240.
Von der Dummheit Gebrauch zu machen verstehn. Der größte Weise spielt bisweilen diese Karte aus, und es giebt Gelegenheiten, wo das beste Wissen darin besteht, daß man nicht zu wissen scheine. Man soll nicht unwissend seyn, wohl aber es zu seyn affektiren. Bei den Dummen weise und bei den Narren gescheut seyn, wird wenig helfen. Man rede also zu Jedem seine Sprache. Nicht der ist dumm, der Dummheit affektirt; sondern der, welcher an ihr leidet: die aufrichtige, nicht die falsche Dummheit ist die wirkliche; da die Geschicklichkeit es schon so weit getrieben hat. Das einzige Mittel, beliebt zu seyn, ist, daß man sich mit der Haut des einfältigsten der Thiere bekleide.
Gruselig, Freund, was Sie hier zum Besten geben - und in diesem Fall möchte ich, nein muss ich sagen: zum Schlechten. Sie schrecken vor keinem arglistigen Kniff zurück, um sich ohne Not Vorteile zu verschaffen. Und das ist mir wichtig: ohne Not. Gäbe es einen vernünftigen Grund, sich zu verstellen, in einem trojanischen Pferd zu nächtigen, beispielsweise: den Tyranninen- oder Tyrannensturz, der viele Leben rettete, wäre ich sogleich bei Ihnen, lobte Sie für Ihre formidablen Verstellungskünste. Doch davon sprechen Sie nicht. Ihnen geht's ums ganz (All)Gemeine. Mir scheint, Sie raten uns, bei jeder Trivialität zu lügen, bis sich die Balken biegen, auf, was Ihnen als Gläubiger an sich Angst einflößen sollte, auf Teufel komm raus.
Die Dummen sind nicht dumm, weil sie dumm sein wollen, sondern weil die Gesellschaft sie für dumm verkauft, gerade im Kapitalismus, der sich, auch auf Ihrer Ecke, hervorragend mit dem Christentum verstanden hat.
Die Unwahrheit zu sagen, geht nur, wenn wir uns allein so dem wahren Dasein annähern können oder wenn, was wir alle wissen und erlebt haben, wenn die Wahrheit unsere Liebsten komplett aus der Bahn werfen könnte.
Das Echte überdauert das Falsche, obwohl es, oft genug, nicht sofort den Anschein macht.
Wer andere für dumm verkauft, unterminiert sich selbst.
17. September
Von der Dummheit Gebrauch zu machen verstehn. Der größte Weise spielt bisweilen diese Karte aus, und es giebt Gelegenheiten, wo das beste Wissen darin besteht, daß man nicht zu wissen scheine. Man soll nicht unwissend seyn, wohl aber es zu seyn affektiren. Bei den Dummen weise und bei den Narren gescheut seyn, wird wenig helfen. Man rede also zu Jedem seine Sprache. Nicht der ist dumm, der Dummheit affektirt; sondern der, welcher an ihr leidet: die aufrichtige, nicht die falsche Dummheit ist die wirkliche; da die Geschicklichkeit es schon so weit getrieben hat. Das einzige Mittel, beliebt zu seyn, ist, daß man sich mit der Haut des einfältigsten der Thiere bekleide.
Gruselig, Freund, was Sie hier zum Besten geben - und in diesem Fall möchte ich, nein muss ich sagen: zum Schlechten. Sie schrecken vor keinem arglistigen Kniff zurück, um sich ohne Not Vorteile zu verschaffen. Und das ist mir wichtig: ohne Not. Gäbe es einen vernünftigen Grund, sich zu verstellen, in einem trojanischen Pferd zu nächtigen, beispielsweise: den Tyranninen- oder Tyrannensturz, der viele Leben rettete, wäre ich sogleich bei Ihnen, lobte Sie für Ihre formidablen Verstellungskünste. Doch davon sprechen Sie nicht. Ihnen geht's ums ganz (All)Gemeine. Mir scheint, Sie raten uns, bei jeder Trivialität zu lügen, bis sich die Balken biegen, auf, was Ihnen als Gläubiger an sich Angst einflößen sollte, auf Teufel komm raus.
Die Dummen sind nicht dumm, weil sie dumm sein wollen, sondern weil die Gesellschaft sie für dumm verkauft, gerade im Kapitalismus, der sich, auch auf Ihrer Ecke, hervorragend mit dem Christentum verstanden hat.
Die Unwahrheit zu sagen, geht nur, wenn wir uns allein so dem wahren Dasein annähern können oder wenn, was wir alle wissen und erlebt haben, wenn die Wahrheit unsere Liebsten komplett aus der Bahn werfen könnte.
Das Echte überdauert das Falsche, obwohl es, oft genug, nicht sofort den Anschein macht.
Wer andere für dumm verkauft, unterminiert sich selbst.
17. September
241.
Neckereien dulden, jedoch nicht ausüben. Jenes ist eine Art Höflichkeit; dieses kann in Verwickelungen bringen. Wer am Feiertage verdrießlich wird, hat viel Bestialisches und zeigt noch mehr. Die kühne Neckerei ist ergötzlich: sie ertragen zu können, beweist, daß man Kopf hat. Wer sich darüber gereitzt zeigt, giebt Anlaß, daß der Andre ebenfalls gereitzt werde. Das Beste ist also sich der Neckerei nicht anzunehmen, und das Sicherste, sie nicht einmal zu bemerken. Stets sind die ernstlichsten Händel aus Scherzen hervorgegangen. Es giebt daher nichts, was mehr Aufmerksamkeit und Geschicklichkeit erforderte: ehe man zu scherzen anfängt, sollte man schon wissen, bis zu welchem Punkte die Gemüthsart dessen, den es betrifft, es dulden wird.
Interessant, Freund, dass Sie vermuten, die ärgsten Streitereien entwüchsen aus Scherzen. Sicherlich stimmt es, dass Juxereien oftmals auf Unverständnis stoßen und Freundinnen und Freunde, im Extremfall, entzweien können. Deswegen jedoch keine Scherze mehr zu machen, ist eine absurde Totengräberidee. Folgten wir konsequent Ihren Bedenken, stürben die Neckereien aus. Mir scheint, ein anderer Weg sei der gangbarere. Warum verstehen wir Witze nicht einfach als Fenster, das entweder sachte geöffnet oder von einem Windstoß aufgerissen wird? Komik ändert die Perspektive, erlaubt uns und anderen Frechheiten, die der seriöse Disput ausschließt.
Am besten ist's, wenn wir über uns selbst Witze reißen. Nichts ist lächerlicher, als sich für unfehlbar zu halten.
Wer lacht, bleibt frei; selbst in Ketten.
Zensur tötet keine Witze, sondern macht sie schärfer und bitterer.
18. September
Neckereien dulden, jedoch nicht ausüben. Jenes ist eine Art Höflichkeit; dieses kann in Verwickelungen bringen. Wer am Feiertage verdrießlich wird, hat viel Bestialisches und zeigt noch mehr. Die kühne Neckerei ist ergötzlich: sie ertragen zu können, beweist, daß man Kopf hat. Wer sich darüber gereitzt zeigt, giebt Anlaß, daß der Andre ebenfalls gereitzt werde. Das Beste ist also sich der Neckerei nicht anzunehmen, und das Sicherste, sie nicht einmal zu bemerken. Stets sind die ernstlichsten Händel aus Scherzen hervorgegangen. Es giebt daher nichts, was mehr Aufmerksamkeit und Geschicklichkeit erforderte: ehe man zu scherzen anfängt, sollte man schon wissen, bis zu welchem Punkte die Gemüthsart dessen, den es betrifft, es dulden wird.
Interessant, Freund, dass Sie vermuten, die ärgsten Streitereien entwüchsen aus Scherzen. Sicherlich stimmt es, dass Juxereien oftmals auf Unverständnis stoßen und Freundinnen und Freunde, im Extremfall, entzweien können. Deswegen jedoch keine Scherze mehr zu machen, ist eine absurde Totengräberidee. Folgten wir konsequent Ihren Bedenken, stürben die Neckereien aus. Mir scheint, ein anderer Weg sei der gangbarere. Warum verstehen wir Witze nicht einfach als Fenster, das entweder sachte geöffnet oder von einem Windstoß aufgerissen wird? Komik ändert die Perspektive, erlaubt uns und anderen Frechheiten, die der seriöse Disput ausschließt.
Am besten ist's, wenn wir über uns selbst Witze reißen. Nichts ist lächerlicher, als sich für unfehlbar zu halten.
Wer lacht, bleibt frei; selbst in Ketten.
Zensur tötet keine Witze, sondern macht sie schärfer und bitterer.
18. September
242.
Den günstigen Erfolg weiter führen. Einige verwenden alle ihre Kraft auf den Anfang und vollenden nichts. Sie erfinden, aber führen nicht aus. Dies ist Wankelmuth des Geistes. Auch erlangen sie keinen Ruhm, weil sie nichts verfolgen, sondern Alles in's Stocken gerathen lassen. Allerdings entspringt dies bei Einigen aus Ungeduld, welche der Makel der Spanier ist, wie hingegen Geduld der Vorzug der Belgier. Diese werden mit den Dingen fertig; mit Jenen die Dinge. Bis die Schwierigkeit überwunden ist, verwenden sie allen Schweiß darauf, sind aber dann mit ihrem Siege zufrieden und verstehn nicht ihn zu Ende zu führen: sie beweisen, daß sie es könnten, aber nicht wollen: dies liegt denn aber doch am Unvermögen, oder am Leichtsinn. Ist das Unternehmen gut, warum wird es nicht vollendet? ist es schlecht, warum ward es angefangen? Der Kluge erlege sein Wild, und begnüge sich nicht es aufgejagt zu haben.
Sie, Freund, sind, wie viele von uns, ein Sammler des Suriums. Und wie etliche, die sich des konglomeratischen Anhäufens verschrieben haben, merken auch Sie nicht - oder es ist Ihnen einerlei -, ob die Dinge eine tiefere Berechtigung haben, damit sie im Kontext des einmal Aufgenommenen auf immerdar einen vernünftigen, angestammten Platz finden. Was steht, steht - obwohl das Schlechte, wohlgemerkt: auf beiden Beinen, mehr als bedenklich wackelt. Eigentlich nur deswegen nicht in die Knie geht, da die anderen, besseren Sachen es, zwangsweise, stützen. Dass das Bessere dank der Affiliation, gleich ziemlich eins mitbekommt, also in Sippenhaft genommen wird und selbst ins Schmierenkomödiantische abrutscht, ist den Zusammballerinnen und Raffern seit jeher einerlei. Mitgefangen, mitgehangen. Die Mengennummer mit "den Belgiern" und "den Spaniern" ist Humbug.
Jeder Mensch sei anders komisch, hat meine ehemalige Kamerafrau, Christine Champagne, immer gesagt - und dieser Satz, scheint mir, trifft die Sache weit besser als jeder nationalistische, kleingeistig-populistische Konjugationskram. Ja, ich hör Ihre Verteidigerinnen und Verteidiger rufen, ich sei engstirnig und verbiestert, ich erlaubte nicht, was mir missfiele, zensierte, ich übersähe den fabelhaften Zusammenhang, der doch wohl einiges an Schwachstellen aushielte. Ging's um meinen persönlichen Geschmack, nähm ich mir diese Kritik augenblicklich zu Herzen und meine Antwort fände hier ein Ende. Doch genau darum geht's eben gar nicht - und darum das ausgedehnte Insistieren. Ums Stereotypenhochlebenlassen, darum dreht sich die gefährliche, spaltende Chose, die Sie zum Stadtgespräch machen. Das Stereotypenhochlebenlassen ist Ihrer, Freund, Gedankenschärfe nicht würdig. Jedes Volksklischee endet, frisst es sich ein, als rassistisches, dummdreistes Phänotypenhochlebenlassen - das sich am Unterschied ergötzt, das die vermeintlich anderen, irgendwann, am liebsten aus dem gesellschaftlichen Haus werfen würde.
Xenophobe Brandstifterinnen und Brandstifter spielen mit derartigen Vorurteilen, gerade jetzt, um mich herum. Ein nationalistisches Zündeln, das sowohl den Frieden, den wir nach etlichen Kriegen, wenigstens in Europa, halbwegs haben, als auch den Kampf gegen den weltweiten Klimawandel und den weiterhin ausgeübten Kolonialismus gefährdet. Nationalisten sperren sich gegen die Vernunft, was immer sie behaupten. Wer ihnen auf den Leim geht, klebt im Rassismus fest. Und darum halt ich's mit Karl Popper, der gesagt hat, dass wir uns, im Namen der Toleranz, das Recht vorbehalten sollten, die Intoleranz nicht zu tolerieren.
Ein Satz noch zu Ihrem Vorstoß, dass wir aus einmal angeleierten Dingen Kapitalschlagen soll. Nein, müssen wir nicht. Viele Ideen hätten lieber im Giftschrank bleiben sollen, als uns und der Welt zu schaden. Dann, nicht zu unterschlagen, sei die Freude erwähnt, die etwa Künstlerinnen und Künstler fühlen, einen ausgegorenen Gedanken für sich zu behalten. Ich weiß, solch ein Stillschweigen mutet Ihnen seltsam an. MIr scheint, dass nicht alles kapitalistisch verwertet werden sollte. Ganz zu schweigen davon, dass eine ungeteilte Idee in uns zu anderen führen kann. Und wäre diese eine Idee dagegen bereits in der Welt, wüssten wir nicht, ob sie dazu, kontaminiert, noch in der Lage wäre.
Etwas zu lassen, sei, nicht zu selten, die bessere Hinterlassenschaft.
Verzicht teilt selten die Unruhe des Turbokapitalismus.
25. September
Den günstigen Erfolg weiter führen. Einige verwenden alle ihre Kraft auf den Anfang und vollenden nichts. Sie erfinden, aber führen nicht aus. Dies ist Wankelmuth des Geistes. Auch erlangen sie keinen Ruhm, weil sie nichts verfolgen, sondern Alles in's Stocken gerathen lassen. Allerdings entspringt dies bei Einigen aus Ungeduld, welche der Makel der Spanier ist, wie hingegen Geduld der Vorzug der Belgier. Diese werden mit den Dingen fertig; mit Jenen die Dinge. Bis die Schwierigkeit überwunden ist, verwenden sie allen Schweiß darauf, sind aber dann mit ihrem Siege zufrieden und verstehn nicht ihn zu Ende zu führen: sie beweisen, daß sie es könnten, aber nicht wollen: dies liegt denn aber doch am Unvermögen, oder am Leichtsinn. Ist das Unternehmen gut, warum wird es nicht vollendet? ist es schlecht, warum ward es angefangen? Der Kluge erlege sein Wild, und begnüge sich nicht es aufgejagt zu haben.
Sie, Freund, sind, wie viele von uns, ein Sammler des Suriums. Und wie etliche, die sich des konglomeratischen Anhäufens verschrieben haben, merken auch Sie nicht - oder es ist Ihnen einerlei -, ob die Dinge eine tiefere Berechtigung haben, damit sie im Kontext des einmal Aufgenommenen auf immerdar einen vernünftigen, angestammten Platz finden. Was steht, steht - obwohl das Schlechte, wohlgemerkt: auf beiden Beinen, mehr als bedenklich wackelt. Eigentlich nur deswegen nicht in die Knie geht, da die anderen, besseren Sachen es, zwangsweise, stützen. Dass das Bessere dank der Affiliation, gleich ziemlich eins mitbekommt, also in Sippenhaft genommen wird und selbst ins Schmierenkomödiantische abrutscht, ist den Zusammballerinnen und Raffern seit jeher einerlei. Mitgefangen, mitgehangen. Die Mengennummer mit "den Belgiern" und "den Spaniern" ist Humbug.
Jeder Mensch sei anders komisch, hat meine ehemalige Kamerafrau, Christine Champagne, immer gesagt - und dieser Satz, scheint mir, trifft die Sache weit besser als jeder nationalistische, kleingeistig-populistische Konjugationskram. Ja, ich hör Ihre Verteidigerinnen und Verteidiger rufen, ich sei engstirnig und verbiestert, ich erlaubte nicht, was mir missfiele, zensierte, ich übersähe den fabelhaften Zusammenhang, der doch wohl einiges an Schwachstellen aushielte. Ging's um meinen persönlichen Geschmack, nähm ich mir diese Kritik augenblicklich zu Herzen und meine Antwort fände hier ein Ende. Doch genau darum geht's eben gar nicht - und darum das ausgedehnte Insistieren. Ums Stereotypenhochlebenlassen, darum dreht sich die gefährliche, spaltende Chose, die Sie zum Stadtgespräch machen. Das Stereotypenhochlebenlassen ist Ihrer, Freund, Gedankenschärfe nicht würdig. Jedes Volksklischee endet, frisst es sich ein, als rassistisches, dummdreistes Phänotypenhochlebenlassen - das sich am Unterschied ergötzt, das die vermeintlich anderen, irgendwann, am liebsten aus dem gesellschaftlichen Haus werfen würde.
Xenophobe Brandstifterinnen und Brandstifter spielen mit derartigen Vorurteilen, gerade jetzt, um mich herum. Ein nationalistisches Zündeln, das sowohl den Frieden, den wir nach etlichen Kriegen, wenigstens in Europa, halbwegs haben, als auch den Kampf gegen den weltweiten Klimawandel und den weiterhin ausgeübten Kolonialismus gefährdet. Nationalisten sperren sich gegen die Vernunft, was immer sie behaupten. Wer ihnen auf den Leim geht, klebt im Rassismus fest. Und darum halt ich's mit Karl Popper, der gesagt hat, dass wir uns, im Namen der Toleranz, das Recht vorbehalten sollten, die Intoleranz nicht zu tolerieren.
Ein Satz noch zu Ihrem Vorstoß, dass wir aus einmal angeleierten Dingen Kapitalschlagen soll. Nein, müssen wir nicht. Viele Ideen hätten lieber im Giftschrank bleiben sollen, als uns und der Welt zu schaden. Dann, nicht zu unterschlagen, sei die Freude erwähnt, die etwa Künstlerinnen und Künstler fühlen, einen ausgegorenen Gedanken für sich zu behalten. Ich weiß, solch ein Stillschweigen mutet Ihnen seltsam an. MIr scheint, dass nicht alles kapitalistisch verwertet werden sollte. Ganz zu schweigen davon, dass eine ungeteilte Idee in uns zu anderen führen kann. Und wäre diese eine Idee dagegen bereits in der Welt, wüssten wir nicht, ob sie dazu, kontaminiert, noch in der Lage wäre.
Etwas zu lassen, sei, nicht zu selten, die bessere Hinterlassenschaft.
Verzicht teilt selten die Unruhe des Turbokapitalismus.
25. September
243.
Nicht gänzlich eine Taubennatur haben; sondern schlau wie die Schlange und ohne Falsch wie die Taube seyn. Nichts ist leichter, als einen redlichen Mann zu hintergehn. Viel glaubt, wer nie lügt, und viel traut, wer nie täuscht. Es entspringt nicht allemal aus Dummheit, daß man betrogen wird; sondern bisweilen aus Güte. Zwei Arten von Leuten wissen sich gut vor Schaden zu hüten: die Erfahrnen, gar sehr auf ihre Kosten; und die Verschmitzten, gar sehr auf fremde. Die Klugheit gehe eben so weit im Argwohn, als die Verschmitztheit im Fallestellen, und Keiner wolle in dem Maaße redlich seyn, daß er den Andern Gelegenheit gebe, unredlich zu seyn. Man vereinige in sich die Taube und die Schlange, nicht als ein Ungeheuer, sondern vielmehr als ein Wunder.
Ihr amoralisches Durchwurschteln, Freund, feiert hier ein hohes Fest. Sie raten uns, und ich benutze eine standhafte Abkürzung, um mich nicht im Dickicht ihrer unschicklichen Gewieftheit zu verlieren, um nicht, Sie sind ein arger Verführer, mit allen schmutzigen Wassern gewaschen, um nicht Ihrer lockenden Aussicht auf Vorteilsnahme zu verfallen, Sie raten uns, nicht mal durch die Blume raten Sie's, unlauter zu sein, um nicht den Unwahrhaftigen auf den Leim zu gehen. Aber was passiert mit uns, sobald wir das Herz nicht länger am rechten Platz haben? Denken Sie etwa, dass wir uns nicht verändern? Unser Kern intakt bleibt? Und, was mich besonders interessiert, glauben Sie, dass wir dank unserer Unredlichkeit etwa nicht andere Anständige zum Straucheln bringen? Das Böse - eine Überlegung, die ich kaum notieren möchte, obwohl sie wohl der Wahrheit entspricht -, das Böse lässt sich leichter abkupfern als das Gute, lohnt der leichtsinnigen Adoption, da seine Früchte, auf den ersten Blick, tiefer hängen als die des schwergängigeren Anstands, der wissen will, was war, was ist und was kommt, der sich nicht als Springinsfeld versteht und Sorgfalt walten lässt.
Im Bösen erreichen wir behände, gar sekundenschnell eine Vollkommenheit, die bei der Güte viele Jahre braucht.
Ehrlichkeit kennt wenige Freundinnen und Freunde, die aber fürs ganze Leben bleiben.
Unredlichkeit macht vor nichts halt, schon gar nicht vor der Liebe.
29. September
Nicht gänzlich eine Taubennatur haben; sondern schlau wie die Schlange und ohne Falsch wie die Taube seyn. Nichts ist leichter, als einen redlichen Mann zu hintergehn. Viel glaubt, wer nie lügt, und viel traut, wer nie täuscht. Es entspringt nicht allemal aus Dummheit, daß man betrogen wird; sondern bisweilen aus Güte. Zwei Arten von Leuten wissen sich gut vor Schaden zu hüten: die Erfahrnen, gar sehr auf ihre Kosten; und die Verschmitzten, gar sehr auf fremde. Die Klugheit gehe eben so weit im Argwohn, als die Verschmitztheit im Fallestellen, und Keiner wolle in dem Maaße redlich seyn, daß er den Andern Gelegenheit gebe, unredlich zu seyn. Man vereinige in sich die Taube und die Schlange, nicht als ein Ungeheuer, sondern vielmehr als ein Wunder.
Ihr amoralisches Durchwurschteln, Freund, feiert hier ein hohes Fest. Sie raten uns, und ich benutze eine standhafte Abkürzung, um mich nicht im Dickicht ihrer unschicklichen Gewieftheit zu verlieren, um nicht, Sie sind ein arger Verführer, mit allen schmutzigen Wassern gewaschen, um nicht Ihrer lockenden Aussicht auf Vorteilsnahme zu verfallen, Sie raten uns, nicht mal durch die Blume raten Sie's, unlauter zu sein, um nicht den Unwahrhaftigen auf den Leim zu gehen. Aber was passiert mit uns, sobald wir das Herz nicht länger am rechten Platz haben? Denken Sie etwa, dass wir uns nicht verändern? Unser Kern intakt bleibt? Und, was mich besonders interessiert, glauben Sie, dass wir dank unserer Unredlichkeit etwa nicht andere Anständige zum Straucheln bringen? Das Böse - eine Überlegung, die ich kaum notieren möchte, obwohl sie wohl der Wahrheit entspricht -, das Böse lässt sich leichter abkupfern als das Gute, lohnt der leichtsinnigen Adoption, da seine Früchte, auf den ersten Blick, tiefer hängen als die des schwergängigeren Anstands, der wissen will, was war, was ist und was kommt, der sich nicht als Springinsfeld versteht und Sorgfalt walten lässt.
Im Bösen erreichen wir behände, gar sekundenschnell eine Vollkommenheit, die bei der Güte viele Jahre braucht.
Ehrlichkeit kennt wenige Freundinnen und Freunde, die aber fürs ganze Leben bleiben.
Unredlichkeit macht vor nichts halt, schon gar nicht vor der Liebe.
29. September
244.
Zu verpflichten verstehn. Manche verwandeln ihre eigene Verpflichtung in die des Andern, und wissen der Sache den Schein, oder doch zu verstehn zu geben, daß sie eine Gunst erzeigen, während sie eine empfangen. Aus ihrem eigenen Vortheil machen sie eine Ehre für den Andern, und lenken die Sachen so geschickt, daß es aussieht als leisteten sie dem Andern einen Dienst, indem sie sich von ihm beschenken lassen. Mit dieser sonderbaren Schlauheit versetzen sie die Ordnung der Verbindlichkeiten, oder machen es wenigstens zweifelhaft, wer dem Andern eine Gunst erzeigt. Das Schönste und Beste kaufen sie für bloße Lobeserhebungen, und aus dem Wohlgefallen, welches sie an einer Sache äußern, machen sie eine schmeichelhafte Ehre. So legen sie der Höflichkeit Verpflichtungen auf und machen eine Schuldigkeit aus dem, wofür sie sehr dankbar seyn sollten. Dergestalt verwandeln sie das Passive der Verbindlichkeit in das Aktive, worin sie bessere Politiker als Grammatiker sind. Das ist eine große Feinheit; allein eine größere wäre, das Ding zu verstehn und solchen Narrenhandel wieder rückgängig zu machen, indem man ihnen ihre erzeigte Ehre wieder zustellt und dafür seinerseits auch wieder zu dem Seinigen gelangte.
Ein feiner, genauer Abschnitt, Freund, dem zuzustimmen eine wahre Freude ist; bis auf den ersten Halbsatz, der nicht recht zum Rest passt.
Was mir noch einfällt, sobald ich an Verpflichtungen als sozialer Klebestoff denke, ist die grundlegende Frage, ob die Idee der Pflicht nicht Makulatur sein könnte? Und zwar ganz und gar. Weg damit! Warum - nur mal so gesagt, quasi ins Blaue - könnte nicht alles von nun an einfach Kür sein? Und wenn jemand als Kür die Pflicht wählte, weil das ihrem oder seinem Wesen entspräche, sei's eben so. Aber uns, den anderen, die bereits beim Wort "Pflicht" an Sachen denken, die uns nicht schmecken, die wir als Kinder und, häufig genug, als Erwachsene dennoch essen müssen, uns aber bliebe die Freiheit, das anzugehen, was uns läge oder uns liegen könnte. Wohlgemerkt: damit rede ich nicht den Hedonismus schön. Die Kür, die mir vorschwebt, sei eine demokratische.
Wer keine Freiheit kennt, kennt sich nicht selbst.
Zwang enstammt einer falschen Angst, die den Sadismus duzt.
30. September
Zu verpflichten verstehn. Manche verwandeln ihre eigene Verpflichtung in die des Andern, und wissen der Sache den Schein, oder doch zu verstehn zu geben, daß sie eine Gunst erzeigen, während sie eine empfangen. Aus ihrem eigenen Vortheil machen sie eine Ehre für den Andern, und lenken die Sachen so geschickt, daß es aussieht als leisteten sie dem Andern einen Dienst, indem sie sich von ihm beschenken lassen. Mit dieser sonderbaren Schlauheit versetzen sie die Ordnung der Verbindlichkeiten, oder machen es wenigstens zweifelhaft, wer dem Andern eine Gunst erzeigt. Das Schönste und Beste kaufen sie für bloße Lobeserhebungen, und aus dem Wohlgefallen, welches sie an einer Sache äußern, machen sie eine schmeichelhafte Ehre. So legen sie der Höflichkeit Verpflichtungen auf und machen eine Schuldigkeit aus dem, wofür sie sehr dankbar seyn sollten. Dergestalt verwandeln sie das Passive der Verbindlichkeit in das Aktive, worin sie bessere Politiker als Grammatiker sind. Das ist eine große Feinheit; allein eine größere wäre, das Ding zu verstehn und solchen Narrenhandel wieder rückgängig zu machen, indem man ihnen ihre erzeigte Ehre wieder zustellt und dafür seinerseits auch wieder zu dem Seinigen gelangte.
Ein feiner, genauer Abschnitt, Freund, dem zuzustimmen eine wahre Freude ist; bis auf den ersten Halbsatz, der nicht recht zum Rest passt.
Was mir noch einfällt, sobald ich an Verpflichtungen als sozialer Klebestoff denke, ist die grundlegende Frage, ob die Idee der Pflicht nicht Makulatur sein könnte? Und zwar ganz und gar. Weg damit! Warum - nur mal so gesagt, quasi ins Blaue - könnte nicht alles von nun an einfach Kür sein? Und wenn jemand als Kür die Pflicht wählte, weil das ihrem oder seinem Wesen entspräche, sei's eben so. Aber uns, den anderen, die bereits beim Wort "Pflicht" an Sachen denken, die uns nicht schmecken, die wir als Kinder und, häufig genug, als Erwachsene dennoch essen müssen, uns aber bliebe die Freiheit, das anzugehen, was uns läge oder uns liegen könnte. Wohlgemerkt: damit rede ich nicht den Hedonismus schön. Die Kür, die mir vorschwebt, sei eine demokratische.
Wer keine Freiheit kennt, kennt sich nicht selbst.
Zwang enstammt einer falschen Angst, die den Sadismus duzt.
30. September
245.
Originelle und vom Gewöhnlichen abweichende Gedanken äußern, ist ein Zeichen eines überlegenen Geistes. Wir dürfen den nicht schätzen, der uns nie widerspricht: denn dadurch zeigt er keine Liebe zu uns, vielmehr zu sich. Man lasse sich nicht durch Schmeichelei täuschen und zahle für dieselbe; sondern man verwerfe sie. Auch rechne man es sich zur Ehre von Einigen getadelt zu werden, zumal von solchen, die von allen Trefflichen schlecht reden. Hingegen soll es uns betrüben, wenn unsere Sachen Allen gefallen; weil es ein Zeichen ist, daß sie nicht taugen: denn das Vortreffliche ist für Wenige.
Es ist seltsam, Freund, dass Selbsthudelei, auch wenn sie die Wahrheit auf den Punkt bringt, irgendwie schmierig wirkt und einen unangenehmen Geruch verbreitet; und seien Sie nicht besorgt, ich weiß deswegen, wovon ich rede, da ich mich selbst der Beweihräucherung schuldig mache. Trotz aller Selbsterkenntnis, trotz aller guten Vorsätze rutscht regelmäßig kaum verbrämtes Eigenlob aus mir heraus. Ich halte meine Gedanken für toll und bin entsetzt, wenn ich der einzige bin, der das, ad hoc, so sieht. Aber, ein großes ABER, aber immerhin merke ich dann doch, dass Kritik vonnöten ist, dass sich Handeln und Wandeln, Text und Argument verbessern lassen, wenn wir uns dem Urteil stellen und mit anderen an der Erkenntnis feilen.
Dass das Vortreffliche für wenige Auserwählte sei, ist elitärer Humbug. Wem das Außerordentliche vorgesetzt wird, wer dem Vorzüglichen begegnet, versteht, in aller Regel, was für eine Chance sich bietet.
Andere für dumm zu verkaufen, beweist nur die eigene Beschränktheit und zeugt von einer Tyranneilust, die sich nicht gehört.
Vom Guten kann's nicht genug geben; es, aus Standesdünkel, der auch ein intellektueller sein kann, bewusst zur Rarität zu machen, ist eine Untat, die, hoffentlich, zum Aufstand derjenigen führt, die ohne Not ausgeschlossen werden.
1. Oktober
Originelle und vom Gewöhnlichen abweichende Gedanken äußern, ist ein Zeichen eines überlegenen Geistes. Wir dürfen den nicht schätzen, der uns nie widerspricht: denn dadurch zeigt er keine Liebe zu uns, vielmehr zu sich. Man lasse sich nicht durch Schmeichelei täuschen und zahle für dieselbe; sondern man verwerfe sie. Auch rechne man es sich zur Ehre von Einigen getadelt zu werden, zumal von solchen, die von allen Trefflichen schlecht reden. Hingegen soll es uns betrüben, wenn unsere Sachen Allen gefallen; weil es ein Zeichen ist, daß sie nicht taugen: denn das Vortreffliche ist für Wenige.
Es ist seltsam, Freund, dass Selbsthudelei, auch wenn sie die Wahrheit auf den Punkt bringt, irgendwie schmierig wirkt und einen unangenehmen Geruch verbreitet; und seien Sie nicht besorgt, ich weiß deswegen, wovon ich rede, da ich mich selbst der Beweihräucherung schuldig mache. Trotz aller Selbsterkenntnis, trotz aller guten Vorsätze rutscht regelmäßig kaum verbrämtes Eigenlob aus mir heraus. Ich halte meine Gedanken für toll und bin entsetzt, wenn ich der einzige bin, der das, ad hoc, so sieht. Aber, ein großes ABER, aber immerhin merke ich dann doch, dass Kritik vonnöten ist, dass sich Handeln und Wandeln, Text und Argument verbessern lassen, wenn wir uns dem Urteil stellen und mit anderen an der Erkenntnis feilen.
Dass das Vortreffliche für wenige Auserwählte sei, ist elitärer Humbug. Wem das Außerordentliche vorgesetzt wird, wer dem Vorzüglichen begegnet, versteht, in aller Regel, was für eine Chance sich bietet.
Andere für dumm zu verkaufen, beweist nur die eigene Beschränktheit und zeugt von einer Tyranneilust, die sich nicht gehört.
Vom Guten kann's nicht genug geben; es, aus Standesdünkel, der auch ein intellektueller sein kann, bewusst zur Rarität zu machen, ist eine Untat, die, hoffentlich, zum Aufstand derjenigen führt, die ohne Not ausgeschlossen werden.
1. Oktober
246.
Nie dem Rechenschaft geben, der sie nicht gefordert hat, und selbst wenn sie gefordert wird, ist es eine Art Vergehn, darin mehr als nöthig zu thun. Sich ehe Anlaß da ist entschuldigen, heißt sich anklagen; und sich bei voller Gesundheit zu Ader lassen, heißt dem Uebel, oder der Bosheit, zuwinken. Die von selbst gemachte Entschuldigung weckt das schlafende Mißtrauen. Auch soll der Kluge einen fremden Verdacht nicht zu merken scheinen: denn das hieße die Beleidigung aufsuchen; sondern er soll denselben alsdann durch die Rechtlichkeit seines Thuns widerlegen.
Es stimmt schon, Freund, sich grundlos zu entschuldigen, wirkt wie ein nicht eingefordertes Schuldgeständnis oder, auch nicht besser, wie eine bücklingshafte Charakterschwäche. Anders sieht's mit der berechtigten Rechenschaft aus, die Sie begrenzen wollen. Ihnen ist und bleibt die Salamitaktik hold: erst Stück für Stück mit der Wahrheit herausrücken, wenn man uns unter Druck setzt. Vorsichtig gesagt: das ist kein feiner Zug. Weder im privaten noch im öffentlichen Raum. Sind Ihnen die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte auf den Fersen, da Sie sich einer Straftat schuldig gemacht haben, ist's eine Frage der Fairness, ein Geständnis abzulegen. Sie binden demokratische Kapazitäten, wenn Sie Ihre Untaten verschleiern wollen. Das kostet die Gesellschaft nicht nur Geld, sondern verhindert auch, dass andere Unregelmäßigkeiten verfolgt werden können. Sie werden also zum Mittäter der Straftaten, die von denjenigen begangen werden, die aufgrund Ihrer Verzögerungsstrategie nicht im Knast landen.
Zivilisation heißt, dass der Mensch mit anderen Menschen zusammen ist. Wer glaubt, für sich bleiben zu können, also eine Art von Privatrecht für sich in Anspruch nimmt, ist unzivilisiert.
Bereute Fehler machen frei, unbereute haften an uns.
Sich schuldig zu bekennen und sowohl auf ein gerechtes Urteil als auch Vergebung zu setzen, sei ein demokratisches Privileg.
2. Oktober
Nie dem Rechenschaft geben, der sie nicht gefordert hat, und selbst wenn sie gefordert wird, ist es eine Art Vergehn, darin mehr als nöthig zu thun. Sich ehe Anlaß da ist entschuldigen, heißt sich anklagen; und sich bei voller Gesundheit zu Ader lassen, heißt dem Uebel, oder der Bosheit, zuwinken. Die von selbst gemachte Entschuldigung weckt das schlafende Mißtrauen. Auch soll der Kluge einen fremden Verdacht nicht zu merken scheinen: denn das hieße die Beleidigung aufsuchen; sondern er soll denselben alsdann durch die Rechtlichkeit seines Thuns widerlegen.
Es stimmt schon, Freund, sich grundlos zu entschuldigen, wirkt wie ein nicht eingefordertes Schuldgeständnis oder, auch nicht besser, wie eine bücklingshafte Charakterschwäche. Anders sieht's mit der berechtigten Rechenschaft aus, die Sie begrenzen wollen. Ihnen ist und bleibt die Salamitaktik hold: erst Stück für Stück mit der Wahrheit herausrücken, wenn man uns unter Druck setzt. Vorsichtig gesagt: das ist kein feiner Zug. Weder im privaten noch im öffentlichen Raum. Sind Ihnen die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte auf den Fersen, da Sie sich einer Straftat schuldig gemacht haben, ist's eine Frage der Fairness, ein Geständnis abzulegen. Sie binden demokratische Kapazitäten, wenn Sie Ihre Untaten verschleiern wollen. Das kostet die Gesellschaft nicht nur Geld, sondern verhindert auch, dass andere Unregelmäßigkeiten verfolgt werden können. Sie werden also zum Mittäter der Straftaten, die von denjenigen begangen werden, die aufgrund Ihrer Verzögerungsstrategie nicht im Knast landen.
Zivilisation heißt, dass der Mensch mit anderen Menschen zusammen ist. Wer glaubt, für sich bleiben zu können, also eine Art von Privatrecht für sich in Anspruch nimmt, ist unzivilisiert.
Bereute Fehler machen frei, unbereute haften an uns.
Sich schuldig zu bekennen und sowohl auf ein gerechtes Urteil als auch Vergebung zu setzen, sei ein demokratisches Privileg.
2. Oktober
247.
Etwas mehr wissen und etwas weniger leben. Andere sagen es umgekehrt. Gute Muße ist besser als Geschäfte. Nichts gehört unser, als nur die Zeit, in welcher selbst der lebt, der keine Wohnung hat. Es ist gleich unglücklich, das kostbare Leben mit mechanischen Arbeiten, oder mit einem Uebermaaß erhabener Beschäftigungen hinzubringen. Man überhäufe sich nicht mit Geschäften und mit Neid; sonst stürzt man sein Leben hinunter und erstickt den Geist. Einige wollen dies auch auf das Wissen ausdehnen: aber wer nichts weiß, der lebt auch nicht.
Hier kratzen Sie, Freund, an allen Seiten der Sache und stoßen, überraschenderweise, auf mehrere Kerne, die sowohl falsch als auch richtig - nein: nicht sind, aber ausgelegt werden können. Was mich bewegt, sehr sogar, so sehr, dass es mich regelrecht ergreift, als wankte ich, auf offenem Deck, über ein Schiff im brüllenden Orkan, der Welle um Welle gegen die dünne Haut des Bootes schleuderte, was mich seit Jahren tatsächlich schlecht schlafen lässt, ist die Frage, ob ich mehr lesend denken und schreibend schaffen oder mehr handelnd wagen und machend wandern soll. Und ich habe keine Antwort. Weil es, natürlich, keine Antwort für mich gibt. Liebend gerne wär ich ein Lebewüterich, der sich großmütig ins Atmen stützte, ohne an die Kapazität der Lungen auch nur den kleinsten Gedanken zu verschwenden. Dann verzehre ich mich wiederum, gerade mal eine magere Sekunde später, nach dem Ein- und gleichzeitig Vielsiedelglück, um, umgeben von Büchern und Freundinnen und Freunden, nichts als dem Verstand und der Kunst zu frönen und, irgendwann, selig im Wortbett zu sterben.
Wer alles will, will, mit Glück, irgendwann nichts, was, in Wahrheit, alles ist.
Wer nichts will, hat alles - oder nichts, was, in diesem Falle, keinen Unterschied ausmacht.
Nur zu handeln, geht ohne Gedanken schief.
Nur zu denken, paralysiert.
4. Oktober
Etwas mehr wissen und etwas weniger leben. Andere sagen es umgekehrt. Gute Muße ist besser als Geschäfte. Nichts gehört unser, als nur die Zeit, in welcher selbst der lebt, der keine Wohnung hat. Es ist gleich unglücklich, das kostbare Leben mit mechanischen Arbeiten, oder mit einem Uebermaaß erhabener Beschäftigungen hinzubringen. Man überhäufe sich nicht mit Geschäften und mit Neid; sonst stürzt man sein Leben hinunter und erstickt den Geist. Einige wollen dies auch auf das Wissen ausdehnen: aber wer nichts weiß, der lebt auch nicht.
Hier kratzen Sie, Freund, an allen Seiten der Sache und stoßen, überraschenderweise, auf mehrere Kerne, die sowohl falsch als auch richtig - nein: nicht sind, aber ausgelegt werden können. Was mich bewegt, sehr sogar, so sehr, dass es mich regelrecht ergreift, als wankte ich, auf offenem Deck, über ein Schiff im brüllenden Orkan, der Welle um Welle gegen die dünne Haut des Bootes schleuderte, was mich seit Jahren tatsächlich schlecht schlafen lässt, ist die Frage, ob ich mehr lesend denken und schreibend schaffen oder mehr handelnd wagen und machend wandern soll. Und ich habe keine Antwort. Weil es, natürlich, keine Antwort für mich gibt. Liebend gerne wär ich ein Lebewüterich, der sich großmütig ins Atmen stützte, ohne an die Kapazität der Lungen auch nur den kleinsten Gedanken zu verschwenden. Dann verzehre ich mich wiederum, gerade mal eine magere Sekunde später, nach dem Ein- und gleichzeitig Vielsiedelglück, um, umgeben von Büchern und Freundinnen und Freunden, nichts als dem Verstand und der Kunst zu frönen und, irgendwann, selig im Wortbett zu sterben.
Wer alles will, will, mit Glück, irgendwann nichts, was, in Wahrheit, alles ist.
Wer nichts will, hat alles - oder nichts, was, in diesem Falle, keinen Unterschied ausmacht.
Nur zu handeln, geht ohne Gedanken schief.
Nur zu denken, paralysiert.
4. Oktober
248.
Der Letzte behalte bei uns nicht allemal Recht. Es giebt Leute des letzten Berichts, deren Ungebührlichkeit aufs Aeußerste geht. Ihr Denken und Wollen ist von Wachs: der Letzte drückt sein Siegel auf und verwischt die früheren. Diese sind nie gewonnen, weil man sie eben so leicht wieder verliert. Jeder färbt sie mit seiner Farbe. Zu Vertrauten taugen sie nicht, und ihr ganzes Leben bleiben sie Kinder. Zwischen diesem Wechsel des Meinens und Wollens hin und her geworfen, hinken sie stets am Willen und am Verstande, und wanken von der einen zur andern Seite.
Dies zu lesen, Freund, lässt mich an etlichen Ihrer vorherigen, bücklingshaften Eintragungen zweifeln. Sie zeigen Ver- und Widerstand, was mir, Sie denken sich's, ausgesprochen imponiert. In Demokratien ist die oder der Letzte nicht allein. Denke ich an die wunderbaren Höchsten Gerichte, das Bundesverfassungsgericht ist, momentan, ein solches, die wir in offenen und kritikfähigen Gesellschaften anrufen können und dürfen, um, tatsächlich, letzte legale Fragen klären zu lassen, denke ich an dieses Privileg, wird mir fast schwindlig vor Glück. Diese Chance besaßen Sie nicht, die Gerichtsbarkeit Ihrer Zeit war royalistisch oder gottgeschenkt - zwei höchst ungerechte Zustände, die sich, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen an vernünftige Gesetze halten.
Entscheidet die Willkür, bleiben nur Kampf oder Flucht.
Wer die Dummheit und Korruption der herrschenden Klasse hinnimmt, wird selbst irgendwann blöde und hält Gelb für Rot, heiß für kalt.
Sitzt die Beliebigkeit am Schalthebel der Macht, herrschen Hass und Abscheu, lakonische Launen und illegale Lust.
7. Oktober
Der Letzte behalte bei uns nicht allemal Recht. Es giebt Leute des letzten Berichts, deren Ungebührlichkeit aufs Aeußerste geht. Ihr Denken und Wollen ist von Wachs: der Letzte drückt sein Siegel auf und verwischt die früheren. Diese sind nie gewonnen, weil man sie eben so leicht wieder verliert. Jeder färbt sie mit seiner Farbe. Zu Vertrauten taugen sie nicht, und ihr ganzes Leben bleiben sie Kinder. Zwischen diesem Wechsel des Meinens und Wollens hin und her geworfen, hinken sie stets am Willen und am Verstande, und wanken von der einen zur andern Seite.
Dies zu lesen, Freund, lässt mich an etlichen Ihrer vorherigen, bücklingshaften Eintragungen zweifeln. Sie zeigen Ver- und Widerstand, was mir, Sie denken sich's, ausgesprochen imponiert. In Demokratien ist die oder der Letzte nicht allein. Denke ich an die wunderbaren Höchsten Gerichte, das Bundesverfassungsgericht ist, momentan, ein solches, die wir in offenen und kritikfähigen Gesellschaften anrufen können und dürfen, um, tatsächlich, letzte legale Fragen klären zu lassen, denke ich an dieses Privileg, wird mir fast schwindlig vor Glück. Diese Chance besaßen Sie nicht, die Gerichtsbarkeit Ihrer Zeit war royalistisch oder gottgeschenkt - zwei höchst ungerechte Zustände, die sich, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen an vernünftige Gesetze halten.
Entscheidet die Willkür, bleiben nur Kampf oder Flucht.
Wer die Dummheit und Korruption der herrschenden Klasse hinnimmt, wird selbst irgendwann blöde und hält Gelb für Rot, heiß für kalt.
Sitzt die Beliebigkeit am Schalthebel der Macht, herrschen Hass und Abscheu, lakonische Launen und illegale Lust.
7. Oktober
249.
Nicht sein Leben mit dem anfangen, womit man es zu beschließen hätte. Manche nehmen die Erholung am Anfang, und lassen die Mühe für das Ende zurück: allein erst komme das Wesentliche, nachher, wenn Raum ist, die Nebendinge. Andre wollen triumphiren, ehe sie gekämpft haben. Wieder Andre fangen damit an, das zu lernen, woran wenig gelegen ist, und schieben die Studien, von welchen sie Ehre und Nutzen hoffen, für das Ende ihres Lebens auf. Jener hat noch nicht einmal angefangen sein Glück zu machen, und schon schwindelt ihm vor Dünkel der Kopf. Methode ist unerläßlich zum wissen und zum leben.
Ihre Weisheit, Freund, was wohl auch am Wesen der Weisheit liegen mag, jedenfalls am aphoristischen, das sich wenig Raum erlaubt, das zuspitzt, in die Lücke dringt, bis wir, ab und an, nicht mal mehr wissen, wo die Kavität eigentlich war war, bis wir, beinahe, Frage samt Rätselraten vergessen haben, staunend vom Weg abkommen und uns im Wunde(r)land wiederfinden, Ihre Weisheit, Freund, besitzt eine abstrakte Qualität, die sie einerseits auszeichnet, da wir in ihr lesen können, was uns gerade in den Sinn kommt, andererseits ist sie so spezifisch, dass wir - jedenfalls geht mir das so - das Gefühl haben, Sie meinten nur diese eine Sache.
Sie merken: an diesem Morgen herrscht in meinem Hirn ein Kuddelmuddel, I am all over the place, und am liebsten würde ich mit Ihnen über einen seltsamen Abend sprechen, der sich gestern ereignet hat. Wir, Freund, hatten einen Gast, der mich partout nicht angesehen hat, sondern nur mit meiner Partnerin gesprochen hat. Ich habe zwar die Contenance gewahrt, mich allerdings schon gefragt, warum ich nicht einfach aufgestanden bin und den Raum verlassen habe. Was, denken Sie, gebietet die Höflichkeit als Gastgeber? Was ist uns erlaubt? Was verboten? Wahrscheinlich, schätze ich, hätte unser Gast sehr spät gemerkt, dass ich das Mahl verlassen hätte, und ich hätte mich, nebenan, vergnügt der Lektüre widmen oder ein Nickerchen, vorm Abwasch, genießen können. So aber, schließlich bin ich sitzengeblieben, bleibt ein schaler Geschmack in meinem Hals.
Die Achtung vor uns selbst ist ein höheres Gut als die Missachtung der anderen, sollten sich die anderen verächtlich uns gegenüber zeigen.
Toleranz sieht sich in den eigenen vier Wänden anderen Fragen ausgesetzt als im öffentlichten Raum.
Das eigene Wohlbefinden hat sich, bei Bedarf, dem Wohlsein des Gastes unterzuordnen.
Ignoranz sei kein Grund, unhöflich zu werden. Im Kopf des anderen stecken wir nicht. Güte steckt Verwundungen weg, die Zorn zum Gegenschlag reizten.
Sind wir nicht willkommen, beginnt ein Experiment, dessen Ausgang offen ist.
8. Oktober
Nicht sein Leben mit dem anfangen, womit man es zu beschließen hätte. Manche nehmen die Erholung am Anfang, und lassen die Mühe für das Ende zurück: allein erst komme das Wesentliche, nachher, wenn Raum ist, die Nebendinge. Andre wollen triumphiren, ehe sie gekämpft haben. Wieder Andre fangen damit an, das zu lernen, woran wenig gelegen ist, und schieben die Studien, von welchen sie Ehre und Nutzen hoffen, für das Ende ihres Lebens auf. Jener hat noch nicht einmal angefangen sein Glück zu machen, und schon schwindelt ihm vor Dünkel der Kopf. Methode ist unerläßlich zum wissen und zum leben.
Ihre Weisheit, Freund, was wohl auch am Wesen der Weisheit liegen mag, jedenfalls am aphoristischen, das sich wenig Raum erlaubt, das zuspitzt, in die Lücke dringt, bis wir, ab und an, nicht mal mehr wissen, wo die Kavität eigentlich war war, bis wir, beinahe, Frage samt Rätselraten vergessen haben, staunend vom Weg abkommen und uns im Wunde(r)land wiederfinden, Ihre Weisheit, Freund, besitzt eine abstrakte Qualität, die sie einerseits auszeichnet, da wir in ihr lesen können, was uns gerade in den Sinn kommt, andererseits ist sie so spezifisch, dass wir - jedenfalls geht mir das so - das Gefühl haben, Sie meinten nur diese eine Sache.
Sie merken: an diesem Morgen herrscht in meinem Hirn ein Kuddelmuddel, I am all over the place, und am liebsten würde ich mit Ihnen über einen seltsamen Abend sprechen, der sich gestern ereignet hat. Wir, Freund, hatten einen Gast, der mich partout nicht angesehen hat, sondern nur mit meiner Partnerin gesprochen hat. Ich habe zwar die Contenance gewahrt, mich allerdings schon gefragt, warum ich nicht einfach aufgestanden bin und den Raum verlassen habe. Was, denken Sie, gebietet die Höflichkeit als Gastgeber? Was ist uns erlaubt? Was verboten? Wahrscheinlich, schätze ich, hätte unser Gast sehr spät gemerkt, dass ich das Mahl verlassen hätte, und ich hätte mich, nebenan, vergnügt der Lektüre widmen oder ein Nickerchen, vorm Abwasch, genießen können. So aber, schließlich bin ich sitzengeblieben, bleibt ein schaler Geschmack in meinem Hals.
Die Achtung vor uns selbst ist ein höheres Gut als die Missachtung der anderen, sollten sich die anderen verächtlich uns gegenüber zeigen.
Toleranz sieht sich in den eigenen vier Wänden anderen Fragen ausgesetzt als im öffentlichten Raum.
Das eigene Wohlbefinden hat sich, bei Bedarf, dem Wohlsein des Gastes unterzuordnen.
Ignoranz sei kein Grund, unhöflich zu werden. Im Kopf des anderen stecken wir nicht. Güte steckt Verwundungen weg, die Zorn zum Gegenschlag reizten.
Sind wir nicht willkommen, beginnt ein Experiment, dessen Ausgang offen ist.
8. Oktober
250.
Wann hat man die Gedanken auf den Kopf zu stellen? Wann verschmitzte Tücke redet. Bei Einigen muß Alles umgekehrt verstanden werden: ihr Ja ist Nein, und ihr Nein Ja. Reden sie von einer Sache nachtheilig; so bedeutet dieses, daß sie solche hochschätzen: denn wer sie für sich haben will, setzt sie bei Andern herab. Nicht Jeder der lobt, redet gut von der Sache: denn Manche werden, um die Guten nicht zu loben, auch die Schlechten loben: für wen aber Keiner schlecht ist, für den ist auch Keiner gut.
Mir scheint, Freund, dialektisch gedacht, dass wir die Dinge, per se, von allen Seiten sehen sollten - oder doch wenigstens versuchen sollten, hinter die Sachen zu kommen, eine Unter- und Obersicht zu erwischen, anstatt uns nur von vorne, zumal, wie so häufig, aus der Distanz, eine hieb- und stichfeste Meinung zu bilden. Das Problem, was ich habe, liegt allerdings nicht nur bei denjenigen, die uns eine Geschichte erzählen, uns ihre Interpretation der Welt aufdrängen oder, was wir nicht vergessen mögen, bei den Sachen selbst, mein Problem liegt vielmehr bei mir selbst: ich will, oft genug, nur hören, was ich hören will, ich will sehen, was ich sehen will, will schmecken, was ich schmecken will. Und, ein weiteres Manko, kurze Zeit später ändere ich, häufig, meine Ansichten, wenn ich etwas neues gelernt habe oder, was für eine Peinlichkeit, mit dem falschen Bein aufgestanden bin oder einfach mal, ganz grundsätzlich, auf Krawall gebürstet bin.
Dass befangenes Wissen unbefangenes Wissen schafft, ist wohl möglich, aber eher die Ausnahme.
Ohne Hermeneutik keine Erkenntnis.
Einsichten, die aus dem Nichts kommen, vergehen alsbald im selbigen.
Selbst ein Geistesblitz braucht ein Gewitter.
Wer mir auf Anhieb glaubt, dem vertraue ich nicht.
9. Oktober
Wann hat man die Gedanken auf den Kopf zu stellen? Wann verschmitzte Tücke redet. Bei Einigen muß Alles umgekehrt verstanden werden: ihr Ja ist Nein, und ihr Nein Ja. Reden sie von einer Sache nachtheilig; so bedeutet dieses, daß sie solche hochschätzen: denn wer sie für sich haben will, setzt sie bei Andern herab. Nicht Jeder der lobt, redet gut von der Sache: denn Manche werden, um die Guten nicht zu loben, auch die Schlechten loben: für wen aber Keiner schlecht ist, für den ist auch Keiner gut.
Mir scheint, Freund, dialektisch gedacht, dass wir die Dinge, per se, von allen Seiten sehen sollten - oder doch wenigstens versuchen sollten, hinter die Sachen zu kommen, eine Unter- und Obersicht zu erwischen, anstatt uns nur von vorne, zumal, wie so häufig, aus der Distanz, eine hieb- und stichfeste Meinung zu bilden. Das Problem, was ich habe, liegt allerdings nicht nur bei denjenigen, die uns eine Geschichte erzählen, uns ihre Interpretation der Welt aufdrängen oder, was wir nicht vergessen mögen, bei den Sachen selbst, mein Problem liegt vielmehr bei mir selbst: ich will, oft genug, nur hören, was ich hören will, ich will sehen, was ich sehen will, will schmecken, was ich schmecken will. Und, ein weiteres Manko, kurze Zeit später ändere ich, häufig, meine Ansichten, wenn ich etwas neues gelernt habe oder, was für eine Peinlichkeit, mit dem falschen Bein aufgestanden bin oder einfach mal, ganz grundsätzlich, auf Krawall gebürstet bin.
Dass befangenes Wissen unbefangenes Wissen schafft, ist wohl möglich, aber eher die Ausnahme.
Ohne Hermeneutik keine Erkenntnis.
Einsichten, die aus dem Nichts kommen, vergehen alsbald im selbigen.
Selbst ein Geistesblitz braucht ein Gewitter.
Wer mir auf Anhieb glaubt, dem vertraue ich nicht.
9. Oktober
251.
Man wende die menschlichen Mittel an, als ob es keine göttliche, und die göttlichen, als ob es keine menschliche gäbe. Große Meisterregel, die keines Kommentars bedarf.
Oh my god, Freund! Oder eher: oh my not God. Damit wäre dann wohl alles gesagt, gäbe es nicht die Schnittmengen, die Ihrer Meisterregel den Garaus machten. Um nur ein Beispiel zu nennen, sei die Theodizee erwähnt, ein von Leibniz weit nach Ihrem Tod, im Jahr 1710, geprägter Begriff, der für mich das Kernproblem jedweden Göttinnen- oder Gottglaubens darstellt. Die Existenz des Bösen in unserer Welt zeigt, dass Göttin oder Gott nicht so kenntnisreich, mächtig oder, was der moralische Knackpunkt ist, gut sein kann, wie traditionelle Monotheistinnen und Monotheisten stets behauptet haben. Angenommen, die Göttin oder der Gott sei nun niemand, die oder der nicht ihr oder sein Potenzial halbherzig ausschöpfte, sondern tatsächlich im Vollbesitz ihrer oder seiner übermenschlichen Kräfte wäre, also um das Böse nicht nur wüsste, sondern es auch bewusst zuließe, das Böse demgemäß als Teil der Welt implimentiert hätte. Dann gäbe es, abgekürzt formuliert, ein echtes Heiligkeitsproblem. Der Göttin oder des Gottes intime kausale Verflechtungen mit der Welt würden Göttin oder Gott nämlich in diesem Fall zur Ursache des Bösen machen. Göttin oder Gott würden durch solch eine Anteilnahme am Bösen oder, seien wir ehrlich, durch solch eine Initialzündung des Bösen die eigene Heiligkeit unterminieren. Ich, als Atheist, kann nun behaupten, dass Göttin oder Gott und das Böse unvereinbar seien, und da das Böse eindeutig existiere, Göttin oder Gott nicht existieren könne. Sie, Freund, haben allerdings in Ihrem Satz, schlauerweise, die Spähren gekappt. Ob mir das gefällt oder nicht, sei dahingestellt, ich hab's als Strategie zu registrieren, da somit eine glaub-würdige Mauer zwischen meiner Skepsis und Ihrem Glauben besteht, die ich - schließlich bin ich kein Priester - respektiere, auf die ich nicht klettern will, um von oben Sie und die Ihren, die auf der anderen Seite stehen, von meiner Sicht der Dinge zu überzeugen. Allerdings, diese Sache ist nun mal voller Abers, stehen viele der Ihren dort oben und kümmern sich einen feuchten Kehricht um die Trennung, von der Sie eben so leermundig und schmallippig gesprochen haben. Das Geschrei, das ich mir, der ich, es sei betont, aus Respekt nicht auf die Mauer klettere, anhören muss, gleicht, in vielen Ländern dieser Erde, einer Kakaphonie. Gläubige, was ich als Problem erlebe - und jetzt lege ich mir Ihre Aussage zurecht -, akzeptieren die Mittel-Mäßigkeit nicht. Will sagen: was den Gläubigen ins Konzept passt, nehmen sie gerne an, stoßen sie jedoch auf intellektuellen und emotionalen Widerstand, nutzen Gläubige die schlechtesten Vorschriften ihrer Heiligen Schriften, um mich und die meinen zu verunglimpfen.
Toleranz, die nur von einer Seite gepflegt wird, verliert, leider, irgendwann ihre Geduld.
Die Erfahrung zeigt, dass strenggläubige Ideologien, wozu Religionen nun mal gehören, jedenfalls in den falschen Händen, die per se, innerhalb kürzester Zeit, in allein seligmachenden Gesellschaften an den Schalthebeln der Macht hantieren, die Erfahrung zeigt, dass Ideologien am Miteinander verschiedener Weltauffassungen wenig, bis keinerlei Interesse haben. Die Trennung zwischen weltlich-toleranten und ideologisch-verbohrten Gesellschaftsbereichen funktioniert nur, wenn die Orthodoxie ein geschützter und garantierter Teil des Privaten, aber niemals der dominierende Teil des Öffentlichen ist.
10. Oktober
Man wende die menschlichen Mittel an, als ob es keine göttliche, und die göttlichen, als ob es keine menschliche gäbe. Große Meisterregel, die keines Kommentars bedarf.
Oh my god, Freund! Oder eher: oh my not God. Damit wäre dann wohl alles gesagt, gäbe es nicht die Schnittmengen, die Ihrer Meisterregel den Garaus machten. Um nur ein Beispiel zu nennen, sei die Theodizee erwähnt, ein von Leibniz weit nach Ihrem Tod, im Jahr 1710, geprägter Begriff, der für mich das Kernproblem jedweden Göttinnen- oder Gottglaubens darstellt. Die Existenz des Bösen in unserer Welt zeigt, dass Göttin oder Gott nicht so kenntnisreich, mächtig oder, was der moralische Knackpunkt ist, gut sein kann, wie traditionelle Monotheistinnen und Monotheisten stets behauptet haben. Angenommen, die Göttin oder der Gott sei nun niemand, die oder der nicht ihr oder sein Potenzial halbherzig ausschöpfte, sondern tatsächlich im Vollbesitz ihrer oder seiner übermenschlichen Kräfte wäre, also um das Böse nicht nur wüsste, sondern es auch bewusst zuließe, das Böse demgemäß als Teil der Welt implimentiert hätte. Dann gäbe es, abgekürzt formuliert, ein echtes Heiligkeitsproblem. Der Göttin oder des Gottes intime kausale Verflechtungen mit der Welt würden Göttin oder Gott nämlich in diesem Fall zur Ursache des Bösen machen. Göttin oder Gott würden durch solch eine Anteilnahme am Bösen oder, seien wir ehrlich, durch solch eine Initialzündung des Bösen die eigene Heiligkeit unterminieren. Ich, als Atheist, kann nun behaupten, dass Göttin oder Gott und das Böse unvereinbar seien, und da das Böse eindeutig existiere, Göttin oder Gott nicht existieren könne. Sie, Freund, haben allerdings in Ihrem Satz, schlauerweise, die Spähren gekappt. Ob mir das gefällt oder nicht, sei dahingestellt, ich hab's als Strategie zu registrieren, da somit eine glaub-würdige Mauer zwischen meiner Skepsis und Ihrem Glauben besteht, die ich - schließlich bin ich kein Priester - respektiere, auf die ich nicht klettern will, um von oben Sie und die Ihren, die auf der anderen Seite stehen, von meiner Sicht der Dinge zu überzeugen. Allerdings, diese Sache ist nun mal voller Abers, stehen viele der Ihren dort oben und kümmern sich einen feuchten Kehricht um die Trennung, von der Sie eben so leermundig und schmallippig gesprochen haben. Das Geschrei, das ich mir, der ich, es sei betont, aus Respekt nicht auf die Mauer klettere, anhören muss, gleicht, in vielen Ländern dieser Erde, einer Kakaphonie. Gläubige, was ich als Problem erlebe - und jetzt lege ich mir Ihre Aussage zurecht -, akzeptieren die Mittel-Mäßigkeit nicht. Will sagen: was den Gläubigen ins Konzept passt, nehmen sie gerne an, stoßen sie jedoch auf intellektuellen und emotionalen Widerstand, nutzen Gläubige die schlechtesten Vorschriften ihrer Heiligen Schriften, um mich und die meinen zu verunglimpfen.
Toleranz, die nur von einer Seite gepflegt wird, verliert, leider, irgendwann ihre Geduld.
Die Erfahrung zeigt, dass strenggläubige Ideologien, wozu Religionen nun mal gehören, jedenfalls in den falschen Händen, die per se, innerhalb kürzester Zeit, in allein seligmachenden Gesellschaften an den Schalthebeln der Macht hantieren, die Erfahrung zeigt, dass Ideologien am Miteinander verschiedener Weltauffassungen wenig, bis keinerlei Interesse haben. Die Trennung zwischen weltlich-toleranten und ideologisch-verbohrten Gesellschaftsbereichen funktioniert nur, wenn die Orthodoxie ein geschützter und garantierter Teil des Privaten, aber niemals der dominierende Teil des Öffentlichen ist.
10. Oktober
252.
Weder ganz sich, noch ganz den Andern angehören: denn Beides ist eine niederträchtige Tyrannei. Daraus, daß Einer sich ganz für sich allein besitzen will, folgt alsbald, daß er auch alle Dinge für sich haben will. Solche Leute wollen nicht in der geringsten Sache nachgeben, noch das Mindeste von ihrer Bequemlichkeit opfern. Sie sind nicht verbindlich, sondern verlassen sich auf ihre Glücksumstände, welche Stütze jedoch unter ihnen zu brechen pflegt. Man muß bisweilen auch den Andern angehören, damit sie wieder uns angehören. Wer aber ein öffentliches Amt hat, muß der öffentliche Sklave seyn; oder lege die Würde mit der Bürde nieder, würde die Alte des Hadrian sagen. Im Gegentheil giebt es auch Leute, welche ganz den Andern angehören: denn die Thorheit geht stets ins Uebertriebene, hier aber ans eine unglückliche Art. Diese haben keinen Tag und keine Stunde für sich, sondern gehören in solchem Uebermaaß den Andern an, daß Einer schon der Diener Aller genannt wurde. Dies erstreckt sich sogar auf den Verstand, indem sie für Alle wissen und bloß für sich unwissend sind. Der Aufmerksame begreife, daß Keiner ihn sucht; sondern Jeder seinen Vortheil in ihm, oder durch ihn.
Teilhabe, Freund, macht das Leben erst lebenswert. Ich bin ganz bei Ihnen, da mir scheint, dass einerseits die Weltverweigerung, welche doch auch im egoistischen Lebensstill tief steckt, und andererseits die Selbstaufgabe, welche doch auch im altruistischen Lebensstil ihr Unwesen treibt, uns arg verbiegt und, oftmals, garstig für uns selbst und andere macht. Das Mittelmaß zu finden, zwischen den Häfen und den offenen Meeren tiefsinnig und leichtherzig zugleich hin und her zu wechseln, sei eine stete Herausforderung. Ein Rezept, hier dürften Sie mir zustimmen, welches Maß an Engagement, welches an Zurückhaltung opportun ist, lässt sich nicht ausstellen. Es hängt nun mal, denke ich, von den jeweiligen Umständen ab.
Wer sich zurückzieht, sollte, erstens, gute Gründe dafür haben und sich, zweitens, nicht den Schlüssel für die Hintertür abluchsen lassen.
Klug zu sein, heißt doch vor allen Dingen, nicht zu glauben, alles vorab zu wissen oder, noch schlimmer, bestimmen zu können.
11. Oktober
Weder ganz sich, noch ganz den Andern angehören: denn Beides ist eine niederträchtige Tyrannei. Daraus, daß Einer sich ganz für sich allein besitzen will, folgt alsbald, daß er auch alle Dinge für sich haben will. Solche Leute wollen nicht in der geringsten Sache nachgeben, noch das Mindeste von ihrer Bequemlichkeit opfern. Sie sind nicht verbindlich, sondern verlassen sich auf ihre Glücksumstände, welche Stütze jedoch unter ihnen zu brechen pflegt. Man muß bisweilen auch den Andern angehören, damit sie wieder uns angehören. Wer aber ein öffentliches Amt hat, muß der öffentliche Sklave seyn; oder lege die Würde mit der Bürde nieder, würde die Alte des Hadrian sagen. Im Gegentheil giebt es auch Leute, welche ganz den Andern angehören: denn die Thorheit geht stets ins Uebertriebene, hier aber ans eine unglückliche Art. Diese haben keinen Tag und keine Stunde für sich, sondern gehören in solchem Uebermaaß den Andern an, daß Einer schon der Diener Aller genannt wurde. Dies erstreckt sich sogar auf den Verstand, indem sie für Alle wissen und bloß für sich unwissend sind. Der Aufmerksame begreife, daß Keiner ihn sucht; sondern Jeder seinen Vortheil in ihm, oder durch ihn.
Teilhabe, Freund, macht das Leben erst lebenswert. Ich bin ganz bei Ihnen, da mir scheint, dass einerseits die Weltverweigerung, welche doch auch im egoistischen Lebensstill tief steckt, und andererseits die Selbstaufgabe, welche doch auch im altruistischen Lebensstil ihr Unwesen treibt, uns arg verbiegt und, oftmals, garstig für uns selbst und andere macht. Das Mittelmaß zu finden, zwischen den Häfen und den offenen Meeren tiefsinnig und leichtherzig zugleich hin und her zu wechseln, sei eine stete Herausforderung. Ein Rezept, hier dürften Sie mir zustimmen, welches Maß an Engagement, welches an Zurückhaltung opportun ist, lässt sich nicht ausstellen. Es hängt nun mal, denke ich, von den jeweiligen Umständen ab.
Wer sich zurückzieht, sollte, erstens, gute Gründe dafür haben und sich, zweitens, nicht den Schlüssel für die Hintertür abluchsen lassen.
Klug zu sein, heißt doch vor allen Dingen, nicht zu glauben, alles vorab zu wissen oder, noch schlimmer, bestimmen zu können.
11. Oktober
253.
Keinen allzu deutlichen Vortrag haben. Die Meisten schätzen nicht was sie verstehn; aber was sie nicht fassen können, verehren sie. Um geschätzt zu werden, müssen die Sachen Mühe kosten: daher wird gerühmt, wer nicht verstanden wird. Stets muß man weiser und klüger scheinen, als grade der, mit dem man zu thun hat, es nöthig macht; um ihm eine hohe Meinung einzuflößen: jedoch nicht übertrieben, sondern verhältnißmäßig. Und obgleich bei Leuten von Einsicht Sinn und Verstand allemal viel gilt; so ist doch bei den meisten Leuten einiger Aufputz vonnöthen. Zum Tadeln müssen sie gar nicht kommen können, indem sie schon am Verstehn genug zu thun haben. Viele loben Etwas, und fragt man sie, so haben sie keinen Grund anzuführen. Woher dies? Alles Tiefverborgene verehren sie als ein Mysterium, und rühmen es, weil sie es rühmen hören.
Der Eitelkeit halber, Freund, sei gleich klargestellt, dass die Freude am Unverständlichen durchaus auch mit den Schriftstellerinnen und Schriftstellern durchgehen kann. Gefeit gegen den Spaß, mal richtig auf den Un-Verstand zu hauen, sich einen Moment lang der Arroganz anheimzugeben, die hagiographischen Erwartungen der Welt nach Mächtig-Dampf und Manisch-Dunst zu erfüllen, ist wohl niemand. Das Entzücken über das Verrücken der Klarheit, die Begeisterung ob der unbestrittenen Deutungshoheit - all das hat schon manch schönen Schwachsinn produziert. Außerdem, ehrlich, gefällt mir das Absurde der Dadaisten und Surrealisten sehr, jedenfalls ab und an. Und, noch eine Sache will mir nicht aus dem Sinn, die ich oft genug beim Lesen Ihres geschätzten Translators ins Deutsche - und ich meine seiner Werke, besonders der Welt als Wille und Vorstellung - gefühlt habe: das Idiosynkratische, das sich als klares System verkauft und behauptet, alle anderen Denkgebäude an Handwerkskunst zu überstrahlen, steht dem Wahnsinn näher als ihm lieb oder bewusst ist.
Erwartungen sind Hürden, die wir, in aller Regel selbst errichten; dass uns die Gesellschaft anschließend den Spiegel vorhält, sollte uns nicht überraschen.
Der Klarheit hilft die Gegenwart, ist sie vergangen, kann sich alles wieder trüben, und zwar erstaunlich schnell.
12. Oktober
Keinen allzu deutlichen Vortrag haben. Die Meisten schätzen nicht was sie verstehn; aber was sie nicht fassen können, verehren sie. Um geschätzt zu werden, müssen die Sachen Mühe kosten: daher wird gerühmt, wer nicht verstanden wird. Stets muß man weiser und klüger scheinen, als grade der, mit dem man zu thun hat, es nöthig macht; um ihm eine hohe Meinung einzuflößen: jedoch nicht übertrieben, sondern verhältnißmäßig. Und obgleich bei Leuten von Einsicht Sinn und Verstand allemal viel gilt; so ist doch bei den meisten Leuten einiger Aufputz vonnöthen. Zum Tadeln müssen sie gar nicht kommen können, indem sie schon am Verstehn genug zu thun haben. Viele loben Etwas, und fragt man sie, so haben sie keinen Grund anzuführen. Woher dies? Alles Tiefverborgene verehren sie als ein Mysterium, und rühmen es, weil sie es rühmen hören.
Der Eitelkeit halber, Freund, sei gleich klargestellt, dass die Freude am Unverständlichen durchaus auch mit den Schriftstellerinnen und Schriftstellern durchgehen kann. Gefeit gegen den Spaß, mal richtig auf den Un-Verstand zu hauen, sich einen Moment lang der Arroganz anheimzugeben, die hagiographischen Erwartungen der Welt nach Mächtig-Dampf und Manisch-Dunst zu erfüllen, ist wohl niemand. Das Entzücken über das Verrücken der Klarheit, die Begeisterung ob der unbestrittenen Deutungshoheit - all das hat schon manch schönen Schwachsinn produziert. Außerdem, ehrlich, gefällt mir das Absurde der Dadaisten und Surrealisten sehr, jedenfalls ab und an. Und, noch eine Sache will mir nicht aus dem Sinn, die ich oft genug beim Lesen Ihres geschätzten Translators ins Deutsche - und ich meine seiner Werke, besonders der Welt als Wille und Vorstellung - gefühlt habe: das Idiosynkratische, das sich als klares System verkauft und behauptet, alle anderen Denkgebäude an Handwerkskunst zu überstrahlen, steht dem Wahnsinn näher als ihm lieb oder bewusst ist.
Erwartungen sind Hürden, die wir, in aller Regel selbst errichten; dass uns die Gesellschaft anschließend den Spiegel vorhält, sollte uns nicht überraschen.
Der Klarheit hilft die Gegenwart, ist sie vergangen, kann sich alles wieder trüben, und zwar erstaunlich schnell.
12. Oktober
254.
Ein Uebel nicht geringachten, weil es klein ist: denn nie kommt eines allein: sie sind verkettet, wie auch die Glücksfälle. Glück und Unglück gehn gewöhnlich dahin, wo schon das meiste ist. Dazu kommt, daß Alle den Unglücklichen fliehen und sich dem Glücklichen anschließen: sogar die Tauben, bei aller ihrer Arglosigkeit, laufen nach dem weißesten Geräth. Einen Unglücklichen läßt Alles im Stich, er sich selbst, die Gedanken, der Leitstern. Man wecke nicht das Unglück, wann es schläft. Ein Ausgleiten ist wenig: jedoch kann dieses unglückliche Fallen sich noch fortsetzen und da weiß man nicht, wohin es endlich führen wird. Denn wie kein Gut in jeder Hinsicht vollständig ist; so ist auch kein Uebel je gänzlich vollendet. Für die, so vom Himmel kommen, ist uns die Geduld; für die, so von der Erde, die Klugheit verliehen.
Sprechen wir, Freund, also von der Übelkeit. Wozu ich, um der Wahrheit die Ehre zu geben, nicht übel Lust verspüre. Was zu dieser paradoxen Aussage führt? Mir scheint, dass, wie beim Licht und dem Schatten, allein dank der Nausea, des Körpers und des Gemüts, von der Seele will ich lieber nicht sprechen, um nicht die Richtung wechseln oder einen Streit vom Zaune brechen zu müssen, mit scheint, dass allein dank der Nausea Wohlbefinden als solches wahrgenommen und geschätzt wird. Lebten wir tatsächlich in der besten aller Welten, in der's nur Eitelsonnenschein und ausreichend erholsame Regenschauer gäbe, würde uns, seien wir realistisch, irgendwann überhaupt nicht mehr aufgehen, wie gut wir's eigentlich hätten. Der Ennui am Modesten überfiele uns. Wir hielten den Gleichmut kaum aus. Litten am Schönen, Wahren und Guten derartigen Überdruss, dass wir schläfrig würden, im Schlaraffenland unser Leben sang- und klanglos verschliefen. Die Utopie könnte sich als Dystopie herausstellen, passten wir nicht sehr auf. Selbstverständlich rede ich nicht Krieg, Naturkatastrophen und Wahnsinn herbei. Mir geht's um die verfänglichen Momente, die uns auf eine karge Art und einfache Weise ab und zu entgleisen lassen, so dass wir und andere nicht um Leib und Leben fürchten müssen, aber uns doch in einer, emotional und intellektuell, brenzligen Lage befinden.
Wechselt der Wind, lernen wir erst das Segeln.
In der Fremde entwickelt sich der Geschmack, werden wir zu eigenständigen Menschen.
Daheim regiert der Blinddarm.
Glück sei eine Frage der Definition, Unglück nicht.
14. Oktober
Ein Uebel nicht geringachten, weil es klein ist: denn nie kommt eines allein: sie sind verkettet, wie auch die Glücksfälle. Glück und Unglück gehn gewöhnlich dahin, wo schon das meiste ist. Dazu kommt, daß Alle den Unglücklichen fliehen und sich dem Glücklichen anschließen: sogar die Tauben, bei aller ihrer Arglosigkeit, laufen nach dem weißesten Geräth. Einen Unglücklichen läßt Alles im Stich, er sich selbst, die Gedanken, der Leitstern. Man wecke nicht das Unglück, wann es schläft. Ein Ausgleiten ist wenig: jedoch kann dieses unglückliche Fallen sich noch fortsetzen und da weiß man nicht, wohin es endlich führen wird. Denn wie kein Gut in jeder Hinsicht vollständig ist; so ist auch kein Uebel je gänzlich vollendet. Für die, so vom Himmel kommen, ist uns die Geduld; für die, so von der Erde, die Klugheit verliehen.
Sprechen wir, Freund, also von der Übelkeit. Wozu ich, um der Wahrheit die Ehre zu geben, nicht übel Lust verspüre. Was zu dieser paradoxen Aussage führt? Mir scheint, dass, wie beim Licht und dem Schatten, allein dank der Nausea, des Körpers und des Gemüts, von der Seele will ich lieber nicht sprechen, um nicht die Richtung wechseln oder einen Streit vom Zaune brechen zu müssen, mit scheint, dass allein dank der Nausea Wohlbefinden als solches wahrgenommen und geschätzt wird. Lebten wir tatsächlich in der besten aller Welten, in der's nur Eitelsonnenschein und ausreichend erholsame Regenschauer gäbe, würde uns, seien wir realistisch, irgendwann überhaupt nicht mehr aufgehen, wie gut wir's eigentlich hätten. Der Ennui am Modesten überfiele uns. Wir hielten den Gleichmut kaum aus. Litten am Schönen, Wahren und Guten derartigen Überdruss, dass wir schläfrig würden, im Schlaraffenland unser Leben sang- und klanglos verschliefen. Die Utopie könnte sich als Dystopie herausstellen, passten wir nicht sehr auf. Selbstverständlich rede ich nicht Krieg, Naturkatastrophen und Wahnsinn herbei. Mir geht's um die verfänglichen Momente, die uns auf eine karge Art und einfache Weise ab und zu entgleisen lassen, so dass wir und andere nicht um Leib und Leben fürchten müssen, aber uns doch in einer, emotional und intellektuell, brenzligen Lage befinden.
Wechselt der Wind, lernen wir erst das Segeln.
In der Fremde entwickelt sich der Geschmack, werden wir zu eigenständigen Menschen.
Daheim regiert der Blinddarm.
Glück sei eine Frage der Definition, Unglück nicht.
14. Oktober
255.
Gutes zu erzeigen verstehn: wenig auf ein Mal, hingegen oft. Nie muß man dem Andern so große Verbindlichkeiten auflegen, daß es unmöglich wäre, ihnen nachzukommen. Wer sehr Vieles giebt, giebt nicht, sondern verkauft. Auch soll man nicht die vollständigste Erkenntlichkeit verlangen: denn wenn der Andre sieht, daß sie seine Kräfte übersteigt, wird er den Umgang abbrechen. Bei Vielen ist, um sie zu verlieren, nichts weiter nöthig, als sie übermäßig zu verpflichten: um ihre Schuld nicht abzutragen, ziehn sie sich zurück, und werden aus Verpflichteten Feinde. Der Götze möchte nie den Bildhauer, der ihn gemacht hat, vor sich sehn; und eben so ungern hat der Verpflichtete seinen Wohlthäter vor Augen. Eine große Feinheit beim Geben besteht darin, daß es wenig koste und doch sehr ersehnt sei, wodurch es hoch angeschlagen wird.
Interessant, Freund, wie Sie sich selbst, schätze ich, auf die Schliche kommen, ohne sich dabei schlicht zu fühlen, sondern sowohl mitfühlend als auch, Pardon, gerissen. Nicht weniges, was Sie sagen, ist wahr, dennoch bleibt bei mir ein schaler Geschmack im Mund zurück, wenn ich versuche, ihre Sätze zu verdauen. Zu kalkuliert gehen Sie das Geben und Nehmen an, als handelte es sich um einen kapitalistischen Austausch. Aus dem Miteinander eine Rechnung zu machen, die wir zu begleichen haben, erniedrigt den Menschen zum Plus oder Minus. Diese Art der doppelten Buchführung - und mir ist wohl bewusst, dass Sie davon nicht explizit sprechen - herrscht auch oft genug in vermeintlichen Liebesbeziehungen, wo das Utilitaristische das Sagen hat, Kind, Haus und Hof als Klebestoff benutzt werden, das ehrliche Sprechen, das ungestüme Fühlen, das wundervolle Verlangen aber längst auf der Strecke geblieben sind, falls es sie überhaupt jemals gegeben hat.
Geschenke, die uns in die Pflicht nehmen, sind wie Verträge, die man per Handschlag abschließt. Nichts steht geschrieben, alles ist verfügt.
Wer permanet rechnet, sieht nur die kalkulierbaren Dinge, die in unmittelbarer Reichweite liegen.
Großzügigkeit, die ihren Namen verdient, schreckt weder vor den Unbekannten noch der Spontanität zurück. Gastfreundschaft öffnet Grenzen und vertraut der Vernunft.
15. Oktober
Gutes zu erzeigen verstehn: wenig auf ein Mal, hingegen oft. Nie muß man dem Andern so große Verbindlichkeiten auflegen, daß es unmöglich wäre, ihnen nachzukommen. Wer sehr Vieles giebt, giebt nicht, sondern verkauft. Auch soll man nicht die vollständigste Erkenntlichkeit verlangen: denn wenn der Andre sieht, daß sie seine Kräfte übersteigt, wird er den Umgang abbrechen. Bei Vielen ist, um sie zu verlieren, nichts weiter nöthig, als sie übermäßig zu verpflichten: um ihre Schuld nicht abzutragen, ziehn sie sich zurück, und werden aus Verpflichteten Feinde. Der Götze möchte nie den Bildhauer, der ihn gemacht hat, vor sich sehn; und eben so ungern hat der Verpflichtete seinen Wohlthäter vor Augen. Eine große Feinheit beim Geben besteht darin, daß es wenig koste und doch sehr ersehnt sei, wodurch es hoch angeschlagen wird.
Interessant, Freund, wie Sie sich selbst, schätze ich, auf die Schliche kommen, ohne sich dabei schlicht zu fühlen, sondern sowohl mitfühlend als auch, Pardon, gerissen. Nicht weniges, was Sie sagen, ist wahr, dennoch bleibt bei mir ein schaler Geschmack im Mund zurück, wenn ich versuche, ihre Sätze zu verdauen. Zu kalkuliert gehen Sie das Geben und Nehmen an, als handelte es sich um einen kapitalistischen Austausch. Aus dem Miteinander eine Rechnung zu machen, die wir zu begleichen haben, erniedrigt den Menschen zum Plus oder Minus. Diese Art der doppelten Buchführung - und mir ist wohl bewusst, dass Sie davon nicht explizit sprechen - herrscht auch oft genug in vermeintlichen Liebesbeziehungen, wo das Utilitaristische das Sagen hat, Kind, Haus und Hof als Klebestoff benutzt werden, das ehrliche Sprechen, das ungestüme Fühlen, das wundervolle Verlangen aber längst auf der Strecke geblieben sind, falls es sie überhaupt jemals gegeben hat.
Geschenke, die uns in die Pflicht nehmen, sind wie Verträge, die man per Handschlag abschließt. Nichts steht geschrieben, alles ist verfügt.
Wer permanet rechnet, sieht nur die kalkulierbaren Dinge, die in unmittelbarer Reichweite liegen.
Großzügigkeit, die ihren Namen verdient, schreckt weder vor den Unbekannten noch der Spontanität zurück. Gastfreundschaft öffnet Grenzen und vertraut der Vernunft.
15. Oktober
256.
Allezeit auf seiner Hut sehn gegen Unhöfliche, Eigensinnige, Anmaaßliche und Narren jeder Art. Man stößt auf viele, und die Klugheit besteht darin, nicht mit ihnen aneinander zu gerathen. Vor dem Spiegel seiner Ueberlegung waffne man sich jeden Tag mit Vorsätzen in dieser Hinsicht: so wird man die Gefahren, welche die Narrheit uns in den Weg legt, überwinden. Man denke reiflich darüber nach, und dann wird man sein Ansehn nicht gemeinen Zufälligkeiten bloßstellen. Ein mit Klugheit ausgerüsteter Mann wird von den Ungebührlichen nicht angefochten werden. Unser Weg im Umgang mit Menschen ist deshalb schwierig, weil er voll Klippen ist, an denen unser Ansehn scheitern kann. Das Sicherste ist sich entfernt zu halten, die Schlauheit des Odysseus zum Vorbild nehmend. Von großem Nutzen ist in Dingen dieser Art das erkünstelte Versehn: von der Höflichkeit unterstützt hilft es uns über Alles hinweg, wie es denn ein einziger Nichtweg aus allen Verwickelungen ist.
Ein tückisch-kluges Wort, Freund, das Versehn, dessen Bedeutung samt Schreibweise, seit Ihr Translator es ins Deutsche gegossen hat, einige rasante Windungen unternommen hat. Legte ich Ihren solipsistischen Gedanken aus, würd ich sagen, bei Ihrem Versehn dreht's sich eher nicht um ein aus Versehen, sondern eher ums Abgesehen davon - also das Übersehen, was stets eine gewisse leblose Schnoddrigkeit und eine Haltung knallharter Ignoranz benötigt. Ist uns etwas reichlich egal oder geht uns gewaltig auf die Nerven, sollten wir uns, Ihrer Meinung nach, demgemäß rundweg abwenden und uns einfach nicht mehr darum kümmern. Solch eine ignoramus-et-ignorabimus-Haltung birgt jedoch immense Risiken. Für uns selbst, aber noch viel mehr für die Gesellschaft, da sie sich eher nicht aufs Private beschränken lässt. Ein allzeit verfügbares Wir wissen es nicht und wir werden es niemals wissen wollen höhlt unser Gefühl als Staatsbürgerin oder Staatsbürger aus. Die Lust treibt uns, ganz allein. Von der Pflicht, uns aufs Unbequeme, das doch auch ist und immer sein wird, einzulassen, wollen wir nichts hören. Ja, Sie sprechen von Narrheit, das ist mir wohl bewusst. Aber was heute diesen Stempel aufgedrückt bekommt, wird, häufig genug, morgen als Klugheit gefeiert.
Ein offenes Ohr zeugt sowohl von einem wachen Verstand als auch einem großem Herzen.
Kleingeister sehen mehr Kleingeisterei als tatsächlich existiert.
Den Großzügigen verzeiht man eher Fehler als den scharfzüngigen Neunmalklugen.
Jedes Wissen besitzt seine Halbwertszeit.
Und Odysseus, um damit zu schließen, hat sich übrigens nicht von den Sirenen ferngehalten, sondern er hat sich dem verlockenden Gesang ausgesezt, sich jedoch vorsichtshalber an den Mast binden lassen und seiner Besatzung, die Wachs in den Ohren hatte, eingeschärft, die Seile anzuziehen, falls er den falschen Versprechungen der Sirenen erliegen sollte. Was ich sagen will? Mir scheint, dass wir uns ab und an dem Ungwöhnlichen und selbst dem Gefährlichen stellen müssen, um neue Eindrücke zu gewinnen.
Nur wiederzukäuen tötet die Lebenskunst.
16. Oktober
Allezeit auf seiner Hut sehn gegen Unhöfliche, Eigensinnige, Anmaaßliche und Narren jeder Art. Man stößt auf viele, und die Klugheit besteht darin, nicht mit ihnen aneinander zu gerathen. Vor dem Spiegel seiner Ueberlegung waffne man sich jeden Tag mit Vorsätzen in dieser Hinsicht: so wird man die Gefahren, welche die Narrheit uns in den Weg legt, überwinden. Man denke reiflich darüber nach, und dann wird man sein Ansehn nicht gemeinen Zufälligkeiten bloßstellen. Ein mit Klugheit ausgerüsteter Mann wird von den Ungebührlichen nicht angefochten werden. Unser Weg im Umgang mit Menschen ist deshalb schwierig, weil er voll Klippen ist, an denen unser Ansehn scheitern kann. Das Sicherste ist sich entfernt zu halten, die Schlauheit des Odysseus zum Vorbild nehmend. Von großem Nutzen ist in Dingen dieser Art das erkünstelte Versehn: von der Höflichkeit unterstützt hilft es uns über Alles hinweg, wie es denn ein einziger Nichtweg aus allen Verwickelungen ist.
Ein tückisch-kluges Wort, Freund, das Versehn, dessen Bedeutung samt Schreibweise, seit Ihr Translator es ins Deutsche gegossen hat, einige rasante Windungen unternommen hat. Legte ich Ihren solipsistischen Gedanken aus, würd ich sagen, bei Ihrem Versehn dreht's sich eher nicht um ein aus Versehen, sondern eher ums Abgesehen davon - also das Übersehen, was stets eine gewisse leblose Schnoddrigkeit und eine Haltung knallharter Ignoranz benötigt. Ist uns etwas reichlich egal oder geht uns gewaltig auf die Nerven, sollten wir uns, Ihrer Meinung nach, demgemäß rundweg abwenden und uns einfach nicht mehr darum kümmern. Solch eine ignoramus-et-ignorabimus-Haltung birgt jedoch immense Risiken. Für uns selbst, aber noch viel mehr für die Gesellschaft, da sie sich eher nicht aufs Private beschränken lässt. Ein allzeit verfügbares Wir wissen es nicht und wir werden es niemals wissen wollen höhlt unser Gefühl als Staatsbürgerin oder Staatsbürger aus. Die Lust treibt uns, ganz allein. Von der Pflicht, uns aufs Unbequeme, das doch auch ist und immer sein wird, einzulassen, wollen wir nichts hören. Ja, Sie sprechen von Narrheit, das ist mir wohl bewusst. Aber was heute diesen Stempel aufgedrückt bekommt, wird, häufig genug, morgen als Klugheit gefeiert.
Ein offenes Ohr zeugt sowohl von einem wachen Verstand als auch einem großem Herzen.
Kleingeister sehen mehr Kleingeisterei als tatsächlich existiert.
Den Großzügigen verzeiht man eher Fehler als den scharfzüngigen Neunmalklugen.
Jedes Wissen besitzt seine Halbwertszeit.
Und Odysseus, um damit zu schließen, hat sich übrigens nicht von den Sirenen ferngehalten, sondern er hat sich dem verlockenden Gesang ausgesezt, sich jedoch vorsichtshalber an den Mast binden lassen und seiner Besatzung, die Wachs in den Ohren hatte, eingeschärft, die Seile anzuziehen, falls er den falschen Versprechungen der Sirenen erliegen sollte. Was ich sagen will? Mir scheint, dass wir uns ab und an dem Ungwöhnlichen und selbst dem Gefährlichen stellen müssen, um neue Eindrücke zu gewinnen.
Nur wiederzukäuen tötet die Lebenskunst.
16. Oktober
257.
Es nie zum Bruche kommen lassen: denn bei einem solchen kommt unser Ausehn allemal zu Schaden. Jeder ist als Feind von Bedeutung, wenn gleich nicht als Freund. Gutes können Wenige uns erweisen, Schlimmes fast Alle. Im Busen des Jupiters selbst nistet sein Adler nicht sicher, von dem Tage an, wo er mit einem Käfer gebrochen hat. Mit der Klaue des erklärten Feindes schüren die heimlichen das Feuer an, indem sie nur auf die Gelegenheit gelauert hatten. Aus verdorbenen Freunden werden die schlimmsten Feinde. Mit den fremden Fehlern wollen sie, in den Augen der Zuschauer, ihre eigenen überdecken. Jeder redet, wie es ihm scheint, und es scheint ihm, wie er es wünscht. Alle sprechen uns schuldig, entweder weil es uns am Anfang an Vorhersicht, oder am Ende an Geduld, immer aber weil es uns an Klugheit gefehlt habe. – Ist jedoch eine Entfernung nicht zu vermeiden; so sei sie zu entschuldigen, und sei eher eine Lauheit der Freundschaft als ein Ausbruch der Wuth: hier findet nun der bekannte Satz von einem schönen Rückzuge treffende Anwendung.
Wir alle, Freund, scheint mir, haben uns im Laufe des Lebens Feindinnen und Feinde geschaffen. Ab und an, weil wir's wollten, es, möglicherweise, gar als Viel-Feind-viel-Ehr-Unsinn angesehen haben, Abneigungen regelrecht zu kultivieren. Häufiger jedoch, weil's sich um lausige Missverständnisse oder schiere Ahnungslosigkeit gehandelt hat. Sie haben Recht, dass Feindschaften grundsätzlich schaden, womit allerdings nicht gesagt ist, dass uns jede Freundschaft nutzt. Kann man sich, häufig genug, Feindinnen und Feinde nicht aussuchen, da sie uns als Zielscheibe ihres Abscheus und Widersinns gewählt haben, empfiehlt es sich doch, bei der Auswahl der eigenen Freundinnen und Freunde besondere Sorgfalt walten zu lassen. Wenig stört das Gemüt mehr als Freundschaften, die uns überstrapazieren und vom Umarmen des vielfältigen Lebens abhalten.
Wer uns nur für sich will, will in Wahrheit nicht uns, sondern hat nur Angst vor der eigenen Einsamkeit.
Keine Freundschaft sei allein rein; das Körnchen Schmutz macht erst den Reiz des kritischen Miteinanders aus.
Wer absolute Sauberkeit von Freundinnen und Freunden erwartet, soll eine Seife ehelichen.
17. Oktober
Es nie zum Bruche kommen lassen: denn bei einem solchen kommt unser Ausehn allemal zu Schaden. Jeder ist als Feind von Bedeutung, wenn gleich nicht als Freund. Gutes können Wenige uns erweisen, Schlimmes fast Alle. Im Busen des Jupiters selbst nistet sein Adler nicht sicher, von dem Tage an, wo er mit einem Käfer gebrochen hat. Mit der Klaue des erklärten Feindes schüren die heimlichen das Feuer an, indem sie nur auf die Gelegenheit gelauert hatten. Aus verdorbenen Freunden werden die schlimmsten Feinde. Mit den fremden Fehlern wollen sie, in den Augen der Zuschauer, ihre eigenen überdecken. Jeder redet, wie es ihm scheint, und es scheint ihm, wie er es wünscht. Alle sprechen uns schuldig, entweder weil es uns am Anfang an Vorhersicht, oder am Ende an Geduld, immer aber weil es uns an Klugheit gefehlt habe. – Ist jedoch eine Entfernung nicht zu vermeiden; so sei sie zu entschuldigen, und sei eher eine Lauheit der Freundschaft als ein Ausbruch der Wuth: hier findet nun der bekannte Satz von einem schönen Rückzuge treffende Anwendung.
Wir alle, Freund, scheint mir, haben uns im Laufe des Lebens Feindinnen und Feinde geschaffen. Ab und an, weil wir's wollten, es, möglicherweise, gar als Viel-Feind-viel-Ehr-Unsinn angesehen haben, Abneigungen regelrecht zu kultivieren. Häufiger jedoch, weil's sich um lausige Missverständnisse oder schiere Ahnungslosigkeit gehandelt hat. Sie haben Recht, dass Feindschaften grundsätzlich schaden, womit allerdings nicht gesagt ist, dass uns jede Freundschaft nutzt. Kann man sich, häufig genug, Feindinnen und Feinde nicht aussuchen, da sie uns als Zielscheibe ihres Abscheus und Widersinns gewählt haben, empfiehlt es sich doch, bei der Auswahl der eigenen Freundinnen und Freunde besondere Sorgfalt walten zu lassen. Wenig stört das Gemüt mehr als Freundschaften, die uns überstrapazieren und vom Umarmen des vielfältigen Lebens abhalten.
Wer uns nur für sich will, will in Wahrheit nicht uns, sondern hat nur Angst vor der eigenen Einsamkeit.
Keine Freundschaft sei allein rein; das Körnchen Schmutz macht erst den Reiz des kritischen Miteinanders aus.
Wer absolute Sauberkeit von Freundinnen und Freunden erwartet, soll eine Seife ehelichen.
17. Oktober
258.
Man suche sich Jemanden, der das Unglück tragen hilft. So wird man nie, zumal nicht bei Gefahren, allein seyn, und nicht den ganzen Haß auf sich laden. Einige vermeinen, die ganze Ehre der obern Leitung allein davon zu tragen, und tragen nachher die ganze öffentliche Unzufriedenheit davon. Auf die andre Art hingegen hat man Jemanden, von dem man entschuldigt wird, oder der das Schlimme tragen hilft. Weder das Geschick noch der große Haufe wagen sich so leicht an zwei; deshalb auch der schlaue Arzt, wenn er die Kur verfehlt hat, doch nicht verfehlt sich einen andern zu suchen, der, unter dem Namen einer Konsultation, ihm hilft, den Sarg hinauszuschaffen. Man theile mit einem Gefährten Bürden und Betrübnisse: denn dem, der allein steht, fällt das Unglück doppelt unerträglich.
Ihre freche Schlauheit, Freund, ist beeindruckend. Sich, wenn alles zu spät ist, das Siechen eingesetzt hat, sich als verantwortliche Ärztin oder verantwortlicher Arzt Beistand zu suchen, um den Sarg zur kalten Grube zu tragen, hat etwas, mit Verlaub, pragmatisch-defätistisches. Ihnen geht's nicht oder kaum um die Anderen. Ihnen geht's bei allen Angelegenheiten vor allen Dingen um die eigene Reputation. Die Welt existiert für Sie und Ihresgleichen als Spiel- und Leichenfeld, nicht als öffentlich zugängliche Obstwiese oder Getreidefeld, das wir ordentlich beackern müssen, um für die Allgemeinheit eine gute Ernte einzufahren. Denke ich an die Erde, stelle ich mir eine Allmende vor. Gemeinsam gehört uns das Land, gemeinsam bestellen wir's, teilen die Erträge, kümmern uns wohlgefällig um alles, was kreucht und fleucht, wächst und gedieht, stellen uns nicht über andere, sondern sind Teil eines Großen und Ganzen. Ich sehe, wie Sie zusammenfahren - klingt das, Freund, etwa wie die Religion, der Sie sich nominell verschrieben haben? Das tut mir leid. Ich wollte Sie nicht mit Ihren eigenen abstrakten Idealen erschrecken.
Wer nur die ungemütliche Last abwälzen will, um selbst komfortabler ans Ziel zu kommen, leidet an einer Sinnesart, die im Kapitalismus weit verbreitet ist: Eigennutz. Dass die Rechnung für solch üble Selbstsucht die Geringschätzung durch die Guten ist, macht solange nichts aus, bis die Ichfixierten lebensnotwendige Hilfe brauchen. Ob Beistand kommt, hängt dann allein vom unverdienten Mitleid ab. Jede Barmherzigkeit, ausnahmslos, hat allerdings ihren ideologischen Preis, den Vernünftigte zu hoch finden.
Güte und Altruismus machen nicht nur glücklicher, sondern zahlen sich auch in Zeiten der Not aus; jedenfalls in einer solidarischen Gesellschaft.
Gemeinsam Feindinnen und Feinde abzuwehren, schweißt zwar für einen Augenblick zusammen, garantiert aber keine langfristige Freundschaft.
18. Oktober
Man suche sich Jemanden, der das Unglück tragen hilft. So wird man nie, zumal nicht bei Gefahren, allein seyn, und nicht den ganzen Haß auf sich laden. Einige vermeinen, die ganze Ehre der obern Leitung allein davon zu tragen, und tragen nachher die ganze öffentliche Unzufriedenheit davon. Auf die andre Art hingegen hat man Jemanden, von dem man entschuldigt wird, oder der das Schlimme tragen hilft. Weder das Geschick noch der große Haufe wagen sich so leicht an zwei; deshalb auch der schlaue Arzt, wenn er die Kur verfehlt hat, doch nicht verfehlt sich einen andern zu suchen, der, unter dem Namen einer Konsultation, ihm hilft, den Sarg hinauszuschaffen. Man theile mit einem Gefährten Bürden und Betrübnisse: denn dem, der allein steht, fällt das Unglück doppelt unerträglich.
Ihre freche Schlauheit, Freund, ist beeindruckend. Sich, wenn alles zu spät ist, das Siechen eingesetzt hat, sich als verantwortliche Ärztin oder verantwortlicher Arzt Beistand zu suchen, um den Sarg zur kalten Grube zu tragen, hat etwas, mit Verlaub, pragmatisch-defätistisches. Ihnen geht's nicht oder kaum um die Anderen. Ihnen geht's bei allen Angelegenheiten vor allen Dingen um die eigene Reputation. Die Welt existiert für Sie und Ihresgleichen als Spiel- und Leichenfeld, nicht als öffentlich zugängliche Obstwiese oder Getreidefeld, das wir ordentlich beackern müssen, um für die Allgemeinheit eine gute Ernte einzufahren. Denke ich an die Erde, stelle ich mir eine Allmende vor. Gemeinsam gehört uns das Land, gemeinsam bestellen wir's, teilen die Erträge, kümmern uns wohlgefällig um alles, was kreucht und fleucht, wächst und gedieht, stellen uns nicht über andere, sondern sind Teil eines Großen und Ganzen. Ich sehe, wie Sie zusammenfahren - klingt das, Freund, etwa wie die Religion, der Sie sich nominell verschrieben haben? Das tut mir leid. Ich wollte Sie nicht mit Ihren eigenen abstrakten Idealen erschrecken.
Wer nur die ungemütliche Last abwälzen will, um selbst komfortabler ans Ziel zu kommen, leidet an einer Sinnesart, die im Kapitalismus weit verbreitet ist: Eigennutz. Dass die Rechnung für solch üble Selbstsucht die Geringschätzung durch die Guten ist, macht solange nichts aus, bis die Ichfixierten lebensnotwendige Hilfe brauchen. Ob Beistand kommt, hängt dann allein vom unverdienten Mitleid ab. Jede Barmherzigkeit, ausnahmslos, hat allerdings ihren ideologischen Preis, den Vernünftigte zu hoch finden.
Güte und Altruismus machen nicht nur glücklicher, sondern zahlen sich auch in Zeiten der Not aus; jedenfalls in einer solidarischen Gesellschaft.
Gemeinsam Feindinnen und Feinde abzuwehren, schweißt zwar für einen Augenblick zusammen, garantiert aber keine langfristige Freundschaft.
18. Oktober
259.
Den Beleidigungen zuvorkommen und sie in Artigkeiten verwandeln: es ist schlauer sie zu vermeiden, als sie zu rächen. Eine ungemeine Geschicklichkeit ist es, einen Vertrauten aus dem zu machen, der ein Nebenbuler werden sollte, oder Schutzwehren seiner Ehre aus denen, welche Angriffe auf dieselbe drohten. Viel thut hiezu, daß man Verbindlichkeiten zu erzeigen wisse: denn schon die Zeit zu Beleidigungen nimmt der weg, welcher veranlaßt, daß Danksagungen sie ausfüllen. Das heißt zu leben wissen, wenn man das, was Verdruß werden sollte, zu Annehmlichkeiten umschafft. Aus dem Mißwollen selbst mache man einen vertraulichen Umgang.
Aber wie, Freund? Mal ganz ehrlich: wie stellen Sie sich das vor, wenn wir artig sind, die anderen aber, euphemistisch formuliert, unartig? Wenn die anderen uns, auf Teufel komm raus, die Kehle durchschneiden wollen? Loben wir dann die Schärfe der Solinger Klinge? Erzählen wir ihnen davon, wie gerne wir, in Kindheitstagen, Soldatin oder Soldat gespielt haben, reihenweise Plastikgestalten plattgemacht haben? In ihrer Mordlust also unsere eigenen, atavistischen, längst überkommenen Neigungen erkennen? Sicher, es gibt Momente, wo wir ein garnendes Netz auswerfen und den Schmusekurs einschlagen können - sogar sollten. Aber es gibt eben auch schreckliche Gelegenheiten, wo wir unseren Gegnerinnen und unseren Gegnern furchtlos gegenüberzutreten haben, um das Recht, die Demokratie, das Glück zu verteidigen. Tyranninen und Tyrannen, wir haben schon darüber gesprochen, Freund, taugen nicht als Vertraute. Wir sind gut beraten, in keine Falle zu stolpern, uns nicht naiverweise mit dem Bösen gemein zu machen, um weder korrumpiert zu werden noch uns in die Gruppe der Erpressbaren einzureihen.
Jede Beleidigung hat etwas klärendes: wir wissen, woran wir sind.
Wer die Façon verliert, während sie oder er sich für eine gute Sache einsetzt, gewinnt nicht selten zugleich an Statur.
Zu schmusen, sei Privatsache.
Ein Gewitter klärt den Himmel.
19. Oktober
Den Beleidigungen zuvorkommen und sie in Artigkeiten verwandeln: es ist schlauer sie zu vermeiden, als sie zu rächen. Eine ungemeine Geschicklichkeit ist es, einen Vertrauten aus dem zu machen, der ein Nebenbuler werden sollte, oder Schutzwehren seiner Ehre aus denen, welche Angriffe auf dieselbe drohten. Viel thut hiezu, daß man Verbindlichkeiten zu erzeigen wisse: denn schon die Zeit zu Beleidigungen nimmt der weg, welcher veranlaßt, daß Danksagungen sie ausfüllen. Das heißt zu leben wissen, wenn man das, was Verdruß werden sollte, zu Annehmlichkeiten umschafft. Aus dem Mißwollen selbst mache man einen vertraulichen Umgang.
Aber wie, Freund? Mal ganz ehrlich: wie stellen Sie sich das vor, wenn wir artig sind, die anderen aber, euphemistisch formuliert, unartig? Wenn die anderen uns, auf Teufel komm raus, die Kehle durchschneiden wollen? Loben wir dann die Schärfe der Solinger Klinge? Erzählen wir ihnen davon, wie gerne wir, in Kindheitstagen, Soldatin oder Soldat gespielt haben, reihenweise Plastikgestalten plattgemacht haben? In ihrer Mordlust also unsere eigenen, atavistischen, längst überkommenen Neigungen erkennen? Sicher, es gibt Momente, wo wir ein garnendes Netz auswerfen und den Schmusekurs einschlagen können - sogar sollten. Aber es gibt eben auch schreckliche Gelegenheiten, wo wir unseren Gegnerinnen und unseren Gegnern furchtlos gegenüberzutreten haben, um das Recht, die Demokratie, das Glück zu verteidigen. Tyranninen und Tyrannen, wir haben schon darüber gesprochen, Freund, taugen nicht als Vertraute. Wir sind gut beraten, in keine Falle zu stolpern, uns nicht naiverweise mit dem Bösen gemein zu machen, um weder korrumpiert zu werden noch uns in die Gruppe der Erpressbaren einzureihen.
Jede Beleidigung hat etwas klärendes: wir wissen, woran wir sind.
Wer die Façon verliert, während sie oder er sich für eine gute Sache einsetzt, gewinnt nicht selten zugleich an Statur.
Zu schmusen, sei Privatsache.
Ein Gewitter klärt den Himmel.
19. Oktober
260.
Keinem werden wir, und Keiner uns, ganz angehören: dazu ist weder Verwandtschaft, noch Freundschaft, noch die dringendeste Verbindlichkeit hinreichend. Denn sein ganzes Zutrauen, oder seine Neigung schenken, sind zwei weit verschiedene Dinge. Auch die engste Verbindung läßt immer noch Ausnahmen zu, ohne daß deshalb die Gesetze der Freundschaft verletzt wären. Immer behält sich der Freund irgend ein Geheimniß vor, und in irgend etwas verbirgt sogar der Sohn sich vor dem Vater. Gewisse Dinge verhehlt man dem Einen und theilt sie dem Andern mit, und wieder umgekehrt: wodurch man dahin gelangt, daß man Alles mittheilt und Alles zurückbehält, nur stets mit Unterschied der entsprechenden Personen.
Bezeichnend, Freund, dass Sie einen Begriff vorsichtshalber erst gar nicht in den Mund nehmen - Liebe. Denn wohl ist's wahr, dass wir, gewissermaßen, eine Art von Schweigegelübde abgelegt haben, was wir jener sofort, jenem aber niemals ins Gesicht sagen würden. Und meistens fahren wir recht gut damit, aus unserem Herzen eine Mördergrube zu machen. Denn wer allen alles sagt, sagt, in der Meinung der Leute, bald nichts Nachhaltiges mehr, verliert rasch an Wertschätzung, selbst wenn nur kluge Dinge den Mund verlassen. Unsere Geduld mit notorischen Selbstdarstellerinnen und habituellen Aufschneidern ist berechtigterweise begrenzt. Schließlich gibt's einen bereichernden Gedankenaustausch nur, wenn sowohl beide reden als auch beide zuhören. Wer immer Flut sein will, aber niemals Ebbe, zerstört, auf Dauer, die Auffangbecken der Geduld und der Nachsicht. Mit einer großen Ausnahme, um noch mal auf die Liebe zurückzukommen.
Ein Zeichen der Liebe - oder soll ich eher von romantischer Obsession sprechen? - ist, dass wir von der anderen oder vom anderen nicht genug bekommen können. Ist unser Appetit nach kürzester Zeit dagegen gestillt, ist die Liebe zur Gewohnheit geworden, die es sich, im besten Falle, behaglich macht, aber keine Funken mehr sprüht.
Geheimnisse sind das A und O des Ichs. Selbst in der größten Liebe hilft ein Safe, in dem wir unser Selbst bewahren, denn ist sie vorbei, was, im Normalfall, nicht ausgeschlossen werden kann, häufig genug spielt hier der Tod eine unrühmliche Rolle, gelingt die Besinnung auf sich selbst besser, wenn man weiß, wer man an sich, ganz eigentlich ist.
Wer in sich ruht, bewegt andere.
20. Oktober
Keinem werden wir, und Keiner uns, ganz angehören: dazu ist weder Verwandtschaft, noch Freundschaft, noch die dringendeste Verbindlichkeit hinreichend. Denn sein ganzes Zutrauen, oder seine Neigung schenken, sind zwei weit verschiedene Dinge. Auch die engste Verbindung läßt immer noch Ausnahmen zu, ohne daß deshalb die Gesetze der Freundschaft verletzt wären. Immer behält sich der Freund irgend ein Geheimniß vor, und in irgend etwas verbirgt sogar der Sohn sich vor dem Vater. Gewisse Dinge verhehlt man dem Einen und theilt sie dem Andern mit, und wieder umgekehrt: wodurch man dahin gelangt, daß man Alles mittheilt und Alles zurückbehält, nur stets mit Unterschied der entsprechenden Personen.
Bezeichnend, Freund, dass Sie einen Begriff vorsichtshalber erst gar nicht in den Mund nehmen - Liebe. Denn wohl ist's wahr, dass wir, gewissermaßen, eine Art von Schweigegelübde abgelegt haben, was wir jener sofort, jenem aber niemals ins Gesicht sagen würden. Und meistens fahren wir recht gut damit, aus unserem Herzen eine Mördergrube zu machen. Denn wer allen alles sagt, sagt, in der Meinung der Leute, bald nichts Nachhaltiges mehr, verliert rasch an Wertschätzung, selbst wenn nur kluge Dinge den Mund verlassen. Unsere Geduld mit notorischen Selbstdarstellerinnen und habituellen Aufschneidern ist berechtigterweise begrenzt. Schließlich gibt's einen bereichernden Gedankenaustausch nur, wenn sowohl beide reden als auch beide zuhören. Wer immer Flut sein will, aber niemals Ebbe, zerstört, auf Dauer, die Auffangbecken der Geduld und der Nachsicht. Mit einer großen Ausnahme, um noch mal auf die Liebe zurückzukommen.
Ein Zeichen der Liebe - oder soll ich eher von romantischer Obsession sprechen? - ist, dass wir von der anderen oder vom anderen nicht genug bekommen können. Ist unser Appetit nach kürzester Zeit dagegen gestillt, ist die Liebe zur Gewohnheit geworden, die es sich, im besten Falle, behaglich macht, aber keine Funken mehr sprüht.
Geheimnisse sind das A und O des Ichs. Selbst in der größten Liebe hilft ein Safe, in dem wir unser Selbst bewahren, denn ist sie vorbei, was, im Normalfall, nicht ausgeschlossen werden kann, häufig genug spielt hier der Tod eine unrühmliche Rolle, gelingt die Besinnung auf sich selbst besser, wenn man weiß, wer man an sich, ganz eigentlich ist.
Wer in sich ruht, bewegt andere.
20. Oktober
261.
Nicht seine Thorheit fortsetzen. Manche machen aus einem mißlungenen Unternehmen eine Verpflichtung, und weil sie einen Irrweg eingeschlagen haben, meynen sie, es sei Karakterstärke darauf weiter zu gehn. Innerlich klagen sie ihren Irrthum an, aber äußerlich entschuldigen sie ihn. Dadurch geschieht es, daß wenn sie beim Beginn der Thorheit als unüberlegt getadelt wurden, sie beim Verfolgen derselben als Narren bestätigt werden. Weder das unüberlegte Versprechen, noch der irrige Entschluß legen Verbindlichkeit auf. Allein auf jene Weise setzen Einige ihre erste Tölpelei fort und wollen beharrliche Queerköpfe seyn.
Wunderbar, Freund, sehr treffend beobachtet. Sich zu verrennen, sei eine üble Sache, dann aber auf dem Irrweg weiterzuschreiten, noch übler, wenn auch nicht unüblich. Gerade wenn's am Anfang Rosen regnet.
Wem zu Beginn das Glück bei einem unsinnigen Unternehmen hold ist, braucht viel mehr Kraft, um umzukehren, als jemand, der gleich in die selbst geschaufelte Falle stolpert. Schlechter Erfolg hat niemals, jedenfalls nicht auf Dauer, gute Konsequenzen.
Niemand sei vor Dummheit gefeit. Bei den Klügsten nimmt sie die Form eines starrsinnigen Denkgebäudes an. Manche Philosophie entpuppt sich, bei nährem Hinsehen, als der reine Wahnsinn.
Sich selbst zum Besseren zu wenden oder den Dusel zu haben, von anderen korrigiert zu werden, gehört zum Erkenntnisprozess unbedingt dazu. Heureka-Momente sind nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Wissen und Einsicht kommen viel häufiger durchs schmutzige Scheitern als durch die lupenreine Bestätigung.
21. Oktober
Nicht seine Thorheit fortsetzen. Manche machen aus einem mißlungenen Unternehmen eine Verpflichtung, und weil sie einen Irrweg eingeschlagen haben, meynen sie, es sei Karakterstärke darauf weiter zu gehn. Innerlich klagen sie ihren Irrthum an, aber äußerlich entschuldigen sie ihn. Dadurch geschieht es, daß wenn sie beim Beginn der Thorheit als unüberlegt getadelt wurden, sie beim Verfolgen derselben als Narren bestätigt werden. Weder das unüberlegte Versprechen, noch der irrige Entschluß legen Verbindlichkeit auf. Allein auf jene Weise setzen Einige ihre erste Tölpelei fort und wollen beharrliche Queerköpfe seyn.
Wunderbar, Freund, sehr treffend beobachtet. Sich zu verrennen, sei eine üble Sache, dann aber auf dem Irrweg weiterzuschreiten, noch übler, wenn auch nicht unüblich. Gerade wenn's am Anfang Rosen regnet.
Wem zu Beginn das Glück bei einem unsinnigen Unternehmen hold ist, braucht viel mehr Kraft, um umzukehren, als jemand, der gleich in die selbst geschaufelte Falle stolpert. Schlechter Erfolg hat niemals, jedenfalls nicht auf Dauer, gute Konsequenzen.
Niemand sei vor Dummheit gefeit. Bei den Klügsten nimmt sie die Form eines starrsinnigen Denkgebäudes an. Manche Philosophie entpuppt sich, bei nährem Hinsehen, als der reine Wahnsinn.
Sich selbst zum Besseren zu wenden oder den Dusel zu haben, von anderen korrigiert zu werden, gehört zum Erkenntnisprozess unbedingt dazu. Heureka-Momente sind nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Wissen und Einsicht kommen viel häufiger durchs schmutzige Scheitern als durch die lupenreine Bestätigung.
21. Oktober
262.
Vergessen können: es ist mehr ein Glück, als eine Kunst. Der Dinge, welche am meisten für's Vergessen geeignet sind, erinnern wir uns am besten. Das Gedächtniß ist nicht allein widerspänstig, indem es uns verläßt, wann wir es am meisten brauchen, sondern auch thöricht, indem es herangelaufen kommt, wann es sich gar nicht paßt. In Allem, was uns Pein verursacht, ist es ausführlich, aber in dem, was uns ergötzen könnte, nachlässig. Oft besteht das einzige Heilmittel unsrer Schmerzen im Vergessen; aber wir vergessen das Heilmittel. Man muß jedoch seinem Gedächtniß bequeme Gewohnheiten beibringen: denn es reicht hin, Seeligkeit oder Hölle zu schaffen. Auszunehmen sind hier die Zufriedenen, welche im Stande ihrer Unschuld ihre einfältige Glückseligkeit genießen.
Eine schöne Liste an Lebensweisheiten, Freund, die Sie uns hier kredenzen. Angefügt werden könnte, dass es Techniken gibt, die das Gedächtnis stärken, so dass wir uns leichter an allerlei Sachen erinnern können. Wobei ich sagen muss, dass es mir manchmal so vorkommt, als machte erst das Vergessen - nicht die Vergesslichkeit - den Menschen aus. Die Möglichkeit, mit etwas abzuschließen, das uns die Zeit stiehlt, obwohl es keine nachhaltige Bedeutung für uns hat, ist sicherlich ein Pluspunkt des Moments, wenn uns Dinge entfallen, ins Bodenlose des Vergessens stürzen. Ein Manko, das mich regelmäßig erschüttert, ist dagegen das Bewusstsein, wie viele wichtige Dinge ich bereits vergessen habe und noch vergessen werde. Erstaunlich finde ich auch, dass meine Liebsten allerlei Erinnerungen an Vorkommnisse pflegen, die sich, meiner Meinung nach, entweder gar nicht oder doch wenigstens keinesfall so ereignet haben.
Und eins noch, Freund, zum letzten Punkt Ihres Textes, dessen Nebenbei-Hochnäsigkeit im krassen Gegensatz zum Rest steht: Bertrand Russel, den ich, Sie dürften sich erinnern, ja bereits mehrmals als Gewährsmann angerufen habe, schreibt, dass wir nicht das Glück derer beneiden sollten, die in einem Narrenparadies lebten, denn nur ein Narr könnte das für Glück halten.
Das gemeinsame Erinnern ist dem solipsistischen Archivieren vorzuziehen.
Ohne Gedächtnis kein Mensch.
Wer alles vergessen will, sollte sich das Leben nehmen.
22. Oktober
Vergessen können: es ist mehr ein Glück, als eine Kunst. Der Dinge, welche am meisten für's Vergessen geeignet sind, erinnern wir uns am besten. Das Gedächtniß ist nicht allein widerspänstig, indem es uns verläßt, wann wir es am meisten brauchen, sondern auch thöricht, indem es herangelaufen kommt, wann es sich gar nicht paßt. In Allem, was uns Pein verursacht, ist es ausführlich, aber in dem, was uns ergötzen könnte, nachlässig. Oft besteht das einzige Heilmittel unsrer Schmerzen im Vergessen; aber wir vergessen das Heilmittel. Man muß jedoch seinem Gedächtniß bequeme Gewohnheiten beibringen: denn es reicht hin, Seeligkeit oder Hölle zu schaffen. Auszunehmen sind hier die Zufriedenen, welche im Stande ihrer Unschuld ihre einfältige Glückseligkeit genießen.
Eine schöne Liste an Lebensweisheiten, Freund, die Sie uns hier kredenzen. Angefügt werden könnte, dass es Techniken gibt, die das Gedächtnis stärken, so dass wir uns leichter an allerlei Sachen erinnern können. Wobei ich sagen muss, dass es mir manchmal so vorkommt, als machte erst das Vergessen - nicht die Vergesslichkeit - den Menschen aus. Die Möglichkeit, mit etwas abzuschließen, das uns die Zeit stiehlt, obwohl es keine nachhaltige Bedeutung für uns hat, ist sicherlich ein Pluspunkt des Moments, wenn uns Dinge entfallen, ins Bodenlose des Vergessens stürzen. Ein Manko, das mich regelmäßig erschüttert, ist dagegen das Bewusstsein, wie viele wichtige Dinge ich bereits vergessen habe und noch vergessen werde. Erstaunlich finde ich auch, dass meine Liebsten allerlei Erinnerungen an Vorkommnisse pflegen, die sich, meiner Meinung nach, entweder gar nicht oder doch wenigstens keinesfall so ereignet haben.
Und eins noch, Freund, zum letzten Punkt Ihres Textes, dessen Nebenbei-Hochnäsigkeit im krassen Gegensatz zum Rest steht: Bertrand Russel, den ich, Sie dürften sich erinnern, ja bereits mehrmals als Gewährsmann angerufen habe, schreibt, dass wir nicht das Glück derer beneiden sollten, die in einem Narrenparadies lebten, denn nur ein Narr könnte das für Glück halten.
Das gemeinsame Erinnern ist dem solipsistischen Archivieren vorzuziehen.
Ohne Gedächtnis kein Mensch.
Wer alles vergessen will, sollte sich das Leben nehmen.
22. Oktober
263.
Manche Dinge muß man nicht eigentümlich besitzen. Man genießt solche besser als fremde, denn als eigene: ihr Gutes ist den ersten Tag für den Besitzer, alle folgenden für die Andern. Fremde Sachen genießt man doppelt, nämlich ohne die Sorge wegen der Beschädigung, und dann mit dem Reiz der Neuheit. Alles schmeckt besser nach dem Entbehren: sogar das fremde Wasser scheint Nektar. Der Besitz der Dinge vermindert nicht nur unsern Genuß, sondern er vermehrt auch unsern Verdruß, sowohl beim Ausleihen, als beim Nichtausleihen: man hat nichts davon, als daß man die Sachen für Andre unterhält, wobei man sich mehr Feinde macht, als Erkenntliche.
Die logische Konsequenz, Freund, aus Ihrer Einsicht, dass Nicht-Besitz theoretisch glücklicher macht als Eigentum, tischen Sie uns leider nicht auf: dass wir nämlich an sich alles zusammen besitzen könnten. In Ihrer wie in meiner Zeit ist eh das schnöde Gegenteil der Fall: eine extrem kleine Gruppe hat sich beinahe alles angeeignet, hat unvorstellbare Vermögen angehäuft. Leider liegen Sie auch falsch mit Ihrer unangesprochenen Hoffnung, dass, wie's so schön vieldeutig im Deutschen heißt, Eigentum verpflicht. Hab und Gut wecken vielmehr in den meisten Menschen zuverlässig Gier und Geiz. Dass sich die Besitzenden ums Allgemeinwohl kümmern, ist und bleibt weiterhin die noble Ausnahme. Dem ungezähmten Raubtierkapitalismus - ob in einer Republik, Diktatur oder einer konstituionellen Monarchie spielt dabei keine Rolle - sind der Altruismus, die großzügige Teilhabe, das freiwillige Entrichten der Steuern zum Wohle der Allgemeinheit ganz und gar fremd.
Den Wohlstand gerecht zu verteilen, sei das oberste Gebot einer Demokratie.
Alles Gute in einer Gesellschaft erwächst aus der, auf Gedeih und Verderb, moralisch, rechtlich und steuerlich garantierten Chancengleichheit. Regiert dagegen der Klassengeist, zementieren sich Leid, Rassismus und ein faschistischer Überlegenheitswahn, der sich in regelmäßigen Blutbädern und Genoziden zeigt.
Besitz, der nicht geteilt wird, beschmutzt die Seele.
Das Gute muss institutionalisiert sein, ansonsten neigt's zur Willkür und zum Despotismus.
23. Oktober
Manche Dinge muß man nicht eigentümlich besitzen. Man genießt solche besser als fremde, denn als eigene: ihr Gutes ist den ersten Tag für den Besitzer, alle folgenden für die Andern. Fremde Sachen genießt man doppelt, nämlich ohne die Sorge wegen der Beschädigung, und dann mit dem Reiz der Neuheit. Alles schmeckt besser nach dem Entbehren: sogar das fremde Wasser scheint Nektar. Der Besitz der Dinge vermindert nicht nur unsern Genuß, sondern er vermehrt auch unsern Verdruß, sowohl beim Ausleihen, als beim Nichtausleihen: man hat nichts davon, als daß man die Sachen für Andre unterhält, wobei man sich mehr Feinde macht, als Erkenntliche.
Die logische Konsequenz, Freund, aus Ihrer Einsicht, dass Nicht-Besitz theoretisch glücklicher macht als Eigentum, tischen Sie uns leider nicht auf: dass wir nämlich an sich alles zusammen besitzen könnten. In Ihrer wie in meiner Zeit ist eh das schnöde Gegenteil der Fall: eine extrem kleine Gruppe hat sich beinahe alles angeeignet, hat unvorstellbare Vermögen angehäuft. Leider liegen Sie auch falsch mit Ihrer unangesprochenen Hoffnung, dass, wie's so schön vieldeutig im Deutschen heißt, Eigentum verpflicht. Hab und Gut wecken vielmehr in den meisten Menschen zuverlässig Gier und Geiz. Dass sich die Besitzenden ums Allgemeinwohl kümmern, ist und bleibt weiterhin die noble Ausnahme. Dem ungezähmten Raubtierkapitalismus - ob in einer Republik, Diktatur oder einer konstituionellen Monarchie spielt dabei keine Rolle - sind der Altruismus, die großzügige Teilhabe, das freiwillige Entrichten der Steuern zum Wohle der Allgemeinheit ganz und gar fremd.
Den Wohlstand gerecht zu verteilen, sei das oberste Gebot einer Demokratie.
Alles Gute in einer Gesellschaft erwächst aus der, auf Gedeih und Verderb, moralisch, rechtlich und steuerlich garantierten Chancengleichheit. Regiert dagegen der Klassengeist, zementieren sich Leid, Rassismus und ein faschistischer Überlegenheitswahn, der sich in regelmäßigen Blutbädern und Genoziden zeigt.
Besitz, der nicht geteilt wird, beschmutzt die Seele.
Das Gute muss institutionalisiert sein, ansonsten neigt's zur Willkür und zum Despotismus.
23. Oktober
264.
Keine Tage der Nachlässigkeit haben. Das Schicksal gefällt sich darin, uns einen Possen zu spielen, und wird alle Zufälle zu Haufen bringen, um uns unversehens zu fangen. Stets zur Probe bereit muß der Kopf, die Klugheit und die Tapferkeit seyn, sogar auch die Schönheit: denn der Tag ihres sorglosen Vertrauens wird der Sturz ihres Ansehns seyn. Wann die Aufmerksamkeit am nötigsten ist, fehlt sie jedes Mal: denn das nicht Denken ist das Beinstellen zu unserm Verderben. Zudem pflegt es eine Kriegslist feindlicher Absichtlichkeit zu seyn, daß sie die Vollkommenheiten, wann sie unbesorgt sind, zur strengen Prüfung ihres Werthes zieht. Die Tage der Parade kennt man schon, daher läßt die List sie vorübergehn: aber den Tag, wo man es am wenigsten erwartete, wählt sie aus, um den Werth auf die Probe zu stellen.
Großartig, Freund, dieses rühmliche, unvergessliche Bild, das der Translator aus Ihrem Original destilliert hat: das Nichtdenken sei das Beinstellen zu unserem Verderben. Überaus gefällt mir auch, dass wir uns sehr wohl abseits der Festtage zu bewähren haben. Ich denke, dass Schönwettermoralistinnen und Eitelsonnenscheintugendbolde blamable Gestalten sind. Stets anständig zu handeln, damit uns nichts, en passant, angekreidet werden kann, sei das große Ziel. Bei einem solchen Unterfangen helfen Wahrheit und Fakten. Bleiben wir uns treu, dürfen wir sowohl träumen als auch, was Sie nicht erwähnen, Fehler machen. Denn die Guten sind und bleiben, selbstvertändlich, tadelnswert.
Wer keine Fehler erlaubt, ist nicht weise, sondern närrisch und pedantisch.
Nur auf der Hut zu sein, zerstört die Menschlichkeit.
Den Ehrlichen verzeiht man ihre Fehler, jedenfalls wenn man selbst aufrichtig ist. Ob die Unehrlichen die Schwächen anderer Unredlicher vergeben, steht auf einem anderen Blatt.
Sich gehen zu lassen, bleibt Teil des Lebensweges.
24. Oktober
Keine Tage der Nachlässigkeit haben. Das Schicksal gefällt sich darin, uns einen Possen zu spielen, und wird alle Zufälle zu Haufen bringen, um uns unversehens zu fangen. Stets zur Probe bereit muß der Kopf, die Klugheit und die Tapferkeit seyn, sogar auch die Schönheit: denn der Tag ihres sorglosen Vertrauens wird der Sturz ihres Ansehns seyn. Wann die Aufmerksamkeit am nötigsten ist, fehlt sie jedes Mal: denn das nicht Denken ist das Beinstellen zu unserm Verderben. Zudem pflegt es eine Kriegslist feindlicher Absichtlichkeit zu seyn, daß sie die Vollkommenheiten, wann sie unbesorgt sind, zur strengen Prüfung ihres Werthes zieht. Die Tage der Parade kennt man schon, daher läßt die List sie vorübergehn: aber den Tag, wo man es am wenigsten erwartete, wählt sie aus, um den Werth auf die Probe zu stellen.
Großartig, Freund, dieses rühmliche, unvergessliche Bild, das der Translator aus Ihrem Original destilliert hat: das Nichtdenken sei das Beinstellen zu unserem Verderben. Überaus gefällt mir auch, dass wir uns sehr wohl abseits der Festtage zu bewähren haben. Ich denke, dass Schönwettermoralistinnen und Eitelsonnenscheintugendbolde blamable Gestalten sind. Stets anständig zu handeln, damit uns nichts, en passant, angekreidet werden kann, sei das große Ziel. Bei einem solchen Unterfangen helfen Wahrheit und Fakten. Bleiben wir uns treu, dürfen wir sowohl träumen als auch, was Sie nicht erwähnen, Fehler machen. Denn die Guten sind und bleiben, selbstvertändlich, tadelnswert.
Wer keine Fehler erlaubt, ist nicht weise, sondern närrisch und pedantisch.
Nur auf der Hut zu sein, zerstört die Menschlichkeit.
Den Ehrlichen verzeiht man ihre Fehler, jedenfalls wenn man selbst aufrichtig ist. Ob die Unehrlichen die Schwächen anderer Unredlicher vergeben, steht auf einem anderen Blatt.
Sich gehen zu lassen, bleibt Teil des Lebensweges.
24. Oktober
265.
Seine Untergebenen in die Notwendigkeit des Handelns zu versetzen verstehn. Eine durch die Umstände herbeigeführte Notwendigkeit zu handeln hat Manche mit Einem Male zu ganzen Leuten gemacht, wie die Gefahr zu ertrinken Schwimmer. Auf diese Weise haben Viele ihre eigene Tapferkeit, ja sogar ihre Kenntniß und Einsicht entdeckt, welche, ohne solchen Anlaß, unter ihrem Kleinmuth begraben geblieben wäre. Die Gefahren sind die Gelegenheit sich einen Namen zu gründen, und sieht ein Edler seine Ehre auf dem Spiel, wird er für Tausend wirksam seyn. Obige Lebensregel verstand, wie auch alle übrigen, aus dem Grunde die Königin Isabella die Katholische, und einer klugen Begünstigung dieser Art von ihr verdankt der Große Feldherr seinen Ruf, und viele Andre ihren unsterblichen Ruhm. Durch diese Feinheit hat sie große Männer gemacht.
Nein, natürlich glauben Sie nicht, Freund, nach all den Briefen, dass ich, auch nur ansatzweise, mit Ihnen hier d'accord gehe. Tapferkeit, die sich auf dem Schlachtfeld bewährt, dient leider sehr selten einem guten Grund. Kämpfe, die für den Frieden geführt werden, sind eben die Ausnahme. In aller Regel werden Schlachten geschlagen, um andere zu unterjochen, um sich Geld und Land unrechtmäßig anzueignen. Eine solche Standhaftigkeit mag loben, wem die Moral von der Geschicht schnurzegal ist. Mir fiele das nicht ein. Und Ihr Vorgesetztengefasel ist mir, ganz ehrlich, ein arges Greuel.
Wagemut zu beweisen, zeigt sich im Friedenswillen, nicht im kampfgewaltigen Jähzorn.
Große Feldherrn sind in Fragen der Humanität oft genug Geisteswichte.
Selbst zu denken, sei schließlich die einzige, die wahre Tapferkeit.
25. Oktober
Seine Untergebenen in die Notwendigkeit des Handelns zu versetzen verstehn. Eine durch die Umstände herbeigeführte Notwendigkeit zu handeln hat Manche mit Einem Male zu ganzen Leuten gemacht, wie die Gefahr zu ertrinken Schwimmer. Auf diese Weise haben Viele ihre eigene Tapferkeit, ja sogar ihre Kenntniß und Einsicht entdeckt, welche, ohne solchen Anlaß, unter ihrem Kleinmuth begraben geblieben wäre. Die Gefahren sind die Gelegenheit sich einen Namen zu gründen, und sieht ein Edler seine Ehre auf dem Spiel, wird er für Tausend wirksam seyn. Obige Lebensregel verstand, wie auch alle übrigen, aus dem Grunde die Königin Isabella die Katholische, und einer klugen Begünstigung dieser Art von ihr verdankt der Große Feldherr seinen Ruf, und viele Andre ihren unsterblichen Ruhm. Durch diese Feinheit hat sie große Männer gemacht.
Nein, natürlich glauben Sie nicht, Freund, nach all den Briefen, dass ich, auch nur ansatzweise, mit Ihnen hier d'accord gehe. Tapferkeit, die sich auf dem Schlachtfeld bewährt, dient leider sehr selten einem guten Grund. Kämpfe, die für den Frieden geführt werden, sind eben die Ausnahme. In aller Regel werden Schlachten geschlagen, um andere zu unterjochen, um sich Geld und Land unrechtmäßig anzueignen. Eine solche Standhaftigkeit mag loben, wem die Moral von der Geschicht schnurzegal ist. Mir fiele das nicht ein. Und Ihr Vorgesetztengefasel ist mir, ganz ehrlich, ein arges Greuel.
Wagemut zu beweisen, zeigt sich im Friedenswillen, nicht im kampfgewaltigen Jähzorn.
Große Feldherrn sind in Fragen der Humanität oft genug Geisteswichte.
Selbst zu denken, sei schließlich die einzige, die wahre Tapferkeit.
25. Oktober
266.
Nicht aus lauter Güte schlecht seyn: der ist es, welcher sich nie erzürnt. Diese unempfindlichen Menschen verdienen kaum, für Leute [ personas] zu gelten. Es entsteht nicht immer aus Trägheit, sondern oft aus Unfähigkeit. Eine Empfindlichkeit, bei gehörigem Anlaß, ist ein Akt der Persönlichkeit: die Vögel machen sich bald über den Strohmann lustig. Das Süße mit dem Sauern abwechseln lassen, beweist einen guten Geschmack. Das Süße ganz allein ist für Kinder und Narren. Es ist sehr übel, wenn man aus lauter Güte in solche Gefühllosigkeit versinkt.
Ein perfekter Rat, Freund. Zumal Leute, die so tun, als gingen sie heiter und ausgeglichen durch die Welt, die so tun, als liebten sie uneingeschränkt und hätten nichts zu kritisieren, die so tun, als hätten sie keinen Änderungsvorschlag zu machen, zumals solche Leute in sich selbst, negativ gesagt, oftmals voller Gülle stecken, die dringend einen Ablass sucht, oder, positiv gesagt, voller interessanter Ideen, wie das Dasein verbessert werden könnte.
Milde pur existiert in Menschen nicht, so wenig wie durchgehendes Tageslicht. Zwar gibt's, während der skandinavischen Mittsommernacht, Momente des ewigen Lichts, die sind aber, glücklicherweise, nicht von Dauer. Zum tiefen, erholsamen Schlaf gehört, auf lange Sicht, die Dunkelheit.
Sanfte Helligkeit schätzt nur, wer die scharfen Schattenseiten kennt.
Zu verführen, heißt, zu richten.
Bin ich zu gutmütig, haben die Schlechtmütigen mit mir leichtes Spiel.
26. Oktober
Nicht aus lauter Güte schlecht seyn: der ist es, welcher sich nie erzürnt. Diese unempfindlichen Menschen verdienen kaum, für Leute [ personas] zu gelten. Es entsteht nicht immer aus Trägheit, sondern oft aus Unfähigkeit. Eine Empfindlichkeit, bei gehörigem Anlaß, ist ein Akt der Persönlichkeit: die Vögel machen sich bald über den Strohmann lustig. Das Süße mit dem Sauern abwechseln lassen, beweist einen guten Geschmack. Das Süße ganz allein ist für Kinder und Narren. Es ist sehr übel, wenn man aus lauter Güte in solche Gefühllosigkeit versinkt.
Ein perfekter Rat, Freund. Zumal Leute, die so tun, als gingen sie heiter und ausgeglichen durch die Welt, die so tun, als liebten sie uneingeschränkt und hätten nichts zu kritisieren, die so tun, als hätten sie keinen Änderungsvorschlag zu machen, zumals solche Leute in sich selbst, negativ gesagt, oftmals voller Gülle stecken, die dringend einen Ablass sucht, oder, positiv gesagt, voller interessanter Ideen, wie das Dasein verbessert werden könnte.
Milde pur existiert in Menschen nicht, so wenig wie durchgehendes Tageslicht. Zwar gibt's, während der skandinavischen Mittsommernacht, Momente des ewigen Lichts, die sind aber, glücklicherweise, nicht von Dauer. Zum tiefen, erholsamen Schlaf gehört, auf lange Sicht, die Dunkelheit.
Sanfte Helligkeit schätzt nur, wer die scharfen Schattenseiten kennt.
Zu verführen, heißt, zu richten.
Bin ich zu gutmütig, haben die Schlechtmütigen mit mir leichtes Spiel.
26. Oktober
267.
Seidene Worte und freundliche Sanftmuth. Pfeile durchbohren den Leib, aber böse Worte die Seele. Ein wohlriechender Teig verursacht einen angenehmen Athem. Es ist eine große Lebensklugheit, es zu verstehn, die Luft zu verkaufen. Das Meiste wird mit Worten bezahlt, und mittelst ihrer kann man Unmöglichkeiten durchsetzen. So treibt man in der Luft Handel mit der Luft; und der königliche Athem vermag Muth und Kraft einzustoßen. Allezeit habe man den Mund voll Zucker, um seine Worte damit zu versüßen, so daß sie selbst dem Feinde wohlschmecken. Um liebenswürdig zu seyn, ist das Hauptmittel friedfertig zu seyn.
Viel Wahres, Freund, was Sie uns hier kredenzen; bis auf den königlichen Odem, dessen Atem mir weder Mut noch Kraft einflösst, sondern nur Repulsion und Republiklust wecken. Davon abgesehen: wer Worte sorgfältig wählt, hat die Hälfte der Überzeugungskunst bereits erlenrt. Was die andere Hälfte sei?, wollen Sie wissen. Das Versprochene auch einzuhalten. Nicht umsonst steckt im Wort Ruf die Tatsache, dass uns unsere Reputation vorauseilt und nachhallt.
Große Worte, die allerlei Hervorragendes auf Gedeih und Verderb zusichern, sich jedoch entweder als schwächliche Kleinigkeit, heiße Luft oder gar als hohles Versprechen herausstellen, fliegen den Aufschneiderinnen und Angebern im Ergebnis gewaltig um die Ohren und stellen sich nicht zu selten als Grabrede heraus.
Wer den gefälligen Worten keine wohltuenden Taten folgen lässt, findet beim nächsten Mal kaum noch Gehör.
Ist die Rede gefordert, rede. Wird nach der Aktion verlangt, rede dennoch zuerst, bevor du, gegebenfalls, zur Tat schreitest.
27. Oktober
Seidene Worte und freundliche Sanftmuth. Pfeile durchbohren den Leib, aber böse Worte die Seele. Ein wohlriechender Teig verursacht einen angenehmen Athem. Es ist eine große Lebensklugheit, es zu verstehn, die Luft zu verkaufen. Das Meiste wird mit Worten bezahlt, und mittelst ihrer kann man Unmöglichkeiten durchsetzen. So treibt man in der Luft Handel mit der Luft; und der königliche Athem vermag Muth und Kraft einzustoßen. Allezeit habe man den Mund voll Zucker, um seine Worte damit zu versüßen, so daß sie selbst dem Feinde wohlschmecken. Um liebenswürdig zu seyn, ist das Hauptmittel friedfertig zu seyn.
Viel Wahres, Freund, was Sie uns hier kredenzen; bis auf den königlichen Odem, dessen Atem mir weder Mut noch Kraft einflösst, sondern nur Repulsion und Republiklust wecken. Davon abgesehen: wer Worte sorgfältig wählt, hat die Hälfte der Überzeugungskunst bereits erlenrt. Was die andere Hälfte sei?, wollen Sie wissen. Das Versprochene auch einzuhalten. Nicht umsonst steckt im Wort Ruf die Tatsache, dass uns unsere Reputation vorauseilt und nachhallt.
Große Worte, die allerlei Hervorragendes auf Gedeih und Verderb zusichern, sich jedoch entweder als schwächliche Kleinigkeit, heiße Luft oder gar als hohles Versprechen herausstellen, fliegen den Aufschneiderinnen und Angebern im Ergebnis gewaltig um die Ohren und stellen sich nicht zu selten als Grabrede heraus.
Wer den gefälligen Worten keine wohltuenden Taten folgen lässt, findet beim nächsten Mal kaum noch Gehör.
Ist die Rede gefordert, rede. Wird nach der Aktion verlangt, rede dennoch zuerst, bevor du, gegebenfalls, zur Tat schreitest.
27. Oktober
268.
Der Kluge thue gleich Anfangs, was der Dumme erst am Ende. Der Eine und der Andre thut das selbe; nur in der Zeit liegt der Unterschied: jener thut es zur rechten, dieser zur unrechten. Wer sich einmal von Haus aus den Verstand verkehrt angezogen hat, fährt nun immer so fort!: was er auf den Kopf setzen sollte, trägt er an den Füßen, aus dem Linken macht er das Rechte und ist so ferner in allem seinen Thun linkisch. Nur Eine gute Art auf den rechten Weg zu kommen giebt es für ihn, wann er nämlich gezwungen thut, was er hätte freiwillig thun können. Der Kluge dagegen sieht gleich was früh oder spät geschehn muß: und da führt er es gernwillig und mit Ehren aus.
In der Tat, Freund, haargenau den Tag, akkurat den Moment zu ergreifen, das carpe diem präzise zu erwischen, quasi im Fraglosen punktzulanden, wenn's erforderlich ist, ist ohne Zweifel eine Stärke, der sich kaum jemand rühmen kann. Ich nehme mich defintiv davon aus. Mein Zögern, wenn ich das sagen darf, ist Legende. Was mir nicht nach allerlei Begegnungen alles einfällt! Welch schlaue und witzige Bemerkungen mir anschließend auf der Zunge liegen! Welch Schachzüge ich hätt machen sollen! Leider ist man, wie's so schön heißt, nachher häufig klüger als zuvor. Was, andererseits, ganz ehrlich, auch Vorteile besitzt: wer jeden Schnitt passend setzte, würde niemals das Sichinfragestellen lernen.
Im Devianten wohnt die Menschlichkeit. In der Sucht nach der vermeintlichen Perfektion dagegen hausen Kälte und Diktatur.
Alles gleich zu wissen, heißt, nichts neues hören zu wollen.
Wer auf alles eine Antwort kennt, kennt nicht die Welt.
Es gibt viele Wege zum Glück; die meisten führen über Umwege.
Niemand hat immer Recht. Das zu behaupten, ist der Beginn des Unrechts.
28. Oktober
Der Kluge thue gleich Anfangs, was der Dumme erst am Ende. Der Eine und der Andre thut das selbe; nur in der Zeit liegt der Unterschied: jener thut es zur rechten, dieser zur unrechten. Wer sich einmal von Haus aus den Verstand verkehrt angezogen hat, fährt nun immer so fort!: was er auf den Kopf setzen sollte, trägt er an den Füßen, aus dem Linken macht er das Rechte und ist so ferner in allem seinen Thun linkisch. Nur Eine gute Art auf den rechten Weg zu kommen giebt es für ihn, wann er nämlich gezwungen thut, was er hätte freiwillig thun können. Der Kluge dagegen sieht gleich was früh oder spät geschehn muß: und da führt er es gernwillig und mit Ehren aus.
In der Tat, Freund, haargenau den Tag, akkurat den Moment zu ergreifen, das carpe diem präzise zu erwischen, quasi im Fraglosen punktzulanden, wenn's erforderlich ist, ist ohne Zweifel eine Stärke, der sich kaum jemand rühmen kann. Ich nehme mich defintiv davon aus. Mein Zögern, wenn ich das sagen darf, ist Legende. Was mir nicht nach allerlei Begegnungen alles einfällt! Welch schlaue und witzige Bemerkungen mir anschließend auf der Zunge liegen! Welch Schachzüge ich hätt machen sollen! Leider ist man, wie's so schön heißt, nachher häufig klüger als zuvor. Was, andererseits, ganz ehrlich, auch Vorteile besitzt: wer jeden Schnitt passend setzte, würde niemals das Sichinfragestellen lernen.
Im Devianten wohnt die Menschlichkeit. In der Sucht nach der vermeintlichen Perfektion dagegen hausen Kälte und Diktatur.
Alles gleich zu wissen, heißt, nichts neues hören zu wollen.
Wer auf alles eine Antwort kennt, kennt nicht die Welt.
Es gibt viele Wege zum Glück; die meisten führen über Umwege.
Niemand hat immer Recht. Das zu behaupten, ist der Beginn des Unrechts.
28. Oktober
269.
Sich sein Neuseyn zu Nutze machen: denn so lange Jemand noch neu ist, ist er geschätzt. Das Neue gefällt, der Abwechselung wegen, allgemein, der Geschmack erfrischt sich daran, und eine funkelnagelneue Mittelmäßigkeit wird höher geschätzt, als ein schon gewohntes Vortreffliches. Das Ausgezeichnete nutzt sich ab und wird allmälig alt. Jedoch soll man wissen, daß jene Glorie der Neuheit von kurzer Dauer seyn wird: nach vier Tagen wird die Hochachtung sich schon verlieren. Deshalb verstehe man, sich diese Erstlinge der Wertschätzung zu Nutze zu machen und ergreife auf dieser schnellen Flucht des Beifalls alles, wonach man füglich trachten kann. Denn ist einmal die Hitze der Neuheit vorüber; so kühlt sich die Leidenschaft ab: dann muß die Begünstigung des Neuen gegen den Ueberdruß am Gewöhnlichen vertauscht werden, und man glaube nur, daß Alles eben so seine Zeit gehabt hat, welche vorüberging.
Tough, Freund, wie Sie uns hier die Illusionen rauben, dass wir auf immer "neu" füreinander sein könnten - denn selbstverständlich lässt sich Ihre Einsicht, die doch aufs Geschäftliche zielt, sogleich aufs Private übertragen - im ungünstigen Falle, versteht sich. Zunächst muss ich Ihnen eingestehen, dass auch mich die ewige Gier nach dem Brandaktuellen, die eine urkapitalistische ist, erstaunt. Selten, jedenfalls ist das mein Eindruck, hält die En-vogue-Supernova, was sie frisch-blendend an Wärme und Licht verspricht. In aller Regel verglüht die Neuheit alsbald wie ein armseliges Würmchen, das sich unvorsichtigerweise auf einer heißen Lampe niedergelassen hat.
Moden sind die Partykracher des Verstands: wir halten sie maximal eine Saison aus. Im nächsten Jahr reiben wir uns oft genug die Augen und fragen uns, ob wir den Verstand verloren hatten, solch Unsinn zu frönen, ausgiebig dem Mittelprächtigen Applaus zu spenden und sogar im Chor hipp, hipp, hurra zu rufen.
Andererseits: was wäre die Welt ohne den Versuch? Den Mut, Neues zu denken? Intellektuelle und künstlerische Risiken einzugehen?
Fortschritt lebt vom Scheitern, und in nahezu jeder flachen Sandbank stecken irgendwo doch auch einige verführerische Abgründe. Nicht zu vergessen: mein Geschmack ist kein allgemeingültiger. Was mir missfällt, mag andere auf Dauer glücklich machen.
Wichtig bleibt, am Ende des Tages, die Besonnenheit.
Geht ein Spiel zu Ende, beginnt die Analyse. Wer beim Spielen selbst pausenlos auswertet, verpasst den Spaß.
Jede Süßigkeit hat ihre Zeit; auch die, die (fast) nur aus Zucker besteht.
29. Oktober
Sich sein Neuseyn zu Nutze machen: denn so lange Jemand noch neu ist, ist er geschätzt. Das Neue gefällt, der Abwechselung wegen, allgemein, der Geschmack erfrischt sich daran, und eine funkelnagelneue Mittelmäßigkeit wird höher geschätzt, als ein schon gewohntes Vortreffliches. Das Ausgezeichnete nutzt sich ab und wird allmälig alt. Jedoch soll man wissen, daß jene Glorie der Neuheit von kurzer Dauer seyn wird: nach vier Tagen wird die Hochachtung sich schon verlieren. Deshalb verstehe man, sich diese Erstlinge der Wertschätzung zu Nutze zu machen und ergreife auf dieser schnellen Flucht des Beifalls alles, wonach man füglich trachten kann. Denn ist einmal die Hitze der Neuheit vorüber; so kühlt sich die Leidenschaft ab: dann muß die Begünstigung des Neuen gegen den Ueberdruß am Gewöhnlichen vertauscht werden, und man glaube nur, daß Alles eben so seine Zeit gehabt hat, welche vorüberging.
Tough, Freund, wie Sie uns hier die Illusionen rauben, dass wir auf immer "neu" füreinander sein könnten - denn selbstverständlich lässt sich Ihre Einsicht, die doch aufs Geschäftliche zielt, sogleich aufs Private übertragen - im ungünstigen Falle, versteht sich. Zunächst muss ich Ihnen eingestehen, dass auch mich die ewige Gier nach dem Brandaktuellen, die eine urkapitalistische ist, erstaunt. Selten, jedenfalls ist das mein Eindruck, hält die En-vogue-Supernova, was sie frisch-blendend an Wärme und Licht verspricht. In aller Regel verglüht die Neuheit alsbald wie ein armseliges Würmchen, das sich unvorsichtigerweise auf einer heißen Lampe niedergelassen hat.
Moden sind die Partykracher des Verstands: wir halten sie maximal eine Saison aus. Im nächsten Jahr reiben wir uns oft genug die Augen und fragen uns, ob wir den Verstand verloren hatten, solch Unsinn zu frönen, ausgiebig dem Mittelprächtigen Applaus zu spenden und sogar im Chor hipp, hipp, hurra zu rufen.
Andererseits: was wäre die Welt ohne den Versuch? Den Mut, Neues zu denken? Intellektuelle und künstlerische Risiken einzugehen?
Fortschritt lebt vom Scheitern, und in nahezu jeder flachen Sandbank stecken irgendwo doch auch einige verführerische Abgründe. Nicht zu vergessen: mein Geschmack ist kein allgemeingültiger. Was mir missfällt, mag andere auf Dauer glücklich machen.
Wichtig bleibt, am Ende des Tages, die Besonnenheit.
Geht ein Spiel zu Ende, beginnt die Analyse. Wer beim Spielen selbst pausenlos auswertet, verpasst den Spaß.
Jede Süßigkeit hat ihre Zeit; auch die, die (fast) nur aus Zucker besteht.
29. Oktober