1.
Alles hat heut zu Tage seinen Gipfel erreicht, aber die Kunst sich geltend zu machen, den höchsten. Mehr gehört jetzt zu Einem Weisen, als in alten Zeiten zu sieben: und mehr ist erfordert, um in diesen Zeiten mit einem einzigen Menschen fertig zu werden, als in vorigen mit einem ganzen Volke.
Selbst, Freund, wenn wir glauben, in einzigartigen Zeiten zu leben - und wer dächte das nicht? -, stellt sich alsbald heraus, dass die Umstände des Menschseins stets um wenige Pole kreisen, beständig den gleichen Anziehungs- und Abgrenzungskräften ausgesetzt sind. Und unser Ansehen, nach innen wie nach außen, gehört nun mal unabdingbar zur condition humana. Wir, Sie und ich, sind uns, wahrscheinlich, trotz aller Unterschiede, auf die wir noch oft genug stoßen dürften, ähnlicher als uns lieb ist.
Die Eigengeltung, ehrlich vorgebracht und reich begründet, macht, scheint mir, im Zusammenspiel mit anderen das Sein erst lebenswert. Wer liebt, lässt gelten.
Wer mit dem Gegenüber partout fertig-werden will, missversteht das Leben als Baustelle.
Die Weisheit der Gegenwart basiert nicht nur auf dem Studium der Vergangenheit und dem Interesse an der Zukunft, sondern dem Mut der kreativen Zeitgenossenschaft.
Zu jammern ist die einfachste und, seien wir ehrlich, armseligste Form der Weltflucht.
30. September
Alles hat heut zu Tage seinen Gipfel erreicht, aber die Kunst sich geltend zu machen, den höchsten. Mehr gehört jetzt zu Einem Weisen, als in alten Zeiten zu sieben: und mehr ist erfordert, um in diesen Zeiten mit einem einzigen Menschen fertig zu werden, als in vorigen mit einem ganzen Volke.
Selbst, Freund, wenn wir glauben, in einzigartigen Zeiten zu leben - und wer dächte das nicht? -, stellt sich alsbald heraus, dass die Umstände des Menschseins stets um wenige Pole kreisen, beständig den gleichen Anziehungs- und Abgrenzungskräften ausgesetzt sind. Und unser Ansehen, nach innen wie nach außen, gehört nun mal unabdingbar zur condition humana. Wir, Sie und ich, sind uns, wahrscheinlich, trotz aller Unterschiede, auf die wir noch oft genug stoßen dürften, ähnlicher als uns lieb ist.
Die Eigengeltung, ehrlich vorgebracht und reich begründet, macht, scheint mir, im Zusammenspiel mit anderen das Sein erst lebenswert. Wer liebt, lässt gelten.
Wer mit dem Gegenüber partout fertig-werden will, missversteht das Leben als Baustelle.
Die Weisheit der Gegenwart basiert nicht nur auf dem Studium der Vergangenheit und dem Interesse an der Zukunft, sondern dem Mut der kreativen Zeitgenossenschaft.
Zu jammern ist die einfachste und, seien wir ehrlich, armseligste Form der Weltflucht.
30. September
2.
Herz und Kopf: die beiden Pole der Sonne unserer Fähigkeiten: eines ohne das andere, halbes Glück. Verstand reicht nicht hin; Gemüth ist erfordert. Ein Unglück der Thoren ist Verfehlung des Berufs im Stande, Amt, Lande, Umgang.
Immer wieder, Freund, hat sich im traditionellen Weltverständnis die Idee der Zweiheit breitgemacht. Gut und Böse, Rechts und Links, Mann und Frau. Wir alle kennen die scheinbar bewährten Dualitäten. Besonders die uralte Spaltung, die ewige Grenze, die Sie hier anführen: Herz und Kopf. Dass aus dieser doppelt gespeisten Quelle Glück und Segen fließen, für diese Annahme ließe sich viel, dagegen weniger, aber dennoch einiges sagen.
Manchmal, so ist jedenfalls mein Eindruck, wollen wir das Dasein mit unbändiger Macht, ohne Rücksicht auf Verluste, in eine dialektische Schablone pressen, um, als Krönung, quasi als philosophische Gesamtschau, die Vergewisserung zu haben, dass, am Ende des Tages, Gefühle und Verstand unisono ein gar sinnreiches, vergnügliches, dabei, auch das, existenzialistisch abgründiges, irgendwie weiterhin ertragbares Duett anstimmen, das uns dreierlei vermittelt:
- erstens macht zwar leider rein gar nichts auf Erden wirklich Sinn - wer weiß schon, warum sie oder er ist und nicht nicht-ist? -, aber wir kommen doch gemeinsam halbwegs damit klar;
- zweitens darf die messerscharfe Auslegung von Kennzahlen - etwa die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen, die in unserem Jahrgang geboren sind, was bei mir, um's dingfest zu machen, hieße, dass ich, summa summarum, noch zwanzig knappe Jahre hätte, mit 74, statistisch gesehen, tot wäre - zweitens darf solch messerscharfe Auslegung, die der Verstand forderte, nicht zu sehr den Lebensmut, das Gemüt, unterminieren;
- und drittens - ein, wie ich hoffe, interessanter Punkt - suchen wir doch stets ein Spiegelbild, sowohl der Dinge als auch unserer selbst, das uns erklären soll, was es mit jenen starken Dichotomien auf sich hat, die in uns hausen, welche uns regelrecht zerreißen, die gleichzeitig als Liebeshass, Tagesnacht, Gierfatigue, Munterniedergeschlagenheit gemeinsam existieren.
Soweit die Zustimmung. Dass es standesgemäße Berufe gibt, Freund, hat sich, glücklicherweise, als Unsinn herausgestellt. Ergebnisse sind excellent, wenn sie klasse sind, nicht wenn sie vom KLassenbewusstsein zeugen.
Wer der Freiheit frönt, entdeckt die Unendlichkeit.
Unbekannte Menschen erweitern den Horizont, zu sehr vertraute verengen ihn.
1. Dezember
Herz und Kopf: die beiden Pole der Sonne unserer Fähigkeiten: eines ohne das andere, halbes Glück. Verstand reicht nicht hin; Gemüth ist erfordert. Ein Unglück der Thoren ist Verfehlung des Berufs im Stande, Amt, Lande, Umgang.
Immer wieder, Freund, hat sich im traditionellen Weltverständnis die Idee der Zweiheit breitgemacht. Gut und Böse, Rechts und Links, Mann und Frau. Wir alle kennen die scheinbar bewährten Dualitäten. Besonders die uralte Spaltung, die ewige Grenze, die Sie hier anführen: Herz und Kopf. Dass aus dieser doppelt gespeisten Quelle Glück und Segen fließen, für diese Annahme ließe sich viel, dagegen weniger, aber dennoch einiges sagen.
Manchmal, so ist jedenfalls mein Eindruck, wollen wir das Dasein mit unbändiger Macht, ohne Rücksicht auf Verluste, in eine dialektische Schablone pressen, um, als Krönung, quasi als philosophische Gesamtschau, die Vergewisserung zu haben, dass, am Ende des Tages, Gefühle und Verstand unisono ein gar sinnreiches, vergnügliches, dabei, auch das, existenzialistisch abgründiges, irgendwie weiterhin ertragbares Duett anstimmen, das uns dreierlei vermittelt:
- erstens macht zwar leider rein gar nichts auf Erden wirklich Sinn - wer weiß schon, warum sie oder er ist und nicht nicht-ist? -, aber wir kommen doch gemeinsam halbwegs damit klar;
- zweitens darf die messerscharfe Auslegung von Kennzahlen - etwa die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen, die in unserem Jahrgang geboren sind, was bei mir, um's dingfest zu machen, hieße, dass ich, summa summarum, noch zwanzig knappe Jahre hätte, mit 74, statistisch gesehen, tot wäre - zweitens darf solch messerscharfe Auslegung, die der Verstand forderte, nicht zu sehr den Lebensmut, das Gemüt, unterminieren;
- und drittens - ein, wie ich hoffe, interessanter Punkt - suchen wir doch stets ein Spiegelbild, sowohl der Dinge als auch unserer selbst, das uns erklären soll, was es mit jenen starken Dichotomien auf sich hat, die in uns hausen, welche uns regelrecht zerreißen, die gleichzeitig als Liebeshass, Tagesnacht, Gierfatigue, Munterniedergeschlagenheit gemeinsam existieren.
Soweit die Zustimmung. Dass es standesgemäße Berufe gibt, Freund, hat sich, glücklicherweise, als Unsinn herausgestellt. Ergebnisse sind excellent, wenn sie klasse sind, nicht wenn sie vom KLassenbewusstsein zeugen.
Wer der Freiheit frönt, entdeckt die Unendlichkeit.
Unbekannte Menschen erweitern den Horizont, zu sehr vertraute verengen ihn.
1. Dezember
3.
Ueber sein Vorhaben in Ungewißheit lassen. Die Verwunderung über das Neue ist schon eine Wertschätzung seines Gelingens. Mit offenen Karten spielen, ist weder nützlich noch angenehm. Indem man seine Absicht nicht gleich kund giebt, erregt man die Erwartung, zumal wann man durch die Höhe seines Amts Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit ist. Bei Allem lasse man etwas Geheimnißvolles durchblicken und errege, durch seine Verschlossenheit selbst, Ehrfurcht. Sogar wo man sich herausläßt, vermeide man plan zu sein; eben wie man auch im Umgang sein Inneres nicht Jedem aufschließen darf. Behutsames Schweigen ist das Heiligthum der Klugheit. Das ausgesprochene Vorhaben wurde nie hochgeschätzt, vielmehr liegt es dem Tadel bloß: und nimmt es gar einen ungünstigen Ausgang, so wird man doppelt unglücklich seyn. Man ahme daher dem göttlichen Walten nach, indem man die Leute in Vermuthungen und Unruhe erhält.
Im verlogenen Intrigantenstadl, Freund, fühlen sich viele bemüßigt, wie Sie zu denken und nach Ihren Maximen der Verschleierung zu handeln. Im Verborgenen gewetzte Messer werden am liebsten von hinten in den Rücken gestoßen. Und damit bin ich sogleich beim Einwurf, den ich gegen Ihr zungenfertiges Sprachkeuschheitsgebot habe. Besonders diejenigen, die Übles vorhaben, agieren eben wie Sie's ganz allgemein raten: aus dem Hinterhalt. Das Böse verstellt oder versteckt sich, bis es, ohne Vorwarnung, gnadenlos zuschlägt und plötzlich sein wahres Gesicht zeigt. Ganz ehrlich: solch widerwärtige Geheimnistuerei hat das Gute, meines Erachtens, nicht nötig.
Wenn wir andere an unseren Plänen für eine Verbesserung des Lebens teilhaben lassen, kommen neue Anregungen und das Gute entwickelt sich, nicht zu selten, zum Exzellenten.
Behutsames, dabei leidenschaftliches Reden erklinge im Tempel der Aufklärung.
Zu schweigen, obwohl man etwas besser weiß, hilft der Unvernunft.
Als Egoistin oder Egoist zu sterben, steht den weisen Menschen nicht zu.
Ehrfurcht entstamme der guten, entschlossenen Tat, nicht der lahmen, bösen Absicht.
2. Dezember
Ueber sein Vorhaben in Ungewißheit lassen. Die Verwunderung über das Neue ist schon eine Wertschätzung seines Gelingens. Mit offenen Karten spielen, ist weder nützlich noch angenehm. Indem man seine Absicht nicht gleich kund giebt, erregt man die Erwartung, zumal wann man durch die Höhe seines Amts Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit ist. Bei Allem lasse man etwas Geheimnißvolles durchblicken und errege, durch seine Verschlossenheit selbst, Ehrfurcht. Sogar wo man sich herausläßt, vermeide man plan zu sein; eben wie man auch im Umgang sein Inneres nicht Jedem aufschließen darf. Behutsames Schweigen ist das Heiligthum der Klugheit. Das ausgesprochene Vorhaben wurde nie hochgeschätzt, vielmehr liegt es dem Tadel bloß: und nimmt es gar einen ungünstigen Ausgang, so wird man doppelt unglücklich seyn. Man ahme daher dem göttlichen Walten nach, indem man die Leute in Vermuthungen und Unruhe erhält.
Im verlogenen Intrigantenstadl, Freund, fühlen sich viele bemüßigt, wie Sie zu denken und nach Ihren Maximen der Verschleierung zu handeln. Im Verborgenen gewetzte Messer werden am liebsten von hinten in den Rücken gestoßen. Und damit bin ich sogleich beim Einwurf, den ich gegen Ihr zungenfertiges Sprachkeuschheitsgebot habe. Besonders diejenigen, die Übles vorhaben, agieren eben wie Sie's ganz allgemein raten: aus dem Hinterhalt. Das Böse verstellt oder versteckt sich, bis es, ohne Vorwarnung, gnadenlos zuschlägt und plötzlich sein wahres Gesicht zeigt. Ganz ehrlich: solch widerwärtige Geheimnistuerei hat das Gute, meines Erachtens, nicht nötig.
Wenn wir andere an unseren Plänen für eine Verbesserung des Lebens teilhaben lassen, kommen neue Anregungen und das Gute entwickelt sich, nicht zu selten, zum Exzellenten.
Behutsames, dabei leidenschaftliches Reden erklinge im Tempel der Aufklärung.
Zu schweigen, obwohl man etwas besser weiß, hilft der Unvernunft.
Als Egoistin oder Egoist zu sterben, steht den weisen Menschen nicht zu.
Ehrfurcht entstamme der guten, entschlossenen Tat, nicht der lahmen, bösen Absicht.
2. Dezember
4.
Wissenschaft und Tapferkeit bauen die Größe auf. Sie machen unsterblich, weil sie es sind. Jeder ist so viel, als er weiß, und der Weise vermag Alles. Ein Mensch ohne Kenntnisse; eine Welt im Finstern. Einsicht und Kraft; Augen und Hände. Ohne Muth ist das Wissen unfruchtbar.
Wie fein und grobmotorig zugleich, Freund, Sie hier die Sache erfassen und eingrenzen, auf, buchstäblich, Ihre Weise, versteht sich. Dass große Erfindungen unsterblich machen, sei unbenommen akzeptiert; auch wenn mir das Konzept der Ewigkeit, da ich nicht glaube, fremd bleibt. Deutlich anders verhält's sich dann doch mit der tollen Tapferkeit, die sich, nicht zu selten, als Nagel im Reifen herausstellt und dafür sorgt, dass die Lebensluft rasant verpufft.
Sinnfreie Standhaftigkeit, ummäntelt von Unvernunft und Eitelkeit, kürzt, in aller Regel, die Lebenszeit drastisch ein.
Tapferkeit, die sich wahrhaft lohnt, wirkt nicht zum gefallsüchtigen Ansehen der eigenen Person, sondern hilft einzig und allein der Wertschätzung weltkluger Ideen.
Wissen ohne Mitgefühl neigt zur Diktatur.
Ein gutes Gewissen vereint Sachkunde und Lebensachtung.
3. Dezember
Wissenschaft und Tapferkeit bauen die Größe auf. Sie machen unsterblich, weil sie es sind. Jeder ist so viel, als er weiß, und der Weise vermag Alles. Ein Mensch ohne Kenntnisse; eine Welt im Finstern. Einsicht und Kraft; Augen und Hände. Ohne Muth ist das Wissen unfruchtbar.
Wie fein und grobmotorig zugleich, Freund, Sie hier die Sache erfassen und eingrenzen, auf, buchstäblich, Ihre Weise, versteht sich. Dass große Erfindungen unsterblich machen, sei unbenommen akzeptiert; auch wenn mir das Konzept der Ewigkeit, da ich nicht glaube, fremd bleibt. Deutlich anders verhält's sich dann doch mit der tollen Tapferkeit, die sich, nicht zu selten, als Nagel im Reifen herausstellt und dafür sorgt, dass die Lebensluft rasant verpufft.
Sinnfreie Standhaftigkeit, ummäntelt von Unvernunft und Eitelkeit, kürzt, in aller Regel, die Lebenszeit drastisch ein.
Tapferkeit, die sich wahrhaft lohnt, wirkt nicht zum gefallsüchtigen Ansehen der eigenen Person, sondern hilft einzig und allein der Wertschätzung weltkluger Ideen.
Wissen ohne Mitgefühl neigt zur Diktatur.
Ein gutes Gewissen vereint Sachkunde und Lebensachtung.
3. Dezember
5.
Abhängigkeit begründen. Den Götzen macht nicht der Vergolder, sondern der Anbeter. Wer klug ist, sieht lieber die Leute seiner bedürftig, als ihm dankbar verbunden, sie am Seile der Hoffnung führen, ist Hofmannsart, sich auf ihre Dankbarkeit verlassen, Bauernart: denn letztere ist so vergeßlich, als erstere von gutem Gedächtniß. Man erlangt mehr von der Abhängigkeit als von der verpflichteten Höflichkeit: wer seinen Durst gelöscht hat, kehrt gleich der Quelle den Rücken, und die ausgequetschte Apfelsine fällt von der goldenen Schüssel in den Koth. Hat die Abhängigkeit ein Ende, so wird das gute Vernehmen es auch bald finden und mit diesem die Hochachtung. Es sei also eine Hauptlehre aus der Erfahrung, daß man die Hoffnung zu erhalten, nie aber ganz zu befriedigen hat, vielmehr dafür sorgen soll, immerdar nothwendig zu bleiben, sogar dem gekrönten Herrn. Jedoch soll man dies nicht so sehr übertreiben, daß man etwa schweige, damit er Fehler begehe, und soll nicht, des eigenen Vortheils halber, den fremden Schaden unheilbar machen.
Dies, Freund, stellt ein rechtes Sammelsurium an Ratschlägen und Vorurteilen dar. Gehen wir der Reihe nach vor.
Wer sich als Vergolderin oder Vergolder für die falsche Sache verdingt, frohgemut den Tyranninen und Autokraten dient, kann sich nicht mit der eigenen Kunstfertigkeit herausreden. Das Unrecht aufzuhübschen, macht selbst hässlich. Wem dennoch, trotz besseren Wissens, alles egal ist, solange es ihr oder ihm selbst gut geht, auch wenn alle anderen leiden, sei kein Mensch, sondern, verzeihen Sie die ungewöhnliche Deutlichkeit, aber meine Nation hat im vergangenen Jahrhundert Millionen Mitläuferinnen und Mitläufer produziert, sei eine protofaschistische Fressundscheißmaschine.
Das persönliche Handeln rein teleologisch auf die eigene Stellung hin auszurichten - sei's um Bedürftigkeit zu kreieren, sei's um sich der Dankbarkeit zu vergewissern -, ist armselig. Reich ist, wer großzügig gibt.
Die Quelle zu ehren, hält den Strom am Leben.
Hoffnung, die sich auf leere Versprechungen stützt, verwandelt sich schließlich, unabdingbar, in Abscheu.
Wer andere belügt, belügt auch sich selbst.
In der idealen Demokratie regieren Wahrheit und Idealismus, in der Monarchie Lüge und Schmeichelei.
4. Dezember
Abhängigkeit begründen. Den Götzen macht nicht der Vergolder, sondern der Anbeter. Wer klug ist, sieht lieber die Leute seiner bedürftig, als ihm dankbar verbunden, sie am Seile der Hoffnung führen, ist Hofmannsart, sich auf ihre Dankbarkeit verlassen, Bauernart: denn letztere ist so vergeßlich, als erstere von gutem Gedächtniß. Man erlangt mehr von der Abhängigkeit als von der verpflichteten Höflichkeit: wer seinen Durst gelöscht hat, kehrt gleich der Quelle den Rücken, und die ausgequetschte Apfelsine fällt von der goldenen Schüssel in den Koth. Hat die Abhängigkeit ein Ende, so wird das gute Vernehmen es auch bald finden und mit diesem die Hochachtung. Es sei also eine Hauptlehre aus der Erfahrung, daß man die Hoffnung zu erhalten, nie aber ganz zu befriedigen hat, vielmehr dafür sorgen soll, immerdar nothwendig zu bleiben, sogar dem gekrönten Herrn. Jedoch soll man dies nicht so sehr übertreiben, daß man etwa schweige, damit er Fehler begehe, und soll nicht, des eigenen Vortheils halber, den fremden Schaden unheilbar machen.
Dies, Freund, stellt ein rechtes Sammelsurium an Ratschlägen und Vorurteilen dar. Gehen wir der Reihe nach vor.
Wer sich als Vergolderin oder Vergolder für die falsche Sache verdingt, frohgemut den Tyranninen und Autokraten dient, kann sich nicht mit der eigenen Kunstfertigkeit herausreden. Das Unrecht aufzuhübschen, macht selbst hässlich. Wem dennoch, trotz besseren Wissens, alles egal ist, solange es ihr oder ihm selbst gut geht, auch wenn alle anderen leiden, sei kein Mensch, sondern, verzeihen Sie die ungewöhnliche Deutlichkeit, aber meine Nation hat im vergangenen Jahrhundert Millionen Mitläuferinnen und Mitläufer produziert, sei eine protofaschistische Fressundscheißmaschine.
Das persönliche Handeln rein teleologisch auf die eigene Stellung hin auszurichten - sei's um Bedürftigkeit zu kreieren, sei's um sich der Dankbarkeit zu vergewissern -, ist armselig. Reich ist, wer großzügig gibt.
Die Quelle zu ehren, hält den Strom am Leben.
Hoffnung, die sich auf leere Versprechungen stützt, verwandelt sich schließlich, unabdingbar, in Abscheu.
Wer andere belügt, belügt auch sich selbst.
In der idealen Demokratie regieren Wahrheit und Idealismus, in der Monarchie Lüge und Schmeichelei.
4. Dezember
6.
Seine Vollendung erreichen. Man wird nicht fertig geboren: mit jedem Tage vervollkommnet man sich in seiner Person und seinem Beruf, bis man den Punkt seiner Vollendung erreicht, wo alle Fähigkeiten vollständig, alle vorzüglichen Eigenschaften entwickelt sind. Dies giebt sich daran zu erkennen, daß der Geschmack erhaben, das Denken geläutert, das Urtheil reif, und der Wille rein geworden ist. Manche gelangen nie zur Vollendung, immer fehlt ihnen noch etwas; andere kommen spät zur Reife. Der vollendete Mann, weise in seinen Reden, klug in seinem Thun, wird zum vertrauten Umgang der gescheuten Leute zugelassen, ja gesucht.
Nun ja, Freund, ganz grundsätzlich stimme ich Ihnen zu: niemand kommt ausgereift auf die Welt; wie sollte das auch sein? Die Binsenweisheit allerdings, dass es einen erhabenen Geschmack geben soll, der anzeigt, dass wir die höchste Blüte des Seins erreicht haben, gehört ins Reich der Fabeln. Und dass Sie sich aufs Männliche kaprizieren, sollte mich bei Ihrer Profession und Zeitgebundenheit nicht wundern, tut's dann aber doch. Wer die Hälfte der Welt übersieht, ist ein arger Kleingeist, dem die Lebensklugheit abgeht.
Erhabenheit existiert maximal als Zustand der unablässigen Veränderung.
Jede Stagnation, die sich selbst voller Eigenlob auf die Schultern klopft oder von anderen Bewunderung verlangt, sei ein Zeichen des Starrsinns.
Die einzige Vollendung, die uns gewährt wird, ist der Tod - und der stellt sich als großer Abschneider heraus, dem sowohl das Verweilen als auch die freundliche Ruhe fremd ist.
5. Dezember
Seine Vollendung erreichen. Man wird nicht fertig geboren: mit jedem Tage vervollkommnet man sich in seiner Person und seinem Beruf, bis man den Punkt seiner Vollendung erreicht, wo alle Fähigkeiten vollständig, alle vorzüglichen Eigenschaften entwickelt sind. Dies giebt sich daran zu erkennen, daß der Geschmack erhaben, das Denken geläutert, das Urtheil reif, und der Wille rein geworden ist. Manche gelangen nie zur Vollendung, immer fehlt ihnen noch etwas; andere kommen spät zur Reife. Der vollendete Mann, weise in seinen Reden, klug in seinem Thun, wird zum vertrauten Umgang der gescheuten Leute zugelassen, ja gesucht.
Nun ja, Freund, ganz grundsätzlich stimme ich Ihnen zu: niemand kommt ausgereift auf die Welt; wie sollte das auch sein? Die Binsenweisheit allerdings, dass es einen erhabenen Geschmack geben soll, der anzeigt, dass wir die höchste Blüte des Seins erreicht haben, gehört ins Reich der Fabeln. Und dass Sie sich aufs Männliche kaprizieren, sollte mich bei Ihrer Profession und Zeitgebundenheit nicht wundern, tut's dann aber doch. Wer die Hälfte der Welt übersieht, ist ein arger Kleingeist, dem die Lebensklugheit abgeht.
Erhabenheit existiert maximal als Zustand der unablässigen Veränderung.
Jede Stagnation, die sich selbst voller Eigenlob auf die Schultern klopft oder von anderen Bewunderung verlangt, sei ein Zeichen des Starrsinns.
Die einzige Vollendung, die uns gewährt wird, ist der Tod - und der stellt sich als großer Abschneider heraus, dem sowohl das Verweilen als auch die freundliche Ruhe fremd ist.
5. Dezember
7.
Sich vor dem Siege über Vorgesetzte hüten. Alles Übertreffen ist verhaßt, aber seinen Herrn zu übertreffen ist entweder ein dummer oder ein Schicksalsstreich. Stets war die Ueberlegenheit verabscheut; wieviel mehr die über die Ueberlegenheit selbst. Vorzüge niedriger Gattung wird der Behutsame verhehlen, wie etwa seine persönliche Schönheit durch Nachlässigkeit im Anzüge verleugnen. Es wird sich wohl treffen, daß Jemand an Glücksumständen, ja an Gemüthseigenschaften uns nachzustehen sich bequemt, aber an Verstand kein Einziger; wie viel weniger ein Fürst. Denn der Verstand ist eben die Königliche Eigenschaft und deshalb jeder Angriff auf ihn ein Majestätsverbrechen. Fürsten sind sie, und wollen es in dem seyn, was am meisten auf sich hat. Sie mögen wohl, daß man ihnen hilft, jedoch nicht, daß man sie übertrifft: der ihnen ertheilte Rath sehe daher mehr aus wie eine Erinnerung an das was sie vergaßen, als wie ein ihnen aufgestecktes Licht zu dem was sie nicht finden konnten. Eine glückliche Anleitung zu dieser Feinheit geben uns die Sterne, welche, obwohl hellglänzend und Kinder der Sonne, doch nie so verwegen sind, sich mit den Strahlen dieser zu messen.
Pflückte ich zwei absonderliche Gestalten meiner Zeit, Freund, pickte ich, sagen wir, Trump und Putin heraus, und fragte mich, wie ich's mit den eitlen Despoten halten soll, so käm Ihr Macht-euch-klein-Rat mancher Süzholzrasplerin und manchem Schmeichelaasgeier wohl durchaus zupass. Mich ekelt das Kratzfüßeln und Liebedienern, welches Sie hier als Stiefelleckenstrategie lobhudelnd preisen, dagegen an.
Macht sich die Klugheit klein, weil die Dummheit groß über ihr thront, geht der Schaden, in der Regel, weit über das unmittelbare Verhältnis der beiden hinaus.
Verträgt eine Herrscherin oder ein Herrscher die Wahrheit nicht, gehört die Herrscherin oder der Herrscher abgelöst, nicht die Wahrheit.
Wenig sei ansteckender als Kleinmut und Lüge.
Und wenig halte uns gesünder als Großzügig- und Ehrlichkeit.
6. Dezember
Sich vor dem Siege über Vorgesetzte hüten. Alles Übertreffen ist verhaßt, aber seinen Herrn zu übertreffen ist entweder ein dummer oder ein Schicksalsstreich. Stets war die Ueberlegenheit verabscheut; wieviel mehr die über die Ueberlegenheit selbst. Vorzüge niedriger Gattung wird der Behutsame verhehlen, wie etwa seine persönliche Schönheit durch Nachlässigkeit im Anzüge verleugnen. Es wird sich wohl treffen, daß Jemand an Glücksumständen, ja an Gemüthseigenschaften uns nachzustehen sich bequemt, aber an Verstand kein Einziger; wie viel weniger ein Fürst. Denn der Verstand ist eben die Königliche Eigenschaft und deshalb jeder Angriff auf ihn ein Majestätsverbrechen. Fürsten sind sie, und wollen es in dem seyn, was am meisten auf sich hat. Sie mögen wohl, daß man ihnen hilft, jedoch nicht, daß man sie übertrifft: der ihnen ertheilte Rath sehe daher mehr aus wie eine Erinnerung an das was sie vergaßen, als wie ein ihnen aufgestecktes Licht zu dem was sie nicht finden konnten. Eine glückliche Anleitung zu dieser Feinheit geben uns die Sterne, welche, obwohl hellglänzend und Kinder der Sonne, doch nie so verwegen sind, sich mit den Strahlen dieser zu messen.
Pflückte ich zwei absonderliche Gestalten meiner Zeit, Freund, pickte ich, sagen wir, Trump und Putin heraus, und fragte mich, wie ich's mit den eitlen Despoten halten soll, so käm Ihr Macht-euch-klein-Rat mancher Süzholzrasplerin und manchem Schmeichelaasgeier wohl durchaus zupass. Mich ekelt das Kratzfüßeln und Liebedienern, welches Sie hier als Stiefelleckenstrategie lobhudelnd preisen, dagegen an.
Macht sich die Klugheit klein, weil die Dummheit groß über ihr thront, geht der Schaden, in der Regel, weit über das unmittelbare Verhältnis der beiden hinaus.
Verträgt eine Herrscherin oder ein Herrscher die Wahrheit nicht, gehört die Herrscherin oder der Herrscher abgelöst, nicht die Wahrheit.
Wenig sei ansteckender als Kleinmut und Lüge.
Und wenig halte uns gesünder als Großzügig- und Ehrlichkeit.
6. Dezember
8.
Leidenschaftslos sehn: eine Eigenschaft der höchsten Geistesgröße, deren Ueberlegenheit selbst sie loskauft vom Joche gemeiner äußerer Eindrücke. Keine höhere Herrschaft, als die über sich selbst und über seine Affekten: sie wird zum Triumph des freien Willens. Sollte aber jemals die Leidenschaft sich der Person bemächtigen; so darf sie doch nie sich an das Amt wagen, und um so weniger, je höher solches ist. Dies ist eine edle Art, sich Verdrießlichkeiten zu ersparen, ja sogar auf dem kürzesten Wege zu Ansehn zu gelangen.
Heinrich Manns Untertan, Freund, hätte Ihnen gefallen. Heßling, die Hauptperson, ist obrigkeitshörig und ohne Zivilcourage, ein feiger Konformist, der leidenschaftlos Karriere macht. Eine duckmäuserische Geistesgröße, nicht dumm, aber skrupellos. Ein Anti-Humanist und Frauenhasser wie er im prophetischen Buche steht. Diese Art des Triumphs des freien Willens führt denn auch schnurstracks in den Ersten Weltkrieg, wo, im Namen des Kaisers und der hehren Nation, gemordet und gemetzelt wird, bis sich die soldatischen Panzerleiber im Blut der Unschuldigen suhlen und als Antidemokraten und zukünftige Hitlerwähler heimkehren. Eklig.
Allein wer sich dem Leben stellt, lernt die Liebe.
Schwäche zu zeigen, zeugt von wahrer Größe.
Regiert das Unrecht, gehört es abgesetzt.
Leidenschaft für die Güte widersetzt sich jedweder Gewaltherrschaft.
7. Dezember
Leidenschaftslos sehn: eine Eigenschaft der höchsten Geistesgröße, deren Ueberlegenheit selbst sie loskauft vom Joche gemeiner äußerer Eindrücke. Keine höhere Herrschaft, als die über sich selbst und über seine Affekten: sie wird zum Triumph des freien Willens. Sollte aber jemals die Leidenschaft sich der Person bemächtigen; so darf sie doch nie sich an das Amt wagen, und um so weniger, je höher solches ist. Dies ist eine edle Art, sich Verdrießlichkeiten zu ersparen, ja sogar auf dem kürzesten Wege zu Ansehn zu gelangen.
Heinrich Manns Untertan, Freund, hätte Ihnen gefallen. Heßling, die Hauptperson, ist obrigkeitshörig und ohne Zivilcourage, ein feiger Konformist, der leidenschaftlos Karriere macht. Eine duckmäuserische Geistesgröße, nicht dumm, aber skrupellos. Ein Anti-Humanist und Frauenhasser wie er im prophetischen Buche steht. Diese Art des Triumphs des freien Willens führt denn auch schnurstracks in den Ersten Weltkrieg, wo, im Namen des Kaisers und der hehren Nation, gemordet und gemetzelt wird, bis sich die soldatischen Panzerleiber im Blut der Unschuldigen suhlen und als Antidemokraten und zukünftige Hitlerwähler heimkehren. Eklig.
Allein wer sich dem Leben stellt, lernt die Liebe.
Schwäche zu zeigen, zeugt von wahrer Größe.
Regiert das Unrecht, gehört es abgesetzt.
Leidenschaft für die Güte widersetzt sich jedweder Gewaltherrschaft.
7. Dezember
9.
Nationalfehler verleugnen. Das Wasser nimmt die guten oder schlechten Eigenschaften der Schichten an, durch welche es läuft, und der Mensch die des Klimas, in welchem er geboren wird. Einige haben ihrem Vaterlande mehr zu verdanken als Andere, indem ein günstigerer Himmel sie umfieng. Er giebt keine Nation, selbst nicht unter den gebildetesten, welche davon frei wäre, irgend einen ihr eigenthümlichen Fehler zu haben, welchen die benachbarten zu tadeln nicht ermangeln, entweder um sich davor zu hüten, oder sich damit zu trösten. Es ist eine rühmliche Geschicklichkeit, solche Makel seiner Nation an sich selbst zu bessern, oder wenigstens zu verbergen. Man erlangt dadurch den beifälligen Ruf, der Einzige unter den Seinigen zu seyn: und was am wenigsten erwartet wurde, wird am höchsten geschätzt. Ebenso giebt es Fehler der Familie, des Standes, Amtes und Alters: treffen alle diese in Einem Menschen zusammen, ohne daß die Aufmerksamkeit ihnen entgegenwirkte; so machen sie aus ihm ein unerträgliches Ungeheuer.
Nun ja, Freund, dass wir Doppelgängerinnen und Doppelgänger unserer Nationen sind, ist ein arges Klischee, welches sich größter Beliebtheit bei all denjenigen erfreut, die gern grob über einen Kamm scheren. Eine Technik, die, kaum zu leugnen, zwar Resultate hervorbringt, aber es sowohl an Genauig- als auch Großzügigkeit mangeln lässt. Am Ende, scheint mir, haben Sie und ich, Menschen ganz allgemein, mehr, was uns verbindet als trennt.
Die Xenophoben suchen krampfhaft den und regen sich am vermeintlichen Unterschied auf, weil sie selbst nicht wissen, wer sie eigentlich sind. Ihre Wahrnehmung ist ganz und gar a priori geprägt. Sie brauchen kein Wissen, weil sie alles irgendwie fühlen, alles irgendwie schon immer gewusst haben, sich auf ihren ach so guten Menschenverstand berufen, der doch, in aller Regel, nur eine stinkende Kloake an Vorurteilen, Unwissenheit und Hass ist.
Alter ist an sich kein Fehler, sondern wird allerhöchstens zum Fehler erklärt.
Wer gut ist, unterläuft nahezu jede Konvention.
Das Böse liebt Schablonen.
8. Dezember
Nationalfehler verleugnen. Das Wasser nimmt die guten oder schlechten Eigenschaften der Schichten an, durch welche es läuft, und der Mensch die des Klimas, in welchem er geboren wird. Einige haben ihrem Vaterlande mehr zu verdanken als Andere, indem ein günstigerer Himmel sie umfieng. Er giebt keine Nation, selbst nicht unter den gebildetesten, welche davon frei wäre, irgend einen ihr eigenthümlichen Fehler zu haben, welchen die benachbarten zu tadeln nicht ermangeln, entweder um sich davor zu hüten, oder sich damit zu trösten. Es ist eine rühmliche Geschicklichkeit, solche Makel seiner Nation an sich selbst zu bessern, oder wenigstens zu verbergen. Man erlangt dadurch den beifälligen Ruf, der Einzige unter den Seinigen zu seyn: und was am wenigsten erwartet wurde, wird am höchsten geschätzt. Ebenso giebt es Fehler der Familie, des Standes, Amtes und Alters: treffen alle diese in Einem Menschen zusammen, ohne daß die Aufmerksamkeit ihnen entgegenwirkte; so machen sie aus ihm ein unerträgliches Ungeheuer.
Nun ja, Freund, dass wir Doppelgängerinnen und Doppelgänger unserer Nationen sind, ist ein arges Klischee, welches sich größter Beliebtheit bei all denjenigen erfreut, die gern grob über einen Kamm scheren. Eine Technik, die, kaum zu leugnen, zwar Resultate hervorbringt, aber es sowohl an Genauig- als auch Großzügigkeit mangeln lässt. Am Ende, scheint mir, haben Sie und ich, Menschen ganz allgemein, mehr, was uns verbindet als trennt.
Die Xenophoben suchen krampfhaft den und regen sich am vermeintlichen Unterschied auf, weil sie selbst nicht wissen, wer sie eigentlich sind. Ihre Wahrnehmung ist ganz und gar a priori geprägt. Sie brauchen kein Wissen, weil sie alles irgendwie fühlen, alles irgendwie schon immer gewusst haben, sich auf ihren ach so guten Menschenverstand berufen, der doch, in aller Regel, nur eine stinkende Kloake an Vorurteilen, Unwissenheit und Hass ist.
Alter ist an sich kein Fehler, sondern wird allerhöchstens zum Fehler erklärt.
Wer gut ist, unterläuft nahezu jede Konvention.
Das Böse liebt Schablonen.
8. Dezember
10.
Glück und Ruhm: so unbeständig jenes, so dauerhaft ist dieser: jenes für das Leben, dieser nachher: jenes gegen den Neid, dieser gegen die Vergessenheit. Glück wird gewünscht, bisweilen befördert; Ruhm wird erworben. Der Wunsch nach Ruhm entspringt dem Werthe. Die Fama war und ist noch die Schwester der Giganten: stets folgt sie dem Uebermäßigen, den Ungeheuern, oder den Wundern, dem Gegenstand des Abscheues oder des Beifalls.
Robert Walser, Freund, ein Schriftsteller aus der Schweiz, hat, mittels eines Bleistiftsystems, Mikrogramme verfasst. Winzige Zeichen gesetzt. Das Kleine groß gedacht. Überliefert sind 526 Blätter, unterschiedlicher Art. Entziffert ergeben sie viertausend Druckseiten. Veröffentlicht hat Walser davon wenig, bis nichts, entdeckt hat man sie erst nach seinem Tod. Der Ruhm lag im Schreiben. Gewissermaßen im Schreibenmüssen. Vielleicht ließe sich gar sagen: das Glück lag im Schreibendürfen.
Mir kommt's oft so vor, als könnte ich partout nicht mehr als einige Scheiben Brot essen, einige Gläser Wasser trinken. Was mache ich danach mit dem satten Leib? Häufe ich Körperlichkeit an, um mehr Raum einzunehmen? Kaufe Dinge und horte? Oder genügt mir, was ist? Teile ich, was ich habe? Gebe womöglich alles her, um leicht zu leben? Schreibe mir die Katharsis auf die Fahne? Gehe ich, geläutert, in mich, nehme an, was meiner harrt? Oder erlaube ich den reizenden Verführungen das Eindringen? Schlage, gut gelaunt, regelmäßig über die Stränge? Tanze durchs Leben?
Die Einsamkeit, scheint mir, sei nicht per se ein Ort der Verzweiflung, sondern eher der Vertiefung. Warum ich das als Antwort auf Ihre Apologie des Üppigen gewählt habe, Freund? Zyniker könnten sagen: um meine öffentliche Nicht-Rolle zu rechtfertigen - denen halte ich entgegen, dass die Vergänglichkeit zwischen Krone und Grab keinen Aufschub gewährt, weder den Riesen noch den Zwergen.
Ruhm sei oft ein Raum mit zu vielen Fenstern. Immer und überall von anderen gesehen zu werden, entfremde uns von uns selbst.
Glück, was viele unterschätzen, stellt eine Entscheidung dar. Wer die richtigen Weichen stellt, landet seltener auf Abstellgleisen.
Talent, das sich genügt, lebt und stirbt heiter, selbst als unvollendetes.
9. Dezember
Glück und Ruhm: so unbeständig jenes, so dauerhaft ist dieser: jenes für das Leben, dieser nachher: jenes gegen den Neid, dieser gegen die Vergessenheit. Glück wird gewünscht, bisweilen befördert; Ruhm wird erworben. Der Wunsch nach Ruhm entspringt dem Werthe. Die Fama war und ist noch die Schwester der Giganten: stets folgt sie dem Uebermäßigen, den Ungeheuern, oder den Wundern, dem Gegenstand des Abscheues oder des Beifalls.
Robert Walser, Freund, ein Schriftsteller aus der Schweiz, hat, mittels eines Bleistiftsystems, Mikrogramme verfasst. Winzige Zeichen gesetzt. Das Kleine groß gedacht. Überliefert sind 526 Blätter, unterschiedlicher Art. Entziffert ergeben sie viertausend Druckseiten. Veröffentlicht hat Walser davon wenig, bis nichts, entdeckt hat man sie erst nach seinem Tod. Der Ruhm lag im Schreiben. Gewissermaßen im Schreibenmüssen. Vielleicht ließe sich gar sagen: das Glück lag im Schreibendürfen.
Mir kommt's oft so vor, als könnte ich partout nicht mehr als einige Scheiben Brot essen, einige Gläser Wasser trinken. Was mache ich danach mit dem satten Leib? Häufe ich Körperlichkeit an, um mehr Raum einzunehmen? Kaufe Dinge und horte? Oder genügt mir, was ist? Teile ich, was ich habe? Gebe womöglich alles her, um leicht zu leben? Schreibe mir die Katharsis auf die Fahne? Gehe ich, geläutert, in mich, nehme an, was meiner harrt? Oder erlaube ich den reizenden Verführungen das Eindringen? Schlage, gut gelaunt, regelmäßig über die Stränge? Tanze durchs Leben?
Die Einsamkeit, scheint mir, sei nicht per se ein Ort der Verzweiflung, sondern eher der Vertiefung. Warum ich das als Antwort auf Ihre Apologie des Üppigen gewählt habe, Freund? Zyniker könnten sagen: um meine öffentliche Nicht-Rolle zu rechtfertigen - denen halte ich entgegen, dass die Vergänglichkeit zwischen Krone und Grab keinen Aufschub gewährt, weder den Riesen noch den Zwergen.
Ruhm sei oft ein Raum mit zu vielen Fenstern. Immer und überall von anderen gesehen zu werden, entfremde uns von uns selbst.
Glück, was viele unterschätzen, stellt eine Entscheidung dar. Wer die richtigen Weichen stellt, landet seltener auf Abstellgleisen.
Talent, das sich genügt, lebt und stirbt heiter, selbst als unvollendetes.
9. Dezember
11.
Mit dem umgehen,von dem man lernen kann. Der freundschaftliche Umgang sei eine Schule der Kenntnisse, und die Unterhaltung bildende Belehrung: aus seinen Freunden mache man Lehrer und lasse den Nutzen des Lernens und das Vergnügen der Unterhaltung sich wechselseitig durchdringen. Mit Leuten von Einsicht hat man einen abwechselnden Genuß, indem man, für das was man sagt, Beifall und von dem was man hört, Nutzen einerntet. Was uns zu Andern führt, ist gewöhnlich unser eigenes Interesse: dies ist hier jedoch höherer Art. Der Aufmerksame besucht häufig die Häuser jener großartigen Hofleute, welche mehr Schauplätze der Größe als Paläste der Eitelkeit sind. Es giebt Herren, welche im Ruf der Weltklugheit stehn: nicht nur sind diese selbst, durch ihr Beispiel und ihren Umgang, Orakel aller Größe, sondern auch die sie umgebende Schaar bildet eine höfische Akademie guter und edler Klugheit jeder Art.
Nun ja, der einfache Spott an ihrer schon jetzt, nach wenigen Briefen mir wohlbekannten Untertanenleidenschaft und Bücklingslust, Freund, bleibt mir im Halse stecken, da ich, bin ich ehrlich, woran mir gelegen ist, da ich selbst die armselige Tendenz verspüre, den vermeintlich Klugen - buchstäblich - den Hof zu machen, um von den dort gereichten Gerichten der anerkannten und gerade erfolgreichen Modeweisheit reichlich zu speisen, mir den rebellischen Bauch mit dem Jargon der Zeit vollzuschlagen, um ein ruhiges Leben zu führen. Hier ergeben sich nun aber allerlei Einwände: etablierte Häuser verköstigen seltener wilde Geister, die per se gegen das stänkern, was in diesen Häusern als Wohlduft aufgetischt wird. Und das Dauernicken, welches als Eintrittskarte beim Betreten solcher Etablissements eben gleich mitgelöst wird, verursacht mir arge Kopfschmerzen. Meine Gedanken haben etwas gegen das Opportunistische; manchmal, was wirklich seltsam ist, geht diese Abscheu gegen das Etablierte sogar so weit, dass ich zunächst selbst das Gute aus Prinzip ablehne; meistens finde ich irgendwann allerdings an die Küste der Vernunft zurück.
Weisheit liegt an und in uns. Als servierbare Angelegenheit existiert sie dagegen nicht.
Anderer Leute Klugheit sei eher nicht ansteckend; mit der Dummheit verhält's sich deutlich anders.
Wer sich selbst treu bleibt, hält die Untreue der anderen besser aus.
10. Dezember
Mit dem umgehen,von dem man lernen kann. Der freundschaftliche Umgang sei eine Schule der Kenntnisse, und die Unterhaltung bildende Belehrung: aus seinen Freunden mache man Lehrer und lasse den Nutzen des Lernens und das Vergnügen der Unterhaltung sich wechselseitig durchdringen. Mit Leuten von Einsicht hat man einen abwechselnden Genuß, indem man, für das was man sagt, Beifall und von dem was man hört, Nutzen einerntet. Was uns zu Andern führt, ist gewöhnlich unser eigenes Interesse: dies ist hier jedoch höherer Art. Der Aufmerksame besucht häufig die Häuser jener großartigen Hofleute, welche mehr Schauplätze der Größe als Paläste der Eitelkeit sind. Es giebt Herren, welche im Ruf der Weltklugheit stehn: nicht nur sind diese selbst, durch ihr Beispiel und ihren Umgang, Orakel aller Größe, sondern auch die sie umgebende Schaar bildet eine höfische Akademie guter und edler Klugheit jeder Art.
Nun ja, der einfache Spott an ihrer schon jetzt, nach wenigen Briefen mir wohlbekannten Untertanenleidenschaft und Bücklingslust, Freund, bleibt mir im Halse stecken, da ich, bin ich ehrlich, woran mir gelegen ist, da ich selbst die armselige Tendenz verspüre, den vermeintlich Klugen - buchstäblich - den Hof zu machen, um von den dort gereichten Gerichten der anerkannten und gerade erfolgreichen Modeweisheit reichlich zu speisen, mir den rebellischen Bauch mit dem Jargon der Zeit vollzuschlagen, um ein ruhiges Leben zu führen. Hier ergeben sich nun aber allerlei Einwände: etablierte Häuser verköstigen seltener wilde Geister, die per se gegen das stänkern, was in diesen Häusern als Wohlduft aufgetischt wird. Und das Dauernicken, welches als Eintrittskarte beim Betreten solcher Etablissements eben gleich mitgelöst wird, verursacht mir arge Kopfschmerzen. Meine Gedanken haben etwas gegen das Opportunistische; manchmal, was wirklich seltsam ist, geht diese Abscheu gegen das Etablierte sogar so weit, dass ich zunächst selbst das Gute aus Prinzip ablehne; meistens finde ich irgendwann allerdings an die Küste der Vernunft zurück.
Weisheit liegt an und in uns. Als servierbare Angelegenheit existiert sie dagegen nicht.
Anderer Leute Klugheit sei eher nicht ansteckend; mit der Dummheit verhält's sich deutlich anders.
Wer sich selbst treu bleibt, hält die Untreue der anderen besser aus.
10. Dezember
12.
Natur und Kunst: der Stoff und das Werk. Keine Schönheit besteht ohne Nachhülfe, und jede Vollkommenheit artet in Barbarei aus, wenn sie nicht von der Kunst erhöht wird: diese hilft dem Schlechten ab und vervollkommnet das Gute. Die Natur verläßt uns gemeinhin beim Besten: nehmen wir unsere Zuflucht zur Kunst. Ohne sie ist die beste natürliche Anlage ungebildet, und den Vollkommenheiten fehlt die Hälfte, wenn ihnen die Bildung fehlt. Jeder Mensch hat, ohne künstliche Bildung, etwas Rohes, und bedarf, in jeder Art von Vollkommenheit, der Politur.
Faszinierende Thesen, Freund, kultur-darwinistische Hammerschläge, die Sie hier setzen, die der Natur einen zweiten, untergeordneten Rang einräumen, die Kunst, im weitesten Sinne, über das Ursprüngliche stellen. Im Laufe der Zeiten hat's diese Auseinandersetzung zwischen dem vermeintlich Rohen und dem vermeinlich Zivilisierten immer und immer wieder gegeben. Jede Generation pflegt neue Antworten auf diese Dichotomie zu suchen und, keine Überraschung, auch zu finden. Ich selbst bin zwischen den Polen oft genug hin- und hergeirrt, habe abwechselnd das eine für klüger, das andere für dümmer gehalten. Allmählich setzt sich bei mir die Auffassung durch, dass die Unterscheidung eine arbiträre ist. Wer Grenzen zwischen der Natur und der Kunst zieht, verfolgt Interessen, die wenig mit den Produkten und Lebensumständen, aber viel mit Machtfragen zu tun haben.
Ideologien trennt am Ende nur die Frage, wer wie andere ausbeutet.
Natur sei die Kunst in (Un)Vollendung. Kunst sei (un)vollendete Natur.
Kultur vereint beides, Natur und Kunst - und macht weder vor der Materie noch dem Stofflosen Halt.
Wer gut lebt, lebt in und mit der Welt, nicht gegen sie.
11. Dezember
Natur und Kunst: der Stoff und das Werk. Keine Schönheit besteht ohne Nachhülfe, und jede Vollkommenheit artet in Barbarei aus, wenn sie nicht von der Kunst erhöht wird: diese hilft dem Schlechten ab und vervollkommnet das Gute. Die Natur verläßt uns gemeinhin beim Besten: nehmen wir unsere Zuflucht zur Kunst. Ohne sie ist die beste natürliche Anlage ungebildet, und den Vollkommenheiten fehlt die Hälfte, wenn ihnen die Bildung fehlt. Jeder Mensch hat, ohne künstliche Bildung, etwas Rohes, und bedarf, in jeder Art von Vollkommenheit, der Politur.
Faszinierende Thesen, Freund, kultur-darwinistische Hammerschläge, die Sie hier setzen, die der Natur einen zweiten, untergeordneten Rang einräumen, die Kunst, im weitesten Sinne, über das Ursprüngliche stellen. Im Laufe der Zeiten hat's diese Auseinandersetzung zwischen dem vermeintlich Rohen und dem vermeinlich Zivilisierten immer und immer wieder gegeben. Jede Generation pflegt neue Antworten auf diese Dichotomie zu suchen und, keine Überraschung, auch zu finden. Ich selbst bin zwischen den Polen oft genug hin- und hergeirrt, habe abwechselnd das eine für klüger, das andere für dümmer gehalten. Allmählich setzt sich bei mir die Auffassung durch, dass die Unterscheidung eine arbiträre ist. Wer Grenzen zwischen der Natur und der Kunst zieht, verfolgt Interessen, die wenig mit den Produkten und Lebensumständen, aber viel mit Machtfragen zu tun haben.
Ideologien trennt am Ende nur die Frage, wer wie andere ausbeutet.
Natur sei die Kunst in (Un)Vollendung. Kunst sei (un)vollendete Natur.
Kultur vereint beides, Natur und Kunst - und macht weder vor der Materie noch dem Stofflosen Halt.
Wer gut lebt, lebt in und mit der Welt, nicht gegen sie.
11. Dezember
13.
Bald aus zweiter, bald aus erster Absicht handeln. Ein Krieg ist das Leben des Menschen gegen die Bosheit des Menschen. Die Klugheit führt ihn, indem sie sich der Kriegslisten, hinsichtlich ihres Vorhabens, bedient. Nie thut sie das, was sie vorgiebt, sondern zielt nur, um zu täuschen. Mit Geschicklichkeit macht sie Luftstreiche; dann aber führt sie in der Wirklichkeit etwas Unerwartetes aus, stets darauf bedacht ihr Spiel zu verbergen. Eine Absicht läßt sie erblicken, um die Aufmerksamkeit des Gegners dahin zu ziehen, kehrt ihr aber gleich wieder den Rücken und siegt durch das, woran Keiner gedacht. Jedoch kommt ihr andrerseits ein durchdringender Scharfsinn durch seine Aufmerksamkeit zuvor und belauert sie mit schlauer Ueberlegung: stets versteht er das Gegentheil von dem, was man ihm zu verstehn giebt, und erkennt sogleich jedes falsche Miene machen. Die erste Absicht läßt er immer vorüber gehn, wartet auf die zweite, ja auf die dritte. Indem jetzt die Verstellung ihre Künste erkannt sieht, steigert sie sich noch höher und versucht nunmehr durch die Wahrheit selbst zu täuschen: sie ändert ihr Spiel, um ihre List zu ändern, und läßt das nicht Erkünstelte als erkünstelt erscheinen, indem sie so ihren Betrug auf die vollkommenste Aufrichtigkeit gründet. Aber die beobachtende Schlauheit ist auf ihrem Posten, strengt ihren Scharfblick an und entdeckt die in Licht gehüllte Finsterniß: sie entziffert jenes Vorhaben, welches je aufrichtiger, desto trügerischer war. Auf solche Weise kämpft die Arglist des Python gegen den Glanz der durchdringenden Strahlen Apollo's.
Folgte ich, Freund, Ihrem immerwährenden Argwohn und vermutete hinter allem einen doppelten, dreifachen, vierfachen Boden, stürzte ich zwangsläufig unablässig ins Bodenlose. Nichts wäre gut. Selbst das vordergründig Liebenswürdige enthielte bösartige Hintergedanken. Ihre Misanthropie mag wohl auf akkuraten Beobachtungen fußen oder ihren Grund in Ihnen selbst haben - es gibt nun mal Menschenfeinde, die selbst im Frühlingsmorgen den Schneesturm wittern -, allein meine Wirklichkeit bildet solch langweilige Lebensverneinung nicht ab. Defätismus, es sei gesagt, ist ansteckend; ein Grund, warum ich Miesmacher und Pessimistinnen tunlichst meide.
Wer das Böse sucht, um sich ihm anzuschließen, findet es sowohl bestimmt in sich selbst als auch in anderen, denen das Eigenwohl wichtiger als der Gemeinsinn ist.
Das Gute gilt's zu kultivieren, zu stärken und zu schützen - ist's dann allerdings kraftvoll genug, kann das Böse einpacken.
Die Manierlichen und Glücklichen kennen nichts als Mitleid mit den Übelgesonnenen und Hassgetriebenen.
Wer unter allen Umständen auf den Kampf aus ist, stirbt irgendwann auf dem Schlachtfeld.
Liebe kennt keine Konkurrenz.
12. Dezember
Bald aus zweiter, bald aus erster Absicht handeln. Ein Krieg ist das Leben des Menschen gegen die Bosheit des Menschen. Die Klugheit führt ihn, indem sie sich der Kriegslisten, hinsichtlich ihres Vorhabens, bedient. Nie thut sie das, was sie vorgiebt, sondern zielt nur, um zu täuschen. Mit Geschicklichkeit macht sie Luftstreiche; dann aber führt sie in der Wirklichkeit etwas Unerwartetes aus, stets darauf bedacht ihr Spiel zu verbergen. Eine Absicht läßt sie erblicken, um die Aufmerksamkeit des Gegners dahin zu ziehen, kehrt ihr aber gleich wieder den Rücken und siegt durch das, woran Keiner gedacht. Jedoch kommt ihr andrerseits ein durchdringender Scharfsinn durch seine Aufmerksamkeit zuvor und belauert sie mit schlauer Ueberlegung: stets versteht er das Gegentheil von dem, was man ihm zu verstehn giebt, und erkennt sogleich jedes falsche Miene machen. Die erste Absicht läßt er immer vorüber gehn, wartet auf die zweite, ja auf die dritte. Indem jetzt die Verstellung ihre Künste erkannt sieht, steigert sie sich noch höher und versucht nunmehr durch die Wahrheit selbst zu täuschen: sie ändert ihr Spiel, um ihre List zu ändern, und läßt das nicht Erkünstelte als erkünstelt erscheinen, indem sie so ihren Betrug auf die vollkommenste Aufrichtigkeit gründet. Aber die beobachtende Schlauheit ist auf ihrem Posten, strengt ihren Scharfblick an und entdeckt die in Licht gehüllte Finsterniß: sie entziffert jenes Vorhaben, welches je aufrichtiger, desto trügerischer war. Auf solche Weise kämpft die Arglist des Python gegen den Glanz der durchdringenden Strahlen Apollo's.
Folgte ich, Freund, Ihrem immerwährenden Argwohn und vermutete hinter allem einen doppelten, dreifachen, vierfachen Boden, stürzte ich zwangsläufig unablässig ins Bodenlose. Nichts wäre gut. Selbst das vordergründig Liebenswürdige enthielte bösartige Hintergedanken. Ihre Misanthropie mag wohl auf akkuraten Beobachtungen fußen oder ihren Grund in Ihnen selbst haben - es gibt nun mal Menschenfeinde, die selbst im Frühlingsmorgen den Schneesturm wittern -, allein meine Wirklichkeit bildet solch langweilige Lebensverneinung nicht ab. Defätismus, es sei gesagt, ist ansteckend; ein Grund, warum ich Miesmacher und Pessimistinnen tunlichst meide.
Wer das Böse sucht, um sich ihm anzuschließen, findet es sowohl bestimmt in sich selbst als auch in anderen, denen das Eigenwohl wichtiger als der Gemeinsinn ist.
Das Gute gilt's zu kultivieren, zu stärken und zu schützen - ist's dann allerdings kraftvoll genug, kann das Böse einpacken.
Die Manierlichen und Glücklichen kennen nichts als Mitleid mit den Übelgesonnenen und Hassgetriebenen.
Wer unter allen Umständen auf den Kampf aus ist, stirbt irgendwann auf dem Schlachtfeld.
Liebe kennt keine Konkurrenz.
12. Dezember
14.
Die Sache und die Art. Das Wesentliche in den Dingen ist nicht ausreichend, auch die begleitenden Umstände sind erfordert. Eine schlechte Art verdirbt Alles, sogar Recht und Vernunft; die gute Art hingegen kann Alles ersetzen, vergoldet das Nein, versüßt die Wahrheit und schminkt das Alter selbst. Das Wie thut gar viel bei den Sachen: die artige Manier ist ein Taschendieb der Herzen. Ein schönes Benehmen ist der Schmuck des Lebens, und jeder angenehme Ausdruck hilft wundervoll von der Stelle.
Seltsam, Freund, ich denke, Sie stimmen mir zu, seltsam mutet's an, dass artifiziell eben nicht nür künstlich, im positiven Sinne, sondern auch schlichtweg falsch bedeutet. Hier liegt der soeben gelobten Kunst ein fragwürdiges Pseudo zugrunde, ein willkürliches Mit-aller-Gewalt-Wollen, das über die Zeitläufte zuverlässig auf wenig Gegenliebe stößt, als Manierismus gar mit größter Leidenschaft verachtet wird. So stimm ich Ihnen also zu, dass die Art und Weise, wie wir eine Angelegenheit angehen, über Wohl und Wehe entscheiden kann. Allein: am Ende, zumal unter vernünftigen Leuten, spielt die Verpackung keine oder doch nur eine marginale Rolle bei der Beurteilung eines Sachverhalts.
Ist der Kern faul, hilft die schönste Hülle nichts.
Schmeicheleien machen Leichen nicht lebendig.
Ist alles reine Artigkeit, laufen die Gescheiten schnellstens davon.
Im Zwist lebt der Geist, beim Jasagen stirbt er.
13. Dezember
Die Sache und die Art. Das Wesentliche in den Dingen ist nicht ausreichend, auch die begleitenden Umstände sind erfordert. Eine schlechte Art verdirbt Alles, sogar Recht und Vernunft; die gute Art hingegen kann Alles ersetzen, vergoldet das Nein, versüßt die Wahrheit und schminkt das Alter selbst. Das Wie thut gar viel bei den Sachen: die artige Manier ist ein Taschendieb der Herzen. Ein schönes Benehmen ist der Schmuck des Lebens, und jeder angenehme Ausdruck hilft wundervoll von der Stelle.
Seltsam, Freund, ich denke, Sie stimmen mir zu, seltsam mutet's an, dass artifiziell eben nicht nür künstlich, im positiven Sinne, sondern auch schlichtweg falsch bedeutet. Hier liegt der soeben gelobten Kunst ein fragwürdiges Pseudo zugrunde, ein willkürliches Mit-aller-Gewalt-Wollen, das über die Zeitläufte zuverlässig auf wenig Gegenliebe stößt, als Manierismus gar mit größter Leidenschaft verachtet wird. So stimm ich Ihnen also zu, dass die Art und Weise, wie wir eine Angelegenheit angehen, über Wohl und Wehe entscheiden kann. Allein: am Ende, zumal unter vernünftigen Leuten, spielt die Verpackung keine oder doch nur eine marginale Rolle bei der Beurteilung eines Sachverhalts.
Ist der Kern faul, hilft die schönste Hülle nichts.
Schmeicheleien machen Leichen nicht lebendig.
Ist alles reine Artigkeit, laufen die Gescheiten schnellstens davon.
Im Zwist lebt der Geist, beim Jasagen stirbt er.
13. Dezember
15.
Aushelfende Geister haben. Es ist ein Glück der Mächtigen, daß sie Männer von ausgezeichneter Einsicht sich beigesellen können: diese entreißen sie jeder Gefahr der Unwissenheit, und müssen schwierige Streitfragen für sie erörtern. Es liegt eine besondere Größe darin, die Weisen in seinem Dienst zu haben, und solche übertrifft bei Weitem den barbarischen Geschmack des Tigranes, der etwas darin suchte, gefangene Könige zu Dienern zu haben. Eine ganz neue Herrlichkeit ist es, und zwar im Besten des Lebens, künstlich die zu Dienern zu machen, welche die Natur hoch über uns gestellt hat. Das Wissen ist lang, das Leben kurz, und wer nichts weiß, der lebt auch nicht. Da ist es denn ungemein geschickt, ohne Müheaufwand zu studiren, und zwar viel durch Viele, um durch sie Alle gelehrt zu seyn. Da redet man nachher in der Versammlung für Viele, indem aus Eines Munde so Viele reden, als man vorher zu Rathe gezogen hat: so erlangt man, durch fremden Schweiß, den Ruf eines Orakels. Jene aushelfenden Geister suchen zuvörderst die Lection zusammen und tischen sie uns sodann in Quintessenzen des Wissens auf. Wer nun aber es nicht dahin bringen kann, die Weisen in seinem Dienst zu haben, ziehe Nutzen von ihnen im Umgang.
Das Deliberieren, Freund, ist und bleibt die vornehmste Art des Lernens, ob's in Gesellschaft oder aus Büchern passiert, ist dabei einerlei. Menschen, die das Glück haben, sich sich mit anderen zu beraten, Meinungen und Wissen auszutauschen, im freien Diskurs Un- und Angenehmens zu beleuchten und, bei Bedarf, vermeintliche Tatsachen als falsch zu verwerfen, sind zu beneiden. Wenig bringt mir persönlich mehr, als wenn mich Freundinnen und Freunde oder Fremde berechtigterweise in die Schranken weisen und mir neue Wege aufzeigen. Hierbei, in der Kunst und Wissenschaft, in der Familie und im Beruf, gibt's keinen Primus inter pares. Alle kritisieren sich gegenseitig, keine oder keiner hat Macht und Wahrheit gepachtet. Das sieht, Freund, bei Ihrer Hofhaltung erheblich anders aus. Es hängt am Herrscher, der großzügig Audienz gewährt und sich, sowohl zum Lernen als auch zur Belustigung, Wissen auftischen lässt.
Verhindert die Hierarchie die Wahrheit, gehört die Hierarchie abgeschafft - nicht die Wahrheit.
Dem Dummen hilft der beste Ratschlag wenig.
Weder Geschlecht noch Herkunft, weder Bildung noch Reichtum, weder Phänotyp noch sexuelle Orientierung, weder Alter noch Schönheit, weder Nicht-Behinderung noch Behinderung, weder Sprache noch Wohnort, weder Nicht-Glaube noch Glaube, weder gesund noch krank spielen in einer idealen Demokratie, die auf einer idealen Verfassung beruht, irgendeine Rolle.
Die Akzeptanz der berechtigten und höflichen Korrektur sorgt für ein gelungenes Leben.
14. Dezember
Aushelfende Geister haben. Es ist ein Glück der Mächtigen, daß sie Männer von ausgezeichneter Einsicht sich beigesellen können: diese entreißen sie jeder Gefahr der Unwissenheit, und müssen schwierige Streitfragen für sie erörtern. Es liegt eine besondere Größe darin, die Weisen in seinem Dienst zu haben, und solche übertrifft bei Weitem den barbarischen Geschmack des Tigranes, der etwas darin suchte, gefangene Könige zu Dienern zu haben. Eine ganz neue Herrlichkeit ist es, und zwar im Besten des Lebens, künstlich die zu Dienern zu machen, welche die Natur hoch über uns gestellt hat. Das Wissen ist lang, das Leben kurz, und wer nichts weiß, der lebt auch nicht. Da ist es denn ungemein geschickt, ohne Müheaufwand zu studiren, und zwar viel durch Viele, um durch sie Alle gelehrt zu seyn. Da redet man nachher in der Versammlung für Viele, indem aus Eines Munde so Viele reden, als man vorher zu Rathe gezogen hat: so erlangt man, durch fremden Schweiß, den Ruf eines Orakels. Jene aushelfenden Geister suchen zuvörderst die Lection zusammen und tischen sie uns sodann in Quintessenzen des Wissens auf. Wer nun aber es nicht dahin bringen kann, die Weisen in seinem Dienst zu haben, ziehe Nutzen von ihnen im Umgang.
Das Deliberieren, Freund, ist und bleibt die vornehmste Art des Lernens, ob's in Gesellschaft oder aus Büchern passiert, ist dabei einerlei. Menschen, die das Glück haben, sich sich mit anderen zu beraten, Meinungen und Wissen auszutauschen, im freien Diskurs Un- und Angenehmens zu beleuchten und, bei Bedarf, vermeintliche Tatsachen als falsch zu verwerfen, sind zu beneiden. Wenig bringt mir persönlich mehr, als wenn mich Freundinnen und Freunde oder Fremde berechtigterweise in die Schranken weisen und mir neue Wege aufzeigen. Hierbei, in der Kunst und Wissenschaft, in der Familie und im Beruf, gibt's keinen Primus inter pares. Alle kritisieren sich gegenseitig, keine oder keiner hat Macht und Wahrheit gepachtet. Das sieht, Freund, bei Ihrer Hofhaltung erheblich anders aus. Es hängt am Herrscher, der großzügig Audienz gewährt und sich, sowohl zum Lernen als auch zur Belustigung, Wissen auftischen lässt.
Verhindert die Hierarchie die Wahrheit, gehört die Hierarchie abgeschafft - nicht die Wahrheit.
Dem Dummen hilft der beste Ratschlag wenig.
Weder Geschlecht noch Herkunft, weder Bildung noch Reichtum, weder Phänotyp noch sexuelle Orientierung, weder Alter noch Schönheit, weder Nicht-Behinderung noch Behinderung, weder Sprache noch Wohnort, weder Nicht-Glaube noch Glaube, weder gesund noch krank spielen in einer idealen Demokratie, die auf einer idealen Verfassung beruht, irgendeine Rolle.
Die Akzeptanz der berechtigten und höflichen Korrektur sorgt für ein gelungenes Leben.
14. Dezember
16.
Einsicht mit redlicher Absicht: zusammen verbürgen sie durchgängiges Gelingen. Ein widernatürliches Ungeheuer war stets ein guter Verstand vereint mit einem bösen Willen. Die böswillige Absicht ist ein Gift aller Vollkommenheiten; vom Wissen unterstützt verdirbt sie auf eine feinere Weise. Unseelige Überlegenheit, die zur Verworfenheit verwendet wird! – Wissenschaft ohne Verstand ist doppelte Narrheit.
Fast muss ich mich kneifen, Freund! Wie angenehm - keine Silbe des Widerspruchs ist nötig, Sie treffen den Nagel präzise auf den Kopf, und ich sonne mich in Ihrer analytischen Strahlkraft, der Fixsternleistung, die Zeit und Raum mit Einsicht und Verstand vereint. Es wird, so ist der Mensch, unermesslich viel gezankt, sich gegenseitig abgezockt, und Fallen werden ausgelegt, dass selbst Redliche sich möglichst eng verheddern und stolpernd, sich fies entblößend vom Pfad abkommen. Dabei liegt in der Liebe doch auch Vernunft, liegt im Glück doch auch ein Wirklichkeitssinn, der des Schicksals üble Gewissheit, den Tod, für einige Zeit außer Kraft setzt.
Sich allein der Wissenschaft zu verschreiben, um an Geld zu kommen, führt zwangsläufig zu amoralischen Entdeckungen. Denn wer lange genug ins Klo greift, stößt eben irgendwann auf Kot.
Geliebt zu werden, macht den Ärmsten reich.
Zu bestechen, sichert niemals mehr als den unmittelbaren Augenblick; häufig nicht mal den.
15. Dezember
Einsicht mit redlicher Absicht: zusammen verbürgen sie durchgängiges Gelingen. Ein widernatürliches Ungeheuer war stets ein guter Verstand vereint mit einem bösen Willen. Die böswillige Absicht ist ein Gift aller Vollkommenheiten; vom Wissen unterstützt verdirbt sie auf eine feinere Weise. Unseelige Überlegenheit, die zur Verworfenheit verwendet wird! – Wissenschaft ohne Verstand ist doppelte Narrheit.
Fast muss ich mich kneifen, Freund! Wie angenehm - keine Silbe des Widerspruchs ist nötig, Sie treffen den Nagel präzise auf den Kopf, und ich sonne mich in Ihrer analytischen Strahlkraft, der Fixsternleistung, die Zeit und Raum mit Einsicht und Verstand vereint. Es wird, so ist der Mensch, unermesslich viel gezankt, sich gegenseitig abgezockt, und Fallen werden ausgelegt, dass selbst Redliche sich möglichst eng verheddern und stolpernd, sich fies entblößend vom Pfad abkommen. Dabei liegt in der Liebe doch auch Vernunft, liegt im Glück doch auch ein Wirklichkeitssinn, der des Schicksals üble Gewissheit, den Tod, für einige Zeit außer Kraft setzt.
Sich allein der Wissenschaft zu verschreiben, um an Geld zu kommen, führt zwangsläufig zu amoralischen Entdeckungen. Denn wer lange genug ins Klo greift, stößt eben irgendwann auf Kot.
Geliebt zu werden, macht den Ärmsten reich.
Zu bestechen, sichert niemals mehr als den unmittelbaren Augenblick; häufig nicht mal den.
15. Dezember
17.
Abwechselung in der Art zu verfahren: man verfahre nicht immer auf gleiche Weise, damit man die Aufmerksamkeit, zumal die der Widersacher, verwirre: nicht stets aus der ersten Absicht; sonst werden jene diesen einförmigen Gang bald ausgelernt haben, und uns zuvorkommen, oder gar unser Thun vereiteln. Es ist leicht den Vogel im Fluge zu treffen, der ihn in grade fortgesetzter Richtung, nicht aber den, der ihn in gewundener nimmt. Aber auch aus der zweiten Absicht darf man nicht immer handeln: denn schon beim zweiten Male kennen die Gegner die List. Die Bosheit steht auf der Lauer, und großer Schlauheit bedarf es, sie zu täuschen. Nie spielt der Spieler die Karte aus, welche der Gegner erwartet, noch weniger die, welche er wünscht.
Interessant, Freund, wie Sie das Leben angehen: als ewigen Kampf, als strategisches Schlachtfeld und Sunzi-Lesegruppe für Fortgeschrittene. Manchmal, was nicht nur auf diesen Brief gemünzt ist, habe ich das Gefühl, dass wir uns die Welt so schaffen, wie die Welt an sich weder ist noch sein will oder sollte. Wissen Sie, wenn ich darauf lauere, dass irgendjemand irgendwann etwas Unangenehmes über mich sagt, dann werde ich, natürlich, früher oder später, tatsächlich hören, dass man mich verspottet oder mir ein böses Wort um den Hals bindet. Und zwar selbst von Menschen, die mir überaus wohlgesonnen sind. Natürlich gehen uns an manchen Tagen unsere Liebsten gewaltig auf die Nerven. Schließlich tragen wir alle Makel spazieren. Sie wollen wissen, welche das in meinem Fall sind? Ich bin in meine Wortspiele verliebt, lasse selbst dann nicht ab, wenn sie keinen Sinn machen; und ich bin ein überaus schlechter Kaufmann: mich interessieren nur Gedanken, soll ich Ideen zu Geld machen, versage ich kläglich. Außerdem halte ich mich in bestimmten Wissenfeldern, etwa Physik und Mathematik, für weit klüger als ich bin.
Waffen finden uns, wollen wir nur arg genug kämpfen.
Wer allzeit Strategien entwickelt, wird nicht als Strategin oder Stratege geschätzt, sondern als Spielerin oder Spieler eingeschätzt.
Viele Verdachtsmomente, aneinandergereiht, ergeben ein schlechtes Leben.
Glück liegt im Ist, weit weniger im Sollte.
16. Dezember
Abwechselung in der Art zu verfahren: man verfahre nicht immer auf gleiche Weise, damit man die Aufmerksamkeit, zumal die der Widersacher, verwirre: nicht stets aus der ersten Absicht; sonst werden jene diesen einförmigen Gang bald ausgelernt haben, und uns zuvorkommen, oder gar unser Thun vereiteln. Es ist leicht den Vogel im Fluge zu treffen, der ihn in grade fortgesetzter Richtung, nicht aber den, der ihn in gewundener nimmt. Aber auch aus der zweiten Absicht darf man nicht immer handeln: denn schon beim zweiten Male kennen die Gegner die List. Die Bosheit steht auf der Lauer, und großer Schlauheit bedarf es, sie zu täuschen. Nie spielt der Spieler die Karte aus, welche der Gegner erwartet, noch weniger die, welche er wünscht.
Interessant, Freund, wie Sie das Leben angehen: als ewigen Kampf, als strategisches Schlachtfeld und Sunzi-Lesegruppe für Fortgeschrittene. Manchmal, was nicht nur auf diesen Brief gemünzt ist, habe ich das Gefühl, dass wir uns die Welt so schaffen, wie die Welt an sich weder ist noch sein will oder sollte. Wissen Sie, wenn ich darauf lauere, dass irgendjemand irgendwann etwas Unangenehmes über mich sagt, dann werde ich, natürlich, früher oder später, tatsächlich hören, dass man mich verspottet oder mir ein böses Wort um den Hals bindet. Und zwar selbst von Menschen, die mir überaus wohlgesonnen sind. Natürlich gehen uns an manchen Tagen unsere Liebsten gewaltig auf die Nerven. Schließlich tragen wir alle Makel spazieren. Sie wollen wissen, welche das in meinem Fall sind? Ich bin in meine Wortspiele verliebt, lasse selbst dann nicht ab, wenn sie keinen Sinn machen; und ich bin ein überaus schlechter Kaufmann: mich interessieren nur Gedanken, soll ich Ideen zu Geld machen, versage ich kläglich. Außerdem halte ich mich in bestimmten Wissenfeldern, etwa Physik und Mathematik, für weit klüger als ich bin.
Waffen finden uns, wollen wir nur arg genug kämpfen.
Wer allzeit Strategien entwickelt, wird nicht als Strategin oder Stratege geschätzt, sondern als Spielerin oder Spieler eingeschätzt.
Viele Verdachtsmomente, aneinandergereiht, ergeben ein schlechtes Leben.
Glück liegt im Ist, weit weniger im Sollte.
16. Dezember
18.
Fleiß und Talent: ohne beide ist man nie ausgezeichnet, jedoch im höchsten Grade, wenn man sie in sich vereint. Mit dem Fleiße bringt ein mittelmäßiger Kopf es weiter, als ein überlegener ohne denselben. Die Arbeit ist der Preis, für den man den Ruhm erkauft: was wenig kostet, ist wenig werth. Sogar für die höchsten Aemter hat es Einigen nur an Fleiß gefehlt: nur selten ließ das Talent sie im Stich. Daß man lieber auf einem hohen Posten mittelmäßig, als auf einem niedrigen ausgezeichnet ist, hat die Entschuldigung eines hohen Sinnes für sich; hingegen daß man sich begnügt, auf dem untersten Posten mittelmäßig zu seyn, während man auf dem obersten ausgezeichnet seyn könnte, hat sie nicht. Also sind Natur und Kunst erfordert, und der Fleiß drückt ihnen das Siegel auf.
Was, Freund, helfen Sie mir, falls das möglich ist, was machen wir bloß - folgten wir Ihrer Sicht der Welt - mit dem Geniestreich? Dem Geniestreich der undisziplinierten, wilden Ingeneurin, die mit einem Schlag alles aus den Angeln hebt, was die Fleißigen und die Talentierten so mühsam angesammelt und ordentlich aufgehäuft haben? Ja, ich finde Emsigkeit und Begabung wichtig, als Grundmotive des Seins. Viele werden dank ihrer Begabung gelobt und geliebt. Die Tüchtigkeit der anderen beruht auf ihrer Beflissenheit und Disziplin, was wiederum für Bewunderung und Anhänglichkeit sorgt. Ein Mensch, auf den wir uns verlassen können, braucht nicht herausragende Begabungen, da ihn die Beständigkeit zur Festung macht, an die wir uns gerne halten. Und doch, Sie merken's, in mir will die Anarchie nicht ruhen, fragt der Zufall nach seinem Platz im Ordnungsgefüge; besonders wenn ich mir Ihre schlimme Untertänigkeit vergegenwärtige, die noch den stumpfen Fürsten zum scharfen Genie erklärt.
Ein zufriedenes Leben schielt nicht, weder nach unten noch nach oben.
Lebe jeden Tag als sei er der erste. Die Idee, dass der letzte Tag ein schöner sein könnte, sei ein törichter Trugschluss.
Wer zu sehr an Gewohnheiten und der Vergangenheit hängt, friert immer im Schatten des Gestern, selbst an einem sonnigen Tag.
17. Dezember
Fleiß und Talent: ohne beide ist man nie ausgezeichnet, jedoch im höchsten Grade, wenn man sie in sich vereint. Mit dem Fleiße bringt ein mittelmäßiger Kopf es weiter, als ein überlegener ohne denselben. Die Arbeit ist der Preis, für den man den Ruhm erkauft: was wenig kostet, ist wenig werth. Sogar für die höchsten Aemter hat es Einigen nur an Fleiß gefehlt: nur selten ließ das Talent sie im Stich. Daß man lieber auf einem hohen Posten mittelmäßig, als auf einem niedrigen ausgezeichnet ist, hat die Entschuldigung eines hohen Sinnes für sich; hingegen daß man sich begnügt, auf dem untersten Posten mittelmäßig zu seyn, während man auf dem obersten ausgezeichnet seyn könnte, hat sie nicht. Also sind Natur und Kunst erfordert, und der Fleiß drückt ihnen das Siegel auf.
Was, Freund, helfen Sie mir, falls das möglich ist, was machen wir bloß - folgten wir Ihrer Sicht der Welt - mit dem Geniestreich? Dem Geniestreich der undisziplinierten, wilden Ingeneurin, die mit einem Schlag alles aus den Angeln hebt, was die Fleißigen und die Talentierten so mühsam angesammelt und ordentlich aufgehäuft haben? Ja, ich finde Emsigkeit und Begabung wichtig, als Grundmotive des Seins. Viele werden dank ihrer Begabung gelobt und geliebt. Die Tüchtigkeit der anderen beruht auf ihrer Beflissenheit und Disziplin, was wiederum für Bewunderung und Anhänglichkeit sorgt. Ein Mensch, auf den wir uns verlassen können, braucht nicht herausragende Begabungen, da ihn die Beständigkeit zur Festung macht, an die wir uns gerne halten. Und doch, Sie merken's, in mir will die Anarchie nicht ruhen, fragt der Zufall nach seinem Platz im Ordnungsgefüge; besonders wenn ich mir Ihre schlimme Untertänigkeit vergegenwärtige, die noch den stumpfen Fürsten zum scharfen Genie erklärt.
Ein zufriedenes Leben schielt nicht, weder nach unten noch nach oben.
Lebe jeden Tag als sei er der erste. Die Idee, dass der letzte Tag ein schöner sein könnte, sei ein törichter Trugschluss.
Wer zu sehr an Gewohnheiten und der Vergangenheit hängt, friert immer im Schatten des Gestern, selbst an einem sonnigen Tag.
17. Dezember
19.
Nicht unter übermäßigen Erwartungen auftreten. Es ist das gewöhnliche Unglück alles sehr Gerühmten, daß es der übertriebenen Vorstellung, die man sich von ihm machte, nachmals nicht gleich kommen kann. Nie konnte das Wirkliche das Eingebildete erreichen: denn sich Vollkommenheiten denken, ist leicht; sie verwirklichen sehr schwer. Die Einbildungskraft verbindet sich mit dem Wunsche und stellt sich daher stets viel mehr vor, als die Dinge sind. Wie groß nun auch die Vortrefflichkeiten sehn mögen, so reichen sie doch nicht hin, den vorgefaßten Begriff zu befriedigen: und da sie ihn unter der Täuschung seiner ausschweifenden Erwartung vorfinden; so werden sie eher seinen Irrthum zerstören, als Bewunderung erregen. Die Hoffnung ist eine große Verfälscherin der Wahrheit: die Klugheit weise sie zurecht und sorge dafür, daß der Genuß die Erwartung übertreffe. Daß man beim Auftreten schon einigermaaßen die Meinung für sich habe, dient die Aufmerksamkeit zu erregen, ohne dem Gegenstand derselben Verpflichtungen aufzulegen. Viel besser ist es immer, wenn die Wirklichkeit die Erwartung übersteigt und mehr ist als man gedacht hatte. Diese Regel wird falsch beim Schlimmen: denn da diesem die Uebertreibung zu statten kommt, so steht man solche gern widerlegt, und dann gelangt das, was als ganz abscheulich gefürchtet wurde, noch dahin, erträglich zu scheinen.
Das Problem, Freund, das Sie hier zuerst anschneiden, besitzt noch eine weitere Dimension, die nicht zu vernachlässigen ist: der Leistungsdruck, den wir uns selbst auferlegen, ist häufig genug noch größer als die Erwartungshaltung von außen. Außerdem: versagen wir vor uns selbst, was selbstverständlich auch passiert, obwohl uns die Welt lauthals lobt und nicht erkennt, wie falsch wir liegen oder auf welche Weise wir am Ziel angekommen sind, versagen wir also vor uns selbst, geht jedes Vergnügen über das Erreichte flöten.
Wer die Welt als Bühne betrachtet, auf der's unbedingt zu glänzen gilt, muss ein Mittel gegen das Lampenfieber finden oder sich einer vertrauenswürdigen Souffleuse oder eines ergebenen Souffleurs bedienen.
Schrauben wir die Erwartungen herunter, lässt sich der Lebensboden leichter betreten.
Ansprüche an uns selbst sollten maßvoll bleiben. Legen wir die Latte zu hoch, brechen wir uns beim harten Aufprall entweder das Genick oder werden auf der Flucht höhnisch verlacht.
Nur in den Träumen sind wir wirklich frei.
18. Dezember
Nicht unter übermäßigen Erwartungen auftreten. Es ist das gewöhnliche Unglück alles sehr Gerühmten, daß es der übertriebenen Vorstellung, die man sich von ihm machte, nachmals nicht gleich kommen kann. Nie konnte das Wirkliche das Eingebildete erreichen: denn sich Vollkommenheiten denken, ist leicht; sie verwirklichen sehr schwer. Die Einbildungskraft verbindet sich mit dem Wunsche und stellt sich daher stets viel mehr vor, als die Dinge sind. Wie groß nun auch die Vortrefflichkeiten sehn mögen, so reichen sie doch nicht hin, den vorgefaßten Begriff zu befriedigen: und da sie ihn unter der Täuschung seiner ausschweifenden Erwartung vorfinden; so werden sie eher seinen Irrthum zerstören, als Bewunderung erregen. Die Hoffnung ist eine große Verfälscherin der Wahrheit: die Klugheit weise sie zurecht und sorge dafür, daß der Genuß die Erwartung übertreffe. Daß man beim Auftreten schon einigermaaßen die Meinung für sich habe, dient die Aufmerksamkeit zu erregen, ohne dem Gegenstand derselben Verpflichtungen aufzulegen. Viel besser ist es immer, wenn die Wirklichkeit die Erwartung übersteigt und mehr ist als man gedacht hatte. Diese Regel wird falsch beim Schlimmen: denn da diesem die Uebertreibung zu statten kommt, so steht man solche gern widerlegt, und dann gelangt das, was als ganz abscheulich gefürchtet wurde, noch dahin, erträglich zu scheinen.
Das Problem, Freund, das Sie hier zuerst anschneiden, besitzt noch eine weitere Dimension, die nicht zu vernachlässigen ist: der Leistungsdruck, den wir uns selbst auferlegen, ist häufig genug noch größer als die Erwartungshaltung von außen. Außerdem: versagen wir vor uns selbst, was selbstverständlich auch passiert, obwohl uns die Welt lauthals lobt und nicht erkennt, wie falsch wir liegen oder auf welche Weise wir am Ziel angekommen sind, versagen wir also vor uns selbst, geht jedes Vergnügen über das Erreichte flöten.
Wer die Welt als Bühne betrachtet, auf der's unbedingt zu glänzen gilt, muss ein Mittel gegen das Lampenfieber finden oder sich einer vertrauenswürdigen Souffleuse oder eines ergebenen Souffleurs bedienen.
Schrauben wir die Erwartungen herunter, lässt sich der Lebensboden leichter betreten.
Ansprüche an uns selbst sollten maßvoll bleiben. Legen wir die Latte zu hoch, brechen wir uns beim harten Aufprall entweder das Genick oder werden auf der Flucht höhnisch verlacht.
Nur in den Träumen sind wir wirklich frei.
18. Dezember
20.
Der Mann seines Jahrhunderts. Die außerordentlich seltenen Menschen hängen von der Zeit ab. Nicht alle haben die gefunden, deren sie würdig waren, und viele fanden sie zwar, konnten aber doch nicht dahin gelangen, sie zu nutzen. Einige waren eines bessern Jahrhunderts werth; denn nicht immer triumphirt jedes Gute. Die Dinge haben ihre Periode und sogar die höchsten Eigenschaften sind der Mode unterworfen. Der Weise hat jedoch einen Vortheil, den, daß er unsterblich ist: ist dieses nicht sein Jahrhundert; so werden viele andre es seyn.
Sprechen wir, Freund, Sie schlagen die Richtung ein und sind tatsächlich auch selbst den Weg gegangen, sprechen wir also über den Nachruhm. Ein Wort, das, wenigstens im Deutschen, jedenfalls bei mir, auf der Stelle den Begriff Nachruf ins Spiel bringt. Als Frau oder Mann nicht als das erkannt zu werden, was wir sind oder sein möchten - schließlich macht uns auch, häufig sogar zum Positiven, das Scheitern aus -, ist, seien wir nicht sentimental, wiederholen wir nicht die Genies-sind-arm-am-Glücklichsten-Märchen, ist kein einfaches Schicksal. Bleibt nämlich jener Nekrolog aus, gab's auch im Leben wenig über uns zu sagen, obwohl wir voller Geschichten gewesen wären, obwohl wir gerne tatkräftig gewirkt und unsere Stimmen im Chor der Zeitläufte Gehör verschafft hätten. Die Zeitgenossenschaft, scheint mir, ist eines der größten Vergnügen, das uns passieren kann.
Wer wahrgenommen wird, ein Kind der Zeit ist, verändert sich und dadurch uns.
Die Silbenlosen, stumm und steif, enden elendig; egal wie groß das Werk, wie gewaltig das Gefühl, wie herrlich die Musik. Was nicht erklingt, lastet schwer auf uns.
Im Nachleben geliebt zu werden, hilft, vielleicht, der Merkwürdigkeit, aber nicht der Liebenswürdigkeit.
Posthume Streicheleinheiten lassen den Leichnam kalt.
Zu wirken und zu lieben, heißt, im Jetzt zu sein.
Jeder Kuss der Gegenwart sei mehr wert als eine Fußnote in der Ewigkeit.
19. Dezember
Der Mann seines Jahrhunderts. Die außerordentlich seltenen Menschen hängen von der Zeit ab. Nicht alle haben die gefunden, deren sie würdig waren, und viele fanden sie zwar, konnten aber doch nicht dahin gelangen, sie zu nutzen. Einige waren eines bessern Jahrhunderts werth; denn nicht immer triumphirt jedes Gute. Die Dinge haben ihre Periode und sogar die höchsten Eigenschaften sind der Mode unterworfen. Der Weise hat jedoch einen Vortheil, den, daß er unsterblich ist: ist dieses nicht sein Jahrhundert; so werden viele andre es seyn.
Sprechen wir, Freund, Sie schlagen die Richtung ein und sind tatsächlich auch selbst den Weg gegangen, sprechen wir also über den Nachruhm. Ein Wort, das, wenigstens im Deutschen, jedenfalls bei mir, auf der Stelle den Begriff Nachruf ins Spiel bringt. Als Frau oder Mann nicht als das erkannt zu werden, was wir sind oder sein möchten - schließlich macht uns auch, häufig sogar zum Positiven, das Scheitern aus -, ist, seien wir nicht sentimental, wiederholen wir nicht die Genies-sind-arm-am-Glücklichsten-Märchen, ist kein einfaches Schicksal. Bleibt nämlich jener Nekrolog aus, gab's auch im Leben wenig über uns zu sagen, obwohl wir voller Geschichten gewesen wären, obwohl wir gerne tatkräftig gewirkt und unsere Stimmen im Chor der Zeitläufte Gehör verschafft hätten. Die Zeitgenossenschaft, scheint mir, ist eines der größten Vergnügen, das uns passieren kann.
Wer wahrgenommen wird, ein Kind der Zeit ist, verändert sich und dadurch uns.
Die Silbenlosen, stumm und steif, enden elendig; egal wie groß das Werk, wie gewaltig das Gefühl, wie herrlich die Musik. Was nicht erklingt, lastet schwer auf uns.
Im Nachleben geliebt zu werden, hilft, vielleicht, der Merkwürdigkeit, aber nicht der Liebenswürdigkeit.
Posthume Streicheleinheiten lassen den Leichnam kalt.
Zu wirken und zu lieben, heißt, im Jetzt zu sein.
Jeder Kuss der Gegenwart sei mehr wert als eine Fußnote in der Ewigkeit.
19. Dezember
21.
Die Kunst Glück zu haben. Es giebt Regeln für das Glück: denn für den Klugen ist nicht alles Zufall. Die Bemühung kann dem Glücke nachhelfen. Einige begnügen sich damit, sich wohlgemuth an das Thor der Glücksgöttin zu stellen und zu erwarten, daß sie öffne. Andere, schon besser, streben vorwärts und machen ihre kluge Kühnheit geltend, damit sie, auf den Flügeln ihres Werthes und ihrer Tapferkeit, die Göttin erreichen und ihre Gunst gewinnen mögen. Jedoch richtig philosophiert, giebt es keinen andern Weg als den der Tugend und Umsicht; indem Jeder gerade so viel Glück und so viel Unglück hat, als Klugheit oder Unklugheit.
Seltsam, Freund, ich behaupte auch immer, man könnte sich entscheiden, glücklich zu sein. Quasi als tägliche Morgengabe. Nun, da ich Ihre Wir-sind-alle-unseres-Glückes-Schmied-Anleitung lese, kommen mir allerdings Zweifel - jedenfalls, was das "alle" betrifft. Für einige wenige, scheint mir, stimmt's wohl, dass sie sich entscheiden können, das Fortune-Hochgefühl ob der eigenen Weisheit zu kreieren, sich selbst das Glück zu sichern. Die Mehrheit aber dürfte diese Masselchance ganz und gar nicht haben. Halten uns die äußeren Umstände gefangen, hilft's eben nicht, wenn wir vom Schlüssel für unsere Gefängnistür träumen.
Den Privilegierten lacht das Glück unverdientermaßen ins Gesicht, die Unterdrückten lacht's gnadenlos aus.
Die Liebe sei ein Glück, das nichts kostet, außer, wird sie nicht erwidert, den Verstand.
Das Ephemere am Glücklichsein macht für viele, die gerne jagen, seinen besonderen Reiz aus.
Auch Sonntagskinder treffen früh genug auf die anderen Wochentage.
20. Dezember
Die Kunst Glück zu haben. Es giebt Regeln für das Glück: denn für den Klugen ist nicht alles Zufall. Die Bemühung kann dem Glücke nachhelfen. Einige begnügen sich damit, sich wohlgemuth an das Thor der Glücksgöttin zu stellen und zu erwarten, daß sie öffne. Andere, schon besser, streben vorwärts und machen ihre kluge Kühnheit geltend, damit sie, auf den Flügeln ihres Werthes und ihrer Tapferkeit, die Göttin erreichen und ihre Gunst gewinnen mögen. Jedoch richtig philosophiert, giebt es keinen andern Weg als den der Tugend und Umsicht; indem Jeder gerade so viel Glück und so viel Unglück hat, als Klugheit oder Unklugheit.
Seltsam, Freund, ich behaupte auch immer, man könnte sich entscheiden, glücklich zu sein. Quasi als tägliche Morgengabe. Nun, da ich Ihre Wir-sind-alle-unseres-Glückes-Schmied-Anleitung lese, kommen mir allerdings Zweifel - jedenfalls, was das "alle" betrifft. Für einige wenige, scheint mir, stimmt's wohl, dass sie sich entscheiden können, das Fortune-Hochgefühl ob der eigenen Weisheit zu kreieren, sich selbst das Glück zu sichern. Die Mehrheit aber dürfte diese Masselchance ganz und gar nicht haben. Halten uns die äußeren Umstände gefangen, hilft's eben nicht, wenn wir vom Schlüssel für unsere Gefängnistür träumen.
Den Privilegierten lacht das Glück unverdientermaßen ins Gesicht, die Unterdrückten lacht's gnadenlos aus.
Die Liebe sei ein Glück, das nichts kostet, außer, wird sie nicht erwidert, den Verstand.
Das Ephemere am Glücklichsein macht für viele, die gerne jagen, seinen besonderen Reiz aus.
Auch Sonntagskinder treffen früh genug auf die anderen Wochentage.
20. Dezember
22.
Ein Mann von willkommenen Kenntnissen. Gescheute Leute sind mit einer eleganten und geschmackvollen Belesenheit ausgerüstet, haben ein zeitgemäßes Wissen von Allem, was an der Tagesordnung ist, jedoch mehr auf eine gelehrte als auf eine gemeine Weise: sie halten sich einen geistreichen Vorrath witziger Reden und edler Thaten, von welchem sie zu rechter Zeit Gebrauch zu machen verstehn. Oft war ein guter Rath besser angebracht in der Form eines Witzwortes, als in der der ernstesten Belehrung; und gangbares Wissen hat Manchem mehr geholfen als alle sieben Künste, so frei sie auch seyn mögen.
Wohl gesprochen, Freund, fraglos. Wären nicht zwei Sachen, die mir widerstreben. Zunächst, es muss erwähnt werden, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, zunächst ist ihre Fixierung auf den klugen Mann - lassen Sie mich das bitte auf Englisch sagen, um die sehr wohl beabsichtigte Deutlichkeit nicht zu vulgär klingen zu lassen - is a pain in the ass. Dann stellt sich die Frage des Kanons. Welche Bücher gelten als lesenswert? Wer bestimmt, was zum Wissenschatz gehört? Wer legt fest, welche Lesevergnügen erlaubt sind? Die geschmackvolle Belesenheit ist, mir Verlaub, Unsinn. Was beim Denken zählt, ist und bleibt allein die wunderbare Freiheit. Schmeckt Ihnen nicht, was anderen gefällt, behalten Sie das lieber für sich, es sei denn, was eine grundverschiedene Ausgangslage darstellt, es handelt sich um Mordanleitungen.
Humor, der sich didaktisch aufspielt, hat ein großes Problem, er wird selten geteilt, weit häufiger als Beleidigung verstanden.
Komplexität sollte lieber nicht so weit heruntergebrochen werden, dass sie zum Mummenschanz verkommt.
Sind die Sachen schwierig, denken wir sie uns klar und fassen sie in einfache Worte.
Nichts sei leichter als das Dummreden. Mit einer Ausnahme: die Klugscheißerei.
Niemand hat die Wahrheit gepachtet. Wer das glaubt, endet im Elend.
21. Dezember
Ein Mann von willkommenen Kenntnissen. Gescheute Leute sind mit einer eleganten und geschmackvollen Belesenheit ausgerüstet, haben ein zeitgemäßes Wissen von Allem, was an der Tagesordnung ist, jedoch mehr auf eine gelehrte als auf eine gemeine Weise: sie halten sich einen geistreichen Vorrath witziger Reden und edler Thaten, von welchem sie zu rechter Zeit Gebrauch zu machen verstehn. Oft war ein guter Rath besser angebracht in der Form eines Witzwortes, als in der der ernstesten Belehrung; und gangbares Wissen hat Manchem mehr geholfen als alle sieben Künste, so frei sie auch seyn mögen.
Wohl gesprochen, Freund, fraglos. Wären nicht zwei Sachen, die mir widerstreben. Zunächst, es muss erwähnt werden, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, zunächst ist ihre Fixierung auf den klugen Mann - lassen Sie mich das bitte auf Englisch sagen, um die sehr wohl beabsichtigte Deutlichkeit nicht zu vulgär klingen zu lassen - is a pain in the ass. Dann stellt sich die Frage des Kanons. Welche Bücher gelten als lesenswert? Wer bestimmt, was zum Wissenschatz gehört? Wer legt fest, welche Lesevergnügen erlaubt sind? Die geschmackvolle Belesenheit ist, mir Verlaub, Unsinn. Was beim Denken zählt, ist und bleibt allein die wunderbare Freiheit. Schmeckt Ihnen nicht, was anderen gefällt, behalten Sie das lieber für sich, es sei denn, was eine grundverschiedene Ausgangslage darstellt, es handelt sich um Mordanleitungen.
Humor, der sich didaktisch aufspielt, hat ein großes Problem, er wird selten geteilt, weit häufiger als Beleidigung verstanden.
Komplexität sollte lieber nicht so weit heruntergebrochen werden, dass sie zum Mummenschanz verkommt.
Sind die Sachen schwierig, denken wir sie uns klar und fassen sie in einfache Worte.
Nichts sei leichter als das Dummreden. Mit einer Ausnahme: die Klugscheißerei.
Niemand hat die Wahrheit gepachtet. Wer das glaubt, endet im Elend.
21. Dezember
23.
Ohne Makel seyn: die unerläßliche Bedingung der Vollkommenheit. Es giebt Wenige, die ohne irgend ein Gebrechen wären, wie im Physischen, so im Moralischen: und sie lieben solches innig, da sie doch leicht es heilen könnten. Mit Bedauern sieht die fremde Klugheit, wie oft einem ganzen Verein erhabener Fähigkeiten ein kleiner Fehler sich keck angehängt hat; und Eine Wolke ist hinreichend, die ganze Sonne zu verdunkeln. Dergleichen sind Flecken unsers Ansehens, welche das Mißwollen sogleich herausfindet, und immer wieder darauf zurückkommt. Die größte Geschicklichkeit wäre, sie in Zierden zu verwandeln, in der Art, wie Cäsar sein physisches Gebrechen mit dem Lorbeer zu bedecken wußte.
Dass Sie, Freund, die Kahlköpfigkeit Cäsars als körperliches Gebrechen ansehen, sagt einiges über Ihre - wie soll ich's nennen, ohne unsere noch junge Bekanntschaft unter eine dunkle Wolke zu stellen? - über ihre Vernarrtheit in die vermeintliche Vollkommenheit. Es mag Sie überraschen, aber ich habe von jeher den Makel geschätzt, sowohl an mir selbst als auch an anderen Menschen oder Dingen. Die absolute Perfektion ist ein durch und durch faschistisches Prinzip, dessen Grundidee, in letzter Konsequenz, auf der Vernichtung des "Andersartigen" beruht. Solch putative Ursprünglichkeit, die so unwissenschaftlich ist, dass man darüber nur schallend lachen kann, hat immer und immer wieder für rassistische, religiöse und idelogische Blutorgien gesorgt. Ja, ich weiß, Ihnen und Ihresgleichen schwebt "ein gesunder Geist in einem gesunden Körper" vor, und Sie haben auch sehr genaue Vorstellungen darüber, wie solch ein Mensch auszusehen und sich zu verhalten hat. Das spanische Kolonialreich, von dem Ihre Gesellschaft profitiert, ist kein Hort der Menschenwürde, wir dürfen uns nichts vormachen. Dass es in meiner Zeit besser geworden wäre, lässt sich allerdings auch nicht behaupten: das Hofschranzentum des 21. Jahrhunderts, das sich vorm Kapital und den diktatorischen Eliten verbeugt, betet die Vollkommenheit des Geldes und des Konsums an. Wir sind, als Gattung, nicht klüger, sondern noch dümmer geworden. Dank der Gier nach kapitalistischer Makellosigkeit sägen wir den Ast ab, auf dem wir sitzen. Wir vernichten unsere Erde sehenden Auges - Hauptsache der Rubel rollt, das Steak bruzzelt und die neueste Modewelle wird von Influencerinnen und Influencern unters Handyvolk gebracht.
Jeder Makel erinnert mich an den Tod; eine Erinnerung, die dem Leben erst Sinn verleiht.
Wer Fehler akzeptiert, ist ein sensibler Mensch, wer sie ablehnt, eine gefühlskalte Maschine.
Bin ich, bin ich falsch. Liege ich richtig, liege ich im Grab.
Was ich am meisten schätze, sind Gebrauchsspuren.
Erinnerungen ohne Makel sind Lügen.
22. Dezember
Ohne Makel seyn: die unerläßliche Bedingung der Vollkommenheit. Es giebt Wenige, die ohne irgend ein Gebrechen wären, wie im Physischen, so im Moralischen: und sie lieben solches innig, da sie doch leicht es heilen könnten. Mit Bedauern sieht die fremde Klugheit, wie oft einem ganzen Verein erhabener Fähigkeiten ein kleiner Fehler sich keck angehängt hat; und Eine Wolke ist hinreichend, die ganze Sonne zu verdunkeln. Dergleichen sind Flecken unsers Ansehens, welche das Mißwollen sogleich herausfindet, und immer wieder darauf zurückkommt. Die größte Geschicklichkeit wäre, sie in Zierden zu verwandeln, in der Art, wie Cäsar sein physisches Gebrechen mit dem Lorbeer zu bedecken wußte.
Dass Sie, Freund, die Kahlköpfigkeit Cäsars als körperliches Gebrechen ansehen, sagt einiges über Ihre - wie soll ich's nennen, ohne unsere noch junge Bekanntschaft unter eine dunkle Wolke zu stellen? - über ihre Vernarrtheit in die vermeintliche Vollkommenheit. Es mag Sie überraschen, aber ich habe von jeher den Makel geschätzt, sowohl an mir selbst als auch an anderen Menschen oder Dingen. Die absolute Perfektion ist ein durch und durch faschistisches Prinzip, dessen Grundidee, in letzter Konsequenz, auf der Vernichtung des "Andersartigen" beruht. Solch putative Ursprünglichkeit, die so unwissenschaftlich ist, dass man darüber nur schallend lachen kann, hat immer und immer wieder für rassistische, religiöse und idelogische Blutorgien gesorgt. Ja, ich weiß, Ihnen und Ihresgleichen schwebt "ein gesunder Geist in einem gesunden Körper" vor, und Sie haben auch sehr genaue Vorstellungen darüber, wie solch ein Mensch auszusehen und sich zu verhalten hat. Das spanische Kolonialreich, von dem Ihre Gesellschaft profitiert, ist kein Hort der Menschenwürde, wir dürfen uns nichts vormachen. Dass es in meiner Zeit besser geworden wäre, lässt sich allerdings auch nicht behaupten: das Hofschranzentum des 21. Jahrhunderts, das sich vorm Kapital und den diktatorischen Eliten verbeugt, betet die Vollkommenheit des Geldes und des Konsums an. Wir sind, als Gattung, nicht klüger, sondern noch dümmer geworden. Dank der Gier nach kapitalistischer Makellosigkeit sägen wir den Ast ab, auf dem wir sitzen. Wir vernichten unsere Erde sehenden Auges - Hauptsache der Rubel rollt, das Steak bruzzelt und die neueste Modewelle wird von Influencerinnen und Influencern unters Handyvolk gebracht.
Jeder Makel erinnert mich an den Tod; eine Erinnerung, die dem Leben erst Sinn verleiht.
Wer Fehler akzeptiert, ist ein sensibler Mensch, wer sie ablehnt, eine gefühlskalte Maschine.
Bin ich, bin ich falsch. Liege ich richtig, liege ich im Grab.
Was ich am meisten schätze, sind Gebrauchsspuren.
Erinnerungen ohne Makel sind Lügen.
22. Dezember
24.
Die Einbildungskraft zügeln, indem man bald sie zurechtweist, bald ihr nachhilft: denn sie vermag Alles über unser Glück, und sogar unser Verstand erhält Berichtigung von ihr. Sie kann eine tyrannische Gewalt erlangen und begnügt sich nicht mit müßiger Beschauung, sondern wird thätig, bemächtigt sich sogar oft unsers ganzen Daseyns, welches sie mit Lust oder Traurigkeit erfüllt, je nachdem die Thorheit ist, auf die sie verfiel: denn sie macht uns mit uns selbst zufrieden oder unzufrieden, spiegelt Einigen beständige Leiden vor und wird der häusliche Henker dieser Thoren: Andern zeigt sie nichts als Seeligkeiten und Glücksfälle, unter lustigem Schwindeln des Kopfs. Alles dieses vermag sie, wenn nicht die vernünftige Obhut unsrer selbst ihr den Zaum anlegt.
Lassen Sie mich, Freund, da ich heute früh wenig Zeit habe, gleich in der Luft sein werde, was, einst, manche Vorstellung überstiegen hätte, das jedoch nur am airbiträren Rande, lassen Sie mich kurz und bündig antworten.
Gibt's ansonsten nichts als unglückliche Schwäche, sei die Einbildungskraft sehr wohl ein willkommenes Geschenk, gerade wenn sie, im Positiven, über die Stränge schlägt.
Für sich manchmal groß zu sein, sei besser als für alle auf immer klein.
Drückt uns die Imagination unter Wasser, hilft, in den meisten Fällen, das Auftauchen. Gelingt das Schwimmen nicht allein, vertraue man sich schnellstens anderen an. Wer stumm wartet, ertrinkt still.
Wer frei spricht und träumt, sei ein Mensch.
Lebten nur Justizvollzugsbeamtinnen und Fahrkartenkontrolleure, wäre das Sein arm an Fantasie.
Kunst braucht das Überspannte, nicht immer und für alle, aber an und ab und für einige.
23. Dezember
Die Einbildungskraft zügeln, indem man bald sie zurechtweist, bald ihr nachhilft: denn sie vermag Alles über unser Glück, und sogar unser Verstand erhält Berichtigung von ihr. Sie kann eine tyrannische Gewalt erlangen und begnügt sich nicht mit müßiger Beschauung, sondern wird thätig, bemächtigt sich sogar oft unsers ganzen Daseyns, welches sie mit Lust oder Traurigkeit erfüllt, je nachdem die Thorheit ist, auf die sie verfiel: denn sie macht uns mit uns selbst zufrieden oder unzufrieden, spiegelt Einigen beständige Leiden vor und wird der häusliche Henker dieser Thoren: Andern zeigt sie nichts als Seeligkeiten und Glücksfälle, unter lustigem Schwindeln des Kopfs. Alles dieses vermag sie, wenn nicht die vernünftige Obhut unsrer selbst ihr den Zaum anlegt.
Lassen Sie mich, Freund, da ich heute früh wenig Zeit habe, gleich in der Luft sein werde, was, einst, manche Vorstellung überstiegen hätte, das jedoch nur am airbiträren Rande, lassen Sie mich kurz und bündig antworten.
Gibt's ansonsten nichts als unglückliche Schwäche, sei die Einbildungskraft sehr wohl ein willkommenes Geschenk, gerade wenn sie, im Positiven, über die Stränge schlägt.
Für sich manchmal groß zu sein, sei besser als für alle auf immer klein.
Drückt uns die Imagination unter Wasser, hilft, in den meisten Fällen, das Auftauchen. Gelingt das Schwimmen nicht allein, vertraue man sich schnellstens anderen an. Wer stumm wartet, ertrinkt still.
Wer frei spricht und träumt, sei ein Mensch.
Lebten nur Justizvollzugsbeamtinnen und Fahrkartenkontrolleure, wäre das Sein arm an Fantasie.
Kunst braucht das Überspannte, nicht immer und für alle, aber an und ab und für einige.
23. Dezember
25.
Winke zu verstehen wissen. Einst war es die Kunst aller Künste, reden zu können: jetzt reicht das nicht aus; errathen muß man können, vorzüglich wo es auf Zerstörung unsrer Täuschung abgesehen ist. Der kann nicht sehr verständig seyn, der nicht leicht versteht. Es giebt hingegen auch Schatzgräber der Herzen und Luchse der Absichten. Grade die Wahrheiten, an welchen uns am meisten gelegen, werden stets nur halb ausgesprochen; allein der Aufmerksame fasse sie im vollen Verstande auf. Bei allem Erwünschten ziehe er seinen Glauben am Zügel zurück, aber gebe ihm den Sporn bei allem Verhaßten.
Ein echter Gemischtwarenladen, Freund! Für alle was dabei. Ihr Translator, der von mir ob seiner Sprachkraft und Selbstsicherheit einerseits geschätzte, ja beinahe geliebte, ob seiner Menschenunfreundlichkeit andererseits beäugte, um nicht zu sagen: gering-geschätzte Arthur Schopenhauer, hat haltbare Bilder gefunden, um Ihre Gedankensprünge zu illustrieren; diese ewig junge, kaum angestaubte Sprachkraft hat Ihren Text im Deutschen übrigens einem Longseller gemacht und ist ein Grund, warum ich Ihr Orakel in jedem Lebensjahrzehnt aus dem Bücherschrank gezogen und ein weiteres Mal studiert habe.
Nun also, die Zerstörung unserer Täuschung - das ist starker Tobak. Besonders wenn ich davon ausgehe, dass Sie, schlimm genug, nicht nur von Selbsttäuschung sprechen, sondern eine permanente Irreführung der Welt in Betracht ziehen oder gar, eine garstige Vorstellung, ein zweites, drittes, viertes Gesicht in petto haben. Wohl ist's so, dass wir alle Kinder des Augenblicks sind. Kapern Piraten unser Schiff, verhalten wir uns natürlich anders als bei einem Vorstellungsgespräch, bei dem uns eine unerwartete Frage gestellt wird, auf die wir keine Antwort wissen oder eine Entgegnung, die alle verstören dürfte. Die Trickserei des schwierigen Moments hat, geht's um unseren Hals oder das Schicksal unserer Liebsten, eine ephemere Berechtigung. In Ihren Zeilen lese ich - will ich nicht auf die modernere, vielleich akkuratere Übersetzung des Eines Besseren belehrt werden hinaus -, in ihren Zeilen lese ich nun mal die Idee des Dauerbetrugs heraus, was mich, als Lebenskonstrukt, nicht nur stört, sondern sogar anwidert. Wer immer vorgibt, jemand anders zu sein, wird sich auf lange Sicht selbst fremd.
Auch dass wir unverständig sein sollen, wenn's mit dem Verstehen dauert, ist mir zu apodiktisch. Nicht zu selten benötigt die ernste Auffassungsgabe Wochen, ja Monate, um sich einen Reim auf Probleme oder Anliegen zu machen. Mir persönlich wird regelmäßig schlecht, komm ich nach Hause und lass den Abend Revue passieren, da die Antworten, die ich gegeben, die Fragen, die ich aufgeworfen habe, die Eindrücke, die ich hinterlassen habe, so wenig eloquent, so mittelmäßig gewesen sind. Wie viele von uns wälze ich die Zeit um, bedauere nicht zu selten die schnelle Replik und verdaue, bis mir auf einmal einfällt, was sich gehört hätte, welche Richtung mein Denken hätte besser einschlagen können. Dass wir stante pede brilliant sind, glaubt außer uns eh kaum jemand - und das aus guten Gründen.
Wer auf andere hört, wird gehört.
Jede gute Frage hilft der Staatsanwaltschaft in uns selbst auf die Sprünge.
Sich selbst zu richten, sei ein Ding der Unmöglichkeit. Wir wissen gleichzeitig zu viel und zu wenig von uns selbst, um ein gerechtes Urteil fällen zu können.
24. Dezember
Winke zu verstehen wissen. Einst war es die Kunst aller Künste, reden zu können: jetzt reicht das nicht aus; errathen muß man können, vorzüglich wo es auf Zerstörung unsrer Täuschung abgesehen ist. Der kann nicht sehr verständig seyn, der nicht leicht versteht. Es giebt hingegen auch Schatzgräber der Herzen und Luchse der Absichten. Grade die Wahrheiten, an welchen uns am meisten gelegen, werden stets nur halb ausgesprochen; allein der Aufmerksame fasse sie im vollen Verstande auf. Bei allem Erwünschten ziehe er seinen Glauben am Zügel zurück, aber gebe ihm den Sporn bei allem Verhaßten.
Ein echter Gemischtwarenladen, Freund! Für alle was dabei. Ihr Translator, der von mir ob seiner Sprachkraft und Selbstsicherheit einerseits geschätzte, ja beinahe geliebte, ob seiner Menschenunfreundlichkeit andererseits beäugte, um nicht zu sagen: gering-geschätzte Arthur Schopenhauer, hat haltbare Bilder gefunden, um Ihre Gedankensprünge zu illustrieren; diese ewig junge, kaum angestaubte Sprachkraft hat Ihren Text im Deutschen übrigens einem Longseller gemacht und ist ein Grund, warum ich Ihr Orakel in jedem Lebensjahrzehnt aus dem Bücherschrank gezogen und ein weiteres Mal studiert habe.
Nun also, die Zerstörung unserer Täuschung - das ist starker Tobak. Besonders wenn ich davon ausgehe, dass Sie, schlimm genug, nicht nur von Selbsttäuschung sprechen, sondern eine permanente Irreführung der Welt in Betracht ziehen oder gar, eine garstige Vorstellung, ein zweites, drittes, viertes Gesicht in petto haben. Wohl ist's so, dass wir alle Kinder des Augenblicks sind. Kapern Piraten unser Schiff, verhalten wir uns natürlich anders als bei einem Vorstellungsgespräch, bei dem uns eine unerwartete Frage gestellt wird, auf die wir keine Antwort wissen oder eine Entgegnung, die alle verstören dürfte. Die Trickserei des schwierigen Moments hat, geht's um unseren Hals oder das Schicksal unserer Liebsten, eine ephemere Berechtigung. In Ihren Zeilen lese ich - will ich nicht auf die modernere, vielleich akkuratere Übersetzung des Eines Besseren belehrt werden hinaus -, in ihren Zeilen lese ich nun mal die Idee des Dauerbetrugs heraus, was mich, als Lebenskonstrukt, nicht nur stört, sondern sogar anwidert. Wer immer vorgibt, jemand anders zu sein, wird sich auf lange Sicht selbst fremd.
Auch dass wir unverständig sein sollen, wenn's mit dem Verstehen dauert, ist mir zu apodiktisch. Nicht zu selten benötigt die ernste Auffassungsgabe Wochen, ja Monate, um sich einen Reim auf Probleme oder Anliegen zu machen. Mir persönlich wird regelmäßig schlecht, komm ich nach Hause und lass den Abend Revue passieren, da die Antworten, die ich gegeben, die Fragen, die ich aufgeworfen habe, die Eindrücke, die ich hinterlassen habe, so wenig eloquent, so mittelmäßig gewesen sind. Wie viele von uns wälze ich die Zeit um, bedauere nicht zu selten die schnelle Replik und verdaue, bis mir auf einmal einfällt, was sich gehört hätte, welche Richtung mein Denken hätte besser einschlagen können. Dass wir stante pede brilliant sind, glaubt außer uns eh kaum jemand - und das aus guten Gründen.
Wer auf andere hört, wird gehört.
Jede gute Frage hilft der Staatsanwaltschaft in uns selbst auf die Sprünge.
Sich selbst zu richten, sei ein Ding der Unmöglichkeit. Wir wissen gleichzeitig zu viel und zu wenig von uns selbst, um ein gerechtes Urteil fällen zu können.
24. Dezember
26.
Die Daumschraube eines Jeden finden. Dies ist die Kunst, den Willen Andrer in Bewegung zu setzen. Es gehört mehr Geschick als Festigkeit dazu. Man muß wissen, wo einem Jeden beizukommen sei. Es giebt keinen Willen, der nicht einen eigentümlichen Hang hätte, welcher nach der Mannigfaltigkeit des Geschmacks verschieden ist. Alle sind Götzendiener, Einige der Ehre, Andre des Interesses, die Meisten des Vergnügens. Der Kunstgriff besteht darin, daß man diesen Götzen eines Jeden kenne, um mittelst desselben ihn zu bestimmen. Weiß man, welches für Jeden der wirksame Anstoß sei, so ist es als hätte man den Schlüssel zu seinem Willen. Man muß nun auf die allererste Springfeder, oder das primum inodils in ihm, zurückgehen, welches aber nicht etwa das Höchste seiner Natur, sondern meistens das Niedrigste ist: denn es giebt mehr schlecht- als wohlgeordnete Gemüther in der Welt. Jetzt muß man zuvörderst sein Gemüth bearbeiten, dann ihm durch ein Wort den Anstoß geben, endlich mit seiner Lieblingsneigung den Hauptangriff machen; so wird unfehlbar sein freier Wille schachmatt.
Ihre Neigung, Freund, die anderen als Mittel zum Zweck anzusehen, also alles zu tun, um den Fehler in uns zu finden, die kleingeistige Sollbruchstelle, die selbstversändlich existiert, niemand ist gegen Patzer und Irrtümer gefeit, ihre Neigung, unablässig zu manipulieren, um uns einzunorden, um uns möglichst vollständig zu kontrollieren, um uns Ihren Willen aufzuzwingen, zeugt - und reden wird nicht um den heißen Brei herum - selbst von einem makelbehafteten Charakter.
Wer das Böse in anderen sucht, findet es zuerst in sich selbst.
Versteckt sich das Gute zu lange, entschwindet es auf immer.
Macht, die auf Bösartigkeit beruht, wird gefüchtet, aber weder respektiert noch geliebt.
25. Dezember
Die Daumschraube eines Jeden finden. Dies ist die Kunst, den Willen Andrer in Bewegung zu setzen. Es gehört mehr Geschick als Festigkeit dazu. Man muß wissen, wo einem Jeden beizukommen sei. Es giebt keinen Willen, der nicht einen eigentümlichen Hang hätte, welcher nach der Mannigfaltigkeit des Geschmacks verschieden ist. Alle sind Götzendiener, Einige der Ehre, Andre des Interesses, die Meisten des Vergnügens. Der Kunstgriff besteht darin, daß man diesen Götzen eines Jeden kenne, um mittelst desselben ihn zu bestimmen. Weiß man, welches für Jeden der wirksame Anstoß sei, so ist es als hätte man den Schlüssel zu seinem Willen. Man muß nun auf die allererste Springfeder, oder das primum inodils in ihm, zurückgehen, welches aber nicht etwa das Höchste seiner Natur, sondern meistens das Niedrigste ist: denn es giebt mehr schlecht- als wohlgeordnete Gemüther in der Welt. Jetzt muß man zuvörderst sein Gemüth bearbeiten, dann ihm durch ein Wort den Anstoß geben, endlich mit seiner Lieblingsneigung den Hauptangriff machen; so wird unfehlbar sein freier Wille schachmatt.
Ihre Neigung, Freund, die anderen als Mittel zum Zweck anzusehen, also alles zu tun, um den Fehler in uns zu finden, die kleingeistige Sollbruchstelle, die selbstversändlich existiert, niemand ist gegen Patzer und Irrtümer gefeit, ihre Neigung, unablässig zu manipulieren, um uns einzunorden, um uns möglichst vollständig zu kontrollieren, um uns Ihren Willen aufzuzwingen, zeugt - und reden wird nicht um den heißen Brei herum - selbst von einem makelbehafteten Charakter.
Wer das Böse in anderen sucht, findet es zuerst in sich selbst.
Versteckt sich das Gute zu lange, entschwindet es auf immer.
Macht, die auf Bösartigkeit beruht, wird gefüchtet, aber weder respektiert noch geliebt.
25. Dezember
27.
Das Intensive höher als das Extensive schätzen. Die Vollkommenheit besteht nicht in der Quantität, sondern in der Qualität. Alles Vortreffliche ist stets wenig und selten: die Menge und Masse einer Sache macht sie geringgeschätzt. Sogar unter den Menschen sind die Riesen meistens die eigentlichen Zwerge. Einige schätzen die Bücher nach ihrer Dicke; als ob sie geschrieben wären, die Arme, nicht die Köpfe daran zu üben. Das Extensive allein führt nie über die Mittelmäßigkeit hinaus, und es ist das Leiden der universellen Köpfe, daß sie, um in Allem zu Hause zu seyn, es nirgends sind. Hingegen ist es das Intensive, woraus die Vortrefflichkeit entspringt, und zwar eine heroische, wenn in erhabener Gattung.
Natürlich, Freund, ließe sich Ihr Argument leicht aushebeln: wer das Meer liebt, das ausgedehnte Wasser schlechthin, um in ihm zu schwimmen, sich in seiner Weite theoretisch zu verlieren, die eigene Sehnsucht nach Ewigkeit in seinen Wellenunmengen zu finden, wird sich nicht mit dem Tümpel hinterm Dorf abfinden, dessen Schönheit zwar verblüfft, aber eben doch eine enge, eine lokale, eine unverrückbare ist. Dies gesagt, sei festgestellt, dass Sie natürlich Recht haben: die Güte einer Sache hängt sicher nicht an der Menge. Und doch ließen sich auch hier auf der Stelle andere Rechnungen aufmachen: angenommen, es herrschte eine Hungersnot, dann wäre nicht entscheidend, dass die höchste Qualität an Mehl ins Krisengebiet geschafft werden würde, sondern dass genügend essbarers Mehl den Weg in die Backstuben findet. Die reine Zahl hat also durchaus einen Wert, der über die elitäre Befindlichkeit der privelegierten Genießerinnen und geschmackversessenen Connaisseure hinausreicht.
Der französischen Königin Marie Antoinette, eine Frau, die nach Ihnen, in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts, kurz vor der Französischen Revolution, gelebt hat, wird nachgesagt, sie habe den Hungernden geraten "Qu'ils mangent de la brioche". Was als "Dann sollen sie Kuchen essen" in die Geschichte und als ein Grund des Volksaufstands eingegangen ist. Ohne zu geschmäcklerisch zu sein und an der, buchstäblich, halbgaren Übersetzung herumzumäkeln - Brioche ist selbstverständlich keine Torte - oder, da's keine belastbaren Quellen gibt, auf der absoluten Tatsache des So-wurd's-eben-gesagt zu bestehen, lässt sich doch feststellen, dass das Privileg der ewigen Feinbäckerei das Teilen von Schwarzbrot berechtigterweise nicht überlebt hat. Und dass die letzten Worte der Erzherzogin am 16. Oktober 1793 "Pardon, Monsieur" gewesen sein sollen - Marie Antoinette war versehentlich auf den Fuß des Henkers getreten -, macht sie nicht zu einem höflichen Menschen, der den wesentlichen Unterschied zwischen Ich-Sein und Da-Sein, Mein und Dein, Gut und Schlecht verstanden hat.
Ein Diamant am Finger macht wenige satt.
Noch ein, zwei Gedanken zum Universalismus, Freund, möchte ich kurz anfügen.
Um das Genaue zu erkennen, müssen wir eine hinreichende Ahnung vom Ungenauen haben.
Wer niemals ihre oder seine Insel verlässt, weiß nichts von den Kontinenten.
Vermeintlich alles über eine Sache sagen zu können, hilft bei der Unterhaltung über andere Dinge nur, wenn der Zusammenhang zwischen unserem Spezialgebiet und dem Rest der Welt nicht krampfhaft gesucht und gnadenlos überstrapaziert wird.
Echte Neugier kennt kein Spezialistentum.
Kinder sind die eigentlichen Expertinnen und Experten fürs Leben.
26. Dezember
Das Intensive höher als das Extensive schätzen. Die Vollkommenheit besteht nicht in der Quantität, sondern in der Qualität. Alles Vortreffliche ist stets wenig und selten: die Menge und Masse einer Sache macht sie geringgeschätzt. Sogar unter den Menschen sind die Riesen meistens die eigentlichen Zwerge. Einige schätzen die Bücher nach ihrer Dicke; als ob sie geschrieben wären, die Arme, nicht die Köpfe daran zu üben. Das Extensive allein führt nie über die Mittelmäßigkeit hinaus, und es ist das Leiden der universellen Köpfe, daß sie, um in Allem zu Hause zu seyn, es nirgends sind. Hingegen ist es das Intensive, woraus die Vortrefflichkeit entspringt, und zwar eine heroische, wenn in erhabener Gattung.
Natürlich, Freund, ließe sich Ihr Argument leicht aushebeln: wer das Meer liebt, das ausgedehnte Wasser schlechthin, um in ihm zu schwimmen, sich in seiner Weite theoretisch zu verlieren, die eigene Sehnsucht nach Ewigkeit in seinen Wellenunmengen zu finden, wird sich nicht mit dem Tümpel hinterm Dorf abfinden, dessen Schönheit zwar verblüfft, aber eben doch eine enge, eine lokale, eine unverrückbare ist. Dies gesagt, sei festgestellt, dass Sie natürlich Recht haben: die Güte einer Sache hängt sicher nicht an der Menge. Und doch ließen sich auch hier auf der Stelle andere Rechnungen aufmachen: angenommen, es herrschte eine Hungersnot, dann wäre nicht entscheidend, dass die höchste Qualität an Mehl ins Krisengebiet geschafft werden würde, sondern dass genügend essbarers Mehl den Weg in die Backstuben findet. Die reine Zahl hat also durchaus einen Wert, der über die elitäre Befindlichkeit der privelegierten Genießerinnen und geschmackversessenen Connaisseure hinausreicht.
Der französischen Königin Marie Antoinette, eine Frau, die nach Ihnen, in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts, kurz vor der Französischen Revolution, gelebt hat, wird nachgesagt, sie habe den Hungernden geraten "Qu'ils mangent de la brioche". Was als "Dann sollen sie Kuchen essen" in die Geschichte und als ein Grund des Volksaufstands eingegangen ist. Ohne zu geschmäcklerisch zu sein und an der, buchstäblich, halbgaren Übersetzung herumzumäkeln - Brioche ist selbstverständlich keine Torte - oder, da's keine belastbaren Quellen gibt, auf der absoluten Tatsache des So-wurd's-eben-gesagt zu bestehen, lässt sich doch feststellen, dass das Privileg der ewigen Feinbäckerei das Teilen von Schwarzbrot berechtigterweise nicht überlebt hat. Und dass die letzten Worte der Erzherzogin am 16. Oktober 1793 "Pardon, Monsieur" gewesen sein sollen - Marie Antoinette war versehentlich auf den Fuß des Henkers getreten -, macht sie nicht zu einem höflichen Menschen, der den wesentlichen Unterschied zwischen Ich-Sein und Da-Sein, Mein und Dein, Gut und Schlecht verstanden hat.
Ein Diamant am Finger macht wenige satt.
Noch ein, zwei Gedanken zum Universalismus, Freund, möchte ich kurz anfügen.
Um das Genaue zu erkennen, müssen wir eine hinreichende Ahnung vom Ungenauen haben.
Wer niemals ihre oder seine Insel verlässt, weiß nichts von den Kontinenten.
Vermeintlich alles über eine Sache sagen zu können, hilft bei der Unterhaltung über andere Dinge nur, wenn der Zusammenhang zwischen unserem Spezialgebiet und dem Rest der Welt nicht krampfhaft gesucht und gnadenlos überstrapaziert wird.
Echte Neugier kennt kein Spezialistentum.
Kinder sind die eigentlichen Expertinnen und Experten fürs Leben.
26. Dezember
28.
In nichts gemein: Erstlich, nicht im Geschmack. O des großen Weisen, den es niederschlug, daß seine Sache der Menge gefiel! Gemeiner Beifall in Fülle giebt dem Verständigen kein Genügen. Dagegen sind manche solche Kamäleone der Popularität, daß sie ihren Genuß nicht in den sanften Anhauch Apollo's, sondern in den Athem des großen Haufens setzen. – Zweitens, nicht im Verstande: man finde kein Genügen an den Wundern des Pöbels, dessen Unwissenheit ihn nicht über das Erstaunen hinauskommen läßt: während die allgemeine Dummheit bewundert, deckt der Verstand des Einzelnen den Trug auf.
Zuckerbrot und Peitsche, Freund, fühl ich, wenn ich dies lese. Denn sehr wohl spricht einiges dafür, dass der spezielle Geschmack an Büchern und Bildern, an Musik und Mathematik, an Politik und Personen, welcher uns Vergnügen bereitet und exquisite Einsichten gewährt, zwar von anderen verächtlich gemacht werden kann, damit aber keinen Deut an Wert verliert, beinahe im Gegenteil: das Falsche hasst die Ehrlichkeit, weil es in ihr die eigene verlorene Unschuld erkennt.
Die Wahrheit sei zeitgebunden und zeitlos zugleich. Was heute richtig ist, sich aber morgen als falsch herausstellt, hat dennoch, besonders im Rückblick, seinen genuinen Wert, allerdings nur, wenn wir nicht starsinnig auf seinem So-haben-wir's-schließlich-immer-gemacht beharrt.
Fehler, aus denen wir lernen, geben uns in aller Regel tiefere Einsichten als Kantersiege.
Siege, die auf Lügen basieren, nützen auf Dauer nichts.
Eine verlorene Schlacht, die uns friedfertig werden lässt, stellt einen Gewinn dar.
Nun noch, Sie haben drauf gewartet, Freund, ein Wort zum gesellschaftlichen Bodensatz, auf den Sie regelmäßig, wenn ich mich recht erinnere, herabblicken. Arroganz, die auf Standesdünkel basiert, hat viel Unheil angerichtet. Die Intelligenz ist, was Sie überraschen mag, kein Privileg der vermeintlich Wohlgeborenen. Das Klassensystem hält die Menschen dumm und in Schach. Wer sich aufgrund der unverdient erreichten Position und Bildung, des ererbten Geldsacks für etwas Besseres hält, gehört zur eigentlichen Gruppe der Pöblerinnen und Pöbler.
Gleichheit sei das wahre Geburtsrecht. Niemand soll erben, wenn Sie mich fragen; alle sollten ein garantiertes Grundeinkommen und Bildungsmöglichkeiten bekommen. Dann zeigte sich, wer Talent hat.
An der Idee des Guten und der Vernunft festzuhalten, ohne das Böse zu leugnen oder zu unterschätzen, sei der alleinige Glaube, den ich mir erlaube.
27. Dezember
In nichts gemein: Erstlich, nicht im Geschmack. O des großen Weisen, den es niederschlug, daß seine Sache der Menge gefiel! Gemeiner Beifall in Fülle giebt dem Verständigen kein Genügen. Dagegen sind manche solche Kamäleone der Popularität, daß sie ihren Genuß nicht in den sanften Anhauch Apollo's, sondern in den Athem des großen Haufens setzen. – Zweitens, nicht im Verstande: man finde kein Genügen an den Wundern des Pöbels, dessen Unwissenheit ihn nicht über das Erstaunen hinauskommen läßt: während die allgemeine Dummheit bewundert, deckt der Verstand des Einzelnen den Trug auf.
Zuckerbrot und Peitsche, Freund, fühl ich, wenn ich dies lese. Denn sehr wohl spricht einiges dafür, dass der spezielle Geschmack an Büchern und Bildern, an Musik und Mathematik, an Politik und Personen, welcher uns Vergnügen bereitet und exquisite Einsichten gewährt, zwar von anderen verächtlich gemacht werden kann, damit aber keinen Deut an Wert verliert, beinahe im Gegenteil: das Falsche hasst die Ehrlichkeit, weil es in ihr die eigene verlorene Unschuld erkennt.
Die Wahrheit sei zeitgebunden und zeitlos zugleich. Was heute richtig ist, sich aber morgen als falsch herausstellt, hat dennoch, besonders im Rückblick, seinen genuinen Wert, allerdings nur, wenn wir nicht starsinnig auf seinem So-haben-wir's-schließlich-immer-gemacht beharrt.
Fehler, aus denen wir lernen, geben uns in aller Regel tiefere Einsichten als Kantersiege.
Siege, die auf Lügen basieren, nützen auf Dauer nichts.
Eine verlorene Schlacht, die uns friedfertig werden lässt, stellt einen Gewinn dar.
Nun noch, Sie haben drauf gewartet, Freund, ein Wort zum gesellschaftlichen Bodensatz, auf den Sie regelmäßig, wenn ich mich recht erinnere, herabblicken. Arroganz, die auf Standesdünkel basiert, hat viel Unheil angerichtet. Die Intelligenz ist, was Sie überraschen mag, kein Privileg der vermeintlich Wohlgeborenen. Das Klassensystem hält die Menschen dumm und in Schach. Wer sich aufgrund der unverdient erreichten Position und Bildung, des ererbten Geldsacks für etwas Besseres hält, gehört zur eigentlichen Gruppe der Pöblerinnen und Pöbler.
Gleichheit sei das wahre Geburtsrecht. Niemand soll erben, wenn Sie mich fragen; alle sollten ein garantiertes Grundeinkommen und Bildungsmöglichkeiten bekommen. Dann zeigte sich, wer Talent hat.
An der Idee des Guten und der Vernunft festzuhalten, ohne das Böse zu leugnen oder zu unterschätzen, sei der alleinige Glaube, den ich mir erlaube.
27. Dezember
29.
Ein rechtschaffener Mann seyn: stets steht dieser auf der Seite der Wahrheit, mit solcher Festigkeit des Vorsatzes, daß weder die Leidenschaft des großen Haufens, noch die Gewalt des Despoten ihn jemals dahin bringen, die Gränze des Rechts zu übertreten. Allein wer ist dieser Phönix der Gerechtigkeit? Wohl wenige ächte Anhänger hat die Rechtschaffenheit. Zwar rühmen sie Viele, jedoch nicht für ihr Haus. Andre folgen ihr bis zum Punkt der Gefahr: dann aber verleugnen sie die Falschen, verhehlen sie die Politischen. Denn sie kennt keine Rücksicht, sei es, daß sie mit der Freundschaft, mit der Macht, oder mit dem eigenen Interesse sich feindlich begegnete: hier nun liegt die Gefahr abtrünnig zu werden. Jetzt abstrahiren, mit scheinbarer Metaphysik, die Schlauen von ihr, um nicht der Absicht der Höheren oder der Staatsräson in den Weg zu treten. Jedoch der beharrliche Mann hält jede Verstellung für eine Art Verrath: er setzt seinen Werth mehr in seine unerschütterliche Festigkeit, als in seine Klugheit. Stets ist er zu finden, wo die Wahrheit zu finden ist: und fällt er von einer Partei ab, so ist es nicht aus Wankelmuth von seiner, sondern von ihrer Seite, indem sie zuvor von der Sache der Wahrheit abgefallen war.
Wie ich diesen Brief liebe, Freund! Obwohl Sie Prisen des Zweifels einstreuen, die ich überaus interessant finde, gerade die Idee, dass die Klugheit der Festigkeit zu weichen habe, ist, wenigstens für mich, schwer zu verdauen, nimmt mich doch Ihre Annäherung an die Rechtschaffenheit mit auf eine kurvenreiche Reise, über Stock und Stein.
Neben dem Anstand, also der Notwendigkeit, sich selbst unverblümt im Spiegel betrachten zu können und halbwegs zu wissen, wenig, bis kaum gefehlt zu haben und, im Idealfall, nur falsch um des Guten wegen gelegen zu haben, neben dem Anstand und der Aufrichtigkeit - übrigens zwei sehr unterschiedlich Dinge, denn auch die Unanständigen können aufrichtig sein, können ehrlich ihre Anstößigkeiten lauthals preisen, als Maß der Dinge hochleben lassen -, neben diesen beiden Zuständen besitzt die Rechtschaffenheit eine buchstäbliche Qualität, wenigstens im Deutschen: sie setzt nicht allein moralische, sondern eben auch juristische Maßstäbe, sie schafft Recht.
Wer dem Unrecht ausweicht, tut nur bedingt Gutes.
Das Gewissen kennt keine Atempause. Ruht es sich aus, stirbt der Anstand rasant dahin.
Wer sich aufs Rechte besinnt, soll in unserer Mitte wieder ihren oder seinen Platz finden.
Zu fehlen sei menschlich; immer Recht zu haben, eine Illusion.
28. Dezember
Ein rechtschaffener Mann seyn: stets steht dieser auf der Seite der Wahrheit, mit solcher Festigkeit des Vorsatzes, daß weder die Leidenschaft des großen Haufens, noch die Gewalt des Despoten ihn jemals dahin bringen, die Gränze des Rechts zu übertreten. Allein wer ist dieser Phönix der Gerechtigkeit? Wohl wenige ächte Anhänger hat die Rechtschaffenheit. Zwar rühmen sie Viele, jedoch nicht für ihr Haus. Andre folgen ihr bis zum Punkt der Gefahr: dann aber verleugnen sie die Falschen, verhehlen sie die Politischen. Denn sie kennt keine Rücksicht, sei es, daß sie mit der Freundschaft, mit der Macht, oder mit dem eigenen Interesse sich feindlich begegnete: hier nun liegt die Gefahr abtrünnig zu werden. Jetzt abstrahiren, mit scheinbarer Metaphysik, die Schlauen von ihr, um nicht der Absicht der Höheren oder der Staatsräson in den Weg zu treten. Jedoch der beharrliche Mann hält jede Verstellung für eine Art Verrath: er setzt seinen Werth mehr in seine unerschütterliche Festigkeit, als in seine Klugheit. Stets ist er zu finden, wo die Wahrheit zu finden ist: und fällt er von einer Partei ab, so ist es nicht aus Wankelmuth von seiner, sondern von ihrer Seite, indem sie zuvor von der Sache der Wahrheit abgefallen war.
Wie ich diesen Brief liebe, Freund! Obwohl Sie Prisen des Zweifels einstreuen, die ich überaus interessant finde, gerade die Idee, dass die Klugheit der Festigkeit zu weichen habe, ist, wenigstens für mich, schwer zu verdauen, nimmt mich doch Ihre Annäherung an die Rechtschaffenheit mit auf eine kurvenreiche Reise, über Stock und Stein.
Neben dem Anstand, also der Notwendigkeit, sich selbst unverblümt im Spiegel betrachten zu können und halbwegs zu wissen, wenig, bis kaum gefehlt zu haben und, im Idealfall, nur falsch um des Guten wegen gelegen zu haben, neben dem Anstand und der Aufrichtigkeit - übrigens zwei sehr unterschiedlich Dinge, denn auch die Unanständigen können aufrichtig sein, können ehrlich ihre Anstößigkeiten lauthals preisen, als Maß der Dinge hochleben lassen -, neben diesen beiden Zuständen besitzt die Rechtschaffenheit eine buchstäbliche Qualität, wenigstens im Deutschen: sie setzt nicht allein moralische, sondern eben auch juristische Maßstäbe, sie schafft Recht.
Wer dem Unrecht ausweicht, tut nur bedingt Gutes.
Das Gewissen kennt keine Atempause. Ruht es sich aus, stirbt der Anstand rasant dahin.
Wer sich aufs Rechte besinnt, soll in unserer Mitte wieder ihren oder seinen Platz finden.
Zu fehlen sei menschlich; immer Recht zu haben, eine Illusion.
28. Dezember
30.
Sich nicht zu Beschäftigungen bekennen, die in schlechtem Ansehen stehen, noch weniger zu Schimären, wodurch man sich eher in Verachtung, als in Ansehen bringt. Es giebt mancherlei grillenhafte Sekten, von welchen allen der kluge Mann sich fern hält. Aber es giebt Leute von wunderlichem Geschmack, welche immer nach dem greifen, was die Weisen verworfen haben, und dann in diesen Seltsamkeiten sich gar sehr gefallen. Dadurch werden sie zwar allgemein bekannt, doch mehr als Gegenstand des Lachens, als des Ruhms. Sogar zur Weisheit wird der umsichtige Mann sich nicht auf eine hervorstechende Weise bekennen, viel weniger zu Dingen, welche ihre Anhänger lächerlich machen. Sie werden hier nicht aufgezählt, weil die allgemeine Verachtung sie genugsam bezeichnet hat.
Umwerfend, Freund, wie Sie einerseits die Weisheit protegieren, andererseits aber davon abraten, es mit ihr zu übertreiben. Es ist wohl wahr: auch vom Guten kann man genug haben, um nicht zu sagen: ihm überdrüssig werden. Beim Nachlesen der letzten Briefe, die ich Ihnen geschrieben habe, habe ich mich manchmal gekniffen und mich gefragt, ob ich, vielleicht, in einigen Passagen als Know-it-all aufblitze, was mich peinlich berühren würde. Denn, um bei der Wahrheit zu bleiben, an sich merke ich, wie sehr ich von einer Minute zur nächsten schwanke, mal jenes, dann dieses fühle und denke, dies oder das auf der Zunge habe. Und, noch eine Verlegenheit, was schon im Rachen an Lauten steckt, formt sich, nicht zu selten, zu vorschnellen Sätzen, springt mir aus dem Maul wie ein Frosch aus zu heißem Wasser. Wer in diesen erbärmlichen Momenten am Hirnsteuer sitzt, wollen Sie wissen? Mein Ich und mein Nicht-Ich, was andere Unterbewusstsein nennen. Wie auch immer. Worum ich bitte: weder will ich, was Sie sagen, auf die Goldwage legen, noch hoffe ich, dass Sie mir anlasten, was aus dem Augenblick heraus seinen Weg in die Welt findet, sichtbar wird.
Alles Dahin-Gesagte kann auch anders gesagt werden.
Das Genau-Durchdachte braucht Zeit, die der Unterhaltung selten bleibt.
Denkfehler, über die wir sprechen, haben eine größere Chance, korrigiert zu werden.
Jede Echokammer stellt sich als Gefängnis heraus.
Wer ehrlich ist, weiß um die eigenen Beschränkungen.
Lieber wild leben, als handzahm sterben.
29. Dezember
Sich nicht zu Beschäftigungen bekennen, die in schlechtem Ansehen stehen, noch weniger zu Schimären, wodurch man sich eher in Verachtung, als in Ansehen bringt. Es giebt mancherlei grillenhafte Sekten, von welchen allen der kluge Mann sich fern hält. Aber es giebt Leute von wunderlichem Geschmack, welche immer nach dem greifen, was die Weisen verworfen haben, und dann in diesen Seltsamkeiten sich gar sehr gefallen. Dadurch werden sie zwar allgemein bekannt, doch mehr als Gegenstand des Lachens, als des Ruhms. Sogar zur Weisheit wird der umsichtige Mann sich nicht auf eine hervorstechende Weise bekennen, viel weniger zu Dingen, welche ihre Anhänger lächerlich machen. Sie werden hier nicht aufgezählt, weil die allgemeine Verachtung sie genugsam bezeichnet hat.
Umwerfend, Freund, wie Sie einerseits die Weisheit protegieren, andererseits aber davon abraten, es mit ihr zu übertreiben. Es ist wohl wahr: auch vom Guten kann man genug haben, um nicht zu sagen: ihm überdrüssig werden. Beim Nachlesen der letzten Briefe, die ich Ihnen geschrieben habe, habe ich mich manchmal gekniffen und mich gefragt, ob ich, vielleicht, in einigen Passagen als Know-it-all aufblitze, was mich peinlich berühren würde. Denn, um bei der Wahrheit zu bleiben, an sich merke ich, wie sehr ich von einer Minute zur nächsten schwanke, mal jenes, dann dieses fühle und denke, dies oder das auf der Zunge habe. Und, noch eine Verlegenheit, was schon im Rachen an Lauten steckt, formt sich, nicht zu selten, zu vorschnellen Sätzen, springt mir aus dem Maul wie ein Frosch aus zu heißem Wasser. Wer in diesen erbärmlichen Momenten am Hirnsteuer sitzt, wollen Sie wissen? Mein Ich und mein Nicht-Ich, was andere Unterbewusstsein nennen. Wie auch immer. Worum ich bitte: weder will ich, was Sie sagen, auf die Goldwage legen, noch hoffe ich, dass Sie mir anlasten, was aus dem Augenblick heraus seinen Weg in die Welt findet, sichtbar wird.
Alles Dahin-Gesagte kann auch anders gesagt werden.
Das Genau-Durchdachte braucht Zeit, die der Unterhaltung selten bleibt.
Denkfehler, über die wir sprechen, haben eine größere Chance, korrigiert zu werden.
Jede Echokammer stellt sich als Gefängnis heraus.
Wer ehrlich ist, weiß um die eigenen Beschränkungen.
Lieber wild leben, als handzahm sterben.
29. Dezember
31.
Die Glücklichen und Unglücklichen kennen, um sich zu jenen zu halten und diese zu fliehen. Das Unglück ist meistentheils Strafe der Thorheit, und für die Theilnahme ist keine Krankheit ansteckender. Man darf nie dem kleineren Uebel die Thür öffnen: denn hinter ihm werden sich stets viele andere und größere einschleichen. Die feinste Kunst beim Spiel besteht im richtigen Ekartiren: und die kleinste Karte der Farbe, die jetzt Trumpf ist, ist wichtiger als die größte derjenigen, die es vorher war. Ist man zweifelhaft, so ist das Gescheuteste, sich zu den Klugen und Vorsichtigen zu halten, da diese früh oder spät das Glück einholen.
Interessant, Freund, dass Sie glauben, das Glück oder Unglück ansteckend wären, als handelte es sich um eine Erkältung. Für mich, um im Bild zu bleiben, handelt es sich, wenn wir über die Unbill sprechen - übrigens eines der wenigen Worte, die im Deuschen auch die Artikel der oder das tragen können, also ein Begriff, der jede linguistische Lage abbilldet -, für mich sind Misere, Pech, Unbill in der Mehrzahl dumme Unglücke, vergleichbar einem Messerschnitt. Erst vorgestern bin ich barfuß in eine Nadel getreten, die sich tief in meinen linken großen Zeh gebohrt hat - wäre ich dadurch für Sie jemand, dem Sie aus dem Weg gehen würden, da ich das Unglück angezogen habe? Gewiss, dies ist ein naives Beispiel, aber, in letzter Konsequenz, argumentieren Sie von einer leichtgläubigen Warte aus. Passierte nun mehr als ein Ritzer mit einem scharfen Gegenstand, sagen wir: ein Erdbeben, würden Sie dann allen Helferinnen und Helfern tunlichst raten, sich nur nicht um die Verschütteten zu kümmern, die von einem Unglück, einem Schicksalsschlag getroffen worden sind?
Das außerordentliche Unglücklichsein, die Depression, gehört eh zu den Krankheiten, an denen jede und jeder von uns im Laufe des Lebens leidet. Zeigen Sie mir einen Menschen, der immer nur glücklich gewesen ist, dessen Gemüt sich nicht krank gefühlt, in dem die Galle, wie's in Ihrer Zeit hieß, gegoren hat! Sie fänden niemanden. Denk ich an mein ewiges Nicht-Sein, die unvorstellbare Arbeit und Zeit, die ich mit mir selbst und meinen Texten verbracht habe, überkommt mich eine existenzialistische Betrübnis, die, passte ich nicht auf, jeden Augenblck im wahren Nicht-Sein enden könnte.
Sich nur an die Glücklichen zu halten, sei weltfremd und asozial.
Im Unglück zeigen viele ihre größte Stärke und Liebenswürdigkeit.
Große Kunst stammt selten aus dem leichtfüßigen Lachen.
30. Dezember
Die Glücklichen und Unglücklichen kennen, um sich zu jenen zu halten und diese zu fliehen. Das Unglück ist meistentheils Strafe der Thorheit, und für die Theilnahme ist keine Krankheit ansteckender. Man darf nie dem kleineren Uebel die Thür öffnen: denn hinter ihm werden sich stets viele andere und größere einschleichen. Die feinste Kunst beim Spiel besteht im richtigen Ekartiren: und die kleinste Karte der Farbe, die jetzt Trumpf ist, ist wichtiger als die größte derjenigen, die es vorher war. Ist man zweifelhaft, so ist das Gescheuteste, sich zu den Klugen und Vorsichtigen zu halten, da diese früh oder spät das Glück einholen.
Interessant, Freund, dass Sie glauben, das Glück oder Unglück ansteckend wären, als handelte es sich um eine Erkältung. Für mich, um im Bild zu bleiben, handelt es sich, wenn wir über die Unbill sprechen - übrigens eines der wenigen Worte, die im Deuschen auch die Artikel der oder das tragen können, also ein Begriff, der jede linguistische Lage abbilldet -, für mich sind Misere, Pech, Unbill in der Mehrzahl dumme Unglücke, vergleichbar einem Messerschnitt. Erst vorgestern bin ich barfuß in eine Nadel getreten, die sich tief in meinen linken großen Zeh gebohrt hat - wäre ich dadurch für Sie jemand, dem Sie aus dem Weg gehen würden, da ich das Unglück angezogen habe? Gewiss, dies ist ein naives Beispiel, aber, in letzter Konsequenz, argumentieren Sie von einer leichtgläubigen Warte aus. Passierte nun mehr als ein Ritzer mit einem scharfen Gegenstand, sagen wir: ein Erdbeben, würden Sie dann allen Helferinnen und Helfern tunlichst raten, sich nur nicht um die Verschütteten zu kümmern, die von einem Unglück, einem Schicksalsschlag getroffen worden sind?
Das außerordentliche Unglücklichsein, die Depression, gehört eh zu den Krankheiten, an denen jede und jeder von uns im Laufe des Lebens leidet. Zeigen Sie mir einen Menschen, der immer nur glücklich gewesen ist, dessen Gemüt sich nicht krank gefühlt, in dem die Galle, wie's in Ihrer Zeit hieß, gegoren hat! Sie fänden niemanden. Denk ich an mein ewiges Nicht-Sein, die unvorstellbare Arbeit und Zeit, die ich mit mir selbst und meinen Texten verbracht habe, überkommt mich eine existenzialistische Betrübnis, die, passte ich nicht auf, jeden Augenblck im wahren Nicht-Sein enden könnte.
Sich nur an die Glücklichen zu halten, sei weltfremd und asozial.
Im Unglück zeigen viele ihre größte Stärke und Liebenswürdigkeit.
Große Kunst stammt selten aus dem leichtfüßigen Lachen.
30. Dezember
32.
Im Rufe der Gefälligkeit stehen. Das Ansehen derer, die am Staatsruder stehn, gewinnt sehr dadurch, daß sie willfährig sind, und die Huld ist eine Eigenschaft der Herrscher, durch welche sie die allgemeine Gunst erlangen. Dies ist ja eben der einzige Vorzug, den die höchste Macht giebt, daß man mehr Gutes thun kann als alle Andern. Freunde sind die, welche Freundschaft erweisen. Dagegen giebt es Andre, welche sich darauf legen, ungefällig zu seyn, nicht so sehr wegen des Beschwerlichen, als aus Tücke: sie sind ganz und gar das Gegentheil der göttlichen Milde.
Auf Huld, Freund, zu verzichten, sei ein Vorzug derjenigen, die in einer Demokratie leben. Abhängig von der gefälligen Willkür der Tyranninnen und Autokraten zu sein, schnürt das Herz ein und verursacht einen beständigen Schluckauf im Hirn.
Arbiträre Güte, auf die wir kein Anrecht haben, zwingt viele von uns in eine Bücklingshaltung, die den meisten über kurz oder lang das Rückgrat bricht.
Vetternwirtschaft stört schon Familienbande, Staaten zerstört sie.
Freundschaften, bei denen sich die Beteiligten gegenseitig die schmutzigen Hände waschen, taugen nie und nimmer fürs Gemeinwohl.
Nur wer die Fremden liebt, soll uns regieren.
2. Januar
Im Rufe der Gefälligkeit stehen. Das Ansehen derer, die am Staatsruder stehn, gewinnt sehr dadurch, daß sie willfährig sind, und die Huld ist eine Eigenschaft der Herrscher, durch welche sie die allgemeine Gunst erlangen. Dies ist ja eben der einzige Vorzug, den die höchste Macht giebt, daß man mehr Gutes thun kann als alle Andern. Freunde sind die, welche Freundschaft erweisen. Dagegen giebt es Andre, welche sich darauf legen, ungefällig zu seyn, nicht so sehr wegen des Beschwerlichen, als aus Tücke: sie sind ganz und gar das Gegentheil der göttlichen Milde.
Auf Huld, Freund, zu verzichten, sei ein Vorzug derjenigen, die in einer Demokratie leben. Abhängig von der gefälligen Willkür der Tyranninnen und Autokraten zu sein, schnürt das Herz ein und verursacht einen beständigen Schluckauf im Hirn.
Arbiträre Güte, auf die wir kein Anrecht haben, zwingt viele von uns in eine Bücklingshaltung, die den meisten über kurz oder lang das Rückgrat bricht.
Vetternwirtschaft stört schon Familienbande, Staaten zerstört sie.
Freundschaften, bei denen sich die Beteiligten gegenseitig die schmutzigen Hände waschen, taugen nie und nimmer fürs Gemeinwohl.
Nur wer die Fremden liebt, soll uns regieren.
2. Januar
33.
Sich zu entziehen wissen. Wenn eine große Lebensregel die ist, daß man zu verweigern verstehe; so folgt, daß es eine noch wichtigere ist, daß man sich selbst, sowohl den Geschäften als den Personen, zu verweigern wisse. Es giebt fremdartige Beschäftigungen, welche die Motten der kostbaren Zeit sind. Sich mit etwas Ungehörigem beschäftigen, ist schlimmer als Nichtsthun. Für den Umsichtigen ist es nicht hinreichend, daß er nicht zudringlich sei, sondern er muß auch dafür sorgen, daß Andre sich ihm nicht aufdringen. So sehr darf man nicht Allen angehören, daß man nicht mehr sich selber angehörte. Eben so darf man auch seinerseits nicht seine Freunde mißbrauchen, und nicht mehr von ihnen verlangen, als sie eingeräumt haben. Jedes Uebermaaß ist fehlerhaft, aber am meisten im Umgang. Mit dieser klugen Mäßigung wird man sich am besten die Gunst und Wertschätzung Aller erhalten, weil alsdann der so kostbare Anstand nicht allmälig bei Seite gesetzt wird. Man erhalte sich also die Freiheit seiner Sinnesart, liebe innig das Auserlesene jeder Gattung, und thue nie der Aufrichtigkeit seines guten Geschmackes Gewalt an.
Am Schwierigsten, Freund, wohlgemerkt: mit einigem Abstand, ist das Entziehen von sich selbst. Und davon will ich sprechen, nicht von den Dingen, bei denen ich mit Ihnen übereinstimme, was, um ehrlich zu sein, den kritischen Geist schnell langweilt.
Wer immer ein Ja hört, liebt das Nein.
Denn sind's nicht die eigenen Marotten, die uns die Zeit rauben, auslaugen und, im Extremfall, den Verstand rauben? Ich muss es also bewerkstelligen, dass ich mich mir selbst verweigere. Über den eigenen Schatten zu springen, ist die interessanteste Leibes- und Geistesübung, der wir uns stellen können. Gut zu scheitern, bereitet mir mehr Vergnügen, als schlecht zu passieren.
Wer mutig ist, versucht, die persönlichen Grenzen zu erreichen; weise sei, wer sie überschreitet, im Neuen schwelgt und sich eine Tür zurück ins Altmodische offenhält.
Richtig und fehl zugleich am Platze zu sein, sei das allerbeste Reiseschicksal. Sich überall gleich zu fühlen, ist ein Zeichen schwachen Verstands.
Wer Geschmack hat, wählt aus und verschmäht.
Alles zu begehren, endet mit Einsamkeit.
3. Januar
Sich zu entziehen wissen. Wenn eine große Lebensregel die ist, daß man zu verweigern verstehe; so folgt, daß es eine noch wichtigere ist, daß man sich selbst, sowohl den Geschäften als den Personen, zu verweigern wisse. Es giebt fremdartige Beschäftigungen, welche die Motten der kostbaren Zeit sind. Sich mit etwas Ungehörigem beschäftigen, ist schlimmer als Nichtsthun. Für den Umsichtigen ist es nicht hinreichend, daß er nicht zudringlich sei, sondern er muß auch dafür sorgen, daß Andre sich ihm nicht aufdringen. So sehr darf man nicht Allen angehören, daß man nicht mehr sich selber angehörte. Eben so darf man auch seinerseits nicht seine Freunde mißbrauchen, und nicht mehr von ihnen verlangen, als sie eingeräumt haben. Jedes Uebermaaß ist fehlerhaft, aber am meisten im Umgang. Mit dieser klugen Mäßigung wird man sich am besten die Gunst und Wertschätzung Aller erhalten, weil alsdann der so kostbare Anstand nicht allmälig bei Seite gesetzt wird. Man erhalte sich also die Freiheit seiner Sinnesart, liebe innig das Auserlesene jeder Gattung, und thue nie der Aufrichtigkeit seines guten Geschmackes Gewalt an.
Am Schwierigsten, Freund, wohlgemerkt: mit einigem Abstand, ist das Entziehen von sich selbst. Und davon will ich sprechen, nicht von den Dingen, bei denen ich mit Ihnen übereinstimme, was, um ehrlich zu sein, den kritischen Geist schnell langweilt.
Wer immer ein Ja hört, liebt das Nein.
Denn sind's nicht die eigenen Marotten, die uns die Zeit rauben, auslaugen und, im Extremfall, den Verstand rauben? Ich muss es also bewerkstelligen, dass ich mich mir selbst verweigere. Über den eigenen Schatten zu springen, ist die interessanteste Leibes- und Geistesübung, der wir uns stellen können. Gut zu scheitern, bereitet mir mehr Vergnügen, als schlecht zu passieren.
Wer mutig ist, versucht, die persönlichen Grenzen zu erreichen; weise sei, wer sie überschreitet, im Neuen schwelgt und sich eine Tür zurück ins Altmodische offenhält.
Richtig und fehl zugleich am Platze zu sein, sei das allerbeste Reiseschicksal. Sich überall gleich zu fühlen, ist ein Zeichen schwachen Verstands.
Wer Geschmack hat, wählt aus und verschmäht.
Alles zu begehren, endet mit Einsamkeit.
3. Januar
34.
Seine vorherrschende Fähigkeit kennen, sein hervorstechendes Talent; sodann dieses ausbilden und den übrigen nachhelfen. Jeder wäre in irgend etwas ausgezeichnet geworden, hätte er seinen Vorzug gekannt. Man beobachte also seine überwiegende Eigenschaft und verwende auf diese allen Fleiß. Bei Einigen ist der Verstand, bei Andern die Tapferkeit vorherrschend. Die Meisten thun aber ihren Naturgaben Gewalt an, und bringen es deshalb in nichts zur Überlegenheit. Das, was anfangs der Leidenschaft schmeichelte, wird von der Zeit zu spät als Irrthum aufgedeckt.
Sich zu verennen, Freund, birgt einiges - sowohl an Leidenschaft als auch Pech. Mir scheint, dass die Idee, eine herausragende Kompetenz zu besitzen, einerseits überaus verlockend - Meisterschaft! -, andererseits ziemlich einfältig - Fachidiotie! - ist. Für beides ließen sich also Argumente finden. Und sicherlich, bin ich ganz ehrlich, wär's gar schön, wenn wir uns auf eine Sache stürzen könnten, um an ihr zu genesen, uns den Beifall der Welt ob unserer zukünftigen Fähigkeit einzuheimsen. So kommt's jedoch selten. Viele sind alsbald vom Spezialistentum angeödnet, langweilen sich die Krätze und schrumpfen zur Ehrgeizzwergin und zum Zielstrebigkeitszwerg. Dann wird das vermeintliche Können zur Last, zum Know-how-Gefängnis, aus dem der Ausbruch kaum noch gelingt. Viel besser wär's dann wohl, allerlei zu wagen, alle paar Jahre die Zelte abzubauen und das Heil im Neuen zu suchen.
Routine ist das Schwarzbrot, Abwechslung das Croissant - und beides zusammen ergibt eine bekömmliche Tagesspeise.
Wer eine Fähigkeit an sich entdeckt, nutze sie, aber übertreib's nicht damit. Jeder Übereifer führt ins Unglück, auch wenn's zunächst ganz anders scheint.
Sich selbst in Zaum zu halten, gelingt wenigen, schon gar nicht den Ehrgeizigen.
Talent führt zu wenig, kommt nicht ein wenig Disziplin dazu.
4. Januar
Seine vorherrschende Fähigkeit kennen, sein hervorstechendes Talent; sodann dieses ausbilden und den übrigen nachhelfen. Jeder wäre in irgend etwas ausgezeichnet geworden, hätte er seinen Vorzug gekannt. Man beobachte also seine überwiegende Eigenschaft und verwende auf diese allen Fleiß. Bei Einigen ist der Verstand, bei Andern die Tapferkeit vorherrschend. Die Meisten thun aber ihren Naturgaben Gewalt an, und bringen es deshalb in nichts zur Überlegenheit. Das, was anfangs der Leidenschaft schmeichelte, wird von der Zeit zu spät als Irrthum aufgedeckt.
Sich zu verennen, Freund, birgt einiges - sowohl an Leidenschaft als auch Pech. Mir scheint, dass die Idee, eine herausragende Kompetenz zu besitzen, einerseits überaus verlockend - Meisterschaft! -, andererseits ziemlich einfältig - Fachidiotie! - ist. Für beides ließen sich also Argumente finden. Und sicherlich, bin ich ganz ehrlich, wär's gar schön, wenn wir uns auf eine Sache stürzen könnten, um an ihr zu genesen, uns den Beifall der Welt ob unserer zukünftigen Fähigkeit einzuheimsen. So kommt's jedoch selten. Viele sind alsbald vom Spezialistentum angeödnet, langweilen sich die Krätze und schrumpfen zur Ehrgeizzwergin und zum Zielstrebigkeitszwerg. Dann wird das vermeintliche Können zur Last, zum Know-how-Gefängnis, aus dem der Ausbruch kaum noch gelingt. Viel besser wär's dann wohl, allerlei zu wagen, alle paar Jahre die Zelte abzubauen und das Heil im Neuen zu suchen.
Routine ist das Schwarzbrot, Abwechslung das Croissant - und beides zusammen ergibt eine bekömmliche Tagesspeise.
Wer eine Fähigkeit an sich entdeckt, nutze sie, aber übertreib's nicht damit. Jeder Übereifer führt ins Unglück, auch wenn's zunächst ganz anders scheint.
Sich selbst in Zaum zu halten, gelingt wenigen, schon gar nicht den Ehrgeizigen.
Talent führt zu wenig, kommt nicht ein wenig Disziplin dazu.
4. Januar
35.
Nachdenken, und am meisten über das, woran am meisten gelegen. Weil sie nicht denken, gehn alle Dummköpfe zu Grunde: sie sehn in den Dingen nie auch nur die Hälfte von dem, was da ist; und da sie sich so wenig anstrengen, daß sie nicht einmal ihren eigenen Schaden oder Vortheil begreifen, legen sie großen Werth auf das, woran wenig, und geringen auf das, woran viel gelegen, stets verkehrt abwägend. Viele verlieren den Verstand deshalb nicht, weil sie keinen haben. Es giebt Sachen, die man mit der ganzen Anstrengung seines Geistes untersuchen und nachher in der Tiefe desselben aufbewahren soll. Der Kluge denkt über Alles nach, wiewohl mit Unterschied: er vertieft sich da, wo er Grund und Widerstand findet, und denkt bisweilen, daß noch mehr da ist, als er denkt: dergestalt reicht sein Nachdenken eben so weit als seine Besorgniß.
Dass es die Sorgen sind, die uns zum Denken treiben, Freund, mag wohl stimmen. Und auch wenn diese Art des Grübelns allein der Krise verpflichtet ist - entweder dem Missstand, der schon herrscht, oder demjenigen, der herrschen könnte -, schärft sie doch einigermaßen den Verstand, macht uns, in den Augen anderer, agil. Wesentlich besser als das ex negativo-Denken wirkt sich jedoch, für uns selbst, das kreative Überlegen aus, das agiert, nicht reagiert.
Wer etwas erschafft, sei's stofflich oder körperlos, das sich von seiner Schöpferin oder seinem Schöpfer löst und in der Welt besteht, hat Anteil am Schönsten, was es, neben der Liebe, gibt: dem Gedankenaustausch.
Die klügsten Gedanken hinterlassen keine Spuren, verlassen sie nicht den Mund.
Auf Dauer zu schweigen, hilft allein der Dummheit.
Im Gespräch wird das Kleine groß, das Große klein.
5. Februar
Nachdenken, und am meisten über das, woran am meisten gelegen. Weil sie nicht denken, gehn alle Dummköpfe zu Grunde: sie sehn in den Dingen nie auch nur die Hälfte von dem, was da ist; und da sie sich so wenig anstrengen, daß sie nicht einmal ihren eigenen Schaden oder Vortheil begreifen, legen sie großen Werth auf das, woran wenig, und geringen auf das, woran viel gelegen, stets verkehrt abwägend. Viele verlieren den Verstand deshalb nicht, weil sie keinen haben. Es giebt Sachen, die man mit der ganzen Anstrengung seines Geistes untersuchen und nachher in der Tiefe desselben aufbewahren soll. Der Kluge denkt über Alles nach, wiewohl mit Unterschied: er vertieft sich da, wo er Grund und Widerstand findet, und denkt bisweilen, daß noch mehr da ist, als er denkt: dergestalt reicht sein Nachdenken eben so weit als seine Besorgniß.
Dass es die Sorgen sind, die uns zum Denken treiben, Freund, mag wohl stimmen. Und auch wenn diese Art des Grübelns allein der Krise verpflichtet ist - entweder dem Missstand, der schon herrscht, oder demjenigen, der herrschen könnte -, schärft sie doch einigermaßen den Verstand, macht uns, in den Augen anderer, agil. Wesentlich besser als das ex negativo-Denken wirkt sich jedoch, für uns selbst, das kreative Überlegen aus, das agiert, nicht reagiert.
Wer etwas erschafft, sei's stofflich oder körperlos, das sich von seiner Schöpferin oder seinem Schöpfer löst und in der Welt besteht, hat Anteil am Schönsten, was es, neben der Liebe, gibt: dem Gedankenaustausch.
Die klügsten Gedanken hinterlassen keine Spuren, verlassen sie nicht den Mund.
Auf Dauer zu schweigen, hilft allein der Dummheit.
Im Gespräch wird das Kleine groß, das Große klein.
5. Februar
36.
Sein Glück erwogen haben; um zu handeln, um sich einzulassen. Daran ist mehr gelegen, als an der Beobachtung seines Temperaments. Ist aber der ein Thor, welcher im vierzigsten Jahre sich an den Hippokrates, seiner Gesundheit halber, wendet, so ist es der noch mehr, welcher dann erst an den Seneka, der Weisheit wegen. Es ist eine große Kunst, sein Glück zu leiten zu wissen, indem man bald es abwartet, denn auch mit Warten ist bei ihm etwas auszurichten, bald es zur rechten Zeit benutzt, da es Perioden hält und Gelegenheiten darbietet; obwohl man ihm seinen Gang nicht ablernen kann, so regellos sind seine Schritte. Wer es günstig befunden hat, schreite keck vorwärts; denn es liebt die Kühnen leidenschaftlich, und, als schönes Weib, auch die Jünglinge. Wer aber Unglück hat, thue nichts mehr; sondern ziehe sich zurück, damit er nicht zu dem Unstern, der schon über ihm steht, einen zweiten heranrufe.
Ein Zeitgenosse von Ihnen, Freund, der Franzose François de La Rochefoucauld, hat mal behauptet, dass wir, bevor wir etwas brennend begehrten, das Glück derer prüfen sollten, die es bereits besäßen. Das scheint mir eine weise Maxime zu sein. Auf jeden Zug aufzuspringen, nur weil er an uns unter Volldampf vorbeirauscht, während ein Beifallsturm losbricht, halte ich dagegen ebenfalls für leichtsinnig.
Wer sich freiwillig entwurzelt, sollte weder zu viel Nostalgie spüren noch in der Ferne den selben Boden wie daheim erwarten.
Jedes Leben kennt zu Beginn die Freuden der Sinnlichkeit; mit dem Sinn a priori ist's weniger einfach, um nicht gar zu sagen: es gibt ihn nur, wenn wir ihn uns ausdenken.
Wer zuverlässig geringschätzt, was ist, wird niemals glücklich.
Glücklich zu sein, ist auch eine Entscheidung, eine, die uns niemand abnimmt.
6. Januar
Sein Glück erwogen haben; um zu handeln, um sich einzulassen. Daran ist mehr gelegen, als an der Beobachtung seines Temperaments. Ist aber der ein Thor, welcher im vierzigsten Jahre sich an den Hippokrates, seiner Gesundheit halber, wendet, so ist es der noch mehr, welcher dann erst an den Seneka, der Weisheit wegen. Es ist eine große Kunst, sein Glück zu leiten zu wissen, indem man bald es abwartet, denn auch mit Warten ist bei ihm etwas auszurichten, bald es zur rechten Zeit benutzt, da es Perioden hält und Gelegenheiten darbietet; obwohl man ihm seinen Gang nicht ablernen kann, so regellos sind seine Schritte. Wer es günstig befunden hat, schreite keck vorwärts; denn es liebt die Kühnen leidenschaftlich, und, als schönes Weib, auch die Jünglinge. Wer aber Unglück hat, thue nichts mehr; sondern ziehe sich zurück, damit er nicht zu dem Unstern, der schon über ihm steht, einen zweiten heranrufe.
Ein Zeitgenosse von Ihnen, Freund, der Franzose François de La Rochefoucauld, hat mal behauptet, dass wir, bevor wir etwas brennend begehrten, das Glück derer prüfen sollten, die es bereits besäßen. Das scheint mir eine weise Maxime zu sein. Auf jeden Zug aufzuspringen, nur weil er an uns unter Volldampf vorbeirauscht, während ein Beifallsturm losbricht, halte ich dagegen ebenfalls für leichtsinnig.
Wer sich freiwillig entwurzelt, sollte weder zu viel Nostalgie spüren noch in der Ferne den selben Boden wie daheim erwarten.
Jedes Leben kennt zu Beginn die Freuden der Sinnlichkeit; mit dem Sinn a priori ist's weniger einfach, um nicht gar zu sagen: es gibt ihn nur, wenn wir ihn uns ausdenken.
Wer zuverlässig geringschätzt, was ist, wird niemals glücklich.
Glücklich zu sein, ist auch eine Entscheidung, eine, die uns niemand abnimmt.
6. Januar
37.
Stichelreden kennen und anzuwenden verstehen. Dies ist der Punkt der größten Feinheit im menschlichen Umgang. Solche Stichelreden werden oft hingeworfen, um die Gemüther zu prüfen, und mittelst ihrer stellt man die versteckteste und zugleich eindringlichste Untersuchung des Herzens an. Eine andere Art derselben sind die boshaften, verwegenen, vom Gift des Neides angesteckten, oder mit dem Geifer der Leidenschaft getränkten: diese sind oft unvorhergesehene Blitze, durch welche man aus aller Gunst und Hochachtung mit Einem Male herabgeschleudert wird; von einem leichten Wörtchen dieser Art getroffen, sind Manche aus dem engsten Vertrauen der höchsten oder geringerer Personen herabgestürzt, denen doch auch nur den mindesten Schreck zu erregen, eine vollständige Verschwörung zwischen der Unzufriedenheit der Menge und der Bosheit der Einzelnen, unvermögend gewesen war. Wieder eine andere Art von Stichelreden wirkt im entgegengesetzten Sinne, indem sie unser Ansehen stützt und befestigt. Allein mit derselben Geschicklichkeit, mit welcher die Absichtlichkeit sie schleudert, muß die Vorkehr sie empfangen, ja die Umsicht sie schon zum voraus erwarten. Denn hier beruht die Abwehr auf der Kenntniß des Uebels, und der vorhergesehene Schuß verfehlt jedesmal sein Ziel.
Ihr Menschenbild, Freund, ist flau und dumpf, misanthropisch und maligne - und doch, fraglos, an der schnöden Wirklichkeit geschult. Ginge es nach mir, richteten wir uns frohgemut nach dem Imperativ der ersten "Das Göttliche"-Strophe Goethes: Edel sei der Mensch, hilfreich und gut! Eine sagenhafte Chimäre, ich weiß, die mir dennoch - Trug hin oder her - fest ans Herz gewachsen ist. Dass es zwei Strophen weiter heißt: dem Verbrecher glänzen, wie dem Besten, der Mond und die Sterne - wer will das schon Tag für Tag aufs Brot geschmiert bekommen?
Wer das laute Böse im Schnelldurchlauf sucht, findet's problemlos an jeder Ecke, übersieht dabei aber nicht zu selten das zartleise Gute, welches gleich daneben tapfer die Stellung hält.
Zu sticheln sei das Vorrecht der Unzufriedenen, das den Frohen leider nicht zusteht.
Die Ewigmüden halten eben das Bett für den Himmel.
7. Januar
Stichelreden kennen und anzuwenden verstehen. Dies ist der Punkt der größten Feinheit im menschlichen Umgang. Solche Stichelreden werden oft hingeworfen, um die Gemüther zu prüfen, und mittelst ihrer stellt man die versteckteste und zugleich eindringlichste Untersuchung des Herzens an. Eine andere Art derselben sind die boshaften, verwegenen, vom Gift des Neides angesteckten, oder mit dem Geifer der Leidenschaft getränkten: diese sind oft unvorhergesehene Blitze, durch welche man aus aller Gunst und Hochachtung mit Einem Male herabgeschleudert wird; von einem leichten Wörtchen dieser Art getroffen, sind Manche aus dem engsten Vertrauen der höchsten oder geringerer Personen herabgestürzt, denen doch auch nur den mindesten Schreck zu erregen, eine vollständige Verschwörung zwischen der Unzufriedenheit der Menge und der Bosheit der Einzelnen, unvermögend gewesen war. Wieder eine andere Art von Stichelreden wirkt im entgegengesetzten Sinne, indem sie unser Ansehen stützt und befestigt. Allein mit derselben Geschicklichkeit, mit welcher die Absichtlichkeit sie schleudert, muß die Vorkehr sie empfangen, ja die Umsicht sie schon zum voraus erwarten. Denn hier beruht die Abwehr auf der Kenntniß des Uebels, und der vorhergesehene Schuß verfehlt jedesmal sein Ziel.
Ihr Menschenbild, Freund, ist flau und dumpf, misanthropisch und maligne - und doch, fraglos, an der schnöden Wirklichkeit geschult. Ginge es nach mir, richteten wir uns frohgemut nach dem Imperativ der ersten "Das Göttliche"-Strophe Goethes: Edel sei der Mensch, hilfreich und gut! Eine sagenhafte Chimäre, ich weiß, die mir dennoch - Trug hin oder her - fest ans Herz gewachsen ist. Dass es zwei Strophen weiter heißt: dem Verbrecher glänzen, wie dem Besten, der Mond und die Sterne - wer will das schon Tag für Tag aufs Brot geschmiert bekommen?
Wer das laute Böse im Schnelldurchlauf sucht, findet's problemlos an jeder Ecke, übersieht dabei aber nicht zu selten das zartleise Gute, welches gleich daneben tapfer die Stellung hält.
Zu sticheln sei das Vorrecht der Unzufriedenen, das den Frohen leider nicht zusteht.
Die Ewigmüden halten eben das Bett für den Himmel.
7. Januar
38.
Vom Glücke beim Gewinnen scheiden: so machen es alle Spieler von Ruf. Ein schöner Rückzug ist eben so viel werth, als ein kühner Angriff. Man bringe seine Thaten, wann ihrer genug, wann ihrer viele sind, in Sicherheit. Ein lange anhaltendes Glück ist allemal verdächtig: das unterbrochene ist sicherer und das Süßsaure desselben sogar dem Geschmack angenehmer. Je mehr sich Glück auf Glück häuft, desto mehr Gefahr laufen sie auszugleiten und alle mit einander niederzustürzen. Die Höhe der Gunst des Glücks wird oft durch die Kürze ihrer Dauer aufgewogen: denn das Glück wird es müde, Einen so lange auf den Schultern zu tragen.
Rechtzeitig den Rückzug anzutreten, Freund, wenn wir noch von allen beweint werden, uns niemand üble Schähungen an den Hals wünscht, wir unsere Verdienste ehrlich einsacken können - das behagt mir als Vorstellung, sehr sogar. Mir stellt sich da nur ein Problem in den Weg, eines, das ich wohl mit vielen teilen dürfte: ich hab keinen Sonnenort, von dem ich mich zurückziehen könnte. Ich lebe im Halbschatten, stehe zwar ab und an im Licht, meistens allerdings in der trüben Finsternis. Ich weiß allein eine Sache sicher: die Nacht kommt regelmäßig zurück, unbarmherzig, sucht mich, ruft nach mir und treibt mich schließlich in eine alte, wundgeleckte Ecke, aus der's kein Entfliehen gibt.
Kommt das Glück, sollten wir's festhalten, ohne dabei zu sehr zu klammern; es kennt ephemere Launen und liebt das Reisen.
Geht alles den Bach herunter, lohnt sich der Rückzug, wenigstens für einige Zeit.
Wer tot ist, hat nichts vom Ruhm.
Jedes Glück stammt aus dem Unglück und kehrt, irgendwann, dorthin zurück.
8. Januar
Vom Glücke beim Gewinnen scheiden: so machen es alle Spieler von Ruf. Ein schöner Rückzug ist eben so viel werth, als ein kühner Angriff. Man bringe seine Thaten, wann ihrer genug, wann ihrer viele sind, in Sicherheit. Ein lange anhaltendes Glück ist allemal verdächtig: das unterbrochene ist sicherer und das Süßsaure desselben sogar dem Geschmack angenehmer. Je mehr sich Glück auf Glück häuft, desto mehr Gefahr laufen sie auszugleiten und alle mit einander niederzustürzen. Die Höhe der Gunst des Glücks wird oft durch die Kürze ihrer Dauer aufgewogen: denn das Glück wird es müde, Einen so lange auf den Schultern zu tragen.
Rechtzeitig den Rückzug anzutreten, Freund, wenn wir noch von allen beweint werden, uns niemand üble Schähungen an den Hals wünscht, wir unsere Verdienste ehrlich einsacken können - das behagt mir als Vorstellung, sehr sogar. Mir stellt sich da nur ein Problem in den Weg, eines, das ich wohl mit vielen teilen dürfte: ich hab keinen Sonnenort, von dem ich mich zurückziehen könnte. Ich lebe im Halbschatten, stehe zwar ab und an im Licht, meistens allerdings in der trüben Finsternis. Ich weiß allein eine Sache sicher: die Nacht kommt regelmäßig zurück, unbarmherzig, sucht mich, ruft nach mir und treibt mich schließlich in eine alte, wundgeleckte Ecke, aus der's kein Entfliehen gibt.
Kommt das Glück, sollten wir's festhalten, ohne dabei zu sehr zu klammern; es kennt ephemere Launen und liebt das Reisen.
Geht alles den Bach herunter, lohnt sich der Rückzug, wenigstens für einige Zeit.
Wer tot ist, hat nichts vom Ruhm.
Jedes Glück stammt aus dem Unglück und kehrt, irgendwann, dorthin zurück.
8. Januar
39.
Den Punkt der Reife an den Dingen kennen, um sie dann zu genießen. Die Werke der Natur gelangen alle zu einem Gipfel der Vollkommenheit: bis dahin nahmen sie zu, von dem an ab: unter denen der Kunst hingegen sind nur wenige, die dahin gebracht wären, daß sie keiner Verbesserung mehr fähig sind. Es ist ein Vorzug des guten Geschmacks, daß er jede Sache auf dem Punkte ihrer Vollendung genießt: Alle können dies nicht, und die es könnten, verstehn es nicht. Sogar für die Früchte des Geistes giebt es einen solchen Punkt der Reife: es ist wichtig, ihn zu kennen, hinsichtlich der Schätzung sowohl, als der Ausübung.
An sich, Freund, ist's kaum nötig, Ihnen in die So-und-nicht-anders-Parade zu fahren. Denn, natürlich, haben Sie Recht, dass es verschiedene Werkstadien gibt, Früchte irgendwann süß und saftig sind. Nichts fällt fertig vom Himmel. Aus einer Skizzensammlung wächst wohl ein Panoramabild, aus Notizen sprießt alsbald ein Epos, eilfertig komponierte Melodien fügen sich schließlich zur Symphonie. Und doch - die absolute Sicherheit, Vollkommenheit nicht nur erfassen, sondern überhaupt erwarten zu können oder zu wollen, geht mir eher ab. Ich mag das Fragment, die kleine, unfertige Form, den mal zarten, dann groben Gedankenstrich.
Offenheit sei der Liebe Anfang und die Gewähr für ihre Dauer.
Wer in die Perfektion vernarrt ist, beißt sich an Fehlern lebenslang die Zähne aus.
In mir selbst wohnen nichts als Patzer und Schnitzer, Irrtümer und Fehler; warum sollte es irgendwo, bei irgendjemand anders sein?
Wer von einem Werk behauptet, es könnte nur so sein, hat's nicht geschaffen.
Jedes kleine Teil hat seinen Wert, der oftmals weit perfekter als das Große und Ganze ist.
9. Januar
Den Punkt der Reife an den Dingen kennen, um sie dann zu genießen. Die Werke der Natur gelangen alle zu einem Gipfel der Vollkommenheit: bis dahin nahmen sie zu, von dem an ab: unter denen der Kunst hingegen sind nur wenige, die dahin gebracht wären, daß sie keiner Verbesserung mehr fähig sind. Es ist ein Vorzug des guten Geschmacks, daß er jede Sache auf dem Punkte ihrer Vollendung genießt: Alle können dies nicht, und die es könnten, verstehn es nicht. Sogar für die Früchte des Geistes giebt es einen solchen Punkt der Reife: es ist wichtig, ihn zu kennen, hinsichtlich der Schätzung sowohl, als der Ausübung.
An sich, Freund, ist's kaum nötig, Ihnen in die So-und-nicht-anders-Parade zu fahren. Denn, natürlich, haben Sie Recht, dass es verschiedene Werkstadien gibt, Früchte irgendwann süß und saftig sind. Nichts fällt fertig vom Himmel. Aus einer Skizzensammlung wächst wohl ein Panoramabild, aus Notizen sprießt alsbald ein Epos, eilfertig komponierte Melodien fügen sich schließlich zur Symphonie. Und doch - die absolute Sicherheit, Vollkommenheit nicht nur erfassen, sondern überhaupt erwarten zu können oder zu wollen, geht mir eher ab. Ich mag das Fragment, die kleine, unfertige Form, den mal zarten, dann groben Gedankenstrich.
Offenheit sei der Liebe Anfang und die Gewähr für ihre Dauer.
Wer in die Perfektion vernarrt ist, beißt sich an Fehlern lebenslang die Zähne aus.
In mir selbst wohnen nichts als Patzer und Schnitzer, Irrtümer und Fehler; warum sollte es irgendwo, bei irgendjemand anders sein?
Wer von einem Werk behauptet, es könnte nur so sein, hat's nicht geschaffen.
Jedes kleine Teil hat seinen Wert, der oftmals weit perfekter als das Große und Ganze ist.
9. Januar
40.
Gunst bei den Leuten. Die allgemeine Bewunderung zu erlangen, ist viel; mehr jedoch, die allgemeine Liebe. In etwas hängt es von der Gunst der Natur, aber mehr von der Bemühung ab: jene legt den Grund, diese führt es aus. Ausgezeichnete Fähigkeiten reichen nicht hin, obwohl sie vorausgesetzt werden: denn hat man einmal die Meinung gewonnen, so ist es leicht, auch die Zuneigung zu gewinnen. Sodann erwirbt man Wohlwollen nicht ohne Wohlthun: Gutes gethan, mit beiden Händen, schöne Worte, noch bessere Thaten, lieben, um geliebt zu werden. Die Höflichkeit ist die größte politische Zauberei der Großen. Erst strecke man seine Hand zu Thaten aus, und sodann nach den Federn; vom Stichblatt nach dem Geschichtsblatt: denn es giebt auch eine Gunst der Schriftsteller, und sie ist unsterblich.
Hier erwischen Sie mich, Freund, mit einer emotionalen Breitseite. Ich bin heute eh ziemlich nah am Wasser gebaut, fühle mich, als wollte ich die Welt umarmen, will von ihr endlich umarmt werden, habe keinerlei Vergnügen an den politischen Zerwürfnissen des Tages (Iran-Konflikt, Öl-Kämpfe, Flugzeug-Abschüsse), die allesamt weder produktiv noch diplomatisch, sondern nur dummdreist und zerstörerisch sind. Um wie viel schöner wäre da der Liebeszuwachs, von dem Sie so eloquent schwärmen!
Jede Zeit kennt ein Unmaß an Dummheit; wie die Klugheit, die nach Einfluss streben sollte, mit den ewigen Kalamitäten verfährt, macht den Unterschied aus.
Herrschen Dumme, deren Ignoranz den Frieden gefährdet, entferne man sie aus der Regierung; mit allen Mitteln, im Ernstfall auch Notstandgesetzen.
Die Moral steht, in der Gewaltherrschaft, über dem Gesetz.
Nur das Gute, das bei Bedarf kämpft, sei erfolgreich.
Güte ist in der Politik die Ausnahme, das Böse beinahe die Regel.
10. Januar
Gunst bei den Leuten. Die allgemeine Bewunderung zu erlangen, ist viel; mehr jedoch, die allgemeine Liebe. In etwas hängt es von der Gunst der Natur, aber mehr von der Bemühung ab: jene legt den Grund, diese führt es aus. Ausgezeichnete Fähigkeiten reichen nicht hin, obwohl sie vorausgesetzt werden: denn hat man einmal die Meinung gewonnen, so ist es leicht, auch die Zuneigung zu gewinnen. Sodann erwirbt man Wohlwollen nicht ohne Wohlthun: Gutes gethan, mit beiden Händen, schöne Worte, noch bessere Thaten, lieben, um geliebt zu werden. Die Höflichkeit ist die größte politische Zauberei der Großen. Erst strecke man seine Hand zu Thaten aus, und sodann nach den Federn; vom Stichblatt nach dem Geschichtsblatt: denn es giebt auch eine Gunst der Schriftsteller, und sie ist unsterblich.
Hier erwischen Sie mich, Freund, mit einer emotionalen Breitseite. Ich bin heute eh ziemlich nah am Wasser gebaut, fühle mich, als wollte ich die Welt umarmen, will von ihr endlich umarmt werden, habe keinerlei Vergnügen an den politischen Zerwürfnissen des Tages (Iran-Konflikt, Öl-Kämpfe, Flugzeug-Abschüsse), die allesamt weder produktiv noch diplomatisch, sondern nur dummdreist und zerstörerisch sind. Um wie viel schöner wäre da der Liebeszuwachs, von dem Sie so eloquent schwärmen!
Jede Zeit kennt ein Unmaß an Dummheit; wie die Klugheit, die nach Einfluss streben sollte, mit den ewigen Kalamitäten verfährt, macht den Unterschied aus.
Herrschen Dumme, deren Ignoranz den Frieden gefährdet, entferne man sie aus der Regierung; mit allen Mitteln, im Ernstfall auch Notstandgesetzen.
Die Moral steht, in der Gewaltherrschaft, über dem Gesetz.
Nur das Gute, das bei Bedarf kämpft, sei erfolgreich.
Güte ist in der Politik die Ausnahme, das Böse beinahe die Regel.
10. Januar
41.
Nie übertreiben. Es sei ein wichtiger Gegenstand unsrer Aufmerksamkeit, nicht in Superlativen zu reden; theils um nicht der Wahrheit zu nahe zu treten, theils um nicht unsern Verstand herabzusetzen. Die Übertreibungen sind Verschwendungen der Hochschätzung, und zeugen von der Beschränktheit unserer Kenntnisse und unsers Geschmacks. Das Lob erweckt lebhafte Neugierde, reizt das Begehren, und wann nun nachher, wie es sich gemeiniglich trifft, der Werth dem Preise nicht entspricht; so wendet die getäuschte Erwartung sich gegen den Betrug, und rächt sich durch Geringschätzung des Gerühmten und des Rühmers. Daher gehe der Kluge zurückhaltend zu Werke und fehle lieber durch das zuwenig als durch das zuviel. Die ganz außerordentlichen Dinge jeder Art sind selten; also mäßige man seine Wertschätzung. Die Uebertreibung ist der Lüge verwandt, und durch dieselbe kommt man um den Ruf des guten Geschmacks, welches viel, und um den der Verständigkeit, welches mehr ist.
Um der schnöden und schnörkellosen Einfachheit genüge zu tun, sei, Freund, sogleich angemerkt: sage niemals nie. Denn wohl stimmt, erneut, nahezu alles, was Sie anbringen, und doch bleibt, je weiter ich mich vom Tisch samt Mahlzeit entferne, ein bitterer Nachgeschmack.
Übrigens, und das nur am Rande: es ist schon oft eine arge Last mit der überzeugenden Perönlichkeit, die uns Dinge aufschwatzt, Sachen andreht, die wir weder brauchen noch jemals vermisst haben und die uns, im schlechtesten Fall, in eine Denkdunkelheit treiben, aus der kein Lichtschein jemals wieder entweicht.
Also, zur Übertreibung sei nur angemerkt, dass es weder in der Liebe noch in der Kunst an Übertreibung fehlen darf. Lieben sich zwei Menschen, sei nichts unangebrachter als die Idee der modesten Untertreibung. Spielt die Musik auf, sollten wir tanzen; sich vorzustellen, dass wir irgendwann lahm in der Ecke sitzen, hilft dem Glück im Jetzt kein bisschen auf die Beine.
Wer glaubt, genug Küsse mit den Liebsten ausgetauscht zu haben, schüttelt der Leidenschaftsentwöhnung bereits die Hand.
Guten Geschmack beweisen die- und derjenige, die sich dem Zeitgeist entziehen, wenn ihnen die Mode nicht steht.
Vom Guten kann man nicht zu viel haben; besonders nicht, wenn man's mit anderen großzügig teilt.
11. Januar
Nie übertreiben. Es sei ein wichtiger Gegenstand unsrer Aufmerksamkeit, nicht in Superlativen zu reden; theils um nicht der Wahrheit zu nahe zu treten, theils um nicht unsern Verstand herabzusetzen. Die Übertreibungen sind Verschwendungen der Hochschätzung, und zeugen von der Beschränktheit unserer Kenntnisse und unsers Geschmacks. Das Lob erweckt lebhafte Neugierde, reizt das Begehren, und wann nun nachher, wie es sich gemeiniglich trifft, der Werth dem Preise nicht entspricht; so wendet die getäuschte Erwartung sich gegen den Betrug, und rächt sich durch Geringschätzung des Gerühmten und des Rühmers. Daher gehe der Kluge zurückhaltend zu Werke und fehle lieber durch das zuwenig als durch das zuviel. Die ganz außerordentlichen Dinge jeder Art sind selten; also mäßige man seine Wertschätzung. Die Uebertreibung ist der Lüge verwandt, und durch dieselbe kommt man um den Ruf des guten Geschmacks, welches viel, und um den der Verständigkeit, welches mehr ist.
Um der schnöden und schnörkellosen Einfachheit genüge zu tun, sei, Freund, sogleich angemerkt: sage niemals nie. Denn wohl stimmt, erneut, nahezu alles, was Sie anbringen, und doch bleibt, je weiter ich mich vom Tisch samt Mahlzeit entferne, ein bitterer Nachgeschmack.
Übrigens, und das nur am Rande: es ist schon oft eine arge Last mit der überzeugenden Perönlichkeit, die uns Dinge aufschwatzt, Sachen andreht, die wir weder brauchen noch jemals vermisst haben und die uns, im schlechtesten Fall, in eine Denkdunkelheit treiben, aus der kein Lichtschein jemals wieder entweicht.
Also, zur Übertreibung sei nur angemerkt, dass es weder in der Liebe noch in der Kunst an Übertreibung fehlen darf. Lieben sich zwei Menschen, sei nichts unangebrachter als die Idee der modesten Untertreibung. Spielt die Musik auf, sollten wir tanzen; sich vorzustellen, dass wir irgendwann lahm in der Ecke sitzen, hilft dem Glück im Jetzt kein bisschen auf die Beine.
Wer glaubt, genug Küsse mit den Liebsten ausgetauscht zu haben, schüttelt der Leidenschaftsentwöhnung bereits die Hand.
Guten Geschmack beweisen die- und derjenige, die sich dem Zeitgeist entziehen, wenn ihnen die Mode nicht steht.
Vom Guten kann man nicht zu viel haben; besonders nicht, wenn man's mit anderen großzügig teilt.
11. Januar
42.
Von angeborner Herrschaft. Sie ist die geheim wirkende Kraft der Ueberlegenheit. Nicht aus einer widerlichen Künstelei darf sie hervorgehn, sondern aus einer gebietenden Natur. Alle unterwerfen sich ihr, ohne zu wissen wie, indem sie die verborgene Macht natürlicher Autorität anerkennen. Diese gebietenden Geister sind Könige durch ihren Werth, und Löwen, kraft angebornen Vorrechts. Durch die Hochachtung, die sie einflößen, nehmen sie Herz und Verstand der Uebrigen gefangen. Sind solchen nun auch die andern Fähigkeiten günstig; so sind sie geboren, die ersten Hebel der Staatsmaschine zu seyn: denn sie wirken mehr durch eine Miene, als Andre durch eine lange Rede.
Auf Granit, Freund, beißen Sie bei mir mit solch widerwärtigem, mir unheimlichem Führer-Gefasel. Genug der vermeintlich starken, angeblich charismatischen Männer, die selbstherrlich denken und verbrecherisch lenken wollen! Das Jahrhundert, in das ich hineingeboren worden bin, hat seinen unglaublichen Anteil an Massenmördern gehabt, die sich alle für unfehlbar gehalten, Unterwürfigkeit verlangt und in einem überbordenden Maße bekommen haben. Entsetzliche, bösartige Typen, oben wie unten. Niemals geht's gut aus für eine Gesellschaft, die sich in die Fänge eines besserwisserisch-kriminellen Autokraten begibt; und da Sie von Männern schwadronieren, nehm ich die Tyranninnen, die's selbstverständlich gleichfalls geben kann, hier explizit aus.
Nichts wird in einer Demokratie angeboren oder vererbt, alles legal errungen und kooperativ durch offenen Wettbewerb und faire Wahlen erreicht. Allein die regelmäßige, in kurzen Abständen durchgeführte Legislatur, der ständige demokratische Wechsel an der Spitze, ziemt sich und garantiert den Einfluss des Staatsvolkes, zu dem eine jede und ein jeder gehört, die oder der sich zur Zeit der Wahl auf dem Territorium befindet oder ihm sonstwie und sonstwo angehört.
Nur wer sich selbst (mit)regiert, sei frei.
Die Wahl zu haben, heißt stets auch, das Recht zu besitzen, Nein zu sagen und die Herrschenden turnusgemäß oder, bei Bedarf, außer der Reihe abzusetzen.
Wissen und Gewissen regiere, Rachlust und Raffgier resigniere!
12. Januar
Von angeborner Herrschaft. Sie ist die geheim wirkende Kraft der Ueberlegenheit. Nicht aus einer widerlichen Künstelei darf sie hervorgehn, sondern aus einer gebietenden Natur. Alle unterwerfen sich ihr, ohne zu wissen wie, indem sie die verborgene Macht natürlicher Autorität anerkennen. Diese gebietenden Geister sind Könige durch ihren Werth, und Löwen, kraft angebornen Vorrechts. Durch die Hochachtung, die sie einflößen, nehmen sie Herz und Verstand der Uebrigen gefangen. Sind solchen nun auch die andern Fähigkeiten günstig; so sind sie geboren, die ersten Hebel der Staatsmaschine zu seyn: denn sie wirken mehr durch eine Miene, als Andre durch eine lange Rede.
Auf Granit, Freund, beißen Sie bei mir mit solch widerwärtigem, mir unheimlichem Führer-Gefasel. Genug der vermeintlich starken, angeblich charismatischen Männer, die selbstherrlich denken und verbrecherisch lenken wollen! Das Jahrhundert, in das ich hineingeboren worden bin, hat seinen unglaublichen Anteil an Massenmördern gehabt, die sich alle für unfehlbar gehalten, Unterwürfigkeit verlangt und in einem überbordenden Maße bekommen haben. Entsetzliche, bösartige Typen, oben wie unten. Niemals geht's gut aus für eine Gesellschaft, die sich in die Fänge eines besserwisserisch-kriminellen Autokraten begibt; und da Sie von Männern schwadronieren, nehm ich die Tyranninnen, die's selbstverständlich gleichfalls geben kann, hier explizit aus.
Nichts wird in einer Demokratie angeboren oder vererbt, alles legal errungen und kooperativ durch offenen Wettbewerb und faire Wahlen erreicht. Allein die regelmäßige, in kurzen Abständen durchgeführte Legislatur, der ständige demokratische Wechsel an der Spitze, ziemt sich und garantiert den Einfluss des Staatsvolkes, zu dem eine jede und ein jeder gehört, die oder der sich zur Zeit der Wahl auf dem Territorium befindet oder ihm sonstwie und sonstwo angehört.
Nur wer sich selbst (mit)regiert, sei frei.
Die Wahl zu haben, heißt stets auch, das Recht zu besitzen, Nein zu sagen und die Herrschenden turnusgemäß oder, bei Bedarf, außer der Reihe abzusetzen.
Wissen und Gewissen regiere, Rachlust und Raffgier resigniere!
12. Januar
43.
Denken wie die Wenigsten und reden wie die Meisten. Gegen den Strom schwimmen zu wollen, vermag keineswegs den Irrthum zu zerstören, sehr wohl aber, in Gefahr zu bringen. Nur ein Sokrates konnte es unternehmen. Von Andrer Meinung abweichen, wird für Beleidigung gehalten; denn es ist ein Verdammen des fremden Urtheils. Bald mehren sich die darob Verdrießlichen, theils wegen des getadelten Gegenstandes, theils wegen dessen, der ihn gelobt hatte. Die Wahrheit ist für Wenige, der Trug so allgemein wie gemein. Den Weisen wird man nicht an dem erkennen, was er auf dem Marktplatz redet: denn dort spricht er nicht mit seiner Stimme, sondern mit der der allgemeinen Thorheit, so sehr auch sein Inneres sie verleugnen mag. Der Kluge vermeidet eben so sehr, daß man ihm, als daß er Andern widerspreche: so bereit er zum Tadel ist, so zurückhaltend in der Aeußerung desselben. Das Denken ist frei, ihm kann und darf keine Gewalt geschehn. Daher zieht der Kluge sich zurück in das Heiligthum seines Schweigens: und läßt er ja sich bisweilen aus; so ist es im engen Kreise Weniger und Verständiger.
Bleiben wir, Freund, bei Ihrem Flussbild: die Stromlinenförmigen steigen, falls Sie mit Ihrem Ratschlag, das eine (die Wahrheit) für sich zu denken, das andere (die Unwahrheit) aber in Gesellschaft zu sagen, Recht haben, die Stromlinenförmigen steigen also munter und wohlgemut aus dem reißenden Fluss, Unrat und Schmutz, welchen sie sich beim Durchqueren des Wassers aufgeladen haben, lassen sie kalt lächelnd an sich abperlen, nehmen eine Dusche und gleiten leichten Fußes ins frischgemachte Bett, unter dessen Decke sie allerlei Ehrlichkeiten ins eigene Ohr flüstern; denn, selbstverständlich, ist's am Ende so, dass solche Gestalten auch den Allernächsten nicht mehr trauen und, schließlich, auch keine Überraschung, die eigenen öffentlichen Lügen für bare Münze nehmen.
Wer sich einerseits stets aufs Falsche stützt, kann andererseits nicht für sich in Anspruch nehmen, dem Richtigen zu dienen.
Den Schizophrenen stehen nicht zwei Wege offen, da sie im Kreisverkehr feststecken.
Die Wahrheit zu wissen, aber für sich zu behalten, zeugt allein von Klugheit, wenn die unmittelbare Gefahr besteht, den Kopf abgeschlagen zu bekommen. Ansonsten sei's so, dass die Ehrlichkeit, einmal eingeführt, das Leben schöner und friedlicher macht.
Die Lüge findet, anfangs, stets und zuverlässig, andere Lügen attraktiv; besinnt sie sich allerdings irgendwann, nach vielen unaufrichtigen Jahren, eines Besseren, aus welchen Gründen auch immer, und hält sehnsüchtig nach der Wahrheit Ausschau, muss sie feststellen, dass der Erstunken-und-erlogen-Sumpf, in dem sie steckt, so weit reicht, dass von den Aufrichtigen nichts, rein gar nichts zu erblicken ist.
Die Dummheit hat selten kluge Freundinnen und vernünftige Freunde.
13. Januar
Denken wie die Wenigsten und reden wie die Meisten. Gegen den Strom schwimmen zu wollen, vermag keineswegs den Irrthum zu zerstören, sehr wohl aber, in Gefahr zu bringen. Nur ein Sokrates konnte es unternehmen. Von Andrer Meinung abweichen, wird für Beleidigung gehalten; denn es ist ein Verdammen des fremden Urtheils. Bald mehren sich die darob Verdrießlichen, theils wegen des getadelten Gegenstandes, theils wegen dessen, der ihn gelobt hatte. Die Wahrheit ist für Wenige, der Trug so allgemein wie gemein. Den Weisen wird man nicht an dem erkennen, was er auf dem Marktplatz redet: denn dort spricht er nicht mit seiner Stimme, sondern mit der der allgemeinen Thorheit, so sehr auch sein Inneres sie verleugnen mag. Der Kluge vermeidet eben so sehr, daß man ihm, als daß er Andern widerspreche: so bereit er zum Tadel ist, so zurückhaltend in der Aeußerung desselben. Das Denken ist frei, ihm kann und darf keine Gewalt geschehn. Daher zieht der Kluge sich zurück in das Heiligthum seines Schweigens: und läßt er ja sich bisweilen aus; so ist es im engen Kreise Weniger und Verständiger.
Bleiben wir, Freund, bei Ihrem Flussbild: die Stromlinenförmigen steigen, falls Sie mit Ihrem Ratschlag, das eine (die Wahrheit) für sich zu denken, das andere (die Unwahrheit) aber in Gesellschaft zu sagen, Recht haben, die Stromlinenförmigen steigen also munter und wohlgemut aus dem reißenden Fluss, Unrat und Schmutz, welchen sie sich beim Durchqueren des Wassers aufgeladen haben, lassen sie kalt lächelnd an sich abperlen, nehmen eine Dusche und gleiten leichten Fußes ins frischgemachte Bett, unter dessen Decke sie allerlei Ehrlichkeiten ins eigene Ohr flüstern; denn, selbstverständlich, ist's am Ende so, dass solche Gestalten auch den Allernächsten nicht mehr trauen und, schließlich, auch keine Überraschung, die eigenen öffentlichen Lügen für bare Münze nehmen.
Wer sich einerseits stets aufs Falsche stützt, kann andererseits nicht für sich in Anspruch nehmen, dem Richtigen zu dienen.
Den Schizophrenen stehen nicht zwei Wege offen, da sie im Kreisverkehr feststecken.
Die Wahrheit zu wissen, aber für sich zu behalten, zeugt allein von Klugheit, wenn die unmittelbare Gefahr besteht, den Kopf abgeschlagen zu bekommen. Ansonsten sei's so, dass die Ehrlichkeit, einmal eingeführt, das Leben schöner und friedlicher macht.
Die Lüge findet, anfangs, stets und zuverlässig, andere Lügen attraktiv; besinnt sie sich allerdings irgendwann, nach vielen unaufrichtigen Jahren, eines Besseren, aus welchen Gründen auch immer, und hält sehnsüchtig nach der Wahrheit Ausschau, muss sie feststellen, dass der Erstunken-und-erlogen-Sumpf, in dem sie steckt, so weit reicht, dass von den Aufrichtigen nichts, rein gar nichts zu erblicken ist.
Die Dummheit hat selten kluge Freundinnen und vernünftige Freunde.
13. Januar
44.
Mit großen Männern sympathisiren. Es ist eine Eigenschaft der Heroen, mit Heroen übereinzustimmen. Hierin liegt ein Wunder der Natur, sowohl wegen des Geheimnißvollen darin, als auch wegen des Nützlichen. Es giebt eine Verwandtschaft der Herzen und Gemüthsarten: ihre Wirkungen sind solche, wie die Unwissenheit des großen Haufens sie Zaubertränken zuschreibt. Sie bleibt nicht bei der Hochachtung stehn, sondern geht bis zum Wohlwollen, ja bis zur Zuneigung. Sie überredet ohne Worte und erlangt ohne Verdienst. Es giebt eine aktive und eine passive: beide sind heilbringend, und um so mehr, in je erhabenerer Gattung. Es ist eine große Geschicklichkeit, sie zu erkennen, zu unterscheiden und sie zu nutzen zu verstehen. Denn kein Eigensinn kann ohne diese geheime Gunst zum Zwecke führen.
Was eine Heldin oder ein Held ist, Freund, ist, beinahe, eine Frage des jeweiligen Tages. Gerade in Gesellschaften, in denen die Gewalt das Ruder eisern in der Hand hält und darüber entscheidet, wer die nächste Stunde unbeschadet übersteht, hat das Heroische, das Sie so ungbebrochen preisen, eine öffentliche und eine private Seite. In Ihrer Gottesgnadentum-&-Adelisttoll-Zeit wurden eher die angehimmelt, die den religiösen und monarchistischen Despotismus befördert und verteidigt haben. Für solch brutale Naturen schlägt mein Herz nicht. Ich bewundere, Sie dürften überrascht sein, demokratisch gesonnene Renegaten, sozial gestimmte Widerstandskämpferinnen und an allgemeiner Gerechtigkeit glaubende Insurgenten, die den selbstherrlichen Tyranninnen und geifernden Diktatoren ans Leder wollen.
Auch Böse können tapfer sein; wofür wir kämpfen, sagen wir: Toleranz und Liebe, macht uns zu Heldinnen und Heroen, nicht die Schlacht an sich.
Große Frauen und große Männer finden meine Zustimmung, wenn sie sich für die Allgemeinheit einsetzen. Einzelinteressen führen schnell zu Mafiastrukturen, und ab dann wäscht nicht zu selten eine schmutzige Heldinnenhand eine andere dreckige Heroenfaust.
Legitimiert sich Staatsgewalt aufgrund einer willkürlichen Hierarchie, sei Resistanz der einzige angebrachte Schwof mit den Herrschenden.
Wer sich dem Bösen an den Hals wirft, darf sich nicht wundern, wenn sie oder er gebissen werden.
14. Januar
Mit großen Männern sympathisiren. Es ist eine Eigenschaft der Heroen, mit Heroen übereinzustimmen. Hierin liegt ein Wunder der Natur, sowohl wegen des Geheimnißvollen darin, als auch wegen des Nützlichen. Es giebt eine Verwandtschaft der Herzen und Gemüthsarten: ihre Wirkungen sind solche, wie die Unwissenheit des großen Haufens sie Zaubertränken zuschreibt. Sie bleibt nicht bei der Hochachtung stehn, sondern geht bis zum Wohlwollen, ja bis zur Zuneigung. Sie überredet ohne Worte und erlangt ohne Verdienst. Es giebt eine aktive und eine passive: beide sind heilbringend, und um so mehr, in je erhabenerer Gattung. Es ist eine große Geschicklichkeit, sie zu erkennen, zu unterscheiden und sie zu nutzen zu verstehen. Denn kein Eigensinn kann ohne diese geheime Gunst zum Zwecke führen.
Was eine Heldin oder ein Held ist, Freund, ist, beinahe, eine Frage des jeweiligen Tages. Gerade in Gesellschaften, in denen die Gewalt das Ruder eisern in der Hand hält und darüber entscheidet, wer die nächste Stunde unbeschadet übersteht, hat das Heroische, das Sie so ungbebrochen preisen, eine öffentliche und eine private Seite. In Ihrer Gottesgnadentum-&-Adelisttoll-Zeit wurden eher die angehimmelt, die den religiösen und monarchistischen Despotismus befördert und verteidigt haben. Für solch brutale Naturen schlägt mein Herz nicht. Ich bewundere, Sie dürften überrascht sein, demokratisch gesonnene Renegaten, sozial gestimmte Widerstandskämpferinnen und an allgemeiner Gerechtigkeit glaubende Insurgenten, die den selbstherrlichen Tyranninnen und geifernden Diktatoren ans Leder wollen.
Auch Böse können tapfer sein; wofür wir kämpfen, sagen wir: Toleranz und Liebe, macht uns zu Heldinnen und Heroen, nicht die Schlacht an sich.
Große Frauen und große Männer finden meine Zustimmung, wenn sie sich für die Allgemeinheit einsetzen. Einzelinteressen führen schnell zu Mafiastrukturen, und ab dann wäscht nicht zu selten eine schmutzige Heldinnenhand eine andere dreckige Heroenfaust.
Legitimiert sich Staatsgewalt aufgrund einer willkürlichen Hierarchie, sei Resistanz der einzige angebrachte Schwof mit den Herrschenden.
Wer sich dem Bösen an den Hals wirft, darf sich nicht wundern, wenn sie oder er gebissen werden.
14. Januar
45.
Von der Schlauheit Gebrauch, nicht Mißbrauch machen. Man soll sich nicht in ihr gefallen, noch weniger sie zu verstehn geben. Alles Künstliche muß verdeckt bleiben, weil es verdächtig ist, besonders aber, wenn es Vorsichtsmaaßregeln betrifft; denn da ist es verhaßt. Der Betrug ist stark im Gebrauch; daher verdoppele sich der Verdacht, ohne jedoch sich zu erkennen zu geben; weil er sonst Mißtrauen erregt, sehr kränkt, zur Rache auffordert und Schlechtigkeiten erweckt, an welche vorher Keiner gedacht hatte. Mit Ueberlegung zu Werke gehn, ist ein mächtiger Vortheil beim Handeln, und es giebt keinen sicherern Beweis von Vernunft. Die größte Vollkommenheit der Handlungen stützt sich auf die sichere Meisterschaft, mit der man sie ausführt.
Gut, Freund, hier könnte ich, beinahe, meine Unterschrift hintersetzen, und die Sache wäre ein für allemal geregelt. Denn, natürlich, stimmt's, dass Oberschlaue, die vor uns, den Mund vollnehmend, auftrumpfen, nicht als unsere besten Freundinnen und Freunde gelten sollten. Wer die eigene Dummheit ständig aufs Brot geschmiert bekommt, verzicht, nachvollziehbarer Weise, alsbald auf die Pausensemmel. Und damit bin ich bei einem, wie mir scheint, wichtigen Aspekt Ihres Ratschlags, den ich mit einer seltsamen Umschreibung zu fassen versuche: die Unversehrtheit des Dilettantismus liegt mir am Herzen.
Das Unvollkommene lässt uns eher jubeln und glücklich zurück als die Perfektion, in der doch zuverlässig eine stählerne Stange steckt, mit der andere uns verdreschen oder an die sie uns binden wollen. Genug Luft zum Atmen gibt's halt nur in dem Würfel, dessen geschlossene Vollkommenheit ausreichend Brüche und Löcher kennt.
Glaubt eine oder einer, alles zu können, lohnt sich keine Unterhaltung, da's eh nur zum Monolog käme.
Jede Unternehmung, die auf Heller und Pfennig durchkalkuliert ist, langweilt.
15. Januar
Von der Schlauheit Gebrauch, nicht Mißbrauch machen. Man soll sich nicht in ihr gefallen, noch weniger sie zu verstehn geben. Alles Künstliche muß verdeckt bleiben, weil es verdächtig ist, besonders aber, wenn es Vorsichtsmaaßregeln betrifft; denn da ist es verhaßt. Der Betrug ist stark im Gebrauch; daher verdoppele sich der Verdacht, ohne jedoch sich zu erkennen zu geben; weil er sonst Mißtrauen erregt, sehr kränkt, zur Rache auffordert und Schlechtigkeiten erweckt, an welche vorher Keiner gedacht hatte. Mit Ueberlegung zu Werke gehn, ist ein mächtiger Vortheil beim Handeln, und es giebt keinen sicherern Beweis von Vernunft. Die größte Vollkommenheit der Handlungen stützt sich auf die sichere Meisterschaft, mit der man sie ausführt.
Gut, Freund, hier könnte ich, beinahe, meine Unterschrift hintersetzen, und die Sache wäre ein für allemal geregelt. Denn, natürlich, stimmt's, dass Oberschlaue, die vor uns, den Mund vollnehmend, auftrumpfen, nicht als unsere besten Freundinnen und Freunde gelten sollten. Wer die eigene Dummheit ständig aufs Brot geschmiert bekommt, verzicht, nachvollziehbarer Weise, alsbald auf die Pausensemmel. Und damit bin ich bei einem, wie mir scheint, wichtigen Aspekt Ihres Ratschlags, den ich mit einer seltsamen Umschreibung zu fassen versuche: die Unversehrtheit des Dilettantismus liegt mir am Herzen.
Das Unvollkommene lässt uns eher jubeln und glücklich zurück als die Perfektion, in der doch zuverlässig eine stählerne Stange steckt, mit der andere uns verdreschen oder an die sie uns binden wollen. Genug Luft zum Atmen gibt's halt nur in dem Würfel, dessen geschlossene Vollkommenheit ausreichend Brüche und Löcher kennt.
Glaubt eine oder einer, alles zu können, lohnt sich keine Unterhaltung, da's eh nur zum Monolog käme.
Jede Unternehmung, die auf Heller und Pfennig durchkalkuliert ist, langweilt.
15. Januar
46.
Seine Antipathie bemeistern. Oft verabscheuen wir aus freien Stücken, und sogar ehe wir die Eigenschaften der betreffenden Personen kennen gelernt haben: bisweilen wagt dieser angeborene, pöbelhafte Widerwille sich selbst gegen die ausgezeichnetesten Männer zu regen. Die Klugheit werde Herr über ihn: denn nichts kann eine schlechtere Meinung von uns erregen, als daß wir die verabscheuen, welche mehr werth sind als wir. So sehr als die Sympathie mit großen Männern zu unserm Vortheil spricht, setzt die Antipathie gegen dieselben uns herab.
Nun, Freund, gehen wir die ziemlich magere Reihe durch. Hassten wir aus unfreien Stücken, handelte es sich um kunstreiches Theater; was interessanter wäre, als Ihre nächsten Sätze. Das Problem, welches ich mit Ihren selbstgefälligen Charakterisierungen - ausgezeichnestesten Männer - habe, ist ein doppeltes: erstens finde ich ihr ewiges Fixiertsein aufs Maskuline extrem langweilig und arg beschränkt; zweitens nehmen Sie Ihre Wertungen nahezu ausschließlich aus dem hierarchischen Raum, die Attribute, die Sie Menschen zuweisen, besitzen ihre Legitimation dank eines falschen Referenzrahmens. Beispiel gefällig? Wenn ein Henkersknecht im Namen der Bösheit besonders gut stranguliert oder wenn Großgrundbesitzer das den Leibeigenen abgepresste Geld der Kirche spenden, handelt es sich nicht um vorzügliche Taten, die irgendjemand allen Ernstes rühmen sollte. Das von Ihnen benutzte mehr werh sein ist per se standesgebunden; gewiss, es dürfte Ausnahmen geben, aber am Egalitären haben Sie keinerlei Interesse.
Ohne faire Kriterien zählt das Lob wenig.
Echte Leistung ist die Leitwährung der Demokratie, falscher Beifall die der Diktatur.
Abscheu hilft über keinen tiefen Fluss.
16. Januar
Seine Antipathie bemeistern. Oft verabscheuen wir aus freien Stücken, und sogar ehe wir die Eigenschaften der betreffenden Personen kennen gelernt haben: bisweilen wagt dieser angeborene, pöbelhafte Widerwille sich selbst gegen die ausgezeichnetesten Männer zu regen. Die Klugheit werde Herr über ihn: denn nichts kann eine schlechtere Meinung von uns erregen, als daß wir die verabscheuen, welche mehr werth sind als wir. So sehr als die Sympathie mit großen Männern zu unserm Vortheil spricht, setzt die Antipathie gegen dieselben uns herab.
Nun, Freund, gehen wir die ziemlich magere Reihe durch. Hassten wir aus unfreien Stücken, handelte es sich um kunstreiches Theater; was interessanter wäre, als Ihre nächsten Sätze. Das Problem, welches ich mit Ihren selbstgefälligen Charakterisierungen - ausgezeichnestesten Männer - habe, ist ein doppeltes: erstens finde ich ihr ewiges Fixiertsein aufs Maskuline extrem langweilig und arg beschränkt; zweitens nehmen Sie Ihre Wertungen nahezu ausschließlich aus dem hierarchischen Raum, die Attribute, die Sie Menschen zuweisen, besitzen ihre Legitimation dank eines falschen Referenzrahmens. Beispiel gefällig? Wenn ein Henkersknecht im Namen der Bösheit besonders gut stranguliert oder wenn Großgrundbesitzer das den Leibeigenen abgepresste Geld der Kirche spenden, handelt es sich nicht um vorzügliche Taten, die irgendjemand allen Ernstes rühmen sollte. Das von Ihnen benutzte mehr werh sein ist per se standesgebunden; gewiss, es dürfte Ausnahmen geben, aber am Egalitären haben Sie keinerlei Interesse.
Ohne faire Kriterien zählt das Lob wenig.
Echte Leistung ist die Leitwährung der Demokratie, falscher Beifall die der Diktatur.
Abscheu hilft über keinen tiefen Fluss.
16. Januar
47.
Ehrensachen meiden. Einer der wichtigsten Gegenstände der Vorsicht. In Leuten von umfassendem Geiste liegen stets die Extreme sehr weit von einander entfernt, so daß ein langer Weg vom einen zum andern ist: sie selbst aber halten sich immer im Mittelpunkt ihrer Klugheit, daher sie es nicht leicht zum Bruche kommen lassen. Denn es ist viel leichter einer Gelegenheit dieser Art auszuweichen, als mit Glück aus derselben herauszukommen. Dergleichen sind Versuchungen unsrer Klugheit, und es ist sicherer sie zu fliehen, als in ihnen zu siegen. Eine Ehrensache führt eine andre und schlimmere herbei, und dabei kann die Ehre leicht sehr zu Schaden kommen. Es giebt Leute, die, vermöge ihres eigenthümlichen oder ihres National-Karakters, leicht Gelegenheit nehmen und geben, und geneigt sind Verpflichtungen dieser Art einzugehn. Hingegen bei dem, der am Lichte der Vernunft wandelt, bedarf die Sache längerer Ueberlegung. Er sieht mehr Muth darin, sich nicht einzulassen, als zu siegen: und wenn auch etwa ein allezeit bereitwilliger Narr da ist, so bittet er zu entschuldigen, daß er nicht Lust hat, der andre zu seyn.
Sie haben Humor, Freund! Und Recht: eine Närrin oder ein Narr sind mehr als genug - gerade wenn wir uns mit ihnen direkt auseinanderzusetzen haben. Tausend Besserwisserinnen und Klugscheißer, die mich angreifen, sind mir lieber als ein Dummkopf, der sich auf meine Seite stellt. Die Einfalt plappert unerschrocken drauf los, und verbreiten sich erst einmal ihre Dummheiten wie ein Social Media-Lauffeuer, fällt's uns schwer, den Schwachsinn wieder einzusammeln und aus der Welt zu schaffen.
Die Sache mit der Ehre, die, tief gekränkt, oft genug im Duell endet - heutzutage eher als Redeschlacht, denn als Schießerei -, ist da doch um einiges weniger eindeutig. Der oft sinnfrei geäußerte Ausspruch Ehre, wem Ehre gebührt ist und bleibt trotzdem eine gedankliche Nullnummer, ein Nullsummenspiel.
Der Mensch, glaubte Kant, sei von Natur böse, er tue das Gute nicht aus Neigung, sondern aus Sympathie und Ehre. Diese Art der Ehre, die auf uns selbst gerichtete, scheint mir die häufigste und problematischste zu sein. Selbst wenn wir von einer Angelegenheit nicht felsenfest überzeugt sind, lassen wir uns auf sie ein, um unsere Reputation zu retten. Was könnten andere von uns denken? Wie stünden wir auf einmal da? Falls das Richtige also keine Frage der Ehre ist - keine öffentliche Aufmerksamkeit bekommt -, kratzt es uns dementsprechend nicht die Bohne.
Ehre sei, ehrlich zu bleiben, mit uns, mit der Welt. Jede andere Form der Ehre sei Teil verlogener Konventionen, die niemanden glücklich oder liebenswürdig, stolz oder zufrieden machen.
Treffen Opportunismus und Ehre aufeinander, regiert die Eitelkeit.
Motiviert uns die Liebe, zieht die Ehre kleinlaut von dannen.
Wer Charakter hat, braucht keine Nation, um sich dessen zu versichern.
17. Januar 2020 (mit einem Sentiment aus 2019)
Ehrensachen meiden. Einer der wichtigsten Gegenstände der Vorsicht. In Leuten von umfassendem Geiste liegen stets die Extreme sehr weit von einander entfernt, so daß ein langer Weg vom einen zum andern ist: sie selbst aber halten sich immer im Mittelpunkt ihrer Klugheit, daher sie es nicht leicht zum Bruche kommen lassen. Denn es ist viel leichter einer Gelegenheit dieser Art auszuweichen, als mit Glück aus derselben herauszukommen. Dergleichen sind Versuchungen unsrer Klugheit, und es ist sicherer sie zu fliehen, als in ihnen zu siegen. Eine Ehrensache führt eine andre und schlimmere herbei, und dabei kann die Ehre leicht sehr zu Schaden kommen. Es giebt Leute, die, vermöge ihres eigenthümlichen oder ihres National-Karakters, leicht Gelegenheit nehmen und geben, und geneigt sind Verpflichtungen dieser Art einzugehn. Hingegen bei dem, der am Lichte der Vernunft wandelt, bedarf die Sache längerer Ueberlegung. Er sieht mehr Muth darin, sich nicht einzulassen, als zu siegen: und wenn auch etwa ein allezeit bereitwilliger Narr da ist, so bittet er zu entschuldigen, daß er nicht Lust hat, der andre zu seyn.
Sie haben Humor, Freund! Und Recht: eine Närrin oder ein Narr sind mehr als genug - gerade wenn wir uns mit ihnen direkt auseinanderzusetzen haben. Tausend Besserwisserinnen und Klugscheißer, die mich angreifen, sind mir lieber als ein Dummkopf, der sich auf meine Seite stellt. Die Einfalt plappert unerschrocken drauf los, und verbreiten sich erst einmal ihre Dummheiten wie ein Social Media-Lauffeuer, fällt's uns schwer, den Schwachsinn wieder einzusammeln und aus der Welt zu schaffen.
Die Sache mit der Ehre, die, tief gekränkt, oft genug im Duell endet - heutzutage eher als Redeschlacht, denn als Schießerei -, ist da doch um einiges weniger eindeutig. Der oft sinnfrei geäußerte Ausspruch Ehre, wem Ehre gebührt ist und bleibt trotzdem eine gedankliche Nullnummer, ein Nullsummenspiel.
Der Mensch, glaubte Kant, sei von Natur böse, er tue das Gute nicht aus Neigung, sondern aus Sympathie und Ehre. Diese Art der Ehre, die auf uns selbst gerichtete, scheint mir die häufigste und problematischste zu sein. Selbst wenn wir von einer Angelegenheit nicht felsenfest überzeugt sind, lassen wir uns auf sie ein, um unsere Reputation zu retten. Was könnten andere von uns denken? Wie stünden wir auf einmal da? Falls das Richtige also keine Frage der Ehre ist - keine öffentliche Aufmerksamkeit bekommt -, kratzt es uns dementsprechend nicht die Bohne.
Ehre sei, ehrlich zu bleiben, mit uns, mit der Welt. Jede andere Form der Ehre sei Teil verlogener Konventionen, die niemanden glücklich oder liebenswürdig, stolz oder zufrieden machen.
Treffen Opportunismus und Ehre aufeinander, regiert die Eitelkeit.
Motiviert uns die Liebe, zieht die Ehre kleinlaut von dannen.
Wer Charakter hat, braucht keine Nation, um sich dessen zu versichern.
17. Januar 2020 (mit einem Sentiment aus 2019)
48.
Gründlichkeit und Tiefe: nur so weit man diese hat, kann man mit Ehren eine Rolle spielen. Stets muß das Innere noch einmal soviel seyn, als das Aeußere. Dagegen giebt es Leute von bloßer Fassade, wie Häuser, die, weil die Mittel fehlten, nicht ausgebaut sind und den Eingang eines Pallasts, den Wohnraum einer Hütte haben. An solchen ist gar nichts, wobei man lange weilen könnte, obwohl sie langweilig genug sind; denn, sind die ersten Begrüßungen zu Ende, so ist es auch die Unterhaltung. Mit den vorläufigen Höflichkeitsbezeugungen treten sie wohlgemuth auf, wie Sicilianische Pferde, aber gleich darauf versinken sie in Stillschweigen: denn die Worte versiegen bald, wo keine Quelle von Gedanken fließt. Andre, die selbst einen oberflächlichen Blick haben, werden leicht von diesen getäuscht; aber nicht so die Schlauen: diese gehn aufs Innere und finden es leer, bloß zum Spotte gescheuter Leute tauglich.
Erstaunlich, wie scharf Sie, Freund, in Ihren Beobachtungen sind - und noch erstaunlicher, um wie viel schärfer Sie schließlich die anderen aburteilen, die Ihren hochnäsigen, edel-eingetrübten Ad-hoc-Ansprüchen nicht genügen. Ein Sozialreformer, der seine Augen mitleidig und empathisch öffnet, das ist nun wirklich nicht Ihre Zugriffs- und Herangehensweise. Dass Sie, in meiner Zeit, gerne von den Ultrakonservativen als Gewährsmann gekapert werden, ist deswegen, auch wenn es falsch ist, da man Sie auf ungerechte Weise zerpflückt und sich einzig und allein das Traditionsverbundene herauspickt, anstatt Sie als unruhigen Sucher, eloquenten Streithammel und querdenkenen Aufklärer zu lesen, ist deswegen keine echte Überraschung. Ihre Überheblichkeit ist halt ein herzhaftes, ach was: herzloses Paradebeispiel für dünkelhafte, bildungskleingeistige Arroganz, die im altbackenen Bürgertum und den hässlichen Burschenschaften verlässlich fürs weidlich begeisterte Schenkelklopfen sorgt.
Dass die weniger Konversationstauglichen, wie Ihr Translator formuliert, bloß zum Spotte gescheiter Leute tauglich sein sollen, macht Sie zum Aufschneider, ja zum Verachter der Feinen und nachdenklich Stillen, zum Nichtversteher derjenigen, die nun mal nicht mit jenen Aufschneidern und Besserwissern in den streng eingezäunten Unterhaltungsring steigen wollen. Wo stammt Ihr ewiger Dünkel denn eigentlich her? Von der Ewigkeit des Heiligen Geistes, an der Ihr Verstand wahrscheinlich hing? Oder haben Sie den Gläubigen, was ich Ihnen niemals übelnehmen würde, wohl hätte ich mir, in Ihre Zeit verbannt, ein ähnliches intellektuelles Schlupfloch gesucht, nur gespielt? Haben Sie sich also selbst in die Tasche gelogen? Entschuldigen Sie bitte, falls ich mit meinen Vermutugen arg danebenliege, was vermutlich der Fall ist. Im Zweifel, heißt es nicht so?, für den Angeklagten. Und dieses in dubio pro reo sollten wir alle beherzigen, bevor wir, die wir uns für Richter am Hohen Gericht des Verstandes halten, andere kleinurteilen.
Was in anderen steckt, zeigt sich nicht allein beim Worteschnitzen und Phrasendreschen, bei der amüsanten Plauderei oder auch beim tiefgründigen Diskurs. An den Handlungen sollen jene und sollen wir schlussendlich gemessen werden. Die Worte seien leichte, flüchtige Gesellen, die Taten dagegen die echten Schwerter, die das Gute verteidigen, sich den Bösen in den Weg stellen. Wobei, und daher stammt Ihr Ruhm, Freund, auch das rechte Wort selbstverständlich eine rechte Tat sein kann und nicht unterbewertet werden darf. Eine Schrift, die aufmüpfig und doch menschlich, vernünftig und doch gescheit rebellisch zu uns spricht, verändert uns und die Welt.
Gibt es einen Ort, der uns, sind wir bei Verstand, als allerletztes, interessantes Reiseziel reizt, so ist es das kluge Wort, das voller Liebe an uns gerichtet wird, dem wir voller Hingabe und Leidenschaft lauschen und antworten können. Ist diese Ansprache dann gar mit einer zärtlichen, wilden, leidenschaftlichen, von uns und den anderen tief gefühlten und begehrten Berührung verknüpft, sei - und nennen Sie mich ruhig einen Romantiker - das wahre Glück auf Erden erreicht.
Häufig, Freund, stelle ich mir die Frage, wie's wohl wäre, einfach nur zu leben, den Tag zu nehmen, wie er kommt, die Stunde zu akzeptieren, wie sie sich zeigt, bei Wind und Wetter zu bestehen, ohne metaphysischen Schutz. Vielleicht wär das gar nicht so übel, viellecht wär das eine Art von Paradies; besonders wenn's allen gut ginge, Flora wie Fauna, niemand den Oberhut aufhätte, um uns zu disziplinieren und in die Fabrik zu stecken. Mir scheint, dass es wenige unter uns gibt, die nur faulenzen wollen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir uns - gäb's einen solchen idealisierten Naturzustand - gegenseitig stützen könnten, die jeweilge Flachheit oder Tiefe ohne Vorurteile als Weltgegebenheit akzeptieren könnten, und weder Frau noch Mann als bewertbares Mittel zum kapitalistischen Vergnügugnszweck betrachten müssten.
Wer andere missverstehen will, tut sich damit leichter, als wenn sie oder er jene begreifen möchte.
Tiefe und Höhe sind stets Maßeinheiten, die einer Festlegung bedürfen. Und der Nullzustand wird dabei, was uns bewusst sein sollte, wie etwa der koloniale Meridian, der nicht umsonst seit 1851 durch Greenwich verläuft, und der Nullzustand wird als politisches Machtinstrument verstanden, dem eine subjektive Wertung innewohnt.
Unvoreingenommenheit existiert nur im Zustand des Nicht-Seins, und dann ist sie sinn- und zwecklos.
18. Januar
Gründlichkeit und Tiefe: nur so weit man diese hat, kann man mit Ehren eine Rolle spielen. Stets muß das Innere noch einmal soviel seyn, als das Aeußere. Dagegen giebt es Leute von bloßer Fassade, wie Häuser, die, weil die Mittel fehlten, nicht ausgebaut sind und den Eingang eines Pallasts, den Wohnraum einer Hütte haben. An solchen ist gar nichts, wobei man lange weilen könnte, obwohl sie langweilig genug sind; denn, sind die ersten Begrüßungen zu Ende, so ist es auch die Unterhaltung. Mit den vorläufigen Höflichkeitsbezeugungen treten sie wohlgemuth auf, wie Sicilianische Pferde, aber gleich darauf versinken sie in Stillschweigen: denn die Worte versiegen bald, wo keine Quelle von Gedanken fließt. Andre, die selbst einen oberflächlichen Blick haben, werden leicht von diesen getäuscht; aber nicht so die Schlauen: diese gehn aufs Innere und finden es leer, bloß zum Spotte gescheuter Leute tauglich.
Erstaunlich, wie scharf Sie, Freund, in Ihren Beobachtungen sind - und noch erstaunlicher, um wie viel schärfer Sie schließlich die anderen aburteilen, die Ihren hochnäsigen, edel-eingetrübten Ad-hoc-Ansprüchen nicht genügen. Ein Sozialreformer, der seine Augen mitleidig und empathisch öffnet, das ist nun wirklich nicht Ihre Zugriffs- und Herangehensweise. Dass Sie, in meiner Zeit, gerne von den Ultrakonservativen als Gewährsmann gekapert werden, ist deswegen, auch wenn es falsch ist, da man Sie auf ungerechte Weise zerpflückt und sich einzig und allein das Traditionsverbundene herauspickt, anstatt Sie als unruhigen Sucher, eloquenten Streithammel und querdenkenen Aufklärer zu lesen, ist deswegen keine echte Überraschung. Ihre Überheblichkeit ist halt ein herzhaftes, ach was: herzloses Paradebeispiel für dünkelhafte, bildungskleingeistige Arroganz, die im altbackenen Bürgertum und den hässlichen Burschenschaften verlässlich fürs weidlich begeisterte Schenkelklopfen sorgt.
Dass die weniger Konversationstauglichen, wie Ihr Translator formuliert, bloß zum Spotte gescheiter Leute tauglich sein sollen, macht Sie zum Aufschneider, ja zum Verachter der Feinen und nachdenklich Stillen, zum Nichtversteher derjenigen, die nun mal nicht mit jenen Aufschneidern und Besserwissern in den streng eingezäunten Unterhaltungsring steigen wollen. Wo stammt Ihr ewiger Dünkel denn eigentlich her? Von der Ewigkeit des Heiligen Geistes, an der Ihr Verstand wahrscheinlich hing? Oder haben Sie den Gläubigen, was ich Ihnen niemals übelnehmen würde, wohl hätte ich mir, in Ihre Zeit verbannt, ein ähnliches intellektuelles Schlupfloch gesucht, nur gespielt? Haben Sie sich also selbst in die Tasche gelogen? Entschuldigen Sie bitte, falls ich mit meinen Vermutugen arg danebenliege, was vermutlich der Fall ist. Im Zweifel, heißt es nicht so?, für den Angeklagten. Und dieses in dubio pro reo sollten wir alle beherzigen, bevor wir, die wir uns für Richter am Hohen Gericht des Verstandes halten, andere kleinurteilen.
Was in anderen steckt, zeigt sich nicht allein beim Worteschnitzen und Phrasendreschen, bei der amüsanten Plauderei oder auch beim tiefgründigen Diskurs. An den Handlungen sollen jene und sollen wir schlussendlich gemessen werden. Die Worte seien leichte, flüchtige Gesellen, die Taten dagegen die echten Schwerter, die das Gute verteidigen, sich den Bösen in den Weg stellen. Wobei, und daher stammt Ihr Ruhm, Freund, auch das rechte Wort selbstverständlich eine rechte Tat sein kann und nicht unterbewertet werden darf. Eine Schrift, die aufmüpfig und doch menschlich, vernünftig und doch gescheit rebellisch zu uns spricht, verändert uns und die Welt.
Gibt es einen Ort, der uns, sind wir bei Verstand, als allerletztes, interessantes Reiseziel reizt, so ist es das kluge Wort, das voller Liebe an uns gerichtet wird, dem wir voller Hingabe und Leidenschaft lauschen und antworten können. Ist diese Ansprache dann gar mit einer zärtlichen, wilden, leidenschaftlichen, von uns und den anderen tief gefühlten und begehrten Berührung verknüpft, sei - und nennen Sie mich ruhig einen Romantiker - das wahre Glück auf Erden erreicht.
Häufig, Freund, stelle ich mir die Frage, wie's wohl wäre, einfach nur zu leben, den Tag zu nehmen, wie er kommt, die Stunde zu akzeptieren, wie sie sich zeigt, bei Wind und Wetter zu bestehen, ohne metaphysischen Schutz. Vielleicht wär das gar nicht so übel, viellecht wär das eine Art von Paradies; besonders wenn's allen gut ginge, Flora wie Fauna, niemand den Oberhut aufhätte, um uns zu disziplinieren und in die Fabrik zu stecken. Mir scheint, dass es wenige unter uns gibt, die nur faulenzen wollen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir uns - gäb's einen solchen idealisierten Naturzustand - gegenseitig stützen könnten, die jeweilge Flachheit oder Tiefe ohne Vorurteile als Weltgegebenheit akzeptieren könnten, und weder Frau noch Mann als bewertbares Mittel zum kapitalistischen Vergnügugnszweck betrachten müssten.
Wer andere missverstehen will, tut sich damit leichter, als wenn sie oder er jene begreifen möchte.
Tiefe und Höhe sind stets Maßeinheiten, die einer Festlegung bedürfen. Und der Nullzustand wird dabei, was uns bewusst sein sollte, wie etwa der koloniale Meridian, der nicht umsonst seit 1851 durch Greenwich verläuft, und der Nullzustand wird als politisches Machtinstrument verstanden, dem eine subjektive Wertung innewohnt.
Unvoreingenommenheit existiert nur im Zustand des Nicht-Seins, und dann ist sie sinn- und zwecklos.
18. Januar
49.
Scharfblick und Urtheil. Wer hiemit begabt ist bemeistert sich der Dinge, nicht sie seiner: die größte Tiefe weiß er zu ergründen und die Fähigkeiten eines Kopfs auf das vollkommenste anatomisch zu zerlegen. Indem er einen Menschen sieht, versteht er ihn und beurtheilt sein innerstes Wesen. Er macht seine Beobachtungen und versteht meisterhaft das verborgenste Innere zu entziffern. Er bemerkt scharf, begreift gründlich und urtheilt richtig: Alles entdeckt, sieht, faßt und versteht er.
Um gleich in die halb-tiefe Bresche zu springen, Freund, sei zweierlei gesagt, bevor ich zum Dritten, zur eigentlichen Entgegnung, komme: Erstens sei nichts dagegen einzuwenden, dass uns die Dinge in die glückliche Zange nehmen, unsere Sorgen und Freudlosigkeiten kidnappen, um uns in den Zustand der un/artigsten, wildesten Zufriedenheit zu versetzen. Zweitens sei der unscharfe Blick, den ich, übrigens, für nahezu jede meiner Fotografien benutze, da die Unschärfe meine genuine Art des Sehens ist, zweitens sei also der unscharfe Blick nicht per se zu verdammen, sondern als An-Sicht und An-Näherungswerkzeug in einer überscharfen, grellen Welt oftmals der einzige Weg zur Wahrheit.
Und damit zum wichtigsten Aber.
Auf den ersten Blick, Freund, sieht Ihr Text harmlos und, im gewissen Auffassungssinne, allgemeingültig aus. Denn natürlich ist es so, dass anhand von Beobachtungen Schlüsse gezogen und Urteile gefällt werden. Sie wollen jedoch, und das liegt offen in diesem kurzen Abschitt des wortwörtlichen Orakels zutage, anhand der Anatomie zu festen, überprüfbaren Bewertungen kommen, die nicht allein Sinneseindrücke, also simple Ortsbestimmungen, sind. Auch - nicht nur, was mir wohl bewusst ist, Sie sind schließlich kein leichtfertiger Lackaffe, der sich lediglich am oberflächlichen Blingbling und dem wohlgeformten Körperbau erfreut -, aber auch, ach was, bleiben wir am Eugenik-Ball, gerade aufgrund des Aussehens glauben Sie, vorverurteilen zu können.
Der britische Anthropologe Francis Galton hat den Begriff Eugenik weit nach Ihrer Zeit, im Jahr 1869, für die - und das nächste Wort setze ich in Anführungszeichen, da es sich bei dieser Forschung gerade nicht um Episteme handelt - "Wissenschaft" geprägt, die sich, Zitat, mit allen Einflüssen befasst, welche die angeborenen Eigenschaften einer Rasse verbessern, Zitatende. Eine furchtbare Methode, die in allen Menschenaltern für Unglück gesorgt und selbst den Gedanken der Aufklärung, zunächst, taxonomisch geprägt hat. Der Rassenwahn und der Fremdenhass haben sich grinsend die Hände gerieben, als es endlich eine pseudo-wissenschaftliche Methode für ihre unappetitlichen und hassgetriebenen tribalistischen Vorurteile gab.
Die Massaker und Genozide, die Plünderungen und Versklavungen, welche im Namen solcher wahnwitziger Scharfblick-Ratschläge passiert sind, gerade durch Kolonialreiche, die anders auftretende und körperlich abweichende Völker beinahe per se als minderwertig angesehen und auch gerade deswegen unterjocht haben und sich gerechtfertigt gefühlt haben, sich als überlegene Herrenrasse aufzuspielen, jene Massaker will ich Ihnen nicht allein in die Denkschuhe schieben, selbstverständlich nicht. Und dennoch hätten Sie auch in Ihrem Zeitalter, ohne Probleme, die Umtriebe der europäischen Dynastien und Kaufleutegilden wahrnehmen können, hätten Sie sich dafür interessiert.
Das Bewusstsein prägt das Sein, das Unterbewusstsein den Unsinn.
Wieder muss festgestellt werden: Sie sind ein Produkt Ihrer Zeit, auch wenn Sie aus Ihrer Zeit weit herausragen. Und dass Ihre anatomische Urteilssauerei in irgendeiner Art und Weise überwunden wäre, läßt sich nun auch nicht guten Gewissens behaupten. Im Land des Holocaust laufen neuerdings wieder Abertausende Eugenikerinnen und Eugeniker durch die Straßen und behaupten, in den fremdländischen Gesichtszügen die potentiellen Verbrecher von morgen zu entdecken. Widerlich und unmenschlich, hanebüchener Schwachsinn.
Herrscht Liebe, sei das Außen des Glückes Unterpfand. Herrscht Hass, liefere es den triebgeleiteten Todesgrund.
Kein exzellenter Gedanke braucht Materie, um zu sein.
Wer sich aufs Äußere verlässt, ist schnell verlassen.
19. Januar 2020, mit einem beachtlichen Sentiment vom 27. Februar 2019
Scharfblick und Urtheil. Wer hiemit begabt ist bemeistert sich der Dinge, nicht sie seiner: die größte Tiefe weiß er zu ergründen und die Fähigkeiten eines Kopfs auf das vollkommenste anatomisch zu zerlegen. Indem er einen Menschen sieht, versteht er ihn und beurtheilt sein innerstes Wesen. Er macht seine Beobachtungen und versteht meisterhaft das verborgenste Innere zu entziffern. Er bemerkt scharf, begreift gründlich und urtheilt richtig: Alles entdeckt, sieht, faßt und versteht er.
Um gleich in die halb-tiefe Bresche zu springen, Freund, sei zweierlei gesagt, bevor ich zum Dritten, zur eigentlichen Entgegnung, komme: Erstens sei nichts dagegen einzuwenden, dass uns die Dinge in die glückliche Zange nehmen, unsere Sorgen und Freudlosigkeiten kidnappen, um uns in den Zustand der un/artigsten, wildesten Zufriedenheit zu versetzen. Zweitens sei der unscharfe Blick, den ich, übrigens, für nahezu jede meiner Fotografien benutze, da die Unschärfe meine genuine Art des Sehens ist, zweitens sei also der unscharfe Blick nicht per se zu verdammen, sondern als An-Sicht und An-Näherungswerkzeug in einer überscharfen, grellen Welt oftmals der einzige Weg zur Wahrheit.
Und damit zum wichtigsten Aber.
Auf den ersten Blick, Freund, sieht Ihr Text harmlos und, im gewissen Auffassungssinne, allgemeingültig aus. Denn natürlich ist es so, dass anhand von Beobachtungen Schlüsse gezogen und Urteile gefällt werden. Sie wollen jedoch, und das liegt offen in diesem kurzen Abschitt des wortwörtlichen Orakels zutage, anhand der Anatomie zu festen, überprüfbaren Bewertungen kommen, die nicht allein Sinneseindrücke, also simple Ortsbestimmungen, sind. Auch - nicht nur, was mir wohl bewusst ist, Sie sind schließlich kein leichtfertiger Lackaffe, der sich lediglich am oberflächlichen Blingbling und dem wohlgeformten Körperbau erfreut -, aber auch, ach was, bleiben wir am Eugenik-Ball, gerade aufgrund des Aussehens glauben Sie, vorverurteilen zu können.
Der britische Anthropologe Francis Galton hat den Begriff Eugenik weit nach Ihrer Zeit, im Jahr 1869, für die - und das nächste Wort setze ich in Anführungszeichen, da es sich bei dieser Forschung gerade nicht um Episteme handelt - "Wissenschaft" geprägt, die sich, Zitat, mit allen Einflüssen befasst, welche die angeborenen Eigenschaften einer Rasse verbessern, Zitatende. Eine furchtbare Methode, die in allen Menschenaltern für Unglück gesorgt und selbst den Gedanken der Aufklärung, zunächst, taxonomisch geprägt hat. Der Rassenwahn und der Fremdenhass haben sich grinsend die Hände gerieben, als es endlich eine pseudo-wissenschaftliche Methode für ihre unappetitlichen und hassgetriebenen tribalistischen Vorurteile gab.
Die Massaker und Genozide, die Plünderungen und Versklavungen, welche im Namen solcher wahnwitziger Scharfblick-Ratschläge passiert sind, gerade durch Kolonialreiche, die anders auftretende und körperlich abweichende Völker beinahe per se als minderwertig angesehen und auch gerade deswegen unterjocht haben und sich gerechtfertigt gefühlt haben, sich als überlegene Herrenrasse aufzuspielen, jene Massaker will ich Ihnen nicht allein in die Denkschuhe schieben, selbstverständlich nicht. Und dennoch hätten Sie auch in Ihrem Zeitalter, ohne Probleme, die Umtriebe der europäischen Dynastien und Kaufleutegilden wahrnehmen können, hätten Sie sich dafür interessiert.
Das Bewusstsein prägt das Sein, das Unterbewusstsein den Unsinn.
Wieder muss festgestellt werden: Sie sind ein Produkt Ihrer Zeit, auch wenn Sie aus Ihrer Zeit weit herausragen. Und dass Ihre anatomische Urteilssauerei in irgendeiner Art und Weise überwunden wäre, läßt sich nun auch nicht guten Gewissens behaupten. Im Land des Holocaust laufen neuerdings wieder Abertausende Eugenikerinnen und Eugeniker durch die Straßen und behaupten, in den fremdländischen Gesichtszügen die potentiellen Verbrecher von morgen zu entdecken. Widerlich und unmenschlich, hanebüchener Schwachsinn.
Herrscht Liebe, sei das Außen des Glückes Unterpfand. Herrscht Hass, liefere es den triebgeleiteten Todesgrund.
Kein exzellenter Gedanke braucht Materie, um zu sein.
Wer sich aufs Äußere verlässt, ist schnell verlassen.
19. Januar 2020, mit einem beachtlichen Sentiment vom 27. Februar 2019
50.
Nie setze man die Achtung gegen sich selbst aus den Augen, und mache sich nicht mit sich selbst gemein. Unsere eigene Makellosigkeit muß die Richtschnur für unsern untadelhaften Wandel seyn, und die Strenge unsers eigenen Urtheils muß mehr über uns vermögen, als alle äußeren Vorschriften. Das Ungeziemende unterlasse man mehr aus Scheu vor seiner eigenen Einsicht, als aus der vor der strengsten fremden Autorität. Man gelange dahin, sich selbst zu fürchten; so wird man nicht Seneka's imaginären Hofmeister nöthig haben.
Im ruhigen Wasser ist mutmaßlich gut rudern. Kommt allerdings ein Sturm auf, reicht`s nicht, stoisch Holz und Steuerrad gleichzeitig zu umklammern, sich selbst die oder der nächste zu sein und recht fest an ein Wunder-was-ich-alles-weiß-und-kann zu glauben. Wir brauchen Hilfe. Allein auf mich gestellt, fühl ich mich ausschließlich wohl, wenn das Wohlsein regiert. Klammert sich das Unwohlsein an mich, brauch ich eine Stütze, um nicht umzukippen. Ihr Orakel ist, nicht immer, aber doch des öfteren, solch ein Rückhalt. Und mir scheint, wenn ich das anmerken darf, dass Sie die Abschrift vermutlich auch in diesem Sinne verstanden haben, als Beleuchtung der eigenen, der ewigen Unschärfen, als Möglichkeit der Erinnerung und Vertiefung.
Gut seien wir lediglich auf Dauer, wenn wir andauernd Korrekturen erlauben. Weisheit sei keine solipsistische Kunst, zu keiner Zeit, unter keinen Umständen. Nur im Diskurs entsteht der notwendige Druck, um der Selbstherrlich- und Selbstgerechtigkeit erträglich abzuschwören. Heilige existieren nicht; dafür sei die Natur des Menschen zu wage, zu kleinmütig und, was nicht unterschätzt werden soll, zu sehr mit der Angst vorm Tode, dem wesentlichen Problem des Daseins, beschäftigt.
Auch auf die Gefahr hin, Freund, mich selbst zu zitieren, sei noch gesagt, dass die Idee, mit sich selbst befreundet zu sein, nur wenige aushalten; und die's tun, sind kaum für voll zu nehmen. Sie wissen natürlich, was ich damit meine: wir irren - oft und gewaltig. Leider falle ich damit, lege ich Ihre Maßstäbe an, als Orientierungshilfe meiner selbst aus. Zwar versuche ich, ein makelloses Leben zu führen, aber bin in der Zwischenzeit auf den Trichter gekommen, dass mir die Welt unentwegt Steine in den Weg legt, die zu schön sind, um sich nicht auf ihnen niederzulassen oder zu gut fliegen, um sich nicht mit einem gewagten Schuss in den Himmel zu jagen. Will ich wild leben, was ich will, geht's nicht immer mit den moralischen Vorstellungen meiner Zeit, die man mir aufdrücken möchte.
Wahrhaft gut zu sein, heißt, gut mit anderen und gut mit sich zu sein. Denken wir nur an uns, tun wir der Welt nicht gut; denken wir nur an die Welt, nicht uns.
Jede Ansicht, die der Freiheit dient, wechselt im Laufe der Zeit ihre Gestalt. Bleibt sie sich unablässig treu, regiert der Starrsinn, der Unglück bringt, wo Glück möglich wäre.
20. Januar, mit einem beachtlichen Sentiment vom 28. Februar 2019
Nie setze man die Achtung gegen sich selbst aus den Augen, und mache sich nicht mit sich selbst gemein. Unsere eigene Makellosigkeit muß die Richtschnur für unsern untadelhaften Wandel seyn, und die Strenge unsers eigenen Urtheils muß mehr über uns vermögen, als alle äußeren Vorschriften. Das Ungeziemende unterlasse man mehr aus Scheu vor seiner eigenen Einsicht, als aus der vor der strengsten fremden Autorität. Man gelange dahin, sich selbst zu fürchten; so wird man nicht Seneka's imaginären Hofmeister nöthig haben.
Im ruhigen Wasser ist mutmaßlich gut rudern. Kommt allerdings ein Sturm auf, reicht`s nicht, stoisch Holz und Steuerrad gleichzeitig zu umklammern, sich selbst die oder der nächste zu sein und recht fest an ein Wunder-was-ich-alles-weiß-und-kann zu glauben. Wir brauchen Hilfe. Allein auf mich gestellt, fühl ich mich ausschließlich wohl, wenn das Wohlsein regiert. Klammert sich das Unwohlsein an mich, brauch ich eine Stütze, um nicht umzukippen. Ihr Orakel ist, nicht immer, aber doch des öfteren, solch ein Rückhalt. Und mir scheint, wenn ich das anmerken darf, dass Sie die Abschrift vermutlich auch in diesem Sinne verstanden haben, als Beleuchtung der eigenen, der ewigen Unschärfen, als Möglichkeit der Erinnerung und Vertiefung.
Gut seien wir lediglich auf Dauer, wenn wir andauernd Korrekturen erlauben. Weisheit sei keine solipsistische Kunst, zu keiner Zeit, unter keinen Umständen. Nur im Diskurs entsteht der notwendige Druck, um der Selbstherrlich- und Selbstgerechtigkeit erträglich abzuschwören. Heilige existieren nicht; dafür sei die Natur des Menschen zu wage, zu kleinmütig und, was nicht unterschätzt werden soll, zu sehr mit der Angst vorm Tode, dem wesentlichen Problem des Daseins, beschäftigt.
Auch auf die Gefahr hin, Freund, mich selbst zu zitieren, sei noch gesagt, dass die Idee, mit sich selbst befreundet zu sein, nur wenige aushalten; und die's tun, sind kaum für voll zu nehmen. Sie wissen natürlich, was ich damit meine: wir irren - oft und gewaltig. Leider falle ich damit, lege ich Ihre Maßstäbe an, als Orientierungshilfe meiner selbst aus. Zwar versuche ich, ein makelloses Leben zu führen, aber bin in der Zwischenzeit auf den Trichter gekommen, dass mir die Welt unentwegt Steine in den Weg legt, die zu schön sind, um sich nicht auf ihnen niederzulassen oder zu gut fliegen, um sich nicht mit einem gewagten Schuss in den Himmel zu jagen. Will ich wild leben, was ich will, geht's nicht immer mit den moralischen Vorstellungen meiner Zeit, die man mir aufdrücken möchte.
Wahrhaft gut zu sein, heißt, gut mit anderen und gut mit sich zu sein. Denken wir nur an uns, tun wir der Welt nicht gut; denken wir nur an die Welt, nicht uns.
Jede Ansicht, die der Freiheit dient, wechselt im Laufe der Zeit ihre Gestalt. Bleibt sie sich unablässig treu, regiert der Starrsinn, der Unglück bringt, wo Glück möglich wäre.
20. Januar, mit einem beachtlichen Sentiment vom 28. Februar 2019
51.
Zu wählen wissen. Das Meiste im Leben hängt davon ab. Es erfordert guten Geschmack und richtiges Urtheil: denn weder Gelehrsamkeit noch Verstand reichen aus. Ohne Wahl ist keine Vollkommenheit: jene schließt in sich, daß man wählen könne, und das Beste. Viele von fruchtbarem und gewandtem Geist, scharfem Verstande, Gelehrsamkeit und Umsicht, wenn sie zum Wählen kommen, gehn dennoch zu Grunde: sie ergreifen allemal das Schlechteste, als ob sie es darauf anlegten, irre zu gehen. Also ist dieses eine der größten Gaben von Oben.
Sie sind mir eine eigentümliche Mischung, Freund! Eine nahrhafte Mixtur, durchsetzt mit Giftbissen, die mir zu schlucken unmöglich sind. Ich denke über Ihre Texte nach und fühle, recht zuverlässig, heftige Reibungsverluste, die mich schaudern und dünnhäutig werden lassen. Anstatt mir Ihre Weisheit wie einen wärmenden, wenn auch abgetragenen Wollmantel in der sternenklaren Winternacht überzuwerfen, fallen mir zuerst die Mottenlöcher und der altmodische Schnitt auf. Nicht dass mich die neueste Wegwerfmode beeindruckte. Im Gegenteil. Was Ihnen längst aufgefallen sein dürfte. Sie sind ja nicht blind, auch wenn Sie verschiedene Augenmasken und Brillengestelle griffbereit haben. Nur noch ein Wort über meine eigene Kurzsichtigkeit, Freund, bevor ich mich Ihrer zuwende. Dass ich in der Zwischenzeit im Gleitsichtalter bin, hat meine Myopie nicht abgemildert. Das Gute scheint fern, das Schlechte nah - und, häufig genug, vice versa. Höchst selten habe ich den Eindruck, etwas einigermaßen klar zu erfassen. Und da ich schon bei der äußeren Gestalt meine Zweifel habe, was die wahre Repäsentation betrifft, bin ich mir noch viel unsicherer, wenn's um den Wesenskern geht. Will sagen: Ihre schwankenden Ansichten sind mir als Zustand zu gut, viel zu gut vertraut.
Die richtige und vernünftige - was manchmal gerade auch die unvernünftige sei - Wahl zu treffen, ist eine echte Kunst, deren Meisterschaft kaum eine, kaum einer von uns zu ihrer oder seiner Zufriedenheit beherrscht. Was nun den guten Geschmack betrifft, der uns, schreiben Sie, dabei maßgeblich lenken soll, ist das eine ridiküle Idee, da im Wiewort gut in aller Regel allein die begrenzten Zeitläufte hausen, die unseren Körper zwangsweise beherbergen und unablässig an unserem Verstand rütteln. Ähnlich steht's, offenkundig, ums Adjektiv richtig, dessen Untiefen, besonders beim Urteilsspruch, genauso wenig auslotbar sind.
Der Kombination aus Gelehrsamkeit und Verstand, also dem Nicht-aus-dem-Bauch-heraus und dem nachtwandlerisch Intuitiven, traue ich schon etwas mehr bei der Wahl-Beratung. Noch wichtiger sei dann allerdings, was überhaupt zur Wahl steht. Wer sich nur zwischen Pest und Cholera entscheiden kann, wird immer eine schlechte Wahl treffen. Um eine echte Wahl zu haben, bedarf's der Freiheit des demokratischen Angebots. Und hier liegt die eigentliche Crux des Abschnitts. Womit verdienen wir das Wahlrecht? Ich denke, wer auf Dauer von Wahlen profitieren will, hat unbedingt auch Pflichten, die sich nicht wegverhandeln lassen. Der Schwur auf die Menschen- und Erdrechte wäre eine solche Pflicht, die mir als erste spontan einfiele. Wir alle hätten wohl schnell eine demokratische Liste parat.
Gut, Freund, konzentrieren, um nicht gleich zu sagen: kaprizieren wir uns, endgültig, auf die ersten drei Worte Ihres Briefes: zu wählen wissen. Wobei jenem wissen in vielen Fällen zunächst ein können vorausgeht, was mit dem überhaupt dürfen verwandt ist. Das Votum - und hier sei allein das freie gemeint, das ohne jede Fremdeinwirkung vonstatten geht - ist zugleich der Wind, das Segel, der Rumpf, die Ladung und die Besatzung, die das Schiff namens Demokratie ausmacht.
Wer keine Wahl hat, lebt unfrei, selbst wenn's ihr oder ihm nicht schlecht geht.
Das fundamentale Mitspracherecht über die Gesellschaft zu besitzen, in der wir leben, macht uns zu denkenden und handelnden, fühlenden und mitfühlenden Menschen. Frauen und Männer, die gemeinsam Verantwortung tragen oder zusammen delegieren.
In der Demokratie sind wir weder mit unserem Glück noch Unglück allein; während man in der Diktatur offen nur das Glück teilt, was immer, ganz zwangsläufig das Unglück der anderen ist.
21. Januar 2020, mit einem Sentiment vom 1. März 2019
Zu wählen wissen. Das Meiste im Leben hängt davon ab. Es erfordert guten Geschmack und richtiges Urtheil: denn weder Gelehrsamkeit noch Verstand reichen aus. Ohne Wahl ist keine Vollkommenheit: jene schließt in sich, daß man wählen könne, und das Beste. Viele von fruchtbarem und gewandtem Geist, scharfem Verstande, Gelehrsamkeit und Umsicht, wenn sie zum Wählen kommen, gehn dennoch zu Grunde: sie ergreifen allemal das Schlechteste, als ob sie es darauf anlegten, irre zu gehen. Also ist dieses eine der größten Gaben von Oben.
Sie sind mir eine eigentümliche Mischung, Freund! Eine nahrhafte Mixtur, durchsetzt mit Giftbissen, die mir zu schlucken unmöglich sind. Ich denke über Ihre Texte nach und fühle, recht zuverlässig, heftige Reibungsverluste, die mich schaudern und dünnhäutig werden lassen. Anstatt mir Ihre Weisheit wie einen wärmenden, wenn auch abgetragenen Wollmantel in der sternenklaren Winternacht überzuwerfen, fallen mir zuerst die Mottenlöcher und der altmodische Schnitt auf. Nicht dass mich die neueste Wegwerfmode beeindruckte. Im Gegenteil. Was Ihnen längst aufgefallen sein dürfte. Sie sind ja nicht blind, auch wenn Sie verschiedene Augenmasken und Brillengestelle griffbereit haben. Nur noch ein Wort über meine eigene Kurzsichtigkeit, Freund, bevor ich mich Ihrer zuwende. Dass ich in der Zwischenzeit im Gleitsichtalter bin, hat meine Myopie nicht abgemildert. Das Gute scheint fern, das Schlechte nah - und, häufig genug, vice versa. Höchst selten habe ich den Eindruck, etwas einigermaßen klar zu erfassen. Und da ich schon bei der äußeren Gestalt meine Zweifel habe, was die wahre Repäsentation betrifft, bin ich mir noch viel unsicherer, wenn's um den Wesenskern geht. Will sagen: Ihre schwankenden Ansichten sind mir als Zustand zu gut, viel zu gut vertraut.
Die richtige und vernünftige - was manchmal gerade auch die unvernünftige sei - Wahl zu treffen, ist eine echte Kunst, deren Meisterschaft kaum eine, kaum einer von uns zu ihrer oder seiner Zufriedenheit beherrscht. Was nun den guten Geschmack betrifft, der uns, schreiben Sie, dabei maßgeblich lenken soll, ist das eine ridiküle Idee, da im Wiewort gut in aller Regel allein die begrenzten Zeitläufte hausen, die unseren Körper zwangsweise beherbergen und unablässig an unserem Verstand rütteln. Ähnlich steht's, offenkundig, ums Adjektiv richtig, dessen Untiefen, besonders beim Urteilsspruch, genauso wenig auslotbar sind.
Der Kombination aus Gelehrsamkeit und Verstand, also dem Nicht-aus-dem-Bauch-heraus und dem nachtwandlerisch Intuitiven, traue ich schon etwas mehr bei der Wahl-Beratung. Noch wichtiger sei dann allerdings, was überhaupt zur Wahl steht. Wer sich nur zwischen Pest und Cholera entscheiden kann, wird immer eine schlechte Wahl treffen. Um eine echte Wahl zu haben, bedarf's der Freiheit des demokratischen Angebots. Und hier liegt die eigentliche Crux des Abschnitts. Womit verdienen wir das Wahlrecht? Ich denke, wer auf Dauer von Wahlen profitieren will, hat unbedingt auch Pflichten, die sich nicht wegverhandeln lassen. Der Schwur auf die Menschen- und Erdrechte wäre eine solche Pflicht, die mir als erste spontan einfiele. Wir alle hätten wohl schnell eine demokratische Liste parat.
Gut, Freund, konzentrieren, um nicht gleich zu sagen: kaprizieren wir uns, endgültig, auf die ersten drei Worte Ihres Briefes: zu wählen wissen. Wobei jenem wissen in vielen Fällen zunächst ein können vorausgeht, was mit dem überhaupt dürfen verwandt ist. Das Votum - und hier sei allein das freie gemeint, das ohne jede Fremdeinwirkung vonstatten geht - ist zugleich der Wind, das Segel, der Rumpf, die Ladung und die Besatzung, die das Schiff namens Demokratie ausmacht.
Wer keine Wahl hat, lebt unfrei, selbst wenn's ihr oder ihm nicht schlecht geht.
Das fundamentale Mitspracherecht über die Gesellschaft zu besitzen, in der wir leben, macht uns zu denkenden und handelnden, fühlenden und mitfühlenden Menschen. Frauen und Männer, die gemeinsam Verantwortung tragen oder zusammen delegieren.
In der Demokratie sind wir weder mit unserem Glück noch Unglück allein; während man in der Diktatur offen nur das Glück teilt, was immer, ganz zwangsläufig das Unglück der anderen ist.
21. Januar 2020, mit einem Sentiment vom 1. März 2019
52.
Nie aus der Fassung gerathen. Ein großer Punkt der Klugheit, nie sich zu entrüsten. Es zeigt einen ganzen Mann, von großem Herzen an: denn alles Große ist schwer zu bewegen. Die Affekten sind die krankhaften Säfte der Seele, und an jedem Uebermaaße derselben erkrankt die Klugheit: steigt gar das Uebel bis zum Munde hinaus, so läuft die Ehre Gefahr. Man sei daher so ganz Herr über sich und so groß, daß weder im größten Glück, noch im größten Unglück man die Blöße einer Entrüstung gebe, vielmehr, als über jene erhaben, Bewundrung gebiete.
Zunächst, Freund, möchte ich klarstellen, dass sowohl Zustimmung als auch Widerspruch das notwendige Besteck jedweder Freundschaft darstellen. Sagten wir uns nicht ab und an die Meinung, zählte auch das Lob deutlich weniger. Und wie sich Gabel und Messer aufs Schönste ergänzen, kommt mit dem Löffel, der alles abrundet und einfängt, ein gar köstliches Instrument der Verbindlichkeit hinzu, dessen wir uns zu zweit und in Gesellschaft gerne und reichlich bedienen sollten.
Da Sie kein Blatt vor den Mund nehmen, wär's falsch, mundfaul zu sein. Redete nur eine oder einer, herrschte höchstens die halbe Wahrheit.
Die Ehrlichkeit, die in Gedanken verweilt, aber nicht den Weg zu den Stimmbändern findet, wird zur passiven Lüge. Als Diplomatin oder Diplomat zu sterben, heißt, selten die reine Wahrheit gesagt zu haben.
Und manchmal, Freund, geht einem der Sinn eines Wortes erst richtig auf, wenn man es schon Jahre im Munde geführt und von allerlei Seiten angestarrt hat. Dank Schopenhauers Translation fühle ich gerade, dass sich mir der Begriff Entrüstung, von dem Sie sprechen, anders präsentiert als bisher.
Vor unserem Selbst steht eine Art von Gerüst, ein Panzer, der uns davor schützt, aus unserer Haut zu fahren - oder sagen wir: der uns daran hindert, im Guten wie im Schlechten, unsere wahren Gefühle zu zeigen. Im Falle der Entrüstung wird dieser Vorhang aufgezogen, und wir stehen entblößt vor der Welt.
Die Entrüstung, die Sie so vehement verdammen, ist selten angenehm. Das stimmt wohl. Wenn ich daran denke, wie mich ab und an die Wut überkommt, möcht ich am liebsten vor Scham im Boden versinken. Beispiel gefällig? Es reicht wohl, die Peinlichkeit zu erwähnen, einem Fahrradfahrer - fast immer handelt es sich um jüngere Männer - wüste Verbalinjurien hinterherzurufen, sobald er mich oder meine Liebsten, ohne Rücksicht auf Verluste, vom Fußgängerweg der Rosenthaler Vorstadt drängt. Allerdings belass ich's nicht bei einem Was soll das denn? - nein, ich versteife mich darauf, leider wutschnaubend, ihm die Bitte, dass doch in Zukunft besser zu unterlassen, die Straße sei schließlich breit genug für sein grandioses Rennrad, der Fußgängerweg dagegen für rasante Überholmanöver und Schlängel-Press-Ups eher ungeeignet, nachzurufen. Ich betone: aus tiefster Schreihals-Seele. Also mit all der Lungenkraft, die in mir steckt. Sobald der Fahrradfahrer mir wiederum auf diese Bitte ein gleichmütiges Oberlehrer-Arschloch zueignet und, aus der sicheren Ferne, er ist ordenlich schnell, dann noch den beleidigten Stinkefinger zeigt, ticke ich restlos aus und drohe, allen Ernstes, mit der Polizei und wünsche ihm allerlei unappetitliche Dinge an den Ignorantenhals.
Solch unreflektierte Entrüstung finde ich jedesmal wieder beklagenswert. Ich schäme mich, dass ich nicht einfach meines Weges gegangen bin. Wohlwissend, dass Ordnung ganz und gar nicht das Alpha und Omega des Lebens ist. Und ich bedauere, mich nicht stillschweigend bei der gütigen Vorsehung dafür bedankt zu haben, erneut ohne Lenker im Rücken, Spotify-Song im Ohr (viele der Radler und Radlerinnen hören Musik) oder Handy im Auge (gerne wird beim Gehwegrasen telefoniert) davongekommen zu sein.
Meine wenig originelle Entgleisung lässt mich an mir selbst und am Wert der Intervention zweifeln. Ich lasse mich provozieren und stehe deswegen als intoleranter Besserwisser dar, der seine und die Sicherheit seiner Liebsten über das, dank der manchmal, zugegeben, unbequemen Pflastersteine, möglicherweise arg durchgeschaukelte Steißbein des unbekümmerten Rowdies stellt.
Andererseits - bitte verzeihen Sie den Gedankensprung von meiner privaten zur öffentlichen Entrüstung; dass alle Übergange geschmeidig sein sollen, lehne ich aus Prinzip ab, Frakturen helfen gelegentlich dem Denken -, andererseits, und nun zum entscheidenden Aber, das Ihrer ewigen Geheimistuerei und Ihrem Versteckspiel in die intellektuelle Parade fährt, andererseits sei der Panzerkörper, den sich besonders Männer zugelegt haben, um ihre Gefühle zu verbergen, um angeblich stark zu sein, um, wie Klaus Theweleit in seinem Buch Männerphantasien über die deutschen Soldaten-Körper ausführt, alles Feminine wortwörtlich zu zerstören, zu vergewaltigen und zu überwältigen, außen und in sich selbst, andererseits sei genau solch ein gerüsteter Körper für einen Großteil des Leids verantwortlich, im privaten wie auch im öffentlichen Raum.
Wer Gefühle erlaubt, dem wird auf Dauer geglaubt.
Unbewegliche Härte sei keine Tugend, sondern ein Missverständnis der verführten Jugend, des verbohrten Alters.
Leben bedeute Bewegelichkeit.
Das Rüstzeug des Todes sei die Maske, sei das Scharnier, sei der Panzer.
Im guten Sein herrsche das Fluide, das sich nicht dem Alt-Ausgemachten verschreibt, sondern stets großzügig der Neu-Verhandlung widmet.
22. Januar 2020, mit einem Sentiment vom 2. März 2020
Nie aus der Fassung gerathen. Ein großer Punkt der Klugheit, nie sich zu entrüsten. Es zeigt einen ganzen Mann, von großem Herzen an: denn alles Große ist schwer zu bewegen. Die Affekten sind die krankhaften Säfte der Seele, und an jedem Uebermaaße derselben erkrankt die Klugheit: steigt gar das Uebel bis zum Munde hinaus, so läuft die Ehre Gefahr. Man sei daher so ganz Herr über sich und so groß, daß weder im größten Glück, noch im größten Unglück man die Blöße einer Entrüstung gebe, vielmehr, als über jene erhaben, Bewundrung gebiete.
Zunächst, Freund, möchte ich klarstellen, dass sowohl Zustimmung als auch Widerspruch das notwendige Besteck jedweder Freundschaft darstellen. Sagten wir uns nicht ab und an die Meinung, zählte auch das Lob deutlich weniger. Und wie sich Gabel und Messer aufs Schönste ergänzen, kommt mit dem Löffel, der alles abrundet und einfängt, ein gar köstliches Instrument der Verbindlichkeit hinzu, dessen wir uns zu zweit und in Gesellschaft gerne und reichlich bedienen sollten.
Da Sie kein Blatt vor den Mund nehmen, wär's falsch, mundfaul zu sein. Redete nur eine oder einer, herrschte höchstens die halbe Wahrheit.
Die Ehrlichkeit, die in Gedanken verweilt, aber nicht den Weg zu den Stimmbändern findet, wird zur passiven Lüge. Als Diplomatin oder Diplomat zu sterben, heißt, selten die reine Wahrheit gesagt zu haben.
Und manchmal, Freund, geht einem der Sinn eines Wortes erst richtig auf, wenn man es schon Jahre im Munde geführt und von allerlei Seiten angestarrt hat. Dank Schopenhauers Translation fühle ich gerade, dass sich mir der Begriff Entrüstung, von dem Sie sprechen, anders präsentiert als bisher.
Vor unserem Selbst steht eine Art von Gerüst, ein Panzer, der uns davor schützt, aus unserer Haut zu fahren - oder sagen wir: der uns daran hindert, im Guten wie im Schlechten, unsere wahren Gefühle zu zeigen. Im Falle der Entrüstung wird dieser Vorhang aufgezogen, und wir stehen entblößt vor der Welt.
Die Entrüstung, die Sie so vehement verdammen, ist selten angenehm. Das stimmt wohl. Wenn ich daran denke, wie mich ab und an die Wut überkommt, möcht ich am liebsten vor Scham im Boden versinken. Beispiel gefällig? Es reicht wohl, die Peinlichkeit zu erwähnen, einem Fahrradfahrer - fast immer handelt es sich um jüngere Männer - wüste Verbalinjurien hinterherzurufen, sobald er mich oder meine Liebsten, ohne Rücksicht auf Verluste, vom Fußgängerweg der Rosenthaler Vorstadt drängt. Allerdings belass ich's nicht bei einem Was soll das denn? - nein, ich versteife mich darauf, leider wutschnaubend, ihm die Bitte, dass doch in Zukunft besser zu unterlassen, die Straße sei schließlich breit genug für sein grandioses Rennrad, der Fußgängerweg dagegen für rasante Überholmanöver und Schlängel-Press-Ups eher ungeeignet, nachzurufen. Ich betone: aus tiefster Schreihals-Seele. Also mit all der Lungenkraft, die in mir steckt. Sobald der Fahrradfahrer mir wiederum auf diese Bitte ein gleichmütiges Oberlehrer-Arschloch zueignet und, aus der sicheren Ferne, er ist ordenlich schnell, dann noch den beleidigten Stinkefinger zeigt, ticke ich restlos aus und drohe, allen Ernstes, mit der Polizei und wünsche ihm allerlei unappetitliche Dinge an den Ignorantenhals.
Solch unreflektierte Entrüstung finde ich jedesmal wieder beklagenswert. Ich schäme mich, dass ich nicht einfach meines Weges gegangen bin. Wohlwissend, dass Ordnung ganz und gar nicht das Alpha und Omega des Lebens ist. Und ich bedauere, mich nicht stillschweigend bei der gütigen Vorsehung dafür bedankt zu haben, erneut ohne Lenker im Rücken, Spotify-Song im Ohr (viele der Radler und Radlerinnen hören Musik) oder Handy im Auge (gerne wird beim Gehwegrasen telefoniert) davongekommen zu sein.
Meine wenig originelle Entgleisung lässt mich an mir selbst und am Wert der Intervention zweifeln. Ich lasse mich provozieren und stehe deswegen als intoleranter Besserwisser dar, der seine und die Sicherheit seiner Liebsten über das, dank der manchmal, zugegeben, unbequemen Pflastersteine, möglicherweise arg durchgeschaukelte Steißbein des unbekümmerten Rowdies stellt.
Andererseits - bitte verzeihen Sie den Gedankensprung von meiner privaten zur öffentlichen Entrüstung; dass alle Übergange geschmeidig sein sollen, lehne ich aus Prinzip ab, Frakturen helfen gelegentlich dem Denken -, andererseits, und nun zum entscheidenden Aber, das Ihrer ewigen Geheimistuerei und Ihrem Versteckspiel in die intellektuelle Parade fährt, andererseits sei der Panzerkörper, den sich besonders Männer zugelegt haben, um ihre Gefühle zu verbergen, um angeblich stark zu sein, um, wie Klaus Theweleit in seinem Buch Männerphantasien über die deutschen Soldaten-Körper ausführt, alles Feminine wortwörtlich zu zerstören, zu vergewaltigen und zu überwältigen, außen und in sich selbst, andererseits sei genau solch ein gerüsteter Körper für einen Großteil des Leids verantwortlich, im privaten wie auch im öffentlichen Raum.
Wer Gefühle erlaubt, dem wird auf Dauer geglaubt.
Unbewegliche Härte sei keine Tugend, sondern ein Missverständnis der verführten Jugend, des verbohrten Alters.
Leben bedeute Bewegelichkeit.
Das Rüstzeug des Todes sei die Maske, sei das Scharnier, sei der Panzer.
Im guten Sein herrsche das Fluide, das sich nicht dem Alt-Ausgemachten verschreibt, sondern stets großzügig der Neu-Verhandlung widmet.
22. Januar 2020, mit einem Sentiment vom 2. März 2020
53.
Tätigkeit und Verstand. Was dieser ausführlich durchdacht hat, führt jene rasch aus. Eilfertigkeit ist eine Eigenschaft der Dummköpfe: weil sie den Punkt des Anstoßes nicht gewahr werden, gehn sie ohne Vorkehr zu Werke. Dagegen pflegen die Weisen eher durch Zurückhaltung zu fehlen: denn das Vorhersehn gebiert Vorkehrungen, und so vereitelt Mangel an Thatkraft bisweilen die Früchte des richtigen Urtheils. Schnelligkeit ist die Mutter des Glücks. Wer nichts auf Morgen ließ, hat viel gethan. Eile mit Weile war ein recht Kaiserlicher Wahlspruch.
Hier, Freund, kreisen Sie um den Berg und kreieren ein arges Kuddelmuddel, was, im Einzelsatz, nach einem Schatz, zusammen aber eher nach einem intellektuellen Raubzug klingt. Andererseits: warum auch nicht. Mir gefallen Eintöpfe, gerade im Winter, bei harter Kälte, munden sie den angespannten Eingeweiden ungemein.
Machte alles Sinn, was ich sagte, käme wenig Aufregendes aus meinem Munde.
Oft lernen wir mehr aus Fehlern, als uns lieb ist.
Das Überflüssigste führt nicht zu selten zum eigentlichen Glück.
Und die Eilfertigkeit, die Sie rundheraus verdammen, ist eben doch angebracht, begegnet uns eine Katastrophe. Nehmen wir den Moment, in dem jemand vor unseren Augen ertrinkt, wir aber sehr gut schwimmen können. Nun sich erst theoretisch seiner Fähigkeiten zu versichern, im gewissen Sinne Trockenübungen an Land zu machen, sich mit dem Gedanken des Schwimmens anzufreunden, wäre kontraproduktiv. Retter und Retterinnen retten, sie reden nicht ellenlang über das Retten.
Die Zurückhaltung, das Abwägen sind schön und gut. Und doch wachsen wir als Menschen, sobald wir dem Unbekannten begegnen, uns den fremden Dingen zu stellen haben, die sich nicht planen lassen, auf die wir keine passende Antwort kennen. Wer mit einem Passepartout durchs Dasein läuft, wird sich nie und nimmer verlaufen und deswegen auch die Fremde nur als ausgelatschten Trampelpfad erkennen. Ein gewisses Maß an Vorbereitung ist notwendig, übertreiben wir's allerdings mit der Planung, pflanzen wir uns nur selbst fort, was jede Entwicklung unterbindet. So manches Unternehmen, privater und gesellschaftlicher Art, ist genau an der Idee der Vorhersehbarkeit und am Festhalten des Vorhandenen gescheitert.
Erfolg und Freude kommen durch Beweglichkeit, Stagnation und Miesepetrigkeit führen zum Untergang.
23. Januar 2020, mit einem Sentiment vom 3. März 2019
Tätigkeit und Verstand. Was dieser ausführlich durchdacht hat, führt jene rasch aus. Eilfertigkeit ist eine Eigenschaft der Dummköpfe: weil sie den Punkt des Anstoßes nicht gewahr werden, gehn sie ohne Vorkehr zu Werke. Dagegen pflegen die Weisen eher durch Zurückhaltung zu fehlen: denn das Vorhersehn gebiert Vorkehrungen, und so vereitelt Mangel an Thatkraft bisweilen die Früchte des richtigen Urtheils. Schnelligkeit ist die Mutter des Glücks. Wer nichts auf Morgen ließ, hat viel gethan. Eile mit Weile war ein recht Kaiserlicher Wahlspruch.
Hier, Freund, kreisen Sie um den Berg und kreieren ein arges Kuddelmuddel, was, im Einzelsatz, nach einem Schatz, zusammen aber eher nach einem intellektuellen Raubzug klingt. Andererseits: warum auch nicht. Mir gefallen Eintöpfe, gerade im Winter, bei harter Kälte, munden sie den angespannten Eingeweiden ungemein.
Machte alles Sinn, was ich sagte, käme wenig Aufregendes aus meinem Munde.
Oft lernen wir mehr aus Fehlern, als uns lieb ist.
Das Überflüssigste führt nicht zu selten zum eigentlichen Glück.
Und die Eilfertigkeit, die Sie rundheraus verdammen, ist eben doch angebracht, begegnet uns eine Katastrophe. Nehmen wir den Moment, in dem jemand vor unseren Augen ertrinkt, wir aber sehr gut schwimmen können. Nun sich erst theoretisch seiner Fähigkeiten zu versichern, im gewissen Sinne Trockenübungen an Land zu machen, sich mit dem Gedanken des Schwimmens anzufreunden, wäre kontraproduktiv. Retter und Retterinnen retten, sie reden nicht ellenlang über das Retten.
Die Zurückhaltung, das Abwägen sind schön und gut. Und doch wachsen wir als Menschen, sobald wir dem Unbekannten begegnen, uns den fremden Dingen zu stellen haben, die sich nicht planen lassen, auf die wir keine passende Antwort kennen. Wer mit einem Passepartout durchs Dasein läuft, wird sich nie und nimmer verlaufen und deswegen auch die Fremde nur als ausgelatschten Trampelpfad erkennen. Ein gewisses Maß an Vorbereitung ist notwendig, übertreiben wir's allerdings mit der Planung, pflanzen wir uns nur selbst fort, was jede Entwicklung unterbindet. So manches Unternehmen, privater und gesellschaftlicher Art, ist genau an der Idee der Vorhersehbarkeit und am Festhalten des Vorhandenen gescheitert.
Erfolg und Freude kommen durch Beweglichkeit, Stagnation und Miesepetrigkeit führen zum Untergang.
23. Januar 2020, mit einem Sentiment vom 3. März 2019
54.
Haare auf den Zähnen haben. Den todten Löwen zupfen sogar die Haasen an der Mähne. Mit der Tapferkeit läßt sich nicht Scherz treiben. Giebst du dem Ersten nach, so mußt du es auch dem Andern, und so bis zum Letzten; und spät zu siegen, hast du die selbe Mühe, die dir gleich Anfangs viel mehr genutzt hätte. Der geistige Muth übertrifft die körperliche Kraft: er sei ein Schwerdt, das stets in der Scheide der Klugheit ruht, für die Gelegenheit bereit. Er ist der Schirm der Person: die geistige Schwäche setzt mehr herab als die körperliche. Viele hatten außerordentliche Fähigkeiten, aber weil es ihnen an Herz fehlte, lebten sie wie Todte und endigten begraben in ihrer Unthätigkeit. Nicht ohne Absicht hat die sorgsame Natur, in der Biene, die Süße des Honigs mit der Schärfe des Stachels verbunden. Sehnen und Knochen hat der Leib; so sei der Geist auch nicht lauter Sanftmuth.
Wie ich diesen Abschnitt liebe, Freund! Mag sein, um das gleich einzugestehen, dass Sie mich heute früh in besonders guter Laune antreffen, da ich eben, was Ihnen wenig bedeuten dürfte, weil Ihr Orakel schließlich quer über den Erdball in allerlei Sprachen be- und geistert, da ich eben von einer Publikation erfahren habe, die ich auf Englisch geschrieben habe und die nun demnächst in der Ferne, über dem Atlantik, veröffentlicht wird. Ist es nicht seltsam, dass uns Erfolg, sei er noch so klein, großmütig stimmt? Keine, seien wir ehrlich, zu angenehme Einsicht. Denn das heißt doch auch, im radikalen Umkehrschluss, dass sehr erfolgreiche Menschen leichter ihren moralischen Kompass verlieren, geblendet von sich selbst auf die Welt blicken. Davon kann bei mir nun wohl gar nicht die Rede sein. Ich erfreue mich an der Freiheit des inneren Urteils, da mich ansonsten, bislang, nur recht wenige, die mir allerdings wichtig sind, außen ver- und beurteilen.
Das Vorurteil sei, das nur am Erzählrande, der dümmste und brüchigste Maßstab, mit dem wir die Welt vermessen sollten. Am besten, scheint mir, ist's, wenn wir zunächst verdauen, bevor wir ein kredenztes Gericht über den grünen Klee loben oder auf Teufel komm raus verdammen.
Vieles, was Sie hier ansprechen, trifft also den Kern der Sache, Freund; und so bin ich - weitgehend - bei Ihnen, denn auch mir scheint, dass sich geistige Standhaftigkeit zur sensiblen Tapferkeit auswächst. Fangen wir nicht irgendwann an, unsere Meinung kundzutun, bleibt sie eben auf immerdar ungehört - und wir verschwinden spurlos vom Antlitz der Erde, was, an sich, noch kein Malheur ist, aber eins sein kann, wenn das, was wir zu sagen gehabt hätten, dem Fortschritt gedient hätte.
Wer um ihrer oder seiner selbst Willen spricht, sich am liebsten selbst hört, sollte besser stummstill den Mund halten.
Regiert allerdings die originelle Idee das Hirn, sei das Reden nicht nur angebracht, sondern gar eine hehre Pflicht, der wir uns nicht mundfaul entziehen dürfen.
Die Perfektion der Bewegungen und die Anstrengung der Körper schätzen wir möglichst nicht gering; ohne sie gäb's weder Brot noch Butter, weder Haus noch Herd.
4. März 2019, mit einem Sentiment vom 24. Januar 2020
Haare auf den Zähnen haben. Den todten Löwen zupfen sogar die Haasen an der Mähne. Mit der Tapferkeit läßt sich nicht Scherz treiben. Giebst du dem Ersten nach, so mußt du es auch dem Andern, und so bis zum Letzten; und spät zu siegen, hast du die selbe Mühe, die dir gleich Anfangs viel mehr genutzt hätte. Der geistige Muth übertrifft die körperliche Kraft: er sei ein Schwerdt, das stets in der Scheide der Klugheit ruht, für die Gelegenheit bereit. Er ist der Schirm der Person: die geistige Schwäche setzt mehr herab als die körperliche. Viele hatten außerordentliche Fähigkeiten, aber weil es ihnen an Herz fehlte, lebten sie wie Todte und endigten begraben in ihrer Unthätigkeit. Nicht ohne Absicht hat die sorgsame Natur, in der Biene, die Süße des Honigs mit der Schärfe des Stachels verbunden. Sehnen und Knochen hat der Leib; so sei der Geist auch nicht lauter Sanftmuth.
Wie ich diesen Abschnitt liebe, Freund! Mag sein, um das gleich einzugestehen, dass Sie mich heute früh in besonders guter Laune antreffen, da ich eben, was Ihnen wenig bedeuten dürfte, weil Ihr Orakel schließlich quer über den Erdball in allerlei Sprachen be- und geistert, da ich eben von einer Publikation erfahren habe, die ich auf Englisch geschrieben habe und die nun demnächst in der Ferne, über dem Atlantik, veröffentlicht wird. Ist es nicht seltsam, dass uns Erfolg, sei er noch so klein, großmütig stimmt? Keine, seien wir ehrlich, zu angenehme Einsicht. Denn das heißt doch auch, im radikalen Umkehrschluss, dass sehr erfolgreiche Menschen leichter ihren moralischen Kompass verlieren, geblendet von sich selbst auf die Welt blicken. Davon kann bei mir nun wohl gar nicht die Rede sein. Ich erfreue mich an der Freiheit des inneren Urteils, da mich ansonsten, bislang, nur recht wenige, die mir allerdings wichtig sind, außen ver- und beurteilen.
Das Vorurteil sei, das nur am Erzählrande, der dümmste und brüchigste Maßstab, mit dem wir die Welt vermessen sollten. Am besten, scheint mir, ist's, wenn wir zunächst verdauen, bevor wir ein kredenztes Gericht über den grünen Klee loben oder auf Teufel komm raus verdammen.
Vieles, was Sie hier ansprechen, trifft also den Kern der Sache, Freund; und so bin ich - weitgehend - bei Ihnen, denn auch mir scheint, dass sich geistige Standhaftigkeit zur sensiblen Tapferkeit auswächst. Fangen wir nicht irgendwann an, unsere Meinung kundzutun, bleibt sie eben auf immerdar ungehört - und wir verschwinden spurlos vom Antlitz der Erde, was, an sich, noch kein Malheur ist, aber eins sein kann, wenn das, was wir zu sagen gehabt hätten, dem Fortschritt gedient hätte.
Wer um ihrer oder seiner selbst Willen spricht, sich am liebsten selbst hört, sollte besser stummstill den Mund halten.
Regiert allerdings die originelle Idee das Hirn, sei das Reden nicht nur angebracht, sondern gar eine hehre Pflicht, der wir uns nicht mundfaul entziehen dürfen.
Die Perfektion der Bewegungen und die Anstrengung der Körper schätzen wir möglichst nicht gering; ohne sie gäb's weder Brot noch Butter, weder Haus noch Herd.
4. März 2019, mit einem Sentiment vom 24. Januar 2020
55.
Warten können. Es beweist ein großes Herz mit Reichtum an Geduld, wenn man nie in eiliger Hitze, nie leidenschaftlich ist. Erst sei man Herr über sich: so wird man es nachher über Andere seyn. Nur durch die weiten Räume der Zeit gelangt man zum Mittelpunkte der Gelegenheit. Weise Zurückhaltung bringt die richtigen, lange geheim zu haltenden Beschlüsse zur Reife. Die Krücke der Zeit richtet mehr aus als die eiserne Keule des Hercules. Gott selbst züchtigt nicht mit dem Knittel, sondern mit der Zeit. Es war ein großes Wort: »die Zeit und ich nehmen es mit zwei Andern auf.« Das Glück selbst krönt das Warten durch die Größe des Lohns.
Nun, Freund, zunächst drängelt sich ein Gedanke vor, den ich, nicht nur bei Ihnen, des öfteren habe: in den meisten Texten - meinen hoffentlich auch - schlummert einiges Gutes, wohnen originelle und ansprechende, herausfordernde und herrlich abstruse Ideen, die uns mit ihrer Schärfe, ihrem Feuer, ihrer Liebenswürdigkeit, ihrer Ungewöhnlichkeit durchrütteln und bereichern. Und gleichzeitig, was viele Gründe hat, halsen diese Texte uns ihre unausgegorene Zeitgenossenschaft auf, nerven uns mit ihrer eitlen Hermeneutik, verstören uns mit ihrer uneinsichtigen Eindimensionalität. Oder, was nicht ausgeschlossen ist, vielleicht liegt's auch nur an mir, an meiner Sichtweise, an meiner Zeit, in der ich wie ein tumber Gefangener hause, die mir mein Ein und Alles ist, die ich vergöttere und verabscheue, aus der's aber kein Ausbrechen gibt.
Wir lesen, was wir lesen wollen; und wir werden gelesen, wie wir nicht gelesen werden wollen.
Hat ein Text Kraft, stiehlt ihm die weiche Zeit Zunder. Hat er Weiche, macht ihn die Zeit hart.
Was ich auch will, wird nicht sein, und was ist, will ich selten. So bin ich Mensch, mit allen, die waren, sind und kommen verwandt.
Anstatt, Freund, mit Ihnen in den selben Ring zu steigen, auf immerdar die selben Dinge anzusprechen: Leidenschaft sei notwendig. Anstatt mich also als Evergrey-Song auf Repeat zu fühlen, möchte ich ein Wort über die Kraft der Wiederholung verlieren.
Horaz glaubte, dass alles, was wir nur zehnmal wiederholten, am Ende schon gefiele. Da steckt viel Wahrheit drinnen und auch eine erhebliche Gefahr. Die Einredekunst, die beste Freundin der Wiederholung, weiß um den einprägsamen Schwung der Repetition. Propaganda funktioniert unter genau dieser Maxime: halbgare oder falsche Behauptungen werden so lange wiederholt, bis sie sich als vermeintliche Wahrheiten ins öffentliche Bewusstsein gefressen und den kritischen Geist mit Unrat vollgemüllt haben. Wir müssen aufpassen, uns nicht mit dem Allgemeinen, dem oftmals Vorhandenen, der manipulativen Zeitströmung, die einer Ideologie frönt, gemein zu machen, was einfacher als der Widerstand ist.
Damit aber genug, ich stoppe lieber hier, um nicht selbst in die eben beschriebene Falle zu tappen.
Oder doch noch eine Bemerkung, eine geschwinde, sei bitte erlaubt: vom Guten kann man nicht genug geben oder abbekommen. Was das Gute wiederum ist, sei eine fortwährende Verhandlung, die Vernunft und Nutzen, Demokratie und Humanität allzeit und ernsthaft aufs Neue auszuhandeln haben.
Nichts sei konstant, nur, ist uns das Glück hold, die Liebe; und, was keine Frage des Glücks, sondern des Lebens überhaupt ist, der Tod.
25. Januar 2020, mit einem langen Sentiment vom 5. März 2019
Warten können. Es beweist ein großes Herz mit Reichtum an Geduld, wenn man nie in eiliger Hitze, nie leidenschaftlich ist. Erst sei man Herr über sich: so wird man es nachher über Andere seyn. Nur durch die weiten Räume der Zeit gelangt man zum Mittelpunkte der Gelegenheit. Weise Zurückhaltung bringt die richtigen, lange geheim zu haltenden Beschlüsse zur Reife. Die Krücke der Zeit richtet mehr aus als die eiserne Keule des Hercules. Gott selbst züchtigt nicht mit dem Knittel, sondern mit der Zeit. Es war ein großes Wort: »die Zeit und ich nehmen es mit zwei Andern auf.« Das Glück selbst krönt das Warten durch die Größe des Lohns.
Nun, Freund, zunächst drängelt sich ein Gedanke vor, den ich, nicht nur bei Ihnen, des öfteren habe: in den meisten Texten - meinen hoffentlich auch - schlummert einiges Gutes, wohnen originelle und ansprechende, herausfordernde und herrlich abstruse Ideen, die uns mit ihrer Schärfe, ihrem Feuer, ihrer Liebenswürdigkeit, ihrer Ungewöhnlichkeit durchrütteln und bereichern. Und gleichzeitig, was viele Gründe hat, halsen diese Texte uns ihre unausgegorene Zeitgenossenschaft auf, nerven uns mit ihrer eitlen Hermeneutik, verstören uns mit ihrer uneinsichtigen Eindimensionalität. Oder, was nicht ausgeschlossen ist, vielleicht liegt's auch nur an mir, an meiner Sichtweise, an meiner Zeit, in der ich wie ein tumber Gefangener hause, die mir mein Ein und Alles ist, die ich vergöttere und verabscheue, aus der's aber kein Ausbrechen gibt.
Wir lesen, was wir lesen wollen; und wir werden gelesen, wie wir nicht gelesen werden wollen.
Hat ein Text Kraft, stiehlt ihm die weiche Zeit Zunder. Hat er Weiche, macht ihn die Zeit hart.
Was ich auch will, wird nicht sein, und was ist, will ich selten. So bin ich Mensch, mit allen, die waren, sind und kommen verwandt.
Anstatt, Freund, mit Ihnen in den selben Ring zu steigen, auf immerdar die selben Dinge anzusprechen: Leidenschaft sei notwendig. Anstatt mich also als Evergrey-Song auf Repeat zu fühlen, möchte ich ein Wort über die Kraft der Wiederholung verlieren.
Horaz glaubte, dass alles, was wir nur zehnmal wiederholten, am Ende schon gefiele. Da steckt viel Wahrheit drinnen und auch eine erhebliche Gefahr. Die Einredekunst, die beste Freundin der Wiederholung, weiß um den einprägsamen Schwung der Repetition. Propaganda funktioniert unter genau dieser Maxime: halbgare oder falsche Behauptungen werden so lange wiederholt, bis sie sich als vermeintliche Wahrheiten ins öffentliche Bewusstsein gefressen und den kritischen Geist mit Unrat vollgemüllt haben. Wir müssen aufpassen, uns nicht mit dem Allgemeinen, dem oftmals Vorhandenen, der manipulativen Zeitströmung, die einer Ideologie frönt, gemein zu machen, was einfacher als der Widerstand ist.
Damit aber genug, ich stoppe lieber hier, um nicht selbst in die eben beschriebene Falle zu tappen.
Oder doch noch eine Bemerkung, eine geschwinde, sei bitte erlaubt: vom Guten kann man nicht genug geben oder abbekommen. Was das Gute wiederum ist, sei eine fortwährende Verhandlung, die Vernunft und Nutzen, Demokratie und Humanität allzeit und ernsthaft aufs Neue auszuhandeln haben.
Nichts sei konstant, nur, ist uns das Glück hold, die Liebe; und, was keine Frage des Glücks, sondern des Lebens überhaupt ist, der Tod.
25. Januar 2020, mit einem langen Sentiment vom 5. März 2019
56.
Geistesgegenwart haben. Sie entspringt aus einer glücklichen Schnelligkeit des Geistes. Für sie giebt es keine Gefahren noch Unfälle, kraft ihrer Lebendigkeit und Aufgewecktheit. Manche denken viel nach, um nachher Alles zu verfehlen: Andre treffen Alles, ohne es vorher überlegt zu haben. Es giebt antiparastatische Genies, die erst in der Klemme am besten wirken: sie sind eine Art Ungeheuer, denen aus dem Stegreif Alles, mit Ueberlegung Nichts gelingt: was ihnen nicht gleich einfällt, finden sie nie: in ihrem Kopfe ist kein Appellationshof. Die Raschen also erlangen Beifall, weil sie den Beweis einer gewaltigen Fähigkeit, Feinheit im Denken und Klugheit im Thun ablegen.
Ja, Freund, es sei eingestanden: ich hätte wahrhaft nichts dagegen, ein solches Genie der Geistesgegenwart zu sein. Allein: irgendwo hakt's dann doch plötzlich. Ich gerate ins Stocken, zögere, denke an jenes und dieses, rechne durch, was passieren könnte oder sollte. Und, zack, ist die Lage eine andere, hat irgendjemand abgesahnt, was ich nur zu gern mein eigen genannt hätte. Was ich dann wiederum gleichfalls akzeptiere, denn mir scheint, dass es sehr wohl höflich ist, anderen regelmäßig den Vortritt zu lassen, als immer selbst in der ersten Reihe zu stehen; oder, noch schlimmer, sich selbst - ohne Rücksicht auf Verluste - vorzudrängeln.
Alles zu sagen, auch wenn's den Nagel auf den Kopf trifft, schafft mehr Feinde als Freunde.
Wer die Weile schätzt, wird geliebt; wer die Eile hofiert, vergessen.
Es imponiert mir andererseits, wie freundlich, frank und frei, Freund, Sie der Geistesgegenwart Beifall zollen. Mit einer Generosität, die vorbildlich ist. Zumal ich nicht wissen kann, ob Ihnen neben der weiten Tiefe auch die nahe Flachheit als intellektueller Jagdgrund lieb gewesen ist. Schopenhauers Klemme samt Ungeheuer und Appellationshof machen diesen Paragrafen, in der Translation, zusätzlich zum gleichnishaften Lesegenuss.
Und dann, mit einem kurzen Strich, im letzten Satz, geben Sie Ihrer Geneigtheit Gedankenfreiheit. Die Attacke kommt, was dramatisch scheint, wohl auch so gemeint ist, förmlich aus dem Nichts. Schließlich haben wir Ihren löblich-hymnischen Lullabies auf die spontane Schlagfertigkeit getraut, entzückt beigewohnt, uns in märchenhafter Heldensicherheit gewähnt. Das wahre Rüstzeug jeder Tat ist wohl, für Sie, nun mal doch die austrarierte Langsamkeit, das Hin- und Herbeleuchten, das wagende Abwägen, was in sich selbst ein Wagnis sein kann, da es uns von unserem Auf-den-ersten-Blick-Anfangsverdacht und der daraus entspringenden Handlungsgewissheit entreißt.
Um weiterhin ehrlich zu bleiben, mein Herz pocht diesmal in zwei Kammern: einerseits halte ich's mit Sunzi, der gesagt hat, wahrhaft siege, der nicht kämpfe. In unserem Falle hieße das wohl, dass der Geistesgegenwärtige sich oftmals spontan auf eine Fehde einließe, während der Abwägende von Sunzi zum General erhoben werden würde. Und doch, nun ein weiteres Mal zur Gespaltenheit, die mich umtreibt, finde ich andererseits die Nichtzaudernden überaus sympathisch, da ihnen seltener passieren dürfte, was jede und jeder von uns übernachdenklichen Gebetsmühlenbetreibern kennt: das larmoyante Daheim-Bedauern, das berechtigte Jammern über unsere Unfähigkeit, klar und deutlich Position zu beziehen, ad hoc, wohlgemerkt, uns und unserer Meinung Gehör zu verschaffen, und zwar in dem Moment, wenn wir Einfluss nehmen könnten aufs vorhandene Jetzt.
Nicht dass man nicht noch im Nachhinein wirken könnte. Selbstverständlich sei das so, Selbst die Tapferkeit kann eine muntere Hinterhertugend sein. Aber der Geschmack des Moments ist indessen unvergleichbar, kann mit dem, ab und an, abgestandenen Hadern, dem un- oder auch glücklichen Afterthought, nicht unbedingt verglichen werden.
Im Jetzt allein, der Gelegenheit per se, sind wir nur, sind wir schlicht und er- und zugreifend. Im Jetzt allein sind wir, was das unmittelbare, das essentielle Ich betrifft, am glücklichsten. Ins Morgen und ins Gestern mischen sich schließlich stets und loyal die Auslegung, deren Proxy-Kraft eine distanzierte Sicht auf die Welt bedeudet und der Lebenslust weniger Begierde und eine, möglicherweise, geringere Befriedigung erlaubt.
28. Januar 2020, mit einem Sentiment vom 6. März 2019
Geistesgegenwart haben. Sie entspringt aus einer glücklichen Schnelligkeit des Geistes. Für sie giebt es keine Gefahren noch Unfälle, kraft ihrer Lebendigkeit und Aufgewecktheit. Manche denken viel nach, um nachher Alles zu verfehlen: Andre treffen Alles, ohne es vorher überlegt zu haben. Es giebt antiparastatische Genies, die erst in der Klemme am besten wirken: sie sind eine Art Ungeheuer, denen aus dem Stegreif Alles, mit Ueberlegung Nichts gelingt: was ihnen nicht gleich einfällt, finden sie nie: in ihrem Kopfe ist kein Appellationshof. Die Raschen also erlangen Beifall, weil sie den Beweis einer gewaltigen Fähigkeit, Feinheit im Denken und Klugheit im Thun ablegen.
Ja, Freund, es sei eingestanden: ich hätte wahrhaft nichts dagegen, ein solches Genie der Geistesgegenwart zu sein. Allein: irgendwo hakt's dann doch plötzlich. Ich gerate ins Stocken, zögere, denke an jenes und dieses, rechne durch, was passieren könnte oder sollte. Und, zack, ist die Lage eine andere, hat irgendjemand abgesahnt, was ich nur zu gern mein eigen genannt hätte. Was ich dann wiederum gleichfalls akzeptiere, denn mir scheint, dass es sehr wohl höflich ist, anderen regelmäßig den Vortritt zu lassen, als immer selbst in der ersten Reihe zu stehen; oder, noch schlimmer, sich selbst - ohne Rücksicht auf Verluste - vorzudrängeln.
Alles zu sagen, auch wenn's den Nagel auf den Kopf trifft, schafft mehr Feinde als Freunde.
Wer die Weile schätzt, wird geliebt; wer die Eile hofiert, vergessen.
Es imponiert mir andererseits, wie freundlich, frank und frei, Freund, Sie der Geistesgegenwart Beifall zollen. Mit einer Generosität, die vorbildlich ist. Zumal ich nicht wissen kann, ob Ihnen neben der weiten Tiefe auch die nahe Flachheit als intellektueller Jagdgrund lieb gewesen ist. Schopenhauers Klemme samt Ungeheuer und Appellationshof machen diesen Paragrafen, in der Translation, zusätzlich zum gleichnishaften Lesegenuss.
Und dann, mit einem kurzen Strich, im letzten Satz, geben Sie Ihrer Geneigtheit Gedankenfreiheit. Die Attacke kommt, was dramatisch scheint, wohl auch so gemeint ist, förmlich aus dem Nichts. Schließlich haben wir Ihren löblich-hymnischen Lullabies auf die spontane Schlagfertigkeit getraut, entzückt beigewohnt, uns in märchenhafter Heldensicherheit gewähnt. Das wahre Rüstzeug jeder Tat ist wohl, für Sie, nun mal doch die austrarierte Langsamkeit, das Hin- und Herbeleuchten, das wagende Abwägen, was in sich selbst ein Wagnis sein kann, da es uns von unserem Auf-den-ersten-Blick-Anfangsverdacht und der daraus entspringenden Handlungsgewissheit entreißt.
Um weiterhin ehrlich zu bleiben, mein Herz pocht diesmal in zwei Kammern: einerseits halte ich's mit Sunzi, der gesagt hat, wahrhaft siege, der nicht kämpfe. In unserem Falle hieße das wohl, dass der Geistesgegenwärtige sich oftmals spontan auf eine Fehde einließe, während der Abwägende von Sunzi zum General erhoben werden würde. Und doch, nun ein weiteres Mal zur Gespaltenheit, die mich umtreibt, finde ich andererseits die Nichtzaudernden überaus sympathisch, da ihnen seltener passieren dürfte, was jede und jeder von uns übernachdenklichen Gebetsmühlenbetreibern kennt: das larmoyante Daheim-Bedauern, das berechtigte Jammern über unsere Unfähigkeit, klar und deutlich Position zu beziehen, ad hoc, wohlgemerkt, uns und unserer Meinung Gehör zu verschaffen, und zwar in dem Moment, wenn wir Einfluss nehmen könnten aufs vorhandene Jetzt.
Nicht dass man nicht noch im Nachhinein wirken könnte. Selbstverständlich sei das so, Selbst die Tapferkeit kann eine muntere Hinterhertugend sein. Aber der Geschmack des Moments ist indessen unvergleichbar, kann mit dem, ab und an, abgestandenen Hadern, dem un- oder auch glücklichen Afterthought, nicht unbedingt verglichen werden.
Im Jetzt allein, der Gelegenheit per se, sind wir nur, sind wir schlicht und er- und zugreifend. Im Jetzt allein sind wir, was das unmittelbare, das essentielle Ich betrifft, am glücklichsten. Ins Morgen und ins Gestern mischen sich schließlich stets und loyal die Auslegung, deren Proxy-Kraft eine distanzierte Sicht auf die Welt bedeudet und der Lebenslust weniger Begierde und eine, möglicherweise, geringere Befriedigung erlaubt.
28. Januar 2020, mit einem Sentiment vom 6. März 2019
57.
Sicherer sind die Ueberlegten: schnell genug geschieht, was gut geschieht. Was sich auf der Stelle macht, kann auch auf der Stelle wieder zunichte werden: aber was eine Ewigkeit dauern soll, braucht auch eine, um zu Stande zu kommen. Nur die Vollkommenheit gilt, und nur das Gelungene hat Dauer. Verstand und Gründlichkeit schaffen unsterbliche Werke. Was viel werth ist, kostet viel. Ist doch das edelste Metall das schwerste,
Was aus dem Stegreif geschaffen wird, Freund, hat, ab und an, eine unerschütterliche Kraft, die das emsig Überarbeitete selten besitzt. Der Augenblick verführt, die Weile langweilt. Und was die Dauer betrifft, sei angemerkt, dass, in Wahrheit, alles ephemer ist. Ich kann mir schwer vorstellen, dass die Menschheit, wie die Sachen jetzt liegen, auch nur mittelfristig Bestand hat. Aber man weiß ja, andererseits, nie. Vielleicht ziehen wir uns mit einer genialen Erfindung selbst aus dem apokalyptischen Dreck.
Unsterblicher Ruhm hilft nicht beim unnrühmlichen Sterben.
Heute gefeiert, morgen vergessen - so lautet das typische Menschenschicksal.
Lieber gut im Jetzt leben, als auf den Nachruhm setzen.
Während wir heiß und innig geküsst werden, sollte uns die kalte Grube egal sein.
Wer sich allein in sich selbst bewegt, sei in Wahrheit bewegungslos, demgemäß bereits aus dem Leben geschieden.
29. Januar 2020, mit einem knappen Sentiment vom 7. März 2019
Sicherer sind die Ueberlegten: schnell genug geschieht, was gut geschieht. Was sich auf der Stelle macht, kann auch auf der Stelle wieder zunichte werden: aber was eine Ewigkeit dauern soll, braucht auch eine, um zu Stande zu kommen. Nur die Vollkommenheit gilt, und nur das Gelungene hat Dauer. Verstand und Gründlichkeit schaffen unsterbliche Werke. Was viel werth ist, kostet viel. Ist doch das edelste Metall das schwerste,
Was aus dem Stegreif geschaffen wird, Freund, hat, ab und an, eine unerschütterliche Kraft, die das emsig Überarbeitete selten besitzt. Der Augenblick verführt, die Weile langweilt. Und was die Dauer betrifft, sei angemerkt, dass, in Wahrheit, alles ephemer ist. Ich kann mir schwer vorstellen, dass die Menschheit, wie die Sachen jetzt liegen, auch nur mittelfristig Bestand hat. Aber man weiß ja, andererseits, nie. Vielleicht ziehen wir uns mit einer genialen Erfindung selbst aus dem apokalyptischen Dreck.
Unsterblicher Ruhm hilft nicht beim unnrühmlichen Sterben.
Heute gefeiert, morgen vergessen - so lautet das typische Menschenschicksal.
Lieber gut im Jetzt leben, als auf den Nachruhm setzen.
Während wir heiß und innig geküsst werden, sollte uns die kalte Grube egal sein.
Wer sich allein in sich selbst bewegt, sei in Wahrheit bewegungslos, demgemäß bereits aus dem Leben geschieden.
29. Januar 2020, mit einem knappen Sentiment vom 7. März 2019
58.
Sich anzupassen verstehen. Nicht Allen soll man auf gleiche Weise seinen Verstand zeigen, und nie mehr Kraft verwenden, als grade nöthig ist. Nichts werde verschleudert, weder vom Wissen, noch vom Leisten. Der gescheute Falkonier läßt nicht mehr Vögel steigen, als die Jagd erfordert. Man lege nicht immer Alles zur Schau: sonst wird es morgen Keiner mehr bewundern. Immer habe man etwas Neues, damit zu glänzen: denn wer jeden Tag mehr aufdeckt, unterhält die Erwartung, und nie werden Gränzen seiner großen Fähigkeiten aufgefunden.
In solch einer Welt, Freund, die Sie hier entwerfen, wird gerummelt und gerammelt, geschöpft und geschröpft, dass sich nur so die Decken biegen. Wohlgemerkt: wenn's sich lohnt. Der Mensch hat sich zu optimieren, um stets und zuverlässig up to date zu sein. Wenn nötig, Bewunderung zu evozieren, mit den eigenen Fähigkeiten so zu glänzen, dass andere im Schatten vor Neid erblassen. Ich bin weder ein Freund der Selbstoptimierung noch des elitären hinterm Berghaltens. Ihre Kalkulationen schlagen mir ziemlich aufs Gemüt, da mir scheint, dass genauso und nicht anders die Welt weitgehend funktioniert: wer hat, der hat; und wer nicht hat, hat halt Pech gehabt.
Das Gute halte sich nur zurück, wenn's im Übermaß vorhanden sei! Also, bleiben wir realistisch, niemals.
Wer Bewunderung anstrebt und alle Hebel dafür in Bewegung setzt, erntet neben Neid
auch, berechtigterweise, Mitleid.
Wird die Zurückhaltung zur Gewohnheit, stirbt alsbald die Empathie.
Dennoch: etwas im Köcher zu behalten, das sei eine vielfach erwähnte und ungemein vernünftige Empfehlung. Ja, Freund, solch ein Rat stellt in sich selbst eine Bevorratung dar, deren Weisheit in allen Gesellschaften, die nicht im Schlaraffenland leben, geschätzt wird.
30. Januar 2020, mit einem kurzen Sentiment vom 8. März 2019
Sich anzupassen verstehen. Nicht Allen soll man auf gleiche Weise seinen Verstand zeigen, und nie mehr Kraft verwenden, als grade nöthig ist. Nichts werde verschleudert, weder vom Wissen, noch vom Leisten. Der gescheute Falkonier läßt nicht mehr Vögel steigen, als die Jagd erfordert. Man lege nicht immer Alles zur Schau: sonst wird es morgen Keiner mehr bewundern. Immer habe man etwas Neues, damit zu glänzen: denn wer jeden Tag mehr aufdeckt, unterhält die Erwartung, und nie werden Gränzen seiner großen Fähigkeiten aufgefunden.
In solch einer Welt, Freund, die Sie hier entwerfen, wird gerummelt und gerammelt, geschöpft und geschröpft, dass sich nur so die Decken biegen. Wohlgemerkt: wenn's sich lohnt. Der Mensch hat sich zu optimieren, um stets und zuverlässig up to date zu sein. Wenn nötig, Bewunderung zu evozieren, mit den eigenen Fähigkeiten so zu glänzen, dass andere im Schatten vor Neid erblassen. Ich bin weder ein Freund der Selbstoptimierung noch des elitären hinterm Berghaltens. Ihre Kalkulationen schlagen mir ziemlich aufs Gemüt, da mir scheint, dass genauso und nicht anders die Welt weitgehend funktioniert: wer hat, der hat; und wer nicht hat, hat halt Pech gehabt.
Das Gute halte sich nur zurück, wenn's im Übermaß vorhanden sei! Also, bleiben wir realistisch, niemals.
Wer Bewunderung anstrebt und alle Hebel dafür in Bewegung setzt, erntet neben Neid
auch, berechtigterweise, Mitleid.
Wird die Zurückhaltung zur Gewohnheit, stirbt alsbald die Empathie.
Dennoch: etwas im Köcher zu behalten, das sei eine vielfach erwähnte und ungemein vernünftige Empfehlung. Ja, Freund, solch ein Rat stellt in sich selbst eine Bevorratung dar, deren Weisheit in allen Gesellschaften, die nicht im Schlaraffenland leben, geschätzt wird.
30. Januar 2020, mit einem kurzen Sentiment vom 8. März 2019
59.
Das Ende bedenken. Wenn man in das Haus des Glücks durch die Pforte des Jubels eintritt; so wird man durch die des Wehklagens wieder heraustreten; und umgekehrt. Daher soll man auf das Ende bedacht seyn, und seine Sorgfalt mehr auf ein glückliches Abgehn, als auf den Beifall beim Auftreten richten. Es ist das gewöhnliche Loos der Unglückskinder, einen gar fröhlichen Anfang, aber ein sehr tragisches Ende zu erleben. Das so gemeine Beifallsklatschen beim Auftreten ist nicht die Hauptsache, Allen wird es zu Theil; sondern das allgemeine Gefühl, das sich bei unserm Abtreten äußert. Denn die Zurückgewünschten sind selten, Wenige geleitet das Glück bis an die Schwelle: so höflich es gegen die Ankommenden zu seyn pflegt, so schnöde gegen die Abgehenden.
Viel Wahres und, gleichsam, viel Unwahres, Freund, mixen sich hier zu einem seltsamen Gebräu, das Sie uns, zufrieden mit sich selbst, kredenzen. Ja, es wäre schön, wenn uns die Zurückbleibenden in Ehre hielten, allein, mal ganz ehrlich, was schert mich das Geschwätz derjenigen, die mir Übles wollen? Niemand hält das heftig lodernde Feuer auf, indem sie oder er sich brav und gelassen an den prasselnden Ofen setzt und eine feine Pfeife raucht. Entweder wir kämpfen - und dann ist's fast egal, wo wir stehen, Hauptsache wir fangen an -, oder wir reißen geschwind die Wurzeln aus, machen uns aus dem Staub, um unsere Haut zu retten.
Wer inmitten von Feindinnen und Feinden haust, findet irgendwann Gift in der Suppe.
Abschied zieht noch der heftigsten Feindschaft den Boden unter den Füßen weg.
Allen zu gefallen, gelingt nur den Charakterlosen und die werden alsbald, zu Recht, verachtet.
Beschäftigt mich allein das Ende, ist die Mitte, die doch oft genug das Schönste darstellt, verloren.
31. Januar 2020
Das Ende bedenken. Wenn man in das Haus des Glücks durch die Pforte des Jubels eintritt; so wird man durch die des Wehklagens wieder heraustreten; und umgekehrt. Daher soll man auf das Ende bedacht seyn, und seine Sorgfalt mehr auf ein glückliches Abgehn, als auf den Beifall beim Auftreten richten. Es ist das gewöhnliche Loos der Unglückskinder, einen gar fröhlichen Anfang, aber ein sehr tragisches Ende zu erleben. Das so gemeine Beifallsklatschen beim Auftreten ist nicht die Hauptsache, Allen wird es zu Theil; sondern das allgemeine Gefühl, das sich bei unserm Abtreten äußert. Denn die Zurückgewünschten sind selten, Wenige geleitet das Glück bis an die Schwelle: so höflich es gegen die Ankommenden zu seyn pflegt, so schnöde gegen die Abgehenden.
Viel Wahres und, gleichsam, viel Unwahres, Freund, mixen sich hier zu einem seltsamen Gebräu, das Sie uns, zufrieden mit sich selbst, kredenzen. Ja, es wäre schön, wenn uns die Zurückbleibenden in Ehre hielten, allein, mal ganz ehrlich, was schert mich das Geschwätz derjenigen, die mir Übles wollen? Niemand hält das heftig lodernde Feuer auf, indem sie oder er sich brav und gelassen an den prasselnden Ofen setzt und eine feine Pfeife raucht. Entweder wir kämpfen - und dann ist's fast egal, wo wir stehen, Hauptsache wir fangen an -, oder wir reißen geschwind die Wurzeln aus, machen uns aus dem Staub, um unsere Haut zu retten.
Wer inmitten von Feindinnen und Feinden haust, findet irgendwann Gift in der Suppe.
Abschied zieht noch der heftigsten Feindschaft den Boden unter den Füßen weg.
Allen zu gefallen, gelingt nur den Charakterlosen und die werden alsbald, zu Recht, verachtet.
Beschäftigt mich allein das Ende, ist die Mitte, die doch oft genug das Schönste darstellt, verloren.
31. Januar 2020