30.
Sich nicht zu Beschäftigungen bekennen, die in schlechtem Ansehen stehen, noch weniger zu Schimären, wodurch man sich eher in Verachtung, als in Ansehen bringt. Es giebt mancherlei grillenhafte Sekten, von welchen allen der kluge Mann sich fern hält. Aber es giebt Leute von wunderlichem Geschmack, welche immer nach dem greifen, was die Weisen verworfen haben, und dann in diesen Seltsamkeiten sich gar sehr gefallen. Dadurch werden sie zwar allgemein bekannt, doch mehr als Gegenstand des Lachens, als des Ruhms. Sogar zur Weisheit wird der umsichtige Mann sich nicht auf eine hervorstechende Weise bekennen, viel weniger zu Dingen, welche ihre Anhänger lächerlich machen. Sie werden hier nicht aufgezählt, weil die allgemeine Verachtung sie genugsam bezeichnet hat.
Sie, Freund, mussten in Ihren Tagen noch mehr auf Konformität achten als ich in meinen. Gewiss, von der Anpassungsgabe ist in diesem Teil des Orakels nicht die Rede - wenigstens nicht auf den ersten Blick. Vielmehr wird der Weisen Vernunft gelobt, das Grillenhafte der Außenseiter verdammt, und es wird uns, was in meinen Ohren arg seltsam klingt, angeraten, die eigene Weisheit lieber umsichtig zu verstecken. Man wollte Ihnen, der Sie andere Meinungen vertreten haben als Ihr Orden, um es salopp auszudrücken, den Mund verbieten. Sie jedoch, Verehrtester, haben sich selbst gegen den hier veröffentlichten Rat des Lieber-Stummseins gestellt und, wenn auch mit einem Pseudonym ausgestattet, gesagt, was gesagt werden musste. Sie konnten - meine Hochachtung dafür! - einfach nicht anders. Ich denke, wir sollten eher Ihre Courage der Meinungsfreiheit, die sich gegen die Zensur stellt, als Vorbild und Vademecum nehmen, anstatt uns mit der halben Weisheit des offiziell erlaubten Flatterhaften, das dem vorherrschenden Winde folgt, abspeisen zu lassen.
Die Unangepassten haben uns mehr zu sagen als die Eingezwängten, die sich stets und akkurat nach der Mode ihrer Zeit kleiden. Fashion, die doch, aus dem Abstand gesehen, häufig arg lächerlich anmutet. Stil - ein anderes Wort für subjektive Wahrheit - liegt in uns und verzichtet auf jedwedes Korsett.
Ohne die Mutigen herrsche die Mutlosigkeit, ohne das Deviante die kleinmütige Eintönigkeit. Und die Fehler, die man uns jetzt mit Inbrunst ankreidet, stellen sich oft genug später als wahrer Fortschritt heraus.
9. Februar
Sich nicht zu Beschäftigungen bekennen, die in schlechtem Ansehen stehen, noch weniger zu Schimären, wodurch man sich eher in Verachtung, als in Ansehen bringt. Es giebt mancherlei grillenhafte Sekten, von welchen allen der kluge Mann sich fern hält. Aber es giebt Leute von wunderlichem Geschmack, welche immer nach dem greifen, was die Weisen verworfen haben, und dann in diesen Seltsamkeiten sich gar sehr gefallen. Dadurch werden sie zwar allgemein bekannt, doch mehr als Gegenstand des Lachens, als des Ruhms. Sogar zur Weisheit wird der umsichtige Mann sich nicht auf eine hervorstechende Weise bekennen, viel weniger zu Dingen, welche ihre Anhänger lächerlich machen. Sie werden hier nicht aufgezählt, weil die allgemeine Verachtung sie genugsam bezeichnet hat.
Sie, Freund, mussten in Ihren Tagen noch mehr auf Konformität achten als ich in meinen. Gewiss, von der Anpassungsgabe ist in diesem Teil des Orakels nicht die Rede - wenigstens nicht auf den ersten Blick. Vielmehr wird der Weisen Vernunft gelobt, das Grillenhafte der Außenseiter verdammt, und es wird uns, was in meinen Ohren arg seltsam klingt, angeraten, die eigene Weisheit lieber umsichtig zu verstecken. Man wollte Ihnen, der Sie andere Meinungen vertreten haben als Ihr Orden, um es salopp auszudrücken, den Mund verbieten. Sie jedoch, Verehrtester, haben sich selbst gegen den hier veröffentlichten Rat des Lieber-Stummseins gestellt und, wenn auch mit einem Pseudonym ausgestattet, gesagt, was gesagt werden musste. Sie konnten - meine Hochachtung dafür! - einfach nicht anders. Ich denke, wir sollten eher Ihre Courage der Meinungsfreiheit, die sich gegen die Zensur stellt, als Vorbild und Vademecum nehmen, anstatt uns mit der halben Weisheit des offiziell erlaubten Flatterhaften, das dem vorherrschenden Winde folgt, abspeisen zu lassen.
Die Unangepassten haben uns mehr zu sagen als die Eingezwängten, die sich stets und akkurat nach der Mode ihrer Zeit kleiden. Fashion, die doch, aus dem Abstand gesehen, häufig arg lächerlich anmutet. Stil - ein anderes Wort für subjektive Wahrheit - liegt in uns und verzichtet auf jedwedes Korsett.
Ohne die Mutigen herrsche die Mutlosigkeit, ohne das Deviante die kleinmütige Eintönigkeit. Und die Fehler, die man uns jetzt mit Inbrunst ankreidet, stellen sich oft genug später als wahrer Fortschritt heraus.
9. Februar
31.
Die Glücklichen und Unglücklichen kennen, um sich zu jenen zu halten und diese zu fliehen. Das Unglück ist meistentheils Strafe der Thorheit, und für die Theilnahme ist keine Krankheit ansteckender. Man darf nie dem kleineren Uebel die Thür öffnen: denn hinter ihm werden sich stets viele andere und größere einschleichen. Die feinste Kunst beim Spiel besteht im richtigen Ekartiren: und die kleinste Karte der Farbe, die jetzt Trumpf ist, ist wichtiger als die größte derjenigen, die es vorher war. Ist man zweifelhaft, so ist das Gescheuteste, sich zu den Klugen und Vorsichtigen zu halten, da diese früh oder spät das Glück einholen.
Nun schwören Sie wieder fleißig und meinungssicher der Barmherzigkeit ab, der Sie sich doch, per Amt, verpflichtet fühlen könnten, um nicht zu sagen: müssten. Übrigens eine Pflicht, um die ich Sie nicht beneide, da dem Bösen Gutes zu tun, ich bin ehrlich, nicht mein größtes Pläsier ist. Wie auch immer: das Glück zieht Sie magisch an wie die Motte das Licht, und in dem abgegriffenen Bild des armen Insekts, das sich tumb die Flügel an der Quelle der Helligkeit verbrennt, steckt wohl auch die von mir vorgebrachte, recht simple Zurechtweisung Ihrer Vorliebe für die Glücklichen. Was machten Sie, fielen die von Ihnen Angehimmelten auf einmal vom Olymp? Winkten Sie ihnen hinterher und wendeten sich gleichmütig den nächsten Obenaufs zu? Oder erinnerten Sie sich der feierlichen Freundschaft, die Sie in besseren Tagen gefühlt, die man Ihnen großzügig entgegengebracht hat? Und wie steht's mit der unvermeidlichen Krankheit, die uns doch alle irgendwann erwischt? Hat man das körperliche und geistige Leid Ihrer Meinung nach verdient, da man in die Gruppe der im Verfall befindlichen Toren abgerutscht ist? Sie erstaunen mich mit Ihrer frappanten Oberflächlichkeit, Freund. Andererseits: wer fühlte sie nicht, die Attraktivität des bezaubernden Glücks, das auf uns golden abstrahlt, der Jugend, die uns heiter den Weg leuchtet? Wer umgäbe sich nicht gerne mit den Gescheitesten, anstatt den Gescheiterten? Mea culpa. Legen wir Hand an uns, sind's wohl die Glücklichen, die wir ins Phantasiebett ziehen und leidenschaftlich küssen wollen. Doch darf man nicht vergessen, dass in jedem Jetzt-Glück sehr wohl das Bald-Unglück wohnt. Niemand - heißt es nicht so treffend? - hat das Glück gepachtet; das Unglück dagegen sei uns allen, über kurz oder lang, als human condition hold.
10. Februar
Die Glücklichen und Unglücklichen kennen, um sich zu jenen zu halten und diese zu fliehen. Das Unglück ist meistentheils Strafe der Thorheit, und für die Theilnahme ist keine Krankheit ansteckender. Man darf nie dem kleineren Uebel die Thür öffnen: denn hinter ihm werden sich stets viele andere und größere einschleichen. Die feinste Kunst beim Spiel besteht im richtigen Ekartiren: und die kleinste Karte der Farbe, die jetzt Trumpf ist, ist wichtiger als die größte derjenigen, die es vorher war. Ist man zweifelhaft, so ist das Gescheuteste, sich zu den Klugen und Vorsichtigen zu halten, da diese früh oder spät das Glück einholen.
Nun schwören Sie wieder fleißig und meinungssicher der Barmherzigkeit ab, der Sie sich doch, per Amt, verpflichtet fühlen könnten, um nicht zu sagen: müssten. Übrigens eine Pflicht, um die ich Sie nicht beneide, da dem Bösen Gutes zu tun, ich bin ehrlich, nicht mein größtes Pläsier ist. Wie auch immer: das Glück zieht Sie magisch an wie die Motte das Licht, und in dem abgegriffenen Bild des armen Insekts, das sich tumb die Flügel an der Quelle der Helligkeit verbrennt, steckt wohl auch die von mir vorgebrachte, recht simple Zurechtweisung Ihrer Vorliebe für die Glücklichen. Was machten Sie, fielen die von Ihnen Angehimmelten auf einmal vom Olymp? Winkten Sie ihnen hinterher und wendeten sich gleichmütig den nächsten Obenaufs zu? Oder erinnerten Sie sich der feierlichen Freundschaft, die Sie in besseren Tagen gefühlt, die man Ihnen großzügig entgegengebracht hat? Und wie steht's mit der unvermeidlichen Krankheit, die uns doch alle irgendwann erwischt? Hat man das körperliche und geistige Leid Ihrer Meinung nach verdient, da man in die Gruppe der im Verfall befindlichen Toren abgerutscht ist? Sie erstaunen mich mit Ihrer frappanten Oberflächlichkeit, Freund. Andererseits: wer fühlte sie nicht, die Attraktivität des bezaubernden Glücks, das auf uns golden abstrahlt, der Jugend, die uns heiter den Weg leuchtet? Wer umgäbe sich nicht gerne mit den Gescheitesten, anstatt den Gescheiterten? Mea culpa. Legen wir Hand an uns, sind's wohl die Glücklichen, die wir ins Phantasiebett ziehen und leidenschaftlich küssen wollen. Doch darf man nicht vergessen, dass in jedem Jetzt-Glück sehr wohl das Bald-Unglück wohnt. Niemand - heißt es nicht so treffend? - hat das Glück gepachtet; das Unglück dagegen sei uns allen, über kurz oder lang, als human condition hold.
10. Februar
32.
Im Rufe der Gefälligkeit stehen. Das Ansehen derer, die am Staatsruder stehn, gewinnt sehr dadurch, daß sie willfährig sind, und die Huld ist eine Eigenschaft der Herrscher, durch welche sie die allgemeine Gunst erlangen. Dies ist ja eben der einzige Vorzug, den die höchste Macht giebt, daß man mehr Gutes thun kann als alle Andern. Freunde sind die, welche Freundschaft erweisen. Dagegen giebt es Andre, welche sich darauf legen, ungefällig zu seyn, nicht so sehr wegen des Beschwerlichen, als aus Tücke: sie sind ganz und gar das Gegentheil der göttlichen Milde.
Sie fräsen, nach einem kurzen, gewitzten Lob des Herrschers, am Gottesgnadentum, Freund. Und wie genau Sie das wagen! Mit einem präzisen Schnitt zerlegen Sie den dreisten Absolutismus und die bedingungslose Gewalt jedweder Hochgeborenheit, die doch stets in sich die Möglichkeit, beinahe die Garantie des Bösen trägt. Allgewalt weckt und befördert zielgerichtet das Mieseste in den meisten von uns, möglicherweise sogar in ausnahmslos allen. Denn wer wüsste, wie er oder sie sich verhielte, hätten wir ungestraft die diktatorischen Zügel in der Hand? Wer gäbe die Garantie, auf immer gut und gerecht zu sein, die eigenen und die Interessen seiner oder ihrer Liebsten gewissenhaft und unabänderlich hintenanzustellen? Wer gehorchte, angesichts des reich gefüllten Tresors, allein der humanistischen und liberalen Staatsräson? Lugte nicht gen Schatulle und griffe, ab und an, beherzt zu? Die Menschen sind - doch wohl in aller üblen Regel - eher schlecht, manipulativ, gierig, geldgeil und in ihr eigenes Ansehen zu tiefst verliebt. Selbst Philanthropen tragen, oft genug, die verschlissene Eitelkeit zu Markte, wollen ihrer Person, nicht der guten Taten wegen bewundert und lechzend hofiert werden. Karrieren basieren auf solch verblüffenden Missverständnissen vom guten und ehrlichen Leben. Die von Ihnen am Ende dieses Paragraphen geschriebenen Sätze waren, sind und bleiben moralischer Sprengstoff. Meine Hoch-, ja Höchstachtung für Ihren immensen Mut und Ihre bewundernswerte Klarheit in einer Zeit, die alles andere als aufgeklärt und bereit für Ihre Wahrheit war.
Der Ehrliche und die Ehrliche, sie seien der Schmeichler unerbittliche Feinde, deren vermeintliche Freund- und listig aufgezwungene Gesellschaft ihnen am Ende schließlich zuverlässig das Genick bricht. Das Böse findet, das hat es gelernt, unermüdlch Schleichpfade, die dem Guten, passt es nicht auf wie ein Luchs, irgendwann, in einem wankelmütigen, erschöpften Momente, den angemessenen Weg verstellt.
11. Februar
Im Rufe der Gefälligkeit stehen. Das Ansehen derer, die am Staatsruder stehn, gewinnt sehr dadurch, daß sie willfährig sind, und die Huld ist eine Eigenschaft der Herrscher, durch welche sie die allgemeine Gunst erlangen. Dies ist ja eben der einzige Vorzug, den die höchste Macht giebt, daß man mehr Gutes thun kann als alle Andern. Freunde sind die, welche Freundschaft erweisen. Dagegen giebt es Andre, welche sich darauf legen, ungefällig zu seyn, nicht so sehr wegen des Beschwerlichen, als aus Tücke: sie sind ganz und gar das Gegentheil der göttlichen Milde.
Sie fräsen, nach einem kurzen, gewitzten Lob des Herrschers, am Gottesgnadentum, Freund. Und wie genau Sie das wagen! Mit einem präzisen Schnitt zerlegen Sie den dreisten Absolutismus und die bedingungslose Gewalt jedweder Hochgeborenheit, die doch stets in sich die Möglichkeit, beinahe die Garantie des Bösen trägt. Allgewalt weckt und befördert zielgerichtet das Mieseste in den meisten von uns, möglicherweise sogar in ausnahmslos allen. Denn wer wüsste, wie er oder sie sich verhielte, hätten wir ungestraft die diktatorischen Zügel in der Hand? Wer gäbe die Garantie, auf immer gut und gerecht zu sein, die eigenen und die Interessen seiner oder ihrer Liebsten gewissenhaft und unabänderlich hintenanzustellen? Wer gehorchte, angesichts des reich gefüllten Tresors, allein der humanistischen und liberalen Staatsräson? Lugte nicht gen Schatulle und griffe, ab und an, beherzt zu? Die Menschen sind - doch wohl in aller üblen Regel - eher schlecht, manipulativ, gierig, geldgeil und in ihr eigenes Ansehen zu tiefst verliebt. Selbst Philanthropen tragen, oft genug, die verschlissene Eitelkeit zu Markte, wollen ihrer Person, nicht der guten Taten wegen bewundert und lechzend hofiert werden. Karrieren basieren auf solch verblüffenden Missverständnissen vom guten und ehrlichen Leben. Die von Ihnen am Ende dieses Paragraphen geschriebenen Sätze waren, sind und bleiben moralischer Sprengstoff. Meine Hoch-, ja Höchstachtung für Ihren immensen Mut und Ihre bewundernswerte Klarheit in einer Zeit, die alles andere als aufgeklärt und bereit für Ihre Wahrheit war.
Der Ehrliche und die Ehrliche, sie seien der Schmeichler unerbittliche Feinde, deren vermeintliche Freund- und listig aufgezwungene Gesellschaft ihnen am Ende schließlich zuverlässig das Genick bricht. Das Böse findet, das hat es gelernt, unermüdlch Schleichpfade, die dem Guten, passt es nicht auf wie ein Luchs, irgendwann, in einem wankelmütigen, erschöpften Momente, den angemessenen Weg verstellt.
11. Februar
33.
Sich zu entziehen wissen. Wenn eine große Lebensregel die ist, daß man zu verweigern verstehe; so folgt, daß es eine noch wichtigere ist, daß man sich selbst, sowohl den Geschäften als den Personen, zu verweigern wisse. Es giebt fremdartige Beschäftigungen, welche die Motten der kostbaren Zeit sind. Sich mit etwas Ungehörigem beschäftigen, ist schlimmer als Nichtsthun. Für den Umsichtigen ist es nicht hinreichend, daß er nicht zudringlich sei, sondern er muß auch dafür sorgen, daß Andre sich ihm nicht aufdringen. So sehr darf man nicht Allen angehören, daß man nicht mehr sich selber angehörte. Eben so darf man auch seinerseits nicht seine Freunde mißbrauchen, und nicht mehr von ihnen verlangen, als sie eingeräumt haben. Jedes Uebermaaß ist fehlerhaft, aber am meisten im Umgang. Mit dieser klugen Mäßigung wird man sich am besten die Gunst und Wertschätzung Aller erhalten, weil alsdann der so kostbare Anstand nicht allmälig bei Seite gesetzt wird. Man erhalte sich also die Freiheit seiner Sinnesart, liebe innig das Auserlesene jeder Gattung, und thue nie der Aufrichtigkeit seines guten Geschmackes Gewalt an.
Sie reiten über weite Felder, Freund. Im Geistesgalopp. Springen dabei über tiefe Gräben und hängen die Meute, die Sie hetzt, die Ihnen mal wieder geifernd auf den Fersen ist, lässig ab. Ihre Verweigerung des unnötigen Anlehnens, der geistfreien Zeitvergeudung, von der Sie sprechen, passiert auf elegante Art und Weise in diesem dioramagleichen Abschnitt Ihres Orakels. Eines atemberaubend vielseitigen Paragraphen, der Ihrem Translator, Arthur Schopenhauer, besondere Freude gemacht haben dürfte. Der eloquente Einzelgänger, dessen dann doch leicht menschenfeindliche Sottise Was einer an sich selber habe, sei zu seinem Lebensglücke das Wesentlichste mich stets aufs Neue ermuntert, lieber für mich zu bleiben, ohne dabei der Welt komplett die kalte Schulter zu zeigen, der eloquente Einzelgänger hat viel für Ihre vorübergehende Popularität in meiner Muttersprache getan und Ihnen ein wahrscheinlich, schhätze ich, freies Denkmal - was buchstäblich zu nehmen sei - gesetzt. Am liebsten wüsste ich natürlich, wie Sie selbst im Spanischen geschrieben haben. Da mein Kastilisch, wenn ich Ihre Schriftsprache so verkürzt nennen darf, praktisch nicht existent ist, lese ich Sie jedoch durch Schopenhauers - wie soll ich's formulieren, ohne despektierlich zu sein? - gefärbte Lupe. Im gewissen Sinne, scheint mir, lese ich wahrscheinlich eher Arthur Schopenhauer als Baltasar Gracián y Morales, was mir durchaus bewusst ist und mich zwar beunruhigt, andererseits auch mit einer seltsamen Sicherheit versorgt. Der beruhigenden Gewissheit, mich in reliablen Händen zu befinden. Wie Schopenhauer Sie auch interpretiert haben mag, Freund, sei also den Expertinnen und Experten überlassen, die gewiss einiges dazu gesagt haben, was wenig und sehr schmeichelhaft sein mag, für Sie und für Ihren enthusiastischen, von sich überzeugten Translator. Mir, um das noch einmal zu betonen, sagt Schopenhauers Frische, seine aufmüpfige Tonalität, seine ungebremste Begeisterung, die in jeder Zeile deutlich zu spüren ist, so oder so als eigenes Kunst- und Gedankenwerk überaus zu.
Eine gute Übersetzung sei einem schlechten Original stets vorzuziehen.
12. Februar
Sich zu entziehen wissen. Wenn eine große Lebensregel die ist, daß man zu verweigern verstehe; so folgt, daß es eine noch wichtigere ist, daß man sich selbst, sowohl den Geschäften als den Personen, zu verweigern wisse. Es giebt fremdartige Beschäftigungen, welche die Motten der kostbaren Zeit sind. Sich mit etwas Ungehörigem beschäftigen, ist schlimmer als Nichtsthun. Für den Umsichtigen ist es nicht hinreichend, daß er nicht zudringlich sei, sondern er muß auch dafür sorgen, daß Andre sich ihm nicht aufdringen. So sehr darf man nicht Allen angehören, daß man nicht mehr sich selber angehörte. Eben so darf man auch seinerseits nicht seine Freunde mißbrauchen, und nicht mehr von ihnen verlangen, als sie eingeräumt haben. Jedes Uebermaaß ist fehlerhaft, aber am meisten im Umgang. Mit dieser klugen Mäßigung wird man sich am besten die Gunst und Wertschätzung Aller erhalten, weil alsdann der so kostbare Anstand nicht allmälig bei Seite gesetzt wird. Man erhalte sich also die Freiheit seiner Sinnesart, liebe innig das Auserlesene jeder Gattung, und thue nie der Aufrichtigkeit seines guten Geschmackes Gewalt an.
Sie reiten über weite Felder, Freund. Im Geistesgalopp. Springen dabei über tiefe Gräben und hängen die Meute, die Sie hetzt, die Ihnen mal wieder geifernd auf den Fersen ist, lässig ab. Ihre Verweigerung des unnötigen Anlehnens, der geistfreien Zeitvergeudung, von der Sie sprechen, passiert auf elegante Art und Weise in diesem dioramagleichen Abschnitt Ihres Orakels. Eines atemberaubend vielseitigen Paragraphen, der Ihrem Translator, Arthur Schopenhauer, besondere Freude gemacht haben dürfte. Der eloquente Einzelgänger, dessen dann doch leicht menschenfeindliche Sottise Was einer an sich selber habe, sei zu seinem Lebensglücke das Wesentlichste mich stets aufs Neue ermuntert, lieber für mich zu bleiben, ohne dabei der Welt komplett die kalte Schulter zu zeigen, der eloquente Einzelgänger hat viel für Ihre vorübergehende Popularität in meiner Muttersprache getan und Ihnen ein wahrscheinlich, schhätze ich, freies Denkmal - was buchstäblich zu nehmen sei - gesetzt. Am liebsten wüsste ich natürlich, wie Sie selbst im Spanischen geschrieben haben. Da mein Kastilisch, wenn ich Ihre Schriftsprache so verkürzt nennen darf, praktisch nicht existent ist, lese ich Sie jedoch durch Schopenhauers - wie soll ich's formulieren, ohne despektierlich zu sein? - gefärbte Lupe. Im gewissen Sinne, scheint mir, lese ich wahrscheinlich eher Arthur Schopenhauer als Baltasar Gracián y Morales, was mir durchaus bewusst ist und mich zwar beunruhigt, andererseits auch mit einer seltsamen Sicherheit versorgt. Der beruhigenden Gewissheit, mich in reliablen Händen zu befinden. Wie Schopenhauer Sie auch interpretiert haben mag, Freund, sei also den Expertinnen und Experten überlassen, die gewiss einiges dazu gesagt haben, was wenig und sehr schmeichelhaft sein mag, für Sie und für Ihren enthusiastischen, von sich überzeugten Translator. Mir, um das noch einmal zu betonen, sagt Schopenhauers Frische, seine aufmüpfige Tonalität, seine ungebremste Begeisterung, die in jeder Zeile deutlich zu spüren ist, so oder so als eigenes Kunst- und Gedankenwerk überaus zu.
Eine gute Übersetzung sei einem schlechten Original stets vorzuziehen.
12. Februar
34.
Seine vorherrschende Fähigkeit kennen, sein hervorstechendes Talent; sodann dieses ausbilden und den übrigen nachhelfen. Jeder wäre in irgend etwas ausgezeichnet geworden, hätte er seinen Vorzug gekannt. Man beobachte also seine überwiegende Eigenschaft und verwende auf diese allen Fleiß. Bei Einigen ist der Verstand, bei Andern die Tapferkeit vorherrschend. Die Meisten thun aber ihren Naturgaben Gewalt an, und bringen es deshalb in nichts zur Überlegenheit. Das, was anfangs der Leidenschaft schmeichelte, wird von der Zeit zu spät als Irrthum aufgedeckt.
Im Wort "Ratschlag" steckt doch, nicht umsonst, der Hieb, der in jedem Rat zu spüren ist, auch den wohlgemeinten. Schlag auf Schlag reden Sie uns ins Gewissen, Freund, endlich, ohne all die verdammten Umschweife, zu wissen, was uns vorbestimmt sein soll, da es, aus Ihrer Sicht der Dinge, eine Know-How-Perle gebe, die größer und reiner sei als andere vermeintliche Talente. Um der Wahrheit genüge zu tun: Ihr ungebremster Determinismus langweilt mich. Gewiss, der Spruch Übung macht den Meister ist nicht viel intelligenter - und doch lässt er Möglichkeiten offen, die in einer egalitären Gesellschaft wichtig sind. Allen Fleiß in eine Sache zu stecken, kreiert zu häufig Personen mit mehr oder minder brillanten Scheuklappen. Schiller sagt, dass wir Menschen seien, sobald wir spielten. Und im Spiel steckt, im besten Sinne, die Chance auf einen augenöffnenden Zufall. Mir scheint, dass wir lässiger, weniger verbissen ans Leben gehen sollten, ohne die Disziplin und die Verengung auf eine Sache dabei rundweg auszuschließen.
Warum Verstand und Tapferkeit getrennte Sachen sein sollen, das aber nur am Rande, leuchtet mir übrigens auch gerade nicht übermäßig ein.
Noch ein Wort, Freund, zu meiner harschen Kritik dieser Einsichtensammlung. Ich denke, Sie haben wohl einen wunden Punkt in mir getroffen. Da ich viele Felder beackern wollte und will, dilettiere ich in einigen ganz furchtbar und fahre - mein eigenes Urteil - oft genug mittelmäßige Ernten ein.
Die größte Meisterschaft erfordert das Glücklichsein im Angesicht des unvermeidlichen Abstiegs vom Lebensgipfel.
13. Februar
Seine vorherrschende Fähigkeit kennen, sein hervorstechendes Talent; sodann dieses ausbilden und den übrigen nachhelfen. Jeder wäre in irgend etwas ausgezeichnet geworden, hätte er seinen Vorzug gekannt. Man beobachte also seine überwiegende Eigenschaft und verwende auf diese allen Fleiß. Bei Einigen ist der Verstand, bei Andern die Tapferkeit vorherrschend. Die Meisten thun aber ihren Naturgaben Gewalt an, und bringen es deshalb in nichts zur Überlegenheit. Das, was anfangs der Leidenschaft schmeichelte, wird von der Zeit zu spät als Irrthum aufgedeckt.
Im Wort "Ratschlag" steckt doch, nicht umsonst, der Hieb, der in jedem Rat zu spüren ist, auch den wohlgemeinten. Schlag auf Schlag reden Sie uns ins Gewissen, Freund, endlich, ohne all die verdammten Umschweife, zu wissen, was uns vorbestimmt sein soll, da es, aus Ihrer Sicht der Dinge, eine Know-How-Perle gebe, die größer und reiner sei als andere vermeintliche Talente. Um der Wahrheit genüge zu tun: Ihr ungebremster Determinismus langweilt mich. Gewiss, der Spruch Übung macht den Meister ist nicht viel intelligenter - und doch lässt er Möglichkeiten offen, die in einer egalitären Gesellschaft wichtig sind. Allen Fleiß in eine Sache zu stecken, kreiert zu häufig Personen mit mehr oder minder brillanten Scheuklappen. Schiller sagt, dass wir Menschen seien, sobald wir spielten. Und im Spiel steckt, im besten Sinne, die Chance auf einen augenöffnenden Zufall. Mir scheint, dass wir lässiger, weniger verbissen ans Leben gehen sollten, ohne die Disziplin und die Verengung auf eine Sache dabei rundweg auszuschließen.
Warum Verstand und Tapferkeit getrennte Sachen sein sollen, das aber nur am Rande, leuchtet mir übrigens auch gerade nicht übermäßig ein.
Noch ein Wort, Freund, zu meiner harschen Kritik dieser Einsichtensammlung. Ich denke, Sie haben wohl einen wunden Punkt in mir getroffen. Da ich viele Felder beackern wollte und will, dilettiere ich in einigen ganz furchtbar und fahre - mein eigenes Urteil - oft genug mittelmäßige Ernten ein.
Die größte Meisterschaft erfordert das Glücklichsein im Angesicht des unvermeidlichen Abstiegs vom Lebensgipfel.
13. Februar
35.
Nachdenken, und am meisten über das, woran am meisten gelegen. Weil sie nicht denken, gehn alle Dummköpfe zu Grunde: sie sehn in den Dingen nie auch nur die Hälfte von dem, was da ist; und da sie sich so wenig anstrengen, daß sie nicht einmal ihren eigenen Schaden oder Vortheil begreifen, legen sie großen Werth auf das, woran wenig, und geringen auf das, woran viel gelegen, stets verkehrt abwägend. Viele verlieren den Verstand deshalb nicht, weil sie keinen haben. Es giebt Sachen, die man mit der ganzen Anstrengung seines Geistes untersuchen und nachher in der Tiefe desselben aufbewahren soll. Der Kluge denkt über Alles nach, wiewohl mit Unterschied: er vertieft sich da, wo er Grund und Widerstand findet, und denkt bisweilen, daß noch mehr da ist, als er denkt: dergestalt reicht sein Nachdenken eben so weit als seine Besorgniß.
Woran mir am meisten gelegen, Freund, sei, im gewissen Sinne, im Sinne des Spiegels zum Leben, der Tod, der unergründliche, der fraglose Gleichmacher, dem nichts und niemand entgeht. Und selbstverständlich dürfte es keinen Menschen geben, dem das eigene Ende nicht irgendwann gewaltig umtreibt. Ganze Industrien und die verlogensten Werbeagenturen haben sich auf die lukrative Jungbrunnenabzocke spezialisiert. Ein taufrisches Geschäft, das uns alle überlebt. Meine Thanatos-Versessenheit bringt allerdings kaum einen Erkenntnisgewinn, ich stochere im Dunkeln, vergesse von Zeit zu Zeit das Licht, das doch auch scheint, wenn mir nur nach Sonnenuntergang ist. Gehöre ich, Euren Kriterien folgend, damit zu den Dumm- oder Schlauköpfen? Täte es nicht wohl, vielleicht sogar wohler, das Sein, jenes enge Gefäß, in das wir wenig bis rein gar nichts nachschenken können, einfach zu nehmen wie es ist, wie es sich uns anbietet? Will sagen: verbaue ich mir mit dem Am-meisten-gelegen-Sein die Chance, uneingeschränkt das Am-meisten-Dasein zu genießen? Ich weiß es nicht.
Noch eins: die Hybris der (Selbst)Überschätzung, welche so redegewaltig aus Ihren Worten klingt, schmückt weder Sie noch mich. Solidarität und Selbstlosigkeit seien die Waffen der Menschenliebe, Herablassung und Verachtung die ersten Schritte zum leidigen Hass.
Doch eins sei auch klar: Milde am falschen Platz ist eine große Dummheit.
14. Februar
Nachdenken, und am meisten über das, woran am meisten gelegen. Weil sie nicht denken, gehn alle Dummköpfe zu Grunde: sie sehn in den Dingen nie auch nur die Hälfte von dem, was da ist; und da sie sich so wenig anstrengen, daß sie nicht einmal ihren eigenen Schaden oder Vortheil begreifen, legen sie großen Werth auf das, woran wenig, und geringen auf das, woran viel gelegen, stets verkehrt abwägend. Viele verlieren den Verstand deshalb nicht, weil sie keinen haben. Es giebt Sachen, die man mit der ganzen Anstrengung seines Geistes untersuchen und nachher in der Tiefe desselben aufbewahren soll. Der Kluge denkt über Alles nach, wiewohl mit Unterschied: er vertieft sich da, wo er Grund und Widerstand findet, und denkt bisweilen, daß noch mehr da ist, als er denkt: dergestalt reicht sein Nachdenken eben so weit als seine Besorgniß.
Woran mir am meisten gelegen, Freund, sei, im gewissen Sinne, im Sinne des Spiegels zum Leben, der Tod, der unergründliche, der fraglose Gleichmacher, dem nichts und niemand entgeht. Und selbstverständlich dürfte es keinen Menschen geben, dem das eigene Ende nicht irgendwann gewaltig umtreibt. Ganze Industrien und die verlogensten Werbeagenturen haben sich auf die lukrative Jungbrunnenabzocke spezialisiert. Ein taufrisches Geschäft, das uns alle überlebt. Meine Thanatos-Versessenheit bringt allerdings kaum einen Erkenntnisgewinn, ich stochere im Dunkeln, vergesse von Zeit zu Zeit das Licht, das doch auch scheint, wenn mir nur nach Sonnenuntergang ist. Gehöre ich, Euren Kriterien folgend, damit zu den Dumm- oder Schlauköpfen? Täte es nicht wohl, vielleicht sogar wohler, das Sein, jenes enge Gefäß, in das wir wenig bis rein gar nichts nachschenken können, einfach zu nehmen wie es ist, wie es sich uns anbietet? Will sagen: verbaue ich mir mit dem Am-meisten-gelegen-Sein die Chance, uneingeschränkt das Am-meisten-Dasein zu genießen? Ich weiß es nicht.
Noch eins: die Hybris der (Selbst)Überschätzung, welche so redegewaltig aus Ihren Worten klingt, schmückt weder Sie noch mich. Solidarität und Selbstlosigkeit seien die Waffen der Menschenliebe, Herablassung und Verachtung die ersten Schritte zum leidigen Hass.
Doch eins sei auch klar: Milde am falschen Platz ist eine große Dummheit.
14. Februar
36.
Sein Glück erwogen haben, um zu handeln, um sich einzulassen. Daran ist mehr gelegen, als an der Beobachtung seines Temperaments. Ist aber der ein Thor, welcher im vierzigsten Jahre sich an den Hippokrates, seiner Gesundheit halber, wendet, so ist es der noch mehr, welcher dann erst an den Seneka, der Weisheit wegen. Es ist eine große Kunst, sein Glück zu leiten zu wissen, indem man bald es abwartet, denn auch mit Warten ist bei ihm etwas auszurichten, bald es zur rechten Zeit benutzt, da es Perioden hält und Gelegenheiten darbietet; obwohl man ihm seinen Gang nicht ablernen kann, so regellos sind seine Schritte. Wer es günstig befunden hat, schreite keck vorwärts; denn es liebt die Kühnen leidenschaftlich, und, als schönes Weib, auch die Jünglinge. Wer aber Unglück hat, thue nichts mehr; sondern ziehe sich zurück, damit er nicht zu dem Unstern, der schon über ihm steht, einen zweiten heranrufe.
Ich könnte Sie hier, Freund, vielleicht, mit Verlaub und der saloppen (K)Einsicht des Nachgeborenen, dem der Hippokrates nun mal kein ärztlicher, Seneka sehr wohl ein bedenkenswerter Ratgeber ist, so zusammenfassen: regnet's, wird man nass, es sei denn, man hat einen Schirm griffbereit oder bleibt im Haus; am allerbesten sei's jedoch, man warte - Augen auf! - den Schauer ab und erfreue sich, glückselig, am demnächst erscheinenden Eitelsonnenschein.
Die Idee, Glück leiten zu können - darüber haben wir ja bereits verhandelt und uns auf kein bilaterales Abkommen geeinigt. Dennoch scheint mir, trotz des grundlegenden Widerspruchs, dass Sie mit einem Aspket wohl recht haben: wer zupackt, bekommt etwas in den Griff, während den Zögerlichen manches, selbst das Wohlgesonne, mir nichts dir nichts entwischt. Und Ihre Idee, im Falle des Unglücks die Lebensschotten dicht zu machen? Klingt für mich wie der Ratschlag an Ertrinkende, bloß nicht mehr die Arme und Füße zu bewegen. Wer sich totstellt, Freund, wird schnell für tot gehalten. Hilfe kommt, wenn man sich bewegt, geistig und körperlich. Wohl weiß ich, dass Ihre Zeit keine Shrink-Zunft kannte, doch gute Freundschaften, die kannten auch Sie. Zu reden hilft, zu schweigen macht alsbald schwermütig.
Lust hätte ich auch, einen Streit ob Ihrer (und Schopenhauers) ärmlicher und so typischer Misogynie vom Gleichheitszaun zu brechen, doch dazu, denke ich, wird sich noch später Gelegenheit bieten; reichlich, sei hinzugefügt.
Also: Wohlauf, geht's gerade auch bergab! Mut und Sprache, das sei die beste Antwort, die jedwedes Unglück verdient. Wir sind Menschen, hört man und redet mit uns, im Leide wie im Glanze.
15. Februar
Sein Glück erwogen haben, um zu handeln, um sich einzulassen. Daran ist mehr gelegen, als an der Beobachtung seines Temperaments. Ist aber der ein Thor, welcher im vierzigsten Jahre sich an den Hippokrates, seiner Gesundheit halber, wendet, so ist es der noch mehr, welcher dann erst an den Seneka, der Weisheit wegen. Es ist eine große Kunst, sein Glück zu leiten zu wissen, indem man bald es abwartet, denn auch mit Warten ist bei ihm etwas auszurichten, bald es zur rechten Zeit benutzt, da es Perioden hält und Gelegenheiten darbietet; obwohl man ihm seinen Gang nicht ablernen kann, so regellos sind seine Schritte. Wer es günstig befunden hat, schreite keck vorwärts; denn es liebt die Kühnen leidenschaftlich, und, als schönes Weib, auch die Jünglinge. Wer aber Unglück hat, thue nichts mehr; sondern ziehe sich zurück, damit er nicht zu dem Unstern, der schon über ihm steht, einen zweiten heranrufe.
Ich könnte Sie hier, Freund, vielleicht, mit Verlaub und der saloppen (K)Einsicht des Nachgeborenen, dem der Hippokrates nun mal kein ärztlicher, Seneka sehr wohl ein bedenkenswerter Ratgeber ist, so zusammenfassen: regnet's, wird man nass, es sei denn, man hat einen Schirm griffbereit oder bleibt im Haus; am allerbesten sei's jedoch, man warte - Augen auf! - den Schauer ab und erfreue sich, glückselig, am demnächst erscheinenden Eitelsonnenschein.
Die Idee, Glück leiten zu können - darüber haben wir ja bereits verhandelt und uns auf kein bilaterales Abkommen geeinigt. Dennoch scheint mir, trotz des grundlegenden Widerspruchs, dass Sie mit einem Aspket wohl recht haben: wer zupackt, bekommt etwas in den Griff, während den Zögerlichen manches, selbst das Wohlgesonne, mir nichts dir nichts entwischt. Und Ihre Idee, im Falle des Unglücks die Lebensschotten dicht zu machen? Klingt für mich wie der Ratschlag an Ertrinkende, bloß nicht mehr die Arme und Füße zu bewegen. Wer sich totstellt, Freund, wird schnell für tot gehalten. Hilfe kommt, wenn man sich bewegt, geistig und körperlich. Wohl weiß ich, dass Ihre Zeit keine Shrink-Zunft kannte, doch gute Freundschaften, die kannten auch Sie. Zu reden hilft, zu schweigen macht alsbald schwermütig.
Lust hätte ich auch, einen Streit ob Ihrer (und Schopenhauers) ärmlicher und so typischer Misogynie vom Gleichheitszaun zu brechen, doch dazu, denke ich, wird sich noch später Gelegenheit bieten; reichlich, sei hinzugefügt.
Also: Wohlauf, geht's gerade auch bergab! Mut und Sprache, das sei die beste Antwort, die jedwedes Unglück verdient. Wir sind Menschen, hört man und redet mit uns, im Leide wie im Glanze.
15. Februar
37.
Stichelreden kennen und anzuwenden verstehen. Dies ist der Punkt der größten Feinheit im menschlichen Umgang. Solche Stichelreden werden oft hingeworfen, um die Gemüther zu prüfen, und mittelst ihrer stellt man die versteckteste und zugleich eindringlichste Untersuchung des Herzens an. Eine andere Art derselben sind die boshaften, verwegenen, vom Gift des Neides angesteckten, oder mit dem Geifer der Leidenschaft getränkten: diese sind oft unvorhergesehene Blitze, durch welche man aus aller Gunst und Hochachtung mit Einem Male herabgeschleudert wird; von einem leichten Wörtchen dieser Art getroffen, sind Manche aus dem engsten Vertrauen der höchsten oder geringerer Personen herabgestürzt, denen doch auch nur den mindesten Schreck zu erregen, eine vollständige Verschwörung zwischen der Unzufriedenheit der Menge und der Bosheit der Einzelnen, unvermögend gewesen war. Wieder eine andere Art von Stichelreden wirkt im entgegengesetzten Sinne, indem sie unser Ansehen stützt und befestigt. Allein mit derselben Geschicklichkeit, mit welcher die Absichtlichkeit sie schleudert, muß die Vorkehr sie empfangen, ja die Umsicht sie schon zum voraus erwarten. Denn hier beruht die Abwehr auf der Kenntniß des Uebels, und der vorhergesehene Schuß verfehlt jedesmal sein Ziel.
Sagen wir, Freund, bei Ihren Stichelreden handele es sich um Schmähungen, Verleumdungen, Wut- und Brandreden, vielleicht boshaft kaschiertes Triumphgeheul. Zwar wird in meiner Zeit noch gestichelt, Stichelreden sind aber, als Wort, nicht als Sache, auf immer im Wortlokus verschwunden. Was schade ist. Ein schlauer Begriff, sinnbildlich und wild, der, was mir besonders gefällt, das Verborgene mit dem Öffentlichen genialisch verbindet. Das eben erwähnte Verb, sticheln, wird, zumeist, nur noch im privaten Zusammenhang erwähnt. Jemand stichelt hinter unserem Rücken, wir sind, in aller Regel, nicht mit dabei, können uns also nicht ordentlich und schlagkräftig zur Wehr setzen. Offenbar ging das in Ihrer Zeit noch, die wortgewaltige Verteidigung, war man sich der kommenden Sticheleien bewusst.
Wie die Abwehr der Stichelrede vonstatten gehen soll, Freund, verraten Sie uns allerdings nicht. Wurde so getan, als hätte es die rhetorische Klatsche nicht gegeben? Oder hat man sich gut vorbereitet, eine scharfe Response im Kopf gehabt, eine lustige Sottise, und dann, zielgenau, mit Kanonen auf aggressive Adler geschossen und die bereits schief grinsend lauernden Societygeier, die hinterhältigen Ruhmfledderer, mit schnellen Konsonanten- und Vokalhieben in die verdiente Flucht geschlagen?
Was mich stört - Sie erwarten, denke ich, meinen Einwand; wie halbwegs auslotbar ich doch schon für Sie, Freund, geworden bin! -, was mich stört, ist die Rangordnung, die in Ihrer Beschreibung der öffentlich geäußerten Schmähungen mitschwingt. Wieder entscheiden andere, vermeintlich Höhere, über unser Wohl und Wehe. Jedenfalls war das offenbar die Norm, in Ihren Kreisen. Sie waren den Adligen am Hofe und auf den Plätzen und Gassen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, was in Demokratien nicht der Fall sein sollte. An sich. Denn, Freund, Ihnen würde heutzutage schlecht werden, bekämen Sie mit, welche Stichelreden im Internet gehalten werden, mit welcher Gemein- und Fiesheit die Menschen einander Tag für Tag verunglimpfen, sich an die Post-Gurgel gehen, und wie wenig die Firmen - Facebook, Twitter, Instagram vorneweg -, die den Schreihälsen, Trollen und Hassern doch erst den Raum geben, zur Rechenschaft gezogen werden. Gäbe es nicht die Europäische Union, es wäre ein einziges Hauen und Stechen.
Das Wort ist also weg, das Wesen des Ausdrucks aber so lebendig wie wohl niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte.
Die verbale Lynchjustiz im Netz sei die Stichelrede meiner Zeit, und die moralische und technische Firewall dagegen muss erst noch implementiert werden. Manchmal scheint mir, es wäre doch das beste, den verdammten Hassern keinerlei Beachtung zu schenken. Das toxische Posten macht uns als Gesellschaft krank, unterminiert die demokratische Liebenswürdigkeit, und wir - zumindest viele von uns - sind, das ist wohl das merkwürdigste daran, längst regelrecht süchtig nach dem populistischen Hass, der menschenunwürdigen Abzocke, der digitalen Halsabschneiderei, nach dem ubiquitären Pranger.
Die Attraktivität des Gemeinen verwundert ungemein.
16. Februar
Stichelreden kennen und anzuwenden verstehen. Dies ist der Punkt der größten Feinheit im menschlichen Umgang. Solche Stichelreden werden oft hingeworfen, um die Gemüther zu prüfen, und mittelst ihrer stellt man die versteckteste und zugleich eindringlichste Untersuchung des Herzens an. Eine andere Art derselben sind die boshaften, verwegenen, vom Gift des Neides angesteckten, oder mit dem Geifer der Leidenschaft getränkten: diese sind oft unvorhergesehene Blitze, durch welche man aus aller Gunst und Hochachtung mit Einem Male herabgeschleudert wird; von einem leichten Wörtchen dieser Art getroffen, sind Manche aus dem engsten Vertrauen der höchsten oder geringerer Personen herabgestürzt, denen doch auch nur den mindesten Schreck zu erregen, eine vollständige Verschwörung zwischen der Unzufriedenheit der Menge und der Bosheit der Einzelnen, unvermögend gewesen war. Wieder eine andere Art von Stichelreden wirkt im entgegengesetzten Sinne, indem sie unser Ansehen stützt und befestigt. Allein mit derselben Geschicklichkeit, mit welcher die Absichtlichkeit sie schleudert, muß die Vorkehr sie empfangen, ja die Umsicht sie schon zum voraus erwarten. Denn hier beruht die Abwehr auf der Kenntniß des Uebels, und der vorhergesehene Schuß verfehlt jedesmal sein Ziel.
Sagen wir, Freund, bei Ihren Stichelreden handele es sich um Schmähungen, Verleumdungen, Wut- und Brandreden, vielleicht boshaft kaschiertes Triumphgeheul. Zwar wird in meiner Zeit noch gestichelt, Stichelreden sind aber, als Wort, nicht als Sache, auf immer im Wortlokus verschwunden. Was schade ist. Ein schlauer Begriff, sinnbildlich und wild, der, was mir besonders gefällt, das Verborgene mit dem Öffentlichen genialisch verbindet. Das eben erwähnte Verb, sticheln, wird, zumeist, nur noch im privaten Zusammenhang erwähnt. Jemand stichelt hinter unserem Rücken, wir sind, in aller Regel, nicht mit dabei, können uns also nicht ordentlich und schlagkräftig zur Wehr setzen. Offenbar ging das in Ihrer Zeit noch, die wortgewaltige Verteidigung, war man sich der kommenden Sticheleien bewusst.
Wie die Abwehr der Stichelrede vonstatten gehen soll, Freund, verraten Sie uns allerdings nicht. Wurde so getan, als hätte es die rhetorische Klatsche nicht gegeben? Oder hat man sich gut vorbereitet, eine scharfe Response im Kopf gehabt, eine lustige Sottise, und dann, zielgenau, mit Kanonen auf aggressive Adler geschossen und die bereits schief grinsend lauernden Societygeier, die hinterhältigen Ruhmfledderer, mit schnellen Konsonanten- und Vokalhieben in die verdiente Flucht geschlagen?
Was mich stört - Sie erwarten, denke ich, meinen Einwand; wie halbwegs auslotbar ich doch schon für Sie, Freund, geworden bin! -, was mich stört, ist die Rangordnung, die in Ihrer Beschreibung der öffentlich geäußerten Schmähungen mitschwingt. Wieder entscheiden andere, vermeintlich Höhere, über unser Wohl und Wehe. Jedenfalls war das offenbar die Norm, in Ihren Kreisen. Sie waren den Adligen am Hofe und auf den Plätzen und Gassen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, was in Demokratien nicht der Fall sein sollte. An sich. Denn, Freund, Ihnen würde heutzutage schlecht werden, bekämen Sie mit, welche Stichelreden im Internet gehalten werden, mit welcher Gemein- und Fiesheit die Menschen einander Tag für Tag verunglimpfen, sich an die Post-Gurgel gehen, und wie wenig die Firmen - Facebook, Twitter, Instagram vorneweg -, die den Schreihälsen, Trollen und Hassern doch erst den Raum geben, zur Rechenschaft gezogen werden. Gäbe es nicht die Europäische Union, es wäre ein einziges Hauen und Stechen.
Das Wort ist also weg, das Wesen des Ausdrucks aber so lebendig wie wohl niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte.
Die verbale Lynchjustiz im Netz sei die Stichelrede meiner Zeit, und die moralische und technische Firewall dagegen muss erst noch implementiert werden. Manchmal scheint mir, es wäre doch das beste, den verdammten Hassern keinerlei Beachtung zu schenken. Das toxische Posten macht uns als Gesellschaft krank, unterminiert die demokratische Liebenswürdigkeit, und wir - zumindest viele von uns - sind, das ist wohl das merkwürdigste daran, längst regelrecht süchtig nach dem populistischen Hass, der menschenunwürdigen Abzocke, der digitalen Halsabschneiderei, nach dem ubiquitären Pranger.
Die Attraktivität des Gemeinen verwundert ungemein.
16. Februar
38.
Vom Glücke beim Gewinnen scheiden: so machen es alle Spieler von Ruf. Ein schöner Rückzug ist eben so viel werth, als ein kühner Angriff. Man bringe seine Thaten, wann ihrer genug, wann ihrer viele sind, in Sicherheit. Ein lange anhaltendes Glück ist allemal verdächtig: das unterbrochene ist sicherer und das Süßsaure desselben sogar dem Geschmack angenehmer. Je mehr sich Glück auf Glück häuft, desto mehr Gefahr laufen sie auszugleiten und alle mit einander niederzustürzen. Die Höhe der Gunst des Glücks wird oft durch die Kürze ihrer Dauer aufgewogen: denn das Glück wird es müde, Einen so lange auf den Schultern zu tragen.
Recht haben Sie, Freund. Uneingeschränkt und, leider, sehr treffend. Um es so zu formulieren: hielte ein Zustand an, handelte es sich um den Tod. Um nichts anderes. Schon gar nicht um das Glück, dessen Kern ein ephemerischer sei, also, im gewissen Sinne, uns selbst, den vereinzelten Menschen, symbolisiert.
Viele haben es gesagt, wenige in letzter Konsequenz beherzigt: kurz sei das Glück, am Leben zu sein, lang das Unglück des Nicht-Seins. Ja, mir ist's bekannt, manche von uns, zumal zur vorgerückten Stunde, sind dennoch voller entrückter Hoffnung, dass es ein reich verschnörkeltes Paradies gibt, in dem uns ungefragt Ambrosia kredenzt wird und wir auf alle Zeiten glücklich sein dürfen. Ein Blick in die nächstbeste Gruft dürfte uns ad hoc eines besseren belehren. Das Gefäß, das uns und unsere edlen Hoffnungen hielt, liegt fleisch- und seelenlos im nassen Graben, der Tränen und Träume auf immer und ewig beraubt.
Nichts, rein gar nichts bleibt von uns, und damit bleibt mir nichts übrig, Freund, als Ihnen, erneut, ein wenig in die Gedankenparade zu fahren: klopfte das Glück an, sollten wir's ruhig eintreten lassen, ihm unsere Gastfreundschaft anbieten und es bitte sehr, um nichts auf der Welt, frühzeitig wieder hinauswerfen. Die Maßlosigkeit des echten Glücks - denn darum allein geht's mir: der angenomme Glückszustand sei eben kein stumpf bemessener, kein kleinmütig abgezählter - die Maßlosigkeit des echten Glücks soll man genießen. Vorbehaltslos, in vollen Zügen, ohne sich um die am Horizont harrende Niederlage zu scheren. Beim unwahren Glück - und vielleicht sprechen Sie davon, vielleicht meinen Sie das falsche Fortüne einer Gewinnserie im Kasino, den Adrenalinstoß beim Pokern, das Nervenflattern auf der Pferderennbahn, die Illusionen bei Pyramidenbetrügereien, vielleicht kaprizieren Sie sich auf den dummen Dusel der Selbsttäuschung, der wohl größten Herausforderung im Happinessbusiness, einer Augenwischerei, bei der uns die Fähigkeit fehlt, das vorgegaukelte vom echten Glück zu scheiden -, beim unwahren Glück ließe sich sogar raten, sofort die Segel zu streichen und sich nicht der Gefahr des moralischen Bankrotts auszusetzen.
In der Güterabstinenz liegt die Chance, Raum für Gedanken und Gefühle zu haben. Glück sei schließlich den Dingen niemals eigen, den Menschen dagegen sehr wohl.
17. Februar
Vom Glücke beim Gewinnen scheiden: so machen es alle Spieler von Ruf. Ein schöner Rückzug ist eben so viel werth, als ein kühner Angriff. Man bringe seine Thaten, wann ihrer genug, wann ihrer viele sind, in Sicherheit. Ein lange anhaltendes Glück ist allemal verdächtig: das unterbrochene ist sicherer und das Süßsaure desselben sogar dem Geschmack angenehmer. Je mehr sich Glück auf Glück häuft, desto mehr Gefahr laufen sie auszugleiten und alle mit einander niederzustürzen. Die Höhe der Gunst des Glücks wird oft durch die Kürze ihrer Dauer aufgewogen: denn das Glück wird es müde, Einen so lange auf den Schultern zu tragen.
Recht haben Sie, Freund. Uneingeschränkt und, leider, sehr treffend. Um es so zu formulieren: hielte ein Zustand an, handelte es sich um den Tod. Um nichts anderes. Schon gar nicht um das Glück, dessen Kern ein ephemerischer sei, also, im gewissen Sinne, uns selbst, den vereinzelten Menschen, symbolisiert.
Viele haben es gesagt, wenige in letzter Konsequenz beherzigt: kurz sei das Glück, am Leben zu sein, lang das Unglück des Nicht-Seins. Ja, mir ist's bekannt, manche von uns, zumal zur vorgerückten Stunde, sind dennoch voller entrückter Hoffnung, dass es ein reich verschnörkeltes Paradies gibt, in dem uns ungefragt Ambrosia kredenzt wird und wir auf alle Zeiten glücklich sein dürfen. Ein Blick in die nächstbeste Gruft dürfte uns ad hoc eines besseren belehren. Das Gefäß, das uns und unsere edlen Hoffnungen hielt, liegt fleisch- und seelenlos im nassen Graben, der Tränen und Träume auf immer und ewig beraubt.
Nichts, rein gar nichts bleibt von uns, und damit bleibt mir nichts übrig, Freund, als Ihnen, erneut, ein wenig in die Gedankenparade zu fahren: klopfte das Glück an, sollten wir's ruhig eintreten lassen, ihm unsere Gastfreundschaft anbieten und es bitte sehr, um nichts auf der Welt, frühzeitig wieder hinauswerfen. Die Maßlosigkeit des echten Glücks - denn darum allein geht's mir: der angenomme Glückszustand sei eben kein stumpf bemessener, kein kleinmütig abgezählter - die Maßlosigkeit des echten Glücks soll man genießen. Vorbehaltslos, in vollen Zügen, ohne sich um die am Horizont harrende Niederlage zu scheren. Beim unwahren Glück - und vielleicht sprechen Sie davon, vielleicht meinen Sie das falsche Fortüne einer Gewinnserie im Kasino, den Adrenalinstoß beim Pokern, das Nervenflattern auf der Pferderennbahn, die Illusionen bei Pyramidenbetrügereien, vielleicht kaprizieren Sie sich auf den dummen Dusel der Selbsttäuschung, der wohl größten Herausforderung im Happinessbusiness, einer Augenwischerei, bei der uns die Fähigkeit fehlt, das vorgegaukelte vom echten Glück zu scheiden -, beim unwahren Glück ließe sich sogar raten, sofort die Segel zu streichen und sich nicht der Gefahr des moralischen Bankrotts auszusetzen.
In der Güterabstinenz liegt die Chance, Raum für Gedanken und Gefühle zu haben. Glück sei schließlich den Dingen niemals eigen, den Menschen dagegen sehr wohl.
17. Februar
39.
Den Punkt der Reife an den Dingen kennen, um sie dann zu genießen. Die Werke der Natur gelangen alle zu einem Gipfel der Vollkommenheit: bis dahin nahmen sie zu, von dem an ab: unter denen der Kunst hingegen sind nur wenige, die dahin gebracht wären, daß sie keiner Verbesserung mehr fähig sind. Es ist ein Vorzug des guten Geschmacks, daß er jede Sache auf dem Punkte ihrer Vollendung genießt: Alle können dies nicht, und die es könnten, verstehn es nicht. Sogar für die Früchte des Geistes giebt es einen solchen Punkt der Reife: es ist wichtig, ihn zu kennen, hinsichtlich der Schätzung sowohl, als der Ausübung.
Es fällt mir nicht schwer, Freund, mich in Sie und Ihre Reifeliebe hineinzuversetzen. So und keinen Deut anders habe ich auch gedacht, mit 13. Dann habe ich den Surrealismus und Dadaismus entdeckt. Später, mit Anfang Zwanzig, kamen, in der bildenden Kunst, die (un)ausgereiften Bilder Twomblys dazu, um nur einen Maler zu nennen, der seine Kunst nicht als Horror Vacui-Therapie verstanden hat. Sophie Calles Versuchsanordnungen, die sich zwar stets etwas vornehmen, einen reifen Masterplan kennen, aber per se für das Unvorhergesehene offen bleiben, wecken in mir das Staunen und anhaltende Bewunderung. Von den Freuden, die mir manche musikalische Zufallskomposition bereitet, ganz zu schweigen.
Die Leere, das Unfertige, das Transiente, das Zerbrochene, das Fallengelassene, das Mutlose, das Fragmentarische - alles Zuständen von denen ich mindestens genau so viel lerne wie vom tiefgründig Zuendegedachten. Sich von der Hierarchie zu verabschieden, sei mir das wichtigste. Rangordnungen schaffen Unterschiede, die weder der private noch der öffentliche Mensch nötig haben, schon gar nicht andauernd.
Die Gute-Geschmack-Diktatur hat sich selbst diskreditiert, da sie uns vorschreiben will, was uns zu gefallen hat, was wir denken dürfen, oder was überhaupt Kunst ist. Allein durch die Kritik schärft sich der entspannte, der tolerante Verstand. Wer liebt - was mich umtreibt, weswegen ich die Gefahr der Wiederholung auf mich nehme -, wer liebt, lässt gewähren. Wer diktiert, fordert alsbald auch Gewehre.
Im Losen wird das Feste erst zur Größe - und vice versa.
18. Februar
Den Punkt der Reife an den Dingen kennen, um sie dann zu genießen. Die Werke der Natur gelangen alle zu einem Gipfel der Vollkommenheit: bis dahin nahmen sie zu, von dem an ab: unter denen der Kunst hingegen sind nur wenige, die dahin gebracht wären, daß sie keiner Verbesserung mehr fähig sind. Es ist ein Vorzug des guten Geschmacks, daß er jede Sache auf dem Punkte ihrer Vollendung genießt: Alle können dies nicht, und die es könnten, verstehn es nicht. Sogar für die Früchte des Geistes giebt es einen solchen Punkt der Reife: es ist wichtig, ihn zu kennen, hinsichtlich der Schätzung sowohl, als der Ausübung.
Es fällt mir nicht schwer, Freund, mich in Sie und Ihre Reifeliebe hineinzuversetzen. So und keinen Deut anders habe ich auch gedacht, mit 13. Dann habe ich den Surrealismus und Dadaismus entdeckt. Später, mit Anfang Zwanzig, kamen, in der bildenden Kunst, die (un)ausgereiften Bilder Twomblys dazu, um nur einen Maler zu nennen, der seine Kunst nicht als Horror Vacui-Therapie verstanden hat. Sophie Calles Versuchsanordnungen, die sich zwar stets etwas vornehmen, einen reifen Masterplan kennen, aber per se für das Unvorhergesehene offen bleiben, wecken in mir das Staunen und anhaltende Bewunderung. Von den Freuden, die mir manche musikalische Zufallskomposition bereitet, ganz zu schweigen.
Die Leere, das Unfertige, das Transiente, das Zerbrochene, das Fallengelassene, das Mutlose, das Fragmentarische - alles Zuständen von denen ich mindestens genau so viel lerne wie vom tiefgründig Zuendegedachten. Sich von der Hierarchie zu verabschieden, sei mir das wichtigste. Rangordnungen schaffen Unterschiede, die weder der private noch der öffentliche Mensch nötig haben, schon gar nicht andauernd.
Die Gute-Geschmack-Diktatur hat sich selbst diskreditiert, da sie uns vorschreiben will, was uns zu gefallen hat, was wir denken dürfen, oder was überhaupt Kunst ist. Allein durch die Kritik schärft sich der entspannte, der tolerante Verstand. Wer liebt - was mich umtreibt, weswegen ich die Gefahr der Wiederholung auf mich nehme -, wer liebt, lässt gewähren. Wer diktiert, fordert alsbald auch Gewehre.
Im Losen wird das Feste erst zur Größe - und vice versa.
18. Februar
40.
Gunst bei den Leuten. Die allgemeine Bewunderung zu erlangen, ist viel; mehr jedoch, die allgemeine Liebe. In etwas hängt es von der Gunst der Natur, aber mehr von der Bemühung ab: jene legt den Grund, diese führt es aus. Ausgezeichnete Fähigkeiten reichen nicht hin, obwohl sie vorausgesetzt werden: denn hat man einmal die Meinung gewonnen, so ist es leicht, auch die Zuneigung zu gewinnen. Sodann erwirbt man Wohlwollen nicht ohne Wohlthun: Gutes gethan, mit beiden Händen, schöne Worte, noch bessere Thaten, lieben, um geliebt zu werden. Die Höflichkeit ist die größte politische Zauberei der Großen. Erst strecke man seine Hand zu Thaten aus, und sodann nach den Federn; vom Stichblatt nach dem Geschichtsblatt: denn es giebt auch eine Gunst der Schriftsteller, und sie ist unsterblich.
Was für eine heile, der Wohltat zugeneigte Welt Sie schildern! Ein gunstreiches Schlaraffenland! Wie gerne lebte ich in solch einem - Sie wahrscheinlich auch. Dass es in Ihrer Zeit irgendwo so war, wie Sie Ihr Utopia bauen, ist dann doch wohl eher ausgeschlossen. Stehen Günstlinge in der Gunst, wird halt gelogen und betrogen, bis sich die Balken biegen. Und Wohltaten, die davon abhängen, dass uns jemand die Gunst erweist, sind keine, bei solchen, sind wir ehrlich, handelt es sich um Almosen.
Zustimmen möchte ich Ihnen, ganz explizit, was die Liebe angeht. Das lieben, um geliebt zu werden, von dem Sie schreiben, berührt mich sehr. Es stellt ein Ideal dar, dem ich treu sein möchte, dessen Schlichtheit mich vergnügt und heiter macht.
Noch ein abschließendes Wort zur Höflichkeit, die den Ruhm bestärken und einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern soll. Heutzutage sind es, wieder mal, der Hass und die Lust am Streit, sind es die Wahnidee des Krieges und das Aufblitzen der Macho-Konfrontation, die für Ruhm und Aufmerksamkeit - und, was mich schaudern lässt, tatsächlich für die Gunst der von Populisten, Nationalisten, Hassmeistern verführten Menschen sorgt. Im Bösen suhlt sich meine Zeit, als sei das Gute nichts, als scherte man sich einen Dreck um den Frieden, der zwar durchaus nicht überall, aber doch in einigen priviligierten Staaten bereits Jahrzehnte herrscht.
Andererseits, was mir erst ins Gedächtnis gerufen werden musste, hat Heinrich Böll gesagt, dass Höflichkeit die sicherste Form der Verachtung sei. Was Sie nicht im Sinn hatten, selbstverständlich nicht. Die Macht der Höflichkeit zu unterschätzen, sei nicht angeraten, schon gar nicht die der kaltblütigen, der wohlgesetzten, der unerwarteten.
Die Kurzsichtigkeit sei ein Trumpf, der in unschöner Regelmäßigkeit die Blinden beeindruckt. Zumal in Tagen, in denen das geschichtsbewusste Sehen verhöhnt wird. Der Gunst des Vergessens wird derzeit gehuldigt, was ungünstig für die Vernunft und den Verstand der Völker ist.
19. Februar
Gunst bei den Leuten. Die allgemeine Bewunderung zu erlangen, ist viel; mehr jedoch, die allgemeine Liebe. In etwas hängt es von der Gunst der Natur, aber mehr von der Bemühung ab: jene legt den Grund, diese führt es aus. Ausgezeichnete Fähigkeiten reichen nicht hin, obwohl sie vorausgesetzt werden: denn hat man einmal die Meinung gewonnen, so ist es leicht, auch die Zuneigung zu gewinnen. Sodann erwirbt man Wohlwollen nicht ohne Wohlthun: Gutes gethan, mit beiden Händen, schöne Worte, noch bessere Thaten, lieben, um geliebt zu werden. Die Höflichkeit ist die größte politische Zauberei der Großen. Erst strecke man seine Hand zu Thaten aus, und sodann nach den Federn; vom Stichblatt nach dem Geschichtsblatt: denn es giebt auch eine Gunst der Schriftsteller, und sie ist unsterblich.
Was für eine heile, der Wohltat zugeneigte Welt Sie schildern! Ein gunstreiches Schlaraffenland! Wie gerne lebte ich in solch einem - Sie wahrscheinlich auch. Dass es in Ihrer Zeit irgendwo so war, wie Sie Ihr Utopia bauen, ist dann doch wohl eher ausgeschlossen. Stehen Günstlinge in der Gunst, wird halt gelogen und betrogen, bis sich die Balken biegen. Und Wohltaten, die davon abhängen, dass uns jemand die Gunst erweist, sind keine, bei solchen, sind wir ehrlich, handelt es sich um Almosen.
Zustimmen möchte ich Ihnen, ganz explizit, was die Liebe angeht. Das lieben, um geliebt zu werden, von dem Sie schreiben, berührt mich sehr. Es stellt ein Ideal dar, dem ich treu sein möchte, dessen Schlichtheit mich vergnügt und heiter macht.
Noch ein abschließendes Wort zur Höflichkeit, die den Ruhm bestärken und einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern soll. Heutzutage sind es, wieder mal, der Hass und die Lust am Streit, sind es die Wahnidee des Krieges und das Aufblitzen der Macho-Konfrontation, die für Ruhm und Aufmerksamkeit - und, was mich schaudern lässt, tatsächlich für die Gunst der von Populisten, Nationalisten, Hassmeistern verführten Menschen sorgt. Im Bösen suhlt sich meine Zeit, als sei das Gute nichts, als scherte man sich einen Dreck um den Frieden, der zwar durchaus nicht überall, aber doch in einigen priviligierten Staaten bereits Jahrzehnte herrscht.
Andererseits, was mir erst ins Gedächtnis gerufen werden musste, hat Heinrich Böll gesagt, dass Höflichkeit die sicherste Form der Verachtung sei. Was Sie nicht im Sinn hatten, selbstverständlich nicht. Die Macht der Höflichkeit zu unterschätzen, sei nicht angeraten, schon gar nicht die der kaltblütigen, der wohlgesetzten, der unerwarteten.
Die Kurzsichtigkeit sei ein Trumpf, der in unschöner Regelmäßigkeit die Blinden beeindruckt. Zumal in Tagen, in denen das geschichtsbewusste Sehen verhöhnt wird. Der Gunst des Vergessens wird derzeit gehuldigt, was ungünstig für die Vernunft und den Verstand der Völker ist.
19. Februar
41.
Nie übertreiben. Es sei ein wichtiger Gegenstand unsrer Aufmerksamkeit, nicht in Superlativen zu reden; theils um nicht der Wahrheit zu nahe zu treten, theils um nicht unsern Verstand herabzusetzen. Die Übertreibungen sind Verschwendungen der Hochschätzung, und zeugen von der Beschränktheit unserer Kenntnisse und unsers Geschmacks. Das Lob erweckt lebhafte Neugierde, reizt das Begehren, und wann nun nachher, wie es sich gemeiniglich trifft, der Werth dem Preise nicht entspricht; so wendet die getäuschte Erwartung sich gegen den Betrug, und rächt sich durch Geringschätzung des Gerühmten und des Rühmers. Daher gehe der Kluge zurückhaltend zu Werke und fehle lieber durch das zuwenig als durch das zuviel. Die ganz außerordentlichen Dinge jeder Art sind selten; also mäßige man seine Wertschätzung. Die Uebertreibung ist der Lüge verwandt, und durch dieselbe kommt man um den Ruf des guten Geschmacks, welches viel, und um den der Verständigkeit, welches mehr ist.
Einiges zu verdauen, Freund, was Sie uns hier auftischen. Das meiste mundet. Auch wenn es sich, um frei und frank zu bleiben, tatsächlich um pure Arroganz handelt, andere aus der eigenen Position heraus loben zu wollen, um selbst gut dazustehen. Fast alles, was Sie raten, hat Hintergedanken, die auf uns selbst gerichtet sind.
Sie bleiben und sind, als Pars pro toto Ihrer Zeit, ein Teil der Selbstüberschätzerzunft, die heutzutage me, myself and I genannt wird. Kein echtes Kompliment. Denn die Mäßigung, von der Sie sprechen, ist halt keine altruistische, sondern eine solipsistische.
Und, das aber nur am Rande, Peter Singer, der große Moralist meiner Zeit, umstritten und geliebt, entgegnete Ihnen sicherlich, dass wir gerade die kleinsten Zeichen gegenseitiger Anteilnahme und Fürsorge über den Klee loben müssen, um mehr aus uns und den anderen herauszukitzeln.
Lob weckt die Gier nach mehr. Und wenn das Mehr dem Guten dient - und dann allein -, will ich es lobschätzen, ohne mich vornehm zurückzuhalten.
Der vermeintlich gute Geschmack bleibt doch stets ein sonderbarer, ein wankelmütiges Vehikel unserer Zeit, Moral dagegen die reine Kraft der Ewigkeit.
20. Februar
Nie übertreiben. Es sei ein wichtiger Gegenstand unsrer Aufmerksamkeit, nicht in Superlativen zu reden; theils um nicht der Wahrheit zu nahe zu treten, theils um nicht unsern Verstand herabzusetzen. Die Übertreibungen sind Verschwendungen der Hochschätzung, und zeugen von der Beschränktheit unserer Kenntnisse und unsers Geschmacks. Das Lob erweckt lebhafte Neugierde, reizt das Begehren, und wann nun nachher, wie es sich gemeiniglich trifft, der Werth dem Preise nicht entspricht; so wendet die getäuschte Erwartung sich gegen den Betrug, und rächt sich durch Geringschätzung des Gerühmten und des Rühmers. Daher gehe der Kluge zurückhaltend zu Werke und fehle lieber durch das zuwenig als durch das zuviel. Die ganz außerordentlichen Dinge jeder Art sind selten; also mäßige man seine Wertschätzung. Die Uebertreibung ist der Lüge verwandt, und durch dieselbe kommt man um den Ruf des guten Geschmacks, welches viel, und um den der Verständigkeit, welches mehr ist.
Einiges zu verdauen, Freund, was Sie uns hier auftischen. Das meiste mundet. Auch wenn es sich, um frei und frank zu bleiben, tatsächlich um pure Arroganz handelt, andere aus der eigenen Position heraus loben zu wollen, um selbst gut dazustehen. Fast alles, was Sie raten, hat Hintergedanken, die auf uns selbst gerichtet sind.
Sie bleiben und sind, als Pars pro toto Ihrer Zeit, ein Teil der Selbstüberschätzerzunft, die heutzutage me, myself and I genannt wird. Kein echtes Kompliment. Denn die Mäßigung, von der Sie sprechen, ist halt keine altruistische, sondern eine solipsistische.
Und, das aber nur am Rande, Peter Singer, der große Moralist meiner Zeit, umstritten und geliebt, entgegnete Ihnen sicherlich, dass wir gerade die kleinsten Zeichen gegenseitiger Anteilnahme und Fürsorge über den Klee loben müssen, um mehr aus uns und den anderen herauszukitzeln.
Lob weckt die Gier nach mehr. Und wenn das Mehr dem Guten dient - und dann allein -, will ich es lobschätzen, ohne mich vornehm zurückzuhalten.
Der vermeintlich gute Geschmack bleibt doch stets ein sonderbarer, ein wankelmütiges Vehikel unserer Zeit, Moral dagegen die reine Kraft der Ewigkeit.
20. Februar
42.
Von angeborner Herrschaft. Sie ist die geheim wirkende Kraft der Ueberlegenheit. Nicht aus einer widerlichen Künstelei darf sie hervorgehn, sondern aus einer gebietenden Natur. Alle unterwerfen sich ihr, ohne zu wissen wie, indem sie die verborgene Macht natürlicher Autorität anerkennen. Diese gebietenden Geister sind Könige durch ihren Werth, und Löwen, kraft angebornen Vorrechts. Durch die Hochachtung, die sie einflößen, nehmen sie Herz und Verstand der Uebrigen gefangen. Sind solchen nun auch die andern Fähigkeiten günstig; so sind sie geboren, die ersten Hebel der Staatsmaschine zu seyn: denn sie wirken mehr durch eine Miene, als Andre durch eine lange Rede.
Wie gehe ich, um das einmal hier zu erwähnen, an eine Korrespondenz heran? Im gewissen Sinne, Freund, wie ein freier Kopist, der - sagen wir, es handelte sich um einen Maler - der sich am vorgefundenen Sujet orientiert, sich reiflich überlegt, welche Farben und Formen seiner Palette ihm und einem möglichen Publikum gefallen könnten, obwohl: ums Gefallen geht's mir an sich dann doch rein gar nicht, mir liegt vielmehr die hermeneutische, unverkrampfte Wahrhaftigkeit der Korrespondenz am Herzen, des franken, des freien Austausches, und ich, bewahre, verschleiere dabei und dennoch nicht, dass Sie eine zeitgebundene Position haben, die ihren eigenen Wert besitzt, und bin auch, einigermaßen, offen über meine beschränkte Lage, über meine momentanen Absichten, die sich, so bin ich, wankelmütig bin ich, für mich bin ich, ohne Resonanz bin ich, dadurch vollkommen unabhängig und vollkommen abhängig bin ich, die sich, von den Absichten spreche ich, morgen bereits etwas verschieben könnten, im gewissen Sinne, um den eingangs erwähnten Gedanken der Herangehensweise weiterzuspinnen, im gewissen Sinne bin ich also ein sehr freier Kopist, der Ihr couragiertes, ehrwürdiges Original als intellektuelles Trampolin benutzt, um in seine eigene ab und an nichts- oder, auch das kommt hoffentlich vor, allesnützige Bildwelt zu springen. Im Fluge, oben in der bereits verdünnten Trampolinluft, wenn ich mich noch freier als frei fühle, wenn ich kurz glaube, der Schwerkraft, die Sie, aus meiner Nachgeborenensicht, so arg gefesselt hat, entkommen zu sein, blicke ich auf Ihren Text und denke mir meinen (des öfteren) überheblichen Teil. Als ich nun eben, beim Einfügen, den Titel Von angeborner Herrschaft gelesen habe, bedauerte ich ad hoc sowohl Sie, den Absolutistisch-aufgeklärte-Herrscher-sind-toll-Fanatiker, als auch mich, der ich mich erneut mit Ihrem typischen Zeitgeschwätz als Vorlage auseinanderzusetzen habe, vor allen Dingen über Ihren Anspruch an die Welt nachsinnen möchte. Und so ist's denn gekommen, nun baden wir den klasischen Schlamassel, meinen und Ihren, konzise aus.
Heute möchte ich Ihnen nur mit einem einfachen, aber entschlossenen Nein anworten. Und füge allein hinzu: Hierarchien, die nicht vom Volke ausgehen, also keinen repräsentativen und zeitlich eingeschränkten Charakter haben, sind nun mal auf immer und ewig ungerecht - und diese Sprache verstehen Sie -, sind halt ein ekliges Teufelsding, das Ehrlich- und Aufrichtigkeit ausschließt. Absolutistische Hierarchien entwickeln sich schnell zur Hölle auf Erden. Niemand ist allein aufgeklärt, hat allein das aufgeklärte Sagen. Kein Mensch ist auf Dauer gut und edel oder spricht auf Dauer die schöne Wahrheit oder das gute Recht. Keine oder keiner steht über dem demokratischen Gesetz. Keine oder keiner kommt ohne demokratische Kontrolle und vernünftigen, eingeweihten, kritischen Rat aus. Entweder ist eine ganze Gesellschaft aufgeklärt und gleichberechtigt oder niemand. Gott und Gottesgnadentum sind cleverdreiste Herrschaftsmodelle, die sich, in aller Regel, ruchlose Machomänner ausgedacht haben, um ein ungestörtes Powerleben, in Saus und Braus, auf Kosten anderer zu führen.
Gleichheit sei uns angeboren. Freiheit sei unsere größte Lust. Mitgefühl und Liebe seien unsere einzigen erstrebenswerten Ziele.
21. Februar
Von angeborner Herrschaft. Sie ist die geheim wirkende Kraft der Ueberlegenheit. Nicht aus einer widerlichen Künstelei darf sie hervorgehn, sondern aus einer gebietenden Natur. Alle unterwerfen sich ihr, ohne zu wissen wie, indem sie die verborgene Macht natürlicher Autorität anerkennen. Diese gebietenden Geister sind Könige durch ihren Werth, und Löwen, kraft angebornen Vorrechts. Durch die Hochachtung, die sie einflößen, nehmen sie Herz und Verstand der Uebrigen gefangen. Sind solchen nun auch die andern Fähigkeiten günstig; so sind sie geboren, die ersten Hebel der Staatsmaschine zu seyn: denn sie wirken mehr durch eine Miene, als Andre durch eine lange Rede.
Wie gehe ich, um das einmal hier zu erwähnen, an eine Korrespondenz heran? Im gewissen Sinne, Freund, wie ein freier Kopist, der - sagen wir, es handelte sich um einen Maler - der sich am vorgefundenen Sujet orientiert, sich reiflich überlegt, welche Farben und Formen seiner Palette ihm und einem möglichen Publikum gefallen könnten, obwohl: ums Gefallen geht's mir an sich dann doch rein gar nicht, mir liegt vielmehr die hermeneutische, unverkrampfte Wahrhaftigkeit der Korrespondenz am Herzen, des franken, des freien Austausches, und ich, bewahre, verschleiere dabei und dennoch nicht, dass Sie eine zeitgebundene Position haben, die ihren eigenen Wert besitzt, und bin auch, einigermaßen, offen über meine beschränkte Lage, über meine momentanen Absichten, die sich, so bin ich, wankelmütig bin ich, für mich bin ich, ohne Resonanz bin ich, dadurch vollkommen unabhängig und vollkommen abhängig bin ich, die sich, von den Absichten spreche ich, morgen bereits etwas verschieben könnten, im gewissen Sinne, um den eingangs erwähnten Gedanken der Herangehensweise weiterzuspinnen, im gewissen Sinne bin ich also ein sehr freier Kopist, der Ihr couragiertes, ehrwürdiges Original als intellektuelles Trampolin benutzt, um in seine eigene ab und an nichts- oder, auch das kommt hoffentlich vor, allesnützige Bildwelt zu springen. Im Fluge, oben in der bereits verdünnten Trampolinluft, wenn ich mich noch freier als frei fühle, wenn ich kurz glaube, der Schwerkraft, die Sie, aus meiner Nachgeborenensicht, so arg gefesselt hat, entkommen zu sein, blicke ich auf Ihren Text und denke mir meinen (des öfteren) überheblichen Teil. Als ich nun eben, beim Einfügen, den Titel Von angeborner Herrschaft gelesen habe, bedauerte ich ad hoc sowohl Sie, den Absolutistisch-aufgeklärte-Herrscher-sind-toll-Fanatiker, als auch mich, der ich mich erneut mit Ihrem typischen Zeitgeschwätz als Vorlage auseinanderzusetzen habe, vor allen Dingen über Ihren Anspruch an die Welt nachsinnen möchte. Und so ist's denn gekommen, nun baden wir den klasischen Schlamassel, meinen und Ihren, konzise aus.
Heute möchte ich Ihnen nur mit einem einfachen, aber entschlossenen Nein anworten. Und füge allein hinzu: Hierarchien, die nicht vom Volke ausgehen, also keinen repräsentativen und zeitlich eingeschränkten Charakter haben, sind nun mal auf immer und ewig ungerecht - und diese Sprache verstehen Sie -, sind halt ein ekliges Teufelsding, das Ehrlich- und Aufrichtigkeit ausschließt. Absolutistische Hierarchien entwickeln sich schnell zur Hölle auf Erden. Niemand ist allein aufgeklärt, hat allein das aufgeklärte Sagen. Kein Mensch ist auf Dauer gut und edel oder spricht auf Dauer die schöne Wahrheit oder das gute Recht. Keine oder keiner steht über dem demokratischen Gesetz. Keine oder keiner kommt ohne demokratische Kontrolle und vernünftigen, eingeweihten, kritischen Rat aus. Entweder ist eine ganze Gesellschaft aufgeklärt und gleichberechtigt oder niemand. Gott und Gottesgnadentum sind cleverdreiste Herrschaftsmodelle, die sich, in aller Regel, ruchlose Machomänner ausgedacht haben, um ein ungestörtes Powerleben, in Saus und Braus, auf Kosten anderer zu führen.
Gleichheit sei uns angeboren. Freiheit sei unsere größte Lust. Mitgefühl und Liebe seien unsere einzigen erstrebenswerten Ziele.
21. Februar
43.
Denken wie die Wenigsten und reden wie die Meisten. Gegen den Strom schwimmen zu wollen, vermag keineswegs den Irrthum zu zerstören, sehr wohl aber, in Gefahr zu bringen. Nur ein Sokrates konnte es unternehmen. Von Andrer Meinung abweichen, wird für Beleidigung gehalten; denn es ist ein Verdammen des fremden Urtheils. Bald mehren sich die darob Verdrießlichen, theils wegen des getadelten Gegenstandes, theils wegen dessen, der ihn gelobt hatte. Die Wahrheit ist für Wenige, der Trug so allgemein wie gemein. Den Weisen wird man nicht an dem erkennen, was er auf dem Marktplatz redet: denn dort spricht er nicht mit seiner Stimme, sondern mit der der allgemeinen Thorheit, so sehr auch sein Inneres sie verleugnen mag. Der Kluge vermeidet eben so sehr, daß man ihm, als daß er Andern widerspreche: so bereit er zum Tadel ist, so zurückhaltend in der Aeußerung desselben. Das Denken ist frei, ihm kann und darf keine Gewalt geschehn. Daher zieht der Kluge sich zurück in das Heiligthum seines Schweigens: und läßt er ja sich bisweilen aus; so ist es im engen Kreise Weniger und Verständiger.
Reden sei Silber, Schweigen sei Gold, so heißt es doch in einem bekannten deutschen Sprichwort. Und die Betonung soll nun auf deutsch liegen. Die Deutschen haben, obwohl sie genug über die Mördertaten ihrer Nazimitbüger wussten, geschwiegen, als ihre jüdischen Nachbarn abgeholt wurden, um in den Konzentrationslagern gefoltert und vergast zu werden. Nein, Freund, aus meiner Perspektive muss ich Ihnen entgegenhalten: es lohnt sich, aufzustehen und sich gegen die Totschlägermeinung der Dummen und Ideologen und Despoten und Faschisten und Populisten aufzulehnen.
Sie wären überrascht gewesen, scheint mir, wie viele Bügerinnen und Bürger sich Ihnen in Ihrer Zeit vermutlich angeschlossen hätten. Fängt eine Kluge, ein Kluger an, folgen ihr oder ihm leichtfüßig andere, die auch ans Gute glauben und auf die Vernunft setzen. Der Verstand ist uns angeboren, liegt häufig genug verschüttet brach, die Empathie auch, sie ist in aller schönen Regel sichtbarer, und Bildung, von der Sie doch in Ihrer arg beschränkten Bewunderung der vermeintlich Großen Männer unermüdlich ausgehen - wie mich das Hagiographische, das Sie hier an den Tag legen, langweilt -, diese kühle, eng kalkulierte Bildung, die sich am erwünschten Kanon orientiert, hat oft genug rein gar nichts mit der liebenswürdigen Herzensbildung zu tun. Außerdem, was eine andere Frage ist, aber doch am Rande erwähnt sein soll, die ganze Hokuspokuseinbildung der Theologen und Astrologen, die Ihnen, schätze ich, teilweise als Männer der Weisheit vorgeschwebt haben, ist kruder, blödsinniger Nonsens.
Mein Denken soll, wie Hannah Arendt so treffend gesagt hat, ein Denken ohne Geländer sein. Es hat sich also frei zu fühlen. Es nimmt sich heraus, die Menschen-, Tier-, Pflanzen- und Erdrechte zu verteidigen. Erst in der Meinungsfreiheit, von der Sie nur träumen konnten, da man Ihnen den Kopf abgeschlagen hätte, wären Sie der einzige gewesen, der am Hofe oder in der Kirche den Unvernünftigen die Meinung gegeigt hätte, was mir selbstverständlich bekannt ist, erst in der Meinungsfreiheit vollendet sich der kritische Geist, wird der kritische Geist von seinesgleichen wahrgenommen und kritisiert, damit er sich entwickeln und schärfen kann.
Reden ist das Lebenselexier der Demokratie, Schweigen der dikatorische Tod. Wer nicht öffentlich sagen kann, was sie oder ihn bewegt, verharrt in sich selbst, schrumpft zum unglücklichen Wicht. Die Agora des 21. Jahrhunderts kennt keine Heiligtümer des Stillseins, nur die des Anstands. Denn dass wir ohne vernünftige Regeln und allgemein akzeptierte Benimmcodes auskommen, das wiederum glaube ich auch nicht.
Freiheit existiert, weil wir sie sowohl vor der willkürlichen Entmündigung als auch der gewalttätigen Anarchie schützen. Ohne Gesetze keine Ordnung, ohne Rede- und Pressefreiheit keine Demokratie. Bleibt die enorm schwierige und wichtige Frage: wer die Demokratie auf was für eine angemessene Art und Weise schützt, da doch Law-&-Order-Einheiten die ewige Sehnsucht verspüren, ins Autoritäre, Nicht-Demokratische abzugleiten, nur zu gerne und eilfertig auf einfachen Alle festnehmen!-Befehlen bestehen, die es in einer lebendigen, vielfältigen Gesellschaft halt nicht geben kann und, gehen wir einen Schritt weiter, unter gar keinen Umständen geben darf. Demokratie lebt eben vom kreativen Wider- und nachhaltigen Einspruch, nicht vom allzeit gehorsamen, dumm-devoten Zuspruch. Darüber, Freund, wollen wir, falls es Ihnen recht ist, ein anderes mal plaudern.
22. Februar
Denken wie die Wenigsten und reden wie die Meisten. Gegen den Strom schwimmen zu wollen, vermag keineswegs den Irrthum zu zerstören, sehr wohl aber, in Gefahr zu bringen. Nur ein Sokrates konnte es unternehmen. Von Andrer Meinung abweichen, wird für Beleidigung gehalten; denn es ist ein Verdammen des fremden Urtheils. Bald mehren sich die darob Verdrießlichen, theils wegen des getadelten Gegenstandes, theils wegen dessen, der ihn gelobt hatte. Die Wahrheit ist für Wenige, der Trug so allgemein wie gemein. Den Weisen wird man nicht an dem erkennen, was er auf dem Marktplatz redet: denn dort spricht er nicht mit seiner Stimme, sondern mit der der allgemeinen Thorheit, so sehr auch sein Inneres sie verleugnen mag. Der Kluge vermeidet eben so sehr, daß man ihm, als daß er Andern widerspreche: so bereit er zum Tadel ist, so zurückhaltend in der Aeußerung desselben. Das Denken ist frei, ihm kann und darf keine Gewalt geschehn. Daher zieht der Kluge sich zurück in das Heiligthum seines Schweigens: und läßt er ja sich bisweilen aus; so ist es im engen Kreise Weniger und Verständiger.
Reden sei Silber, Schweigen sei Gold, so heißt es doch in einem bekannten deutschen Sprichwort. Und die Betonung soll nun auf deutsch liegen. Die Deutschen haben, obwohl sie genug über die Mördertaten ihrer Nazimitbüger wussten, geschwiegen, als ihre jüdischen Nachbarn abgeholt wurden, um in den Konzentrationslagern gefoltert und vergast zu werden. Nein, Freund, aus meiner Perspektive muss ich Ihnen entgegenhalten: es lohnt sich, aufzustehen und sich gegen die Totschlägermeinung der Dummen und Ideologen und Despoten und Faschisten und Populisten aufzulehnen.
Sie wären überrascht gewesen, scheint mir, wie viele Bügerinnen und Bürger sich Ihnen in Ihrer Zeit vermutlich angeschlossen hätten. Fängt eine Kluge, ein Kluger an, folgen ihr oder ihm leichtfüßig andere, die auch ans Gute glauben und auf die Vernunft setzen. Der Verstand ist uns angeboren, liegt häufig genug verschüttet brach, die Empathie auch, sie ist in aller schönen Regel sichtbarer, und Bildung, von der Sie doch in Ihrer arg beschränkten Bewunderung der vermeintlich Großen Männer unermüdlich ausgehen - wie mich das Hagiographische, das Sie hier an den Tag legen, langweilt -, diese kühle, eng kalkulierte Bildung, die sich am erwünschten Kanon orientiert, hat oft genug rein gar nichts mit der liebenswürdigen Herzensbildung zu tun. Außerdem, was eine andere Frage ist, aber doch am Rande erwähnt sein soll, die ganze Hokuspokuseinbildung der Theologen und Astrologen, die Ihnen, schätze ich, teilweise als Männer der Weisheit vorgeschwebt haben, ist kruder, blödsinniger Nonsens.
Mein Denken soll, wie Hannah Arendt so treffend gesagt hat, ein Denken ohne Geländer sein. Es hat sich also frei zu fühlen. Es nimmt sich heraus, die Menschen-, Tier-, Pflanzen- und Erdrechte zu verteidigen. Erst in der Meinungsfreiheit, von der Sie nur träumen konnten, da man Ihnen den Kopf abgeschlagen hätte, wären Sie der einzige gewesen, der am Hofe oder in der Kirche den Unvernünftigen die Meinung gegeigt hätte, was mir selbstverständlich bekannt ist, erst in der Meinungsfreiheit vollendet sich der kritische Geist, wird der kritische Geist von seinesgleichen wahrgenommen und kritisiert, damit er sich entwickeln und schärfen kann.
Reden ist das Lebenselexier der Demokratie, Schweigen der dikatorische Tod. Wer nicht öffentlich sagen kann, was sie oder ihn bewegt, verharrt in sich selbst, schrumpft zum unglücklichen Wicht. Die Agora des 21. Jahrhunderts kennt keine Heiligtümer des Stillseins, nur die des Anstands. Denn dass wir ohne vernünftige Regeln und allgemein akzeptierte Benimmcodes auskommen, das wiederum glaube ich auch nicht.
Freiheit existiert, weil wir sie sowohl vor der willkürlichen Entmündigung als auch der gewalttätigen Anarchie schützen. Ohne Gesetze keine Ordnung, ohne Rede- und Pressefreiheit keine Demokratie. Bleibt die enorm schwierige und wichtige Frage: wer die Demokratie auf was für eine angemessene Art und Weise schützt, da doch Law-&-Order-Einheiten die ewige Sehnsucht verspüren, ins Autoritäre, Nicht-Demokratische abzugleiten, nur zu gerne und eilfertig auf einfachen Alle festnehmen!-Befehlen bestehen, die es in einer lebendigen, vielfältigen Gesellschaft halt nicht geben kann und, gehen wir einen Schritt weiter, unter gar keinen Umständen geben darf. Demokratie lebt eben vom kreativen Wider- und nachhaltigen Einspruch, nicht vom allzeit gehorsamen, dumm-devoten Zuspruch. Darüber, Freund, wollen wir, falls es Ihnen recht ist, ein anderes mal plaudern.
22. Februar
44.
Mit großen Männern sympathisiren. Es ist eine Eigenschaft der Heroen, mit Heroen übereinzustimmen. Hierin liegt ein Wunder der Natur, sowohl wegen des Geheimnißvollen darin, als auch wegen des Nützlichen. Es giebt eine Verwandtschaft der Herzen und Gemüthsarten: ihre Wirkungen sind solche, wie die Unwissenheit des großen Haufens sie Zaubertränken zuschreibt. Sie bleibt nicht bei der Hochachtung stehn, sondern geht bis zum Wohlwollen, ja bis zur Zuneigung. Sie überredet ohne Worte und erlangt ohne Verdienst. Es giebt eine aktive und eine passive: beide sind heilbringend, und um so mehr, in je erhabenerer Gattung. Es ist eine große Geschicklichkeit, sie zu erkennen, zu unterscheiden und sie zu nutzen zu verstehen. Denn kein Eigensinn kann ohne diese geheime Gunst zum Zwecke führen.
Mit großen Männern nicht sympatisieren. Es ist eine Eigenschaft der Heroen, mit Heroen nicht übereinzustimmen. Hierin liegt dennoch kein Wunder der Natur, sowohl wegen des Geheimnislosen darin, als auch wegen des Unnützlichen. Es gibt keine Verwandtschaft der Herzen und Gemütsarten: ihre Wirkungen sind niemals solche, wie die Unwissenheit des großen Haufens sie Zaubertränken zuschreibt. Sie bleibt stets bei der Hochachtung stehn, geht unter gar keinen Umständen bis zum Wohlwollen oder bis zur Zuneigung. Sie überredet mit vielen Worten und erlangt allein mit Verdienst. Es gibt keine aktive und keine passive: beide wären unheilbringend, und um so mehr, in je devoterer Gattung. Es ist eine sehr kleine Geschicklichkeit, sie zu erkennen, zu unterscheiden und sie zu nutzen zu verstehen. Denn allein ein Eigensinn kann ohne diese geheime Gunst zum Zwecke führen.
23. Februar
Mit großen Männern sympathisiren. Es ist eine Eigenschaft der Heroen, mit Heroen übereinzustimmen. Hierin liegt ein Wunder der Natur, sowohl wegen des Geheimnißvollen darin, als auch wegen des Nützlichen. Es giebt eine Verwandtschaft der Herzen und Gemüthsarten: ihre Wirkungen sind solche, wie die Unwissenheit des großen Haufens sie Zaubertränken zuschreibt. Sie bleibt nicht bei der Hochachtung stehn, sondern geht bis zum Wohlwollen, ja bis zur Zuneigung. Sie überredet ohne Worte und erlangt ohne Verdienst. Es giebt eine aktive und eine passive: beide sind heilbringend, und um so mehr, in je erhabenerer Gattung. Es ist eine große Geschicklichkeit, sie zu erkennen, zu unterscheiden und sie zu nutzen zu verstehen. Denn kein Eigensinn kann ohne diese geheime Gunst zum Zwecke führen.
Mit großen Männern nicht sympatisieren. Es ist eine Eigenschaft der Heroen, mit Heroen nicht übereinzustimmen. Hierin liegt dennoch kein Wunder der Natur, sowohl wegen des Geheimnislosen darin, als auch wegen des Unnützlichen. Es gibt keine Verwandtschaft der Herzen und Gemütsarten: ihre Wirkungen sind niemals solche, wie die Unwissenheit des großen Haufens sie Zaubertränken zuschreibt. Sie bleibt stets bei der Hochachtung stehn, geht unter gar keinen Umständen bis zum Wohlwollen oder bis zur Zuneigung. Sie überredet mit vielen Worten und erlangt allein mit Verdienst. Es gibt keine aktive und keine passive: beide wären unheilbringend, und um so mehr, in je devoterer Gattung. Es ist eine sehr kleine Geschicklichkeit, sie zu erkennen, zu unterscheiden und sie zu nutzen zu verstehen. Denn allein ein Eigensinn kann ohne diese geheime Gunst zum Zwecke führen.
23. Februar
45.
Von der Schlauheit Gebrauch, nicht Mißbrauch machen. Man soll sich nicht in ihr gefallen, noch weniger sie zu verstehn geben. Alles Künstliche muß verdeckt bleiben, weil es verdächtig ist, besonders aber, wenn es Vorsichtsmaaßregeln betrifft; denn da ist es verhaßt. Der Betrug ist stark im Gebrauch; daher verdoppele sich der Verdacht, ohne jedoch sich zu erkennen zu geben; weil er sonst Mißtrauen erregt, sehr kränkt, zur Rache auffordert und Schlechtigkeiten erweckt, an welche vorher Keiner gedacht hatte. Mit Ueberlegung zu Werke gehn, ist ein mächtiger Vortheil beim Handeln, und es giebt keinen sicherern Beweis von Vernunft. Die größte Vollkommenheit der Handlungen stützt sich auf die sichere Meisterschaft, mit der man sie ausführt.
Zunächst ein halbes Kompliment ob Ihrer, Freund, Schlaumeierei, für dieses riskante Werk, dessen Publikation Ihnen, wie erwähnt, von Ihrem Orden ausdrücklich verboten worden war, einen Nome de guerre zu tragen - ob "Lorenzo Gracián" die beste Wahl für ein raffiniertes Pseudonym war, sei allerdings dahingestellt.
Nun zum vorliegenden Abschnitt, der sich an der Oberseite mit der Schlauheit, an der Unterseite wohl auch, um nicht zu sagen: sogar eher, mit dem Paranoiden beschäftigt.
Eine grundsätzliche Bemerkung vorab sei mir bitte gestattet, Ihre Ansätze reizen mich zu solchen Präambeln: niemals sei irgendein Missbrauch angebracht, im Begriff hausen nun mal bereits Schändung und Schindluder. Und der Macht-Missbrauch ist, in meinem Jahrhundert, zu einem Ausdruck geworden, der für eine bestimmte koloniale und macho-männliche Weltauffassung steht; wobei ich, was Sie hoffentlich bemerkt haben, nicht übermäßig dem Politisch Korrekten anhänge, aber doch ein hinreichend verzogenes Kind meiner Sprach- und Denkzeit bin; und wer wäre das nicht? Meine Einlassungen auf Ihre Orokeleien, was mir klar ist, hängen an diesem seidenen Linguistikfaden, der nun weder ein festes Tau ist, noch eine extrem starke Trosse sein soll oder kann. Mir gefällt das theoretisch dräuende Risiko des Absturzes, wenn der Faden, der uns verbindet, reißt, und ich mache mir gar keine Mühe, meinen möglichen freien Fall zu vermeiden.
Ein gelungener Crash - wohlgemerkt: mein eigener, andere möchte ich nicht unnötigerweise mit in den Abgrund reißen - kann uns, in letzter Konsequenz, wachrütteln und dadurch retten. Eine Verletzung sei besser als der moralische Tod, ein demokratischer Fehlschlag angenehmer als ein absolutistischer Ritterschlag.
Also damit, Freund, zum Paranoiden, was Ihnen als Schwindelstimmung des öfteren eigen scheint. Die Lust am Verbergen sei, was Ihnen natürlich klar war, stets auch eine ungeheure Last, die uns kleiner macht als es uns ansteht. Wir steigern uns, fangen wir mit den Lügen an, schnell in einer Orgie von Unwahrheiten, die aufeinander Bezug nehmen, sich gegenseitig hochschaukeln, bis niemand, uns eingeschlossen, die kleinste Ahnung mehr hat, was tatsächlich Sache ist. Verstellungen schlagen auf uns zurück, über kurz oder lang finden andere heraus, was wir doch mit aller Finesse verbergen wollten, und dann, Freund, sitzen wir erst recht im Schlamassel.
Denn der Ruf, den ich so verloren, kehrt nicht als schnelles Echo zu mir zurück, er verhallt und mein Glück auf immerdar mit ihm.
23. Februar
Von der Schlauheit Gebrauch, nicht Mißbrauch machen. Man soll sich nicht in ihr gefallen, noch weniger sie zu verstehn geben. Alles Künstliche muß verdeckt bleiben, weil es verdächtig ist, besonders aber, wenn es Vorsichtsmaaßregeln betrifft; denn da ist es verhaßt. Der Betrug ist stark im Gebrauch; daher verdoppele sich der Verdacht, ohne jedoch sich zu erkennen zu geben; weil er sonst Mißtrauen erregt, sehr kränkt, zur Rache auffordert und Schlechtigkeiten erweckt, an welche vorher Keiner gedacht hatte. Mit Ueberlegung zu Werke gehn, ist ein mächtiger Vortheil beim Handeln, und es giebt keinen sicherern Beweis von Vernunft. Die größte Vollkommenheit der Handlungen stützt sich auf die sichere Meisterschaft, mit der man sie ausführt.
Zunächst ein halbes Kompliment ob Ihrer, Freund, Schlaumeierei, für dieses riskante Werk, dessen Publikation Ihnen, wie erwähnt, von Ihrem Orden ausdrücklich verboten worden war, einen Nome de guerre zu tragen - ob "Lorenzo Gracián" die beste Wahl für ein raffiniertes Pseudonym war, sei allerdings dahingestellt.
Nun zum vorliegenden Abschnitt, der sich an der Oberseite mit der Schlauheit, an der Unterseite wohl auch, um nicht zu sagen: sogar eher, mit dem Paranoiden beschäftigt.
Eine grundsätzliche Bemerkung vorab sei mir bitte gestattet, Ihre Ansätze reizen mich zu solchen Präambeln: niemals sei irgendein Missbrauch angebracht, im Begriff hausen nun mal bereits Schändung und Schindluder. Und der Macht-Missbrauch ist, in meinem Jahrhundert, zu einem Ausdruck geworden, der für eine bestimmte koloniale und macho-männliche Weltauffassung steht; wobei ich, was Sie hoffentlich bemerkt haben, nicht übermäßig dem Politisch Korrekten anhänge, aber doch ein hinreichend verzogenes Kind meiner Sprach- und Denkzeit bin; und wer wäre das nicht? Meine Einlassungen auf Ihre Orokeleien, was mir klar ist, hängen an diesem seidenen Linguistikfaden, der nun weder ein festes Tau ist, noch eine extrem starke Trosse sein soll oder kann. Mir gefällt das theoretisch dräuende Risiko des Absturzes, wenn der Faden, der uns verbindet, reißt, und ich mache mir gar keine Mühe, meinen möglichen freien Fall zu vermeiden.
Ein gelungener Crash - wohlgemerkt: mein eigener, andere möchte ich nicht unnötigerweise mit in den Abgrund reißen - kann uns, in letzter Konsequenz, wachrütteln und dadurch retten. Eine Verletzung sei besser als der moralische Tod, ein demokratischer Fehlschlag angenehmer als ein absolutistischer Ritterschlag.
Also damit, Freund, zum Paranoiden, was Ihnen als Schwindelstimmung des öfteren eigen scheint. Die Lust am Verbergen sei, was Ihnen natürlich klar war, stets auch eine ungeheure Last, die uns kleiner macht als es uns ansteht. Wir steigern uns, fangen wir mit den Lügen an, schnell in einer Orgie von Unwahrheiten, die aufeinander Bezug nehmen, sich gegenseitig hochschaukeln, bis niemand, uns eingeschlossen, die kleinste Ahnung mehr hat, was tatsächlich Sache ist. Verstellungen schlagen auf uns zurück, über kurz oder lang finden andere heraus, was wir doch mit aller Finesse verbergen wollten, und dann, Freund, sitzen wir erst recht im Schlamassel.
Denn der Ruf, den ich so verloren, kehrt nicht als schnelles Echo zu mir zurück, er verhallt und mein Glück auf immerdar mit ihm.
23. Februar
46.
Seine Antipathie bemeistern. Oft verabscheuen wir aus freien Stücken, und sogar ehe wir die Eigenschaften der betreffenden Personen kennen gelernt haben: bisweilen wagt dieser angeborene, pöbelhafte Widerwille sich selbst gegen die ausgezeichnetesten Männer zu regen. Die Klugheit werde Herr über ihn: denn nichts kann eine schlechtere Meinung von uns erregen, als daß wir die verabscheuen, welche mehr werth sind als wir. So sehr als die Sympathie mit großen Männern zu unserm Vortheil spricht, setzt die Antipathie gegen dieselben uns herab.
In der ersten Hälfte des Paragraphen, Freund, treffen wir uns. Jeder und jede sollte eine Chance von uns bekommen, sich zu beweisen, uns von sich zu überzeugen. Vorurteile waren und sind, in aller Regel, nicht gerechtfertigt und schließen uns in ein Haus ein, dessen Fenster Klischees und Türen Stereotypien sind. Was wir sehen, ist vorgekaut, wem wir begegnen, zu vertraut.
Nun zur zweiten Hälfte, in der Sie wieder mal Ihre eigene, private Antipathie gegen die kleinen Leute öffentlich spazierenführen, deren Integrität und Lebensleistung Ihnen offenbar weder eine Silbe wert ist noch jemals Ehrfurcht eingeflößt hat. Wäre ich freundlicher gestimmt, wählte ich statt Antipathie vielleicht Ignoranz, um Ihre Einstellung zu beschreiben, aber das bin ich heute nicht. Um ehrlich zu sein: am gestrigen Nachmittag, als ich mir Gedanken über unsere Korrespondenzen machte, überkam mich sowohl eine ungeheure Wut auf Sie als auch auf mich selbst, deren Wucht und Wumme mich arg erschütterte. Ich habe mich gefragt, ob ich nicht meine Zeit mit Ihren hierarchiegeilen Vorurteilen und religiös-absolutistischen Beschränktheiten verplempere. Ich verspürte das dringende Bedürfnis, unseren Austausch an den engstirnigen (In)Toleranznagel zu hängen, Sie und Ihresgleichen als bornierte Devotionalienhändler und unbelehrbare Fürstenknechte einfach humanistisch und sozialistisch links liegen zu lassen. Das käme mir, Feind, Pardon: Freund, allerdings arg und zu billig vor. Denn Sie, der böse und menschenhassende Teil Ihrer Persönlichkeit, die doch auch viele zauberhafte und bewundernswerte Seiten hat, denn Sie und Ihresgleichen sind eben überall anwesend, jetzt und heute und morgen, nicht nur gestern und vorgestern. Ihnen begegne ich unablässig - als Politiker und Wirtschaftsführer, als Banker und Bauarbeiter. Und es handelt sich, in neun von zehn Fällen, bei Ihnen um einen typischen Mann, der lieber zornig zuschlägt als Friedensvorschläge akzeptiert. Ihre Asozialität, Ihr Untertanengeist, Ihre Wut und Ihr Hass, alles typisch männliche Attribute, die mich en masse umgeben. Und darum, Freund, darum höre ich nicht auf, mit Ihnen zu sprechen. In Ihnen sehe ich meine bigotte Welt, meine Gesellschaft, die sogar glaubt, einigermaßen aufgeklärt zu sein, die glaubt, den Leitbildern der franzöischen Revolution, liberté, égalité, fraternité, treu zu sein, aber in Wahrheit nur der undemokratischen Guillotine folgt. In Ihnen sehe ich meine eigenen Schwächen, meine schlimmsten Vorurteile, meine unrühmliche Sozialisation, die mich seit der Kindheit im Survival-of-the-Fittest einkerkert. Sie und Ihresgleichen sind Halsabschneider, die sich nach oben geschickt einschmeicheln, nach unten brutal kratzbürsten. Ihr Oben kann dabei durchaus vom Wissen definiert sein, das macht Sie persönlich so attraktiv, das macht Sie zum Aufklärer in einer finsteren Zeit, aber Ihr Oben ist zunächst mal eine tiefe Verbeugung vor den sogenannten Wohlgeborenen, vor den unrechtmäßigen Herrschern, vor den oberflächlichen Potentaten, die sich irgendwie, mit allen unschönen Mitteln gewaltbereit an der Macht halten. Die Ohnmacht der Besitzlosen, Freund, kratzt Sie und Ihresgleichen nicht. Ihr Kapitalismus ist theologisch und leleologisch begründet. Wer unten ist, hat's halt verdient. Punkt. Aus. Ende der Debatte, wenn's überhaupt eine gibt. Da bin ich deutlich anderer Meinung. Ich setze auf eine Gesellschaft, in der wir alle die gleichen Rechte haben. Wie heißt es so überzeugend im Grundgesetz? Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ich bin deswegen zum Schluss gekommen, dass sich die Auseinandersetzung mit Ihnen dennoch lohnt, dass ich nicht die Flinte feige ins Korn werfe, wenn ich als Pazifist dieses abgedroschene, kriegerische Bild verwenden darf.
Ich bin also zähneknirschend zum Schluss gekommen, dass ich mich mit Ihren Meinungen weiterhin abmühen will, im Guten wie im Schlechten. Doch, es sei erwähnt, das Tischtuch zwischen uns, es ist wohl eher zerschnitten, wir sitzen nicht unbedingt nebeneinander, was wiederum nicht schlecht sein muss, beim demokratischen Diskurs. Abstand sei anständiger als falsche Nähe.
24. Februar
Seine Antipathie bemeistern. Oft verabscheuen wir aus freien Stücken, und sogar ehe wir die Eigenschaften der betreffenden Personen kennen gelernt haben: bisweilen wagt dieser angeborene, pöbelhafte Widerwille sich selbst gegen die ausgezeichnetesten Männer zu regen. Die Klugheit werde Herr über ihn: denn nichts kann eine schlechtere Meinung von uns erregen, als daß wir die verabscheuen, welche mehr werth sind als wir. So sehr als die Sympathie mit großen Männern zu unserm Vortheil spricht, setzt die Antipathie gegen dieselben uns herab.
In der ersten Hälfte des Paragraphen, Freund, treffen wir uns. Jeder und jede sollte eine Chance von uns bekommen, sich zu beweisen, uns von sich zu überzeugen. Vorurteile waren und sind, in aller Regel, nicht gerechtfertigt und schließen uns in ein Haus ein, dessen Fenster Klischees und Türen Stereotypien sind. Was wir sehen, ist vorgekaut, wem wir begegnen, zu vertraut.
Nun zur zweiten Hälfte, in der Sie wieder mal Ihre eigene, private Antipathie gegen die kleinen Leute öffentlich spazierenführen, deren Integrität und Lebensleistung Ihnen offenbar weder eine Silbe wert ist noch jemals Ehrfurcht eingeflößt hat. Wäre ich freundlicher gestimmt, wählte ich statt Antipathie vielleicht Ignoranz, um Ihre Einstellung zu beschreiben, aber das bin ich heute nicht. Um ehrlich zu sein: am gestrigen Nachmittag, als ich mir Gedanken über unsere Korrespondenzen machte, überkam mich sowohl eine ungeheure Wut auf Sie als auch auf mich selbst, deren Wucht und Wumme mich arg erschütterte. Ich habe mich gefragt, ob ich nicht meine Zeit mit Ihren hierarchiegeilen Vorurteilen und religiös-absolutistischen Beschränktheiten verplempere. Ich verspürte das dringende Bedürfnis, unseren Austausch an den engstirnigen (In)Toleranznagel zu hängen, Sie und Ihresgleichen als bornierte Devotionalienhändler und unbelehrbare Fürstenknechte einfach humanistisch und sozialistisch links liegen zu lassen. Das käme mir, Feind, Pardon: Freund, allerdings arg und zu billig vor. Denn Sie, der böse und menschenhassende Teil Ihrer Persönlichkeit, die doch auch viele zauberhafte und bewundernswerte Seiten hat, denn Sie und Ihresgleichen sind eben überall anwesend, jetzt und heute und morgen, nicht nur gestern und vorgestern. Ihnen begegne ich unablässig - als Politiker und Wirtschaftsführer, als Banker und Bauarbeiter. Und es handelt sich, in neun von zehn Fällen, bei Ihnen um einen typischen Mann, der lieber zornig zuschlägt als Friedensvorschläge akzeptiert. Ihre Asozialität, Ihr Untertanengeist, Ihre Wut und Ihr Hass, alles typisch männliche Attribute, die mich en masse umgeben. Und darum, Freund, darum höre ich nicht auf, mit Ihnen zu sprechen. In Ihnen sehe ich meine bigotte Welt, meine Gesellschaft, die sogar glaubt, einigermaßen aufgeklärt zu sein, die glaubt, den Leitbildern der franzöischen Revolution, liberté, égalité, fraternité, treu zu sein, aber in Wahrheit nur der undemokratischen Guillotine folgt. In Ihnen sehe ich meine eigenen Schwächen, meine schlimmsten Vorurteile, meine unrühmliche Sozialisation, die mich seit der Kindheit im Survival-of-the-Fittest einkerkert. Sie und Ihresgleichen sind Halsabschneider, die sich nach oben geschickt einschmeicheln, nach unten brutal kratzbürsten. Ihr Oben kann dabei durchaus vom Wissen definiert sein, das macht Sie persönlich so attraktiv, das macht Sie zum Aufklärer in einer finsteren Zeit, aber Ihr Oben ist zunächst mal eine tiefe Verbeugung vor den sogenannten Wohlgeborenen, vor den unrechtmäßigen Herrschern, vor den oberflächlichen Potentaten, die sich irgendwie, mit allen unschönen Mitteln gewaltbereit an der Macht halten. Die Ohnmacht der Besitzlosen, Freund, kratzt Sie und Ihresgleichen nicht. Ihr Kapitalismus ist theologisch und leleologisch begründet. Wer unten ist, hat's halt verdient. Punkt. Aus. Ende der Debatte, wenn's überhaupt eine gibt. Da bin ich deutlich anderer Meinung. Ich setze auf eine Gesellschaft, in der wir alle die gleichen Rechte haben. Wie heißt es so überzeugend im Grundgesetz? Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ich bin deswegen zum Schluss gekommen, dass sich die Auseinandersetzung mit Ihnen dennoch lohnt, dass ich nicht die Flinte feige ins Korn werfe, wenn ich als Pazifist dieses abgedroschene, kriegerische Bild verwenden darf.
Ich bin also zähneknirschend zum Schluss gekommen, dass ich mich mit Ihren Meinungen weiterhin abmühen will, im Guten wie im Schlechten. Doch, es sei erwähnt, das Tischtuch zwischen uns, es ist wohl eher zerschnitten, wir sitzen nicht unbedingt nebeneinander, was wiederum nicht schlecht sein muss, beim demokratischen Diskurs. Abstand sei anständiger als falsche Nähe.
24. Februar
47.
Ehrensachen meiden. Einer der wichtigsten Gegenstände der Vorsicht. In Leuten von umfassendem Geiste liegen stets die Extreme sehr weit von einander entfernt, so daß ein langer Weg vom einen zum andern ist: sie selbst aber halten sich immer im Mittelpunkt ihrer Klugheit, daher sie es nicht leicht zum Bruche kommen lassen. Denn es ist viel leichter einer Gelegenheit dieser Art auszuweichen, als mit Glück aus derselben herauszukommen. Dergleichen sind Versuchungen unsrer Klugheit, und es ist sicherer sie zu fliehen, als in ihnen zu siegen. Eine Ehrensache führt eine andre und schlimmere herbei, und dabei kann die Ehre leicht sehr zu Schaden kommen. Es giebt Leute, die, vermöge ihres eigenthümlichen oder ihres National-Karakters, leicht Gelegenheit nehmen und geben, und geneigt sind Verpflichtungen dieser Art einzugehn. Hingegen bei dem, der am Lichte der Vernunft wandelt, bedarf die Sache längerer Ueberlegung. Er sieht mehr Muth darin, sich nicht einzulassen, als zu siegen: und wenn auch etwa ein allezeit bereitwilliger Narr da ist, so bittet er zu entschuldigen, daß er nicht Lust hat, der andre zu seyn.
Wir reden wohl, im ungeraden wie im geraden, Freund, scheint mir, über das Duell, was aus einer Ehrensache erwächst. Im Vermeiden eines solchen, das, zu Ihrer Zeit, noch regelmäßig ausgefochten wurde, zeigt sich, fraglos, Lebensklugheit. Hitzköpfig einem sinnfreien Ehrenkodex anzuhängen und dafür alles zu riskieren, was uns bleibt, die Freude und das Hochgefühl, atmen und denken zu dürfen, seien zuerst genannt, viele andere Dinge ließen sich anführen, solcher Jähzorn sei kühlen Köpfen fremd. Dass die Derben und Dummen immer wieder versuchen, uns auf die schiefe Ehrenbahn zu locken, um uns rutschen zu sehen und fluchen zu hören, um ihre Schlüsse, ihre Schadenfreude aus unserem Malheur zu ziehen, sich über unsere Ungeschicklichkeit in Extensio lustig zu machen, bis uns der Kragen platzt und wir in aller Öffentlichkeit Dinge sagen, die, in den Ohren der Dummen und Derben, nach Satisfaktion verlangen und uns selbst, später in der stillen Kammer, beschämen, all das findet überall und immer statt, scheint eine menschliche Konstante zu sein. Die Folgen, heutzutage, sind selten tödlich, was den Körper betrifft; mit dem Gemüt, auf dessen dünnste Seiten uns diese leidigen Beleidigungen schlagen, ist's oft genug eine schwerwiegendere Sache. Obwohl es durchaus vorkommt, dass sich Gehänselte und Gekränkte, Diffamierte und Verlassene, erschöpft vom bösartigen Streit als auch der ätzenden Diffamierung, resigniert das Leben nehmen. Tragische Fälle, die in meinen Tagen häufig mit dem Internetpranger zu tun haben, an dem wir, wehren wir uns nicht, ziehen wir nicht die verantwortlichen Datenkrakenfirmen vor den Kadi, auf immer und ewig stehen. Psychologisch ist die Ehrabschneiderei nicht anders als zu Ihrer Zeit, Freund.
Mensch bleibt Mensch, in sich rach- und ehrsüchtig; was, das Menschbleiben, einerseits irgendwie durchaus beruhigend ist, da wir, als evolutionäre Kreaturen, somit alle Möglichkeiten der treuen Entwicklung unseres Geistes besitzen, andererseits auch beunruhigend ist, da die atavistischen Gefühle in uns unvermittelt aufwallen und die Vernunft wegspülen können. Aus diesem Dilemma gibt's wohl kein allgemeines Entkommen. Bleibt, und hier stimmen wir überein, die Vorsicht, bleibt die Abstinenz von allen Ehrenkodexstolperfallen.
Ehre sei, ehrlich zu bleiben, mit uns, mit der Welt. Jede andere Form der Ehre sei Teil verlogener Konventionen, die niemanden glücklich oder liebenswürdig, stolz oder zufrieden machen.
25. Februar
Ehrensachen meiden. Einer der wichtigsten Gegenstände der Vorsicht. In Leuten von umfassendem Geiste liegen stets die Extreme sehr weit von einander entfernt, so daß ein langer Weg vom einen zum andern ist: sie selbst aber halten sich immer im Mittelpunkt ihrer Klugheit, daher sie es nicht leicht zum Bruche kommen lassen. Denn es ist viel leichter einer Gelegenheit dieser Art auszuweichen, als mit Glück aus derselben herauszukommen. Dergleichen sind Versuchungen unsrer Klugheit, und es ist sicherer sie zu fliehen, als in ihnen zu siegen. Eine Ehrensache führt eine andre und schlimmere herbei, und dabei kann die Ehre leicht sehr zu Schaden kommen. Es giebt Leute, die, vermöge ihres eigenthümlichen oder ihres National-Karakters, leicht Gelegenheit nehmen und geben, und geneigt sind Verpflichtungen dieser Art einzugehn. Hingegen bei dem, der am Lichte der Vernunft wandelt, bedarf die Sache längerer Ueberlegung. Er sieht mehr Muth darin, sich nicht einzulassen, als zu siegen: und wenn auch etwa ein allezeit bereitwilliger Narr da ist, so bittet er zu entschuldigen, daß er nicht Lust hat, der andre zu seyn.
Wir reden wohl, im ungeraden wie im geraden, Freund, scheint mir, über das Duell, was aus einer Ehrensache erwächst. Im Vermeiden eines solchen, das, zu Ihrer Zeit, noch regelmäßig ausgefochten wurde, zeigt sich, fraglos, Lebensklugheit. Hitzköpfig einem sinnfreien Ehrenkodex anzuhängen und dafür alles zu riskieren, was uns bleibt, die Freude und das Hochgefühl, atmen und denken zu dürfen, seien zuerst genannt, viele andere Dinge ließen sich anführen, solcher Jähzorn sei kühlen Köpfen fremd. Dass die Derben und Dummen immer wieder versuchen, uns auf die schiefe Ehrenbahn zu locken, um uns rutschen zu sehen und fluchen zu hören, um ihre Schlüsse, ihre Schadenfreude aus unserem Malheur zu ziehen, sich über unsere Ungeschicklichkeit in Extensio lustig zu machen, bis uns der Kragen platzt und wir in aller Öffentlichkeit Dinge sagen, die, in den Ohren der Dummen und Derben, nach Satisfaktion verlangen und uns selbst, später in der stillen Kammer, beschämen, all das findet überall und immer statt, scheint eine menschliche Konstante zu sein. Die Folgen, heutzutage, sind selten tödlich, was den Körper betrifft; mit dem Gemüt, auf dessen dünnste Seiten uns diese leidigen Beleidigungen schlagen, ist's oft genug eine schwerwiegendere Sache. Obwohl es durchaus vorkommt, dass sich Gehänselte und Gekränkte, Diffamierte und Verlassene, erschöpft vom bösartigen Streit als auch der ätzenden Diffamierung, resigniert das Leben nehmen. Tragische Fälle, die in meinen Tagen häufig mit dem Internetpranger zu tun haben, an dem wir, wehren wir uns nicht, ziehen wir nicht die verantwortlichen Datenkrakenfirmen vor den Kadi, auf immer und ewig stehen. Psychologisch ist die Ehrabschneiderei nicht anders als zu Ihrer Zeit, Freund.
Mensch bleibt Mensch, in sich rach- und ehrsüchtig; was, das Menschbleiben, einerseits irgendwie durchaus beruhigend ist, da wir, als evolutionäre Kreaturen, somit alle Möglichkeiten der treuen Entwicklung unseres Geistes besitzen, andererseits auch beunruhigend ist, da die atavistischen Gefühle in uns unvermittelt aufwallen und die Vernunft wegspülen können. Aus diesem Dilemma gibt's wohl kein allgemeines Entkommen. Bleibt, und hier stimmen wir überein, die Vorsicht, bleibt die Abstinenz von allen Ehrenkodexstolperfallen.
Ehre sei, ehrlich zu bleiben, mit uns, mit der Welt. Jede andere Form der Ehre sei Teil verlogener Konventionen, die niemanden glücklich oder liebenswürdig, stolz oder zufrieden machen.
25. Februar
48.
Gründlichkeit und Tiefe: nur so weit man diese hat, kann man mit Ehren eine Rolle spielen. Stets muß das Innere noch einmal soviel seyn, als das Aeußere. Dagegen giebt es Leute von bloßer Fassade, wie Häuser, die, weil die Mittel fehlten, nicht ausgebaut sind und den Eingang eines Pallasts, den Wohnraum einer Hütte haben. An solchen ist gar nichts, wobei man lange weilen könnte, obwohl sie langweilig genug sind; denn, sind die ersten Begrüßungen zu Ende, so ist es auch die Unterhaltung. Mit den vorläufigen Höflichkeitsbezeugungen treten sie wohlgemuth auf, wie Sicilianische Pferde, aber gleich darauf versinken sie in Stillschweigen: denn die Worte versiegen bald, wo keine Quelle von Gedanken fließt. Andre, die selbst einen oberflächlichen Blick haben, werden leicht von diesen getäuscht; aber nicht so die Schlauen: diese gehn aufs Innere und finden es leer, bloß zum Spotte gescheuter Leute tauglich.
Erstaunlich, wie scharf Sie, Freund, in Ihren Beobachtungen sind - und noch erstaunlicher, um wie viel schärfer Sie schließlich die anderen aburteilen, die Ihren hochnäsigen, edel-eingetrübten Ad-hoc-Ansprüchen nicht genügen. Ein Sozialreformer, der seine Augen mitleidig und empathisch öffnet, das ist nun wirklich nicht Ihre Zugriffs- und Herangehensweise. Dass Sie, in meiner Zeit, gerne von den Ultrakonservativen als Gewährsmann gekapert werden, ist deswegen, auch wenn es falsch ist, da man Sie auf ungerechte Weise zerpflückt und sich einzig und allen das Traditionsverbundene herauspickt, anstatt Sie als unruhigen Sucher, eloquenten Streithammel und querdenkenen Mittelaufklärer zu lesen, ist deswegen keine echte Überraschung. Ihre Überheblichkeit ist halt ein herzhaftes, ach was: herzloses Paradebeispiel für dünkelhafte, bildungskleingeistige Arroganz, die im altbackenen Bürgertum und den hässlichen Burschenschaften verlässlich fürs weidlich begeisterte Schenkelklopfen sorgt.
Dass die weniger Konversationstauglichen, wie Ihr Translator formuliert, bloß zum Spotte gescheiter Leute tauglich sein sollen, macht Sie zum Aufschneider, ja zum Verachter der Feinen und nachdenklich Stillen, zum Nichtversteher derjenigen, die nun mal nicht mit jenen Aufschneidern und Besserwissern in den streng eingezäunten Unterhaltungsring steigen wollen. Wo stammt Ihr ewiger Dünkel denn eigentlich her? Von der Ewigkeit des Heiligen Geistes, an der Ihr theo-unlogisch trainierter Verstand wahrscheinlich hing? Oder haben Sie den Gläubigen, was ich Ihnen niemals übelnehmen würde, wohl hätte ich mir, in Ihre Zeit verbannt, ein ähnliches intellektuelles Schlupfloch gesucht, nur gespielt? Haben Sie sich also selbst in die Tasche gelogen? Entschuldigen Sie bitte, falls ich mit meinen Vermutugen arg danebenliege, was vermutlich der Fall ist. Im Zweifel, heißt es nicht so?, für den Angeklagten. Und dieses in dubio pro reo sollten wir alle beherzigen, bevor wir, die wir uns für Richter am Hohen Gericht des Verstandes halten, andere kleinurteilen.
Was in anderen steckt, zeigt sich nicht allein beim Worteschnitzen und witzig Phrasendreschen, bei der amüsanten Plauderei oder auch beim tiefgründigen Diskurs. An den Handlungen sollen jene und sollen wir schlussendlich gemessen werden. Die Worte seien leichte, flüchtige Gesellen, die Taten dagegen die echten Schwerter, die das Gute verteidigen, sich den Bösen in den Weg stellen. Wobei, und daher stammt Ihr Ruhm, Freund, auch das rechte Wort selbstverständlich eine rechte Tat sein kann und nicht unterbewertet werden darf. Eine Schrift, die aufmüpfig und doch menschlich, vernünftig und doch gescheit rebellisch zu uns spricht, verändert uns und die Welt.
Gibt es einen Ort, der uns, sind wir bei Verstand, als allerletztes, interessantes Reiseziel reizt, so ist es das kluge Wort, das voller Liebe an uns gerichtet wird, dem wir voller Hingabe und Leidenschaft lauschen und antworten können. Ist diese Ansprache dann gar mit einer zärtlichen, wilden, leidenschaftlichen, von uns und den anderen tief gefühlten und begehrten Berührung verknüpft, sei - und nennen Sie mich ruhig einen Romantiker - das wahre Glück auf Erden erreicht.
26. Februar
Gründlichkeit und Tiefe: nur so weit man diese hat, kann man mit Ehren eine Rolle spielen. Stets muß das Innere noch einmal soviel seyn, als das Aeußere. Dagegen giebt es Leute von bloßer Fassade, wie Häuser, die, weil die Mittel fehlten, nicht ausgebaut sind und den Eingang eines Pallasts, den Wohnraum einer Hütte haben. An solchen ist gar nichts, wobei man lange weilen könnte, obwohl sie langweilig genug sind; denn, sind die ersten Begrüßungen zu Ende, so ist es auch die Unterhaltung. Mit den vorläufigen Höflichkeitsbezeugungen treten sie wohlgemuth auf, wie Sicilianische Pferde, aber gleich darauf versinken sie in Stillschweigen: denn die Worte versiegen bald, wo keine Quelle von Gedanken fließt. Andre, die selbst einen oberflächlichen Blick haben, werden leicht von diesen getäuscht; aber nicht so die Schlauen: diese gehn aufs Innere und finden es leer, bloß zum Spotte gescheuter Leute tauglich.
Erstaunlich, wie scharf Sie, Freund, in Ihren Beobachtungen sind - und noch erstaunlicher, um wie viel schärfer Sie schließlich die anderen aburteilen, die Ihren hochnäsigen, edel-eingetrübten Ad-hoc-Ansprüchen nicht genügen. Ein Sozialreformer, der seine Augen mitleidig und empathisch öffnet, das ist nun wirklich nicht Ihre Zugriffs- und Herangehensweise. Dass Sie, in meiner Zeit, gerne von den Ultrakonservativen als Gewährsmann gekapert werden, ist deswegen, auch wenn es falsch ist, da man Sie auf ungerechte Weise zerpflückt und sich einzig und allen das Traditionsverbundene herauspickt, anstatt Sie als unruhigen Sucher, eloquenten Streithammel und querdenkenen Mittelaufklärer zu lesen, ist deswegen keine echte Überraschung. Ihre Überheblichkeit ist halt ein herzhaftes, ach was: herzloses Paradebeispiel für dünkelhafte, bildungskleingeistige Arroganz, die im altbackenen Bürgertum und den hässlichen Burschenschaften verlässlich fürs weidlich begeisterte Schenkelklopfen sorgt.
Dass die weniger Konversationstauglichen, wie Ihr Translator formuliert, bloß zum Spotte gescheiter Leute tauglich sein sollen, macht Sie zum Aufschneider, ja zum Verachter der Feinen und nachdenklich Stillen, zum Nichtversteher derjenigen, die nun mal nicht mit jenen Aufschneidern und Besserwissern in den streng eingezäunten Unterhaltungsring steigen wollen. Wo stammt Ihr ewiger Dünkel denn eigentlich her? Von der Ewigkeit des Heiligen Geistes, an der Ihr theo-unlogisch trainierter Verstand wahrscheinlich hing? Oder haben Sie den Gläubigen, was ich Ihnen niemals übelnehmen würde, wohl hätte ich mir, in Ihre Zeit verbannt, ein ähnliches intellektuelles Schlupfloch gesucht, nur gespielt? Haben Sie sich also selbst in die Tasche gelogen? Entschuldigen Sie bitte, falls ich mit meinen Vermutugen arg danebenliege, was vermutlich der Fall ist. Im Zweifel, heißt es nicht so?, für den Angeklagten. Und dieses in dubio pro reo sollten wir alle beherzigen, bevor wir, die wir uns für Richter am Hohen Gericht des Verstandes halten, andere kleinurteilen.
Was in anderen steckt, zeigt sich nicht allein beim Worteschnitzen und witzig Phrasendreschen, bei der amüsanten Plauderei oder auch beim tiefgründigen Diskurs. An den Handlungen sollen jene und sollen wir schlussendlich gemessen werden. Die Worte seien leichte, flüchtige Gesellen, die Taten dagegen die echten Schwerter, die das Gute verteidigen, sich den Bösen in den Weg stellen. Wobei, und daher stammt Ihr Ruhm, Freund, auch das rechte Wort selbstverständlich eine rechte Tat sein kann und nicht unterbewertet werden darf. Eine Schrift, die aufmüpfig und doch menschlich, vernünftig und doch gescheit rebellisch zu uns spricht, verändert uns und die Welt.
Gibt es einen Ort, der uns, sind wir bei Verstand, als allerletztes, interessantes Reiseziel reizt, so ist es das kluge Wort, das voller Liebe an uns gerichtet wird, dem wir voller Hingabe und Leidenschaft lauschen und antworten können. Ist diese Ansprache dann gar mit einer zärtlichen, wilden, leidenschaftlichen, von uns und den anderen tief gefühlten und begehrten Berührung verknüpft, sei - und nennen Sie mich ruhig einen Romantiker - das wahre Glück auf Erden erreicht.
26. Februar
49.
Scharfblick und Urtheil. Wer hiemit begabt ist bemeistert sich der Dinge, nicht sie seiner: die größte Tiefe weiß er zu ergründen und die Fähigkeiten eines Kopfs auf das vollkommenste anatomisch zu zerlegen. Indem er einen Menschen sieht, versteht er ihn und beurtheilt sein innerstes Wesen. Er macht seine Beobachtungen und versteht meisterhaft das verborgenste Innere zu entziffern. Er bemerkt scharf, begreift gründlich und urtheilt richtig: Alles entdeckt, sieht, faßt und versteht er.
Auf den ersten Blick, Freund, wobei wir sogleich beim Thema sind, sieht Ihr Text harmlos und, im gewissen Auffassungssinne, allgemeingültig aus. Denn natürlich ist es so, dass anhand von Beobachtungen Schlüsse gezogen und Urteile gefällt werden. Sie wollen jedoch, und das liegt offen in diesem kurzen Abschitt des wortwörtlichen Orakels zutage, anhand der Anatomie zu festen, überprüfbaren Bewertungen kommen, die nicht allein Sinneseindrücke, also simple Ortsbesimmungen, sind. Auch - nicht nur, was mir wohl bewusst ist, Sie sind schließlich kein leichtfertiger Lackaffe, der sich nur am oberflächlichen Blingbling und dem wohlgeformten Körperbau erfreut -, aber auch, ach was, bleiben wir am Eugenik-Ball, gerade aufgrund des Aussehens glauben Sie, vorverurteilen zu können.
Der britische Anthropologe Francis Galton hat den Begriff Eugenik weit nach Ihrer Zeit, Freund, im Jahr 1869 für die - und das nächste Wort setze ich in Anführungszeichen, da es sich bei dieser Forschung gerade nicht um Epistme handelt - "Wissenschaft" geprägt, die sich, Zitat, mit allen Einflüssen befasst, welche die angeborenen Eigenschaften einer Rasse verbessern, Zitatende. Eine furchtbare Methode, die in allen Menschenaltern für Unglück gesorgt und selbst den Gedanken der Aufklärung, zunächst, taxonomisch geprägt hat. Der Rassenwahn und der Fremdenhass haben sich grinsend die Hände gerieben, als es endlich eine pseudo-wissenschaftliche Methode für ihre unappetitlichen und hassgetriebenen tribalistischen Vorurteile gab.
Die Massaker und Genozide, die Plünderungen und Versklavungen, Freund, welche im Namen solcher wahnwitziger Scharfblick-Ratschläge passiert sind, gerade durch Kolonialreiche, die anders auftretende und körperlich abweichende Völker beinahe per se als minderwertig angesehen und auch gerade deswegen unterjocht haben und sich gerechtfertigt gefühlt haben, sich als überlegene Herrenrasse aufzuspielen, jene Massaker will ich Ihnen nicht allein in die Denkschuhe schieben, selbstverständlich nicht. Und dennoch hätten Sie auch in Ihrem Zeitalter, ohne Probleme, die Umtriebe der europäischen Dynastien und Kaufleutegilden wahrnehmen können, hätten Sie sich dafür interessiert. Das Bewusstsein prägt das Sein, das Unterbewusstsein den Unsinn.
Wieder muss festgestellt werden: Sie sind ein Produkt Ihrer Zeit, auch wenn Sie aus Ihrer Zeit weit herausragen. Und dass Ihre anatomische Urteilssauerei in irgendeiner Art und Weise überwunden wäre, läßt sich nun auch nicht guten Gewissens behaupten. Im Land des Holocaust laufen neuerdings wieder Abertausende Eugeniker durch die Straßen und behaupten, in den fremdländischen Gesichtszügen die potentiellen Verbrecher von morgen zu entdecken. Widerlich und unmenschlich, hahnebüchener Schwachsinn.
Herrscht Liebe, sei das Außen des Glückes Unterpfand. Herrscht Hass, liefere es den triebgeleiteten Todesgrund.
27. Februar
Scharfblick und Urtheil. Wer hiemit begabt ist bemeistert sich der Dinge, nicht sie seiner: die größte Tiefe weiß er zu ergründen und die Fähigkeiten eines Kopfs auf das vollkommenste anatomisch zu zerlegen. Indem er einen Menschen sieht, versteht er ihn und beurtheilt sein innerstes Wesen. Er macht seine Beobachtungen und versteht meisterhaft das verborgenste Innere zu entziffern. Er bemerkt scharf, begreift gründlich und urtheilt richtig: Alles entdeckt, sieht, faßt und versteht er.
Auf den ersten Blick, Freund, wobei wir sogleich beim Thema sind, sieht Ihr Text harmlos und, im gewissen Auffassungssinne, allgemeingültig aus. Denn natürlich ist es so, dass anhand von Beobachtungen Schlüsse gezogen und Urteile gefällt werden. Sie wollen jedoch, und das liegt offen in diesem kurzen Abschitt des wortwörtlichen Orakels zutage, anhand der Anatomie zu festen, überprüfbaren Bewertungen kommen, die nicht allein Sinneseindrücke, also simple Ortsbesimmungen, sind. Auch - nicht nur, was mir wohl bewusst ist, Sie sind schließlich kein leichtfertiger Lackaffe, der sich nur am oberflächlichen Blingbling und dem wohlgeformten Körperbau erfreut -, aber auch, ach was, bleiben wir am Eugenik-Ball, gerade aufgrund des Aussehens glauben Sie, vorverurteilen zu können.
Der britische Anthropologe Francis Galton hat den Begriff Eugenik weit nach Ihrer Zeit, Freund, im Jahr 1869 für die - und das nächste Wort setze ich in Anführungszeichen, da es sich bei dieser Forschung gerade nicht um Epistme handelt - "Wissenschaft" geprägt, die sich, Zitat, mit allen Einflüssen befasst, welche die angeborenen Eigenschaften einer Rasse verbessern, Zitatende. Eine furchtbare Methode, die in allen Menschenaltern für Unglück gesorgt und selbst den Gedanken der Aufklärung, zunächst, taxonomisch geprägt hat. Der Rassenwahn und der Fremdenhass haben sich grinsend die Hände gerieben, als es endlich eine pseudo-wissenschaftliche Methode für ihre unappetitlichen und hassgetriebenen tribalistischen Vorurteile gab.
Die Massaker und Genozide, die Plünderungen und Versklavungen, Freund, welche im Namen solcher wahnwitziger Scharfblick-Ratschläge passiert sind, gerade durch Kolonialreiche, die anders auftretende und körperlich abweichende Völker beinahe per se als minderwertig angesehen und auch gerade deswegen unterjocht haben und sich gerechtfertigt gefühlt haben, sich als überlegene Herrenrasse aufzuspielen, jene Massaker will ich Ihnen nicht allein in die Denkschuhe schieben, selbstverständlich nicht. Und dennoch hätten Sie auch in Ihrem Zeitalter, ohne Probleme, die Umtriebe der europäischen Dynastien und Kaufleutegilden wahrnehmen können, hätten Sie sich dafür interessiert. Das Bewusstsein prägt das Sein, das Unterbewusstsein den Unsinn.
Wieder muss festgestellt werden: Sie sind ein Produkt Ihrer Zeit, auch wenn Sie aus Ihrer Zeit weit herausragen. Und dass Ihre anatomische Urteilssauerei in irgendeiner Art und Weise überwunden wäre, läßt sich nun auch nicht guten Gewissens behaupten. Im Land des Holocaust laufen neuerdings wieder Abertausende Eugeniker durch die Straßen und behaupten, in den fremdländischen Gesichtszügen die potentiellen Verbrecher von morgen zu entdecken. Widerlich und unmenschlich, hahnebüchener Schwachsinn.
Herrscht Liebe, sei das Außen des Glückes Unterpfand. Herrscht Hass, liefere es den triebgeleiteten Todesgrund.
27. Februar
50.
Nie setze man die Achtung gegen sich selbst aus den Augen, und mache sich nicht mit sich selbst gemein. Unsere eigene Makellosigkeit muß die Richtschnur für unsern untadelhaften Wandel seyn, und die Strenge unsers eigenen Urtheils muß mehr über uns vermögen, als alle äußeren Vorschriften. Das Ungeziemende unterlasse man mehr aus Scheu vor seiner eigenen Einsicht, als aus der vor der strengsten fremden Autorität. Man gelange dahin, sich selbst zu fürchten; so wird man nicht Seneka's imaginären Hofmeister nöthig haben.
Seneca, der davon überzeugt war, zumindest in seiner Schrift De Clementia hat er darüber geschrieben, dass Herrscher Milde beim Regieren walten lassen sollten, hat trotzdem selbst mit seinem politischen Agieren für allerlei Unmut und abfällige Frotzeleien bei seinen Zeitgenossen gesorgt. Und so mag sein Ausspruch, was es dir nützte, keinen Mitwisser zu haben, da du doch ein Gewissen hättest, auf sich selbst und, eine englische Vokabel, die mir ans Herz gewachsen ist, auf seine persönlichen Shortcomings gemünzt gewesen sein. Und wenn schon eine leuchtende Figur wie Seneca sich selbst machtdämmernd in Stich lässt, wie, Freund, mag's dann bloß uns ergehen, die wir eh auf schwankenden Morschböden stehen und ständig die tief berechtigte Urfurcht vorm moralischen Sturz ins läppische Giernichts spüren?
Beherzigten wir, was Sie geschrieben haben, uns in diesem hervorragenden Paragraphen mit Inbrunst und Weitsicht raten, ginge es uns und unserer Tadellosigkeit wohl recht gut. Allein wir hören es durchaus, was sie zu sagen haben, sind von Ihrem Ratschlag beim Lesen erfüllt und von seiner Strahlkraft überzeugt - und vergessen in aller unschönen Regel, sobald die Lage kniffelig und lautstark wird, alles, was wir uns so ernsthaft vorgenommen und in einer gleichmütigen Stunde zurechtgelegt haben.
Im ruhigen Wasser ist mutmaßlich gut rudern, kommt allerdings ein Sturm auf, reicht`s nicht, schlicht und ergreifend und stoisch Holz und Steuerrad gleichzeitig zu umklammern, sich selbst der nächste zu sein und recht fest an ein Wunder-was-ich-alles-weiß-und-kann zu glauben. Wir brauchen Hilfe. Allein - und so einfach, Freund, bin ich tatsächlich gestrickt -, auf mich gestellt fühle ich mich ausschließlich wohl, wenn das Wohlsein regiert. Klammert sich das Unwohlsein an mich, brauche ich eine Stütze, um nicht umzukippen. Ihr Orakel, Freund, ist, nicht immer, aber doch des öfteren, glücklicherweise solch ein Rückhalt. Und mir scheint, wenn ich das anmerken darf, dass Sie die Abschrift vermutlich auch in diesem Sinne verstanden haben, als Beleuchtung der eigenen, der ewigen Unschärfen, als Möglichkeit der Erinnerung und Vertiefung.
Gut seien wir lediglich auf Dauer, wenn wir andauernd Korrekturen erlauben. Weisheit sei keine solipsistische Kunst, zu keiner Zeit, unter keinen Umständen. Nur im Diskurs entsteht der notwendige Druck, um der Selbstherrlich- und Selbstgerechtigkeit erträglich abzuschwören. Heilige existieren nicht; dafür sei die Natur des Menschen zu wage, zu kleinmütig und, was nicht unterschätzt werden soll, zu sehr mit der Angst vorm Tode, dem wesentlichen Problem des Daseins, beschäftigt.
28. Februar
Nie setze man die Achtung gegen sich selbst aus den Augen, und mache sich nicht mit sich selbst gemein. Unsere eigene Makellosigkeit muß die Richtschnur für unsern untadelhaften Wandel seyn, und die Strenge unsers eigenen Urtheils muß mehr über uns vermögen, als alle äußeren Vorschriften. Das Ungeziemende unterlasse man mehr aus Scheu vor seiner eigenen Einsicht, als aus der vor der strengsten fremden Autorität. Man gelange dahin, sich selbst zu fürchten; so wird man nicht Seneka's imaginären Hofmeister nöthig haben.
Seneca, der davon überzeugt war, zumindest in seiner Schrift De Clementia hat er darüber geschrieben, dass Herrscher Milde beim Regieren walten lassen sollten, hat trotzdem selbst mit seinem politischen Agieren für allerlei Unmut und abfällige Frotzeleien bei seinen Zeitgenossen gesorgt. Und so mag sein Ausspruch, was es dir nützte, keinen Mitwisser zu haben, da du doch ein Gewissen hättest, auf sich selbst und, eine englische Vokabel, die mir ans Herz gewachsen ist, auf seine persönlichen Shortcomings gemünzt gewesen sein. Und wenn schon eine leuchtende Figur wie Seneca sich selbst machtdämmernd in Stich lässt, wie, Freund, mag's dann bloß uns ergehen, die wir eh auf schwankenden Morschböden stehen und ständig die tief berechtigte Urfurcht vorm moralischen Sturz ins läppische Giernichts spüren?
Beherzigten wir, was Sie geschrieben haben, uns in diesem hervorragenden Paragraphen mit Inbrunst und Weitsicht raten, ginge es uns und unserer Tadellosigkeit wohl recht gut. Allein wir hören es durchaus, was sie zu sagen haben, sind von Ihrem Ratschlag beim Lesen erfüllt und von seiner Strahlkraft überzeugt - und vergessen in aller unschönen Regel, sobald die Lage kniffelig und lautstark wird, alles, was wir uns so ernsthaft vorgenommen und in einer gleichmütigen Stunde zurechtgelegt haben.
Im ruhigen Wasser ist mutmaßlich gut rudern, kommt allerdings ein Sturm auf, reicht`s nicht, schlicht und ergreifend und stoisch Holz und Steuerrad gleichzeitig zu umklammern, sich selbst der nächste zu sein und recht fest an ein Wunder-was-ich-alles-weiß-und-kann zu glauben. Wir brauchen Hilfe. Allein - und so einfach, Freund, bin ich tatsächlich gestrickt -, auf mich gestellt fühle ich mich ausschließlich wohl, wenn das Wohlsein regiert. Klammert sich das Unwohlsein an mich, brauche ich eine Stütze, um nicht umzukippen. Ihr Orakel, Freund, ist, nicht immer, aber doch des öfteren, glücklicherweise solch ein Rückhalt. Und mir scheint, wenn ich das anmerken darf, dass Sie die Abschrift vermutlich auch in diesem Sinne verstanden haben, als Beleuchtung der eigenen, der ewigen Unschärfen, als Möglichkeit der Erinnerung und Vertiefung.
Gut seien wir lediglich auf Dauer, wenn wir andauernd Korrekturen erlauben. Weisheit sei keine solipsistische Kunst, zu keiner Zeit, unter keinen Umständen. Nur im Diskurs entsteht der notwendige Druck, um der Selbstherrlich- und Selbstgerechtigkeit erträglich abzuschwören. Heilige existieren nicht; dafür sei die Natur des Menschen zu wage, zu kleinmütig und, was nicht unterschätzt werden soll, zu sehr mit der Angst vorm Tode, dem wesentlichen Problem des Daseins, beschäftigt.
28. Februar
.51.
Zu wählen wissen. Das Meiste im Leben hängt davon ab. Es erfordert guten Geschmack und richtiges Urtheil: denn weder Gelehrsamkeit noch Verstand reichen aus. Ohne Wahl ist keine Vollkommenheit: jene schließt in sich, daß man wählen könne, und das Beste. Viele von fruchtbarem und gewandtem Geist, scharfem Verstande, Gelehrsamkeit und Umsicht, wenn sie zum Wählen kommen, gehn dennoch zu Grunde: sie ergreifen allemal das Schlechteste, als ob sie es darauf anlegten, irre zu gehen. Also ist dieses eine der größten Gaben von Oben.
Sie sind mir eine eigentümliche Mischung, Freund! Eine nahrhafte Mixtur, durchsetzt mit Giftbissen, die mir zu schlucken unmöglich sind. Ich denke über Ihre Texte nach und fühle, recht zuverlässig, heftige Reibungsverluste, die mich schaudern und dünnhäutig werden lassen. Anstatt mir Ihre Weisheit wie einen wärmenden, wenn auch abgetragenen Wollmantel in der sternenklaren Winternacht überzuwerfen, fallen mir zuerst die Mottenlöcher und der altmodische Schnitt auf. Nicht dass mich die neueste Wegwerfmode beeindruckte. Im Gegenteil. Was Ihnen längst aufgefallen sein dürfte. Sie sind ja nicht blind, auch wenn Sie verschiedene Augenmasken und Brillengestelle griffbereit haben. Nur noch ein Wort über meine eigene Kurzsichtigkeit, Freund, bevor ich mich Ihrer zuwende. Dass ich in der Zwischenzeit im Gleitsichtalter bin, hat meine Myopie nicht abgemildert. Das Gute scheint fern, das Schlechte nah - und, häufig genug, vice versa. Höchst selten habe ich den Eindruck, etwas einigermaßen klar zu erfassen. Und da ich schon bei der äußeren Gestalt meine Zweifel habe, was die wahre Repäsentatiion betrifft, bin ich mir noch viel unsicherer, wenn's um den Wesenskern geht. Will sagen: Ihre schwankenden Ansichten sind mir als Zustand zu gut, viel zu gut vertraut.
Die richtige und vernünftige - was manchmal gerade auch die unvernünftige sei - Wahl zu treffen, ist eine echte Kunst, deren Meisterschaft kaum einer, kaum eine von uns zu seiner oder ihrer Zufriedenheit beherrscht. Was nun den guten Geschmack betrifft, der uns, schreiben Sie, dabei maßgeblich lenken soll, ist das eine ridiküle Idee, da im Wiewort gut in aller Regel allein die begrenzten Zeitläufte hausen, die unseren Körper zwangsweise beherbergen und unablässig an unserem Verstand rütteln. Ähnlich steht's, offenkundig, ums Adjektiv richtig, dessen vielen Untiefen, besonders beim Urteilsspruch, genauso wenig auslotbar sind.
Der Kombination aus Gelehrsamkeit und Verstand, also dem Nicht-aus-dem-Bauch-heraus und dem nachtwandlerisch Intuitiven, traue ich schon etwas mehr bei der Wahl-Beratung. Noch wichtiger sei dann allerdings, was überhaupt zur Wahl steht. Wer sich nur zwischen Pest und Cholera entscheiden kann, wird immer eine schlechte Wahl treffen. Um eine echte Wahl zu haben, bedarf's der Freiheit des demokratischen Angebots. Und hier liegt die eigentliche Crux des Abschnitts. Womit verdienen wir das Wahlrecht? Ich denke, wer auf Dauer von Wahlen profitieren will, hat unbedingt auch Pflichten, die sich nicht wegverhandeln lassen. Der Schwur auf die Menschen- und Erdrechte wäre eine solche Pflicht, die mir als erste spontan einfiele. Wir alle hätten schnell eine demokratische Liste parat. Am interessantesten, Freund, wäre auf solch einer Liste die Rubrik Angebot. Wir nehmen nicht nur, lassen uns nicht einzig und allein hofieren und bedienen, sondern bieten anderen auch die Wahl an, von unseren Produkten, An- und Einsichten zu profitieren. Wir stellen uns, wenn Sie so wollen, zur Verfügung, stellen uns als Kandidaten zur und der kritischen Wahl.
Das wahlweise und freiwillige Geben und Nehmen formt und macht die Demokratie aus. Das einseitige Einfordern und Abpressen vermeintlicher Zustimmung, im Rahmen einer manipulierten Wahl, prägt andererseits die Gewaltherrschaft.
1. März
Zu wählen wissen. Das Meiste im Leben hängt davon ab. Es erfordert guten Geschmack und richtiges Urtheil: denn weder Gelehrsamkeit noch Verstand reichen aus. Ohne Wahl ist keine Vollkommenheit: jene schließt in sich, daß man wählen könne, und das Beste. Viele von fruchtbarem und gewandtem Geist, scharfem Verstande, Gelehrsamkeit und Umsicht, wenn sie zum Wählen kommen, gehn dennoch zu Grunde: sie ergreifen allemal das Schlechteste, als ob sie es darauf anlegten, irre zu gehen. Also ist dieses eine der größten Gaben von Oben.
Sie sind mir eine eigentümliche Mischung, Freund! Eine nahrhafte Mixtur, durchsetzt mit Giftbissen, die mir zu schlucken unmöglich sind. Ich denke über Ihre Texte nach und fühle, recht zuverlässig, heftige Reibungsverluste, die mich schaudern und dünnhäutig werden lassen. Anstatt mir Ihre Weisheit wie einen wärmenden, wenn auch abgetragenen Wollmantel in der sternenklaren Winternacht überzuwerfen, fallen mir zuerst die Mottenlöcher und der altmodische Schnitt auf. Nicht dass mich die neueste Wegwerfmode beeindruckte. Im Gegenteil. Was Ihnen längst aufgefallen sein dürfte. Sie sind ja nicht blind, auch wenn Sie verschiedene Augenmasken und Brillengestelle griffbereit haben. Nur noch ein Wort über meine eigene Kurzsichtigkeit, Freund, bevor ich mich Ihrer zuwende. Dass ich in der Zwischenzeit im Gleitsichtalter bin, hat meine Myopie nicht abgemildert. Das Gute scheint fern, das Schlechte nah - und, häufig genug, vice versa. Höchst selten habe ich den Eindruck, etwas einigermaßen klar zu erfassen. Und da ich schon bei der äußeren Gestalt meine Zweifel habe, was die wahre Repäsentatiion betrifft, bin ich mir noch viel unsicherer, wenn's um den Wesenskern geht. Will sagen: Ihre schwankenden Ansichten sind mir als Zustand zu gut, viel zu gut vertraut.
Die richtige und vernünftige - was manchmal gerade auch die unvernünftige sei - Wahl zu treffen, ist eine echte Kunst, deren Meisterschaft kaum einer, kaum eine von uns zu seiner oder ihrer Zufriedenheit beherrscht. Was nun den guten Geschmack betrifft, der uns, schreiben Sie, dabei maßgeblich lenken soll, ist das eine ridiküle Idee, da im Wiewort gut in aller Regel allein die begrenzten Zeitläufte hausen, die unseren Körper zwangsweise beherbergen und unablässig an unserem Verstand rütteln. Ähnlich steht's, offenkundig, ums Adjektiv richtig, dessen vielen Untiefen, besonders beim Urteilsspruch, genauso wenig auslotbar sind.
Der Kombination aus Gelehrsamkeit und Verstand, also dem Nicht-aus-dem-Bauch-heraus und dem nachtwandlerisch Intuitiven, traue ich schon etwas mehr bei der Wahl-Beratung. Noch wichtiger sei dann allerdings, was überhaupt zur Wahl steht. Wer sich nur zwischen Pest und Cholera entscheiden kann, wird immer eine schlechte Wahl treffen. Um eine echte Wahl zu haben, bedarf's der Freiheit des demokratischen Angebots. Und hier liegt die eigentliche Crux des Abschnitts. Womit verdienen wir das Wahlrecht? Ich denke, wer auf Dauer von Wahlen profitieren will, hat unbedingt auch Pflichten, die sich nicht wegverhandeln lassen. Der Schwur auf die Menschen- und Erdrechte wäre eine solche Pflicht, die mir als erste spontan einfiele. Wir alle hätten schnell eine demokratische Liste parat. Am interessantesten, Freund, wäre auf solch einer Liste die Rubrik Angebot. Wir nehmen nicht nur, lassen uns nicht einzig und allein hofieren und bedienen, sondern bieten anderen auch die Wahl an, von unseren Produkten, An- und Einsichten zu profitieren. Wir stellen uns, wenn Sie so wollen, zur Verfügung, stellen uns als Kandidaten zur und der kritischen Wahl.
Das wahlweise und freiwillige Geben und Nehmen formt und macht die Demokratie aus. Das einseitige Einfordern und Abpressen vermeintlicher Zustimmung, im Rahmen einer manipulierten Wahl, prägt andererseits die Gewaltherrschaft.
1. März
52.
Nie aus der Fassung gerathen. Ein großer Punkt der Klugheit, nie sich zu entrüsten. Es zeigt einen ganzen Mann, von großem Herzen an: denn alles Große ist schwer zu bewegen. Die Affekten sind die krankhaften Säfte der Seele, und an jedem Uebermaaße derselben erkrankt die Klugheit: steigt gar das Uebel bis zum Munde hinaus, so läuft die Ehre Gefahr. Man sei daher so ganz Herr über sich und so groß, daß weder im größten Glück, noch im größten Unglück man die Blöße einer Entrüstung gebe, vielmehr, als über jene erhaben, Bewundrung gebiete.
Manchmal, Freund, geht einem der Sinn eines Wortes erst richtig auf, wenn man es schon Jahre im Munde geführt und es ellenlang auf und von allerlei Seiten angestarrt hat. Dank Schopenhauers Translation fühle ich gerade, dass sich mir der Begriff Entrüstung, von dem Sie sprechen, anders präsentiert als bisher.
Vor unserem Selbst steht eine Art von Gerüst, ein Panzer, der uns davor schützt, aus unserer Haut zu fahren - oder sagen wir: der uns daran hindert, im Guten wie im Schlechten, unsere wahren Gefühle zu zeigen. Im Falle der Entrüstung wird dieser Vorhang aufgezogen und wir stehen entblößt vor der Welt.
Die Entrüstung, die Sie so vehement verdammen, ist selten angenehm. Das stimmt wohl. Wenn ich daran denke, wie mich ab und an die Wut überkommt, möchte ich am liebsten vor Scham im Boden versinken. Beispiel gefällig? Es reicht wohl, die Peinlichkeit zu erwähnen, einem Fahrradfahrer - fast immer handelt es sich um jüngere Männer - wüste Verbalinjurien hinterherzurufen, sobald er mich oder meine Liebsten, ohne Rücksicht auf Verluste, vom Fußgängerweg der Rosenthaler Vorstadt drängt. Allerdings belasse ich's nicht bei einem Was soll das denn? - nein, ich versteife mich darauf, leider wutschnaubend, ihm die Bitte, dass doch in Zukunft besser zu unterlassen, die Straße sei schließlich breit genug für sein grandioses Rennrad, der Fußgängerweg dagegen für rasante Überholmanöver und Schlängel-Press-Ups eher ungeeignet, nachzurufen. Ich betone: aus tiefster Schreihals-Seele. Also mit all der Lungenkraft, die in mir steckt. Sobald der Fahrradfahrer mir wiederum auf diese Bitte ein gleichmütiges Oberlehrer-Arschloch zueignet und, aus der sicheren Ferne, er ist ordenlich schnell, dann noch den beleidigten Stinkefinger zeigt, ticke ich restlos aus und drohe, allen Ernstes, mit der Polizei und wünsche ihm allerlei unappetitliche Dinge an den Ignorantenhals.
Solch unreflektierte Entrüstung, Freund, finde ich jedesmal wieder beklagenswert. Ich schäme mich, dass ich nicht einfach meines Weges gegangen bin. Wohlwissend, dass Ordnung ganz und gar nicht das Alpha und Omega des Lebens ist. Und ich bedauere, mich nicht stillschweigend bei der gütigen Vorsehung dafür bedankt zu haben, erneut ohne Lenker im Rücken, Spotify-Song im Ohr - viele der Radler hören Musik - oder Handy im Auge - gerne wird beim Gehwegrasen telefoniert - davongekommen zu sein.
Meine wenig originelle Entgleisung lässt mich an mir selbst und am Wert der Intervention zweifeln. Ich lasse mich provozieren und stehe deswegen als intoleranter Besserwisser dar, der seine und die Sicherheit seiner Liebsten über das, dank der manchmal, zugegeben, unbequemen Pflastersteine, möglicherweise arg durchgeschaukelte Steißbein des unbekümmerten Rowdies stellt.
Andererseits - bitte verzeihen Sie den Gedankensprung von meiner privaten zur öffentlichen Entrüstung; dass alle Übergange geschmeidig sein sollen, lehne ich aus Prinzip ab, Frakturen helfen gelegentlich dem Denken -, andererseits, und nun zum entscheidenden Aber, das Ihrer ewigen Geheimistuerei und Ihrem Versteckspiel in die intellektuelle Parade fährt, andererseits sei der Panzerkörper, den sich besonders Männer zugelegt haben, um ihre Gefühle zu verbergen, um angeblich stark zu sein, um, wie Klaus Theweleit in seinem Buch Männerphantasien über die deutschen Soldaten-Körper ausführt, alles Feminine wortwörtlich zu zerstören, zu vergewaltigen und zu überwältigen, außen und in sich selbst, andererseits sei genau solch ein gerüsteter Körper für einen Großteil des Leids verantwortlich, im privaten wie auch im öffentlichen Raum.
Wer Gefühle erlaubt, dem wird auf Dauer geglaubt. Unbewegliche Härte sei keine Tugend, sondern ein Missverständnis der verführten Jugend, des verbohrten Alters. Leben bedeute Bewegelichkeit. Das Rüstzeug des Todes sei die Maske, sei das Scharnier, sei der Panzer. Im guten Sein herrsche das Fluide, das sich nicht dem Alt-Ausgemachten verschreibt, sondern stets großzügig der Neu-Verhandlung widmet.
2. März
Nie aus der Fassung gerathen. Ein großer Punkt der Klugheit, nie sich zu entrüsten. Es zeigt einen ganzen Mann, von großem Herzen an: denn alles Große ist schwer zu bewegen. Die Affekten sind die krankhaften Säfte der Seele, und an jedem Uebermaaße derselben erkrankt die Klugheit: steigt gar das Uebel bis zum Munde hinaus, so läuft die Ehre Gefahr. Man sei daher so ganz Herr über sich und so groß, daß weder im größten Glück, noch im größten Unglück man die Blöße einer Entrüstung gebe, vielmehr, als über jene erhaben, Bewundrung gebiete.
Manchmal, Freund, geht einem der Sinn eines Wortes erst richtig auf, wenn man es schon Jahre im Munde geführt und es ellenlang auf und von allerlei Seiten angestarrt hat. Dank Schopenhauers Translation fühle ich gerade, dass sich mir der Begriff Entrüstung, von dem Sie sprechen, anders präsentiert als bisher.
Vor unserem Selbst steht eine Art von Gerüst, ein Panzer, der uns davor schützt, aus unserer Haut zu fahren - oder sagen wir: der uns daran hindert, im Guten wie im Schlechten, unsere wahren Gefühle zu zeigen. Im Falle der Entrüstung wird dieser Vorhang aufgezogen und wir stehen entblößt vor der Welt.
Die Entrüstung, die Sie so vehement verdammen, ist selten angenehm. Das stimmt wohl. Wenn ich daran denke, wie mich ab und an die Wut überkommt, möchte ich am liebsten vor Scham im Boden versinken. Beispiel gefällig? Es reicht wohl, die Peinlichkeit zu erwähnen, einem Fahrradfahrer - fast immer handelt es sich um jüngere Männer - wüste Verbalinjurien hinterherzurufen, sobald er mich oder meine Liebsten, ohne Rücksicht auf Verluste, vom Fußgängerweg der Rosenthaler Vorstadt drängt. Allerdings belasse ich's nicht bei einem Was soll das denn? - nein, ich versteife mich darauf, leider wutschnaubend, ihm die Bitte, dass doch in Zukunft besser zu unterlassen, die Straße sei schließlich breit genug für sein grandioses Rennrad, der Fußgängerweg dagegen für rasante Überholmanöver und Schlängel-Press-Ups eher ungeeignet, nachzurufen. Ich betone: aus tiefster Schreihals-Seele. Also mit all der Lungenkraft, die in mir steckt. Sobald der Fahrradfahrer mir wiederum auf diese Bitte ein gleichmütiges Oberlehrer-Arschloch zueignet und, aus der sicheren Ferne, er ist ordenlich schnell, dann noch den beleidigten Stinkefinger zeigt, ticke ich restlos aus und drohe, allen Ernstes, mit der Polizei und wünsche ihm allerlei unappetitliche Dinge an den Ignorantenhals.
Solch unreflektierte Entrüstung, Freund, finde ich jedesmal wieder beklagenswert. Ich schäme mich, dass ich nicht einfach meines Weges gegangen bin. Wohlwissend, dass Ordnung ganz und gar nicht das Alpha und Omega des Lebens ist. Und ich bedauere, mich nicht stillschweigend bei der gütigen Vorsehung dafür bedankt zu haben, erneut ohne Lenker im Rücken, Spotify-Song im Ohr - viele der Radler hören Musik - oder Handy im Auge - gerne wird beim Gehwegrasen telefoniert - davongekommen zu sein.
Meine wenig originelle Entgleisung lässt mich an mir selbst und am Wert der Intervention zweifeln. Ich lasse mich provozieren und stehe deswegen als intoleranter Besserwisser dar, der seine und die Sicherheit seiner Liebsten über das, dank der manchmal, zugegeben, unbequemen Pflastersteine, möglicherweise arg durchgeschaukelte Steißbein des unbekümmerten Rowdies stellt.
Andererseits - bitte verzeihen Sie den Gedankensprung von meiner privaten zur öffentlichen Entrüstung; dass alle Übergange geschmeidig sein sollen, lehne ich aus Prinzip ab, Frakturen helfen gelegentlich dem Denken -, andererseits, und nun zum entscheidenden Aber, das Ihrer ewigen Geheimistuerei und Ihrem Versteckspiel in die intellektuelle Parade fährt, andererseits sei der Panzerkörper, den sich besonders Männer zugelegt haben, um ihre Gefühle zu verbergen, um angeblich stark zu sein, um, wie Klaus Theweleit in seinem Buch Männerphantasien über die deutschen Soldaten-Körper ausführt, alles Feminine wortwörtlich zu zerstören, zu vergewaltigen und zu überwältigen, außen und in sich selbst, andererseits sei genau solch ein gerüsteter Körper für einen Großteil des Leids verantwortlich, im privaten wie auch im öffentlichen Raum.
Wer Gefühle erlaubt, dem wird auf Dauer geglaubt. Unbewegliche Härte sei keine Tugend, sondern ein Missverständnis der verführten Jugend, des verbohrten Alters. Leben bedeute Bewegelichkeit. Das Rüstzeug des Todes sei die Maske, sei das Scharnier, sei der Panzer. Im guten Sein herrsche das Fluide, das sich nicht dem Alt-Ausgemachten verschreibt, sondern stets großzügig der Neu-Verhandlung widmet.
2. März
53.
Tätigkeit und Verstand. Was dieser ausführlich durchdacht hat, führt jene rasch aus. Eilfertigkeit ist eine Eigenschaft der Dummköpfe: weil sie den Punkt des Anstoßes nicht gewahr werden, gehn sie ohne Vorkehr zu Werke. Dagegen pflegen die Weisen eher durch Zurückhaltung zu fehlen: denn das Vorhersehn gebiert Vorkehrungen, und so vereitelt Mangel an Thatkraft bisweilen die Früchte des richtigen Urtheils. Schnelligkeit ist die Mutter des Glücks. Wer nichts auf Morgen ließ, hat viel gethan. Eile mit Weile war ein recht Kaiserlicher Wahlspruch.
Was für ein Mischmasch! Nähme ich, Freund, Bezug auf Ihren letzten Satz, ließe sich, heiter und leichtfertig, auch sagen: was für einen Kaiserschmarren Sie uns hier auftischen.
Sie wie ich, wohl auch manche der LeserInnen, neigen zum Gedankenrauswurf. Wir zählen routiniert A und B zusammen - und das ergibt dann zuverlässig C. Das Leben offenbart sich uns als kleines Einmaleins, als Fibelstunde: so sei es, und so sei es auch klipp und klar gesagt. Mögen sich andere einen Reim darauf machen.
Damit in medias res. Zwei Punkte möchte ich aufgreifen.
Die Eilfertigkeit, die Sie rundheraus verdammen, ist, denke ich, eben doch angebracht, begegnet uns eine Katastrophe. Nehmen wir den Moment, in dem jemand vor unseren Augen ertrinkt, wir aber sehr gut schwimmen können. Nun sich erst theoretisch seiner Fähigkeiten zu versichern, im gewissen Sinne Trockenübungen an Land zu machen, sich mit dem Gedanken des Schwimmens anzufreunden, wäre kontraproduktiv. RetterInnen retten, sie reden nicht ellenlang über das Retten.
Die Zurückhaltung, das Abwägen sind schön und gut. Und doch, Freund, wachsen wir als Menschen, sobald wir dem Unbekannten begegnen, uns den fremden Dingen zu stellen haben, die sich weder planen lassen noch eine passende Antwort kennen. Wer mit einem Passepartout durchs Dasein läuft, wird sich nie und nimmer verlaufen und deswegen auch die Fremde nur als ausgelatschten Trampelpfad erkennen. Ein gewisses Maß an Vorbereitung ist notwendig, übertreiben wir es allerdings mit der Planung, pflanzen wir uns nur selbst fort, was jede Entwicklung unterbindet. So manches Unternehmen, privater und gesellschaftlicher Art, ist genau an der Idee der Vorhersehbarkeit und am Festhalten des Vorhandenen gescheitert.
Erfolg und Freude kommen durch Beweglichkeit, Stagnation und Miesepetrigkeit führen zum Untergang.
3. März
Tätigkeit und Verstand. Was dieser ausführlich durchdacht hat, führt jene rasch aus. Eilfertigkeit ist eine Eigenschaft der Dummköpfe: weil sie den Punkt des Anstoßes nicht gewahr werden, gehn sie ohne Vorkehr zu Werke. Dagegen pflegen die Weisen eher durch Zurückhaltung zu fehlen: denn das Vorhersehn gebiert Vorkehrungen, und so vereitelt Mangel an Thatkraft bisweilen die Früchte des richtigen Urtheils. Schnelligkeit ist die Mutter des Glücks. Wer nichts auf Morgen ließ, hat viel gethan. Eile mit Weile war ein recht Kaiserlicher Wahlspruch.
Was für ein Mischmasch! Nähme ich, Freund, Bezug auf Ihren letzten Satz, ließe sich, heiter und leichtfertig, auch sagen: was für einen Kaiserschmarren Sie uns hier auftischen.
Sie wie ich, wohl auch manche der LeserInnen, neigen zum Gedankenrauswurf. Wir zählen routiniert A und B zusammen - und das ergibt dann zuverlässig C. Das Leben offenbart sich uns als kleines Einmaleins, als Fibelstunde: so sei es, und so sei es auch klipp und klar gesagt. Mögen sich andere einen Reim darauf machen.
Damit in medias res. Zwei Punkte möchte ich aufgreifen.
Die Eilfertigkeit, die Sie rundheraus verdammen, ist, denke ich, eben doch angebracht, begegnet uns eine Katastrophe. Nehmen wir den Moment, in dem jemand vor unseren Augen ertrinkt, wir aber sehr gut schwimmen können. Nun sich erst theoretisch seiner Fähigkeiten zu versichern, im gewissen Sinne Trockenübungen an Land zu machen, sich mit dem Gedanken des Schwimmens anzufreunden, wäre kontraproduktiv. RetterInnen retten, sie reden nicht ellenlang über das Retten.
Die Zurückhaltung, das Abwägen sind schön und gut. Und doch, Freund, wachsen wir als Menschen, sobald wir dem Unbekannten begegnen, uns den fremden Dingen zu stellen haben, die sich weder planen lassen noch eine passende Antwort kennen. Wer mit einem Passepartout durchs Dasein läuft, wird sich nie und nimmer verlaufen und deswegen auch die Fremde nur als ausgelatschten Trampelpfad erkennen. Ein gewisses Maß an Vorbereitung ist notwendig, übertreiben wir es allerdings mit der Planung, pflanzen wir uns nur selbst fort, was jede Entwicklung unterbindet. So manches Unternehmen, privater und gesellschaftlicher Art, ist genau an der Idee der Vorhersehbarkeit und am Festhalten des Vorhandenen gescheitert.
Erfolg und Freude kommen durch Beweglichkeit, Stagnation und Miesepetrigkeit führen zum Untergang.
3. März
54.
Haare auf den Zähnen haben. Den todten Löwen zupfen sogar die Haasen an der Mähne. Mit der Tapferkeit läßt sich nicht Scherz treiben. Giebst du dem Ersten nach, so mußt du es auch dem Andern, und so bis zum Letzten; und spät zu siegen, hast du die selbe Mühe, die dir gleich Anfangs viel mehr genutzt hätte. Der geistige Muth übertrifft die körperliche Kraft: er sei ein Schwerdt, das stets in der Scheide der Klugheit ruht, für die Gelegenheit bereit. Er ist der Schirm der Person: die geistige Schwäche setzt mehr herab als die körperliche. Viele hatten außerordentliche Fähigkeiten, aber weil es ihnen an Herz fehlte, lebten sie wie Todte und endigten begraben in ihrer Unthätigkeit. Nicht ohne Absicht hat die sorgsame Natur, in der Biene, die Süße des Honigs mit der Schärfe des Stachels verbunden. Sehnen und Knochen hat der Leib; so sei der Geist auch nicht lauter Sanftmuth.
Wie ich diesen Abschnitt liebe, Freund! Mag sein, um das gleich einzugestehen, dass Sie mich heute früh in besonders guter Laune antreffen, da ich eben, was Ihnen wenig bedeuten dürfte, da Ihr Orakel quer über den Erdball in allerlei Sprachen be- und geistert, da ich eben von einer Publikation erfahren habe, die ich auf Englisch geschrieben habe und die nun demnächst in der Ferne, über dem Atlantik, veröffentlicht wird. Ist es nicht seltsam, dass uns Erfolg, sei er noch so klein, großmütig stimmt? Keine, seien wir ehrlich, zu angenehme Einsicht. Denn das heißt doch auch, im radikalen Umkehrschluss, dass sehr erfolgreiche Menschen leichter ihren moralischen Kompass verlieren, geblendet von sich selbst auf die Welt blicken. Davon kann bei mir nun wohl gar nicht die Rede sein. Ich erfreue mich an der Freiheit des inneren Urteils, da mich ansonsten, bislang, nur recht wenige, die mir allerdings wichtig sind, außen ver- und beurteilen.
Das Vorurteil sei, das nur am Erzählrande, der dümmste und brüchigste Maßstab, mit dem wir die Welt vermessen sollten. Am besten, scheint mir, Freund, ist's, wenn wir zunächst verdauen, bevor wir ein kredenztes Gericht über den Klee loben oder auf Teufel komm raus verdammen.
4. März
Haare auf den Zähnen haben. Den todten Löwen zupfen sogar die Haasen an der Mähne. Mit der Tapferkeit läßt sich nicht Scherz treiben. Giebst du dem Ersten nach, so mußt du es auch dem Andern, und so bis zum Letzten; und spät zu siegen, hast du die selbe Mühe, die dir gleich Anfangs viel mehr genutzt hätte. Der geistige Muth übertrifft die körperliche Kraft: er sei ein Schwerdt, das stets in der Scheide der Klugheit ruht, für die Gelegenheit bereit. Er ist der Schirm der Person: die geistige Schwäche setzt mehr herab als die körperliche. Viele hatten außerordentliche Fähigkeiten, aber weil es ihnen an Herz fehlte, lebten sie wie Todte und endigten begraben in ihrer Unthätigkeit. Nicht ohne Absicht hat die sorgsame Natur, in der Biene, die Süße des Honigs mit der Schärfe des Stachels verbunden. Sehnen und Knochen hat der Leib; so sei der Geist auch nicht lauter Sanftmuth.
Wie ich diesen Abschnitt liebe, Freund! Mag sein, um das gleich einzugestehen, dass Sie mich heute früh in besonders guter Laune antreffen, da ich eben, was Ihnen wenig bedeuten dürfte, da Ihr Orakel quer über den Erdball in allerlei Sprachen be- und geistert, da ich eben von einer Publikation erfahren habe, die ich auf Englisch geschrieben habe und die nun demnächst in der Ferne, über dem Atlantik, veröffentlicht wird. Ist es nicht seltsam, dass uns Erfolg, sei er noch so klein, großmütig stimmt? Keine, seien wir ehrlich, zu angenehme Einsicht. Denn das heißt doch auch, im radikalen Umkehrschluss, dass sehr erfolgreiche Menschen leichter ihren moralischen Kompass verlieren, geblendet von sich selbst auf die Welt blicken. Davon kann bei mir nun wohl gar nicht die Rede sein. Ich erfreue mich an der Freiheit des inneren Urteils, da mich ansonsten, bislang, nur recht wenige, die mir allerdings wichtig sind, außen ver- und beurteilen.
Das Vorurteil sei, das nur am Erzählrande, der dümmste und brüchigste Maßstab, mit dem wir die Welt vermessen sollten. Am besten, scheint mir, Freund, ist's, wenn wir zunächst verdauen, bevor wir ein kredenztes Gericht über den Klee loben oder auf Teufel komm raus verdammen.
4. März
55.
Warten können. Es beweist ein großes Herz mit Reichtum an Geduld, wenn man nie in eiliger Hitze, nie leidenschaftlich ist. Erst sei man Herr über sich: so wird man es nachher über Andere seyn. Nur durch die weiten Räume der Zeit gelangt man zum Mittelpunkte der Gelegenheit. Weise Zurückhaltung bringt die richtigen, lange geheim zu haltenden Beschlüsse zur Reife. Die Krücke der Zeit richtet mehr aus als die eiserne Keule des Hercules. Gott selbst züchtigt nicht mit dem Knittel, sondern mit der Zeit. Es war ein großes Wort: »die Zeit und ich nehmen es mit zwei Andern auf.« Das Glück selbst krönt das Warten durch die Größe des Lohns.
Anstatt, Freund, mit Ihnen in den selben Ring zu steigen, auf immerdar die selben Dinge anzusprechen: Leidenschaft sei notwendig, das Warten nicht immer, etc., anstatt mich also als Evergrey-Song auf Repeat zu fühlen, möchte ich heute ein Wort über die Kraft der Wiederholung verlieren.
Horaz glaubte, dass alles, was wir nur zehnmal wiederholten, am Ende schon gefiele. Da steckt viel Wahrheit drinnen und auch eine erhebliche Gefahr. Die Einredekunst, die beste Freundin der Wiederholung, weiß um den einprägsamen Schwung der Repetition. Propaganda funktioniert unter genau dieser Maxime: halbgare oder falsche Behauptungen werden so lange wiederholt, bis sie sich als vermeintliche Wahrheiten ins öffentliche Bewusstsein gefressen und den kritischen Geist mit Unrat vollgemüllt haben. Wir müssen aufpassen, uns nicht mit dem Allgemeinen, dem oftmals Vorhandenen, der manipulativen Zeitströmung, die einer Ideologie frönt, gemein zu machen, was einfacher als der Widerstand ist.
Damit aber genug, Freund, ich stoppe hier, um nicht selbst in die eben beschriebene Falle zu tappen.
Oder noch eine Bemerkung, eine geschwinde, sei erlaubt: vom Guten kann man nicht genug geben oder abbekommen. Was das Gute wiederum ist, sei eine fortwährende Verhandlung, die Vernunft und Nutzen, Demokratie und Humanität allzeit und ernsthaft aufs Neue auszuhandeln haben.
Nichts sei konstant, nur, ist uns das Glück hold, die Liebe und, was keine Frage des Glücks, sondern des Lebens überhaupt ist, der Tod.
5. März
Warten können. Es beweist ein großes Herz mit Reichtum an Geduld, wenn man nie in eiliger Hitze, nie leidenschaftlich ist. Erst sei man Herr über sich: so wird man es nachher über Andere seyn. Nur durch die weiten Räume der Zeit gelangt man zum Mittelpunkte der Gelegenheit. Weise Zurückhaltung bringt die richtigen, lange geheim zu haltenden Beschlüsse zur Reife. Die Krücke der Zeit richtet mehr aus als die eiserne Keule des Hercules. Gott selbst züchtigt nicht mit dem Knittel, sondern mit der Zeit. Es war ein großes Wort: »die Zeit und ich nehmen es mit zwei Andern auf.« Das Glück selbst krönt das Warten durch die Größe des Lohns.
Anstatt, Freund, mit Ihnen in den selben Ring zu steigen, auf immerdar die selben Dinge anzusprechen: Leidenschaft sei notwendig, das Warten nicht immer, etc., anstatt mich also als Evergrey-Song auf Repeat zu fühlen, möchte ich heute ein Wort über die Kraft der Wiederholung verlieren.
Horaz glaubte, dass alles, was wir nur zehnmal wiederholten, am Ende schon gefiele. Da steckt viel Wahrheit drinnen und auch eine erhebliche Gefahr. Die Einredekunst, die beste Freundin der Wiederholung, weiß um den einprägsamen Schwung der Repetition. Propaganda funktioniert unter genau dieser Maxime: halbgare oder falsche Behauptungen werden so lange wiederholt, bis sie sich als vermeintliche Wahrheiten ins öffentliche Bewusstsein gefressen und den kritischen Geist mit Unrat vollgemüllt haben. Wir müssen aufpassen, uns nicht mit dem Allgemeinen, dem oftmals Vorhandenen, der manipulativen Zeitströmung, die einer Ideologie frönt, gemein zu machen, was einfacher als der Widerstand ist.
Damit aber genug, Freund, ich stoppe hier, um nicht selbst in die eben beschriebene Falle zu tappen.
Oder noch eine Bemerkung, eine geschwinde, sei erlaubt: vom Guten kann man nicht genug geben oder abbekommen. Was das Gute wiederum ist, sei eine fortwährende Verhandlung, die Vernunft und Nutzen, Demokratie und Humanität allzeit und ernsthaft aufs Neue auszuhandeln haben.
Nichts sei konstant, nur, ist uns das Glück hold, die Liebe und, was keine Frage des Glücks, sondern des Lebens überhaupt ist, der Tod.
5. März
56.
Geistesgegenwart haben. Sie entspringt aus einer glücklichen Schnelligkeit des Geistes. Für sie giebt es keine Gefahren noch Unfälle, kraft ihrer Lebendigkeit und Aufgewecktheit. Manche denken viel nach, um nachher Alles zu verfehlen: Andre treffen Alles, ohne es vorher überlegt zu haben. Es giebt antiparastatische Genies, die erst in der Klemme am besten wirken: sie sind eine Art Ungeheuer, denen aus dem Stegreif Alles, mit Ueberlegung Nichts gelingt: was ihnen nicht gleich einfällt, finden sie nie: in ihrem Kopfe ist kein Appellationshof. Die Raschen also erlangen Beifall, weil sie den Beweis einer gewaltigen Fähigkeit, Feinheit im Denken und Klugheit im Thun ablegen.
Wie freundlich, frank und frei, Freund, Sie der Geistesgegenwart Beifall zollen. Mit einer Generosität, die vorbildlich ist. Zumal ich nicht wissen kann, ob Ihnen neben der weiten Tiefe auch die nahe Flachheit als intellektueller Jagdgrund lieb gewesen ist. Schopenhauers Klemme samt Ungeheuer und Appellationshof machen diesen Paragrafen, in der Translation, zusätzlich zum gleichnishaften Lesegenuss.
Und dann, mit einem kurzen Strich, im letzten Satz, geben Sie Ihrer Geneigtheit Gedankenfreiheit. Die Attacke kommt, was dramatisch scheint, wohl auch so gemeint ist, förmlich aus dem Nichts. Schließlich haben wir Ihren löblich-hymnischen Lullabies auf die spontane Schlagfertigkeit getraut, entzückt beigewohnt, uns in märchenhafter Heldensicherheit gewähnt. Das wahre Rüstzeug jeder Tat ist, für Sie, nun mal doch die austrarierte Langsamkeit, das Hin- und Herbeleuchten, das wagende Abwägen, was in sich selbst ein Wagnis sein kann, da es uns von unserem Auf-den-ersten-Blick-Anfangsverdacht und der daraus entspringenden Handlungsgewissheit entreißt.
Um ehrlich zu bleiben, Freund, mein Herz pocht diesmal in zwei Kammern: einerseits halte ich's mit Sunzi, der gesagt hat, wahrhaft siege, der nicht kämpfe. In unserem Falle hieße das wohl, dass der Geistesgegenwärtige sich oftmals spontan auf eine Fehde einließe, während der Abwägende von Sunzi zum General erhoben werden würde. Und doch, nun zur Gespaltenheit, die mich umtreibt, finde ich andererseits den Nichtzauderer überaus sympathisch, da ihm seltener passieren dürfte, was jeder von uns übernachdenklichen Gebetsmühlenbetreibern kennt: das larmoyante Daheim-Bedauern, das berechtigte Jammern über unsere Unfähigkeit, klar und deutlich Position zu beziehen, ad hoc, wohlgemerkt, uns und unserer Meinung Gehör zu verschaffen, und zwar in dem Moment, wenn wir Einfluss nehmen könnten aufs vorhandene Jetzt.
Nicht dass man nicht noch im Nachhinein wirken könnte, selbstverständlich sei das so, selbst die Tapferkeit kann eine muntere Hinterhertugend sein. Aber der Geschmack des Moments ist indessen unvergleichbar, kann mit dem, ab und an, abgestandenen Hadern, dem un- oder auch glücklichen Afterthought, nicht unbedingt verglichen werden.
Im Jetzt allein, der Gelegenheit per se, sind wir nur, sind wir schlicht und er- und zugreifend. Im Jetzt allein sind wir, was das unmittelbare, das essentielle Ich betrifft, am glücklichsten. Ins Morgen und ins Gestern mischen sich schließlich stets und loyal die Auslegung, deren Proxy-Kraft eine distanzierte Sicht auf die Welt bedeudet und der Lebenslust weniger Begierde und eine, möglicherweise, geringere Befriedigung erlaubt.
6. März
Geistesgegenwart haben. Sie entspringt aus einer glücklichen Schnelligkeit des Geistes. Für sie giebt es keine Gefahren noch Unfälle, kraft ihrer Lebendigkeit und Aufgewecktheit. Manche denken viel nach, um nachher Alles zu verfehlen: Andre treffen Alles, ohne es vorher überlegt zu haben. Es giebt antiparastatische Genies, die erst in der Klemme am besten wirken: sie sind eine Art Ungeheuer, denen aus dem Stegreif Alles, mit Ueberlegung Nichts gelingt: was ihnen nicht gleich einfällt, finden sie nie: in ihrem Kopfe ist kein Appellationshof. Die Raschen also erlangen Beifall, weil sie den Beweis einer gewaltigen Fähigkeit, Feinheit im Denken und Klugheit im Thun ablegen.
Wie freundlich, frank und frei, Freund, Sie der Geistesgegenwart Beifall zollen. Mit einer Generosität, die vorbildlich ist. Zumal ich nicht wissen kann, ob Ihnen neben der weiten Tiefe auch die nahe Flachheit als intellektueller Jagdgrund lieb gewesen ist. Schopenhauers Klemme samt Ungeheuer und Appellationshof machen diesen Paragrafen, in der Translation, zusätzlich zum gleichnishaften Lesegenuss.
Und dann, mit einem kurzen Strich, im letzten Satz, geben Sie Ihrer Geneigtheit Gedankenfreiheit. Die Attacke kommt, was dramatisch scheint, wohl auch so gemeint ist, förmlich aus dem Nichts. Schließlich haben wir Ihren löblich-hymnischen Lullabies auf die spontane Schlagfertigkeit getraut, entzückt beigewohnt, uns in märchenhafter Heldensicherheit gewähnt. Das wahre Rüstzeug jeder Tat ist, für Sie, nun mal doch die austrarierte Langsamkeit, das Hin- und Herbeleuchten, das wagende Abwägen, was in sich selbst ein Wagnis sein kann, da es uns von unserem Auf-den-ersten-Blick-Anfangsverdacht und der daraus entspringenden Handlungsgewissheit entreißt.
Um ehrlich zu bleiben, Freund, mein Herz pocht diesmal in zwei Kammern: einerseits halte ich's mit Sunzi, der gesagt hat, wahrhaft siege, der nicht kämpfe. In unserem Falle hieße das wohl, dass der Geistesgegenwärtige sich oftmals spontan auf eine Fehde einließe, während der Abwägende von Sunzi zum General erhoben werden würde. Und doch, nun zur Gespaltenheit, die mich umtreibt, finde ich andererseits den Nichtzauderer überaus sympathisch, da ihm seltener passieren dürfte, was jeder von uns übernachdenklichen Gebetsmühlenbetreibern kennt: das larmoyante Daheim-Bedauern, das berechtigte Jammern über unsere Unfähigkeit, klar und deutlich Position zu beziehen, ad hoc, wohlgemerkt, uns und unserer Meinung Gehör zu verschaffen, und zwar in dem Moment, wenn wir Einfluss nehmen könnten aufs vorhandene Jetzt.
Nicht dass man nicht noch im Nachhinein wirken könnte, selbstverständlich sei das so, selbst die Tapferkeit kann eine muntere Hinterhertugend sein. Aber der Geschmack des Moments ist indessen unvergleichbar, kann mit dem, ab und an, abgestandenen Hadern, dem un- oder auch glücklichen Afterthought, nicht unbedingt verglichen werden.
Im Jetzt allein, der Gelegenheit per se, sind wir nur, sind wir schlicht und er- und zugreifend. Im Jetzt allein sind wir, was das unmittelbare, das essentielle Ich betrifft, am glücklichsten. Ins Morgen und ins Gestern mischen sich schließlich stets und loyal die Auslegung, deren Proxy-Kraft eine distanzierte Sicht auf die Welt bedeudet und der Lebenslust weniger Begierde und eine, möglicherweise, geringere Befriedigung erlaubt.
6. März
57.
Sicherer sind die Ueberlegten: schnell genug geschieht, was gut geschieht. Was sich auf der Stelle macht, kann auch auf der Stelle wieder zunichte werden: aber was eine Ewigkeit dauern soll, braucht auch eine, um zu Stande zu kommen. Nur die Vollkommenheit gilt, und nur das Gelungene hat Dauer. Verstand und Gründlichkeit schaffen unsterbliche Werke. Was viel werth ist, kostet viel. Ist doch das edelste Metall das schwerste,
Nahtlos knüpfen wir den gestrigen Gedanken weiter. Aber heute, Freund, treffen wir uns im Chambre séparée. Ich habe, was in den letzten Korrespondenzen eher die Ausnahme war, das seltsame Gefühl der Wahlverwandtschaft. Was mich an den großen Überbrücker Goethe denken lässt, der in seinem gleichnamigen Werk behauptet, dass Hass sehr wohl parteisch sei, aber die Liebe noch mehr. Eine wichtige Einsicht, da doch das Blindsein, wenn man sich liebt, schnell zur Verteidigung und Nicht-Korrektur der jeweiligen Schwächen des oder der anderen führen kann.
Wer zu sehr liebt, gibt die Liebe der Lächerlichkeit preis. Nicht umsonst heißt es, man habe an dieser oder jener Sache, jener oder dieser Person einen Narren gefressen.
Die Urteilskraft leidet, machen wir uns zu sehr gemein. Sie ahnen, wo ich hin will. Kritik entstammt stets der echten Liebe, das unersättliche Lob der falschen Vernarrtheit. Kostet das Diskutieren und Korrigieren auch Kraft und Mühe, gibt es uns allerdings viel mehr zurück. Ein Genie, das sich nicht auf den Prüfstand stellt, sei ein Megalomane, dessen Werk an der eigenen Selbstüberschätzung leidet. Die Lust an der unbequemen Kritik und die Bereitschaft, im Diskursring Argumente auszutauschen, sind, um Ihr fabelhaftes Bild aufzunehmen, wohl die edelsten aller Metalle. Platin oder Gold, die nur im Panzerschrank gebunkert liegen, seien wie Hypothesen, wie Denkgebäude, die sich nicht der Wissenschaft stellen, keine Überprüfung der Statik wollen, also den Ab- und Einsturz geradezu einladen.
Die Ewigkeit, von der Sie als Grundstoff eines hervorragenden Werkes schreiben, sei dem Miteinander untergeordnet. Die einsamen Systeme, die das 19. Jahrhundert ausgebrütet hat, auch Ihr Translator ist einer der hochbegabten Die-Welt-als-Wille-und-Ver-, Pardon: Vorstellung-Culprits aus dieser Zeit der solipsistischen Theorien, die meine Zwanziger mit einer Wucht verschluckt haben, die mich weiterhin ob der Zeitvergeudung zittern lässt, da ich erst in meinem fünften Lebensjahrzehnt den Ich-überschätze-mich-Drogisten abgeschworen habe, um mein kritisches Heil bei Bertrand Russel, Hannah Arendt, Jürgen Habermas, Peter Singer und Judith Butler zu suchen, die einsamen Systeme, um den Anfang des Satzes wiederzufinden, die einsamen Systeme verschlucken sich, in aller Regel, also an sich selbst, Gründlichkeit und Überzeugungskraft hin oder her.
Wer sich allein in sich selbst bewegt, sei in Wahrheit bewegungslos, demgemäß bereits aus dem Leben geschieden. Und der falsche Applaus, lassen wir uns nicht täuschen, Freund, macht die Sache nun mal nicht besser, im Zweifel sogar noch unangenehmer. Falscher Beifall tötet den Verstand. Selbstüberschätzung stammt, in den allerschlimmsten Fällen, eben nicht nur aus dem Selbst, sondern aus dem kriecherischen Außen. Was die Frage der vernünftigen und hilfreichen Freundschaft aufwirft, aber dazu kommen wir, schätze ich, ein anderes Mal.
7. März
Sicherer sind die Ueberlegten: schnell genug geschieht, was gut geschieht. Was sich auf der Stelle macht, kann auch auf der Stelle wieder zunichte werden: aber was eine Ewigkeit dauern soll, braucht auch eine, um zu Stande zu kommen. Nur die Vollkommenheit gilt, und nur das Gelungene hat Dauer. Verstand und Gründlichkeit schaffen unsterbliche Werke. Was viel werth ist, kostet viel. Ist doch das edelste Metall das schwerste,
Nahtlos knüpfen wir den gestrigen Gedanken weiter. Aber heute, Freund, treffen wir uns im Chambre séparée. Ich habe, was in den letzten Korrespondenzen eher die Ausnahme war, das seltsame Gefühl der Wahlverwandtschaft. Was mich an den großen Überbrücker Goethe denken lässt, der in seinem gleichnamigen Werk behauptet, dass Hass sehr wohl parteisch sei, aber die Liebe noch mehr. Eine wichtige Einsicht, da doch das Blindsein, wenn man sich liebt, schnell zur Verteidigung und Nicht-Korrektur der jeweiligen Schwächen des oder der anderen führen kann.
Wer zu sehr liebt, gibt die Liebe der Lächerlichkeit preis. Nicht umsonst heißt es, man habe an dieser oder jener Sache, jener oder dieser Person einen Narren gefressen.
Die Urteilskraft leidet, machen wir uns zu sehr gemein. Sie ahnen, wo ich hin will. Kritik entstammt stets der echten Liebe, das unersättliche Lob der falschen Vernarrtheit. Kostet das Diskutieren und Korrigieren auch Kraft und Mühe, gibt es uns allerdings viel mehr zurück. Ein Genie, das sich nicht auf den Prüfstand stellt, sei ein Megalomane, dessen Werk an der eigenen Selbstüberschätzung leidet. Die Lust an der unbequemen Kritik und die Bereitschaft, im Diskursring Argumente auszutauschen, sind, um Ihr fabelhaftes Bild aufzunehmen, wohl die edelsten aller Metalle. Platin oder Gold, die nur im Panzerschrank gebunkert liegen, seien wie Hypothesen, wie Denkgebäude, die sich nicht der Wissenschaft stellen, keine Überprüfung der Statik wollen, also den Ab- und Einsturz geradezu einladen.
Die Ewigkeit, von der Sie als Grundstoff eines hervorragenden Werkes schreiben, sei dem Miteinander untergeordnet. Die einsamen Systeme, die das 19. Jahrhundert ausgebrütet hat, auch Ihr Translator ist einer der hochbegabten Die-Welt-als-Wille-und-Ver-, Pardon: Vorstellung-Culprits aus dieser Zeit der solipsistischen Theorien, die meine Zwanziger mit einer Wucht verschluckt haben, die mich weiterhin ob der Zeitvergeudung zittern lässt, da ich erst in meinem fünften Lebensjahrzehnt den Ich-überschätze-mich-Drogisten abgeschworen habe, um mein kritisches Heil bei Bertrand Russel, Hannah Arendt, Jürgen Habermas, Peter Singer und Judith Butler zu suchen, die einsamen Systeme, um den Anfang des Satzes wiederzufinden, die einsamen Systeme verschlucken sich, in aller Regel, also an sich selbst, Gründlichkeit und Überzeugungskraft hin oder her.
Wer sich allein in sich selbst bewegt, sei in Wahrheit bewegungslos, demgemäß bereits aus dem Leben geschieden. Und der falsche Applaus, lassen wir uns nicht täuschen, Freund, macht die Sache nun mal nicht besser, im Zweifel sogar noch unangenehmer. Falscher Beifall tötet den Verstand. Selbstüberschätzung stammt, in den allerschlimmsten Fällen, eben nicht nur aus dem Selbst, sondern aus dem kriecherischen Außen. Was die Frage der vernünftigen und hilfreichen Freundschaft aufwirft, aber dazu kommen wir, schätze ich, ein anderes Mal.
7. März
58.
Sich anzupassen verstehen. Nicht Allen soll man auf gleiche Weise seinen Verstand zeigen, und nie mehr Kraft verwenden, als grade nöthig ist. Nichts werde verschleudert, weder vom Wissen, noch vom Leisten. Der gescheute Falkonier läßt nicht mehr Vögel steigen, als die Jagd erfordert. Man lege nicht immer Alles zur Schau: sonst wird es morgen Keiner mehr bewundern. Immer habe man etwas Neues, damit zu glänzen: denn wer jeden Tag mehr aufdeckt, unterhält die Erwartung, und nie werden Gränzen seiner großen Fähigkeiten aufgefunden.
Etwas im Köcher zu behalten, das sei ein vielfach erwähnter und ungemein vernünftiger Rat. Ja, Freund, solch ein Rat stellt in sich selbst eine Bevorratung dar, deren Weisheit in allen Gesellschaften, die nicht im Schlaraffenland leben, geschätzt wird.
Aufgefallen ist mir, was Sie nicht ansprechen, dass auch die Empfänger und Empfängerinnen unserer durchgekauten Weisheiten, bisweilen, um nicht zu sagen: oftmals, froh sind, wenn wir sie mit unseren Argumenten und Vorträgen nicht beharrlich behelligen, sondern im Munkeldunkel ungescheite, rough-vergnügliche, blitzlebendige Sachen machen lassen.
Das Rohe und Genuine besitzen Qualitäten, die dem Ewiggefilterten zu häufig abgehen. Meine Lupe soll nicht das hofierte Vergrößerungsglas der anderen sein. Meine Detailverliebtheit, die ich als Experte für dieses oder jenes an den Tag lege, der wir uns beinahe zwangsweise schuldig machen, sei den Generalisten, also der Mehrheit, berechtigterweise, ein Graus.
Kaum etwas ist schlimmer als der Mundgeruch der Besserwisserei, der sich nur durch ein kordiales Feierabend, schließ den Laden zu! abmildern lässt. Vergisst und verliert sich der Experte oder die Expertin, leisten sie ihrer Sache nahezu immer einen Bärendienst. Wie viel Gutes in Redeströmen ersoffen ist, lässt sich vermutlich kaum bemessen.
Über die Notwendigkeit der Bewunderung, eines Ihrer Lieblingsmotive, haben wir ja bereits mehrmals Überkreuzgelegen. Wer vom außen stetige Ehrerbietung erwartet - und ich spreche ganz bewusst nicht von Wertschätzung, was dann doch eine andere Sache ist -, tut sich in sich selbst unendlich leid, ist das Ende der Lobfahnenstange errreicht.
Erst die Achtung für die Wünsche und Bedürfnisse der anderen, sichert auf Dauer Respekt und Gehör.
8. März
Sich anzupassen verstehen. Nicht Allen soll man auf gleiche Weise seinen Verstand zeigen, und nie mehr Kraft verwenden, als grade nöthig ist. Nichts werde verschleudert, weder vom Wissen, noch vom Leisten. Der gescheute Falkonier läßt nicht mehr Vögel steigen, als die Jagd erfordert. Man lege nicht immer Alles zur Schau: sonst wird es morgen Keiner mehr bewundern. Immer habe man etwas Neues, damit zu glänzen: denn wer jeden Tag mehr aufdeckt, unterhält die Erwartung, und nie werden Gränzen seiner großen Fähigkeiten aufgefunden.
Etwas im Köcher zu behalten, das sei ein vielfach erwähnter und ungemein vernünftiger Rat. Ja, Freund, solch ein Rat stellt in sich selbst eine Bevorratung dar, deren Weisheit in allen Gesellschaften, die nicht im Schlaraffenland leben, geschätzt wird.
Aufgefallen ist mir, was Sie nicht ansprechen, dass auch die Empfänger und Empfängerinnen unserer durchgekauten Weisheiten, bisweilen, um nicht zu sagen: oftmals, froh sind, wenn wir sie mit unseren Argumenten und Vorträgen nicht beharrlich behelligen, sondern im Munkeldunkel ungescheite, rough-vergnügliche, blitzlebendige Sachen machen lassen.
Das Rohe und Genuine besitzen Qualitäten, die dem Ewiggefilterten zu häufig abgehen. Meine Lupe soll nicht das hofierte Vergrößerungsglas der anderen sein. Meine Detailverliebtheit, die ich als Experte für dieses oder jenes an den Tag lege, der wir uns beinahe zwangsweise schuldig machen, sei den Generalisten, also der Mehrheit, berechtigterweise, ein Graus.
Kaum etwas ist schlimmer als der Mundgeruch der Besserwisserei, der sich nur durch ein kordiales Feierabend, schließ den Laden zu! abmildern lässt. Vergisst und verliert sich der Experte oder die Expertin, leisten sie ihrer Sache nahezu immer einen Bärendienst. Wie viel Gutes in Redeströmen ersoffen ist, lässt sich vermutlich kaum bemessen.
Über die Notwendigkeit der Bewunderung, eines Ihrer Lieblingsmotive, haben wir ja bereits mehrmals Überkreuzgelegen. Wer vom außen stetige Ehrerbietung erwartet - und ich spreche ganz bewusst nicht von Wertschätzung, was dann doch eine andere Sache ist -, tut sich in sich selbst unendlich leid, ist das Ende der Lobfahnenstange errreicht.
Erst die Achtung für die Wünsche und Bedürfnisse der anderen, sichert auf Dauer Respekt und Gehör.
8. März
59.
Das Ende bedenken. Wenn man in das Haus des Glücks durch die Pforte des Jubels eintritt; so wird man durch die des Wehklagens wieder heraustreten; und umgekehrt. Daher soll man auf das Ende bedacht seyn, und seine Sorgfalt mehr auf ein glückliches Abgehn, als auf den Beifall beim Auftreten richten. Es ist das gewöhnliche Loos der Unglückskinder, einen gar fröhlichen Anfang, aber ein sehr tragisches Ende zu erleben. Das so gemeine Beifallsklatschen beim Auftreten ist nicht die Hauptsache, Allen wird es zu Theil; sondern das allgemeine Gefühl, das sich bei unserm Abtreten äußert. Denn die Zurückgewünschten sind selten, Wenige geleitet das Glück bis an die Schwelle: so höflich es gegen die Ankommenden zu seyn pflegt, so schnöde gegen die Abgehenden.
Bis auf die schwierige Vorstellung, Freund, die nicht den Kern des Gesagten ausmacht, sondern seinen Gegenpol, dass wir durch die Pforte des Wehklagens ins Glückshaus eintreten, um dann durch die des Jubels wieder auszutreten - was führte denn verlässlich zu dieser heiteren, erstrebenswerten Wendung? -, bis auf diese für mich schwierige Vorstellung, treffen Sie den Nagel auf den Kopf.
Dass man uns selten nachruft, doch bitte eine Weile länger zu bleiben, gerade als Gäste, die sich ins eigene Spiegelbild im fremden Salon verliebt haben, sich etwas zu bequem in den Betten der Gastgeberinnen und Gastgeber eingerichtet, die Speisekammer als Dauerankerplatz entdeckt, die Aufmerksamkeit für die immer gleichen Anekdoten, für die im Brustton der frischen Überzeugung mit Verve wieder und wieder vorgetragenen Ansichten vor Tagen verloren haben, folglich die Zeichen der abgelaufenen Zeit nicht lesen könnnen oder lesen wollen, dass man uns als Folge unserer Taktlosigkeit still und stumm ziehen lässt, gar am Ende so erleichtert ist, unseren Rücken zu sehen, dass man entweder laut seufzt oder gar in Jubelstürme ausbricht, sobald die Tür ins Schloss fällt, sollte uns eine ernsthafte Überlegung wert sein. Und doch sind wir, Sie wie ich, oft meilenweit von einer rechten Einschätzung der Willkommenslage entfernt.
Nun, um Freundschaften nicht zu überforden, wäre es allerdings ebenfalls sehr wohl an der Zeit, auf die delikaten Pflichten der Hauswirtschaft, die uns in aller Regel eingeladen und beherbergt hat, hinzuweisen.
Die direkte Ansprache hilft, sobald die anderen, Freunde, Bekannte oder Fremde, sich taub stellen oder einen Floh im Ohr haben, dessen Hüpfen die Gedankenklarheit zeitweise unterbindet. Nichts sei selbstverständlich, da das, was wir für normal und safe & sound halten, von anderen höchst selten weder geübt noch aufgeführt wird.
Wer der Sprache mächtig und sich ihrer Elastizität und Schönheit bewusst ist, solle sie doch bitte dehnend in den Mund nehmen und sich an ihrer Gabe des Austauschs erfreuen. Im Nachhinein über nicht stattgefundene Gespräche, fehlende klärende Worte zu jammern, sei an sich die wahre Zeitverschwendung und hinterlasse oftmals schreckliche Narben. Gerade mit und bei unseren Liebsten sollten wir mit freundlichen Worten, nicht mit dem unfreundlichen Warten operieren.
9. März
Das Ende bedenken. Wenn man in das Haus des Glücks durch die Pforte des Jubels eintritt; so wird man durch die des Wehklagens wieder heraustreten; und umgekehrt. Daher soll man auf das Ende bedacht seyn, und seine Sorgfalt mehr auf ein glückliches Abgehn, als auf den Beifall beim Auftreten richten. Es ist das gewöhnliche Loos der Unglückskinder, einen gar fröhlichen Anfang, aber ein sehr tragisches Ende zu erleben. Das so gemeine Beifallsklatschen beim Auftreten ist nicht die Hauptsache, Allen wird es zu Theil; sondern das allgemeine Gefühl, das sich bei unserm Abtreten äußert. Denn die Zurückgewünschten sind selten, Wenige geleitet das Glück bis an die Schwelle: so höflich es gegen die Ankommenden zu seyn pflegt, so schnöde gegen die Abgehenden.
Bis auf die schwierige Vorstellung, Freund, die nicht den Kern des Gesagten ausmacht, sondern seinen Gegenpol, dass wir durch die Pforte des Wehklagens ins Glückshaus eintreten, um dann durch die des Jubels wieder auszutreten - was führte denn verlässlich zu dieser heiteren, erstrebenswerten Wendung? -, bis auf diese für mich schwierige Vorstellung, treffen Sie den Nagel auf den Kopf.
Dass man uns selten nachruft, doch bitte eine Weile länger zu bleiben, gerade als Gäste, die sich ins eigene Spiegelbild im fremden Salon verliebt haben, sich etwas zu bequem in den Betten der Gastgeberinnen und Gastgeber eingerichtet, die Speisekammer als Dauerankerplatz entdeckt, die Aufmerksamkeit für die immer gleichen Anekdoten, für die im Brustton der frischen Überzeugung mit Verve wieder und wieder vorgetragenen Ansichten vor Tagen verloren haben, folglich die Zeichen der abgelaufenen Zeit nicht lesen könnnen oder lesen wollen, dass man uns als Folge unserer Taktlosigkeit still und stumm ziehen lässt, gar am Ende so erleichtert ist, unseren Rücken zu sehen, dass man entweder laut seufzt oder gar in Jubelstürme ausbricht, sobald die Tür ins Schloss fällt, sollte uns eine ernsthafte Überlegung wert sein. Und doch sind wir, Sie wie ich, oft meilenweit von einer rechten Einschätzung der Willkommenslage entfernt.
Nun, um Freundschaften nicht zu überforden, wäre es allerdings ebenfalls sehr wohl an der Zeit, auf die delikaten Pflichten der Hauswirtschaft, die uns in aller Regel eingeladen und beherbergt hat, hinzuweisen.
Die direkte Ansprache hilft, sobald die anderen, Freunde, Bekannte oder Fremde, sich taub stellen oder einen Floh im Ohr haben, dessen Hüpfen die Gedankenklarheit zeitweise unterbindet. Nichts sei selbstverständlich, da das, was wir für normal und safe & sound halten, von anderen höchst selten weder geübt noch aufgeführt wird.
Wer der Sprache mächtig und sich ihrer Elastizität und Schönheit bewusst ist, solle sie doch bitte dehnend in den Mund nehmen und sich an ihrer Gabe des Austauschs erfreuen. Im Nachhinein über nicht stattgefundene Gespräche, fehlende klärende Worte zu jammern, sei an sich die wahre Zeitverschwendung und hinterlasse oftmals schreckliche Narben. Gerade mit und bei unseren Liebsten sollten wir mit freundlichen Worten, nicht mit dem unfreundlichen Warten operieren.
9. März