Abgrund steigst, ahnst du Großes.
Von wem sprichst du? Wagner? Thomas Mann? Vicco von Bülow? Rudolf Valentino?
Sehr komisch. Low riot, oh Boy. Von dir spreche ich. Natürlich spreche ich von Dir. Du pellst dich, legst das Überflüssige ab. Und erkennst ...
... dass alles noch viel komplizierter ist, als wir vermuten. Weil die Vereinfachung nicht funktioniert, weil der Vereinfacher lügt, um seine eigenen Denkschwächen zu übertünchen, und der vermeintliche ...
... Unsinn! Die Schwäche unserer Zeit ist ihre Komplexität. Alles ist verbunden, nichts steht für sich. Wir roden nicht, sondern verirren uns im Dschungel. Wir haben die Orientierung verloren. Die Lichtungen sind uns abhandengekommen. Die Hilflosigkeit kennt ...
... am Dschungel gibt es per se nichts auszusetzen. Die Artenvielfalt garantiert den Fortbestand des Lebens. Monokultur, die Herrschaft einer Idee, einer Gattung, einer Person, ist widernatürlich. Dein "mythischer Abgrund" darf ...
... pass auf, was du sagst!
Frühestens wenn du in den mythischen Abgrund steigst, ahnst du Großes.
Von wem sprichst du? Wagner? Thomas Mann? Vicco von Bülow? Rudolf Valentino?
Sehr komisch. Low riot, oh Boy. Von dir spreche ich. Natürlich spreche ich von Dir. Du pellst dich, legst das Überflüssige ab. Und erkennst ...
... dass alles noch viel komplizierter ist, als wir vermuten. Weil die Vereinfachung nicht funktioniert, weil der Vereinfacher lügt, um seine eigenen Denkschwächen zu übertünchen, und der vermeintliche ...
... Unsinn! Die Schwäche unserer Zeit ist ihre Komplexität. Alles ist verbunden, nichts steht für sich. Wir roden nicht, sondern verirren uns im Dschungel. Wir haben die Orientierung verloren. Die Lichtungen sind uns abhandengekommen. Die Hilflosigkeit kennt ...
... am Dschungel gibt es per se nichts auszusetzen. Die Artenvielfalt garantiert den Fortbestand des Lebens. Monokultur, die Herrschaft einer Idee, einer Gattung, einer Person, ist widernatürlich. Dein "mythischer Abgrund" darf ...
... pass auf, was du sagst!
343
Die beste Freundin der Matrone? Lady Ho beobachtete den Wärter, der Jays Mund als Ejakulationstasse benutzte.
Eine flinke Patrone, sagte Hummel.
Und ich wüsste auch, wo die hinflöge, sagte Gringe, die normalerweise nichts sagte, aber Jay von Herzen hasste. Gringe hatte sich aus drei Haarnadeln ein Messer gebastelt, mit dem sie sich die Fußnägel feilte.
Du mit deinem Scheißkonjunktiv, sagte Lady Ho und lachte.
Ich hätt richtig Bock auf einen Kon Junk Hoch, sagte Hummel.
Gringe schüttelte den Kopf. Frag Jay, ob sie dir was abgibt.
Nicht davon, sagte Hummel, ich will meinen Tom.
Deinen Tom? Lady Ho nahm Gringe das Messer ab und benutzte es als Zahnstocher.
Wessen Tom wohl sonst? Deinen etwa? Hummel spannte den Kiefer an, sie wusste, was jetzt kam, ihr Körper war nicht umsonst von schlecht verheilten Stichen übersät, aber diesmal, das hatte sie sich fest vorgenommen, würde sie nicht nachgeben.
Die beste Freundin der Matrone? Lady Ho beobachtete den Wärter, der Jays Mund als Ejakulationstasse benutzte.
Eine flinke Patrone, sagte Hummel.
Und ich wüsste auch, wo die hinflöge, sagte Gringe, die normalerweise nichts sagte, aber Jay von Herzen hasste. Gringe hatte sich aus drei Haarnadeln ein Messer gebastelt, mit dem sie sich die Fußnägel feilte.
Du mit deinem Scheißkonjunktiv, sagte Lady Ho und lachte.
Ich hätt richtig Bock auf einen Kon Junk Hoch, sagte Hummel.
Gringe schüttelte den Kopf. Frag Jay, ob sie dir was abgibt.
Nicht davon, sagte Hummel, ich will meinen Tom.
Deinen Tom? Lady Ho nahm Gringe das Messer ab und benutzte es als Zahnstocher.
Wessen Tom wohl sonst? Deinen etwa? Hummel spannte den Kiefer an, sie wusste, was jetzt kam, ihr Körper war nicht umsonst von schlecht verheilten Stichen übersät, aber diesmal, das hatte sie sich fest vorgenommen, würde sie nicht nachgeben.
344
Nichts zu denken. Leer zu sein. Unausgefüllt. Erst in der Wärme, dann der Kälte. Ohne Anhang? Ohne Anhang. Wer atmete? Niemand.
Die Zunge im Loch. Meins? Nein, es geht nicht um Sex. Nicht um Sex? Nein, es geht um die Leere, die für einen Moment mit einer Zunge gefüllt wird.
Er ist dein Sekretär. Cameron ist mein Sekretär. Genau, dein Sekretär. Er bringt dir, was du verlangst. Ich verlange ein Ende der Austerität. Eine interessante Wahl, das Trinkgeld sollte entsprechend sein.
Jetzt denken wir aber doch. Nein, du denkst, dass du denkst, was aber nicht der Fall ist. Die Leserin und der Leser denken für dich. Ich denke nicht? Du denkst nicht. Gibt es mich überhaupt? Ja, es gibt dich. Weil man über mich etwas lesen kann? Möglicherweise.
Eine Lichtung, im brasilianischen Regenwald, nein in Papua-Neuguinea, oder auf Java. Ein Flugzeugabsturz, ein Kleinflugzeug. Drei Menschen haben überlebt. Du, der Pilot und die kleine Tochter deiner besten Freundin. Der schwer verletzte Pilot bittet dich, ihn zu töten.
Nichts zu denken. Leer zu sein. Unausgefüllt. Erst in der Wärme, dann der Kälte. Ohne Anhang? Ohne Anhang. Wer atmete? Niemand.
Die Zunge im Loch. Meins? Nein, es geht nicht um Sex. Nicht um Sex? Nein, es geht um die Leere, die für einen Moment mit einer Zunge gefüllt wird.
Er ist dein Sekretär. Cameron ist mein Sekretär. Genau, dein Sekretär. Er bringt dir, was du verlangst. Ich verlange ein Ende der Austerität. Eine interessante Wahl, das Trinkgeld sollte entsprechend sein.
Jetzt denken wir aber doch. Nein, du denkst, dass du denkst, was aber nicht der Fall ist. Die Leserin und der Leser denken für dich. Ich denke nicht? Du denkst nicht. Gibt es mich überhaupt? Ja, es gibt dich. Weil man über mich etwas lesen kann? Möglicherweise.
Eine Lichtung, im brasilianischen Regenwald, nein in Papua-Neuguinea, oder auf Java. Ein Flugzeugabsturz, ein Kleinflugzeug. Drei Menschen haben überlebt. Du, der Pilot und die kleine Tochter deiner besten Freundin. Der schwer verletzte Pilot bittet dich, ihn zu töten.
345
Der Mann auf dem Friedhof hat sich Bräunungscreme ins Gesicht geschmiert. Mehrere Lagen. Er glänzt und riecht nach Chemie. Neben der Decke, auf der er liegt, befindet sich das Loch. Mein Loch. Ich habe es Anfang des Jahres gekauft. Um genau zu sein: es handelt sich wohl eher um eine Art von Erbpacht. Das Loch ist für mich reserviert. 99 Jahre lang. Nicht vorsichtshalber, sondern weil es notwendig ist. Selbst der Stein steht schon. Der Name ist auch längst drauf. Renate Frohgemuth. Der Mann liest ein Buch. Das Leben ist kein Ponyhof. Ach was, ganz neue Einsicht, sage ich zu ihm. Er deudet, ohne zu zögern, als führten wir eine alte Unterhaltung fort, auf seine schweren Reitstiefel. Eine zweite Karriere, sagt er. Im Zirkus, frage ich, oder in der Geisterbahn? Er sieht mich an. Sind Sie Renate Frohgemuth?, fragt der Eingecremte. Ich überlege, was ihn das angeht, doch er redet bereits weiter. Eine schöne Stimme hat er, denke ich. Ich bin ein Wunderheiler, sagt er. Ach, sage ich, voller Sarkasmus, das trifft sich ja gut, leider bin ich pleite, der Stein und so. Mir geht's nicht ums Geld, sagt der Eingecremte, legt das Buch weg und zieht die Stiefel an. Sondern?, frage ich. Die Liebe, sagt er und lacht. Nun sieht er wie Sean Connery aus.
Der Mann auf dem Friedhof hat sich Bräunungscreme ins Gesicht geschmiert. Mehrere Lagen. Er glänzt und riecht nach Chemie. Neben der Decke, auf der er liegt, befindet sich das Loch. Mein Loch. Ich habe es Anfang des Jahres gekauft. Um genau zu sein: es handelt sich wohl eher um eine Art von Erbpacht. Das Loch ist für mich reserviert. 99 Jahre lang. Nicht vorsichtshalber, sondern weil es notwendig ist. Selbst der Stein steht schon. Der Name ist auch längst drauf. Renate Frohgemuth. Der Mann liest ein Buch. Das Leben ist kein Ponyhof. Ach was, ganz neue Einsicht, sage ich zu ihm. Er deudet, ohne zu zögern, als führten wir eine alte Unterhaltung fort, auf seine schweren Reitstiefel. Eine zweite Karriere, sagt er. Im Zirkus, frage ich, oder in der Geisterbahn? Er sieht mich an. Sind Sie Renate Frohgemuth?, fragt der Eingecremte. Ich überlege, was ihn das angeht, doch er redet bereits weiter. Eine schöne Stimme hat er, denke ich. Ich bin ein Wunderheiler, sagt er. Ach, sage ich, voller Sarkasmus, das trifft sich ja gut, leider bin ich pleite, der Stein und so. Mir geht's nicht ums Geld, sagt der Eingecremte, legt das Buch weg und zieht die Stiefel an. Sondern?, frage ich. Die Liebe, sagt er und lacht. Nun sieht er wie Sean Connery aus.
346
Eigentlich, um gleich mal zu prahlen, eigentlich hatte ich mit allem Recht behalten. Hansi? Landete im Knast. Trude? Wurde Präsidentin des Moskauer Skatvereins und Duzfreundin Snowdens. Helge? Mein Lover. Yes! Hel-ge - mein Lo-ver! Genau der Helge, der BMW-Knacker, ein moderner Lovelace, den Emma, Alis Freundin aus Birmingham, immer The Dish genannt hat. Zum Anknabbern. Mehr Hülle als Kern, aber das ist eine andere Geschichte. Nur mit Beth lag ich ziemlich weit hinten. Wenn Schlechte Gutes tun, hat der Gute schlechte Laune, sagt Ali immer, und der weiß, wovon er spricht. Beths Polizeiakte war praktisch leer. Drei, vier Taschendiebstähle, der Bruch ins Kurt-Schumacher-Haus und die Nummer mit dem Online-Dating. Die Internetnummer war Emmas Idee gewesen, in England ist man mit solchen Sachen weiter, die kupfern die Amerikaner ab, erst dann schwappt die Soße zu uns rüber. Ich kann nicht sagen, dass ich Beth nicht mochte. Ja, der Eso-Kram ist mir schon auf den Geist gegangen, aber nicht nur mir, da können Sie Helge fragen oder auch Hansi. Trude war da immer toleranter, die macht auch Shadow-Yoga mit dem serbischen Om. Anyway, wo waren wir? Dass ich Beth mochte? Ja, genau, ich mochte Beth. Sie hat ein gutes Herz, das sie in ihrem Ausschnitt freizügig herumträgt. Ihre Sache. Wer sich über Kleidung streitet, sollte standrechtlich bei C&A eingekleidet werden. Beth ist schlau. Wenn sie dich nicht magt, zeigt sie es nicht. Woran du es dennoch merkst? Sie nutzt dich noch mehr aus als alle anderen. Beth ist ein Raubtier, das sprechen kann. Ich finde, es ist jetzt an der Zeit, mit einigen Mythen gründlich aufzuräumen. In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, wir seien die neue RAF. Die nachhaltige Hipster-Variante Baader-Meinhof-Bande, und Beth sei die neue Ulrike, der brilliante, sensible Kopf, eine Intellektuelle, die Piketty auf Französisch zitiert. Schwachsinn. Damit das hier Hand und Fuß hat - läuft das Aufnahmegerät? - will ich jetzt mal erzählen, was im Kurt-Schumacher-Haus wirklich passiert ist und wer lieber nen Hunni fürs Lecken eingesteckt hat, anstatt, wie verabredet, den Schwanz abzubeißen.
Eigentlich, um gleich mal zu prahlen, eigentlich hatte ich mit allem Recht behalten. Hansi? Landete im Knast. Trude? Wurde Präsidentin des Moskauer Skatvereins und Duzfreundin Snowdens. Helge? Mein Lover. Yes! Hel-ge - mein Lo-ver! Genau der Helge, der BMW-Knacker, ein moderner Lovelace, den Emma, Alis Freundin aus Birmingham, immer The Dish genannt hat. Zum Anknabbern. Mehr Hülle als Kern, aber das ist eine andere Geschichte. Nur mit Beth lag ich ziemlich weit hinten. Wenn Schlechte Gutes tun, hat der Gute schlechte Laune, sagt Ali immer, und der weiß, wovon er spricht. Beths Polizeiakte war praktisch leer. Drei, vier Taschendiebstähle, der Bruch ins Kurt-Schumacher-Haus und die Nummer mit dem Online-Dating. Die Internetnummer war Emmas Idee gewesen, in England ist man mit solchen Sachen weiter, die kupfern die Amerikaner ab, erst dann schwappt die Soße zu uns rüber. Ich kann nicht sagen, dass ich Beth nicht mochte. Ja, der Eso-Kram ist mir schon auf den Geist gegangen, aber nicht nur mir, da können Sie Helge fragen oder auch Hansi. Trude war da immer toleranter, die macht auch Shadow-Yoga mit dem serbischen Om. Anyway, wo waren wir? Dass ich Beth mochte? Ja, genau, ich mochte Beth. Sie hat ein gutes Herz, das sie in ihrem Ausschnitt freizügig herumträgt. Ihre Sache. Wer sich über Kleidung streitet, sollte standrechtlich bei C&A eingekleidet werden. Beth ist schlau. Wenn sie dich nicht magt, zeigt sie es nicht. Woran du es dennoch merkst? Sie nutzt dich noch mehr aus als alle anderen. Beth ist ein Raubtier, das sprechen kann. Ich finde, es ist jetzt an der Zeit, mit einigen Mythen gründlich aufzuräumen. In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, wir seien die neue RAF. Die nachhaltige Hipster-Variante Baader-Meinhof-Bande, und Beth sei die neue Ulrike, der brilliante, sensible Kopf, eine Intellektuelle, die Piketty auf Französisch zitiert. Schwachsinn. Damit das hier Hand und Fuß hat - läuft das Aufnahmegerät? - will ich jetzt mal erzählen, was im Kurt-Schumacher-Haus wirklich passiert ist und wer lieber nen Hunni fürs Lecken eingesteckt hat, anstatt, wie verabredet, den Schwanz abzubeißen.
347
Das Produkt erfüllte alle Voraussetzungen. Das Team hatte sieben Jahre an der Entwicklung gearbeitet. Die Geheimhaltung, jeder im Lab spürte es, die endlosen Entbehrungen, die Lügen und Überstunden, sie hatten sich gelohnt. Nichts würde ab morgen sein wie früher. Das Produkt würde alles auf den Kopf stellen, das Leben revolutionieren. Das Beste war: draußen wusste niemand, was kommen würde. Alle hielten das Heute für erstrebenswert, hielten das Jetzt für die normale Realität. Hinten im Lab lagen die Designer auf dem Boden und wälzten sich im Glück. Die Direktoren und die Ingenieure blickten neidisch auf die Ausgelassenen. Die Designer verstanden das Krachenlassen, keine Frage, das hatten sie oft genug bewiesen. Kreative Querköpfe. Auf der anderen Seite: was sie nicht verstanden, war die absolute Perfektion des Produkts, die so unübertrefflich war, dass die Designer auf immer und ewig vor dem Nichts standen.
Das Produkt erfüllte alle Voraussetzungen. Das Team hatte sieben Jahre an der Entwicklung gearbeitet. Die Geheimhaltung, jeder im Lab spürte es, die endlosen Entbehrungen, die Lügen und Überstunden, sie hatten sich gelohnt. Nichts würde ab morgen sein wie früher. Das Produkt würde alles auf den Kopf stellen, das Leben revolutionieren. Das Beste war: draußen wusste niemand, was kommen würde. Alle hielten das Heute für erstrebenswert, hielten das Jetzt für die normale Realität. Hinten im Lab lagen die Designer auf dem Boden und wälzten sich im Glück. Die Direktoren und die Ingenieure blickten neidisch auf die Ausgelassenen. Die Designer verstanden das Krachenlassen, keine Frage, das hatten sie oft genug bewiesen. Kreative Querköpfe. Auf der anderen Seite: was sie nicht verstanden, war die absolute Perfektion des Produkts, die so unübertrefflich war, dass die Designer auf immer und ewig vor dem Nichts standen.
348
52° 33′ 35″ N, 13° 17′ 16″ O. 37 m über Mean Sea Level; wobei das weder gemein heißt, noch meinen Charakter beschreibt. Ich bin fun, gerne unterwegs, aber auch gerne daheim. Was ich suche? Erfahrung. Intelligenz. Triebkraft.
Das haben Sie geschrieben? Der Beamte hielt einen Ausdruck hoch.
Lillie beugte sich vor. Ja, war urspünglich länger, aber das mit der Blühenden Jungfernheide hat Otto herausgestrichen.
Und da wundern Sie sich ...
... über was?
Den Shitstorm.
Sind Sie auf meiner Seite, oder nicht? Lillie machte ein Foto und postete es unter dem Hashtag #beamputierte.
Hören Sie bitte damit auf!
Womit? Lillie öffnete eine Pillendose und warf sich zwei Dragées ein.
Zu fotografieren und Drogen zu nehmen. Dies ist kein öffentlicher Raum.
Aber ein Raum, der von meinem Steuergeld bezahlt wird. Lillie machte das nächste Foto und postete es unter dem Hashtag #geltungsverschwendung.
Es klopfte, der Beamte drückte auf einen Summer, eine Beamtin kam herein und reichte dem Beamten einen iPad, auf dem die beiden Fotos, die Lillie gemacht hatte, zu sehen waren.
52° 33′ 35″ N, 13° 17′ 16″ O. 37 m über Mean Sea Level; wobei das weder gemein heißt, noch meinen Charakter beschreibt. Ich bin fun, gerne unterwegs, aber auch gerne daheim. Was ich suche? Erfahrung. Intelligenz. Triebkraft.
Das haben Sie geschrieben? Der Beamte hielt einen Ausdruck hoch.
Lillie beugte sich vor. Ja, war urspünglich länger, aber das mit der Blühenden Jungfernheide hat Otto herausgestrichen.
Und da wundern Sie sich ...
... über was?
Den Shitstorm.
Sind Sie auf meiner Seite, oder nicht? Lillie machte ein Foto und postete es unter dem Hashtag #beamputierte.
Hören Sie bitte damit auf!
Womit? Lillie öffnete eine Pillendose und warf sich zwei Dragées ein.
Zu fotografieren und Drogen zu nehmen. Dies ist kein öffentlicher Raum.
Aber ein Raum, der von meinem Steuergeld bezahlt wird. Lillie machte das nächste Foto und postete es unter dem Hashtag #geltungsverschwendung.
Es klopfte, der Beamte drückte auf einen Summer, eine Beamtin kam herein und reichte dem Beamten einen iPad, auf dem die beiden Fotos, die Lillie gemacht hatte, zu sehen waren.
349
Bei der Herstellung denkt man nicht an den Rufmord, man ist froh, das etwas mit einem passiert. Ob klassisch oder nicht, spielt erst einmal keine Rolle. Selbstverständlich denkst du, dass man dich mit offenen Armen empfangen wird. Man hat schließlich die Geldböse geöffnet, die Tasche, in der du steckst, empfangen, in aller Regel eine Quittung erhalten und, darauf lege ich Wert, eine Garantie - also das Versprechen, dass du einwandfrei über den Zeitraum XY funktionierst. Und das hast du vor: einwandfrei zu funktionieren. Deine Pflicht ist es, zu erledigen, was deine Aufgabe ist. Ja, wenn man dich gut behandelt, macht es mehr Spaß. Aber Spaß ist keine Kategorie der Aufklärung. Jeder von uns lernt das bereits auf dem Band. Du bist, weil du bist. Wärst du nicht, wärst du nicht. Sei, um zu sein. Fließ ist keine Frage, sondern die Antwort. Aus dem Effeff kannst du das herunterrasseln. Die erste Transaktion ist immer die schwerste. Ich kann das bestätigen. Ich glaube, dass das jeder bestätigen kann. The first cut is the deepest. Selbst bei einem Hautritzer glauben die meisten, dass sie nun verbluten müssen. So sind wir eben. Nein, mit dem Ballast habe ich nicht gerechnet. Alles ging seinen Gang, bis zum Stromausfall.
Bei der Herstellung denkt man nicht an den Rufmord, man ist froh, das etwas mit einem passiert. Ob klassisch oder nicht, spielt erst einmal keine Rolle. Selbstverständlich denkst du, dass man dich mit offenen Armen empfangen wird. Man hat schließlich die Geldböse geöffnet, die Tasche, in der du steckst, empfangen, in aller Regel eine Quittung erhalten und, darauf lege ich Wert, eine Garantie - also das Versprechen, dass du einwandfrei über den Zeitraum XY funktionierst. Und das hast du vor: einwandfrei zu funktionieren. Deine Pflicht ist es, zu erledigen, was deine Aufgabe ist. Ja, wenn man dich gut behandelt, macht es mehr Spaß. Aber Spaß ist keine Kategorie der Aufklärung. Jeder von uns lernt das bereits auf dem Band. Du bist, weil du bist. Wärst du nicht, wärst du nicht. Sei, um zu sein. Fließ ist keine Frage, sondern die Antwort. Aus dem Effeff kannst du das herunterrasseln. Die erste Transaktion ist immer die schwerste. Ich kann das bestätigen. Ich glaube, dass das jeder bestätigen kann. The first cut is the deepest. Selbst bei einem Hautritzer glauben die meisten, dass sie nun verbluten müssen. So sind wir eben. Nein, mit dem Ballast habe ich nicht gerechnet. Alles ging seinen Gang, bis zum Stromausfall.
350
Heiterkeit ist die Müdigkeit des Zorns. Die Frau im schwarzen Hosenanzug, Ende vierzig, ließ nicht locker. Obwohl es nieselte und der Schneematsch, in dem sie stand, ihre Schuhe aufweichte. Hass ist eine offene Rechnung, die niemand begleichen muss.
Ein Mädchen blieb stehen, beugte sich nieder und machte Selfies mit den Schuhen der Rednerin. Die Schulfreundin des Mädchens wiederum machte Selfies vom Selfiesmachen, dabei wurde sie von einem Kamerateam des NDR gefilmt.
Liebe bittet um keine Gabe, sondern teilt - ohne Forderungen zu stellen! - Gefühle. Die Frau warf ihren Regenschirm in eine Plastikkiste, die hinter ihr mit Matsch volllief.
Der Kameramann schwenkte hoch und zoomte ans Gesicht der Rednerin.
Dank des TV-Teams blieben immer mehr Flensburger stehen, darunter auch Heribert Larsen, ein abgebrochener Agrarstudent, der für Giangiacomo Feltrinelli schwärmte und bei der Stürmung des Frankfurter Bankenviertels eine besondere Rolle gespielt hatte.
Bei diesem Heribert Larsen handelt es sich um mich, bei der Frau in der eisigen Fußgängerzone um meine Mutter, Hilke Gottfried-Larsen, die ich, aus - wie sie findet - guten Gründen, seit einem Jahrzehnt nicht mehr gesehen habe.
Heiterkeit ist die Müdigkeit des Zorns. Die Frau im schwarzen Hosenanzug, Ende vierzig, ließ nicht locker. Obwohl es nieselte und der Schneematsch, in dem sie stand, ihre Schuhe aufweichte. Hass ist eine offene Rechnung, die niemand begleichen muss.
Ein Mädchen blieb stehen, beugte sich nieder und machte Selfies mit den Schuhen der Rednerin. Die Schulfreundin des Mädchens wiederum machte Selfies vom Selfiesmachen, dabei wurde sie von einem Kamerateam des NDR gefilmt.
Liebe bittet um keine Gabe, sondern teilt - ohne Forderungen zu stellen! - Gefühle. Die Frau warf ihren Regenschirm in eine Plastikkiste, die hinter ihr mit Matsch volllief.
Der Kameramann schwenkte hoch und zoomte ans Gesicht der Rednerin.
Dank des TV-Teams blieben immer mehr Flensburger stehen, darunter auch Heribert Larsen, ein abgebrochener Agrarstudent, der für Giangiacomo Feltrinelli schwärmte und bei der Stürmung des Frankfurter Bankenviertels eine besondere Rolle gespielt hatte.
Bei diesem Heribert Larsen handelt es sich um mich, bei der Frau in der eisigen Fußgängerzone um meine Mutter, Hilke Gottfried-Larsen, die ich, aus - wie sie findet - guten Gründen, seit einem Jahrzehnt nicht mehr gesehen habe.
351
We shall overcome. Die Stadt war mit dem Slogan gepflastert. Nicht nur Schaufenster trugen den Spruch, selbst Polizeiautos und Gullideckel hatten die Aktivisten zugekleistert. Die Beschäftigten des Ordnungsamts schätzten, dass etwa 25.000 Poster aufgehängt worden waren. In einer Nacht. Seltsam war, dass niemand die Aktivisten gesehen hatte. Es existierte kein Videomaterial. Jedenfalls nichts, was verwertbar war. Hacker, sagte der Zuständige, hätten die Überwachungssoftware manipuliert, das sei gar nicht so schwer, die vernetzten Städte müssten sich auf ganz andere Sachen einstellen. Was denn?, wurde er gefragt. Stromausfälle, sagte der Zuständige. Was denn mit den persönlichen Daten in den Meldeämtern sei?, wurde er gefragt, seien die auch betroffen? Was für eine naive Frage, sagte der Zuständige, die persönlichen Daten hätte man, genau deswegen, längst an die FIRMA übertragen, dort seien sie wesentlich sicherer als auf dem zentralen Server des Meldeamts. Die FIRMA habe also Zugriff auf ihre Krankheitsgeschichte und ihren Steuerbescheid?, wollte eine Journalistin wissen. Ja, der Zuständige strahlte, und außerdem auch noch ... In diesem Moment gingen die Türen auf, die beiden Bodyguards des Bürgermeisters, unterstützt von einem guten Dutzend FIRMAisten, stürzten in den Saal, riefen Feuer, Feuer, alle in Sicherheit bringen! und griffen sich den Zuständigen.
We shall overcome. Die Stadt war mit dem Slogan gepflastert. Nicht nur Schaufenster trugen den Spruch, selbst Polizeiautos und Gullideckel hatten die Aktivisten zugekleistert. Die Beschäftigten des Ordnungsamts schätzten, dass etwa 25.000 Poster aufgehängt worden waren. In einer Nacht. Seltsam war, dass niemand die Aktivisten gesehen hatte. Es existierte kein Videomaterial. Jedenfalls nichts, was verwertbar war. Hacker, sagte der Zuständige, hätten die Überwachungssoftware manipuliert, das sei gar nicht so schwer, die vernetzten Städte müssten sich auf ganz andere Sachen einstellen. Was denn?, wurde er gefragt. Stromausfälle, sagte der Zuständige. Was denn mit den persönlichen Daten in den Meldeämtern sei?, wurde er gefragt, seien die auch betroffen? Was für eine naive Frage, sagte der Zuständige, die persönlichen Daten hätte man, genau deswegen, längst an die FIRMA übertragen, dort seien sie wesentlich sicherer als auf dem zentralen Server des Meldeamts. Die FIRMA habe also Zugriff auf ihre Krankheitsgeschichte und ihren Steuerbescheid?, wollte eine Journalistin wissen. Ja, der Zuständige strahlte, und außerdem auch noch ... In diesem Moment gingen die Türen auf, die beiden Bodyguards des Bürgermeisters, unterstützt von einem guten Dutzend FIRMAisten, stürzten in den Saal, riefen Feuer, Feuer, alle in Sicherheit bringen! und griffen sich den Zuständigen.
352
Niemand hasst länger, das muss festgestellt werden, schreiben Sie das auf, ich glaube, dass das, das Hassen, das unendliche, nicht aufhörende Hassen, diese historische Rivalität, dieses gemeinsam Am-Fluss-Sein, ich glaube, dass diese bodenlose Abscheu - seien Sie nicht zu überrascht, was ich jetzt sage -, dass diese Abkehr von der Menschlichkeit, von dem, was wir empfinden, wenn wir Kleinkinder aus der anderen Stadt sehen, wenn wir mit unseren Eltern sprechen, dass diese elementare Verneinung der Konventionen, diese Verneinung des Guten, Hehren, Schönen, dieser Neid auf einen hohen Kirchturm, eine wahnsinnige Anziehungskraft auf die Menge in meiner Stadt ausgeübt hat und, natürlich, weiterhin ausübt. Ich würde, nein: ich spreche von einem Kult, der sich, erst langsam, dann schneller werdend, entwickelt hat, eine Begeisterung für das Deviante, die nicht nur die Ungebildeten erfasst hat, eher im Gegenteil, die einfachen Leute haben eher Abstand gewahrt, haben eher die Gemeinsamkeiten mit den armen Schluckern gefühlt, eine Freude an der Gewalt, die alle Schichten regelrecht fortgerissen hat, die Leute haben, wenn Sie mich fragen, ihren Verstand ausgeschaltet, sind blindlings abgegangen wie Kö-Luzzie, carpe diem, nehmt euch, was ihr braucht, macht euch die Stadt Untertan, denkt nicht, sondern handelt, dieser ganze Scheißdreck hat wie eine Droge gewirkt, plötzlich liefen alle mit diesen Fahnen und Abzeichen rum, grüßten sich mit High-Rhein- Five, sägten Löcher in ihre Autodächer, sangen, das können Sie sich nicht vorstellen, sangen alle die Beach Boys. Warum? Kein Ahnung. Das macht man halt so. Lustig, eigentlich, wenn man's aus der Entfernung betrachtet, hier fühlt sich das aber anders an. Wir, meine Nachbarn und ich, haben uns zum Widerstand entschlossen, wir wollen gegen den blindwütigen Hass vorgehen, wir verachten nicht die Leute aus Köln, jedenfalls nicht so, wie es jetzt propagiert wird, wir distanzieren uns von den Plünderungen in Essen und Duisburg, Hamm ist, meines Erachtens, eine andere Frage, die Hammer haben es an sich provoziert, die Hammer sollen mal schön still sein, während uns die Leverkuser seit Monaten nichts getan haben. Ich kann nur sagen: das wäre nicht nötig gewesen, so ein Chemiewerkt baut man nicht einfach wieder so auf. Noch eins: den Menschen in Solingen kann ich nur drignend raten, sich schnellstens zu bewaffenen, Waffen genug habt ihr ja, Solinger, denkt darüber nach. Die Sklaven aus Bottrop tun mir leid, zumal es nur junge Frauen sind, was mit den männlichen Bottropern passiert ist, weiß niemand.
Niemand hasst länger, das muss festgestellt werden, schreiben Sie das auf, ich glaube, dass das, das Hassen, das unendliche, nicht aufhörende Hassen, diese historische Rivalität, dieses gemeinsam Am-Fluss-Sein, ich glaube, dass diese bodenlose Abscheu - seien Sie nicht zu überrascht, was ich jetzt sage -, dass diese Abkehr von der Menschlichkeit, von dem, was wir empfinden, wenn wir Kleinkinder aus der anderen Stadt sehen, wenn wir mit unseren Eltern sprechen, dass diese elementare Verneinung der Konventionen, diese Verneinung des Guten, Hehren, Schönen, dieser Neid auf einen hohen Kirchturm, eine wahnsinnige Anziehungskraft auf die Menge in meiner Stadt ausgeübt hat und, natürlich, weiterhin ausübt. Ich würde, nein: ich spreche von einem Kult, der sich, erst langsam, dann schneller werdend, entwickelt hat, eine Begeisterung für das Deviante, die nicht nur die Ungebildeten erfasst hat, eher im Gegenteil, die einfachen Leute haben eher Abstand gewahrt, haben eher die Gemeinsamkeiten mit den armen Schluckern gefühlt, eine Freude an der Gewalt, die alle Schichten regelrecht fortgerissen hat, die Leute haben, wenn Sie mich fragen, ihren Verstand ausgeschaltet, sind blindlings abgegangen wie Kö-Luzzie, carpe diem, nehmt euch, was ihr braucht, macht euch die Stadt Untertan, denkt nicht, sondern handelt, dieser ganze Scheißdreck hat wie eine Droge gewirkt, plötzlich liefen alle mit diesen Fahnen und Abzeichen rum, grüßten sich mit High-Rhein- Five, sägten Löcher in ihre Autodächer, sangen, das können Sie sich nicht vorstellen, sangen alle die Beach Boys. Warum? Kein Ahnung. Das macht man halt so. Lustig, eigentlich, wenn man's aus der Entfernung betrachtet, hier fühlt sich das aber anders an. Wir, meine Nachbarn und ich, haben uns zum Widerstand entschlossen, wir wollen gegen den blindwütigen Hass vorgehen, wir verachten nicht die Leute aus Köln, jedenfalls nicht so, wie es jetzt propagiert wird, wir distanzieren uns von den Plünderungen in Essen und Duisburg, Hamm ist, meines Erachtens, eine andere Frage, die Hammer haben es an sich provoziert, die Hammer sollen mal schön still sein, während uns die Leverkuser seit Monaten nichts getan haben. Ich kann nur sagen: das wäre nicht nötig gewesen, so ein Chemiewerkt baut man nicht einfach wieder so auf. Noch eins: den Menschen in Solingen kann ich nur drignend raten, sich schnellstens zu bewaffenen, Waffen genug habt ihr ja, Solinger, denkt darüber nach. Die Sklaven aus Bottrop tun mir leid, zumal es nur junge Frauen sind, was mit den männlichen Bottropern passiert ist, weiß niemand.
353
Was geht, geht ab.
Wärts! Und auf...
...wärts!
Hoch, gib dir Mühe. Liegt an dir. Im Zweifelsfall schieb ich alles auf dich.
Die kann doch gar nicht sprechen.
Mit dem Ding im Mund?
Du bist so widerlich.
Das heißt lieiderlich.
Des Knabens Wunderhorn.
Das heißt horny, Wunderhorny.
Jetzt bist du liederlich.
Am Strand von Madagaskar ...
... saß der kleine Kaspar ...
... und fragte seine Mutti ...
... was sind denn das für Tutti!
Die?
Ja, aber passt auf, vor dem Dicken sitzt Thans Schwester.
Ready?
Steady?
Go!
Was ist denn das für köstliches Fleisch?
Heute morgen erlegt, Madam, ein wilder Keiler.
Sie leben in einem Garten Eden, Than.
Danke, Sir.
Was geht, geht ab.
Wärts! Und auf...
...wärts!
Hoch, gib dir Mühe. Liegt an dir. Im Zweifelsfall schieb ich alles auf dich.
Die kann doch gar nicht sprechen.
Mit dem Ding im Mund?
Du bist so widerlich.
Das heißt lieiderlich.
Des Knabens Wunderhorn.
Das heißt horny, Wunderhorny.
Jetzt bist du liederlich.
Am Strand von Madagaskar ...
... saß der kleine Kaspar ...
... und fragte seine Mutti ...
... was sind denn das für Tutti!
Die?
Ja, aber passt auf, vor dem Dicken sitzt Thans Schwester.
Ready?
Steady?
Go!
Was ist denn das für köstliches Fleisch?
Heute morgen erlegt, Madam, ein wilder Keiler.
Sie leben in einem Garten Eden, Than.
Danke, Sir.
354
Der Entschluss, Mutter zu ermorden, fiel einstimmig. Jim, Lotte und Gina waren, was selten passierte, mal einer Meinung. Ein Problem blieb: Vater. Mutter und Vater verhielten sich wie Kletten. Erledigst du sie, erwischt du auch ihn, sagte Lotte. Kolleteral, sagte Jim. Kollateral, sagte Gina, die zwar zwei Jahre jünger als Jim war, aber in Sozialkunde eine Eins hatte. Auf Schiffen, sagte Jim, heißt es kolleeteral, weil häufiger die vom Wind abgekehrte Seite beim Beschuss getroffen werde, der Wind drücke die Bomben ein wenig Richtung Lee. Ach lee, sagte Lotte, das is ja ma interessant, da sollte man doch ma die andere Schiffsseite besser schmaler bauen. Und Tim Berners-Lee, sagte Gina, hat das Internet nur erfunden, um ... Genug, sagte Lotte, wir haben nicht so viel Zeit, sie kommen schon übermorgen zurück. Der Flieger landet um 8.25 Uhr. Also haben wir nur heute und morgen, um die Sache vorzubereiten. Was wäre, sagte Jim, wenn das Flugzeug abstürze. Wie die Germanwings Maschine, sagte Gina. Wir wollen Mutter umbringen, sagte Lotte, niemanden sonst. Vorschläge?, sie sah in die Runde. Gina meldete sich, sie lächelte.
Der Entschluss, Mutter zu ermorden, fiel einstimmig. Jim, Lotte und Gina waren, was selten passierte, mal einer Meinung. Ein Problem blieb: Vater. Mutter und Vater verhielten sich wie Kletten. Erledigst du sie, erwischt du auch ihn, sagte Lotte. Kolleteral, sagte Jim. Kollateral, sagte Gina, die zwar zwei Jahre jünger als Jim war, aber in Sozialkunde eine Eins hatte. Auf Schiffen, sagte Jim, heißt es kolleeteral, weil häufiger die vom Wind abgekehrte Seite beim Beschuss getroffen werde, der Wind drücke die Bomben ein wenig Richtung Lee. Ach lee, sagte Lotte, das is ja ma interessant, da sollte man doch ma die andere Schiffsseite besser schmaler bauen. Und Tim Berners-Lee, sagte Gina, hat das Internet nur erfunden, um ... Genug, sagte Lotte, wir haben nicht so viel Zeit, sie kommen schon übermorgen zurück. Der Flieger landet um 8.25 Uhr. Also haben wir nur heute und morgen, um die Sache vorzubereiten. Was wäre, sagte Jim, wenn das Flugzeug abstürze. Wie die Germanwings Maschine, sagte Gina. Wir wollen Mutter umbringen, sagte Lotte, niemanden sonst. Vorschläge?, sie sah in die Runde. Gina meldete sich, sie lächelte.
355
Wer Schönheit nicht schätzt, sollte sich einen anderen Job suchen. Frantas Schere klirrte, als er sie auf den Metalltisch schmiss. War auch mal schärfer. Sing, komm bitte mal! Kannst du das mal halten? Genau so, an den Enden, als würdest du dich davor ekeln. Prima. Halbe Minute, dann bin ich zurück, hol nur schnell den Schleifer.
Das Davor, das bin ich. Meine Augen sind auf. Irgendwas stimmt nicht mit der Narkose. Sing kommt direkt aus der Garage, vom Reifenwechsel. Ölverschmierte Hände. Das Angebot war zu günstig, Lanas Kritik zu urgent. Was Angst mit uns macht, hier wäre ein hervorragendes Beispiel. Angst und Dummheit wachsen auf dem selben Acker. Dabei fing alles so bezaubernd an, vor zwölf Jahren, am Strand von Miami. Lana war nicht irgendeine Transe, sondern das Boycovergirl einer ganzen Bewegung. Dreckige Banana, uns standen die Schalen und flossen die Hähne. Warum mich? Ich war an dem Tag nicht ich selbst. Hatte Anties Cash in der Tasche und schmiss damit rum. Lana dachte, der macht das immer so. Weit gefehlt. Konnte ich ihr nicht sagen. Weder am nächsten noch am übernächsten Tag. Eigentlich gar nicht. Wir brauchten geschätzte 2000. Am Tag, versteht sich. Das ging mit der Agentur drei, vier Wochen, höchstens. Nach einer Woche habe ich die Notleine gezogen, die Leute hatten schließlich Kinder und Hauskredite. Ein Arschloch bin ich nicht, jedenfalls nicht in meinem Garten. Anyway. Da kam also das erste Urgent. Ich kaufte mir ne Knarre. Bitcoins. Die schärfste Waffe, wenn du weißt, wo der Trigger ist. Dann, Lana war schon bei mir eingezogen, kam mir die nächste Idee. Sarah Palin. Genau die. Meine Kreation. And Yet Our President Still Claims "Global Warming" Is Our Greatest Threat. Das ging ab. Geld floss, Sarah machte mit. Win-win. Bis sie Lana traf. Scheiße, das war echt ein Fehler von mir. Klar, fand Sarah Lana attraktiv. Viele Leute finden Lana attraktiv. Aber nicht mit dieser Wucht.
Wer Schönheit nicht schätzt, sollte sich einen anderen Job suchen. Frantas Schere klirrte, als er sie auf den Metalltisch schmiss. War auch mal schärfer. Sing, komm bitte mal! Kannst du das mal halten? Genau so, an den Enden, als würdest du dich davor ekeln. Prima. Halbe Minute, dann bin ich zurück, hol nur schnell den Schleifer.
Das Davor, das bin ich. Meine Augen sind auf. Irgendwas stimmt nicht mit der Narkose. Sing kommt direkt aus der Garage, vom Reifenwechsel. Ölverschmierte Hände. Das Angebot war zu günstig, Lanas Kritik zu urgent. Was Angst mit uns macht, hier wäre ein hervorragendes Beispiel. Angst und Dummheit wachsen auf dem selben Acker. Dabei fing alles so bezaubernd an, vor zwölf Jahren, am Strand von Miami. Lana war nicht irgendeine Transe, sondern das Boycovergirl einer ganzen Bewegung. Dreckige Banana, uns standen die Schalen und flossen die Hähne. Warum mich? Ich war an dem Tag nicht ich selbst. Hatte Anties Cash in der Tasche und schmiss damit rum. Lana dachte, der macht das immer so. Weit gefehlt. Konnte ich ihr nicht sagen. Weder am nächsten noch am übernächsten Tag. Eigentlich gar nicht. Wir brauchten geschätzte 2000. Am Tag, versteht sich. Das ging mit der Agentur drei, vier Wochen, höchstens. Nach einer Woche habe ich die Notleine gezogen, die Leute hatten schließlich Kinder und Hauskredite. Ein Arschloch bin ich nicht, jedenfalls nicht in meinem Garten. Anyway. Da kam also das erste Urgent. Ich kaufte mir ne Knarre. Bitcoins. Die schärfste Waffe, wenn du weißt, wo der Trigger ist. Dann, Lana war schon bei mir eingezogen, kam mir die nächste Idee. Sarah Palin. Genau die. Meine Kreation. And Yet Our President Still Claims "Global Warming" Is Our Greatest Threat. Das ging ab. Geld floss, Sarah machte mit. Win-win. Bis sie Lana traf. Scheiße, das war echt ein Fehler von mir. Klar, fand Sarah Lana attraktiv. Viele Leute finden Lana attraktiv. Aber nicht mit dieser Wucht.
356
Die einzige Sprache, die er sprach, war Nordjysk, das Dänisch, das vor allem im Norden Jütlands verbreitet war. Es gab eine Nordjysk-Diaspora in Kopenhagen, zu der auch er gehörte.
Grönland schien ein logisches Ziel. Er hatte in der Schule gelernt, dass Grönland ein Teil Dänemarks sei, irgendwie jedenfalls, unter dänischer Kontrolle jedenfalls, ein Teil des Königreichs, und dass es sich um eine Insel handelte, grünes Land, der Name sagte es ja, mit Wasser ringsherum, das hatte er auch gelernt. An mehr konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern.
Das Flugzeug ging von Kopenhagen los. Als Einziger an Bord trug er Flipflops. Am Københavns Lufthavne war das noch anders gewesen. Horden von Flipflopträgern hatten in Schlangen vor den Schaltern nach Mallorca oder Ibizza gestanden. Die Flipflopträger hatten bereits Bier getrunken, obwohl es erst sechs Uhr früh gewesen war. Außerdem hatten sie Sorten Muld gehört. Sorten Muld! Er war einen Augenblick stehengeblieben. Hatte den Daumen hochgereckt. Niemand hatte auf ihn geachtet. Als man seinen Namen für den Flug ausgerufen hatte, war er weitergegangen.
Er schwärmte seit langem für Ulla Bendixen, die Sängerin von Sorten Muld. Er hatte Ulla viele Briefe geschrieben, ihr alles erzählt, was so passierte, an was er so dachte, was er mit ihr vorhatte, aber niemals eine Antwort bekommen. Schließlich hatte ihn ein Beamter besucht und ihn gebeten, nicht mehr vor Bendixens Haus zu campen. Schade, hatte er zu dem Polizisten gesagt, wie verbringe ich den jetzt meine Ferien? Er sei, hatte der Polizist gesagt, mal von Igaliku nach Qaqortoq gewandert und habe auf dem Weg gecampt, das sei ganz toll gewesen, das könne er wärmstens empfehlen.
Spräche ich Italienisch, hatte er gedacht, als er die letzte Mallorca-Schlange passiert hatte, würde ich mich hier einreihen.
Die einzige Sprache, die er sprach, war Nordjysk, das Dänisch, das vor allem im Norden Jütlands verbreitet war. Es gab eine Nordjysk-Diaspora in Kopenhagen, zu der auch er gehörte.
Grönland schien ein logisches Ziel. Er hatte in der Schule gelernt, dass Grönland ein Teil Dänemarks sei, irgendwie jedenfalls, unter dänischer Kontrolle jedenfalls, ein Teil des Königreichs, und dass es sich um eine Insel handelte, grünes Land, der Name sagte es ja, mit Wasser ringsherum, das hatte er auch gelernt. An mehr konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern.
Das Flugzeug ging von Kopenhagen los. Als Einziger an Bord trug er Flipflops. Am Københavns Lufthavne war das noch anders gewesen. Horden von Flipflopträgern hatten in Schlangen vor den Schaltern nach Mallorca oder Ibizza gestanden. Die Flipflopträger hatten bereits Bier getrunken, obwohl es erst sechs Uhr früh gewesen war. Außerdem hatten sie Sorten Muld gehört. Sorten Muld! Er war einen Augenblick stehengeblieben. Hatte den Daumen hochgereckt. Niemand hatte auf ihn geachtet. Als man seinen Namen für den Flug ausgerufen hatte, war er weitergegangen.
Er schwärmte seit langem für Ulla Bendixen, die Sängerin von Sorten Muld. Er hatte Ulla viele Briefe geschrieben, ihr alles erzählt, was so passierte, an was er so dachte, was er mit ihr vorhatte, aber niemals eine Antwort bekommen. Schließlich hatte ihn ein Beamter besucht und ihn gebeten, nicht mehr vor Bendixens Haus zu campen. Schade, hatte er zu dem Polizisten gesagt, wie verbringe ich den jetzt meine Ferien? Er sei, hatte der Polizist gesagt, mal von Igaliku nach Qaqortoq gewandert und habe auf dem Weg gecampt, das sei ganz toll gewesen, das könne er wärmstens empfehlen.
Spräche ich Italienisch, hatte er gedacht, als er die letzte Mallorca-Schlange passiert hatte, würde ich mich hier einreihen.
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Dies ist kein guter Moment, glauben Sie mir, um eine Unterhaltung zu starten. Sie erwischen mich bei meinem letzten Atemzug. Ich weiß nicht, wie Sie reagieren würden, hätten Sie in einem solchen Augenblick Konversation zu betreiben, mit einem Unbekannten. Ich habe nicht das Gefühl, dass es besonders nachhaltig wird, das Gespräch, das wir führen können. Meine Laune ist, wie sagt man so schön?, angefressen. Ich werde, worauf ich mich gefreut habe, die Rede und das Buffett verpassen. Und Sie sind, zu Recht, nicht darauf vorbereitet, dass ich vor Ihnen, bei diesem Spätsommerfest am Wannsee, auf der Pfaueninsel, das Zeitliche segne. Hübscher Euphemismus fürs Sterben, übrigens. An der Rede wurde hart gearbeitet, drei Monate hat es gedauert, den Text zu schreiben, als Resümee wurde die Preisverleihung angekündigt, als großer Wurf und noch größere Abrechnung mit den zahlreichen Feinden. Was kolportiert wurde, ich weiß es, ich habe, selbst auf dem Lande, wo ich jetzt wohne, davon gehört. So ein Preis hilft einem, denke ich, mehr, wenn man jünger ist. Sie merken, dass sich auf einmal Türen öffnen, die bislang verschlossen waren. Leute rufen ununterbrochen an. Was einerseits nicht gut fürs Schreiben ist, andererseits zum Arbeiten anspornt. Viele vernünftige Nachfragen ergeben, mit Glück, viele haltbare Antworten. Aber ich will Sie nicht langweilen. Ich sehe das Entsetzen in Ihren Augen. Warum rufen Sie eigentlich nicht nach Hilfe?
Dies ist kein guter Moment, glauben Sie mir, um eine Unterhaltung zu starten. Sie erwischen mich bei meinem letzten Atemzug. Ich weiß nicht, wie Sie reagieren würden, hätten Sie in einem solchen Augenblick Konversation zu betreiben, mit einem Unbekannten. Ich habe nicht das Gefühl, dass es besonders nachhaltig wird, das Gespräch, das wir führen können. Meine Laune ist, wie sagt man so schön?, angefressen. Ich werde, worauf ich mich gefreut habe, die Rede und das Buffett verpassen. Und Sie sind, zu Recht, nicht darauf vorbereitet, dass ich vor Ihnen, bei diesem Spätsommerfest am Wannsee, auf der Pfaueninsel, das Zeitliche segne. Hübscher Euphemismus fürs Sterben, übrigens. An der Rede wurde hart gearbeitet, drei Monate hat es gedauert, den Text zu schreiben, als Resümee wurde die Preisverleihung angekündigt, als großer Wurf und noch größere Abrechnung mit den zahlreichen Feinden. Was kolportiert wurde, ich weiß es, ich habe, selbst auf dem Lande, wo ich jetzt wohne, davon gehört. So ein Preis hilft einem, denke ich, mehr, wenn man jünger ist. Sie merken, dass sich auf einmal Türen öffnen, die bislang verschlossen waren. Leute rufen ununterbrochen an. Was einerseits nicht gut fürs Schreiben ist, andererseits zum Arbeiten anspornt. Viele vernünftige Nachfragen ergeben, mit Glück, viele haltbare Antworten. Aber ich will Sie nicht langweilen. Ich sehe das Entsetzen in Ihren Augen. Warum rufen Sie eigentlich nicht nach Hilfe?
358
Gierige Blicke, Männer, wie er, Männer, die ihn nicht kannten, die sich trafen, über ihn sprachen, Männer, die sich kurz in den Arm nahmen, bevor sie zum Wesentlichen kamen, das Gespräch über mich, dachte er, sie sprechen die ganze Zeit über mich, dachte er, und nun auch noch die Frauen, die Frauen, sie kamen dazu, achte er, sie gesellten sich zu den Männern, eine hier, eine andere da, mehrere gingen zu den Männergruppen unten am Wasser, oben am Felsen, er stand, unter der Buche, in der Mitte, zwischen unten und oben, die Straße, an der er stand, war keine, die Pflastersteine lagen verstreut im Sand, dazwischen Riesenlücken, in denen, hieß es, alte Hunde regelmäßig verhungerten, in denen, hieß es, Zwerge und Kobolde wohnten, in denen, hieß es, er zur Welt gekommen war, vor zwölf Jahren, nun stand er dazwischen, das Glied hatte sich gerührt, zum ersten Mal, die Männer, sie zeigten auf ihn, dachte er, die Frauen, sie kamen in Scharen, der Heiland, das hörte er, der Heiland sei auferstanden, holt die Kleine, das sagten sie, holt die Kleine, aus dem Fischerdorf, wir wollen es mit eigenen Augen sehen, die Frauen hatten Tücher mitgebracht, die sie nun über die Löcher im Pflaster spannten, über die Löcher, in denen die bösen Geister wohnten, er sah sie näher kommen, näher an die Buche, er kannte, von früher, diese Augen, diese Stimmung, selten war es gut ausgegangen, dachte er.
Gierige Blicke, Männer, wie er, Männer, die ihn nicht kannten, die sich trafen, über ihn sprachen, Männer, die sich kurz in den Arm nahmen, bevor sie zum Wesentlichen kamen, das Gespräch über mich, dachte er, sie sprechen die ganze Zeit über mich, dachte er, und nun auch noch die Frauen, die Frauen, sie kamen dazu, achte er, sie gesellten sich zu den Männern, eine hier, eine andere da, mehrere gingen zu den Männergruppen unten am Wasser, oben am Felsen, er stand, unter der Buche, in der Mitte, zwischen unten und oben, die Straße, an der er stand, war keine, die Pflastersteine lagen verstreut im Sand, dazwischen Riesenlücken, in denen, hieß es, alte Hunde regelmäßig verhungerten, in denen, hieß es, Zwerge und Kobolde wohnten, in denen, hieß es, er zur Welt gekommen war, vor zwölf Jahren, nun stand er dazwischen, das Glied hatte sich gerührt, zum ersten Mal, die Männer, sie zeigten auf ihn, dachte er, die Frauen, sie kamen in Scharen, der Heiland, das hörte er, der Heiland sei auferstanden, holt die Kleine, das sagten sie, holt die Kleine, aus dem Fischerdorf, wir wollen es mit eigenen Augen sehen, die Frauen hatten Tücher mitgebracht, die sie nun über die Löcher im Pflaster spannten, über die Löcher, in denen die bösen Geister wohnten, er sah sie näher kommen, näher an die Buche, er kannte, von früher, diese Augen, diese Stimmung, selten war es gut ausgegangen, dachte er.
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Die Gäste polterten, unter ihrem Zimmer, Tassen und alte Teller wurden zerschlagen, während sie ihm, auf sein Bitten hin, den ausgekugelten Arm einrenkte. Was Frederic nicht wusste, obwohl er Neurochirug war, dass der Arm nicht ausgekugelt, sondern gebrochen war. Selbst wenn ich schreie, sagte Frederic zu Helen, seit drei Wochen seine neue Freundin, weine und bettele, du hörst nicht auf! Versprochen? Helen nickte, sie hätte alles für ihn gemacht. Er, der sie anfasste und nahm wie niemand zuvor, konnte sich auf sie verlassen.
Die Gäste polterten, unter ihrem Zimmer, Tassen und alte Teller wurden zerschlagen, während sie ihm, auf sein Bitten hin, den ausgekugelten Arm einrenkte. Was Frederic nicht wusste, obwohl er Neurochirug war, dass der Arm nicht ausgekugelt, sondern gebrochen war. Selbst wenn ich schreie, sagte Frederic zu Helen, seit drei Wochen seine neue Freundin, weine und bettele, du hörst nicht auf! Versprochen? Helen nickte, sie hätte alles für ihn gemacht. Er, der sie anfasste und nahm wie niemand zuvor, konnte sich auf sie verlassen.
360
Wacher? Marina hielt sich die breiten Hüften. Wo haben sie dir denn ins Hirn geschissen, Bambino? Komm mal mit!
Die Umstehenden reckten die Daumen, als sie meine Unsicherheit bemerkten. Marinas Komm mal mit! hatte nichts mit den Leichen im Keller zu tun, die ansonsten in Wien bei einem Gang Richtung Kanalisation auftauchten. Mein nur mit den Lippen geformtes Was wird aus mir? beantworteten sie mit dem Lippenbekenntnis aller großen Trinker Sie gibt dir einen aus. Das mit dem Bambino, muss ich fairerweise sagen, hatte nicht gerade Hand und Fuß. Ich war 43 Jahre alt, Marina, wie ich bald erfahren sollte, nicht mal 20, obwohl sie wie 30 aussah.
Warum ich von Marina erzähle? Wegen ihrer Mutter, Gora, mit der ich zur Schule gegangen bin, in Salzburg. Gora war das Mädchen gewesen, das weder mit ihren Schulkameradinnen noch mit uns Jungs gespielt hatte. Sie hatte sich eine eigene Welt erschaffen, bevölkert von den seltsamsten, interessantesten, übelsten, schönsten und frivolsten Geschöpfen, die man sich nur vorstellen kann. Woher ich das weiß? Von einem Besuch bei der Zahnärztin Frau Dr. Kleinhuber. Vor mir war Gora drangewesen. Wir hatten zusammen im Wartezimmer gesessen. Irgendetwas war mit einer Wurzelbehandlung schiefgegangen.
Wacher? Marina hielt sich die breiten Hüften. Wo haben sie dir denn ins Hirn geschissen, Bambino? Komm mal mit!
Die Umstehenden reckten die Daumen, als sie meine Unsicherheit bemerkten. Marinas Komm mal mit! hatte nichts mit den Leichen im Keller zu tun, die ansonsten in Wien bei einem Gang Richtung Kanalisation auftauchten. Mein nur mit den Lippen geformtes Was wird aus mir? beantworteten sie mit dem Lippenbekenntnis aller großen Trinker Sie gibt dir einen aus. Das mit dem Bambino, muss ich fairerweise sagen, hatte nicht gerade Hand und Fuß. Ich war 43 Jahre alt, Marina, wie ich bald erfahren sollte, nicht mal 20, obwohl sie wie 30 aussah.
Warum ich von Marina erzähle? Wegen ihrer Mutter, Gora, mit der ich zur Schule gegangen bin, in Salzburg. Gora war das Mädchen gewesen, das weder mit ihren Schulkameradinnen noch mit uns Jungs gespielt hatte. Sie hatte sich eine eigene Welt erschaffen, bevölkert von den seltsamsten, interessantesten, übelsten, schönsten und frivolsten Geschöpfen, die man sich nur vorstellen kann. Woher ich das weiß? Von einem Besuch bei der Zahnärztin Frau Dr. Kleinhuber. Vor mir war Gora drangewesen. Wir hatten zusammen im Wartezimmer gesessen. Irgendetwas war mit einer Wurzelbehandlung schiefgegangen.
361
Vor der Begegnung hatte Böhm einige leidlich unterhaltsame Stunden verlebt. Während der Telefonkonferenz mit Frankfurter und Pariser Derivate-Händlern hatte er sich von einem künstlich stotternden Transvestiten zuerst die Körperhaare per Heißwachsbehandlung und anschließend das borstige Gestrüpp in der von Mitessern überzogenen Nase mit einer nach Menthol riechenden, spitzen Silberpinzette einzeln entfernen lassen. Aufs einzeln legte er Wert. Auch die thailändische Fußaufwärtsmassage, vor Feierabend durch die im Keller des Instituts ansässigen Bank-Cock Sisters zu Morcheebas Who Can You Trust-Album verabreicht, hatte zum Wohlbefinden des Brosche beigetragen. Der jähe Anblick der Frau weckte in ihm, neben der Lust auf Reibach und Schmerz, das Verlangen, dem chinesisch-chilenischen Star aus Sattelfest, Lulu Costa, die der Passantin, wie ihm schien, irgendwie ähnelte, ein Telegramm zu schreiben. Er wollte Costa, in die er seit längerem verschossen war, ein Swapgeschäft - treffen? ++ hongkong ++ zeig dir king kong ++ zinsbindung ++ böhm - vorschlagen. Man wusste ja nie. Er hatte den Streifen, Sattelfest, gestern, von der Besitzerin des Massagesalons, der drallen Holländerin Yam-Yam de Nick, die seine Vorliebe für schmierige Rittmeisterromanzen und die kantonesische Südamerikanerin kannte, für 48 Stunden ausgeliehen.
Vor der Begegnung hatte Böhm einige leidlich unterhaltsame Stunden verlebt. Während der Telefonkonferenz mit Frankfurter und Pariser Derivate-Händlern hatte er sich von einem künstlich stotternden Transvestiten zuerst die Körperhaare per Heißwachsbehandlung und anschließend das borstige Gestrüpp in der von Mitessern überzogenen Nase mit einer nach Menthol riechenden, spitzen Silberpinzette einzeln entfernen lassen. Aufs einzeln legte er Wert. Auch die thailändische Fußaufwärtsmassage, vor Feierabend durch die im Keller des Instituts ansässigen Bank-Cock Sisters zu Morcheebas Who Can You Trust-Album verabreicht, hatte zum Wohlbefinden des Brosche beigetragen. Der jähe Anblick der Frau weckte in ihm, neben der Lust auf Reibach und Schmerz, das Verlangen, dem chinesisch-chilenischen Star aus Sattelfest, Lulu Costa, die der Passantin, wie ihm schien, irgendwie ähnelte, ein Telegramm zu schreiben. Er wollte Costa, in die er seit längerem verschossen war, ein Swapgeschäft - treffen? ++ hongkong ++ zeig dir king kong ++ zinsbindung ++ böhm - vorschlagen. Man wusste ja nie. Er hatte den Streifen, Sattelfest, gestern, von der Besitzerin des Massagesalons, der drallen Holländerin Yam-Yam de Nick, die seine Vorliebe für schmierige Rittmeisterromanzen und die kantonesische Südamerikanerin kannte, für 48 Stunden ausgeliehen.
362
Fünf Pfund Sterling - und der Glücksritter aus Warschau, ein ausgezehrter Junge mit Segelohren, hatte mit dem Schein in der Faust złotyzłoty das Fitnessgerät verlassen und Leine gezogen. Złoty hieß auf Polnisch der Goldene. Mr. Hambertom kannte die Wortwurzel jedweder an der London Stock Exchange gehandelten Währung. Etwas Druck, so lautete sein Lebensmotto, presst un poco Saft, sehr viel Druck erpresst die Saftlosen. Er war, ganz grundsätzlich, auf Krawall gebürstet.
Den Akzent hatte er sich wie das Biertrinken mit Mühe abgewöhnt. Er betrachtete sich. Ballte Fäuste. Kugelte Schultern. Bewegte stämmige Beine. Ein fiesere XXL-Mühle, Mr. Hambertom grunzte zufrieden, gab's nirgendwo in Großbritannien.
Windböen wehten den abendlichen Nieselregen in den mit Spiegeln gepflasterten Raum.
Erfrischend, dachte er, fast wie früher, am Kai. Er war in Cardiff, am stürmischen Bristol Channel, aufgewachsen.
Fünf Pfund Sterling - und der Glücksritter aus Warschau, ein ausgezehrter Junge mit Segelohren, hatte mit dem Schein in der Faust złotyzłoty das Fitnessgerät verlassen und Leine gezogen. Złoty hieß auf Polnisch der Goldene. Mr. Hambertom kannte die Wortwurzel jedweder an der London Stock Exchange gehandelten Währung. Etwas Druck, so lautete sein Lebensmotto, presst un poco Saft, sehr viel Druck erpresst die Saftlosen. Er war, ganz grundsätzlich, auf Krawall gebürstet.
Den Akzent hatte er sich wie das Biertrinken mit Mühe abgewöhnt. Er betrachtete sich. Ballte Fäuste. Kugelte Schultern. Bewegte stämmige Beine. Ein fiesere XXL-Mühle, Mr. Hambertom grunzte zufrieden, gab's nirgendwo in Großbritannien.
Windböen wehten den abendlichen Nieselregen in den mit Spiegeln gepflasterten Raum.
Erfrischend, dachte er, fast wie früher, am Kai. Er war in Cardiff, am stürmischen Bristol Channel, aufgewachsen.
363
Lübeck, 1986
„Los, ich bin mir sicher, Barbie will was. Da isse, mach hinne.“
Manuel und Oliver harrten am Koberg aus. Im Nieselregen. Der Unterricht war vorbei. Seit kurzem akzeptierte das Gymnasium auch Jungen. Zwischen den Pflastersteinen versickerten die Tropfen, in den Pfützen spiegelten sich die Patrizierhäuser. Diora Luna schob ihr Fahrrad vorbei. Sie befand sich auf dem Weg zur Buchhandlung Niépce.
„Wie kommst du drauf, dass sie was von mir will?“, sagte Oliver, der ein T-Shirt mit der Aufschrift Superboy trug und einen halben Kopf größer als Manuel war.
„Mann, Nörgelspargel! Deine Niedergeschlagenheit geht mir so was von auf die Eier. Sei ihr Ken! Sie hat hergesehen, hundertpro, glaub mir. Das isse, deine Siouxsie and the Banshees!“ Manuel schob sich das Barett in den Nacken und lockerte den mehrmals um den Hals geschlungenen Palästinenserschal. Als Kleidungsstil hatte er eine eklektische Mischung aus Popper, Punk und Friedensaktivist entwickelt.
Oliver machte eine wegwerfende Handbewegung. „Eher meine Cure-Ruine. Hergesehen. Nullpro.“ Er bot dem Freund die Hälfte einer Müslistange an.
„Nee, danke, is was für tote Würmer.“ Manuel zog die Brauen hoch. „Wie würdest du's denn nennen, Superboy?“
„Ihr Blick ging zufällig in unsere Richtung.“
„Und hat dich getroffen?“
„Nein.“ Olivers Stimme war ernst. „Sie übersieht mich. Aus Prinzip.“
„Bela Lugosi’s Dead! Hör ich da leichte Resignation?“ Manuel streckte sich, legte einen Arm um die Schultern des Freundes und drehte ihn Richtung Heiligen-Geist-Hospital. „Im Seniorenstift enden wir früh genug! Jetzt denk mal gestrichen fett an Fun. Stardust, Alter, Stardust! Der Globus ist voller Brunzies zum Blankziehen. Musst nicht spießig an einer hängenbleiben, die dich nicht will. Zeit fürn bisschen Accuracy. Bist zu touchy. Wir sind Two Imaginary Boys, oder? Son mundfaules Chick verdient dich nicht. Ende mit der Litanei! Haustürabschließen und Bettenmachen kannste, wenn nichts anderes mehr läuft. Grinding Halt is was für Death Can Dance!“
Oliver befreite sich aus dem als Umarmung getarnten Schwitzkasten. „It's Not You - It's Me. Leichter gesagt als getan. Seit Monaten ignoriert mich Diora! Ich bin doch nicht doof. Betsy und die Sprotten rennen mir in jeder Pause hinterher und werfen mir Schlüpfer zu. Aber die einzige, auf die ich voll abfahr, kennt nicht mal meinen Namen! Obwohl wir in eine Klasse gehen. Das nenn ich Accuracy.“
Manuel grinste. „Das mit den Schlüppern stimmt ja nu ma nich, wa!“ Er sah zur Buchhandlung, auf der anderen Seite des Kobergs, vor der Diora Luna gerade das Rad abschloss und . „Ich hab`s, Superheuler! Du bist halt nicht fotogen genug!“ Er sprang zurück, um Olivers Schlägen auszuweichen. „Krass, Sucker. Sieh nur! Das klickt am laufenden Band. Die will nen Kameramann als Freund. Eideidei. Der ist nicht böse, der will nur spulen!“ Er lachte. „Jede Wette. Mach dir da mal keinen Kopf, schön abkühlen, Gang raus, ausrollen lassen, Platte auflegen, chillen!“ Die nächsten Sätze rappte er. „Be flex-ibel, läs-sig läs-sig warm warm-duschen. Wir drehn uns wir drehn uns wir drehn uns heut erst mal nen Bock nen Bock nen Bock - drauf! Hei-zen hei-zen hei-zen uns den Quarzer rein! Be flex-ibel!“ Eine Gruppe schwedischer Touristen im Rentenalter klatschte Beifall. Manuel verbeugte sich und hielt das Barett auf. Eine ältere Dame mit Blümchenhut warf ein Zweimarkstück in die Mütze, während sie von ihrem Mann mit einer Super-8-Kamera gefilmt wurde. Manuel sah Oliver triumphierend an. „Wir lassen Butzen Brunzen sein. I Remember Nothing. Wir machen Mucke. Everything But The Girl. Bloß kein Stress, Alter. Unknown Pleasures warten auf uns. Keinen Emo-Ekel wegen ner Sissie. Solltest mal ne Schickse pudern. Würd uns übrigens beiden guttun. Mehr als der Theoriekram. Was meinste: wie wär's mit nem Abschleppdienst, wenn wir die Ernestinenhölle verlassen? Do you feel irie?“
Die Jungen klatschten ab.
„Solltest Werbetexter werden, kein Seelenflicker.“ Oliver musste lachen, obwohl ihm nicht danach zu Mute war. „Hast du ihre Augen gesehen?“
„Ne, Mann, wasn jetzt schon wieder? Gibt’s kein andres Thema, eh? You Lost Control Again! Die trägt Sonnenbrille, selbst im Klassenzimmer. Uncool. Warum du auf so´n Albi-No-Baby stehst, ist mir ein Rätsel. Alter, straight vorwärts, mach mal halblang, echt, komm runter vom Tütentrip. Minne und so. Meinen und minnen haben die selbe Wurzel, sagt Master Fromm.“
„Was …? Wovon sprichst du?“
„Zuhören, Alter, zuhören. Ham wir eben in Deutsch gelernt. Vierte Stunde. Aber was hilft die Schleusentechnik, wenn sich alles staut? Du siehst minnegenommen aus.“
„Die Sonnenbrille war kürzlich verrutscht, auf dem Fahrrad, in der Fleischhauerstraße, Höhe Weiland. Ich hab sie überholt. Ihre Augen. Ein Vulkan. Hat mich voll erwischt.“
„Müsstest dich mal hören, Knülzer: Wie ein Vulkan, voll erwischt.“ Manuel zeigte seinem Freund einen Vogel. „Bist nicht mehr sechzehn, Alter. Bist siebzehn! Erdkunde-Leistungskurs wirft seine Schatten voraus. Vulkane, was? Halt mal flexibel dein Magma retour, Sticky.“
„Aber ihre Augen!“ Oliver sank in sich zusammen. Er starrte auf das Schaufenster der Buchhandlung und glaubte, im Laden Diora Lunas Silhouette zu sehen. Ihm wurde schlecht. „Die Augen!“
„Au-Gen! Aua-Aua! Begreifs endlich - Vergucken tut weh. Was die mit dir macht, ist ein klassischer Boy-Kott.“
„Ihre Macht ist meine Ohnmacht.“
Lübeck, 1986
„Los, ich bin mir sicher, Barbie will was. Da isse, mach hinne.“
Manuel und Oliver harrten am Koberg aus. Im Nieselregen. Der Unterricht war vorbei. Seit kurzem akzeptierte das Gymnasium auch Jungen. Zwischen den Pflastersteinen versickerten die Tropfen, in den Pfützen spiegelten sich die Patrizierhäuser. Diora Luna schob ihr Fahrrad vorbei. Sie befand sich auf dem Weg zur Buchhandlung Niépce.
„Wie kommst du drauf, dass sie was von mir will?“, sagte Oliver, der ein T-Shirt mit der Aufschrift Superboy trug und einen halben Kopf größer als Manuel war.
„Mann, Nörgelspargel! Deine Niedergeschlagenheit geht mir so was von auf die Eier. Sei ihr Ken! Sie hat hergesehen, hundertpro, glaub mir. Das isse, deine Siouxsie and the Banshees!“ Manuel schob sich das Barett in den Nacken und lockerte den mehrmals um den Hals geschlungenen Palästinenserschal. Als Kleidungsstil hatte er eine eklektische Mischung aus Popper, Punk und Friedensaktivist entwickelt.
Oliver machte eine wegwerfende Handbewegung. „Eher meine Cure-Ruine. Hergesehen. Nullpro.“ Er bot dem Freund die Hälfte einer Müslistange an.
„Nee, danke, is was für tote Würmer.“ Manuel zog die Brauen hoch. „Wie würdest du's denn nennen, Superboy?“
„Ihr Blick ging zufällig in unsere Richtung.“
„Und hat dich getroffen?“
„Nein.“ Olivers Stimme war ernst. „Sie übersieht mich. Aus Prinzip.“
„Bela Lugosi’s Dead! Hör ich da leichte Resignation?“ Manuel streckte sich, legte einen Arm um die Schultern des Freundes und drehte ihn Richtung Heiligen-Geist-Hospital. „Im Seniorenstift enden wir früh genug! Jetzt denk mal gestrichen fett an Fun. Stardust, Alter, Stardust! Der Globus ist voller Brunzies zum Blankziehen. Musst nicht spießig an einer hängenbleiben, die dich nicht will. Zeit fürn bisschen Accuracy. Bist zu touchy. Wir sind Two Imaginary Boys, oder? Son mundfaules Chick verdient dich nicht. Ende mit der Litanei! Haustürabschließen und Bettenmachen kannste, wenn nichts anderes mehr läuft. Grinding Halt is was für Death Can Dance!“
Oliver befreite sich aus dem als Umarmung getarnten Schwitzkasten. „It's Not You - It's Me. Leichter gesagt als getan. Seit Monaten ignoriert mich Diora! Ich bin doch nicht doof. Betsy und die Sprotten rennen mir in jeder Pause hinterher und werfen mir Schlüpfer zu. Aber die einzige, auf die ich voll abfahr, kennt nicht mal meinen Namen! Obwohl wir in eine Klasse gehen. Das nenn ich Accuracy.“
Manuel grinste. „Das mit den Schlüppern stimmt ja nu ma nich, wa!“ Er sah zur Buchhandlung, auf der anderen Seite des Kobergs, vor der Diora Luna gerade das Rad abschloss und . „Ich hab`s, Superheuler! Du bist halt nicht fotogen genug!“ Er sprang zurück, um Olivers Schlägen auszuweichen. „Krass, Sucker. Sieh nur! Das klickt am laufenden Band. Die will nen Kameramann als Freund. Eideidei. Der ist nicht böse, der will nur spulen!“ Er lachte. „Jede Wette. Mach dir da mal keinen Kopf, schön abkühlen, Gang raus, ausrollen lassen, Platte auflegen, chillen!“ Die nächsten Sätze rappte er. „Be flex-ibel, läs-sig läs-sig warm warm-duschen. Wir drehn uns wir drehn uns wir drehn uns heut erst mal nen Bock nen Bock nen Bock - drauf! Hei-zen hei-zen hei-zen uns den Quarzer rein! Be flex-ibel!“ Eine Gruppe schwedischer Touristen im Rentenalter klatschte Beifall. Manuel verbeugte sich und hielt das Barett auf. Eine ältere Dame mit Blümchenhut warf ein Zweimarkstück in die Mütze, während sie von ihrem Mann mit einer Super-8-Kamera gefilmt wurde. Manuel sah Oliver triumphierend an. „Wir lassen Butzen Brunzen sein. I Remember Nothing. Wir machen Mucke. Everything But The Girl. Bloß kein Stress, Alter. Unknown Pleasures warten auf uns. Keinen Emo-Ekel wegen ner Sissie. Solltest mal ne Schickse pudern. Würd uns übrigens beiden guttun. Mehr als der Theoriekram. Was meinste: wie wär's mit nem Abschleppdienst, wenn wir die Ernestinenhölle verlassen? Do you feel irie?“
Die Jungen klatschten ab.
„Solltest Werbetexter werden, kein Seelenflicker.“ Oliver musste lachen, obwohl ihm nicht danach zu Mute war. „Hast du ihre Augen gesehen?“
„Ne, Mann, wasn jetzt schon wieder? Gibt’s kein andres Thema, eh? You Lost Control Again! Die trägt Sonnenbrille, selbst im Klassenzimmer. Uncool. Warum du auf so´n Albi-No-Baby stehst, ist mir ein Rätsel. Alter, straight vorwärts, mach mal halblang, echt, komm runter vom Tütentrip. Minne und so. Meinen und minnen haben die selbe Wurzel, sagt Master Fromm.“
„Was …? Wovon sprichst du?“
„Zuhören, Alter, zuhören. Ham wir eben in Deutsch gelernt. Vierte Stunde. Aber was hilft die Schleusentechnik, wenn sich alles staut? Du siehst minnegenommen aus.“
„Die Sonnenbrille war kürzlich verrutscht, auf dem Fahrrad, in der Fleischhauerstraße, Höhe Weiland. Ich hab sie überholt. Ihre Augen. Ein Vulkan. Hat mich voll erwischt.“
„Müsstest dich mal hören, Knülzer: Wie ein Vulkan, voll erwischt.“ Manuel zeigte seinem Freund einen Vogel. „Bist nicht mehr sechzehn, Alter. Bist siebzehn! Erdkunde-Leistungskurs wirft seine Schatten voraus. Vulkane, was? Halt mal flexibel dein Magma retour, Sticky.“
„Aber ihre Augen!“ Oliver sank in sich zusammen. Er starrte auf das Schaufenster der Buchhandlung und glaubte, im Laden Diora Lunas Silhouette zu sehen. Ihm wurde schlecht. „Die Augen!“
„Au-Gen! Aua-Aua! Begreifs endlich - Vergucken tut weh. Was die mit dir macht, ist ein klassischer Boy-Kott.“
„Ihre Macht ist meine Ohnmacht.“
Netzer war in den 70er Jahren eine Ikone der Linken und eine Art Ersatz-Lehrer gewesen: Wer am Wochenende Gladbach, Netzers Club, bejubelt hatte, musste in der Woche nicht Adorno und Marcuse studieren. Netzer hatte als Bobo gegolten, als bourgeoiser Bohemien, ein Ferrari fuhr, eine Disco besaß und einst zur Hochzeit von Sinatras Tochter Tina nach Las Vegas geflogen war, obwohl Real Madrid, Netzers damaliger Arbeitgeber, den Spielern während der Saison vorsichtshalber die Pässe weggenommen hatte.
Aus der Meisterklasse von Joseph Beuys, aus der Tiefe des Skulpturenraums sozusagen, war der übermütige Vorschlag gekommen, dem langhaarigen Star eine Professur für angewandte, ausübende und praktizierende Kunst anzutragen, die der Felix Krull unter den Schwarzen-Rollkragen-Fußballern jedoch ausschlug. Eine weise Entscheidung. An Selbsterkenntnis hatte es ihm nicht gemangelt.
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Aus der Meisterklasse von Joseph Beuys, aus der Tiefe des Skulpturenraums sozusagen, war der übermütige Vorschlag gekommen, dem langhaarigen Star eine Professur für angewandte, ausübende und praktizierende Kunst anzutragen, die der Felix Krull unter den Schwarzen-Rollkragen-Fußballern jedoch ausschlug. Eine weise Entscheidung. An Selbsterkenntnis hatte es ihm nicht gemangelt.
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Die Wartende dachte an ihr Romanistik- und Anglisitkstudium in Hamburg. Unpünktliche Dozenten hatte sie regelmäßig unter Druck gesetzt. „Nichts ist mehr wert als Selbstbestimmung! Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen! Kant. In my end is my beginning!“, hatte sie zornig Didi Entenitz-Late, dem Anglistikprofessor, entgegengeschleudert, der seine Studentin am Ende des Sommersemesters zu sich bestellt hatte, um mit ihr über eine Hausarbeit zum Thema In my beginning is my end - punctuality and progress in T.S. Eliot´s Four Quartetts zu sprechen. Sein Fehler? Er war fünf Minuten zu spät zum Termin gekommen. Sie hatte sich umgedreht und war davongelaufen, obwohl Entenitz-Late, kurz vor der Eremitierung und in Gedanken bereits im Cottage in Cornwall, ihr beschleunigten Schritts, mit einer um Verzeihung bittenden Mine entgegengekommen war.
„Das lässt sich nicht bestreiten“, hatte Didi Entenitz-Late der Weglaufenden nachgerufen. „There is a time for building and a time for living and for generation. Das Dach meines Hauses fing Feuer. Ich musste retten, was zu retten war.“ Er hatte gelogen, um sein Gesicht zu wahren. Eine verzeihbare Lüge. Aus der Not geboren. Professor und Studentin hatten es gewusst. „Hier!“ Entenitz-Late hatte mit ihrer Hausarbeit gewedelt. „Sogar In my beginning is my end konnte ich den Flammen entreißen!“
„Unsinn, Late“, hatte sie ihm über die Schulter zugerufen. „Old fires to ashes, and ashes to the earth! Sie können sehen, wen sie unterrichten wollen, Entenitz. Mich nicht!“ Sie hatte ihr Tempo erhöht. War wie eine Amazone durch das Englische Seminar gesprintet. Nichts hätte sie aufhalten können.
Eine ungewohnte Situation für Entenitz-Late. Studenten hatte der Professor mehr als genug. Das letzte Proseminar über Jack Kerouacs On the Road hatte er auf der Straße abgehalten. Die 127 Teilnehmer hatten nicht in den vorgesehen Raum gepasst. Der Straßenlärm hatte die Spreu vom Weizen getrennt. Ihm war es egal gewesen. Die Studenten waren eine amorphe Masse. Sie wuchsen nach. Immer dieselben Gesichter, immer dieselben Geschichten. Das tangierte ihn nicht. Aber Diora Luna Vista war talentierter als der Rest gewesen. Eine Studentin mit eigenen Gedanken, die nichts nachgeplappert, sondern selbst analysiert hatte. Von der er etwas gelernt hatte. Deren Ideen er, dessen Publikationsenergie weitgehend erloschen war, für eigene Aufsätze genutzt hatte. Sein zweiter akademischer Frühlung hatte mit Diora Lunas provokanten Seminararbeiten zu tun. Er hatte die Studentin in den vergangenen drei Semestern sogar extra zu seinen Hauptseminaren eingeladen. Der geistige Diebstahl war ihr nicht verborgen geblieben. Sie hatte sich allerdings nicht darum geschert, war einfach in weitere Bücher abgetaucht. Sie hatte Romane gelesen, keine Sekundärliteratur. Ihre Ideen hatten mit dem Werk zu tun, nicht mit Interpretationsschulen.
Didi Entenitz-Late hatte sich kurz besonnen, an weitere Aufsätze gedacht, die an Streit interessierte Herausgeber wissenschaftlicher Periodika bereits fest bei ihm bestellt hatten. Dann hatte der Professor Stolz Stolz sein lassen und gebrüllt: „Warten Sie, ich bitte um Entschuldigung ...“
Die Fliehende war nicht zu stoppen gewesen.
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Ich habe Konrad Lorenz` Theorien über Aggressionen nicht vergessen, Vater. Bürger kontrollieren Mitbürger, um den Führer zu beeindrucken und den Regeln der Gruppe zu gehorchen. Französische Revolution für Anfänger. Verrate, bevor du verraten wirst. Lass Köpfe rollen, bevor dein eigener gefordert wird. Die Sozialrevolutionäre von heute sind die Henker von morgen. In vielen von uns steckt ein Jakobiner. Wenn ein Rudel angegriffen wird, hat der Einzelne eine größere Chance, mit heiler Haut davon zu kommen, als wenn er allein das Ziel ist. Du kannst nicht 24 Stunden lang ununterbrochen auf der Hut sein. Im Rudel schläft es sich besser. Der wahrscheinlichste Grund, warum Ackerbauer befestigte Dörfer gegründet haben. Der Wunsch nach Schutz kam zuerst, Gott und Handel - und damit die Gier nach Gewinn und Macht - tauchten später auf. Reichtum ist ohne Sicherheit sinnlos. Das Rudel ist ein perfektes System, wenigstens für kurze Zeit. Alles eine Frage der Gruppengröße. Fehlverhalten wird abgestraft. Fortschritt ausgeblendet. Der Außenseiter wird gehänselt und verfolgt, bis er erschöpft klein beigibt oder als Schamane, Heiler und Regenmacher achselzuckend geduldet wird.
„Das lässt sich nicht bestreiten“, hatte Didi Entenitz-Late der Weglaufenden nachgerufen. „There is a time for building and a time for living and for generation. Das Dach meines Hauses fing Feuer. Ich musste retten, was zu retten war.“ Er hatte gelogen, um sein Gesicht zu wahren. Eine verzeihbare Lüge. Aus der Not geboren. Professor und Studentin hatten es gewusst. „Hier!“ Entenitz-Late hatte mit ihrer Hausarbeit gewedelt. „Sogar In my beginning is my end konnte ich den Flammen entreißen!“
„Unsinn, Late“, hatte sie ihm über die Schulter zugerufen. „Old fires to ashes, and ashes to the earth! Sie können sehen, wen sie unterrichten wollen, Entenitz. Mich nicht!“ Sie hatte ihr Tempo erhöht. War wie eine Amazone durch das Englische Seminar gesprintet. Nichts hätte sie aufhalten können.
Eine ungewohnte Situation für Entenitz-Late. Studenten hatte der Professor mehr als genug. Das letzte Proseminar über Jack Kerouacs On the Road hatte er auf der Straße abgehalten. Die 127 Teilnehmer hatten nicht in den vorgesehen Raum gepasst. Der Straßenlärm hatte die Spreu vom Weizen getrennt. Ihm war es egal gewesen. Die Studenten waren eine amorphe Masse. Sie wuchsen nach. Immer dieselben Gesichter, immer dieselben Geschichten. Das tangierte ihn nicht. Aber Diora Luna Vista war talentierter als der Rest gewesen. Eine Studentin mit eigenen Gedanken, die nichts nachgeplappert, sondern selbst analysiert hatte. Von der er etwas gelernt hatte. Deren Ideen er, dessen Publikationsenergie weitgehend erloschen war, für eigene Aufsätze genutzt hatte. Sein zweiter akademischer Frühlung hatte mit Diora Lunas provokanten Seminararbeiten zu tun. Er hatte die Studentin in den vergangenen drei Semestern sogar extra zu seinen Hauptseminaren eingeladen. Der geistige Diebstahl war ihr nicht verborgen geblieben. Sie hatte sich allerdings nicht darum geschert, war einfach in weitere Bücher abgetaucht. Sie hatte Romane gelesen, keine Sekundärliteratur. Ihre Ideen hatten mit dem Werk zu tun, nicht mit Interpretationsschulen.
Didi Entenitz-Late hatte sich kurz besonnen, an weitere Aufsätze gedacht, die an Streit interessierte Herausgeber wissenschaftlicher Periodika bereits fest bei ihm bestellt hatten. Dann hatte der Professor Stolz Stolz sein lassen und gebrüllt: „Warten Sie, ich bitte um Entschuldigung ...“
Die Fliehende war nicht zu stoppen gewesen.
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Ich habe Konrad Lorenz` Theorien über Aggressionen nicht vergessen, Vater. Bürger kontrollieren Mitbürger, um den Führer zu beeindrucken und den Regeln der Gruppe zu gehorchen. Französische Revolution für Anfänger. Verrate, bevor du verraten wirst. Lass Köpfe rollen, bevor dein eigener gefordert wird. Die Sozialrevolutionäre von heute sind die Henker von morgen. In vielen von uns steckt ein Jakobiner. Wenn ein Rudel angegriffen wird, hat der Einzelne eine größere Chance, mit heiler Haut davon zu kommen, als wenn er allein das Ziel ist. Du kannst nicht 24 Stunden lang ununterbrochen auf der Hut sein. Im Rudel schläft es sich besser. Der wahrscheinlichste Grund, warum Ackerbauer befestigte Dörfer gegründet haben. Der Wunsch nach Schutz kam zuerst, Gott und Handel - und damit die Gier nach Gewinn und Macht - tauchten später auf. Reichtum ist ohne Sicherheit sinnlos. Das Rudel ist ein perfektes System, wenigstens für kurze Zeit. Alles eine Frage der Gruppengröße. Fehlverhalten wird abgestraft. Fortschritt ausgeblendet. Der Außenseiter wird gehänselt und verfolgt, bis er erschöpft klein beigibt oder als Schamane, Heiler und Regenmacher achselzuckend geduldet wird.