Über den Nutzen Deiner Feinde
Das Werk Oráculo manual y arte de prudencia des spanischen Jesuitenpaters Balthasar Gracián, ins Deutsche übertragen von Arthur Schopenhauer als Handorakel und Kunst der Weltklugheit, ist mir zuerst als N° 12 der Penguin Little Black Classics unter dem Titel How to Use Your Enemies, in Jeremy Robbins' Übersetzung, begegnet. Das für ein Pfund Sterling unter die LeserInnen gebrachte Bändchen, welches Ausschnitte des 1647 erschienenen Vademecums enthält, lag, spontan gekauft, bei mir daheim lange auf einem Stapel mit anderen Büchern, glitt tiefer und tiefer, bis ich mich, auf dem Weg zu einer Veranstaltung der rechtsradikalen AfD - ich möchte wissen, was die Feinde der liberalen Lebensführung mit unserer (noch) demokratischen Gesellschaft vorhaben, setze mich dem Schmutz also regelmäßig aus, um mich nicht irgendwann fragen zu lassen, warum ich nichts unternommen habe -, bis ich mich der Handlichkeit des Bändchens erinnerte, es neugierig herauszog und einsteckte.
Der kuriose Titel schien mir, für mögliche Wartezeiten, genau richtig zu sein. Die konzise Sammlung war dann mehr als ein Lückenfüller, mehr als eine symbolische Kampfansage, viel mehr. Die Aphorismen ließen mich meine hasserfüllte Umgebung vergessen. Balthasar Graciáns Stimme erinnerte mich an einen entspeckten Montaigne, gemahnte an Lichtenberg in Bestform. Ich vergaß, kurz, die Populisten, las die Enemies in einem Rutsch und danach, noch am selben Abend, geködert, Schopenhauers elegante Translation. Graciáns scharfsinniger Conceptismo begeisterte und verführte mich.
Nun, in diesem Jahr, möchte ich, ab und an, eher unregelmäßig, da ich mich, an sich, anderen Texten zu widmen habe, möchte ich dennoch in Korrespondenz mit der Kunst der Weltklugheit treten. Ich habe nichts weniger, nichts mehr vor, als mich zu vergnügen.
PS
Oskar Negt schreibt in seinem beachtenswerten Essay Goethes Weimar und Himmlers Buchenwald, dass der Weimarer Verfassung, die zwar ein orientierender Text sei, die Härte der Verbindlichkeit gefehlt habe. Jede Partei habe an der eigenen Verbindlichkeit gearbeitet, ohne sich auf das Gemeinwohl einzulassen. Dass solche Einzelinteressen von Anfang an eine junge Demokratie aushöhlen, versteht sich. Es entstand, so Negt, eine "Demokratie ohne Demokraten. Res publica amissa nannte Cicero diesen Schwebezustand einer Gesellschaft, deren altes Gerüst noch völlig intakt erscheint, im Inneren aber auf eine autoritäre Entpolitisierung hinsteuert." Einen doppelten Sinn habe dabei der Terminus technicus amissa, er sei das Vergessen und das Vernachlässigen. Die weiterhin gültigen Regeln festigten in solch einer wankelmütigen Republik anscheinend noch immer die alte Ordnung. Dennoch seien, schlussfolgert Negt, alle gesellschaftlichen Kräfte in einem Polarisierungszustand, "in dem sich eine gesellschaftliche Richtungsentscheidung der gesamten Lebensverhältnisse vorbereitet, eine Suchbewegung drängt auf eine Entscheidung."
Wir, sind wir ehrlich, befinden uns in den meisten Demokratien derzeit in solch einer Res publica amissa-Krise. Wir haben vergessen, was es heißt, dem unermesslichen Leid des Krieges ausgesetzt zu sein. Wir haben vergessen, was es heißt, in nationalistischen Regimen zu leben, keine Presse- und Meinungfreiheit zu haben. Wir haben vergessen, was es heißt, wenn unermüdlich der Hass auf "die Fremden" geschürt wird, der bewaffnete Mob prügelnd durch die Straßen zieht, ohne dass sich die Polizei ihm in den Weg stellen würde. Wir haben vergessen, was es heißt, wenn man sich zu schwach fühlt, um Pogrome aufhalten zu können, da überall um einen herum die chauvinistische "Volksseele" kocht und uns, "die Internationalisten" und "Gutmenschen", am liebsten lynchen würde.
Nicht unserem bundesrepublikanischen Grundgesetz, sondern vielen Demokraten fehlt im Augenblick die nötige Härte der Verbindlichkeit mit den nichtdemokratischen Kräften.
Was vielleicht etwas seltsam klingen mag: in Graciáns Orakel sehe und bewundere ich den Versuch, die eigene Gedankenhoheit gegen ein absolutistisches Regime zu verteidigen. Selbstverständlich war der Aufklärer kein lupenreiner Demokrat, kein Gläubiger ist das. Aber Gracián, ein Denker des 17. Jahrhunderts, spricht doch unermüdlich von Freiheit und vom Anspruch, möglichst gut in einer (zu) schlechten Gesellschaft zu sein. Mag sein, dass ich ab und an seine Texte überstrapaziere. Aber bei den folgenden Seiten handelt es sich eben um eine Korrespondenz, keine historische Auslegung, die nüchtern und wissenschaftlich zu sein hat. Sie hören von mir, der ich Graciáns Mut zur Selbstvergewisserung achte und als zeitloses Vorbild ansehe, was Kritik, auch nebensächliche, nicht ausschließt, im Gegenteil.
__________________________________________________________________________________________________
Aus der Vorrede des Vincencio Juan de Lastanosa
Dem Gerechten keine Gesetze, und dem Weisen keine Rathschläge. Und doch hat noch Keiner so viel gewußt, als er für sich brauchte.
Verzeiht mir, dass ich aus der Entfernung antworte, ein dünnes Echo bin. Wäre Nähe möglich gewesen, ich hätte sie, wahrscheinlich, gesucht. Andererseits: zuviel Nähe, also: ein Mangel an Abstand, stört und, nicht zu selten, zerstört gleichwohl den Anstand des Urteils.
Damit zum Echo auf die Vorrede.
Gerechtigkeit, verehrter Vincencio Juan de Lastanosa, sei stets ein Korsett, das uns, im Idealfall, andere anziehen. Egal, wie gut und gerecht wir zu sein glauben, wir haben nun mal weder Weisheit noch Unabhängigkeit gepachtet. Wir sind in unserer Umgebung und in uns gefangen. Dass Sie, den Mangel des knallreichen Satzes ahnend, der, by the way, ihren Nachruhm begründet, dass Sie in der folgenden Sentence geschickt die Wucht abzumildern suchen, macht sie zwar überaus sympathisch, hilft allerdings eher wenig. Weise liegen allerorten, allezeit falsch. Und solch eine Gerechtigkeit, die, wie Sie offenbar vermuten, erstens auf der "guten Natur" und, so lege ich Ihre Idee zumindest aus, zweitens auf einem, wie es dann so gerne, so naiv heißt, "gesunden Menschenverstand" fußt, und solch eine solipsistische Gerechtigkeit führt leichterhand in den Absolutismus.
3. Januar 2019
Das Werk Oráculo manual y arte de prudencia des spanischen Jesuitenpaters Balthasar Gracián, ins Deutsche übertragen von Arthur Schopenhauer als Handorakel und Kunst der Weltklugheit, ist mir zuerst als N° 12 der Penguin Little Black Classics unter dem Titel How to Use Your Enemies, in Jeremy Robbins' Übersetzung, begegnet. Das für ein Pfund Sterling unter die LeserInnen gebrachte Bändchen, welches Ausschnitte des 1647 erschienenen Vademecums enthält, lag, spontan gekauft, bei mir daheim lange auf einem Stapel mit anderen Büchern, glitt tiefer und tiefer, bis ich mich, auf dem Weg zu einer Veranstaltung der rechtsradikalen AfD - ich möchte wissen, was die Feinde der liberalen Lebensführung mit unserer (noch) demokratischen Gesellschaft vorhaben, setze mich dem Schmutz also regelmäßig aus, um mich nicht irgendwann fragen zu lassen, warum ich nichts unternommen habe -, bis ich mich der Handlichkeit des Bändchens erinnerte, es neugierig herauszog und einsteckte.
Der kuriose Titel schien mir, für mögliche Wartezeiten, genau richtig zu sein. Die konzise Sammlung war dann mehr als ein Lückenfüller, mehr als eine symbolische Kampfansage, viel mehr. Die Aphorismen ließen mich meine hasserfüllte Umgebung vergessen. Balthasar Graciáns Stimme erinnerte mich an einen entspeckten Montaigne, gemahnte an Lichtenberg in Bestform. Ich vergaß, kurz, die Populisten, las die Enemies in einem Rutsch und danach, noch am selben Abend, geködert, Schopenhauers elegante Translation. Graciáns scharfsinniger Conceptismo begeisterte und verführte mich.
Nun, in diesem Jahr, möchte ich, ab und an, eher unregelmäßig, da ich mich, an sich, anderen Texten zu widmen habe, möchte ich dennoch in Korrespondenz mit der Kunst der Weltklugheit treten. Ich habe nichts weniger, nichts mehr vor, als mich zu vergnügen.
PS
Oskar Negt schreibt in seinem beachtenswerten Essay Goethes Weimar und Himmlers Buchenwald, dass der Weimarer Verfassung, die zwar ein orientierender Text sei, die Härte der Verbindlichkeit gefehlt habe. Jede Partei habe an der eigenen Verbindlichkeit gearbeitet, ohne sich auf das Gemeinwohl einzulassen. Dass solche Einzelinteressen von Anfang an eine junge Demokratie aushöhlen, versteht sich. Es entstand, so Negt, eine "Demokratie ohne Demokraten. Res publica amissa nannte Cicero diesen Schwebezustand einer Gesellschaft, deren altes Gerüst noch völlig intakt erscheint, im Inneren aber auf eine autoritäre Entpolitisierung hinsteuert." Einen doppelten Sinn habe dabei der Terminus technicus amissa, er sei das Vergessen und das Vernachlässigen. Die weiterhin gültigen Regeln festigten in solch einer wankelmütigen Republik anscheinend noch immer die alte Ordnung. Dennoch seien, schlussfolgert Negt, alle gesellschaftlichen Kräfte in einem Polarisierungszustand, "in dem sich eine gesellschaftliche Richtungsentscheidung der gesamten Lebensverhältnisse vorbereitet, eine Suchbewegung drängt auf eine Entscheidung."
Wir, sind wir ehrlich, befinden uns in den meisten Demokratien derzeit in solch einer Res publica amissa-Krise. Wir haben vergessen, was es heißt, dem unermesslichen Leid des Krieges ausgesetzt zu sein. Wir haben vergessen, was es heißt, in nationalistischen Regimen zu leben, keine Presse- und Meinungfreiheit zu haben. Wir haben vergessen, was es heißt, wenn unermüdlich der Hass auf "die Fremden" geschürt wird, der bewaffnete Mob prügelnd durch die Straßen zieht, ohne dass sich die Polizei ihm in den Weg stellen würde. Wir haben vergessen, was es heißt, wenn man sich zu schwach fühlt, um Pogrome aufhalten zu können, da überall um einen herum die chauvinistische "Volksseele" kocht und uns, "die Internationalisten" und "Gutmenschen", am liebsten lynchen würde.
Nicht unserem bundesrepublikanischen Grundgesetz, sondern vielen Demokraten fehlt im Augenblick die nötige Härte der Verbindlichkeit mit den nichtdemokratischen Kräften.
Was vielleicht etwas seltsam klingen mag: in Graciáns Orakel sehe und bewundere ich den Versuch, die eigene Gedankenhoheit gegen ein absolutistisches Regime zu verteidigen. Selbstverständlich war der Aufklärer kein lupenreiner Demokrat, kein Gläubiger ist das. Aber Gracián, ein Denker des 17. Jahrhunderts, spricht doch unermüdlich von Freiheit und vom Anspruch, möglichst gut in einer (zu) schlechten Gesellschaft zu sein. Mag sein, dass ich ab und an seine Texte überstrapaziere. Aber bei den folgenden Seiten handelt es sich eben um eine Korrespondenz, keine historische Auslegung, die nüchtern und wissenschaftlich zu sein hat. Sie hören von mir, der ich Graciáns Mut zur Selbstvergewisserung achte und als zeitloses Vorbild ansehe, was Kritik, auch nebensächliche, nicht ausschließt, im Gegenteil.
__________________________________________________________________________________________________
Aus der Vorrede des Vincencio Juan de Lastanosa
Dem Gerechten keine Gesetze, und dem Weisen keine Rathschläge. Und doch hat noch Keiner so viel gewußt, als er für sich brauchte.
Verzeiht mir, dass ich aus der Entfernung antworte, ein dünnes Echo bin. Wäre Nähe möglich gewesen, ich hätte sie, wahrscheinlich, gesucht. Andererseits: zuviel Nähe, also: ein Mangel an Abstand, stört und, nicht zu selten, zerstört gleichwohl den Anstand des Urteils.
Damit zum Echo auf die Vorrede.
Gerechtigkeit, verehrter Vincencio Juan de Lastanosa, sei stets ein Korsett, das uns, im Idealfall, andere anziehen. Egal, wie gut und gerecht wir zu sein glauben, wir haben nun mal weder Weisheit noch Unabhängigkeit gepachtet. Wir sind in unserer Umgebung und in uns gefangen. Dass Sie, den Mangel des knallreichen Satzes ahnend, der, by the way, ihren Nachruhm begründet, dass Sie in der folgenden Sentence geschickt die Wucht abzumildern suchen, macht sie zwar überaus sympathisch, hilft allerdings eher wenig. Weise liegen allerorten, allezeit falsch. Und solch eine Gerechtigkeit, die, wie Sie offenbar vermuten, erstens auf der "guten Natur" und, so lege ich Ihre Idee zumindest aus, zweitens auf einem, wie es dann so gerne, so naiv heißt, "gesunden Menschenverstand" fußt, und solch eine solipsistische Gerechtigkeit führt leichterhand in den Absolutismus.
3. Januar 2019
Damit zum Hauptext.
1.
Alles hat heut zu Tage seinen Gipfel erreicht, aber die Kunst sich geltend zu machen, den höchsten. Mehr gehört jetzt zu Einem Weisen, als in alten Zeiten zu sieben: und mehr ist erfordert, um in diesen Zeiten mit einem einzigen Menschen fertig zu werden, als in vorigen mit einem ganzen Volke.
Was sich ändert, tief in uns, sei nicht die Vorstellung, die wir von uns und der Welt haben, sondern die Geschwindigkeit, die wir der Umsetzung dieser Vorstellung zubilligen.
Die Idee der Geltung bleibt immerdar gültig. Dem Menschen liegt, zunächst, per se das ungebunden Eigene am Herzen, selbst wenn sich der Verstand längst mit der Nachhaltigkeit und dem Altruismus vermählt hat. Hätte das aufgeklärte Individuum die Wahl, es heiratete sich, in unschöner Regelmäßigkeit, selbst.
4. Januar 2019
Alles hat heut zu Tage seinen Gipfel erreicht, aber die Kunst sich geltend zu machen, den höchsten. Mehr gehört jetzt zu Einem Weisen, als in alten Zeiten zu sieben: und mehr ist erfordert, um in diesen Zeiten mit einem einzigen Menschen fertig zu werden, als in vorigen mit einem ganzen Volke.
Was sich ändert, tief in uns, sei nicht die Vorstellung, die wir von uns und der Welt haben, sondern die Geschwindigkeit, die wir der Umsetzung dieser Vorstellung zubilligen.
Die Idee der Geltung bleibt immerdar gültig. Dem Menschen liegt, zunächst, per se das ungebunden Eigene am Herzen, selbst wenn sich der Verstand längst mit der Nachhaltigkeit und dem Altruismus vermählt hat. Hätte das aufgeklärte Individuum die Wahl, es heiratete sich, in unschöner Regelmäßigkeit, selbst.
4. Januar 2019
2.
Herz und Kopf: die beiden Pole der Sonne unserer Fähigkeiten: eines ohne das andere, halbes Glück. Verstand reicht nicht hin; Gemüth ist erfordert. Ein Unglück der Thoren ist Verfehlung des Berufs im Stande, Amt, Lande, Umgang.
Hier sind Sie doch sehr ein Kind Ihrer Zeit. Nicht dass ich das nicht auch wäre. Mir ist der Mangel an Freiheit, den mir das Zeitalter, in das ich geboren wurde, aufbürdet, wohl bewusst. Aber die Idee des Standes, der den Beruf vorgibt, ist außerordentlich anachronistisch. Andererseits, bin ich ganz ehrlich, der ich selbst aus der Bildungsferne, wie es heutzutage euphemistisch heißt, komme, andererseits hat der "Stand" gegenwärtig eben neue Namen. Namen, die am Ende, machen wir uns nichts vor, auch wenn uns das Herz und der Verstand raten, an die Chancengleichheit zu glauben, Namen, die am Ende weiterhin im gesellschaftlichen Standesamt über unser Wohl und Wehe entscheiden. Der Rassismus, der unsere Gesellschaft seit jeher vergiftet, ist ein Ausdruck dieses ewigen, schrecklichen Standesdünkels. Nein, wir sind, die beiden Pole der Sonne nach wie vor ignorierend, nicht viel weiter gekommen. Grundgesetze hin, Menschenrechte her. Thoren sind unter und, nicht zu selten, regieren uns. Wollen wir den Ausgang aus unserer selbst verschuldeten Unmündigkeit, müssen wir radikaler am Humanismus, an der vorurteilsfreien Aufklärung festhalten, müssen uns - und hier haperts gewaltig - ganz und gar der Weltenliebe, die Flora und Fauna einschließt, verschreiben. Warum verschrotten wir nicht alle Waffen? Warum verzichten wir nicht darauf, unseren Planeten auszupressen, bis er uns abstößt? Dass ich nun, Gaia im Blick, esoterisch wie Sie klinge, merken Sie nicht zu Unrecht an. Wer um das Gute weiß, lässt lange, so sei die Human condition, doch das Schlechte nicht. Wir dürften untergehen, demnächst, das ist, gerad, der Stand der Klimadinge.
PS
Mir fällt soeben noch ein, dass Bertrand Russell, in den "Zehn Geboten eines Liberalen", schreibt, man solle nicht denjenigen das Glück neiden, die in einem Narrenparadiese lebten, denn nur ein Narr könne das für ein Glück halten.
5. Januar 2019
Herz und Kopf: die beiden Pole der Sonne unserer Fähigkeiten: eines ohne das andere, halbes Glück. Verstand reicht nicht hin; Gemüth ist erfordert. Ein Unglück der Thoren ist Verfehlung des Berufs im Stande, Amt, Lande, Umgang.
Hier sind Sie doch sehr ein Kind Ihrer Zeit. Nicht dass ich das nicht auch wäre. Mir ist der Mangel an Freiheit, den mir das Zeitalter, in das ich geboren wurde, aufbürdet, wohl bewusst. Aber die Idee des Standes, der den Beruf vorgibt, ist außerordentlich anachronistisch. Andererseits, bin ich ganz ehrlich, der ich selbst aus der Bildungsferne, wie es heutzutage euphemistisch heißt, komme, andererseits hat der "Stand" gegenwärtig eben neue Namen. Namen, die am Ende, machen wir uns nichts vor, auch wenn uns das Herz und der Verstand raten, an die Chancengleichheit zu glauben, Namen, die am Ende weiterhin im gesellschaftlichen Standesamt über unser Wohl und Wehe entscheiden. Der Rassismus, der unsere Gesellschaft seit jeher vergiftet, ist ein Ausdruck dieses ewigen, schrecklichen Standesdünkels. Nein, wir sind, die beiden Pole der Sonne nach wie vor ignorierend, nicht viel weiter gekommen. Grundgesetze hin, Menschenrechte her. Thoren sind unter und, nicht zu selten, regieren uns. Wollen wir den Ausgang aus unserer selbst verschuldeten Unmündigkeit, müssen wir radikaler am Humanismus, an der vorurteilsfreien Aufklärung festhalten, müssen uns - und hier haperts gewaltig - ganz und gar der Weltenliebe, die Flora und Fauna einschließt, verschreiben. Warum verschrotten wir nicht alle Waffen? Warum verzichten wir nicht darauf, unseren Planeten auszupressen, bis er uns abstößt? Dass ich nun, Gaia im Blick, esoterisch wie Sie klinge, merken Sie nicht zu Unrecht an. Wer um das Gute weiß, lässt lange, so sei die Human condition, doch das Schlechte nicht. Wir dürften untergehen, demnächst, das ist, gerad, der Stand der Klimadinge.
PS
Mir fällt soeben noch ein, dass Bertrand Russell, in den "Zehn Geboten eines Liberalen", schreibt, man solle nicht denjenigen das Glück neiden, die in einem Narrenparadiese lebten, denn nur ein Narr könne das für ein Glück halten.
5. Januar 2019
3.
Ueber sein Vorhaben in Ungewißheit lassen. Die Verwunderung über das Neue ist schon eine Wertschätzung seines Gelingens. Mit offenen Karten spielen, ist weder nützlich noch angenehm. Indem man seine Absicht nicht gleich kund giebt, erregt man die Erwartung, zumal wann man durch die Höhe seines Amts Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit ist. Bei Allem lasse man etwas Geheimnißvolles durchblicken und errege, durch seine Verschlossenheit selbst, Ehrfurcht. Sogar wo man sich herausläßt, vermeide man plan zu sein; eben wie man auch im Umgang sein Inneres nicht Jedem aufschließen darf. Behutsames Schweigen ist das Heiligthum der Klugheit. Das ausgesprochene Vorhaben wurde nie hochgeschätzt, vielmehr liegt es dem Tadel bloß: und nimmt es gar einen ungünstigen Ausgang, so wird man doppelt unglücklich seyn. Man ahme daher dem göttlichen Walten nach, indem man die Leute in Vermuthungen und Unruhe erhält.
Sprich leise und höflich, aber trage stets einen dicken Knüppel bei dir, so hat Theodore Roosevelt seine Lebensphilosophie beschrieben, und das scheint mir ehrlicher und pragmatischer zu sein als das kindische Hintenherum, die vermaledeite Verschleierung, die Sie Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und eine Position innehaben, allen Ernstes anraten. Nun will ich aber dennoch zugeben, dass jenes behutsame Schweigen, das sie zum heiligen Gral der Klugen gemacht haben, ab und an seinen Nutzen hat. Allzeit herauszuposaunen, was man über jenes Vorhaben oder jene Person denkt, lässt uns keine Ruhe zur besonnenen Betrachtung und Abwägung. Wenn alle schreien, stiehlt sich der Stille am besten davon. Allein, der Unsinn mit dem göttlichen Walten, das in uns ob der Willkür eines heiligen Herrschers ein schauriges Angstbibbern gebieren soll, zeigt unverblümt den weiten Abstand zwischen Ihnen und mir. Teilhabe, darum geht es. Das Absolute hat ausgedient, regiert der demokratische Prozess. Ich frage mich übrigens, ob Sie diese Sachen wirklich glauben - oder ob Sie solche staubtrockenen Machiavelli-Sätze geschrieben haben, um nicht auf der Stelle im feuchten Kerker zu landen.
6. Januar 2019
Ueber sein Vorhaben in Ungewißheit lassen. Die Verwunderung über das Neue ist schon eine Wertschätzung seines Gelingens. Mit offenen Karten spielen, ist weder nützlich noch angenehm. Indem man seine Absicht nicht gleich kund giebt, erregt man die Erwartung, zumal wann man durch die Höhe seines Amts Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit ist. Bei Allem lasse man etwas Geheimnißvolles durchblicken und errege, durch seine Verschlossenheit selbst, Ehrfurcht. Sogar wo man sich herausläßt, vermeide man plan zu sein; eben wie man auch im Umgang sein Inneres nicht Jedem aufschließen darf. Behutsames Schweigen ist das Heiligthum der Klugheit. Das ausgesprochene Vorhaben wurde nie hochgeschätzt, vielmehr liegt es dem Tadel bloß: und nimmt es gar einen ungünstigen Ausgang, so wird man doppelt unglücklich seyn. Man ahme daher dem göttlichen Walten nach, indem man die Leute in Vermuthungen und Unruhe erhält.
Sprich leise und höflich, aber trage stets einen dicken Knüppel bei dir, so hat Theodore Roosevelt seine Lebensphilosophie beschrieben, und das scheint mir ehrlicher und pragmatischer zu sein als das kindische Hintenherum, die vermaledeite Verschleierung, die Sie Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und eine Position innehaben, allen Ernstes anraten. Nun will ich aber dennoch zugeben, dass jenes behutsame Schweigen, das sie zum heiligen Gral der Klugen gemacht haben, ab und an seinen Nutzen hat. Allzeit herauszuposaunen, was man über jenes Vorhaben oder jene Person denkt, lässt uns keine Ruhe zur besonnenen Betrachtung und Abwägung. Wenn alle schreien, stiehlt sich der Stille am besten davon. Allein, der Unsinn mit dem göttlichen Walten, das in uns ob der Willkür eines heiligen Herrschers ein schauriges Angstbibbern gebieren soll, zeigt unverblümt den weiten Abstand zwischen Ihnen und mir. Teilhabe, darum geht es. Das Absolute hat ausgedient, regiert der demokratische Prozess. Ich frage mich übrigens, ob Sie diese Sachen wirklich glauben - oder ob Sie solche staubtrockenen Machiavelli-Sätze geschrieben haben, um nicht auf der Stelle im feuchten Kerker zu landen.
6. Januar 2019
4.
Wissenschaft und Tapferkeit bauen die Größe auf. Sie machen unsterblich, weil sie es sind. Jeder ist so viel, als er weiß, und der Weise vermag Alles. Ein Mensch ohne Kenntnisse; eine Welt im Finstern. Einsicht und Kraft; Augen und Hände. Ohne Muth ist das Wissen unfruchtbar.
Wie ich Sie liebe, nach dem vorgestrigen Zetern und Hadern, will und darf ich nun zum Venerieren kommen. Denn Sie haben zweifelsfrei recht, mit diesem Lob der Wissenschaft, dem Lob der Sinne - und dass Sie, was ich gleichfalls empfinde, den ForscherInnen Wagemut zusprechen, ist eine oftmals vergessene Qualität. Veränderung kommt nicht aus feigen Geistern. Und gibt's überhaupt Unsterblichkeit, so gibt's sie doch wohl in situ, als Wissen, als Erkenntnis, als ein Satz, der von uns bleibt, das Grab hellglücklich bestrahlt, in dem wir dunkelsteif liegen.
Den Weisen, die angeblich alles vermögen, widmen wir uns demnächst, genießen wir heut den liebkosenden Schulterschluss. Warum die Milde, fragen Sie? Der Tag, mein Freund, ist früh und nass die Gärten, den Abend, alt und knochentrocken, wollen wir später proben.
8. Januar
Wissenschaft und Tapferkeit bauen die Größe auf. Sie machen unsterblich, weil sie es sind. Jeder ist so viel, als er weiß, und der Weise vermag Alles. Ein Mensch ohne Kenntnisse; eine Welt im Finstern. Einsicht und Kraft; Augen und Hände. Ohne Muth ist das Wissen unfruchtbar.
Wie ich Sie liebe, nach dem vorgestrigen Zetern und Hadern, will und darf ich nun zum Venerieren kommen. Denn Sie haben zweifelsfrei recht, mit diesem Lob der Wissenschaft, dem Lob der Sinne - und dass Sie, was ich gleichfalls empfinde, den ForscherInnen Wagemut zusprechen, ist eine oftmals vergessene Qualität. Veränderung kommt nicht aus feigen Geistern. Und gibt's überhaupt Unsterblichkeit, so gibt's sie doch wohl in situ, als Wissen, als Erkenntnis, als ein Satz, der von uns bleibt, das Grab hellglücklich bestrahlt, in dem wir dunkelsteif liegen.
Den Weisen, die angeblich alles vermögen, widmen wir uns demnächst, genießen wir heut den liebkosenden Schulterschluss. Warum die Milde, fragen Sie? Der Tag, mein Freund, ist früh und nass die Gärten, den Abend, alt und knochentrocken, wollen wir später proben.
8. Januar
5.
Abhängigkeit begründen. Den Götzen macht nicht der Vergolder, sondern der Anbeter. Wer klug ist, sieht lieber die Leute seiner bedürftig, als ihm dankbar verbunden, sie am Seile der Hoffnung führen, ist Hofmannsart, sich auf ihre Dankbarkeit verlassen, Bauernart: denn letztere ist so vergeßlich, als erstere von gutem Gedächtniß. Man erlangt mehr von der Abhängigkeit als von der verpflichteten Höflichkeit: wer seinen Durst gelöscht hat, kehrt gleich der Quelle den Rücken, und die ausgequetschte Apfelsine fällt von der goldenen Schüssel in den Koth. Hat die Abhängigkeit ein Ende, so wird das gute Vernehmen es auch bald finden und mit diesem die Hochachtung. Es sei also eine Hauptlehre aus der Erfahrung, daß man die Hoffnung zu erhalten, nie aber ganz zu befriedigen hat, vielmehr dafür sorgen soll, immerdar nothwendig zu bleiben, sogar dem gekrönten Herrn. Jedoch soll man dies nicht so sehr übertreiben, daß man etwa schweige, damit er Fehler begehe, und soll nicht, des eigenen Vortheils halber, den fremden Schaden unheilbar machen.
Was von Hofschranzen zu halten ist, aus meiner Sicht, der ich hier, an einem Küchentisch sitze, in einer kalten Wohnung, und mich frage, wie wir die kommenden Europawahlen nicht nur überstehen, sondern demokratischer machen können, was ich von Ihrer immerdaren Nothwendigkeit für gekrönte Häupter halte, wissen Sie bereits. HerrscherInnen werden nicht geboren, sondern gewählt. Jede Monarchie ist eine große Lüge, die auf noch größeren Lügen basiert. Der Korrupte bringt es in Monarchien weit. Und den Götzen macht eben durchaus der Vergolder, der sich dafür bezahlen lässt, Gestohlenes anzubringen. Dass sich anschließend AnbeterInnen für den Prunk finden, liegt an der Blendlust der Menschen. Wir lassen uns allemal lieber großspurig blenden, als zu durchschauen, wie wir kleingehalten werden. Allerdings, was Sie überraschen mag: wer einmal selbständig aufsteht, setzt sich nicht so schnell auf Befehl wieder hin.
9. Januar
6.
Seine Vollendung erreichen. Man wird nicht fertig geboren: mit jedem Tage vervollkommnet man sich in seiner Person und seinem Beruf, bis man den Punkt seiner Vollendung erreicht, wo alle Fähigkeiten vollständig, alle vorzüglichen Eigenschaften entwickelt sind. Dies giebt sich daran zu erkennen, daß der Geschmack erhaben, das Denken geläutert, das Urtheil reif, und der Wille rein geworden ist. Manche gelangen nie zur Vollendung, immer fehlt ihnen noch etwas; andere kommen spät zur Reife. Der vollendete Mann, weise in seinen Reden, klug in seinem Thun, wird zum vertrauten Umgang der gescheuten Leute zugelassen, ja gesucht.
Hätte ich, ganz ehrlich, diesen Auszug zuerst gelesen, ich hätt mich wohl kaum auf Sie und den hysterischen Fortschrittsglauben eingelassen. Das existenzielle Lachen hätt mich glatt umgehauen. Solch Determination! Solch Wunschdenken! Solch Vertrauen in die ultimative Wahrheit! Die Erfüllung eines Lebens, das scheint Sie umgetrieben zu haben. Gut, warum auch nicht. Allein: wenig ist von Ihrem Überschwange geblieben. Wir waren nichts, wir sind nichts, und wir werden nichts. Gar nichts. Einzig sind wir geworfen in die Welt, kurz und fristig, atmen, mit Glück, reine Luft, lieben, mit Glück, und werden, noch größer ist solch ein Glück, womöglich sogar geliebt. Und dann, nach einigen unvollendeten Jahren, die wir bemüht ums Gute begangen haben, das Böse spar ich mir, ich bin mir sicher, es taucht bald in unserer Unterhaltung auf, und dann greift die umgedrehte Geburt nach uns, zeigt uns, mit schallender Wucht, die Ohnmacht, das Unkluge, das Unweise, das Unreife vermeintlicher Erkenntnis, zerrt uns zurück ins Ungezählte, ins nihilistische Dahinter. Wer ist, ist nichts und damit alles, was uns bleibt und möglich ist.
10. Januar
7.
Sich vor dem Siege über Vorgesetzte hüten. Alles Übertreffen ist verhaßt, aber seinen Herrn zu übertreffen ist entweder ein dummer oder ein Schicksalsstreich. Stets war die Ueberlegenheit verabscheut; wieviel mehr die über die Ueberlegenheit selbst. Vorzüge niedriger Gattung wird der Behutsame verhehlen, wie etwa seine persönliche Schönheit durch Nachlässigkeit im Anzüge verleugnen. Es wird sich wohl treffen, daß Jemand an Glücksumständen, ja an Gemüthseigenschaften uns nachzustehen sich bequemt, aber an Verstand kein Einziger; wie viel weniger ein Fürst. Denn der Verstand ist eben die Königliche Eigenschaft und deshalb jeder Angriff auf ihn ein Majestätsverbrechen. Fürsten sind sie, und wollen es in dem seyn, was am meisten auf sich hat. Sie mögen wohl, daß man ihnen hilft, jedoch nicht, daß man sie übertrifft: der ihnen ertheilte Rath sehe daher mehr aus wie eine Erinnerung an das was sie vergaßen, als wie ein ihnen aufgestecktes Licht zu dem was sie nicht finden konnten. Eine glückliche Anleitung zu dieser Feinheit geben uns die Sterne, welche, obwohl hellglänzend und Kinder der Sonne, doch nie so verwegen sind, sich mit den Strahlen dieser zu messen.
Nein, auch wenn Sie geschickt, beinahe charmant, ganz leutselig kriechen und ach so herrlichen Schmonzettenrat an wohlfeile Bücklinge austeilen, die Ihnen schmeichlerisch dafür die Fersen lecken dürften, bleibt mir auch hier erneut allein der basisdemokratische Widerspruch. Sie irren, gewaltig irren Sie. Ein Beispiel, das Ihnen gefallen hätte, hätten Sie in der Zeit der Luftschifffahrt gelebt, sei dafür angeführt. In einigen Cockpits, zumeist asiatischer Airlines, galt über Jahre Ihr wunderbares Demut-vor-dem-Herrn-Prinzip. Der Fürst am Steuer, es handelte sich übrigens stets um Männer, hatte recht, immer, ausnahmslos. Machte der Knüppelfürst eines Jumbos arge Fehler, versuchten es die Höflinge, die Co-Piloten und Funker, wie Sie's für die Hofschranzen angeregt haben: man schlug ein, sagen wir: Abdrehen vor, leise und freundlich schlug man's vor, bis man, laut und brutal, am Boden aufschlug und elendig starb. Flugzeugcrews, die auf den Sieg der Vorgesetzten setzten, stürzten wesentlich häufiger ab, als solche, in denen Autorität per se angezweifelt werden durfte, Experten das Sagen hatten und der schlechte Tag des eitlen Fürsten nicht zu einem Harakiri-Fest für alle wurde. Die Wahrheit kennt keine Hierarchie, und kennt sie eine, ist sie keine.
11. Januar
Sich vor dem Siege über Vorgesetzte hüten. Alles Übertreffen ist verhaßt, aber seinen Herrn zu übertreffen ist entweder ein dummer oder ein Schicksalsstreich. Stets war die Ueberlegenheit verabscheut; wieviel mehr die über die Ueberlegenheit selbst. Vorzüge niedriger Gattung wird der Behutsame verhehlen, wie etwa seine persönliche Schönheit durch Nachlässigkeit im Anzüge verleugnen. Es wird sich wohl treffen, daß Jemand an Glücksumständen, ja an Gemüthseigenschaften uns nachzustehen sich bequemt, aber an Verstand kein Einziger; wie viel weniger ein Fürst. Denn der Verstand ist eben die Königliche Eigenschaft und deshalb jeder Angriff auf ihn ein Majestätsverbrechen. Fürsten sind sie, und wollen es in dem seyn, was am meisten auf sich hat. Sie mögen wohl, daß man ihnen hilft, jedoch nicht, daß man sie übertrifft: der ihnen ertheilte Rath sehe daher mehr aus wie eine Erinnerung an das was sie vergaßen, als wie ein ihnen aufgestecktes Licht zu dem was sie nicht finden konnten. Eine glückliche Anleitung zu dieser Feinheit geben uns die Sterne, welche, obwohl hellglänzend und Kinder der Sonne, doch nie so verwegen sind, sich mit den Strahlen dieser zu messen.
Nein, auch wenn Sie geschickt, beinahe charmant, ganz leutselig kriechen und ach so herrlichen Schmonzettenrat an wohlfeile Bücklinge austeilen, die Ihnen schmeichlerisch dafür die Fersen lecken dürften, bleibt mir auch hier erneut allein der basisdemokratische Widerspruch. Sie irren, gewaltig irren Sie. Ein Beispiel, das Ihnen gefallen hätte, hätten Sie in der Zeit der Luftschifffahrt gelebt, sei dafür angeführt. In einigen Cockpits, zumeist asiatischer Airlines, galt über Jahre Ihr wunderbares Demut-vor-dem-Herrn-Prinzip. Der Fürst am Steuer, es handelte sich übrigens stets um Männer, hatte recht, immer, ausnahmslos. Machte der Knüppelfürst eines Jumbos arge Fehler, versuchten es die Höflinge, die Co-Piloten und Funker, wie Sie's für die Hofschranzen angeregt haben: man schlug ein, sagen wir: Abdrehen vor, leise und freundlich schlug man's vor, bis man, laut und brutal, am Boden aufschlug und elendig starb. Flugzeugcrews, die auf den Sieg der Vorgesetzten setzten, stürzten wesentlich häufiger ab, als solche, in denen Autorität per se angezweifelt werden durfte, Experten das Sagen hatten und der schlechte Tag des eitlen Fürsten nicht zu einem Harakiri-Fest für alle wurde. Die Wahrheit kennt keine Hierarchie, und kennt sie eine, ist sie keine.
11. Januar
8.
Leidenschaftslos sehn: eine Eigenschaft der höchsten Geistesgröße, deren Ueberlegenheit selbst sie loskauft vom Joche gemeiner äußerer Eindrücke. Keine höhere Herrschaft, als die über sich selbst und über seine Affekten: sie wird zum Triumph des freien Willens. Sollte aber jemals die Leidenschaft sich der Person bemächtigen; so darf sie doch nie sich an das Amt wagen, und um so weniger, je höher solches ist. Dies ist eine edle Art, sich Verdrießlichkeiten zu ersparen, ja sogar auf dem kürzesten Wege zu Ansehn zu gelangen.
Was für ein, mit Verlaub, chauvinistischer Kuddelmuddel. Hier wird einiges altbacken in einen brodelnden Topf geworfen, freier und unfreier Wille, Leidenschaft und der in aller Amtsregel offenbar wünschenswerte Mangel einer solchen. Zunächst wird, wie bislang stets, Ihre Spezialität, der Übermensch gefeiert, dem schnöden Joche entrückt, der sich von der gemeinen Masse tapfer absetzt und vermeintlich weise über den fiesen Dingen des Alltags steht. Der Übermensch wird von Ihnen gefeiert, dessen Urteilskraft nicht von banalen Äußerlichkeiten geprägt sein soll, der, im gewissen Sinne, die Wahrheit gefressen, verdaut und, Pardon, zum sofortigen Ausscheiden bereithalten soll. Affekte, sprich: Gefühle, werden in Bausch und Bogen verteufelt, der eiskalte Grund favorisiert. Ohne es explizit auszusprechen, ist doch klar, dass es Ihnen hier, auch und gerade, um das absolut Männliche geht, das dem absolut Weiblichen nun mal haushoch überlegen ist. Der Triumph des freien Killens. Ganz ehrlich: was Sie behaupten, ist zum Grausen, schrecklich langweilig, wahnsinnig herkömmlich und äußerst banal.
Leidenschaftslosigkeit, mein verehrter Freund, sei die wesentliche Eigenschaft der Schlächter und tumben Ratz-fatz-Entscheider. Empathie stelle die wesentliche Qualität der leidenschaftlich Denkenden und Liebenden dar. Gefühle sind nicht per se Fehler, das Fehlen von Emotionen dagegen sehr wohl.
12. Januar
Leidenschaftslos sehn: eine Eigenschaft der höchsten Geistesgröße, deren Ueberlegenheit selbst sie loskauft vom Joche gemeiner äußerer Eindrücke. Keine höhere Herrschaft, als die über sich selbst und über seine Affekten: sie wird zum Triumph des freien Willens. Sollte aber jemals die Leidenschaft sich der Person bemächtigen; so darf sie doch nie sich an das Amt wagen, und um so weniger, je höher solches ist. Dies ist eine edle Art, sich Verdrießlichkeiten zu ersparen, ja sogar auf dem kürzesten Wege zu Ansehn zu gelangen.
Was für ein, mit Verlaub, chauvinistischer Kuddelmuddel. Hier wird einiges altbacken in einen brodelnden Topf geworfen, freier und unfreier Wille, Leidenschaft und der in aller Amtsregel offenbar wünschenswerte Mangel einer solchen. Zunächst wird, wie bislang stets, Ihre Spezialität, der Übermensch gefeiert, dem schnöden Joche entrückt, der sich von der gemeinen Masse tapfer absetzt und vermeintlich weise über den fiesen Dingen des Alltags steht. Der Übermensch wird von Ihnen gefeiert, dessen Urteilskraft nicht von banalen Äußerlichkeiten geprägt sein soll, der, im gewissen Sinne, die Wahrheit gefressen, verdaut und, Pardon, zum sofortigen Ausscheiden bereithalten soll. Affekte, sprich: Gefühle, werden in Bausch und Bogen verteufelt, der eiskalte Grund favorisiert. Ohne es explizit auszusprechen, ist doch klar, dass es Ihnen hier, auch und gerade, um das absolut Männliche geht, das dem absolut Weiblichen nun mal haushoch überlegen ist. Der Triumph des freien Killens. Ganz ehrlich: was Sie behaupten, ist zum Grausen, schrecklich langweilig, wahnsinnig herkömmlich und äußerst banal.
Leidenschaftslosigkeit, mein verehrter Freund, sei die wesentliche Eigenschaft der Schlächter und tumben Ratz-fatz-Entscheider. Empathie stelle die wesentliche Qualität der leidenschaftlich Denkenden und Liebenden dar. Gefühle sind nicht per se Fehler, das Fehlen von Emotionen dagegen sehr wohl.
12. Januar
9.
Nationalfehler verleugnen. Das Wasser nimmt die guten oder schlechten Eigenschaften der Schichten an, durch welche es läuft, und der Mensch die des Klimas, in welchem er geboren wird. Einige haben ihrem Vaterlande mehr zu verdanken als Andere, indem ein günstigerer Himmel sie umfieng. Er giebt keine Nation, selbst nicht unter den gebildetesten, welche davon frei wäre, irgend einen ihr eigenthümlichen Fehler zu haben, welchen die benachbarten zu tadeln nicht ermangeln, entweder um sich davor zu hüten, oder sich damit zu trösten. Es ist eine rühmliche Geschicklichkeit, solche Makel seiner Nation an sich selbst zu bessern, oder wenigstens zu verbergen. Man erlangt dadurch den beifälligen Ruf, der Einzige unter den Seinigen zu seyn: und was am wenigsten erwartet wurde, wird am höchsten geschätzt. Ebenso giebt es Fehler der Familie, des Standes, Amtes und Alters: treffen alle diese in Einem Menschen zusammen, ohne daß die Aufmerksamkeit ihnen entgegenwirkte; so machen sie aus ihm ein unerträgliches Ungeheuer.
Jetzt, mein Freund, bin ich bei Ihnen. Bis auf den nicht unwesentlichen Umstand, dass ich nicht glaube, ganze Nationen über einen Charakterkamm scheren zu können; aber da genau dies andere ununterbrochen tun, können, sollen, ja müssen wir uns wohl mit solch halsbrecherischen Nationalklischees auseinandersetzen. Was mich amüsiert, ist, dass Sie mich mit Ihrem "günstigeren Himmel" an Winckelmanns Griechenskytaumelei erinnern. Der Begründer des Klassizismus im deutschsprachigen Raum, 110 Jahren nach Ihnen geboren, war übrigens niemals in Griechenland, dafür aber andauernd in Italien. Johann Joachim Winckelmann hat die edle Einfalt und stille Größe der von ihm geliebten hellenistischen Statuen sowohl mit den politischen (perikleische Demokratie) als auch geografischen (mildes Klima, Landschaft) Umständen begründet - und hat trotzdem, was interessant ist und ihm heute noch von seinen vielen besserwisserischen Kritikern feixend vorgeworfen wird, fest daran geglaubt, dass solch eine Bildhauerei auch in Deutschland nachgeahmt werden könnte, einem Land, dessen Klimabedingungen Winckelmann sebstverständlich wohlbekannt waren. Was ich, als Antwort auf ihre präjudizierte Himmelsthese, damit sagen will? Ideen, wie auch die Liebe, wandern sehnsüchtig, kennen und akzeptieren keine kleingeistigen Nationalgrenzen, verlachen jedwedes Nationalklima, auch und gerade das symbolische. Das Können kommt, sobald man es fördert und einübt. Der Begeisterung sind, wie es so schön heißt, immerdar und überall Tür und Tor geöffnet. Wir Menschen sind uns ähnlicher, als den nationalistischen Spaltern lieb ist.
Nun aber, wie gesagt, zur unbedingten Zustimmung: die Fehler, die sich dank der äußeren und inneren Umstände in mir anhäufen, machen mich, wohl wahr, zum Ungeheuer. Jede und jede von uns trägt schwer an den schlechten Vorgaben, und doch können wir, wenn wir uns des Ballasts bewusst sind und die Kraftanstrengung wagen, selbst in den Spiegel zu sehen, einigermaßen gegenwirken. Hilfe, es sei erwähnt, hilft dabei. Unabhängigkeit heißt wohl stets, dass wir uns unserer Abhängigkeiten voll und ganz bewusst sind.
13. Januar
Nationalfehler verleugnen. Das Wasser nimmt die guten oder schlechten Eigenschaften der Schichten an, durch welche es läuft, und der Mensch die des Klimas, in welchem er geboren wird. Einige haben ihrem Vaterlande mehr zu verdanken als Andere, indem ein günstigerer Himmel sie umfieng. Er giebt keine Nation, selbst nicht unter den gebildetesten, welche davon frei wäre, irgend einen ihr eigenthümlichen Fehler zu haben, welchen die benachbarten zu tadeln nicht ermangeln, entweder um sich davor zu hüten, oder sich damit zu trösten. Es ist eine rühmliche Geschicklichkeit, solche Makel seiner Nation an sich selbst zu bessern, oder wenigstens zu verbergen. Man erlangt dadurch den beifälligen Ruf, der Einzige unter den Seinigen zu seyn: und was am wenigsten erwartet wurde, wird am höchsten geschätzt. Ebenso giebt es Fehler der Familie, des Standes, Amtes und Alters: treffen alle diese in Einem Menschen zusammen, ohne daß die Aufmerksamkeit ihnen entgegenwirkte; so machen sie aus ihm ein unerträgliches Ungeheuer.
Jetzt, mein Freund, bin ich bei Ihnen. Bis auf den nicht unwesentlichen Umstand, dass ich nicht glaube, ganze Nationen über einen Charakterkamm scheren zu können; aber da genau dies andere ununterbrochen tun, können, sollen, ja müssen wir uns wohl mit solch halsbrecherischen Nationalklischees auseinandersetzen. Was mich amüsiert, ist, dass Sie mich mit Ihrem "günstigeren Himmel" an Winckelmanns Griechenskytaumelei erinnern. Der Begründer des Klassizismus im deutschsprachigen Raum, 110 Jahren nach Ihnen geboren, war übrigens niemals in Griechenland, dafür aber andauernd in Italien. Johann Joachim Winckelmann hat die edle Einfalt und stille Größe der von ihm geliebten hellenistischen Statuen sowohl mit den politischen (perikleische Demokratie) als auch geografischen (mildes Klima, Landschaft) Umständen begründet - und hat trotzdem, was interessant ist und ihm heute noch von seinen vielen besserwisserischen Kritikern feixend vorgeworfen wird, fest daran geglaubt, dass solch eine Bildhauerei auch in Deutschland nachgeahmt werden könnte, einem Land, dessen Klimabedingungen Winckelmann sebstverständlich wohlbekannt waren. Was ich, als Antwort auf ihre präjudizierte Himmelsthese, damit sagen will? Ideen, wie auch die Liebe, wandern sehnsüchtig, kennen und akzeptieren keine kleingeistigen Nationalgrenzen, verlachen jedwedes Nationalklima, auch und gerade das symbolische. Das Können kommt, sobald man es fördert und einübt. Der Begeisterung sind, wie es so schön heißt, immerdar und überall Tür und Tor geöffnet. Wir Menschen sind uns ähnlicher, als den nationalistischen Spaltern lieb ist.
Nun aber, wie gesagt, zur unbedingten Zustimmung: die Fehler, die sich dank der äußeren und inneren Umstände in mir anhäufen, machen mich, wohl wahr, zum Ungeheuer. Jede und jede von uns trägt schwer an den schlechten Vorgaben, und doch können wir, wenn wir uns des Ballasts bewusst sind und die Kraftanstrengung wagen, selbst in den Spiegel zu sehen, einigermaßen gegenwirken. Hilfe, es sei erwähnt, hilft dabei. Unabhängigkeit heißt wohl stets, dass wir uns unserer Abhängigkeiten voll und ganz bewusst sind.
13. Januar
10.
Glück und Ruhm: so unbeständig jenes, so dauerhaft ist dieser: jenes für das Leben, dieser nachher: jenes gegen den Neid, dieser gegen die Vergessenheit. Glück wird gewünscht, bisweilen befördert; Ruhm wird erworben. Der Wunsch nach Ruhm entspringt dem Werthe. Die Fama war und ist noch die Schwester der Giganten: stets folgt sie dem Uebermäßigen, den Ungeheuern, oder den Wundern, dem Gegenstand des Abscheues oder des Beifalls.
Dies ist, wie mir gerade scheint - und auf das Gerade wollt ich schon eine Weile hinweisen, denn jeder Satz, den ich Ihnen schreibe, hat den Nach- und Vorteil, ein Gerade-Satz zu sein, er sprudelt, wie eine muntere Quelle, der das Delta, mit den alten und jungen Sedimenten, ziemlich egal ist, von einem Augenblick zum nächsten aus mir heraus und will sich nachgerade behaupten, was ihm nicht immer vergönnt ist -, dies ist, Kompliment, also eine treffende, konzise Charakteristik des Ruhms, dessen doppelgesichtiger Fratzennatur Sie verflucht nahekommen. Besonders bewegt mich die Frage, ganz ehrlich: seit etlichen Jahren bewegt sie mich, ob die Abscheu, der penetrante Widerwille, den Ruhm nicht interessanter macht, auf Dauer, wohlgemerkt, nicht im Augenblick, interessanter macht als der ganziöse Beifall, dem doch stets auch etwas arg Oberflächliches und Vergängliches anhaftet. Gelobt zu werden, die Schultern schmeichlerisch geklopft zu bekommen, jedenfalls geht es mir so, berührt den kritischen Geist doch eher peinlich als dass es ihn vor Wonne une eitel Sonnenschein unentwegt jauchzen ließe. Während der Krach, der im Abscheu wohnt, einen eindrücklicheren Affekt hat, gerade auf böse Menschen, zu denen ich mich eher nicht zähle. Genug davon, denn das Glück, um das es doch auch gehen soll, wird von Ihnen wie ein Blinddarm abgeschliffen. Manchmal, wiederum ein Ratschlag an mich selbst, würde es helfen, sich nicht die Finger an zu heißen Eisen zu verbrennen. Andererseits: Je länger das Glück währt, desto kürzer die Sätze, die es beschreiben.
14. Januar
Glück und Ruhm: so unbeständig jenes, so dauerhaft ist dieser: jenes für das Leben, dieser nachher: jenes gegen den Neid, dieser gegen die Vergessenheit. Glück wird gewünscht, bisweilen befördert; Ruhm wird erworben. Der Wunsch nach Ruhm entspringt dem Werthe. Die Fama war und ist noch die Schwester der Giganten: stets folgt sie dem Uebermäßigen, den Ungeheuern, oder den Wundern, dem Gegenstand des Abscheues oder des Beifalls.
Dies ist, wie mir gerade scheint - und auf das Gerade wollt ich schon eine Weile hinweisen, denn jeder Satz, den ich Ihnen schreibe, hat den Nach- und Vorteil, ein Gerade-Satz zu sein, er sprudelt, wie eine muntere Quelle, der das Delta, mit den alten und jungen Sedimenten, ziemlich egal ist, von einem Augenblick zum nächsten aus mir heraus und will sich nachgerade behaupten, was ihm nicht immer vergönnt ist -, dies ist, Kompliment, also eine treffende, konzise Charakteristik des Ruhms, dessen doppelgesichtiger Fratzennatur Sie verflucht nahekommen. Besonders bewegt mich die Frage, ganz ehrlich: seit etlichen Jahren bewegt sie mich, ob die Abscheu, der penetrante Widerwille, den Ruhm nicht interessanter macht, auf Dauer, wohlgemerkt, nicht im Augenblick, interessanter macht als der ganziöse Beifall, dem doch stets auch etwas arg Oberflächliches und Vergängliches anhaftet. Gelobt zu werden, die Schultern schmeichlerisch geklopft zu bekommen, jedenfalls geht es mir so, berührt den kritischen Geist doch eher peinlich als dass es ihn vor Wonne une eitel Sonnenschein unentwegt jauchzen ließe. Während der Krach, der im Abscheu wohnt, einen eindrücklicheren Affekt hat, gerade auf böse Menschen, zu denen ich mich eher nicht zähle. Genug davon, denn das Glück, um das es doch auch gehen soll, wird von Ihnen wie ein Blinddarm abgeschliffen. Manchmal, wiederum ein Ratschlag an mich selbst, würde es helfen, sich nicht die Finger an zu heißen Eisen zu verbrennen. Andererseits: Je länger das Glück währt, desto kürzer die Sätze, die es beschreiben.
14. Januar
11.
Mit dem umgehen, von dem man lernen kann. Der freundschaftliche Umgang sei eine Schule der Kenntnisse, und die Unterhaltung bildende Belehrung: aus seinen Freunden mache man Lehrer und lasse den Nutzen des Lernens und das Vergnügen der Unterhaltung sich wechselseitig durchdringen. Mit Leuten von Einsicht hat man einen abwechselnden Genuß, indem man, für das was man sagt, Beifall und von dem was man hört, Nutzen einerntet. Was uns zu Andern führt, ist gewöhnlich unser eigenes Interesse: dies ist hier jedoch höherer Art. Der Aufmerksame besucht häufig die Häuser jener großartigen Hofleute, welche mehr Schauplätze der Größe als Paläste der Eitelkeit sind. Es giebt Herren, welche im Ruf der Weltklugheit stehn: nicht nur sind diese selbst, durch ihr Beispiel und ihren Umgang, Orakel aller Größe, sondern auch die sie umgebende Schaar bildet eine höfische Akademie guter und edler Klugheit jeder Art.
Den Anfang, Freund, mag ich ungeschoren mit Ihnen teilen. Wer hätte nicht gerne Freunde, die uns bereichern, mit Wissen und Herzensgüte, die uns, gegebenenfalls, Beifall spenden, uns, bei Bedarf, gehörig in die Vernunftmangel nehmen? Das steht wohl außer Frage, selbst wenn Ihnen die Kritik nicht über die Lippen gekommen ist, Sie mit dem Beifall als Freundschaftsbund hausieren gehen. Dass ich mich schüttele ob der "großartigen Hofleute" erwarten Sie längst, zu durchschaubar sind meine Antworten geworden. Allein, es geht nicht anders, da Sie, hofschranzend, die Orakel aller Größen nun mal zuverlässig in den Palästen verorten; mir wird übel, denk ich nur daran, wie auf Kosten der Unterdrückten Philosophie gemacht wird, und man selbstgefällig lobt, was nun mal nicht zu loben ist. Wir sind eben alle Kinder unserer Zeit, mich eingeschlossen, der ich mit Vorurteilen vollgestopft bin, nichts richtig weiß, aber vieles, viel zu vieles stürmisch verachte. Der Starke - und das ist's, was ich mir auf die Fahnen schreibe, das ganz allein ist's, ansonstens mangelt's mir an Axiomen -, der Starke hadert mit seiner Schwäche, immerdar hadert er, ach was, "der Starke" weiß wie schwach er ist, weiß, dass es keine Stärke gibt, die über die Stunde reicht. Der Tod ist stark, der Rest bleibt schwach. Im Hier und Jetzt hat wenig Bestand. Wer orakelt, Freund, sei den Märchen hold, wer zweifelt, den Menschen, der Natur.
15. Januar
Mit dem umgehen, von dem man lernen kann. Der freundschaftliche Umgang sei eine Schule der Kenntnisse, und die Unterhaltung bildende Belehrung: aus seinen Freunden mache man Lehrer und lasse den Nutzen des Lernens und das Vergnügen der Unterhaltung sich wechselseitig durchdringen. Mit Leuten von Einsicht hat man einen abwechselnden Genuß, indem man, für das was man sagt, Beifall und von dem was man hört, Nutzen einerntet. Was uns zu Andern führt, ist gewöhnlich unser eigenes Interesse: dies ist hier jedoch höherer Art. Der Aufmerksame besucht häufig die Häuser jener großartigen Hofleute, welche mehr Schauplätze der Größe als Paläste der Eitelkeit sind. Es giebt Herren, welche im Ruf der Weltklugheit stehn: nicht nur sind diese selbst, durch ihr Beispiel und ihren Umgang, Orakel aller Größe, sondern auch die sie umgebende Schaar bildet eine höfische Akademie guter und edler Klugheit jeder Art.
Den Anfang, Freund, mag ich ungeschoren mit Ihnen teilen. Wer hätte nicht gerne Freunde, die uns bereichern, mit Wissen und Herzensgüte, die uns, gegebenenfalls, Beifall spenden, uns, bei Bedarf, gehörig in die Vernunftmangel nehmen? Das steht wohl außer Frage, selbst wenn Ihnen die Kritik nicht über die Lippen gekommen ist, Sie mit dem Beifall als Freundschaftsbund hausieren gehen. Dass ich mich schüttele ob der "großartigen Hofleute" erwarten Sie längst, zu durchschaubar sind meine Antworten geworden. Allein, es geht nicht anders, da Sie, hofschranzend, die Orakel aller Größen nun mal zuverlässig in den Palästen verorten; mir wird übel, denk ich nur daran, wie auf Kosten der Unterdrückten Philosophie gemacht wird, und man selbstgefällig lobt, was nun mal nicht zu loben ist. Wir sind eben alle Kinder unserer Zeit, mich eingeschlossen, der ich mit Vorurteilen vollgestopft bin, nichts richtig weiß, aber vieles, viel zu vieles stürmisch verachte. Der Starke - und das ist's, was ich mir auf die Fahnen schreibe, das ganz allein ist's, ansonstens mangelt's mir an Axiomen -, der Starke hadert mit seiner Schwäche, immerdar hadert er, ach was, "der Starke" weiß wie schwach er ist, weiß, dass es keine Stärke gibt, die über die Stunde reicht. Der Tod ist stark, der Rest bleibt schwach. Im Hier und Jetzt hat wenig Bestand. Wer orakelt, Freund, sei den Märchen hold, wer zweifelt, den Menschen, der Natur.
15. Januar
12.
Natur und Kunst: der Stoff und das Werk. Keine Schönheit besteht ohne Nachhülfe, und jede Vollkommenheit artet in Barbarei aus, wenn sie nicht von der Kunst erhöht wird: diese hilft dem Schlechten ab und vervollkommnet das Gute. Die Natur verläßt uns gemeinhin beim Besten: nehmen wir unsere Zuflucht zur Kunst. Ohne sie ist die beste natürliche Anlage ungebildet, und den Vollkommenheiten fehlt die Hälfte, wenn ihnen die Bildung fehlt. Jeder Mensch hat, ohne künstliche Bildung, etwas Rohes, und bedarf, in jeder Art von Vollkommenheit, der Politur.
Sie lassen mich erröten, da ich mich dabei erwische, Ihnen, ohne wenn und aber, zuzustimmen, selbst die "Nachhülfe" stößt mir kaum auf. Der Terminus technicus "künstliche Bildung" hat's mir, heute früh, besonders angetan. Die Bedeutungsverschiebung, der sich das Wort "künstlich" seit Schopenhauers Übersetzung Ihres Textes stellen musste, macht die Notion der Rohstoffbehandlung, falls ich das halb jokend sagen darf, noch selbstherrlicher. Jeder von uns glaubt zu wissen, was Kunst ist, keiner kann sie endlich vollständig definieren. Das Geheimnisvolle, scheint mir, sei der Kunst allzeit eigen - vielleicht ist das Rätsel, die Überwältigung, das, im gewissen Sinne, Wunderbare der ewige, der mystische Kern der Kunst. habe ich das gesagt - "mystisch"? Sie zu lesen, ist ansteckend; ob das gut ist, sei dahingestellt.
Mit der Bildung, um den anderen zentralen Begriff des Abschnitts zu erwähnen, steht's etwas besser, was die Greifbarkeit betrifft, aber nicht viel. Wer lesen und schreiben kann, dem steht an sich die Welt offen; bleibt die Frage, was man liest, was man, anfangs, zu lesen bekommt, was man schreibt, was man, anfangs, schreiben darf.
Dann noch, ich kann nicht anders, ich stecke in meiner engen Widerspruchshaut: der Naturzustand, dem Sie die Politur verordnen, ist mir arg lieb, zumindest theoretisch. Die reine Seele, gäbe es sie, ich gäbe wohl viel, um mich von ihr inspirieren zu lassen.
16. Januar
Natur und Kunst: der Stoff und das Werk. Keine Schönheit besteht ohne Nachhülfe, und jede Vollkommenheit artet in Barbarei aus, wenn sie nicht von der Kunst erhöht wird: diese hilft dem Schlechten ab und vervollkommnet das Gute. Die Natur verläßt uns gemeinhin beim Besten: nehmen wir unsere Zuflucht zur Kunst. Ohne sie ist die beste natürliche Anlage ungebildet, und den Vollkommenheiten fehlt die Hälfte, wenn ihnen die Bildung fehlt. Jeder Mensch hat, ohne künstliche Bildung, etwas Rohes, und bedarf, in jeder Art von Vollkommenheit, der Politur.
Sie lassen mich erröten, da ich mich dabei erwische, Ihnen, ohne wenn und aber, zuzustimmen, selbst die "Nachhülfe" stößt mir kaum auf. Der Terminus technicus "künstliche Bildung" hat's mir, heute früh, besonders angetan. Die Bedeutungsverschiebung, der sich das Wort "künstlich" seit Schopenhauers Übersetzung Ihres Textes stellen musste, macht die Notion der Rohstoffbehandlung, falls ich das halb jokend sagen darf, noch selbstherrlicher. Jeder von uns glaubt zu wissen, was Kunst ist, keiner kann sie endlich vollständig definieren. Das Geheimnisvolle, scheint mir, sei der Kunst allzeit eigen - vielleicht ist das Rätsel, die Überwältigung, das, im gewissen Sinne, Wunderbare der ewige, der mystische Kern der Kunst. habe ich das gesagt - "mystisch"? Sie zu lesen, ist ansteckend; ob das gut ist, sei dahingestellt.
Mit der Bildung, um den anderen zentralen Begriff des Abschnitts zu erwähnen, steht's etwas besser, was die Greifbarkeit betrifft, aber nicht viel. Wer lesen und schreiben kann, dem steht an sich die Welt offen; bleibt die Frage, was man liest, was man, anfangs, zu lesen bekommt, was man schreibt, was man, anfangs, schreiben darf.
Dann noch, ich kann nicht anders, ich stecke in meiner engen Widerspruchshaut: der Naturzustand, dem Sie die Politur verordnen, ist mir arg lieb, zumindest theoretisch. Die reine Seele, gäbe es sie, ich gäbe wohl viel, um mich von ihr inspirieren zu lassen.
16. Januar
13.
Bald aus zweiter, bald aus erster Absicht handeln. Ein Krieg ist das Leben des Menschen gegen die Bosheit des Menschen. Die Klugheit führt ihn, indem sie sich der Kriegslisten, hinsichtlich ihres Vorhabens, bedient. Nie thut sie das, was sie vorgiebt, sondern zielt nur, um zu täuschen. Mit Geschicklichkeit macht sie Luftstreiche; dann aber führt sie in der Wirklichkeit etwas Unerwartetes aus, stets darauf bedacht ihr Spiel zu verbergen. Eine Absicht läßt sie erblicken, um die Aufmerksamkeit des Gegners dahin zu ziehen, kehrt ihr aber gleich wieder den Rücken und siegt durch das, woran Keiner gedacht. Jedoch kommt ihr andrerseits ein durchdringender Scharfsinn durch seine Aufmerksamkeit zuvor und belauert sie mit schlauer Ueberlegung: stets versteht er das Gegentheil von dem, was man ihm zu verstehn giebt, und erkennt sogleich jedes falsche Miene machen. Die erste Absicht läßt er immer vorüber gehn, wartet auf die zweite, ja auf die dritte. Indem jetzt die Verstellung ihre Künste erkannt sieht, steigert sie sich noch höher und versucht nunmehr durch die Wahrheit selbst zu täuschen: sie ändert ihr Spiel, um ihre List zu ändern, und läßt das nicht Erkünstelte als erkünstelt erscheinen, indem sie so ihren Betrug auf die vollkommenste Aufrichtigkeit gründet. Aber die beobachtende Schlauheit ist auf ihrem Posten, strengt ihren Scharfblick an und entdeckt die in Licht gehüllte Finsterniß: sie entziffert jenes Vorhaben, welches je aufrichtiger, desto trügerischer war. Auf solche Weise kämpft die Arglist des Python gegen den Glanz der durchdringenden Strahlen Apollo's.
Wenig bleibt mir hier übrig, als mein Befremden zu äußern. Ein Krieg gegen die Bosheit mit den genuinen Mitteln des Bösen, der üblen Kriegslisten? Was bleibt, sei der notwendige Abstand von Ihren eigenartigen Sätzen, mein Freund. List, scheint mir, hilft letztlich der Schmach, da in ihr das Unweise, häufig gar die Lüge wohnt. Wenn möglich, häng ich mich lieber frohgemut an die Wahrheit und rausche durch die schlechte Welt, zur Not lass ich mich dafür auch niederbrüllen und rabiat anzweifeln. Im Guten liegt wohl häufig das Glück, im Schlechten mit Sicherheit das Unglück.
17. Januar
Bald aus zweiter, bald aus erster Absicht handeln. Ein Krieg ist das Leben des Menschen gegen die Bosheit des Menschen. Die Klugheit führt ihn, indem sie sich der Kriegslisten, hinsichtlich ihres Vorhabens, bedient. Nie thut sie das, was sie vorgiebt, sondern zielt nur, um zu täuschen. Mit Geschicklichkeit macht sie Luftstreiche; dann aber führt sie in der Wirklichkeit etwas Unerwartetes aus, stets darauf bedacht ihr Spiel zu verbergen. Eine Absicht läßt sie erblicken, um die Aufmerksamkeit des Gegners dahin zu ziehen, kehrt ihr aber gleich wieder den Rücken und siegt durch das, woran Keiner gedacht. Jedoch kommt ihr andrerseits ein durchdringender Scharfsinn durch seine Aufmerksamkeit zuvor und belauert sie mit schlauer Ueberlegung: stets versteht er das Gegentheil von dem, was man ihm zu verstehn giebt, und erkennt sogleich jedes falsche Miene machen. Die erste Absicht läßt er immer vorüber gehn, wartet auf die zweite, ja auf die dritte. Indem jetzt die Verstellung ihre Künste erkannt sieht, steigert sie sich noch höher und versucht nunmehr durch die Wahrheit selbst zu täuschen: sie ändert ihr Spiel, um ihre List zu ändern, und läßt das nicht Erkünstelte als erkünstelt erscheinen, indem sie so ihren Betrug auf die vollkommenste Aufrichtigkeit gründet. Aber die beobachtende Schlauheit ist auf ihrem Posten, strengt ihren Scharfblick an und entdeckt die in Licht gehüllte Finsterniß: sie entziffert jenes Vorhaben, welches je aufrichtiger, desto trügerischer war. Auf solche Weise kämpft die Arglist des Python gegen den Glanz der durchdringenden Strahlen Apollo's.
Wenig bleibt mir hier übrig, als mein Befremden zu äußern. Ein Krieg gegen die Bosheit mit den genuinen Mitteln des Bösen, der üblen Kriegslisten? Was bleibt, sei der notwendige Abstand von Ihren eigenartigen Sätzen, mein Freund. List, scheint mir, hilft letztlich der Schmach, da in ihr das Unweise, häufig gar die Lüge wohnt. Wenn möglich, häng ich mich lieber frohgemut an die Wahrheit und rausche durch die schlechte Welt, zur Not lass ich mich dafür auch niederbrüllen und rabiat anzweifeln. Im Guten liegt wohl häufig das Glück, im Schlechten mit Sicherheit das Unglück.
17. Januar
14.
Die Sache und die Art. Das Wesentliche in den Dingen ist nicht ausreichend, auch die begleitenden Umstände sind erfordert. Eine schlechte Art verdirbt Alles, sogar Recht und Vernunft; die gute Art hingegen kann Alles ersetzen, vergoldet das Nein, versüßt die Wahrheit und schminkt das Alter selbst. Das Wie thut gar viel bei den Sachen: die artige Manier ist ein Taschendieb der Herzen. Ein schönes Benehmen ist der Schmuck des Lebens, und jeder angenehme Ausdruck hilft wundervoll von der Stelle.
Gut, akzeptiert, sprechen wir denn von der Lebensart, nicht den garstigen Todesarten, nicht den mörderischen Rassismusunarten der grausamen Schädelvermesser meines tumben Stammes, sprechen wir nicht von den globalen Gesichtsfarbenhassern. Sprechen wir tunlichst von der Joie de vivre, ausgelöst durch artiges Benehmen, uns in Hochstimmung versetzende Schmeicheleien und leichte Lügen, die das Miteinander aufs schönste schmieren, sich als Gesellschaftsschmalz lauwarm in die Gehörgänge pressen, der argen Wahrheit munter den Einlass verweigern. Nennen wir die Deppen also leichtfüßig Gefährten, die Hochstapler schelmisch Weissager, nennen wir das Feuer also kalt, das Wasser trocken, die Luft bleischwer. Ach, spürt Ihr's auch, ich frag Euch heiter, spürt Ihr, Freund, die süße Schminke auf den sauren Falten, das ephemere Aufblühen ewig getäuschter Herzen? Ja, tatsächlich? Ihr trefft mich ins baffe Nichtbegreifen. Allein: so sei's denn. Dann will ich Euch in Eurem Wolkenkuckucksheim lassen, freu mich gar für Euch, allerdings ebenso für mich, der ich mich, wohl auf morgen, von Ihnen, edler Freund, fügsam, um nicht zu sagen: garstigst, ähem, gar artigst verabschiede.
18. Januar
Die Sache und die Art. Das Wesentliche in den Dingen ist nicht ausreichend, auch die begleitenden Umstände sind erfordert. Eine schlechte Art verdirbt Alles, sogar Recht und Vernunft; die gute Art hingegen kann Alles ersetzen, vergoldet das Nein, versüßt die Wahrheit und schminkt das Alter selbst. Das Wie thut gar viel bei den Sachen: die artige Manier ist ein Taschendieb der Herzen. Ein schönes Benehmen ist der Schmuck des Lebens, und jeder angenehme Ausdruck hilft wundervoll von der Stelle.
Gut, akzeptiert, sprechen wir denn von der Lebensart, nicht den garstigen Todesarten, nicht den mörderischen Rassismusunarten der grausamen Schädelvermesser meines tumben Stammes, sprechen wir nicht von den globalen Gesichtsfarbenhassern. Sprechen wir tunlichst von der Joie de vivre, ausgelöst durch artiges Benehmen, uns in Hochstimmung versetzende Schmeicheleien und leichte Lügen, die das Miteinander aufs schönste schmieren, sich als Gesellschaftsschmalz lauwarm in die Gehörgänge pressen, der argen Wahrheit munter den Einlass verweigern. Nennen wir die Deppen also leichtfüßig Gefährten, die Hochstapler schelmisch Weissager, nennen wir das Feuer also kalt, das Wasser trocken, die Luft bleischwer. Ach, spürt Ihr's auch, ich frag Euch heiter, spürt Ihr, Freund, die süße Schminke auf den sauren Falten, das ephemere Aufblühen ewig getäuschter Herzen? Ja, tatsächlich? Ihr trefft mich ins baffe Nichtbegreifen. Allein: so sei's denn. Dann will ich Euch in Eurem Wolkenkuckucksheim lassen, freu mich gar für Euch, allerdings ebenso für mich, der ich mich, wohl auf morgen, von Ihnen, edler Freund, fügsam, um nicht zu sagen: garstigst, ähem, gar artigst verabschiede.
18. Januar
15.
Aushelfende Geister haben. Es ist ein Glück der Mächtigen, daß sie Männer von ausgezeichneter Einsicht sich beigesellen können: diese entreißen sie jeder Gefahr der Unwissenheit, und müssen schwierige Streitfragen für sie erörtern. Es liegt eine besondere Größe darin, die Weisen in seinem Dienst zu haben, und solche übertrifft bei Weitem den barbarischen Geschmack des Tigranes, der etwas darin suchte, gefangene Könige zu Dienern zu haben. Eine ganz neue Herrlichkeit ist es, und zwar im Besten des Lebens, künstlich die zu Dienern zu machen, welche die Natur hoch über uns gestellt hat. Das Wissen ist lang, das Leben kurz, und wer nichts weiß, der lebt auch nicht. Da ist es denn ungemein geschickt, ohne Müheaufwand zu studiren, und zwar viel durch Viele, um durch sie Alle gelehrt zu seyn. Da redet man nachher in der Versammlung für Viele, indem aus Eines Munde so Viele reden, als man vorher zu Rathe gezogen hat: so erlangt man, durch fremden Schweiß, den Ruf eines Orakels. Jene aushelfenden Geister suchen zuvörderst die Lection zusammen und tischen sie uns sodann in Quintessenzen des Wissens auf. Wer nun aber es nicht dahin bringen kann, die Weisen in seinem Dienst zu haben, ziehe Nutzen von ihnen im Umgang.
Zunächst sei aufrichtig versichert, dass mir Scorn fernsteht, ich vielmehr Sie, Freund, für den Anspruch an Euch selbst und an die Welt tief bewundere. Falls meine Bemerkungen, bislang, ab und an zu schneidend gewesen sein sollten, möchte ich mich von Herzen entschuldigen; manchmal geht die Fabulierlust mit mir durch. Sie sind mir lieb, Freund, Ihre Anwesenheit erweckt in mir stetes Wohlgefallen und ungebremste Sympathie, Ihr Text ist ein wahres Glück.
Zum 15. Installment bleibt nur zu sagen, dass man den aushelfenden Geistern, die wir uns selbst ausgesucht haben, zwar Vertrauen schenken sollte, ihnen aber dennoch, wie uns selbst, lieber stets mit einem gehörigen Schuss Misstrauen begegnen muss. Jeder von uns irrt, die Frage sei nur: wie oft, in welchem Umfang und mit welchen Folgen. Aber ansonsten haben Sie ganz und gar recht: intelligenter Rat und weiser Umgang vergrößern die Chance um einiges, weniger Fehler zu machen und womöglich bessere Entscheidungen zu treffen.
21. Januar
Aushelfende Geister haben. Es ist ein Glück der Mächtigen, daß sie Männer von ausgezeichneter Einsicht sich beigesellen können: diese entreißen sie jeder Gefahr der Unwissenheit, und müssen schwierige Streitfragen für sie erörtern. Es liegt eine besondere Größe darin, die Weisen in seinem Dienst zu haben, und solche übertrifft bei Weitem den barbarischen Geschmack des Tigranes, der etwas darin suchte, gefangene Könige zu Dienern zu haben. Eine ganz neue Herrlichkeit ist es, und zwar im Besten des Lebens, künstlich die zu Dienern zu machen, welche die Natur hoch über uns gestellt hat. Das Wissen ist lang, das Leben kurz, und wer nichts weiß, der lebt auch nicht. Da ist es denn ungemein geschickt, ohne Müheaufwand zu studiren, und zwar viel durch Viele, um durch sie Alle gelehrt zu seyn. Da redet man nachher in der Versammlung für Viele, indem aus Eines Munde so Viele reden, als man vorher zu Rathe gezogen hat: so erlangt man, durch fremden Schweiß, den Ruf eines Orakels. Jene aushelfenden Geister suchen zuvörderst die Lection zusammen und tischen sie uns sodann in Quintessenzen des Wissens auf. Wer nun aber es nicht dahin bringen kann, die Weisen in seinem Dienst zu haben, ziehe Nutzen von ihnen im Umgang.
Zunächst sei aufrichtig versichert, dass mir Scorn fernsteht, ich vielmehr Sie, Freund, für den Anspruch an Euch selbst und an die Welt tief bewundere. Falls meine Bemerkungen, bislang, ab und an zu schneidend gewesen sein sollten, möchte ich mich von Herzen entschuldigen; manchmal geht die Fabulierlust mit mir durch. Sie sind mir lieb, Freund, Ihre Anwesenheit erweckt in mir stetes Wohlgefallen und ungebremste Sympathie, Ihr Text ist ein wahres Glück.
Zum 15. Installment bleibt nur zu sagen, dass man den aushelfenden Geistern, die wir uns selbst ausgesucht haben, zwar Vertrauen schenken sollte, ihnen aber dennoch, wie uns selbst, lieber stets mit einem gehörigen Schuss Misstrauen begegnen muss. Jeder von uns irrt, die Frage sei nur: wie oft, in welchem Umfang und mit welchen Folgen. Aber ansonsten haben Sie ganz und gar recht: intelligenter Rat und weiser Umgang vergrößern die Chance um einiges, weniger Fehler zu machen und womöglich bessere Entscheidungen zu treffen.
21. Januar
16.
Einsicht mit redlicher Absicht: zusammen verbürgen sie durchgängiges Gelingen. Ein widernatürliches Ungeheuer war stets ein guter Verstand vereint mit einem bösen Willen. Die böswillige Absicht ist ein Gift aller Vollkommenheiten; vom Wissen unterstützt verdirbt sie auf eine feinere Weise. Unseelige Überlegenheit, die zur Verworfenheit verwendet wird! – Wissenschaft ohne Verstand ist doppelte Narrheit.
Wie ich Sie liebe, mein Freund, für diese wahrlich faustischen Sätze! Hirn ohne Moral taugt halt nichts, rein gar nichts, weder zu Ihrer noch zu meiner Zeit. Dass es kein richtiges Leben im falschen gebe, sagt bereits der von mir geschätzte Theodor W. Adorno in seiner "Minima Moralia". Wer sich dem Bösen hingibt, gebiert nun mal zwangsweise Leid. Der Vorteil, meist finanzieller Art, den man durch das gefühlslose Seelenverkaufen erreicht, wiegt sich nicht durch das Unglück auf, das jeder fühlt, der sich und sein Können armselig an Despoten und verworfene Ziele verhökert. Außerdem: der Niederträchtige muss mit dem Abscheu und Widerwillen der Anständigen rechnen. Und dass sich ungeniert lebt, ist der Ruf erst ruiniert, glaubt doch wohl nur der Naive. Im moralischen Exil wird's schnell einsam. Also, es ließe sich wohl schlussfolgern: Lieber gut und dumm, als schlecht und schlau. Und noch lieber: clever und redlich.
22. Januar
Einsicht mit redlicher Absicht: zusammen verbürgen sie durchgängiges Gelingen. Ein widernatürliches Ungeheuer war stets ein guter Verstand vereint mit einem bösen Willen. Die böswillige Absicht ist ein Gift aller Vollkommenheiten; vom Wissen unterstützt verdirbt sie auf eine feinere Weise. Unseelige Überlegenheit, die zur Verworfenheit verwendet wird! – Wissenschaft ohne Verstand ist doppelte Narrheit.
Wie ich Sie liebe, mein Freund, für diese wahrlich faustischen Sätze! Hirn ohne Moral taugt halt nichts, rein gar nichts, weder zu Ihrer noch zu meiner Zeit. Dass es kein richtiges Leben im falschen gebe, sagt bereits der von mir geschätzte Theodor W. Adorno in seiner "Minima Moralia". Wer sich dem Bösen hingibt, gebiert nun mal zwangsweise Leid. Der Vorteil, meist finanzieller Art, den man durch das gefühlslose Seelenverkaufen erreicht, wiegt sich nicht durch das Unglück auf, das jeder fühlt, der sich und sein Können armselig an Despoten und verworfene Ziele verhökert. Außerdem: der Niederträchtige muss mit dem Abscheu und Widerwillen der Anständigen rechnen. Und dass sich ungeniert lebt, ist der Ruf erst ruiniert, glaubt doch wohl nur der Naive. Im moralischen Exil wird's schnell einsam. Also, es ließe sich wohl schlussfolgern: Lieber gut und dumm, als schlecht und schlau. Und noch lieber: clever und redlich.
22. Januar
17.
Abwechselung in der Art zu verfahren: man verfahre nicht immer auf gleiche Weise, damit man die Aufmerksamkeit, zumal die der Widersacher, verwirre: nicht stets aus der ersten Absicht; sonst werden jene diesen einförmigen Gang bald ausgelernt haben, und uns zuvorkommen, oder gar unser Thun vereiteln. Es ist leicht den Vogel im Fluge zu treffen, der ihn in grade fortgesetzter Richtung, nicht aber den, der ihn in gewundener nimmt. Aber auch aus der zweiten Absicht darf man nicht immer handeln: denn schon beim zweiten Male kennen die Gegner die List. Die Bosheit steht auf der Lauer, und großer Schlauheit bedarf es, sie zu täuschen. Nie spielt der Spieler die Karte aus, welche der Gegner erwartet, noch weniger die, welche er wünscht.
Torkelnd durchs Leben zu mäandern, anderen und, möglichst, gar sich selbst ein Rätsel, um bloß nicht berechenbar zu sein - ein feiner Ratschlag, Freund, den ich, hielten sich viele, vielleicht sogar alle daran, mit einem höchst vergnüglichen Maße an Unordnung gleichsetzen könnte und durchaus genießen dürfte. Wir konfusen Entropieoten gingen dann halt kreuz und quer und würden uns doch, Wunder der allgemeinen Verwirrung!, gerade deswegen unermesslich oft über den Weg laufen. In diesem Falle schlügen Sie, und ich nicke angetan, wohl das Konforme vor: akribisches Bahnradfahren, immer im meschuggen Vorsichtskreis, damit und bis sich unsere Anhänger und Feinde fragten, warum wir nicht mal ungepflegt die Kurve kratzten. Allerdings schlecht, scheint mir, wenn man Romanzen im Sinn hat, ob seiner selbst geliebt werden möchte, nun mal nicht wegen des auferlegten Bildes, das sich im Glanz der Tränen spiegelt. Andererseits: das Lieben ist kein Wunschkonzert; und - wie es so treffend heißt - wer immer liebt, dem glaubt man nicht.
24. Januar
Abwechselung in der Art zu verfahren: man verfahre nicht immer auf gleiche Weise, damit man die Aufmerksamkeit, zumal die der Widersacher, verwirre: nicht stets aus der ersten Absicht; sonst werden jene diesen einförmigen Gang bald ausgelernt haben, und uns zuvorkommen, oder gar unser Thun vereiteln. Es ist leicht den Vogel im Fluge zu treffen, der ihn in grade fortgesetzter Richtung, nicht aber den, der ihn in gewundener nimmt. Aber auch aus der zweiten Absicht darf man nicht immer handeln: denn schon beim zweiten Male kennen die Gegner die List. Die Bosheit steht auf der Lauer, und großer Schlauheit bedarf es, sie zu täuschen. Nie spielt der Spieler die Karte aus, welche der Gegner erwartet, noch weniger die, welche er wünscht.
Torkelnd durchs Leben zu mäandern, anderen und, möglichst, gar sich selbst ein Rätsel, um bloß nicht berechenbar zu sein - ein feiner Ratschlag, Freund, den ich, hielten sich viele, vielleicht sogar alle daran, mit einem höchst vergnüglichen Maße an Unordnung gleichsetzen könnte und durchaus genießen dürfte. Wir konfusen Entropieoten gingen dann halt kreuz und quer und würden uns doch, Wunder der allgemeinen Verwirrung!, gerade deswegen unermesslich oft über den Weg laufen. In diesem Falle schlügen Sie, und ich nicke angetan, wohl das Konforme vor: akribisches Bahnradfahren, immer im meschuggen Vorsichtskreis, damit und bis sich unsere Anhänger und Feinde fragten, warum wir nicht mal ungepflegt die Kurve kratzten. Allerdings schlecht, scheint mir, wenn man Romanzen im Sinn hat, ob seiner selbst geliebt werden möchte, nun mal nicht wegen des auferlegten Bildes, das sich im Glanz der Tränen spiegelt. Andererseits: das Lieben ist kein Wunschkonzert; und - wie es so treffend heißt - wer immer liebt, dem glaubt man nicht.
24. Januar
18.
Fleiß und Talent: ohne beide ist man nie ausgezeichnet, jedoch im höchsten Grade, wenn man sie in sich vereint. Mit dem Fleiße bringt ein mittelmäßiger Kopf es weiter, als ein überlegener ohne denselben. Die Arbeit ist der Preis, für den man den Ruhm erkauft: was wenig kostet, ist wenig werth. Sogar für die höchsten Aemter hat es Einigen nur an Fleiß gefehlt: nur selten ließ das Talent sie im Stich. Daß man lieber auf einem hohen Posten mittelmäßig, als auf einem niedrigen ausgezeichnet ist, hat die Entschuldigung eines hohen Sinnes für sich; hingegen daß man sich begnügt, auf dem untersten Posten mittelmäßig zu seyn, während man auf dem obersten ausgezeichnet seyn könnte, hat sie nicht. Also sind Natur und Kunst erfordert, und der Fleiß drückt ihnen das Siegel auf.
Meine leicht denkfaule, der heutigen Eile, ja am Verstand kratzenden Hast geschuldete Zustimmung sei Ihnen sicher. Allein das Glück, Freund, von dem schweigen Sie dann lieber doch. Denn all das geistige Vermögen, all der Einsatz, all die akribische Arbeit, all der Elan helfen wenig, fehlt uns Fortune. Im Verborgenen verblühen die meisten von uns, auch die mit Fleiß und Talent Gesegneten. Andererseits frage ich mich, ob es Schattengewächsen nicht vielleicht, ab und an, besser ergeht als ihren sonnenbestrahlten Verwandten, die im Lichte leichte Beute der mutwilligen Pflücker werden.
26. Januar
Fleiß und Talent: ohne beide ist man nie ausgezeichnet, jedoch im höchsten Grade, wenn man sie in sich vereint. Mit dem Fleiße bringt ein mittelmäßiger Kopf es weiter, als ein überlegener ohne denselben. Die Arbeit ist der Preis, für den man den Ruhm erkauft: was wenig kostet, ist wenig werth. Sogar für die höchsten Aemter hat es Einigen nur an Fleiß gefehlt: nur selten ließ das Talent sie im Stich. Daß man lieber auf einem hohen Posten mittelmäßig, als auf einem niedrigen ausgezeichnet ist, hat die Entschuldigung eines hohen Sinnes für sich; hingegen daß man sich begnügt, auf dem untersten Posten mittelmäßig zu seyn, während man auf dem obersten ausgezeichnet seyn könnte, hat sie nicht. Also sind Natur und Kunst erfordert, und der Fleiß drückt ihnen das Siegel auf.
Meine leicht denkfaule, der heutigen Eile, ja am Verstand kratzenden Hast geschuldete Zustimmung sei Ihnen sicher. Allein das Glück, Freund, von dem schweigen Sie dann lieber doch. Denn all das geistige Vermögen, all der Einsatz, all die akribische Arbeit, all der Elan helfen wenig, fehlt uns Fortune. Im Verborgenen verblühen die meisten von uns, auch die mit Fleiß und Talent Gesegneten. Andererseits frage ich mich, ob es Schattengewächsen nicht vielleicht, ab und an, besser ergeht als ihren sonnenbestrahlten Verwandten, die im Lichte leichte Beute der mutwilligen Pflücker werden.
26. Januar
19.
Nicht unter übermäßigen Erwartungen auftreten. Es ist das gewöhnliche Unglück alles sehr Gerühmten, daß es der übertriebenen Vorstellung, die man sich von ihm machte, nachmals nicht gleich kommen kann. Nie konnte das Wirkliche das Eingebildete erreichen: denn sich Vollkommenheiten denken, ist leicht; sie verwirklichen sehr schwer. Die Einbildungskraft verbindet sich mit dem Wunsche und stellt sich daher stets viel mehr vor, als die Dinge sind. Wie groß nun auch die Vortrefflichkeiten sehn mögen, so reichen sie doch nicht hin, den vorgefaßten Begriff zu befriedigen: und da sie ihn unter der Täuschung seiner ausschweifenden Erwartung vorfinden; so werden sie eher seinen Irrthum zerstören, als Bewunderung erregen. Die Hoffnung ist eine große Verfälscherin der Wahrheit: die Klugheit weise sie zurecht und sorge dafür, daß der Genuß die Erwartung übertreffe. Daß man beim Auftreten schon einigermaaßen die Meinung für sich habe, dient die Aufmerksamkeit zu erregen, ohne dem Gegenstand derselben Verpflichtungen aufzulegen. Viel besser ist es immer, wenn die Wirklichkeit die Erwartung übersteigt und mehr ist als man gedacht hatte. Diese Regel wird falsch beim Schlimmen: denn da diesem die Uebertreibung zu statten kommt, so steht man solche gern widerlegt, und dann gelangt das, was als ganz abscheulich gefürchtet wurde, noch dahin, erträglich zu scheinen.
Hier sind Sie auf Ihrer dialektischen Höhe, sind auf den Achttausender der Aphoristiker gekraxelt und lehnen lächelnd am Gipfelkreuz, während ich schnappatmend am Kamm, tief in Ihrer Schuld ausharre und Ihnen ewige Bewunderung zolle. Ein herrlicher Paragraph, der mich, es ist draußen noch dunkel, sehr früher Morgen, mit einer Helligkeit füllt, die mich, ehrlich, glücklich macht. Eine Lanze will ich dennoch für das Eingebildete brechen, das eben nicht das Wirkliche erreichen muss, uns also die Möglichkeit der Fantasie ermöglicht. Und dass sich Vollkommenheiten leicht denken ließen, halte ich auch eher für unwahrscheinlich: in jeder Hagiographie steckt der genuine Fehler der Überhöhung, und schreiben wir unsere Autobiographie, Freund, dehnt sich das Einwandfreie derat aus, dass den geneigten LeserInnen bei der Lektüre nur noch berechtigte Einwände in den Sinn kommen. Anyway, das sei ein eitles Feld, das Sie hier nicht beackern, mir fiel's nur ein, da ich ab und an selbst eine schamlose Neigung zum Bessersein-als-mir-zusteht verspüre. Wer sich selbst gut kennt, möchte kaum mit sich befreundet sein.
27. Januar
Nicht unter übermäßigen Erwartungen auftreten. Es ist das gewöhnliche Unglück alles sehr Gerühmten, daß es der übertriebenen Vorstellung, die man sich von ihm machte, nachmals nicht gleich kommen kann. Nie konnte das Wirkliche das Eingebildete erreichen: denn sich Vollkommenheiten denken, ist leicht; sie verwirklichen sehr schwer. Die Einbildungskraft verbindet sich mit dem Wunsche und stellt sich daher stets viel mehr vor, als die Dinge sind. Wie groß nun auch die Vortrefflichkeiten sehn mögen, so reichen sie doch nicht hin, den vorgefaßten Begriff zu befriedigen: und da sie ihn unter der Täuschung seiner ausschweifenden Erwartung vorfinden; so werden sie eher seinen Irrthum zerstören, als Bewunderung erregen. Die Hoffnung ist eine große Verfälscherin der Wahrheit: die Klugheit weise sie zurecht und sorge dafür, daß der Genuß die Erwartung übertreffe. Daß man beim Auftreten schon einigermaaßen die Meinung für sich habe, dient die Aufmerksamkeit zu erregen, ohne dem Gegenstand derselben Verpflichtungen aufzulegen. Viel besser ist es immer, wenn die Wirklichkeit die Erwartung übersteigt und mehr ist als man gedacht hatte. Diese Regel wird falsch beim Schlimmen: denn da diesem die Uebertreibung zu statten kommt, so steht man solche gern widerlegt, und dann gelangt das, was als ganz abscheulich gefürchtet wurde, noch dahin, erträglich zu scheinen.
Hier sind Sie auf Ihrer dialektischen Höhe, sind auf den Achttausender der Aphoristiker gekraxelt und lehnen lächelnd am Gipfelkreuz, während ich schnappatmend am Kamm, tief in Ihrer Schuld ausharre und Ihnen ewige Bewunderung zolle. Ein herrlicher Paragraph, der mich, es ist draußen noch dunkel, sehr früher Morgen, mit einer Helligkeit füllt, die mich, ehrlich, glücklich macht. Eine Lanze will ich dennoch für das Eingebildete brechen, das eben nicht das Wirkliche erreichen muss, uns also die Möglichkeit der Fantasie ermöglicht. Und dass sich Vollkommenheiten leicht denken ließen, halte ich auch eher für unwahrscheinlich: in jeder Hagiographie steckt der genuine Fehler der Überhöhung, und schreiben wir unsere Autobiographie, Freund, dehnt sich das Einwandfreie derat aus, dass den geneigten LeserInnen bei der Lektüre nur noch berechtigte Einwände in den Sinn kommen. Anyway, das sei ein eitles Feld, das Sie hier nicht beackern, mir fiel's nur ein, da ich ab und an selbst eine schamlose Neigung zum Bessersein-als-mir-zusteht verspüre. Wer sich selbst gut kennt, möchte kaum mit sich befreundet sein.
27. Januar
20.
Der Mann seines Jahrhunderts. Die außerordentlich seltenen Menschen hängen von der Zeit ab. Nicht alle haben die gefunden, deren sie würdig waren, und viele fanden sie zwar, konnten aber doch nicht dahin gelangen, sie zu nutzen. Einige waren eines bessern Jahrhunderts werth; denn nicht immer triumphirt jedes Gute. Die Dinge haben ihre Periode und sogar die höchsten Eigenschaften sind der Mode unterworfen. Der Weise hat jedoch einen Vortheil, den, daß er unsterblich ist: ist dieses nicht sein Jahrhundert; so werden viele andre es seyn.
Gut, folgen wir zunächst Ihrer Idee der Zeit als tatsächlicher Zeit, als der Zeit der Jahre, in die wir geboren werden, denen wir uns, mangels Alternative, weder leben wir schließlich vor unserer Geburt noch nach unserem Tod - was Wirkungsmöglichkeiten bewusst ausschließt, sowohl die der Antizipation als auch die Nachbeben des eigenen Seins in, beispielsweise, kultureller oder finanzieller Form -, denen, den uns gegebenen Jahren, denen wir uns also unvermeidbar physisch zu stellen haben. Schiller schreibt: "Ich möchte nicht gern in einem andern Jahrhundert leben und für ein andres gearbeitet haben. Man ist eben so gut Zeitbürger, als man Staatsbürger ist; warum sollte es weniger Pflicht sein, in der Wahl seines Wirkens dem Bedürfniß und dem Geschmack des Jahrhunderts eine Stimme einzuräumen?" Eine kluge Einsicht, denn dem Jetzt gewidmet zu sein, erfüllt uns mit Kraft und Sinn, anstatt, irrleuchtend, auf andere, bessere, lukrativere, friedlichere, kämpferische Tage zu setzen, in denen man sich entfalten könnte. Was ich mit dem Zitat des Aufklärers, der von der Französischen Revolution enttäuscht war, als er seine Ästhetischen Briefe verfasste, sagen will? Ich glaube nicht, ganz utilitaristisch, ja logisch geurteilt, dass es ein besserers Jahrhundert für uns gibt als das, in dem wir nun mal gestrandet sind. Und all unser Streben und Denken sind, auch wenn wir uns an die Zukunft als Echokammer klammern, im Hier und Jetzt verankert. Selbst Science Fiction sei stets in der eigenen Zeit verhaftet. Der Wert, den wir für uns und andere verkörpern, zeigt sich in der Kraft, die wir finden, um in unserem Jahrhundert zu wirken. Das Nachruhm kommen kann, steht dabei außer Frage, sei aber nicht unser Antrieb. Allein für uns, als Menschen, die mit anderen Menschen leben wollen, zählt letztendlich das Unmittelbare, das Miteinander, die Aufnahme und Weitergabe des Geleisteten.
Genug, ich bin von Ihrem Wege abgekommen, was mir, da ich selbst urteile, gestattet sei. Den eigenen Fehlern stehen wir toleranter gegenüber als den Fehlern der anderen, manchmal geht es gar so weit, dass wir unsere Fehler für Stärken und die Stärken anderer für Schwächen halten.
28. Januar
Der Mann seines Jahrhunderts. Die außerordentlich seltenen Menschen hängen von der Zeit ab. Nicht alle haben die gefunden, deren sie würdig waren, und viele fanden sie zwar, konnten aber doch nicht dahin gelangen, sie zu nutzen. Einige waren eines bessern Jahrhunderts werth; denn nicht immer triumphirt jedes Gute. Die Dinge haben ihre Periode und sogar die höchsten Eigenschaften sind der Mode unterworfen. Der Weise hat jedoch einen Vortheil, den, daß er unsterblich ist: ist dieses nicht sein Jahrhundert; so werden viele andre es seyn.
Gut, folgen wir zunächst Ihrer Idee der Zeit als tatsächlicher Zeit, als der Zeit der Jahre, in die wir geboren werden, denen wir uns, mangels Alternative, weder leben wir schließlich vor unserer Geburt noch nach unserem Tod - was Wirkungsmöglichkeiten bewusst ausschließt, sowohl die der Antizipation als auch die Nachbeben des eigenen Seins in, beispielsweise, kultureller oder finanzieller Form -, denen, den uns gegebenen Jahren, denen wir uns also unvermeidbar physisch zu stellen haben. Schiller schreibt: "Ich möchte nicht gern in einem andern Jahrhundert leben und für ein andres gearbeitet haben. Man ist eben so gut Zeitbürger, als man Staatsbürger ist; warum sollte es weniger Pflicht sein, in der Wahl seines Wirkens dem Bedürfniß und dem Geschmack des Jahrhunderts eine Stimme einzuräumen?" Eine kluge Einsicht, denn dem Jetzt gewidmet zu sein, erfüllt uns mit Kraft und Sinn, anstatt, irrleuchtend, auf andere, bessere, lukrativere, friedlichere, kämpferische Tage zu setzen, in denen man sich entfalten könnte. Was ich mit dem Zitat des Aufklärers, der von der Französischen Revolution enttäuscht war, als er seine Ästhetischen Briefe verfasste, sagen will? Ich glaube nicht, ganz utilitaristisch, ja logisch geurteilt, dass es ein besserers Jahrhundert für uns gibt als das, in dem wir nun mal gestrandet sind. Und all unser Streben und Denken sind, auch wenn wir uns an die Zukunft als Echokammer klammern, im Hier und Jetzt verankert. Selbst Science Fiction sei stets in der eigenen Zeit verhaftet. Der Wert, den wir für uns und andere verkörpern, zeigt sich in der Kraft, die wir finden, um in unserem Jahrhundert zu wirken. Das Nachruhm kommen kann, steht dabei außer Frage, sei aber nicht unser Antrieb. Allein für uns, als Menschen, die mit anderen Menschen leben wollen, zählt letztendlich das Unmittelbare, das Miteinander, die Aufnahme und Weitergabe des Geleisteten.
Genug, ich bin von Ihrem Wege abgekommen, was mir, da ich selbst urteile, gestattet sei. Den eigenen Fehlern stehen wir toleranter gegenüber als den Fehlern der anderen, manchmal geht es gar so weit, dass wir unsere Fehler für Stärken und die Stärken anderer für Schwächen halten.
28. Januar
21.
Die Kunst Glück zu haben. Es giebt Regeln für das Glück: denn für den Klugen ist nicht alles Zufall. Die Bemühung kann dem Glücke nachhelfen. Einige begnügen sich damit, sich wohlgemuth an das Thor der Glücksgöttin zu stellen und zu erwarten, daß sie öffne. Andere, schon besser, streben vorwärts und machen ihre kluge Kühnheit geltend, damit sie, auf den Flügeln ihres Werthes und ihrer Tapferkeit, die Göttin erreichen und ihre Gunst gewinnen mögen. Jedoch richtig philosophiert, giebt es keinen andern Weg als den der Tugend und Umsicht; indem Jeder gerade so viel Glück und so viel Unglück hat, als Klugheit oder Unklugheit.
Hier kommt in Ihnen wieder der grimmelshausenische Determinist durch, der sich selbst spitzbübig am Schopfe packt und aus dem Morast zieht. So gern ich mich Ihrer Zustandsbeschreibung des Glücks "als etwas, das wir selbst in der Hand haben" anschlösse, ja selbst dazu neige, meine eigene bisherige Lebensgeschichte in ähnlicher Weise auszubreiten, so stimmt die glückliche Selbstbestimmung halt nicht. Sich glückliche Gedanken zu machen, macht nur die Naiven kurz glücklich. Haben uns Hunger und Gebrechen, Krankheiten und Feinde fest in die Mangel genommen, ist's auch mit der Tugend und Umsicht nichts Wahres. Unangenehm berührt mich Ihre Vermutung, dass das Glück eine Frage der Klugheit sei, Dummheit also unglücklich mache. Weder stimmt doch das eine wie das andere. Die Klügsten können die unglücklichsten, die Dümmsten die glücklichsten Geschöpfe auf Erden sein. Wobei: wer definiert eigentlich, was dumm oder klug ist? Oder unglücklich oder glücklich?
Es sei festgehalten: Wer das Glück jagt, kommt allzeit ohne Beute heim.
Genug dazu. Eins lässt sich aber dennoch zum Schluss sagen: das Glück hat viele Kleider, und finden wir eins davon im Schrank, sollten wir's nicht zögerlich hängenlassen, sondern sogleich herausziehen und freudestrahlend anprobieren, und passt's auch nicht immer haargenau - was im Leben tut das übrigens schon? -, so gibt's uns doch auf kurz einen erfreulicheren Anschein, sowohl im Spiegel als auch für den Rest der Welt.
29. Januar
Die Kunst Glück zu haben. Es giebt Regeln für das Glück: denn für den Klugen ist nicht alles Zufall. Die Bemühung kann dem Glücke nachhelfen. Einige begnügen sich damit, sich wohlgemuth an das Thor der Glücksgöttin zu stellen und zu erwarten, daß sie öffne. Andere, schon besser, streben vorwärts und machen ihre kluge Kühnheit geltend, damit sie, auf den Flügeln ihres Werthes und ihrer Tapferkeit, die Göttin erreichen und ihre Gunst gewinnen mögen. Jedoch richtig philosophiert, giebt es keinen andern Weg als den der Tugend und Umsicht; indem Jeder gerade so viel Glück und so viel Unglück hat, als Klugheit oder Unklugheit.
Hier kommt in Ihnen wieder der grimmelshausenische Determinist durch, der sich selbst spitzbübig am Schopfe packt und aus dem Morast zieht. So gern ich mich Ihrer Zustandsbeschreibung des Glücks "als etwas, das wir selbst in der Hand haben" anschlösse, ja selbst dazu neige, meine eigene bisherige Lebensgeschichte in ähnlicher Weise auszubreiten, so stimmt die glückliche Selbstbestimmung halt nicht. Sich glückliche Gedanken zu machen, macht nur die Naiven kurz glücklich. Haben uns Hunger und Gebrechen, Krankheiten und Feinde fest in die Mangel genommen, ist's auch mit der Tugend und Umsicht nichts Wahres. Unangenehm berührt mich Ihre Vermutung, dass das Glück eine Frage der Klugheit sei, Dummheit also unglücklich mache. Weder stimmt doch das eine wie das andere. Die Klügsten können die unglücklichsten, die Dümmsten die glücklichsten Geschöpfe auf Erden sein. Wobei: wer definiert eigentlich, was dumm oder klug ist? Oder unglücklich oder glücklich?
Es sei festgehalten: Wer das Glück jagt, kommt allzeit ohne Beute heim.
Genug dazu. Eins lässt sich aber dennoch zum Schluss sagen: das Glück hat viele Kleider, und finden wir eins davon im Schrank, sollten wir's nicht zögerlich hängenlassen, sondern sogleich herausziehen und freudestrahlend anprobieren, und passt's auch nicht immer haargenau - was im Leben tut das übrigens schon? -, so gibt's uns doch auf kurz einen erfreulicheren Anschein, sowohl im Spiegel als auch für den Rest der Welt.
29. Januar
22.
Ein Mann von willkommenen Kenntnissen. Gescheute Leute sind mit einer eleganten und geschmackvollen Belesenheit ausgerüstet, haben ein zeitgemäßes Wissen von Allem, was an der Tagesordnung ist, jedoch mehr auf eine gelehrte als auf eine gemeine Weise: sie halten sich einen geistreichen Vorrath witziger Reden und edler Thaten, von welchem sie zu rechter Zeit Gebrauch zu machen verstehn. Oft war ein guter Rath besser angebracht in der Form eines Witzwortes, als in der der ernstesten Belehrung; und gangbares Wissen hat Manchem mehr geholfen als alle sieben Künste, so frei sie auch seyn mögen.
Kurt Schwitters, ein Dadaist, der Ihnen gefallen hätte, hat mal gesagt, Eile sei des Witzes Weile. Der Humor, vom dem Sie sich berechtigterweise Wunderdinge der Belehrung erhoffen, hat, denke ich, stets etwas transitorisches. Er blitzt auf wie eine hemmungslose Sternschnuppe, sorgt für allerlei Vergnügen und ist dann, da auf der Durchreise, schon wieder auf und davon. Dass nun etwas bleibt, vom temporären Amüsement, sei nicht ausgeschlossen, gewisst nicht, allerdings wohl eher die Ausnahme. Der gute Rat, den Sie uns ans Herz legen, dessen Natürlichkeit sie anpreisen und der möglichst unernst verpackt werden sollte, dürfte also eher eine Rarität darstellen, ein seltenes Juwel.
Wundervoll ist das Bild des "gangbaren Wissens", das uns Wege ermöglicht, die vorab noch unbegangen, uns in Landschaften führt, die uns bislang verschlossen geblieben sind; warum nun allerdings dieses Know-how außerhalb der freien Künste liegen soll, will sich mir nicht erschließen.
Was ich wohl merke, je mehr ich mit Ihnen korrespondiere, ist, bei mir wie bei Ihnen, wohl bei den meisten, der Drang, Korridore zu schaffen, anstatt im freien Feld zu weilen. Die Sicherheit der Eingeschlossenen beschneidet doch auch stets erhebliche ihre Freiheit. Die unwillkommenen Kenntnisse, die wir nicht erwarten, die nicht unseren Erwartungnen entsprechen, sind häufig die, von aufrichtigen Frauen und aufrichtigen Männern vermittelt, sind dann doch die, welche langfristig am meisten Eindruck machen. Im Unbequemen steckt oft genug die zukünftige Wahrheit, im Bequemen allzu oft das rückwärtsgerichtete Denken.
30. Januar
Ein Mann von willkommenen Kenntnissen. Gescheute Leute sind mit einer eleganten und geschmackvollen Belesenheit ausgerüstet, haben ein zeitgemäßes Wissen von Allem, was an der Tagesordnung ist, jedoch mehr auf eine gelehrte als auf eine gemeine Weise: sie halten sich einen geistreichen Vorrath witziger Reden und edler Thaten, von welchem sie zu rechter Zeit Gebrauch zu machen verstehn. Oft war ein guter Rath besser angebracht in der Form eines Witzwortes, als in der der ernstesten Belehrung; und gangbares Wissen hat Manchem mehr geholfen als alle sieben Künste, so frei sie auch seyn mögen.
Kurt Schwitters, ein Dadaist, der Ihnen gefallen hätte, hat mal gesagt, Eile sei des Witzes Weile. Der Humor, vom dem Sie sich berechtigterweise Wunderdinge der Belehrung erhoffen, hat, denke ich, stets etwas transitorisches. Er blitzt auf wie eine hemmungslose Sternschnuppe, sorgt für allerlei Vergnügen und ist dann, da auf der Durchreise, schon wieder auf und davon. Dass nun etwas bleibt, vom temporären Amüsement, sei nicht ausgeschlossen, gewisst nicht, allerdings wohl eher die Ausnahme. Der gute Rat, den Sie uns ans Herz legen, dessen Natürlichkeit sie anpreisen und der möglichst unernst verpackt werden sollte, dürfte also eher eine Rarität darstellen, ein seltenes Juwel.
Wundervoll ist das Bild des "gangbaren Wissens", das uns Wege ermöglicht, die vorab noch unbegangen, uns in Landschaften führt, die uns bislang verschlossen geblieben sind; warum nun allerdings dieses Know-how außerhalb der freien Künste liegen soll, will sich mir nicht erschließen.
Was ich wohl merke, je mehr ich mit Ihnen korrespondiere, ist, bei mir wie bei Ihnen, wohl bei den meisten, der Drang, Korridore zu schaffen, anstatt im freien Feld zu weilen. Die Sicherheit der Eingeschlossenen beschneidet doch auch stets erhebliche ihre Freiheit. Die unwillkommenen Kenntnisse, die wir nicht erwarten, die nicht unseren Erwartungnen entsprechen, sind häufig die, von aufrichtigen Frauen und aufrichtigen Männern vermittelt, sind dann doch die, welche langfristig am meisten Eindruck machen. Im Unbequemen steckt oft genug die zukünftige Wahrheit, im Bequemen allzu oft das rückwärtsgerichtete Denken.
30. Januar
23.
Ohne Makel seyn: die unerläßliche Bedingung der Vollkommenheit. Es giebt Wenige, die ohne irgend ein Gebrechen wären, wie im Physischen, so im Moralischen: und sie lieben solches innig, da sie doch leicht es heilen könnten. Mit Bedauern sieht die fremde Klugheit, wie oft einem ganzen Verein erhabener Fähigkeiten ein kleiner Fehler sich keck angehängt hat; und Eine Wolke ist hinreichend, die ganze Sonne zu verdunkeln. Dergleichen sind Flecken unsers Ansehens, welche das Mißwollen sogleich herausfindet, und immer wieder darauf zurückkommt. Die größte Geschicklichkeit wäre, sie in Zierden zu verwandeln, in der Art, wie Cäsar sein physisches Gebrechen mit dem Lorbeer zu bedecken wußte.
Nun ja, Cäsars Glatze als Makel anzuführen, zeigt, mit Verlaub, welches Geistes Kind Sie sind. Sprächen wir über Eitelkeiten, ich wäre samt Lorbeerkranz bei Ihnen. Anyway, mein Freund. Denn im Kern bin ich zunächst durchaus an Ihrer Seite: niemand ist makellos. Meine Fehler sind teils sichtbar, teils nur mir oder meinen engsten Freunden bekannt. Von dem, was meine Partnerin von mir weiß, ganz zu schweigen. Die makellose Schönheit, die Sie anführen, über deren Abwesenheit Sie beredet lamentieren, war und ist doch stets eine mehr oder minder überzeugende ästhetische Projektion der jeweiligen Zeit, der jeweiligen kommerziellen Interessen. Das Private hat stets auch eine politische, eine öffentliche Dimension; ob Körper oder Geist, sei dabei einerlei.
Schwerer wiegt allerdings, denke ich, dass Sie offenbar tatsächlich an eine Vollkommenheit ohne Makel zu glauben scheinen - und ich sage ganz bewusst "scheinen", denn auch Ihnen wird klar gewesen sein, dass allein in der Unvollkommenheit die Vollkommenheit steckt. Wie ich das meine? Indem wir den Makel als solchen umarmen, wird er Teil von uns, also Teil des Voll-kommenen. Außerdem, was mich immer beglückt hat, sei jeder Makel in Wahrheit oft genug das Interessanteste, das Wagemutigste, das Eigentlichste, was die Welt uns zu bieten hat - und wir der Welt.
Das Mal sei unsere Einmaligkeit, und ohne es seien wir einmal mehr nichts.
31. Januar
Ohne Makel seyn: die unerläßliche Bedingung der Vollkommenheit. Es giebt Wenige, die ohne irgend ein Gebrechen wären, wie im Physischen, so im Moralischen: und sie lieben solches innig, da sie doch leicht es heilen könnten. Mit Bedauern sieht die fremde Klugheit, wie oft einem ganzen Verein erhabener Fähigkeiten ein kleiner Fehler sich keck angehängt hat; und Eine Wolke ist hinreichend, die ganze Sonne zu verdunkeln. Dergleichen sind Flecken unsers Ansehens, welche das Mißwollen sogleich herausfindet, und immer wieder darauf zurückkommt. Die größte Geschicklichkeit wäre, sie in Zierden zu verwandeln, in der Art, wie Cäsar sein physisches Gebrechen mit dem Lorbeer zu bedecken wußte.
Nun ja, Cäsars Glatze als Makel anzuführen, zeigt, mit Verlaub, welches Geistes Kind Sie sind. Sprächen wir über Eitelkeiten, ich wäre samt Lorbeerkranz bei Ihnen. Anyway, mein Freund. Denn im Kern bin ich zunächst durchaus an Ihrer Seite: niemand ist makellos. Meine Fehler sind teils sichtbar, teils nur mir oder meinen engsten Freunden bekannt. Von dem, was meine Partnerin von mir weiß, ganz zu schweigen. Die makellose Schönheit, die Sie anführen, über deren Abwesenheit Sie beredet lamentieren, war und ist doch stets eine mehr oder minder überzeugende ästhetische Projektion der jeweiligen Zeit, der jeweiligen kommerziellen Interessen. Das Private hat stets auch eine politische, eine öffentliche Dimension; ob Körper oder Geist, sei dabei einerlei.
Schwerer wiegt allerdings, denke ich, dass Sie offenbar tatsächlich an eine Vollkommenheit ohne Makel zu glauben scheinen - und ich sage ganz bewusst "scheinen", denn auch Ihnen wird klar gewesen sein, dass allein in der Unvollkommenheit die Vollkommenheit steckt. Wie ich das meine? Indem wir den Makel als solchen umarmen, wird er Teil von uns, also Teil des Voll-kommenen. Außerdem, was mich immer beglückt hat, sei jeder Makel in Wahrheit oft genug das Interessanteste, das Wagemutigste, das Eigentlichste, was die Welt uns zu bieten hat - und wir der Welt.
Das Mal sei unsere Einmaligkeit, und ohne es seien wir einmal mehr nichts.
31. Januar
24.
Die Einbildungskraft zügeln, indem man bald sie zurechtweist, bald ihr nachhilft: denn sie vermag Alles über unser Glück, und sogar unser Verstand erhält Berichtigung von ihr. Sie kann eine tyrannische Gewalt erlangen und begnügt sich nicht mit müßiger Beschauung, sondern wird thätig, bemächtigt sich sogar oft unsers ganzen Daseyns, welches sie mit Lust oder Traurigkeit erfüllt, je nachdem die Thorheit ist, auf die sie verfiel: denn sie macht uns mit uns selbst zufrieden oder unzufrieden, spiegelt Einigen beständige Leiden vor und wird der häusliche Henker dieser Thoren: Andern zeigt sie nichts als Seeligkeiten und Glücksfälle, unter lustigem Schwindeln des Kopfs. Alles dieses vermag sie, wenn nicht die vernünftige Obhut unsrer selbst ihr den Zaum anlegt.
Es bleibt die Frage, was überhaupt Realität sei. Existenzialistisch gedacht, geht das Dasein der Essenz voraus; und ich bin der Überzeugung, dass die Einbildungskraft Teil des Immer-Vorhandenen ist, geboren aus dieser grundgleichen Spannung, der wir alle per se ausgesetzt sind. Wir machen uns eine Vorstellung, eine Einbildung, von der Welt, die mal mehr, mal weniger von anderen geteilt wird. Wie erfolgreich wir sind, im Privaten wie im Öffentlichen, hängt von der Kraft ab, die wir aufbringen können, um unsere Existenz als tatsächliche uns selbst und anderen zu vermitteln. Die Krisen des Bewusstseins - das, wie Sie es sähen, Pathologische - gehören für mich zum Natürlichen. Ich bin davon überzeugt, dass es keine Normalität, aber sehr wohl Normen gibt. Die unablässig neu verhandelte Festlegung der Normen verschiebt die Zugehörigkeit, die dem ehedem, gerade und zukünftigen Abwegigen zugestanden wird. Die Toleranz, mein Freund, kommt heutzutage, in liberalen Gesellschaften, denjenigen, deren Einbildungskraft aus dem Mittelspektrum herrausragt, entgegen. Im gewissen Sinne verstehen wir, dass in uns - und zwar ausnahmslos in allen von uns -, dass in unserem Wesenskern das Ungewöhnliche wohnt. Wie sehr es Wert auf Anwesenheit im Außen legt, ist dabei extrem verschieden. In den KünstlerInnen zeigt sich, für mich, der selbstbestimmte, der suchende, der verlorene Mensch, der seine Eigentümlichkeiten weder versteckt noch sich abtrainieren lässt. Wer seine Fantasie unterdrückt, wird niemals glücklich. Das Rationale, auf das Sie als "vernünftige Obhuth" Bezug nehmen, kennt Pflichten und Verpflichtungen, die alles andere als sinnvoll oder auch nur gescheit sind. Ein Beispiel wäre wohl die Liebe, deren Intensität von unserem emotionalen und logischen Einbildungskönnen abhängt. Und es ist mir überaus wichtig, hier von Können zu sprechen.
Allein wer das Schweifen lernt, kommt als Reisender an.
2. Februar
Die Einbildungskraft zügeln, indem man bald sie zurechtweist, bald ihr nachhilft: denn sie vermag Alles über unser Glück, und sogar unser Verstand erhält Berichtigung von ihr. Sie kann eine tyrannische Gewalt erlangen und begnügt sich nicht mit müßiger Beschauung, sondern wird thätig, bemächtigt sich sogar oft unsers ganzen Daseyns, welches sie mit Lust oder Traurigkeit erfüllt, je nachdem die Thorheit ist, auf die sie verfiel: denn sie macht uns mit uns selbst zufrieden oder unzufrieden, spiegelt Einigen beständige Leiden vor und wird der häusliche Henker dieser Thoren: Andern zeigt sie nichts als Seeligkeiten und Glücksfälle, unter lustigem Schwindeln des Kopfs. Alles dieses vermag sie, wenn nicht die vernünftige Obhut unsrer selbst ihr den Zaum anlegt.
Es bleibt die Frage, was überhaupt Realität sei. Existenzialistisch gedacht, geht das Dasein der Essenz voraus; und ich bin der Überzeugung, dass die Einbildungskraft Teil des Immer-Vorhandenen ist, geboren aus dieser grundgleichen Spannung, der wir alle per se ausgesetzt sind. Wir machen uns eine Vorstellung, eine Einbildung, von der Welt, die mal mehr, mal weniger von anderen geteilt wird. Wie erfolgreich wir sind, im Privaten wie im Öffentlichen, hängt von der Kraft ab, die wir aufbringen können, um unsere Existenz als tatsächliche uns selbst und anderen zu vermitteln. Die Krisen des Bewusstseins - das, wie Sie es sähen, Pathologische - gehören für mich zum Natürlichen. Ich bin davon überzeugt, dass es keine Normalität, aber sehr wohl Normen gibt. Die unablässig neu verhandelte Festlegung der Normen verschiebt die Zugehörigkeit, die dem ehedem, gerade und zukünftigen Abwegigen zugestanden wird. Die Toleranz, mein Freund, kommt heutzutage, in liberalen Gesellschaften, denjenigen, deren Einbildungskraft aus dem Mittelspektrum herrausragt, entgegen. Im gewissen Sinne verstehen wir, dass in uns - und zwar ausnahmslos in allen von uns -, dass in unserem Wesenskern das Ungewöhnliche wohnt. Wie sehr es Wert auf Anwesenheit im Außen legt, ist dabei extrem verschieden. In den KünstlerInnen zeigt sich, für mich, der selbstbestimmte, der suchende, der verlorene Mensch, der seine Eigentümlichkeiten weder versteckt noch sich abtrainieren lässt. Wer seine Fantasie unterdrückt, wird niemals glücklich. Das Rationale, auf das Sie als "vernünftige Obhuth" Bezug nehmen, kennt Pflichten und Verpflichtungen, die alles andere als sinnvoll oder auch nur gescheit sind. Ein Beispiel wäre wohl die Liebe, deren Intensität von unserem emotionalen und logischen Einbildungskönnen abhängt. Und es ist mir überaus wichtig, hier von Können zu sprechen.
Allein wer das Schweifen lernt, kommt als Reisender an.
2. Februar
25.
Winke zu verstehen wissen. Einst war es die Kunst aller Künste, reden zu können: jetzt reicht das nicht aus; errathen muß man können, vorzüglich wo es auf Zerstörung unsrer Täuschung abgesehen ist. Der kann nicht sehr verständig seyn, der nicht leicht versteht. Es giebt hingegen auch Schatzgräber der Herzen und Luchse der Absichten. Grade die Wahrheiten, an welchen uns am meisten gelegen, werden stets nur halb ausgesprochen; allein der Aufmerksame fasse sie im vollen Verstande auf. Bei allem Erwünschten ziehe er seinen Glauben am Zügel zurück, aber gebe ihm den Sporn bei allem Verhaßten.
Wie schön das klingt, wie wahr und zeitlos: "Schatzgräber der Herzen" und "Luchse der Absichten". Davon abgesehen, obwohl mir manchmal scheint, dass im Wie-Gesagten durchaus und voller Recht das An-Sich stecken kann, davon abgesehen, Freund, nur noch ein Wort zum Unverständnis derjenigen, die nicht ad hoc verstehen wollen. Auf den ersten Blick scheint das wohl wahr zu sein, auf den zweiten allerdings nicht; wobei mir klar ist, dass im "verständig seyn" allerlei steckt, ich aber nur hastig an einem Strang ziehe. Mir scheint, dass häufig jene, die mich nicht verstehen, am meisten von mir erfassen, vor allen Dingen meine Fehler, meinen Unverstand. Sie verstehen mich schwer, da ich mich nicht leicht und flüssig ausgedrückt habe, nicht bei ihnen liegt also der Makel, bei mir liegt er. Noch arger wird's, sprechen zwei nicht dieselbe Sprache, was, selbst(un)verständlich, auch symbolisch gemeint ist. Hier kommt allein Freude auf, bemühen sich beide um Entzifferung. Will sagen: wer nichts versteht, hat oftmals recht, da es, in aller unschönen Regel, halt rein gar nichts zu verstehen gibt.
Das Komplizierte klar zu sagen, sei das größte Glück.
3. Februar
Winke zu verstehen wissen. Einst war es die Kunst aller Künste, reden zu können: jetzt reicht das nicht aus; errathen muß man können, vorzüglich wo es auf Zerstörung unsrer Täuschung abgesehen ist. Der kann nicht sehr verständig seyn, der nicht leicht versteht. Es giebt hingegen auch Schatzgräber der Herzen und Luchse der Absichten. Grade die Wahrheiten, an welchen uns am meisten gelegen, werden stets nur halb ausgesprochen; allein der Aufmerksame fasse sie im vollen Verstande auf. Bei allem Erwünschten ziehe er seinen Glauben am Zügel zurück, aber gebe ihm den Sporn bei allem Verhaßten.
Wie schön das klingt, wie wahr und zeitlos: "Schatzgräber der Herzen" und "Luchse der Absichten". Davon abgesehen, obwohl mir manchmal scheint, dass im Wie-Gesagten durchaus und voller Recht das An-Sich stecken kann, davon abgesehen, Freund, nur noch ein Wort zum Unverständnis derjenigen, die nicht ad hoc verstehen wollen. Auf den ersten Blick scheint das wohl wahr zu sein, auf den zweiten allerdings nicht; wobei mir klar ist, dass im "verständig seyn" allerlei steckt, ich aber nur hastig an einem Strang ziehe. Mir scheint, dass häufig jene, die mich nicht verstehen, am meisten von mir erfassen, vor allen Dingen meine Fehler, meinen Unverstand. Sie verstehen mich schwer, da ich mich nicht leicht und flüssig ausgedrückt habe, nicht bei ihnen liegt also der Makel, bei mir liegt er. Noch arger wird's, sprechen zwei nicht dieselbe Sprache, was, selbst(un)verständlich, auch symbolisch gemeint ist. Hier kommt allein Freude auf, bemühen sich beide um Entzifferung. Will sagen: wer nichts versteht, hat oftmals recht, da es, in aller unschönen Regel, halt rein gar nichts zu verstehen gibt.
Das Komplizierte klar zu sagen, sei das größte Glück.
3. Februar
26.
Die Daumschraube eines Jeden finden. Dies ist die Kunst, den Willen Andrer in Bewegung zu setzen. Es gehört mehr Geschick als Festigkeit dazu. Man muß wissen, wo einem Jeden beizukommen sei. Es giebt keinen Willen, der nicht einen eigentümlichen Hang hätte, welcher nach der Mannigfaltigkeit des Geschmacks verschieden ist. Alle sind Götzendiener, Einige der Ehre, Andre des Interesses, die Meisten des Vergnügens. Der Kunstgriff besteht darin, daß man diesen Götzen eines Jeden kenne, um mittelst desselben ihn zu bestimmen. Weiß man, welches für Jeden der wirksame Anstoß sei, so ist es als hätte man den Schlüssel zu seinem Willen. Man muß nun auf die allererste Springfeder, oder das primum inodils in ihm, zurückgehen, welches aber nicht etwa das Höchste seiner Natur, sondern meistens das Niedrigste ist: denn es giebt mehr schlecht- als wohlgeordnete Gemüther in der Welt. Jetzt muß man zuvörderst sein Gemüth bearbeiten, dann ihm durch ein Wort den Anstoß geben, endlich mit seiner Lieblingsneigung den Hauptangriff machen; so wird unfehlbar sein freier Wille schachmatt.
Da sind wir erneut bei Ihrem Vorfahren, dem bekannten Menschenfreund Machiavelli, der auch traulich aufs Schachmattsetzen anderer Willen gesetzt hat, um dem angehimmelten Herrscher den Weg zu ebnen; und hier, denke ich, liegt die Crux ihrer durchweg altklugen Bemerkungen: mit welcher Absicht wollen wir den Willen anderer in Bewegung setzen? Wem nützt also ihre clevere Daumenschrauberei - den Menschenfreunden oder den Menschenhassern? Den gierigen Einsackern oder den sanftmütigen Helfern? Seien Sie mit sich ehrlich, natürlich verfügen Sie über untrügliche Kenntnisse, wessen Geistes Kind Sie hier mit geschliffenen Taschenspielertricks ausstatten. Doch wohl den ewig großmäuligen Ichsagern reden Sie nach dem gepuderten Munde, denen das Wir stets und zuverlässig ein Memyselfandi ist, die sich Mephistos' Schmeicheleien gekonnt abschauen, um den Unschuldigen auf immerdar den kleinen Schneid abzukaufen, sie in eine erbärmliche Abhängigkeit zu drängen, die endlich nur ihnen, den gebürsteten Herrschaften, etwas einbringt.
Die Bösen wissen mehr über die Guten als die Guten über die Bösen; was wohl in der Natur der miesen Sache liegt, die Details sammelt, um fleißig Hiebe auszuteilen. Will das Gute oben stehen, muss es wohl oder übel das Böse im Keller anketten. Befreit sich das Böse, ist das Gute erledigt, es sei denn, es findet in sich genug List und Tücke, um das Böse auf Dauer in Schach zu halten.
4. Februar
Die Daumschraube eines Jeden finden. Dies ist die Kunst, den Willen Andrer in Bewegung zu setzen. Es gehört mehr Geschick als Festigkeit dazu. Man muß wissen, wo einem Jeden beizukommen sei. Es giebt keinen Willen, der nicht einen eigentümlichen Hang hätte, welcher nach der Mannigfaltigkeit des Geschmacks verschieden ist. Alle sind Götzendiener, Einige der Ehre, Andre des Interesses, die Meisten des Vergnügens. Der Kunstgriff besteht darin, daß man diesen Götzen eines Jeden kenne, um mittelst desselben ihn zu bestimmen. Weiß man, welches für Jeden der wirksame Anstoß sei, so ist es als hätte man den Schlüssel zu seinem Willen. Man muß nun auf die allererste Springfeder, oder das primum inodils in ihm, zurückgehen, welches aber nicht etwa das Höchste seiner Natur, sondern meistens das Niedrigste ist: denn es giebt mehr schlecht- als wohlgeordnete Gemüther in der Welt. Jetzt muß man zuvörderst sein Gemüth bearbeiten, dann ihm durch ein Wort den Anstoß geben, endlich mit seiner Lieblingsneigung den Hauptangriff machen; so wird unfehlbar sein freier Wille schachmatt.
Da sind wir erneut bei Ihrem Vorfahren, dem bekannten Menschenfreund Machiavelli, der auch traulich aufs Schachmattsetzen anderer Willen gesetzt hat, um dem angehimmelten Herrscher den Weg zu ebnen; und hier, denke ich, liegt die Crux ihrer durchweg altklugen Bemerkungen: mit welcher Absicht wollen wir den Willen anderer in Bewegung setzen? Wem nützt also ihre clevere Daumenschrauberei - den Menschenfreunden oder den Menschenhassern? Den gierigen Einsackern oder den sanftmütigen Helfern? Seien Sie mit sich ehrlich, natürlich verfügen Sie über untrügliche Kenntnisse, wessen Geistes Kind Sie hier mit geschliffenen Taschenspielertricks ausstatten. Doch wohl den ewig großmäuligen Ichsagern reden Sie nach dem gepuderten Munde, denen das Wir stets und zuverlässig ein Memyselfandi ist, die sich Mephistos' Schmeicheleien gekonnt abschauen, um den Unschuldigen auf immerdar den kleinen Schneid abzukaufen, sie in eine erbärmliche Abhängigkeit zu drängen, die endlich nur ihnen, den gebürsteten Herrschaften, etwas einbringt.
Die Bösen wissen mehr über die Guten als die Guten über die Bösen; was wohl in der Natur der miesen Sache liegt, die Details sammelt, um fleißig Hiebe auszuteilen. Will das Gute oben stehen, muss es wohl oder übel das Böse im Keller anketten. Befreit sich das Böse, ist das Gute erledigt, es sei denn, es findet in sich genug List und Tücke, um das Böse auf Dauer in Schach zu halten.
4. Februar
27.
Das Intensive höher als das Extensive schätzen. Die Vollkommenheit besteht nicht in der Quantität, sondern in der Qualität. Alles Vortreffliche ist stets wenig und selten: die Menge und Masse einer Sache macht sie geringgeschätzt. Sogar unter den Menschen sind die Riesen meistens die eigentlichen Zwerge. Einige schätzen die Bücher nach ihrer Dicke; als ob sie geschrieben wären, die Arme, nicht die Köpfe daran zu üben. Das Extensive allein führt nie über die Mittelmäßigkeit hinaus, und es ist das Leiden der universellen Köpfe, daß sie, um in Allem zu Hause zu seyn, es nirgends sind. Hingegen ist es das Intensive, woraus die Vortrefflichkeit entspringt, und zwar eine heroische, wenn in erhabener Gattung.
Nun treffen wir uns, hier, im Gesagten, im zeitlos Gültigen, ich reiche Ihnen, Freund, ehrfürchtig die Hand. Die Beschaffenheit sei es, nicht die Menge, die Sie wie mich anzieht. Eine Erkenntnis, die dem Kapitalismus, der Gier schlechthin, fremd ist. Wir reiten unsere Erde gerade zugrunde, da sich die Menschheit dem Immermehr verschrieben hat. Wir zeugen uns mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit, zerstören alles andere um uns herum, Flora wie Fauna, bauen Massenvernichtungswaffen, verschmutzen unsere Umwelt, als hätten wir eine zweite, dritte, vierte, fünfte Erde. Unsere Dummheit, mein Freund, ist eine quantitative. Das Anthropozän, auf das viele von uns so stolz sind, sei das Zeitalter der Zerstörung, die aus geistiger Dummheit und unglaublicher Arroganz passiert. Diesmal wird es kein Komet oder Riesenvulkanausbruch sein, der eine Gattung von der Erde wischt, diesmal ist es die Hybris einer Tier(un)art, die sich über alle anderen stellt, die sich irrsinnigerweise der Quantität, nicht der Qualität verschrieben hat. Unsere Intelligenz, falls ich das so sagen darf, ist zugleich unsere Dummheit. Wir erfinden, bis wir alles verloren haben.
6. Februar
Das Intensive höher als das Extensive schätzen. Die Vollkommenheit besteht nicht in der Quantität, sondern in der Qualität. Alles Vortreffliche ist stets wenig und selten: die Menge und Masse einer Sache macht sie geringgeschätzt. Sogar unter den Menschen sind die Riesen meistens die eigentlichen Zwerge. Einige schätzen die Bücher nach ihrer Dicke; als ob sie geschrieben wären, die Arme, nicht die Köpfe daran zu üben. Das Extensive allein führt nie über die Mittelmäßigkeit hinaus, und es ist das Leiden der universellen Köpfe, daß sie, um in Allem zu Hause zu seyn, es nirgends sind. Hingegen ist es das Intensive, woraus die Vortrefflichkeit entspringt, und zwar eine heroische, wenn in erhabener Gattung.
Nun treffen wir uns, hier, im Gesagten, im zeitlos Gültigen, ich reiche Ihnen, Freund, ehrfürchtig die Hand. Die Beschaffenheit sei es, nicht die Menge, die Sie wie mich anzieht. Eine Erkenntnis, die dem Kapitalismus, der Gier schlechthin, fremd ist. Wir reiten unsere Erde gerade zugrunde, da sich die Menschheit dem Immermehr verschrieben hat. Wir zeugen uns mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit, zerstören alles andere um uns herum, Flora wie Fauna, bauen Massenvernichtungswaffen, verschmutzen unsere Umwelt, als hätten wir eine zweite, dritte, vierte, fünfte Erde. Unsere Dummheit, mein Freund, ist eine quantitative. Das Anthropozän, auf das viele von uns so stolz sind, sei das Zeitalter der Zerstörung, die aus geistiger Dummheit und unglaublicher Arroganz passiert. Diesmal wird es kein Komet oder Riesenvulkanausbruch sein, der eine Gattung von der Erde wischt, diesmal ist es die Hybris einer Tier(un)art, die sich über alle anderen stellt, die sich irrsinnigerweise der Quantität, nicht der Qualität verschrieben hat. Unsere Intelligenz, falls ich das so sagen darf, ist zugleich unsere Dummheit. Wir erfinden, bis wir alles verloren haben.
6. Februar
28.
In nichts gemein: Erstlich, nicht im Geschmack. O des großen Weisen, den es niederschlug, daß seine Sache der Menge gefiel! Gemeiner Beifall in Fülle giebt dem Verständigen kein Genügen. Dagegen sind manche solche Kamäleone der Popularität, daß sie ihren Genuß nicht in den sanften Anhauch Apollo's, sondern in den Athem des großen Haufens setzen. – Zweitens, nicht im Verstande: man finde kein Genügen an den Wundern des Pöbels, dessen Unwissenheit ihn nicht über das Erstaunen hinauskommen läßt: während die allgemeine Dummheit bewundert, deckt der Verstand des Einzelnen den Trug auf.
Es ist die alte Sache, auf der Sie zungenfertig herumhacken, die Sie, offenbar, nicht ruhen lässt. Die Menge sei dumm, das Genie klug und weise - und wer sich gemein mache, ein Flachgeist. Zugegeben: verführerisch sei es, Ihnen auch in diesem Urteil zuzustimmen, allerdings scheint mir solch eine schablonenartige Herangehensweise, auf Dauer, dann doch zu billig, unter Ihrer Geisteskraft. Ihnen wie mir ist bekannt, dass der Einzelne, gerade der Theorie gestählte Fachidiot, viel Übles leistet, weil er (zumeist handelt es sich um Männer) glaubt, die Wahrheit mit Riesenlöffeln eingespeist bekommen zu haben und nicht hören will, wie die Sache sich in situ tatsächlich darstellt. Die klügsten Konzepte gehen nicht zu selten an der stupenden Wirklichkeit meilenweit vorbei. Die Crowd-Klugheit sei, selbstverständlich, nicht immer klüger als der einzelne Mensch, aber - und jetzt komme ich zum eigentlichen Problem, das ich mit Ihrem Elitenlob habe - müsse doch in einer Demokratie angehört, beachtet und eingebunden werden. Das Kluge links liegen zu lassen, weil man sich als rechtmäßiger Superstar fühlt, der über dem Gesetz steht, zeugt von dreister Dummheit. Weder gibt es eine Monarchie des Regierens noch eine Monarchie des Wissens. Die Weisen seien lebensklug, da sie auf die Weisheit der Lebensklugen setzen. Ohne demokratische Beratung herrscht über kurz oder lang die diktatorische Ratlosigkeit, und unsere geringen Errungenschaften gehen sang- und klanglos den Bach der Ignoranz runter.
7. Februar
In nichts gemein: Erstlich, nicht im Geschmack. O des großen Weisen, den es niederschlug, daß seine Sache der Menge gefiel! Gemeiner Beifall in Fülle giebt dem Verständigen kein Genügen. Dagegen sind manche solche Kamäleone der Popularität, daß sie ihren Genuß nicht in den sanften Anhauch Apollo's, sondern in den Athem des großen Haufens setzen. – Zweitens, nicht im Verstande: man finde kein Genügen an den Wundern des Pöbels, dessen Unwissenheit ihn nicht über das Erstaunen hinauskommen läßt: während die allgemeine Dummheit bewundert, deckt der Verstand des Einzelnen den Trug auf.
Es ist die alte Sache, auf der Sie zungenfertig herumhacken, die Sie, offenbar, nicht ruhen lässt. Die Menge sei dumm, das Genie klug und weise - und wer sich gemein mache, ein Flachgeist. Zugegeben: verführerisch sei es, Ihnen auch in diesem Urteil zuzustimmen, allerdings scheint mir solch eine schablonenartige Herangehensweise, auf Dauer, dann doch zu billig, unter Ihrer Geisteskraft. Ihnen wie mir ist bekannt, dass der Einzelne, gerade der Theorie gestählte Fachidiot, viel Übles leistet, weil er (zumeist handelt es sich um Männer) glaubt, die Wahrheit mit Riesenlöffeln eingespeist bekommen zu haben und nicht hören will, wie die Sache sich in situ tatsächlich darstellt. Die klügsten Konzepte gehen nicht zu selten an der stupenden Wirklichkeit meilenweit vorbei. Die Crowd-Klugheit sei, selbstverständlich, nicht immer klüger als der einzelne Mensch, aber - und jetzt komme ich zum eigentlichen Problem, das ich mit Ihrem Elitenlob habe - müsse doch in einer Demokratie angehört, beachtet und eingebunden werden. Das Kluge links liegen zu lassen, weil man sich als rechtmäßiger Superstar fühlt, der über dem Gesetz steht, zeugt von dreister Dummheit. Weder gibt es eine Monarchie des Regierens noch eine Monarchie des Wissens. Die Weisen seien lebensklug, da sie auf die Weisheit der Lebensklugen setzen. Ohne demokratische Beratung herrscht über kurz oder lang die diktatorische Ratlosigkeit, und unsere geringen Errungenschaften gehen sang- und klanglos den Bach der Ignoranz runter.
7. Februar
29.
Ein rechtschaffener Mann seyn: stets steht dieser auf der Seite der Wahrheit, mit solcher Festigkeit des Vorsatzes, daß weder die Leidenschaft des großen Haufens, noch die Gewalt des Despoten ihn jemals dahin bringen, die Gränze des Rechts zu übertreten. Allein wer ist dieser Phönix der Gerechtigkeit? Wohl wenige ächte Anhänger hat die Rechtschaffenheit. Zwar rühmen sie Viele, jedoch nicht für ihr Haus. Andre folgen ihr bis zum Punkt der Gefahr: dann aber verleugnen sie die Falschen, verhehlen sie die Politischen. Denn sie kennt keine Rücksicht, sei es, daß sie mit der Freundschaft, mit der Macht, oder mit dem eigenen Interesse sich feindlich begegnete: hier nun liegt die Gefahr abtrünnig zu werden. Jetzt abstrahiren, mit scheinbarer Metaphysik, die Schlauen von ihr, um nicht der Absicht der Höheren oder der Staatsräson in den Weg zu treten. Jedoch der beharrliche Mann hält jede Verstellung für eine Art Verrath: er setzt seinen Werth mehr in seine unerschütterliche Festigkeit, als in seine Klugheit. Stets ist er zu finden, wo die Wahrheit zu finden ist: und fällt er von einer Partei ab, so ist es nicht aus Wankelmuth von seiner, sondern von ihrer Seite, indem sie zuvor von der Sache der Wahrheit abgefallen war.
Präzise auf dem mutigen Punkt inmitten der ewigen Feigheit gelandet. Wunderbar, mein Freund. Extrem schwierig, sich und der Rechtschaffenheit treu zu bleiben, den korrupten Verführungskünsten des Geliebtwerdenwollens, der eklatanten Wucht des nolens volens auf Dauer und unbeschadet zu widerstehen. Wichtig ist mir, Ihre Bemerkung der Grenze des Rechts, die es nicht zu überschreiten gelte, aufzunehmen. Es stellt sich die grundsätzliche Frage nach dem Wesen des Rechts: wer hat es formuliert, handelt es sich um Gewohnheitsrecht oder orientiert es sich an moralischen, strategischen, finanziellen Werten? Sie ahnen, was ich sagen will. Die Konsequenz der absoluten Rechtschaffenheit kann nicht Unbeweglichkeit sein. Recht sei ein Organismus, der sowohl wächst als sich auch bewegt. Verändert sich die Welt, verändert sich das Recht. Ob das auch für die sittlichen Werte gilt? Ich denke: ja. Zwar existiert ein Rechts-Kern, aber selbst die beeindruckenden Menschenrechte, die sich aus dem Denken der amerikanischen und französischen Revolution ergeben haben, reichen hinten und vorne nicht, um die Ansprüche an ein ganzheitliches Recht, das, und ich meine es welt-allumfassend, universalistisch anwendbar ist. Meine Rechtschaffenheit kann nur eine sein, die dem universalistischen Anspruch an ein nachhaltiges Recht gehorcht. Meine individuelle Moral, egal, wie erstklassig ich mich und meine Wertvorstellungen finde, wird diesen Rechtansprüchen niemals genügen. Das rechtschaffende Recht, von dem ich träume, sei ein universelles, das weit über die Menschheit hinausweist. Wir sind nicht allein, unser Recht darf deswegen kein Allein-Recht sein. Wir müssten, ginge es nach mir, für die Vereinten Nationen ein neues Universal-Recht schaffen, dessen Mittelpunkt nicht die Menschheit, sondern der Kosmos sei. Unser Überleben - die Existenz unseres Planeten - hängt von solch einer universellen, altruistischen Rechtschaffenheit ab.
8. Februar
Ein rechtschaffener Mann seyn: stets steht dieser auf der Seite der Wahrheit, mit solcher Festigkeit des Vorsatzes, daß weder die Leidenschaft des großen Haufens, noch die Gewalt des Despoten ihn jemals dahin bringen, die Gränze des Rechts zu übertreten. Allein wer ist dieser Phönix der Gerechtigkeit? Wohl wenige ächte Anhänger hat die Rechtschaffenheit. Zwar rühmen sie Viele, jedoch nicht für ihr Haus. Andre folgen ihr bis zum Punkt der Gefahr: dann aber verleugnen sie die Falschen, verhehlen sie die Politischen. Denn sie kennt keine Rücksicht, sei es, daß sie mit der Freundschaft, mit der Macht, oder mit dem eigenen Interesse sich feindlich begegnete: hier nun liegt die Gefahr abtrünnig zu werden. Jetzt abstrahiren, mit scheinbarer Metaphysik, die Schlauen von ihr, um nicht der Absicht der Höheren oder der Staatsräson in den Weg zu treten. Jedoch der beharrliche Mann hält jede Verstellung für eine Art Verrath: er setzt seinen Werth mehr in seine unerschütterliche Festigkeit, als in seine Klugheit. Stets ist er zu finden, wo die Wahrheit zu finden ist: und fällt er von einer Partei ab, so ist es nicht aus Wankelmuth von seiner, sondern von ihrer Seite, indem sie zuvor von der Sache der Wahrheit abgefallen war.
Präzise auf dem mutigen Punkt inmitten der ewigen Feigheit gelandet. Wunderbar, mein Freund. Extrem schwierig, sich und der Rechtschaffenheit treu zu bleiben, den korrupten Verführungskünsten des Geliebtwerdenwollens, der eklatanten Wucht des nolens volens auf Dauer und unbeschadet zu widerstehen. Wichtig ist mir, Ihre Bemerkung der Grenze des Rechts, die es nicht zu überschreiten gelte, aufzunehmen. Es stellt sich die grundsätzliche Frage nach dem Wesen des Rechts: wer hat es formuliert, handelt es sich um Gewohnheitsrecht oder orientiert es sich an moralischen, strategischen, finanziellen Werten? Sie ahnen, was ich sagen will. Die Konsequenz der absoluten Rechtschaffenheit kann nicht Unbeweglichkeit sein. Recht sei ein Organismus, der sowohl wächst als sich auch bewegt. Verändert sich die Welt, verändert sich das Recht. Ob das auch für die sittlichen Werte gilt? Ich denke: ja. Zwar existiert ein Rechts-Kern, aber selbst die beeindruckenden Menschenrechte, die sich aus dem Denken der amerikanischen und französischen Revolution ergeben haben, reichen hinten und vorne nicht, um die Ansprüche an ein ganzheitliches Recht, das, und ich meine es welt-allumfassend, universalistisch anwendbar ist. Meine Rechtschaffenheit kann nur eine sein, die dem universalistischen Anspruch an ein nachhaltiges Recht gehorcht. Meine individuelle Moral, egal, wie erstklassig ich mich und meine Wertvorstellungen finde, wird diesen Rechtansprüchen niemals genügen. Das rechtschaffende Recht, von dem ich träume, sei ein universelles, das weit über die Menschheit hinausweist. Wir sind nicht allein, unser Recht darf deswegen kein Allein-Recht sein. Wir müssten, ginge es nach mir, für die Vereinten Nationen ein neues Universal-Recht schaffen, dessen Mittelpunkt nicht die Menschheit, sondern der Kosmos sei. Unser Überleben - die Existenz unseres Planeten - hängt von solch einer universellen, altruistischen Rechtschaffenheit ab.
8. Februar