60.
Gesundes Urtheil. Einige werden klug geboren: mit diesem Vortheil der angeborenen großen Obhut ihrer selbst treten sie an die Studien, und so ist ihnen die Hälfte des Weges zum Gelingen vorausgegeben: wann nun Alter und Erfahrung ihre Vernunft völlig zur Reife gebracht haben; so gelangen sie zu einem vollgültigen und richtigen Urtheil. Sie verabscheuen eigensinnige Grillen jeder Art, als Verführerinnen der Klugheit, zumal in Staatsangelegenheiten, welche, wegen ihrer hohen Wichtigkeit, vollkommne Sicherheit erfordern. Solche Leute verdienen am Staatsruder zu stehn, sei es zur Lenkung oder zum Rath.
Die Frage des Determinismus, Freund, vor der ich, aus mehreren Gründen zurückschrecke, auch dem der Eitel- und Überheblichkeit - sich halbwegs zu kennen, ist selten ein Genuss -, die Frage des Determinismus hat, falsch beantwortet, für viel, sehr viel Unglück gesorgt.
In meiner Generation, auch heute ist das noch häufig der Fall, wurden Kinder mit zehn Jahren auf, wie es so euphemistisch heißt, weiterführende Schulen geschickt - oder eben nicht. Das Gymnasium verstand und versteht sich als Hort der zukünftigen Bildungselite, die studieren und lenken darf, während die Kinder, welche auf der Hauptschule landeten und landen, ein schnöder Widerspruch in sich, angeblich eben gerade kein Haupt, das altmodische Wort für Kopf oder Verstand, haben, sondern als Arbeiterinnen und Arbeiter, als Handwerkerinnen und Handwerker den gebildeten Schichten - und nun sage ich etwas, was ganz und gar nicht meine Meinung ist, aber den Snobs als Einstellung eigen ist - gefälligst zuarbeiten sollen.
Eine kranke Idee sei es, zu glauben, dass eine Zehnjährige, die nicht aus einer bürgerlichen, biodeutschen Familie stammt, sondern, vielleicht, aus einer syrischen Flüchtlingsfamilie, in der Deutsch kaum oder gar nicht gesprochen wird, die selben Chancen hat. Ähnlich sei es mit dem Zehnjährigen, dessen Elternhaus zerrüttet ist, der vorm Schulbesuch kein Frühstück bekommmt, dessen Hausaufgaben niemand kontrolliert. Wir versagen als Gesellschaft, gerade für Kinder aus Familien mit - machen Sie sich, Freund, auf ein Monsterwort gefasst - Migrationshintergrund. Dieser technokratische Begriff zeigt, wie wenig menschlich der Umgang mit den sprachlich benachteiligten Kindern ist, wie wenig wir, als Gesellschaft, verstanden haben, dass wir längst ein multikulturelles Einwanderungsland geworden sind, das allen, die zu uns kommen, die selben Chancen ermöglichen müsste, die den bereits hier Lebenden offenstehen.
Vorurteile werden durch geschlossene Türen bestätigt. Optionen basieren auf Ihrer Erkenntis, Freund, die ich noch ausweiten möchte, dass Menschen klug geboren werden. Häufig genug ist es das kapitalistische System, das uns dumm halten will, damit wir ihm und den wenigen Privilegierten dienen.
Nichts sei vorab besiegelt, außer der Chancengleichheit. Das Recht auf Teilhabe zeichnet offene Gesellschaften aus, die Idee des Wohlgeborenseins geschlossene.
Bliebe die Frage des Verkennens oder, wovor wenige gefeit sind, des Ablehnens der Aufmüpfigen. Sowohl das Rebellische als auch das Andere haben per se wenige Fürsprecher, Talent und Intelligenz hin oder her.
Hannah Arendt hat mal gesagt, dass kein Mensch das Recht habe, zu gehorchen. Wer sich daran erinnert, wird den Eigensinnigen hoffentlich geneigter gegenübertreten.
10. März
61.
Das Höchste, in der höchsten Gattung: ein gar einziger Vorzug, bei der Menge und Verschiedenheit der Vollkommenheiten. Es kann keinen großen Mann geben, der nicht in irgend etwas alle Andern überträfe. Mittelmäßigkeiten sind kein Gegenstand der Bewundrung. Die höchste Trefflichkeit in einem hervorstechenden Berufe kann allein uns aus der Menge der Gewöhnlichen herausheben und unter die Zahl der Seltenen versetzen. Ausgezeichnet seyn in einem geringen Berufe, heißt Etwas seyn, in dem, was wenig ist: was es am Angenehmen voraus haben mag, büßt es am Rühmlichen ein. Das Höchste leisten, und in der vorzüglichsten Gattung, drückt uns gleichsam einen Souveränitätskarakter auf, gebietet Bewunderung und gewinnt die Herzen.
Ist, Freund, wer am lautesten mit den Säbeln rasselt, der schlechthin zu bewundernde, der am meisten geachtete, der über allen anderen Säbelrasslern auf immer thronende Säbelrassler? Gehen wir in die Untiefen des Hier und Jetzt, begegnet uns, an der Spitze des weiterhin mächtigsten Landes der Erde, ein Präsident, der in den vergangenen zwölf Monaten im Durschnitt 15-mal pro Tag die Unwahrheit gerasselt hat. Damit handelt es sich bei ihm um den Höchsten in der höchsten Gattung der Mannskerle-die-ihren-Daumen-sowohl-auf-einem-dicken-Atomknopf-haben-als-auch-notorische-Lügner-sind. Übrigens allesamt Typen, die, buchstäblich, Heerscharen von Anbetern, Nachmachern und schmeichlerischen Hagiographen anziehen.
Widmen wir uns kurz der Moral des Erstunken-und-erlogen-Beispiels - falls ich das noch etwas einreiben darf. Wie anständig und schicklich sind die Qualitäten tatsächlich, für die wir angehimmelt werden oder Lobeshymnen erwarten? Und sagen wir, die wir uns am besten kennen sollten, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit, wenn wir, in unserem direkten Umfeld, selbst am Drücker der Familien- und Büromacht sitzen? Wollen wir für das Falsche Anerkennung gezollt bekommen, um - koste es, was es wolle - in den Olymp aufzusteigen oder oben partout auf dem Tempelberg sitzen zu bleiben?
In meinen Zeiten ist Vertrauen zwar eine schöne Sache, Kontrolle bei angeblichen Höchstleistungen jedoch zwangsläufig angebracht. Neben denen, die mit ihren Körpern punkten, sich aber mit Doping fitmachen, betrügen und lügen auch oftmals die Einfluss- unnd Superreichen. Nehmen Sie die CEOs der derzeit noch mächtigsten Firmen, die sich allesamt leidenschaftlich der Datenausbeute und energisch der Zerstörung der Privatsphäre ihrer Kundschaft widmen; ihre eigene kleine Gated-Community-Welt schützen sie natürlich mit allen juristischen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Hier wird nur so gelogen, bis sich die Balken biegen - und dennoch werden diese Männer, ja, typischerweise ist keine Frau dabei, und dennoch werden diese Männer, Freund, Ihren Kriterien des Übertreffens mehr als gerecht.
Die Guten, sie sind selten reich, und die Reichen, sie sind selten gut. Echte Größe zeigt sich allein in der Tat, nicht im Status. Und Ruhm, den Sie den Herrschenden zuerkennen, übrigens: auch Sie sprechen stets nur von Männern, Frauen haben in Ihrem Denkgebäude keinen hervorragenden Platz, was, selbstverständlich, an Ihrer Zeitgebundenheit liegt, aber, genauso selbstverständlich, eben nicht nur, und Ruhm, der sich im Friedfertigen zeigt, findet weiterhin seltener Erwähnung in den Geschichtsbüchern als die Kriegstreiberei. Unsere Narration ist, scheint mir, von Grund auf falsch.
Achten wir die Verächter, geht die Achtung nun mal per se verloren, ächteten wir sie, wüchse die Achtung grundsätzlich vor den Achtsamen. Und hat die Liebe Konjunktur, sind die Aktien der Hierarchie&Panzer Inc. im verdienten Keller.
11. März
Das Höchste, in der höchsten Gattung: ein gar einziger Vorzug, bei der Menge und Verschiedenheit der Vollkommenheiten. Es kann keinen großen Mann geben, der nicht in irgend etwas alle Andern überträfe. Mittelmäßigkeiten sind kein Gegenstand der Bewundrung. Die höchste Trefflichkeit in einem hervorstechenden Berufe kann allein uns aus der Menge der Gewöhnlichen herausheben und unter die Zahl der Seltenen versetzen. Ausgezeichnet seyn in einem geringen Berufe, heißt Etwas seyn, in dem, was wenig ist: was es am Angenehmen voraus haben mag, büßt es am Rühmlichen ein. Das Höchste leisten, und in der vorzüglichsten Gattung, drückt uns gleichsam einen Souveränitätskarakter auf, gebietet Bewunderung und gewinnt die Herzen.
Ist, Freund, wer am lautesten mit den Säbeln rasselt, der schlechthin zu bewundernde, der am meisten geachtete, der über allen anderen Säbelrasslern auf immer thronende Säbelrassler? Gehen wir in die Untiefen des Hier und Jetzt, begegnet uns, an der Spitze des weiterhin mächtigsten Landes der Erde, ein Präsident, der in den vergangenen zwölf Monaten im Durschnitt 15-mal pro Tag die Unwahrheit gerasselt hat. Damit handelt es sich bei ihm um den Höchsten in der höchsten Gattung der Mannskerle-die-ihren-Daumen-sowohl-auf-einem-dicken-Atomknopf-haben-als-auch-notorische-Lügner-sind. Übrigens allesamt Typen, die, buchstäblich, Heerscharen von Anbetern, Nachmachern und schmeichlerischen Hagiographen anziehen.
Widmen wir uns kurz der Moral des Erstunken-und-erlogen-Beispiels - falls ich das noch etwas einreiben darf. Wie anständig und schicklich sind die Qualitäten tatsächlich, für die wir angehimmelt werden oder Lobeshymnen erwarten? Und sagen wir, die wir uns am besten kennen sollten, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit, wenn wir, in unserem direkten Umfeld, selbst am Drücker der Familien- und Büromacht sitzen? Wollen wir für das Falsche Anerkennung gezollt bekommen, um - koste es, was es wolle - in den Olymp aufzusteigen oder oben partout auf dem Tempelberg sitzen zu bleiben?
In meinen Zeiten ist Vertrauen zwar eine schöne Sache, Kontrolle bei angeblichen Höchstleistungen jedoch zwangsläufig angebracht. Neben denen, die mit ihren Körpern punkten, sich aber mit Doping fitmachen, betrügen und lügen auch oftmals die Einfluss- unnd Superreichen. Nehmen Sie die CEOs der derzeit noch mächtigsten Firmen, die sich allesamt leidenschaftlich der Datenausbeute und energisch der Zerstörung der Privatsphäre ihrer Kundschaft widmen; ihre eigene kleine Gated-Community-Welt schützen sie natürlich mit allen juristischen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Hier wird nur so gelogen, bis sich die Balken biegen - und dennoch werden diese Männer, ja, typischerweise ist keine Frau dabei, und dennoch werden diese Männer, Freund, Ihren Kriterien des Übertreffens mehr als gerecht.
Die Guten, sie sind selten reich, und die Reichen, sie sind selten gut. Echte Größe zeigt sich allein in der Tat, nicht im Status. Und Ruhm, den Sie den Herrschenden zuerkennen, übrigens: auch Sie sprechen stets nur von Männern, Frauen haben in Ihrem Denkgebäude keinen hervorragenden Platz, was, selbstverständlich, an Ihrer Zeitgebundenheit liegt, aber, genauso selbstverständlich, eben nicht nur, und Ruhm, der sich im Friedfertigen zeigt, findet weiterhin seltener Erwähnung in den Geschichtsbüchern als die Kriegstreiberei. Unsere Narration ist, scheint mir, von Grund auf falsch.
Achten wir die Verächter, geht die Achtung nun mal per se verloren, ächteten wir sie, wüchse die Achtung grundsätzlich vor den Achtsamen. Und hat die Liebe Konjunktur, sind die Aktien der Hierarchie&Panzer Inc. im verdienten Keller.
11. März
62.
Sich guter Werkzeuge bedienen. Einige wollen, daß die Nichtswürdigkeit ihrer Werkzeuge ihren eigenen Scharfsinn zu verherrlichen diene: eine gefährliche Genugthuung, welche vom Schicksal eine Züchtigung verdient. Nie hat die Trefflichkeit des Ministers die Größe seines Herrn verringert: vielmehr fällt der Ruhm des Gelungenen stets auf die Hauptursache zurück, wie auch, beim Gegentheil, der Tadel. Die Fama hält sich immer an die Hauptpersonen: sie sagt nie: der hatte gute, dieser schlechte Diener; – sondern: der war ein guter, dieser ein schlechter Künstler. Also wähle man sie, prüfe man sie: denn einen unvergänglichen Ruhm hat man in ihre Hände zu legen.
Bevor wir, Freund, zu den Menschen kommen, wobei, das sei bereits erwähnt, der herrschaftliche Devotiionalienhandel im absolutistischen Hofbräuhaus Ihrer Zeit, sprich: Ihre ewige Hörigkeit gen Fürst, mich, wie stets, komplett kirre macht, bevor wir zu den Menschen als Machtinstrument kommen, möchte ich mich einer trivialen Wahrheit zuwenden, die aus dem ersten Satz des Paragraphen scheint.
So oft habe ich's, fluchend, auf der geborgten Leiter stehend, unter der schwierig verschraubten Lampe, oder auf dem Kachelboden des Bads sitzend, das erneut verstopfte Waschbecken über mir, so oft habe ich's festgestellt: meine Werkzeuge taugen rein gar nichts. Ich besitze ein verstreutes Sammelsurium an mir zugelaufenen Tools, Erb- und Fundstücke, schlechte Zangen, brüchige Kreuzschlüssel. Und jedes Mal denke ich, sobald ich mich ihretwegen wieder verletzt habe, nun sei's aber wirklich genug, nun werde ich stracks in den Baumarkt gehen, mich flugs mit den richtigen Werkzeugen eindecken. Was ich anschließend, ist die Verstopfung aufgehoben, leuchtet das Licht wieder, hält das Pflaster, doch nicht mache. Was nicht allein an meiner Unlust liegt, wertvolle Zeit mit einer solchen Beschaffungstour zu vergeuden. Der eigentliche Grund ist wohl weniger auf mich selbst gerichtet, mehr grundlegender Natur: ich weiß einfach nicht, was gute Werkzeuge sind. Über die notwendigen Kenntnisse, eine vernünftige Gerätewahl zu treffen, verfüge ich platterdings nicht.
Um mit den Bergleuten zu sprechen: Tiefe schafft Bescheidenheit. Was ich dadurch immerhin begriffen habe, ist, dass ich Wissen bräuchte, dass ich wohl niemals erlangen werde, da ich mich nicht genug für diesen Bereich begeistere. Ich also in einem epistemologischen Traumzustand verharre, aus dem ich, aus eigenen Kräften, einfach nicht aufwachen kann, da ich nicht bereit bin, den Wecker zu stellen.
Dass die teuren Dinge per se besser sind, davon bin ich als Vademecum-Empfehlung längst geheilt. Die Obsoleszenz wohnt gerade auch im Kostenträchtigen, das still und heimlich hohe Nachfolgeausgaben gebiert. Ebenso sieht's mit vermeintlichen Schnäppchen aus. Nahezu ausnahmslos weisen Sonderangebote gleichfalls eingebaute, sonderbare Schwachstellen auf.
Das großmäulige Angebot sei zuverlässig unbotmäßig. Und dreist Teures, das, dank der künstlichen Verknappung oder einer Modesaison wegen, ein gewaltiges Loch ins Budget reißt, besitzt so gut wie nie einen adäquaten Dauerwert. Die guten Dinge dagegen überraschen uns und halten sogar mehr, als wir uns von ihnen versprechen - und sind damit den anständigen Menschen, was wenigstens diese Eigenschaft betrifft, womöglich erstaunlich ähnlich.
Damit, ganz kurz, Freund zu den unanständigen Ratgebern, deren Charakter den Ruhm des Herrschers beschmutzen kann. Zunächst, das erwähnen Sie sehr wohl, wenn auch indirekt, sind die Menschen, mit denen wir uns umgeben, eine Art von Echoraum. Sie rufen etwas, was uns erreicht, dann zurückgeworfen wird; wir rufen etwas, was sie erreicht, und dann zurückgeworfen wird - und beides wird, ihre und unsere Stimmen werden im Konzert des Lebens, der demokratische Echoraum hat etliche Aus- und Eingänge, wahrgenommen. Sich aus der Verantwortung zu stehlen, geht, wenigstens in meiner Zeit, nicht mehr, jedenfalls nicht in einer aufgeklärten Gesellschaft, in der Presse- und Meinungsfreiheit herrschen. Um es so zu formulieren: Ihre Grundannahme hat sich einerseits überholt; die Tatsache, dass gute Werkzeuge die Arbeit erleichtern, andererseits ganz und gar nicht.
Hält das Zahnrad der Zeit an, retten die richtigen Instrumente in den richtigen Händen Leben. In der Vorbereitung auf das Noch-nicht-Anwesende stecke echte Weisheit.
Der Klugheit sei an sich fast alles fremd, der Dummheit beinahe alles zu vertraut.
12. März
Sich guter Werkzeuge bedienen. Einige wollen, daß die Nichtswürdigkeit ihrer Werkzeuge ihren eigenen Scharfsinn zu verherrlichen diene: eine gefährliche Genugthuung, welche vom Schicksal eine Züchtigung verdient. Nie hat die Trefflichkeit des Ministers die Größe seines Herrn verringert: vielmehr fällt der Ruhm des Gelungenen stets auf die Hauptursache zurück, wie auch, beim Gegentheil, der Tadel. Die Fama hält sich immer an die Hauptpersonen: sie sagt nie: der hatte gute, dieser schlechte Diener; – sondern: der war ein guter, dieser ein schlechter Künstler. Also wähle man sie, prüfe man sie: denn einen unvergänglichen Ruhm hat man in ihre Hände zu legen.
Bevor wir, Freund, zu den Menschen kommen, wobei, das sei bereits erwähnt, der herrschaftliche Devotiionalienhandel im absolutistischen Hofbräuhaus Ihrer Zeit, sprich: Ihre ewige Hörigkeit gen Fürst, mich, wie stets, komplett kirre macht, bevor wir zu den Menschen als Machtinstrument kommen, möchte ich mich einer trivialen Wahrheit zuwenden, die aus dem ersten Satz des Paragraphen scheint.
So oft habe ich's, fluchend, auf der geborgten Leiter stehend, unter der schwierig verschraubten Lampe, oder auf dem Kachelboden des Bads sitzend, das erneut verstopfte Waschbecken über mir, so oft habe ich's festgestellt: meine Werkzeuge taugen rein gar nichts. Ich besitze ein verstreutes Sammelsurium an mir zugelaufenen Tools, Erb- und Fundstücke, schlechte Zangen, brüchige Kreuzschlüssel. Und jedes Mal denke ich, sobald ich mich ihretwegen wieder verletzt habe, nun sei's aber wirklich genug, nun werde ich stracks in den Baumarkt gehen, mich flugs mit den richtigen Werkzeugen eindecken. Was ich anschließend, ist die Verstopfung aufgehoben, leuchtet das Licht wieder, hält das Pflaster, doch nicht mache. Was nicht allein an meiner Unlust liegt, wertvolle Zeit mit einer solchen Beschaffungstour zu vergeuden. Der eigentliche Grund ist wohl weniger auf mich selbst gerichtet, mehr grundlegender Natur: ich weiß einfach nicht, was gute Werkzeuge sind. Über die notwendigen Kenntnisse, eine vernünftige Gerätewahl zu treffen, verfüge ich platterdings nicht.
Um mit den Bergleuten zu sprechen: Tiefe schafft Bescheidenheit. Was ich dadurch immerhin begriffen habe, ist, dass ich Wissen bräuchte, dass ich wohl niemals erlangen werde, da ich mich nicht genug für diesen Bereich begeistere. Ich also in einem epistemologischen Traumzustand verharre, aus dem ich, aus eigenen Kräften, einfach nicht aufwachen kann, da ich nicht bereit bin, den Wecker zu stellen.
Dass die teuren Dinge per se besser sind, davon bin ich als Vademecum-Empfehlung längst geheilt. Die Obsoleszenz wohnt gerade auch im Kostenträchtigen, das still und heimlich hohe Nachfolgeausgaben gebiert. Ebenso sieht's mit vermeintlichen Schnäppchen aus. Nahezu ausnahmslos weisen Sonderangebote gleichfalls eingebaute, sonderbare Schwachstellen auf.
Das großmäulige Angebot sei zuverlässig unbotmäßig. Und dreist Teures, das, dank der künstlichen Verknappung oder einer Modesaison wegen, ein gewaltiges Loch ins Budget reißt, besitzt so gut wie nie einen adäquaten Dauerwert. Die guten Dinge dagegen überraschen uns und halten sogar mehr, als wir uns von ihnen versprechen - und sind damit den anständigen Menschen, was wenigstens diese Eigenschaft betrifft, womöglich erstaunlich ähnlich.
Damit, ganz kurz, Freund zu den unanständigen Ratgebern, deren Charakter den Ruhm des Herrschers beschmutzen kann. Zunächst, das erwähnen Sie sehr wohl, wenn auch indirekt, sind die Menschen, mit denen wir uns umgeben, eine Art von Echoraum. Sie rufen etwas, was uns erreicht, dann zurückgeworfen wird; wir rufen etwas, was sie erreicht, und dann zurückgeworfen wird - und beides wird, ihre und unsere Stimmen werden im Konzert des Lebens, der demokratische Echoraum hat etliche Aus- und Eingänge, wahrgenommen. Sich aus der Verantwortung zu stehlen, geht, wenigstens in meiner Zeit, nicht mehr, jedenfalls nicht in einer aufgeklärten Gesellschaft, in der Presse- und Meinungsfreiheit herrschen. Um es so zu formulieren: Ihre Grundannahme hat sich einerseits überholt; die Tatsache, dass gute Werkzeuge die Arbeit erleichtern, andererseits ganz und gar nicht.
Hält das Zahnrad der Zeit an, retten die richtigen Instrumente in den richtigen Händen Leben. In der Vorbereitung auf das Noch-nicht-Anwesende stecke echte Weisheit.
Der Klugheit sei an sich fast alles fremd, der Dummheit beinahe alles zu vertraut.
12. März
63.
Es ist ein großer Ruhm, der erste in der Art zu seyn, und zwiefach, wenn Vortrefflichkeit dazu kommt. Großen Vortheil hat der Banquier, der mit den Karten in der Hand spielt: er gewinnt, wenn die Partie gleich ist. Mancher wäre ein Phönix in seinem Beruf gewesen; hätte er keine Vorgänger gehabt. Die Ersten jeder Art gehn mit dem Majorat des Ruhms davon: den Uebrigen bleiben eingeklagte Alimente: was sie auch immer thun mögen, so können sie den gemeinen Flecken, Nachahmer zu seyn, nicht abwaschen. Nur der Scharfsinn außerordentlicher Geister bricht neue Bahnen zur Auszeichnung, und zwar so, daß für die dabei zu laufende Gefahr die Klugheit gutsagt. Durch die Neuheit ihres Unternehmens haben Weise einen Platz in der Matrikel der großen Männer erworben. Manche mögen lieber die Ersten in der zweiten Klasse als die Zweiten in der ersten seyn.
Der Erfindungen, Freund, gibt es ja bekanntlich zwei, die sich entweder sehr wohl oder, je nach Gemütsverfassung, rein gar nicht vergleichen lassen. Zuerst, was Ihnen entsprochen hat, sei die Sprachschöpfung an-, ja bisweilen, im Falle des Theaters, aufgeführt. Hier sind die kreativen Blufferinnen und fantastischen Aufschneider, die begnadeten Dichterinnen und einfallsreichen Schriftsteller als auch die feinsinnigen Scholarinnen und die hartnäckigen Exegeten am Werk. Um nur einige wenige Exemplare dieser jeweils ersten Art zu nennen. Denn, so scheint es mir zumindest, in jedem originellen Schriftstück steckt zunächt ein Zuerst, und jeder splendid gefüllten Seite bleibt die Frische der Neuheit eigen, die mir, die Jahrhunderte mühelos überbrückend, aus Ihrem Orakel die Nacht erhellt, den Tag, auch das, mit Schmackes verdunkelt, mir nicht zuletzt ab und an die eitlen Hosenbeine langzieht. Wohlgemerkt: wir sprechen von den ausgezeichneten Texten, was ganz und gar nicht unbedingt heißt: beliebt und hochgelobt.
In der Zeit, in der man lebt, so zu glänzen, wie es den exzeptionellen Werken anstünde, ist nur wenigen vergönnt. Dass der Nachruhm irgendwo und irgendwann kommen mag, sei dabei nicht jedermanns Geschmack. In der Gegenwart eine Rolle zu spielen, mit, wie Ihr Translator es schreibt, den stichfesten Karten am Spieltisch zu sitzen, machte nun mal Wege frei, eröffnete Freundschaften, die den in der Heimlichkeit Glänzenden verborgen bleiben. Ob, auf der anderen Seite, zu viel Aufmerksamkeit der Schaffenskraft nutzt, darf ebenfalls bezweifelt werden, ist allerdings auch eine Charakterfrage.
Den ungekünstelten Echten schadet die Beachtung wenig, da sie für das Werk existieren und in ihm tiefe Befriedigung finden, also sehr wohl einen Schlussstrich zwischen sich und der Glanz-und-Gloria-Verehrung ziehen, die ihnen, auf Dauer, mehr Augenblicke raubt, als unvergessliche Glücksmomente schenkt.
Die Monotonie des Vergnügens sei der Grund mancher Schaffenskrise.
Nun zu der zweiten Gattung der Erfindungsreichen. Wer tatsächlich einen Geist besitzt, der kraftvoll genug ist, um neue nutzvolle Gegenstände zu erdenken, ist, aus meiner unpraktischen Sicht, wahrlich zu beneiden. Wobei auch hier eine extrem hohe Schwelle vor den Ingeniösen liegt, die es mutig zu überschreiten gilt.
Dem wohltuenden, gemeinschaftlich herbeigesehnten Neuen stellt sich, ganz allgemein, oft genug das gemeine Alte mit einer angestammten Schlag- und ruchlosen Bollkraft entgegen. Das gewinnbringende Angestammte besitzt zumeist eine durchtriebene Verharrungskunst, die manche Kreative am ausgestreckten Arm verhungern lässt. Ist viel Geld im Spiel, das dem Alten fest angenäht ist, hat es das Neue besonders schwer, die Nähte erfolgreich aufzutrennen.
13. März
Es ist ein großer Ruhm, der erste in der Art zu seyn, und zwiefach, wenn Vortrefflichkeit dazu kommt. Großen Vortheil hat der Banquier, der mit den Karten in der Hand spielt: er gewinnt, wenn die Partie gleich ist. Mancher wäre ein Phönix in seinem Beruf gewesen; hätte er keine Vorgänger gehabt. Die Ersten jeder Art gehn mit dem Majorat des Ruhms davon: den Uebrigen bleiben eingeklagte Alimente: was sie auch immer thun mögen, so können sie den gemeinen Flecken, Nachahmer zu seyn, nicht abwaschen. Nur der Scharfsinn außerordentlicher Geister bricht neue Bahnen zur Auszeichnung, und zwar so, daß für die dabei zu laufende Gefahr die Klugheit gutsagt. Durch die Neuheit ihres Unternehmens haben Weise einen Platz in der Matrikel der großen Männer erworben. Manche mögen lieber die Ersten in der zweiten Klasse als die Zweiten in der ersten seyn.
Der Erfindungen, Freund, gibt es ja bekanntlich zwei, die sich entweder sehr wohl oder, je nach Gemütsverfassung, rein gar nicht vergleichen lassen. Zuerst, was Ihnen entsprochen hat, sei die Sprachschöpfung an-, ja bisweilen, im Falle des Theaters, aufgeführt. Hier sind die kreativen Blufferinnen und fantastischen Aufschneider, die begnadeten Dichterinnen und einfallsreichen Schriftsteller als auch die feinsinnigen Scholarinnen und die hartnäckigen Exegeten am Werk. Um nur einige wenige Exemplare dieser jeweils ersten Art zu nennen. Denn, so scheint es mir zumindest, in jedem originellen Schriftstück steckt zunächt ein Zuerst, und jeder splendid gefüllten Seite bleibt die Frische der Neuheit eigen, die mir, die Jahrhunderte mühelos überbrückend, aus Ihrem Orakel die Nacht erhellt, den Tag, auch das, mit Schmackes verdunkelt, mir nicht zuletzt ab und an die eitlen Hosenbeine langzieht. Wohlgemerkt: wir sprechen von den ausgezeichneten Texten, was ganz und gar nicht unbedingt heißt: beliebt und hochgelobt.
In der Zeit, in der man lebt, so zu glänzen, wie es den exzeptionellen Werken anstünde, ist nur wenigen vergönnt. Dass der Nachruhm irgendwo und irgendwann kommen mag, sei dabei nicht jedermanns Geschmack. In der Gegenwart eine Rolle zu spielen, mit, wie Ihr Translator es schreibt, den stichfesten Karten am Spieltisch zu sitzen, machte nun mal Wege frei, eröffnete Freundschaften, die den in der Heimlichkeit Glänzenden verborgen bleiben. Ob, auf der anderen Seite, zu viel Aufmerksamkeit der Schaffenskraft nutzt, darf ebenfalls bezweifelt werden, ist allerdings auch eine Charakterfrage.
Den ungekünstelten Echten schadet die Beachtung wenig, da sie für das Werk existieren und in ihm tiefe Befriedigung finden, also sehr wohl einen Schlussstrich zwischen sich und der Glanz-und-Gloria-Verehrung ziehen, die ihnen, auf Dauer, mehr Augenblicke raubt, als unvergessliche Glücksmomente schenkt.
Die Monotonie des Vergnügens sei der Grund mancher Schaffenskrise.
Nun zu der zweiten Gattung der Erfindungsreichen. Wer tatsächlich einen Geist besitzt, der kraftvoll genug ist, um neue nutzvolle Gegenstände zu erdenken, ist, aus meiner unpraktischen Sicht, wahrlich zu beneiden. Wobei auch hier eine extrem hohe Schwelle vor den Ingeniösen liegt, die es mutig zu überschreiten gilt.
Dem wohltuenden, gemeinschaftlich herbeigesehnten Neuen stellt sich, ganz allgemein, oft genug das gemeine Alte mit einer angestammten Schlag- und ruchlosen Bollkraft entgegen. Das gewinnbringende Angestammte besitzt zumeist eine durchtriebene Verharrungskunst, die manche Kreative am ausgestreckten Arm verhungern lässt. Ist viel Geld im Spiel, das dem Alten fest angenäht ist, hat es das Neue besonders schwer, die Nähte erfolgreich aufzutrennen.
13. März
64.
Uebel vermeiden und sich Verdrießlichleiten ersparen, ist eine belohnende Klugheit. Vielen weiß die Vorsicht aus dem Wege zu gehen: sie ist die Lucina des Glücks und dadurch der Zufriedenheit. Schlimme Nachrichten soll man nicht überbringen, noch weniger empfangen: den Eingang soll man ihnen untersagen, wenn es nicht der der Hülfe ist. Einige haben nur für die Süßigkeit der Schmeicheleien Ohren; Andere nur für die Bitterkeit der übeln Nachrede: und Manche können nicht ohne einen täglichen Aerger leben, wie Mithridat nicht ohne Gift. Ebenfalls ist es keine Regel der Selbsterhaltung, daß man sich eine Betrübniß auf Zeit Lebens bereite, um einem Andern, und stände er uns noch so nahe, ein Mal einen Gefallen zu thun. Nie soll man gegen seine eigene Wohlfahrt sündigen, um dem zu gefallen, der seinen Rath ertheilt und aus dem Handel herausbleibt. Und bei jeder Begebenheit, wo dem Andern eine Freude, sich selber einen Schmerz bereiten hieße, ist die passende Regel, es sei besser, daß er jetzt betrübt werde, als du nachher und ohne Nachhülfe.
Über diese Sätze könnten Dissertationen verfasst und auf ihnen erfolgreiche Karrieren gebaut werden. Wie wenig einige stehlen müssen, um groß herauszukommen, sei ein wahres Wunder. Manchmal reicht's sogar, die abgelegte Nabelschnur aufzuheben, brav zu konservieren und sich ab dann der innigen Bekanntschaft mit XY aus frühesten Tagen zu rühmen, um selbst anerkannt zu werden. Nein, Freund, Sie lächeln, aber ich spreche, ausnahmsweise, nicht von mir. Obwohl mich die Angst tagtäglich umtreibt, Ihren Gedanken nicht gerecht zu werden - ich bin mir der Hybris der ganzen Der Nutzen meiner Feinde-Unternehmung wohl bewusst, eine Selbstwahrnehmung, die weniger angenehm ist als die Selbstüberschätzung, deren Ignoranz zeitweise glücklich zu machen scheint, an dessen Nicht-Wahrhaben-Wollen sich, ist man naiv oder ein Trottel, sattsam und zufrieden laben lässt, andererseits, um erneut aus Russels Zehn Geboten zu zitieren, sollen wir denen nicht das Glück neiden, die in einem Narrenparadies lebten, denn nur ein Narr könnte das für ein Glück halten -, obwohl mich also die Angst umtreibt, Ihren Gedanken nicht gerecht zu werden, ergreifen mich tagein, tagaus der Zwang und die Lust, das Orakel zu studieren.
Letztens, bei einer Lesung zu einem Buch über den hoch interessanten Prozess, der um Kafkas und Brods Jerusalemer Nachlass stattgefunden hat, einer Lesung vor Buchhändlerinnen und Buchhändlern im Hause eines gastfreundlichen Verlegers, lag Ihr Text, als einziges Buch, im Gäste-Waschraum als Zwischendurchlektüre bereit. Die kleine, bibliophile Insel-Ausgabe, die Ihnen gefallen hätte. Und ich habe, obwohl's sich, selbstverständlich, um einen absurden Zufall gehandelt hat, ich habe diesen unerwarteten Fund im stillen Kämmerchen doch als eine Art von Wink mit dem schöngeistigen Zaunpfahl empfunden, dass mein Unterfangen, dem ich mich ein ganzes Jahr treu widmen möchte, sinnvoll sei. An sich ist das Orakel, trotz seiner Kraft, eher aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden. Mir scheint, es gibt Zeitwellen, die Ihren Text entweder an die Oberfläche befördern oder wieder herabdrücken. Jetzt, in diesen Monaten, in denen Rat und Weisheit händeringend gesucht werden, in denen die Unvernunft reihenweise impertinente Siege feiert, primitiver Nationalismus und narzistischer Populismus nicht nur hohnlachend an die Tür rumpeln, sondern mit der Frechheit des ahistorischen Vergessens dreiste Machtansprüche auf den Straßen und Plätzen und in den Parlamenten anmelden, in diesen schweren Monaten kommen Sie der Gegenwart wieder sehr zu pass.
Sie hatten, Freund, wahrlich einige gute Schreibstunden, als Ihnen dieser Vorsichtskatalog gelang, in dem's zwar springt und knarrt, Richtungswechsel vorgenommen werden, dass man, bleibt man nah bei Ihnen, manch Schleudertrauma ob der Kursänderung erfährt, aber doch immer etwas Nachdenken als Proviant gerreicht bekommt. Ein, Pardon, Pater, höllisch guter Text.
Sind wir zufrieden, herrsche Stille oder werde im Glücksrausch getanzt und gefeiert. Nicht sogleich zu genießen, was gefällt, ist eine Dummheit, welche die Fortüne uns übelnimmt. Der Moment kommt grundsätzlich nur als Bedauern über das Verpasste zurück.
Noch ein abschließendes Wort zur Korinthenkackerei. Fehler lassen sich einfach finden, das Entdecken der Vollkommenheit fällt zumeist viel schwerer.
14. März
Uebel vermeiden und sich Verdrießlichleiten ersparen, ist eine belohnende Klugheit. Vielen weiß die Vorsicht aus dem Wege zu gehen: sie ist die Lucina des Glücks und dadurch der Zufriedenheit. Schlimme Nachrichten soll man nicht überbringen, noch weniger empfangen: den Eingang soll man ihnen untersagen, wenn es nicht der der Hülfe ist. Einige haben nur für die Süßigkeit der Schmeicheleien Ohren; Andere nur für die Bitterkeit der übeln Nachrede: und Manche können nicht ohne einen täglichen Aerger leben, wie Mithridat nicht ohne Gift. Ebenfalls ist es keine Regel der Selbsterhaltung, daß man sich eine Betrübniß auf Zeit Lebens bereite, um einem Andern, und stände er uns noch so nahe, ein Mal einen Gefallen zu thun. Nie soll man gegen seine eigene Wohlfahrt sündigen, um dem zu gefallen, der seinen Rath ertheilt und aus dem Handel herausbleibt. Und bei jeder Begebenheit, wo dem Andern eine Freude, sich selber einen Schmerz bereiten hieße, ist die passende Regel, es sei besser, daß er jetzt betrübt werde, als du nachher und ohne Nachhülfe.
Über diese Sätze könnten Dissertationen verfasst und auf ihnen erfolgreiche Karrieren gebaut werden. Wie wenig einige stehlen müssen, um groß herauszukommen, sei ein wahres Wunder. Manchmal reicht's sogar, die abgelegte Nabelschnur aufzuheben, brav zu konservieren und sich ab dann der innigen Bekanntschaft mit XY aus frühesten Tagen zu rühmen, um selbst anerkannt zu werden. Nein, Freund, Sie lächeln, aber ich spreche, ausnahmsweise, nicht von mir. Obwohl mich die Angst tagtäglich umtreibt, Ihren Gedanken nicht gerecht zu werden - ich bin mir der Hybris der ganzen Der Nutzen meiner Feinde-Unternehmung wohl bewusst, eine Selbstwahrnehmung, die weniger angenehm ist als die Selbstüberschätzung, deren Ignoranz zeitweise glücklich zu machen scheint, an dessen Nicht-Wahrhaben-Wollen sich, ist man naiv oder ein Trottel, sattsam und zufrieden laben lässt, andererseits, um erneut aus Russels Zehn Geboten zu zitieren, sollen wir denen nicht das Glück neiden, die in einem Narrenparadies lebten, denn nur ein Narr könnte das für ein Glück halten -, obwohl mich also die Angst umtreibt, Ihren Gedanken nicht gerecht zu werden, ergreifen mich tagein, tagaus der Zwang und die Lust, das Orakel zu studieren.
Letztens, bei einer Lesung zu einem Buch über den hoch interessanten Prozess, der um Kafkas und Brods Jerusalemer Nachlass stattgefunden hat, einer Lesung vor Buchhändlerinnen und Buchhändlern im Hause eines gastfreundlichen Verlegers, lag Ihr Text, als einziges Buch, im Gäste-Waschraum als Zwischendurchlektüre bereit. Die kleine, bibliophile Insel-Ausgabe, die Ihnen gefallen hätte. Und ich habe, obwohl's sich, selbstverständlich, um einen absurden Zufall gehandelt hat, ich habe diesen unerwarteten Fund im stillen Kämmerchen doch als eine Art von Wink mit dem schöngeistigen Zaunpfahl empfunden, dass mein Unterfangen, dem ich mich ein ganzes Jahr treu widmen möchte, sinnvoll sei. An sich ist das Orakel, trotz seiner Kraft, eher aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden. Mir scheint, es gibt Zeitwellen, die Ihren Text entweder an die Oberfläche befördern oder wieder herabdrücken. Jetzt, in diesen Monaten, in denen Rat und Weisheit händeringend gesucht werden, in denen die Unvernunft reihenweise impertinente Siege feiert, primitiver Nationalismus und narzistischer Populismus nicht nur hohnlachend an die Tür rumpeln, sondern mit der Frechheit des ahistorischen Vergessens dreiste Machtansprüche auf den Straßen und Plätzen und in den Parlamenten anmelden, in diesen schweren Monaten kommen Sie der Gegenwart wieder sehr zu pass.
Sie hatten, Freund, wahrlich einige gute Schreibstunden, als Ihnen dieser Vorsichtskatalog gelang, in dem's zwar springt und knarrt, Richtungswechsel vorgenommen werden, dass man, bleibt man nah bei Ihnen, manch Schleudertrauma ob der Kursänderung erfährt, aber doch immer etwas Nachdenken als Proviant gerreicht bekommt. Ein, Pardon, Pater, höllisch guter Text.
Sind wir zufrieden, herrsche Stille oder werde im Glücksrausch getanzt und gefeiert. Nicht sogleich zu genießen, was gefällt, ist eine Dummheit, welche die Fortüne uns übelnimmt. Der Moment kommt grundsätzlich nur als Bedauern über das Verpasste zurück.
Noch ein abschließendes Wort zur Korinthenkackerei. Fehler lassen sich einfach finden, das Entdecken der Vollkommenheit fällt zumeist viel schwerer.
14. März
65.
Erhabener Geschmack. Er ist der Bildung fähig, wie der Verstand. Je mehr Einsicht, desto größere Anforderungen, und, werden sie erfüllt, desto mehr Genuß. Einen hohen Geist erkennt man an der Erhabenheit seiner Neigung: ein großer Gegenstand muß es seyn, der eine große Fähigkeit befriedigt. Wie große Bissen für einen großen Mund, sind erhabene Dinge für erhabene Geister. Die trefflichsten Gegenstände scheuen ihr Urtheil und die sichersten Vollkommenheiten verläßt das Zutrauen. Der Dinge erster Trefflichkeit sind wenige; daher sei die unbedingte Hochschätzung selten. Durch fortgesetzten Umgang theilt sich der Geschmack allmälig mit, weshalb es ein besonderes Glück ist, mit Leuten von richtigem Geschmack umzugehen. Andrerseits soll man nicht ein Gewerbe daraus machen, mit Allem unzufrieden zu seyn, welches ein höchst albernes Extrem ist, und noch abscheulicher, wann es aus Affektation, als wann es aus Verstimmung entspringt. Einige möchten, daß Gott eine andre Welt, mit ganz andern Vollkommenheiten schüfe, um ihrer ausschweifenden Phantasie eine Genüge zu thun.
Ihre gedanklichen Hüpfburgen, Freund, lassen mich zugleich lächeln und knurren. Sie bescheren mir Achterbahnfahrten, auf die ich's nicht abgesehen habe, und manchmal überkommt mich das unheimliche Gefühl, ich hätte Ihnen wesentlich früher oder wesentlich später in meinem Leben antworten sollen. Wäre ich jünger, ich würde mich, das ist der glühende Kern der Jugend - nicht dass ich keine Leidenschaft mehr hätte, aber ich versuche mich heutzutage, auch in der Verneinung, ins Abgelehnte zu versetzen, quasi als eigener Advocatus Diaboli, um, beim Richten, ein furchtbares Wort, um beim Abwägen, schon angenehmer, meinen Vorurteilen auf den Grund zu gehen und, falls möglich, den Befangenheitskaries halbwegs herauszubohren -, wäre ich also jünger, ich würde mich mit Ihnen aufs unangenehmste fetzen, und zwar so sehr, dass ich schließlich als ungestümer Idiot und überheblicher Knallfrosch in der Meinungsgosse landete. Wäre ich jedoch wesentlich älter, sagen wir in meinen Siebzigern - nicht dass ich irgendwelche Lust verspürte, die beiden schönen Jahrzehnte an Lebens- und hoffentlich Schaffenskraft einfach so hinzugeben, aber an das Kommende zu denken, an den Abstieg vom Gipfel, zeichnet den zurechnungsfähigen Bergsteiger aus -, wäre ich jedoch wesentlich älter, ich wunderte mich, ob Sie und ich vielleicht weitere Schnittmengen besäßen, ob das Knurren leiser wäre, ob ich mich einfach in Ihre Hüpfburg legte und beobachtete, wie hervorragend die Federn zum Abspringen funktionierten, wie weich man fallen könnte. So ist's halt nicht.
Stets nimmt man das jeweilige Ich auf die jeweilige Expedition mit. Dass Reisende in der Fremde permanent vom Daheim erzählen, entspringt der typischen Angst vorm Augenaufmachen und hofiert tief in uns dem Bewusstsein des Un-Wissens. Andererseits, eine Frage der Taxonomie, kann es von unschätzbarem Vorteil sein, das Neue mit dem Alten zu vergleichen. Voraussetzung dafür sei allerdings die Bereitschaft, die geteerte Einbahnstraße an der Schranke zu verlassen und einigermaßen offen für die Terra incognita zu sein.
Wer glaubt, schon alles gesehen zu haben, sieht nichts, noch weniger weitet sich die Erkenntnis.
Der erhabene Geschmack sei der Fortbildung fähig, Freund, schreiben Sie, und das glaube ich auch. Die Idee des Genusses, sie treibt mich dabei, dessen ungeachtet, nicht unbedingt um. Es ist seltsam, wie häufig man sich an die Angelegenheiten erinnert, die eben nicht ganz geklappt haben, möglicherweise gar richtig danebengegangen sind, während wir den immerwährenden Genuss, falls wir ihn per se in Anspruch nehmen, um nicht gleich zu formulieren: glauben, einen angeborenen Anspruch auf die genussreichen Dinge zu haben, wärend wir den gelungenen Dauergenuss schlicht und einfach vergessen. Reibt sich der Geist, schlagen die Gedanken eher Funken, und unser Elan an der Sache lodert.
Vorm Sinnbild des großen Bissens im großen Mund schrecke ich angeekelt zurück. Das kapitalistische Mehr der Ubiquisten, die alles plündern, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist, in jedes Biotop eindringen, alles abgrasen, sich und ihrem Riesenbissen die nächsten sind, findet sich als Mentalität in meinen Tagen zuhauf. Wir sind bald acht Milliarden Menschen auf der Erde, und wir kennen, weiterhin, kein Erbarmen mit unserem Planeten. Der große Bissen? Er steht uns nicht zu. Wir werden uns, sollten wir nicht schleunigst die Portionen verkleinern und endlich abgeben, endlich die Flora und Fauna existieren lassen und endlich einen radikalen Weg aus unserem Arteneigennutz finden, wir werden uns an diesem gigantischen Bissen derart verschlucken, dass wir als Menschheit untergehen.
Die Seins-Ampel steht bereits auf Tiefrot. Aber wir leiden als Gattung an Protanopie. Wir erkennen die Alarmsignale nicht mehr. Wir sehen einfach nicht, dass alles um uns herum rot blinkt. Wir sind blindwütige Portanopisten, die darauf verzichten, auf die Wissenschaft zu hören. Wir gehen nicht zum Arzt, weil wir im Unterbewusstsein Angst vor der Diagnose haben. Dass wir dadurch alle demnächst elendig abkratzen, hält uns weder von der Fortpflanzung noch vom Dauerkonsum ab.
In der Kleinheit sei der Mensch, ganz generell, am größten.
Genug. Ich möchte mich nicht der Doomsterei schuldig machen, die Sie zu Recht angeprangert haben. Wer alles mutlos schlechtmacht, schließt sich den Mutigen viel zu selten an. Jede Zeit kennt ihre berechtigten Revolutionsgründe. Der wichtigste Ansporn zum Aufstand ist jetzt gerade die Holozäne Auslöschung. Das Sechste Massensterben an Tieren und Pflanzen in der Geschichte unseres Planeten. Ausgelöst durch uns, die Menschen. Weswegen es eigentlich die Anthropozäne Auslöschung genannt werden müsste.
Ändern wir uns nicht, verenden wir.
15. März
Erhabener Geschmack. Er ist der Bildung fähig, wie der Verstand. Je mehr Einsicht, desto größere Anforderungen, und, werden sie erfüllt, desto mehr Genuß. Einen hohen Geist erkennt man an der Erhabenheit seiner Neigung: ein großer Gegenstand muß es seyn, der eine große Fähigkeit befriedigt. Wie große Bissen für einen großen Mund, sind erhabene Dinge für erhabene Geister. Die trefflichsten Gegenstände scheuen ihr Urtheil und die sichersten Vollkommenheiten verläßt das Zutrauen. Der Dinge erster Trefflichkeit sind wenige; daher sei die unbedingte Hochschätzung selten. Durch fortgesetzten Umgang theilt sich der Geschmack allmälig mit, weshalb es ein besonderes Glück ist, mit Leuten von richtigem Geschmack umzugehen. Andrerseits soll man nicht ein Gewerbe daraus machen, mit Allem unzufrieden zu seyn, welches ein höchst albernes Extrem ist, und noch abscheulicher, wann es aus Affektation, als wann es aus Verstimmung entspringt. Einige möchten, daß Gott eine andre Welt, mit ganz andern Vollkommenheiten schüfe, um ihrer ausschweifenden Phantasie eine Genüge zu thun.
Ihre gedanklichen Hüpfburgen, Freund, lassen mich zugleich lächeln und knurren. Sie bescheren mir Achterbahnfahrten, auf die ich's nicht abgesehen habe, und manchmal überkommt mich das unheimliche Gefühl, ich hätte Ihnen wesentlich früher oder wesentlich später in meinem Leben antworten sollen. Wäre ich jünger, ich würde mich, das ist der glühende Kern der Jugend - nicht dass ich keine Leidenschaft mehr hätte, aber ich versuche mich heutzutage, auch in der Verneinung, ins Abgelehnte zu versetzen, quasi als eigener Advocatus Diaboli, um, beim Richten, ein furchtbares Wort, um beim Abwägen, schon angenehmer, meinen Vorurteilen auf den Grund zu gehen und, falls möglich, den Befangenheitskaries halbwegs herauszubohren -, wäre ich also jünger, ich würde mich mit Ihnen aufs unangenehmste fetzen, und zwar so sehr, dass ich schließlich als ungestümer Idiot und überheblicher Knallfrosch in der Meinungsgosse landete. Wäre ich jedoch wesentlich älter, sagen wir in meinen Siebzigern - nicht dass ich irgendwelche Lust verspürte, die beiden schönen Jahrzehnte an Lebens- und hoffentlich Schaffenskraft einfach so hinzugeben, aber an das Kommende zu denken, an den Abstieg vom Gipfel, zeichnet den zurechnungsfähigen Bergsteiger aus -, wäre ich jedoch wesentlich älter, ich wunderte mich, ob Sie und ich vielleicht weitere Schnittmengen besäßen, ob das Knurren leiser wäre, ob ich mich einfach in Ihre Hüpfburg legte und beobachtete, wie hervorragend die Federn zum Abspringen funktionierten, wie weich man fallen könnte. So ist's halt nicht.
Stets nimmt man das jeweilige Ich auf die jeweilige Expedition mit. Dass Reisende in der Fremde permanent vom Daheim erzählen, entspringt der typischen Angst vorm Augenaufmachen und hofiert tief in uns dem Bewusstsein des Un-Wissens. Andererseits, eine Frage der Taxonomie, kann es von unschätzbarem Vorteil sein, das Neue mit dem Alten zu vergleichen. Voraussetzung dafür sei allerdings die Bereitschaft, die geteerte Einbahnstraße an der Schranke zu verlassen und einigermaßen offen für die Terra incognita zu sein.
Wer glaubt, schon alles gesehen zu haben, sieht nichts, noch weniger weitet sich die Erkenntnis.
Der erhabene Geschmack sei der Fortbildung fähig, Freund, schreiben Sie, und das glaube ich auch. Die Idee des Genusses, sie treibt mich dabei, dessen ungeachtet, nicht unbedingt um. Es ist seltsam, wie häufig man sich an die Angelegenheiten erinnert, die eben nicht ganz geklappt haben, möglicherweise gar richtig danebengegangen sind, während wir den immerwährenden Genuss, falls wir ihn per se in Anspruch nehmen, um nicht gleich zu formulieren: glauben, einen angeborenen Anspruch auf die genussreichen Dinge zu haben, wärend wir den gelungenen Dauergenuss schlicht und einfach vergessen. Reibt sich der Geist, schlagen die Gedanken eher Funken, und unser Elan an der Sache lodert.
Vorm Sinnbild des großen Bissens im großen Mund schrecke ich angeekelt zurück. Das kapitalistische Mehr der Ubiquisten, die alles plündern, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist, in jedes Biotop eindringen, alles abgrasen, sich und ihrem Riesenbissen die nächsten sind, findet sich als Mentalität in meinen Tagen zuhauf. Wir sind bald acht Milliarden Menschen auf der Erde, und wir kennen, weiterhin, kein Erbarmen mit unserem Planeten. Der große Bissen? Er steht uns nicht zu. Wir werden uns, sollten wir nicht schleunigst die Portionen verkleinern und endlich abgeben, endlich die Flora und Fauna existieren lassen und endlich einen radikalen Weg aus unserem Arteneigennutz finden, wir werden uns an diesem gigantischen Bissen derart verschlucken, dass wir als Menschheit untergehen.
Die Seins-Ampel steht bereits auf Tiefrot. Aber wir leiden als Gattung an Protanopie. Wir erkennen die Alarmsignale nicht mehr. Wir sehen einfach nicht, dass alles um uns herum rot blinkt. Wir sind blindwütige Portanopisten, die darauf verzichten, auf die Wissenschaft zu hören. Wir gehen nicht zum Arzt, weil wir im Unterbewusstsein Angst vor der Diagnose haben. Dass wir dadurch alle demnächst elendig abkratzen, hält uns weder von der Fortpflanzung noch vom Dauerkonsum ab.
In der Kleinheit sei der Mensch, ganz generell, am größten.
Genug. Ich möchte mich nicht der Doomsterei schuldig machen, die Sie zu Recht angeprangert haben. Wer alles mutlos schlechtmacht, schließt sich den Mutigen viel zu selten an. Jede Zeit kennt ihre berechtigten Revolutionsgründe. Der wichtigste Ansporn zum Aufstand ist jetzt gerade die Holozäne Auslöschung. Das Sechste Massensterben an Tieren und Pflanzen in der Geschichte unseres Planeten. Ausgelöst durch uns, die Menschen. Weswegen es eigentlich die Anthropozäne Auslöschung genannt werden müsste.
Ändern wir uns nicht, verenden wir.
15. März
66.
Den glücklichen Ausgang im Auge behalten. Manche setzen sich mehr die strenge Richtigkeit der Maaßregeln zum Ziel, als das glückliche Erreichen des Zwecks: allein stets wird, in der öffentlichen Meinung, die Schmach des Mißlingens die Anerkennung ihrer sorgfältigen Mühe überwiegen. Wer gesiegt hat, braucht keine Rechenschaft abzulegen. Die genaue Beschaffenheit der Umstände können die Meisten nicht sehn, sondern bloß den guten oder schlechten Erfolg: daher wird man nie in der Meinung verlieren, wenn man seinen Zweck erreicht. Ein gutes Ende übergoldet Alles, wie sehr auch immer das Unpassende der Mittel dagegen sprechen mag. Denn zu Zeiten besteht die Kunst darin, daß man gegen die Regeln der Kunst verfährt, wann ein glücklicher Ausgang anders nicht zu erreichen steht.
Das Denn-zu-Zeiten, Freund, dessen Sie sich am Ende bemüßigen, ist der Kern dieser Einsicht - und wiederum auch nicht. Seien wir ehrlich: der Zweck heiligt quer durch die Menschheitsgeschichte die Mittel, und dass meine Zeit davon frei wäre, kann ich wahrlich nicht behaupten. Um auf der Gewinnerseite zu stehen, wird in allen Ländern und in allen Systemen gelogen und betrogen, ausgeleiert und verschleiert, gehortet und gemordet. Wohlgemerkt: im privaten wie im öffentlichen Leben lassen sich erfolgreiche Individuen, auftrumpfende Kooperationen und vor Geld stinkende Thinktanks, die arm an Moral, aber reich an Gewissenlosigkeit sind, als Ehrenmenschen oder honorige Unternehmen feiern. Und doch, nun kommt mein eigenes Denn-zu-Zeiten, die Rechtmäßigkeit hat im Hier und Jetzt mächtige Fürsprecher; noch, wie ich, ob der populistischen Tendenzen, anmerken muss. Sowohl das Volk als auch seine demokratischen Organe, die Legislative, Judikative und Exekutive, setzen weiterhin auf Vertrauen und Kontrolle. Wir haben uns, in meinem Land und in der Europäischen Union, Verfassungen gegeben, die stärker sind als der kriminelle Durchsetzungswille der Einzelnen, die an ihrem eigenen macht- und geldgierigen Fortkommen, nicht an der positiven Entwicklung der Allgemeinheit Interesse haben. Wie wir mit den multinationalen Playern der verschiedenen Industriezweige umgehen, ist eine andere Frage, die für reichlich Wut und Verunsicherung, aber eben auch kreativen Widerstand sorgt. Wir, Freund, sind am Kalibrieren, bislang ist nicht alles verloren, indessen auch wenig gewonnen. Die neoliberale Spielart des digitalen und anlogen Kapitalismus geht uns erbarmungslos an die Gurgel, allein: wir atmen noch, besorgen uns, gegen die IT-Konspiratoren, Respiratoren und üben sowohl Gedankenfreiheit als auch Tatkraft.
Außerdem, hier zeigt sich, meines Erachtens, in was für einem Staat man lebt: auch die Guten, die das Gute wollen, sich aber schlechter Mittel bedienen, werden im Endeffekt zur Rechenschaft gezogen. Ob das Urteil dann milder ausfällt, sei eine Frage des Rechts und der unabhängigen Gerichte. Zunächst jedoch geht's nicht an, sich über das rechtmäßige Gesetz zu stellen. Was das schwerwiegende Problem des unrechtmäßigen Gesetzes aufwirft, dazu werden wir, eventuell, erneut in einer anderen Korrespondenz kommen.
Für heute sei nur mehr angefügt: Ein ungerechtes Ziel wird weder durch gute Mittel noch einen rauschenden Erfolg legitimiert. Krieg sei niemals erbaulich. Selbst wenn wir uns verteidigen, sollten wir auf unsere Maßnahmen und unser Moral achten. Die Nachwehen des Bösen bleiben als Sturm in unserem Herzen, der uns, sind wir ehrliche Naturen, niemals wieder ruhig schlafen lässt. Moral verliert man nur einmal - und zwar für immer. Die Sittlichkeit zurückzugewinnen, sei eine Kunst, die nur wenige glücklich beherrschen.
16. März
Den glücklichen Ausgang im Auge behalten. Manche setzen sich mehr die strenge Richtigkeit der Maaßregeln zum Ziel, als das glückliche Erreichen des Zwecks: allein stets wird, in der öffentlichen Meinung, die Schmach des Mißlingens die Anerkennung ihrer sorgfältigen Mühe überwiegen. Wer gesiegt hat, braucht keine Rechenschaft abzulegen. Die genaue Beschaffenheit der Umstände können die Meisten nicht sehn, sondern bloß den guten oder schlechten Erfolg: daher wird man nie in der Meinung verlieren, wenn man seinen Zweck erreicht. Ein gutes Ende übergoldet Alles, wie sehr auch immer das Unpassende der Mittel dagegen sprechen mag. Denn zu Zeiten besteht die Kunst darin, daß man gegen die Regeln der Kunst verfährt, wann ein glücklicher Ausgang anders nicht zu erreichen steht.
Das Denn-zu-Zeiten, Freund, dessen Sie sich am Ende bemüßigen, ist der Kern dieser Einsicht - und wiederum auch nicht. Seien wir ehrlich: der Zweck heiligt quer durch die Menschheitsgeschichte die Mittel, und dass meine Zeit davon frei wäre, kann ich wahrlich nicht behaupten. Um auf der Gewinnerseite zu stehen, wird in allen Ländern und in allen Systemen gelogen und betrogen, ausgeleiert und verschleiert, gehortet und gemordet. Wohlgemerkt: im privaten wie im öffentlichen Leben lassen sich erfolgreiche Individuen, auftrumpfende Kooperationen und vor Geld stinkende Thinktanks, die arm an Moral, aber reich an Gewissenlosigkeit sind, als Ehrenmenschen oder honorige Unternehmen feiern. Und doch, nun kommt mein eigenes Denn-zu-Zeiten, die Rechtmäßigkeit hat im Hier und Jetzt mächtige Fürsprecher; noch, wie ich, ob der populistischen Tendenzen, anmerken muss. Sowohl das Volk als auch seine demokratischen Organe, die Legislative, Judikative und Exekutive, setzen weiterhin auf Vertrauen und Kontrolle. Wir haben uns, in meinem Land und in der Europäischen Union, Verfassungen gegeben, die stärker sind als der kriminelle Durchsetzungswille der Einzelnen, die an ihrem eigenen macht- und geldgierigen Fortkommen, nicht an der positiven Entwicklung der Allgemeinheit Interesse haben. Wie wir mit den multinationalen Playern der verschiedenen Industriezweige umgehen, ist eine andere Frage, die für reichlich Wut und Verunsicherung, aber eben auch kreativen Widerstand sorgt. Wir, Freund, sind am Kalibrieren, bislang ist nicht alles verloren, indessen auch wenig gewonnen. Die neoliberale Spielart des digitalen und anlogen Kapitalismus geht uns erbarmungslos an die Gurgel, allein: wir atmen noch, besorgen uns, gegen die IT-Konspiratoren, Respiratoren und üben sowohl Gedankenfreiheit als auch Tatkraft.
Außerdem, hier zeigt sich, meines Erachtens, in was für einem Staat man lebt: auch die Guten, die das Gute wollen, sich aber schlechter Mittel bedienen, werden im Endeffekt zur Rechenschaft gezogen. Ob das Urteil dann milder ausfällt, sei eine Frage des Rechts und der unabhängigen Gerichte. Zunächst jedoch geht's nicht an, sich über das rechtmäßige Gesetz zu stellen. Was das schwerwiegende Problem des unrechtmäßigen Gesetzes aufwirft, dazu werden wir, eventuell, erneut in einer anderen Korrespondenz kommen.
Für heute sei nur mehr angefügt: Ein ungerechtes Ziel wird weder durch gute Mittel noch einen rauschenden Erfolg legitimiert. Krieg sei niemals erbaulich. Selbst wenn wir uns verteidigen, sollten wir auf unsere Maßnahmen und unser Moral achten. Die Nachwehen des Bösen bleiben als Sturm in unserem Herzen, der uns, sind wir ehrliche Naturen, niemals wieder ruhig schlafen lässt. Moral verliert man nur einmal - und zwar für immer. Die Sittlichkeit zurückzugewinnen, sei eine Kunst, die nur wenige glücklich beherrschen.
16. März
67.
Beifällige Aemter vorziehen. Die meisten Dinge hängen von fremder Gunst ab. Die Wertschätzung ist für die Talente, was der West für die Blumen: Athem und Leben. Es giebt Aemter und Beschäftigungen, die dem allgemeinen Beifallsrufe offen stehen, und andre, die zwar wichtiger sind, jedoch sich keines Ansehns erfreuen. Jene erlangen die allgemeine Gunst, weil sie vor den Augen Aller ausgeübt werden: diese, wenn sie gleich mehr vom Seltenen und Werthvollen an sich haben, bleiben in ihrer Zurückgezogenheit unbeachtet, zwar geehrt, aber ohne Beifall. Unter den Fürsten sind die siegreichen die berühmten: deshalb standen die Könige von Arragon in so hohen Ehren, als Krieger, Erobrer, große Männer. Der begabte Mann ziehe die gepriesenen Aemter vor, die Allen sichtbar sind und deren Einfluß sich auf Alle erstreckt: dann wird die allgemeine Stimme ihm unvergänglichen Ruhm verleihen.
Ein von mir geschätzter Schriftsteller, Freund, der Schweizer Robert Walser, war ein Meister der kleinen Form, im Leben wie beim Schreiben. Er war sich, gewissermaßen, selbst genug - und wirkte gerade dadurch. Sich selbst treu zu bleiben, ist wichtiger, als auf den Leistungsdruck der Gesellschaft zu hören und sich die Lebensfreude nehmen zu lassen. Wer kann, sollte das Sein genießen; wie das vonstatten geht, bleibt dabei uns selbst überlassen. Patentrezepte fürs Glück führen geradewegs in die Misere. Und überhaupt hab ich nicht zu selten das Gefühl, dass sich in langen Büchern weniger finden lässt als in einer Sammlung nachdenklicher Aphorismen.
Jede Form hat ihren genuinen Wert und findet ihren beifälligen Ort, wenn wir sie nur wirken lassen.
Ruhm gleicht dem Mittagslicht: er hat eine enge begrenzte Zeit. Wer auf längere Sicht gesehen werden möchte, muss sich weitere Quellen erschließen.
Nun, das sei noch erwähnt, in dieser rasanten Beschäftigungsfeldkunde reiten Sie, sehenden Auges, vor und für uns und für sich selbst Ihr eigenes Pferd zugrunde. Und mir scheint, als wüsste ich möglicherweise, warum Sie sich gedanklich derart vergaloppieren, da ich mich selbst in vergleichbare Widersprüche verstrickt und verwickelt habe, aus denen sich zu lösen, Freund, schwerfällt. Dass es Berufswege im Halbdunklen gibt, die, wie Sie sagen, wichtiger sind als jene glänzenden Scheinwerferkarrieren, stellen Sie zuächst selbst ganz richtig fest, um dann doch, in einem gewagten Manöver, die Ruhmesreißleine zu ziehen. Die Talentierten sollten, raten Sie mit Verve, raten Sie ohne Einschränkung, raten Sie gegen Ihre eigene Empfehlung, die Talentierten sollten auf jeden Fall die gepriesenen Ämter anstreben, ja sogar vorziehen, um nicht im Schatten zu verdorren.
Wenige wissen ad hoc, was mit dem Leben überhaupt anzufangen ist. Wenige ahnen, was recht und billig sein könnte. Und misslingt der Start, drohen Ungemach und Unglück, warten die ewige Langeweile und bereits abgeschlossene falsche Kredite auf uns, wagen wenige, sogleich auszuscheren und sich couragiert umzuorientieren. Die Dressurreiterei legt sowohl Ross als auch Reiterin und Reiter Scheuklappen an. Wir halten den Parcours, in den uns Vorbestimmung oder eigene Begrenztheit gelotst hat, häufig genug für unser Schicksal. Und damit meine ich, ganz bewusst, auch die Idee, ins Flutlicht zu drängen, um bloß angestrahlt und vielleicht beklatscht zu werden.
Falscher Applaus, sei er laut oder leise, sei er gegeben oder erhalten, verbiegt den Charakter. Pseudoziele entbehren der Sinnhaftigkeit; kommen wir an, empfängt uns nichts als gähnende Leere.
Der richtige Weg folgt der Wahrheit, ist er auch steinig und mühsam. Was uns in den Schoß fällt, ist selten sinnvoll und macht noch viel seltener glücklich.
Ihrem beifallhaschenden Halbsatz auf die Krone von Aragonien wohnt die falsche Sehnsucht nach Anerkennung bei. Allein: das Lob der Abgelehnten stimmt die einflussreichen Verneinerinnen und Verneiner nie und nimmer um. Im Gegenteil: sie sehen sich in ihrer Position bestärkt. Mächtige verstehen nur eine Sprache: die des mächtigen Widerstands.
16. Februar 2020, mit einem Sentiment vom 17. März 2019
Beifällige Aemter vorziehen. Die meisten Dinge hängen von fremder Gunst ab. Die Wertschätzung ist für die Talente, was der West für die Blumen: Athem und Leben. Es giebt Aemter und Beschäftigungen, die dem allgemeinen Beifallsrufe offen stehen, und andre, die zwar wichtiger sind, jedoch sich keines Ansehns erfreuen. Jene erlangen die allgemeine Gunst, weil sie vor den Augen Aller ausgeübt werden: diese, wenn sie gleich mehr vom Seltenen und Werthvollen an sich haben, bleiben in ihrer Zurückgezogenheit unbeachtet, zwar geehrt, aber ohne Beifall. Unter den Fürsten sind die siegreichen die berühmten: deshalb standen die Könige von Arragon in so hohen Ehren, als Krieger, Erobrer, große Männer. Der begabte Mann ziehe die gepriesenen Aemter vor, die Allen sichtbar sind und deren Einfluß sich auf Alle erstreckt: dann wird die allgemeine Stimme ihm unvergänglichen Ruhm verleihen.
Ein von mir geschätzter Schriftsteller, Freund, der Schweizer Robert Walser, war ein Meister der kleinen Form, im Leben wie beim Schreiben. Er war sich, gewissermaßen, selbst genug - und wirkte gerade dadurch. Sich selbst treu zu bleiben, ist wichtiger, als auf den Leistungsdruck der Gesellschaft zu hören und sich die Lebensfreude nehmen zu lassen. Wer kann, sollte das Sein genießen; wie das vonstatten geht, bleibt dabei uns selbst überlassen. Patentrezepte fürs Glück führen geradewegs in die Misere. Und überhaupt hab ich nicht zu selten das Gefühl, dass sich in langen Büchern weniger finden lässt als in einer Sammlung nachdenklicher Aphorismen.
Jede Form hat ihren genuinen Wert und findet ihren beifälligen Ort, wenn wir sie nur wirken lassen.
Ruhm gleicht dem Mittagslicht: er hat eine enge begrenzte Zeit. Wer auf längere Sicht gesehen werden möchte, muss sich weitere Quellen erschließen.
Nun, das sei noch erwähnt, in dieser rasanten Beschäftigungsfeldkunde reiten Sie, sehenden Auges, vor und für uns und für sich selbst Ihr eigenes Pferd zugrunde. Und mir scheint, als wüsste ich möglicherweise, warum Sie sich gedanklich derart vergaloppieren, da ich mich selbst in vergleichbare Widersprüche verstrickt und verwickelt habe, aus denen sich zu lösen, Freund, schwerfällt. Dass es Berufswege im Halbdunklen gibt, die, wie Sie sagen, wichtiger sind als jene glänzenden Scheinwerferkarrieren, stellen Sie zuächst selbst ganz richtig fest, um dann doch, in einem gewagten Manöver, die Ruhmesreißleine zu ziehen. Die Talentierten sollten, raten Sie mit Verve, raten Sie ohne Einschränkung, raten Sie gegen Ihre eigene Empfehlung, die Talentierten sollten auf jeden Fall die gepriesenen Ämter anstreben, ja sogar vorziehen, um nicht im Schatten zu verdorren.
Wenige wissen ad hoc, was mit dem Leben überhaupt anzufangen ist. Wenige ahnen, was recht und billig sein könnte. Und misslingt der Start, drohen Ungemach und Unglück, warten die ewige Langeweile und bereits abgeschlossene falsche Kredite auf uns, wagen wenige, sogleich auszuscheren und sich couragiert umzuorientieren. Die Dressurreiterei legt sowohl Ross als auch Reiterin und Reiter Scheuklappen an. Wir halten den Parcours, in den uns Vorbestimmung oder eigene Begrenztheit gelotst hat, häufig genug für unser Schicksal. Und damit meine ich, ganz bewusst, auch die Idee, ins Flutlicht zu drängen, um bloß angestrahlt und vielleicht beklatscht zu werden.
Falscher Applaus, sei er laut oder leise, sei er gegeben oder erhalten, verbiegt den Charakter. Pseudoziele entbehren der Sinnhaftigkeit; kommen wir an, empfängt uns nichts als gähnende Leere.
Der richtige Weg folgt der Wahrheit, ist er auch steinig und mühsam. Was uns in den Schoß fällt, ist selten sinnvoll und macht noch viel seltener glücklich.
Ihrem beifallhaschenden Halbsatz auf die Krone von Aragonien wohnt die falsche Sehnsucht nach Anerkennung bei. Allein: das Lob der Abgelehnten stimmt die einflussreichen Verneinerinnen und Verneiner nie und nimmer um. Im Gegenteil: sie sehen sich in ihrer Position bestärkt. Mächtige verstehen nur eine Sprache: die des mächtigen Widerstands.
16. Februar 2020, mit einem Sentiment vom 17. März 2019
68.
Es ist von höherm Werth, Verstand als Gedächtniß zu leihen: um so viel, als man bei diesem nur zu erinnern, bei jenem aufzufassen hat. Manche unterlassen Dinge, die grade an der Zeit wären, weil solche sich ihnen nicht darbieten: dann helfe eines Freundes Umsicht auf die Spur des Passenden. Eine der größten Geistesgaben ist die, daß Einem sich darbiete, was Noth thut: weil es daran fehlt, unterbleiben manche Dinge, die gelungen wären. Theile sein Licht mit, wer es hat, und bewerbe sich darum, wer dessen bedarf; jener mit Zurückhaltung, dieser mit Aufmerksamkeit. Man gebe nicht mehr, als ein Stichwort: diese Feinheit ist nöthig, wenn der Nutzen des Erweckenden irgend mit im Spiel ist: man zeige seine Bereitwilligkeit und gehe weiter, wenn mehr verlangt wird: hat man nun das Nein; so suche man das Ja zu finden, mit Geschick: denn das Meiste wird nicht erlangt, weil es nicht unternommen wird.
Großartig, Freund. Allein, um etwas Wasser in den Wein zu gießen: was taugt die diplomatischste Um- ohne die geringste Einsicht? Wie lange muss man sich der Sache wegen bemühen, wenn man die Person bereits abgeschrieben hat?
Selbst der schärfste Verstand irrt, und der stumpfeste kennt einen markanten Moment, den wenige für möglich gehalten hätten. Wer denkt, immer Recht zu haben, hat, am Ende, im Bewusstsein der Geschichte, de facto niemals Recht. Philosophen, die unverdrossen auftrumpfen, sich ihrer Weltsicht absolut sicher sind, ernten schließlich Verdrossenheit, verlieren früher oder später das Spiel und werden - um nicht zu sagen: verwesen -, nolens volens, zur obskuren Randnotiz.
18. März
Es ist von höherm Werth, Verstand als Gedächtniß zu leihen: um so viel, als man bei diesem nur zu erinnern, bei jenem aufzufassen hat. Manche unterlassen Dinge, die grade an der Zeit wären, weil solche sich ihnen nicht darbieten: dann helfe eines Freundes Umsicht auf die Spur des Passenden. Eine der größten Geistesgaben ist die, daß Einem sich darbiete, was Noth thut: weil es daran fehlt, unterbleiben manche Dinge, die gelungen wären. Theile sein Licht mit, wer es hat, und bewerbe sich darum, wer dessen bedarf; jener mit Zurückhaltung, dieser mit Aufmerksamkeit. Man gebe nicht mehr, als ein Stichwort: diese Feinheit ist nöthig, wenn der Nutzen des Erweckenden irgend mit im Spiel ist: man zeige seine Bereitwilligkeit und gehe weiter, wenn mehr verlangt wird: hat man nun das Nein; so suche man das Ja zu finden, mit Geschick: denn das Meiste wird nicht erlangt, weil es nicht unternommen wird.
Großartig, Freund. Allein, um etwas Wasser in den Wein zu gießen: was taugt die diplomatischste Um- ohne die geringste Einsicht? Wie lange muss man sich der Sache wegen bemühen, wenn man die Person bereits abgeschrieben hat?
Selbst der schärfste Verstand irrt, und der stumpfeste kennt einen markanten Moment, den wenige für möglich gehalten hätten. Wer denkt, immer Recht zu haben, hat, am Ende, im Bewusstsein der Geschichte, de facto niemals Recht. Philosophen, die unverdrossen auftrumpfen, sich ihrer Weltsicht absolut sicher sind, ernten schließlich Verdrossenheit, verlieren früher oder später das Spiel und werden - um nicht zu sagen: verwesen -, nolens volens, zur obskuren Randnotiz.
18. März
69.
Sich nicht gemeiner Launenhaftigkeit hingeben. Der ist ein großer Mann, welcher nie von fremdartigen Eindrücken bestimmt wird. Beobachtung seiner selbst ist eine Schule der Weisheit. Man kenne seine gegenwärtige Stimmung und baue ihr vor: ja, man werfe sich aufs entgegengesetzte Extrem, um zwischen dem Natürlichen und Künstlichen den Punkt zu treffen, wo auf der Waage der Vernunft die Zunge einsteht. Der Anfang der Selbstbesserung ist die Selbsterkenntniß. Es giebt Ungeheuer von Verstimmtheit: immer sind sie bei irgend einer Laune, und mit dieser wechseln sie die Neigungen: so immerwährend von einer niederträchtigen Verstimmung am Seile geschleppt, lassen sie sich auf grade entgegengesetzten Seiten ein. Und nicht bloß den Willen verdirbt dieser ausschweifende Hang; auch an den Verstand wagt er sich: Wollen und Erkennen wird durch ihn verschroben.
Die Hermeneutik, Freund, beleuchtet, wie das Außen auf das Innen wirkt und, an und für sich, auch, wie das Innen das Außen beeinflusst. Zu glauben, wir wären nur wir, ich wäre nur ich, du wärst nur du, ist, spätestens seit Freud, ein Privileg der Religiösen.
Erst gestern, am späten Abend, habe ich mich vor mir selbst geschämt. Die Unflätigkeiten, die ich über die Brexit-Politikergeneration, sowohl Torries als auch Labour, geäußert habe, damit das klar ist: leider vor anderen geäußert habe, vor anderen, die nicht zu meinem engsten Kreis gehören, die Unflätigkeiten treiben mir noch jetzt die Schamesröte ins Gesicht. Andererseits, scheint mir, sind vom Verstand (un)bestimmte Gefühlsausbrüche bisweilen notwendig, um die Luft zu reinigen, um der Umwelt zu zeigen, dass uns nicht alles und jeder egal ist, dass es Werte gibt, für die wir uns einsetzen - leidenschaftlich und manchmal, zugegeben, wutentbrannt. Wer alles gleichmäßig temperiert haben will, vergeudet entweder Energie oder spart sich zu Tode.
Außerdem benötige ich, dringend benötige ich sie, die Korrektur von außen. Halte ich mich für das Maß aller Dinge, mache ich mich der eitlen Maßlosigkeit schuldig. Die Klugen wissen, dass sie irren. Und diese Einsicht, die Erkenntnis des Lernens aus Fehlern, sei die einzige Garantie für Fortschritt. Immerwährende Stagnation und zählebige Beweihräucherung, selbst die auf hohem Niveau, zerstören unsere Zivilisation.
Die Kraft der Zunichtemachung, die im Menschen wohnt, lässt sich, so paradox es auch klingen mag, allein durch die Widerlegung des Herkömmlichen, durch die wissenschaftliche, künstlerische und politische Falsifikation, bekämpfen. Die Fehler des Heute sind, in einer mutigen und aufgeklärten Gesellschaft, der Fortschritt von morgen.
18. März
Sich nicht gemeiner Launenhaftigkeit hingeben. Der ist ein großer Mann, welcher nie von fremdartigen Eindrücken bestimmt wird. Beobachtung seiner selbst ist eine Schule der Weisheit. Man kenne seine gegenwärtige Stimmung und baue ihr vor: ja, man werfe sich aufs entgegengesetzte Extrem, um zwischen dem Natürlichen und Künstlichen den Punkt zu treffen, wo auf der Waage der Vernunft die Zunge einsteht. Der Anfang der Selbstbesserung ist die Selbsterkenntniß. Es giebt Ungeheuer von Verstimmtheit: immer sind sie bei irgend einer Laune, und mit dieser wechseln sie die Neigungen: so immerwährend von einer niederträchtigen Verstimmung am Seile geschleppt, lassen sie sich auf grade entgegengesetzten Seiten ein. Und nicht bloß den Willen verdirbt dieser ausschweifende Hang; auch an den Verstand wagt er sich: Wollen und Erkennen wird durch ihn verschroben.
Die Hermeneutik, Freund, beleuchtet, wie das Außen auf das Innen wirkt und, an und für sich, auch, wie das Innen das Außen beeinflusst. Zu glauben, wir wären nur wir, ich wäre nur ich, du wärst nur du, ist, spätestens seit Freud, ein Privileg der Religiösen.
Erst gestern, am späten Abend, habe ich mich vor mir selbst geschämt. Die Unflätigkeiten, die ich über die Brexit-Politikergeneration, sowohl Torries als auch Labour, geäußert habe, damit das klar ist: leider vor anderen geäußert habe, vor anderen, die nicht zu meinem engsten Kreis gehören, die Unflätigkeiten treiben mir noch jetzt die Schamesröte ins Gesicht. Andererseits, scheint mir, sind vom Verstand (un)bestimmte Gefühlsausbrüche bisweilen notwendig, um die Luft zu reinigen, um der Umwelt zu zeigen, dass uns nicht alles und jeder egal ist, dass es Werte gibt, für die wir uns einsetzen - leidenschaftlich und manchmal, zugegeben, wutentbrannt. Wer alles gleichmäßig temperiert haben will, vergeudet entweder Energie oder spart sich zu Tode.
Außerdem benötige ich, dringend benötige ich sie, die Korrektur von außen. Halte ich mich für das Maß aller Dinge, mache ich mich der eitlen Maßlosigkeit schuldig. Die Klugen wissen, dass sie irren. Und diese Einsicht, die Erkenntnis des Lernens aus Fehlern, sei die einzige Garantie für Fortschritt. Immerwährende Stagnation und zählebige Beweihräucherung, selbst die auf hohem Niveau, zerstören unsere Zivilisation.
Die Kraft der Zunichtemachung, die im Menschen wohnt, lässt sich, so paradox es auch klingen mag, allein durch die Widerlegung des Herkömmlichen, durch die wissenschaftliche, künstlerische und politische Falsifikation, bekämpfen. Die Fehler des Heute sind, in einer mutigen und aufgeklärten Gesellschaft, der Fortschritt von morgen.
18. März
70.
Abzuschlagen verstehn. Nicht Allen und nicht Alles darf man zugestehn. Jenes ist also ebenso wichtig, als daß man zu bewilligen wisse. Besonders ist den Mächtigen Aufmerksamkeit darauf dringend nöthig: hier kommt viel auf die Art an. Das Nein des Einen wird höher geschätzt als das Ja mancher Andern: denn ein vergoldetes Nein befriedigt mehr, als ein trockenes Ja. Viele giebt es, die immer das Nein im Munde haben, wodurch sie den Leuten Alles verleiden. Das Nein ist bei ihnen immer das Erste: und wenn sie auch nachher Alles bewilligen, so schätzt man es nicht, weil es durch jenes schon verleidet ist. Man soll nichts gleich rund abschlagen, vielmehr lasse man die Bittsteller Zug vor Zug von ihrer Selbsttäuschung zurückkommen. Auch soll man nie etwas ganz und gar verweigern: denn das hieße jenen die Abhängigkeit aufkündigen: man lasse immer noch ein wenig Hoffnung übrig, die Bitterkeit der Weigerung zu versüßen. Endlich fülle man durch Höflichkeit die Lücke aus, welche die Gunst hier läßt, und setze schöne Worte an die Stelle der Werke. Ja und Nein sind schnell gesagt, erfordern aber langes Nachdenken.
Man solle, schreibt Niccolò Machiavelli, Ihr, was diesen Abschnitt betrifft, älterer Bruder im Geiste, man solle den Menschen entweder schmeicheln, oder sie sich unterwerfen. Dies ist wohl, kurz gefasst, was Ihnen im Sinne stand, als Sie die Anleitung, Pardon, zum - falls es das gibt: benevolenten - Totalitarismus verfasst haben. Diese Unart ressourcenreicher Brutalität, diese auf den ersten Blick clevere Menschenverachtung finden sich immer und überall, und, um ganz ehrlich zu sein, Freund, sie widern mich an. Ich halte solche Machtinstrumente für antidemokratisch und kleingeistig. Was Sie also loben, die geschickte Verteilung der Neins und Jas durch einen omnipotenten Tyrannen, ist ekelhaft. Es gibt niemanden, der per se das Recht hat, nach Gut- und Schlechtdünken darüber zu entscheiden, wer das Kuchenstück oder wer die Krumen abbekommt. Und finden sich solche Attitüden in einer Demokratie, ist sie auf dem Weg zur Gewaltherrschaft.
Raubtiermentalität und Machtgier sind des Übels Kern, nicht des Glücks Unterpfand.
19. März
Abzuschlagen verstehn. Nicht Allen und nicht Alles darf man zugestehn. Jenes ist also ebenso wichtig, als daß man zu bewilligen wisse. Besonders ist den Mächtigen Aufmerksamkeit darauf dringend nöthig: hier kommt viel auf die Art an. Das Nein des Einen wird höher geschätzt als das Ja mancher Andern: denn ein vergoldetes Nein befriedigt mehr, als ein trockenes Ja. Viele giebt es, die immer das Nein im Munde haben, wodurch sie den Leuten Alles verleiden. Das Nein ist bei ihnen immer das Erste: und wenn sie auch nachher Alles bewilligen, so schätzt man es nicht, weil es durch jenes schon verleidet ist. Man soll nichts gleich rund abschlagen, vielmehr lasse man die Bittsteller Zug vor Zug von ihrer Selbsttäuschung zurückkommen. Auch soll man nie etwas ganz und gar verweigern: denn das hieße jenen die Abhängigkeit aufkündigen: man lasse immer noch ein wenig Hoffnung übrig, die Bitterkeit der Weigerung zu versüßen. Endlich fülle man durch Höflichkeit die Lücke aus, welche die Gunst hier läßt, und setze schöne Worte an die Stelle der Werke. Ja und Nein sind schnell gesagt, erfordern aber langes Nachdenken.
Man solle, schreibt Niccolò Machiavelli, Ihr, was diesen Abschnitt betrifft, älterer Bruder im Geiste, man solle den Menschen entweder schmeicheln, oder sie sich unterwerfen. Dies ist wohl, kurz gefasst, was Ihnen im Sinne stand, als Sie die Anleitung, Pardon, zum - falls es das gibt: benevolenten - Totalitarismus verfasst haben. Diese Unart ressourcenreicher Brutalität, diese auf den ersten Blick clevere Menschenverachtung finden sich immer und überall, und, um ganz ehrlich zu sein, Freund, sie widern mich an. Ich halte solche Machtinstrumente für antidemokratisch und kleingeistig. Was Sie also loben, die geschickte Verteilung der Neins und Jas durch einen omnipotenten Tyrannen, ist ekelhaft. Es gibt niemanden, der per se das Recht hat, nach Gut- und Schlechtdünken darüber zu entscheiden, wer das Kuchenstück oder wer die Krumen abbekommt. Und finden sich solche Attitüden in einer Demokratie, ist sie auf dem Weg zur Gewaltherrschaft.
Raubtiermentalität und Machtgier sind des Übels Kern, nicht des Glücks Unterpfand.
19. März
71.
Nicht ungleich seyn: nicht widersprechend in seinem Benehmen, weder von Natur noch aus Affektation. Ein verständiger Mann ist stets derselbe, in allen seinen Vollkommenheiten, und erhält sich dadurch den Ruf der Gescheutheit: Veränderungen können bei ihm nur aus äußern Ursachen oder fremden Verdiensten entstehn. In Sachen der Klugheit ist die Abwechselung eine Häßlichkeit. Es giebt Leute, die alle Tage Andre sind: sogar ihr Verstand ist ungleich, noch mehr ihr Wille und bis auf ihr Glück. Was gestern das Weiße ihres Ja war, ist heute das Schwarze ihres Nein. So arbeiten sie beständig ihrem eigenen Kredit und Ansehn entgegen und verwirren die Begriffe der Andern.
Nun, Freund, mischt sich, erneut, Ablehnung in meine spontane Zustimmung. Das Flache, auf dem Sie stehen, mitten im See, sagen wir: auf einer Sandbank, auf der Sie, aus welchen Gründen auch immer, gelandet sind, erlaubt Ihnen, zu atmen und sich auszuruhen. Allein die echte Tiefe ist es nicht. Die Tiefe, sie harrt Ihrer, von ihr sind Sie umgeben, und niemand, so lautet das Experiment, wird kommen, um Sie von Ihrer Sandbank zu pflücken und ans sichere Ufer zu bringen. Bewegen Sie sich nicht, werden Sie also, über kurz oder lang, sterben. Die Sicherheit, in der Sie sich wiegen, ist dementsprechend eine falsche. Die Tiefe, selbst wenn Sie sie verneinen, bleibt Ihr eigentliches Revier, die Sandbank nur die vorgegaukelte Untiefe. Die imaginierte Sicherheit, die Sandbank, sei die falsche Konstante.
Das authentische, für das Sein offene Sich kennt keinen ursprünglichen Zustand, der unverbrüchlich ist. Mensch zu sein, heißt, dem Wechsel ausgesetzt zu sein. Und wer darauf beharrt, stets ein- und derselbe zu sein, macht sich und anderen etwas vor. Wir müssen uns den Eremiten als verbohrten und verlorenen Eigenbrötler vorstellen. Nur wer schwimmt, versteht das Wasser. Vom Vergnügen der Bewegung, dem de facto An-Sich- und Von-Sich-Fortsein, demzufolge: der wahren Lebenskunst, ganz zu schweigen.
Beharrung und Steifheit entfremden, Änderungsbereitschaft und Bewegung verbinden.
20. März
Nicht ungleich seyn: nicht widersprechend in seinem Benehmen, weder von Natur noch aus Affektation. Ein verständiger Mann ist stets derselbe, in allen seinen Vollkommenheiten, und erhält sich dadurch den Ruf der Gescheutheit: Veränderungen können bei ihm nur aus äußern Ursachen oder fremden Verdiensten entstehn. In Sachen der Klugheit ist die Abwechselung eine Häßlichkeit. Es giebt Leute, die alle Tage Andre sind: sogar ihr Verstand ist ungleich, noch mehr ihr Wille und bis auf ihr Glück. Was gestern das Weiße ihres Ja war, ist heute das Schwarze ihres Nein. So arbeiten sie beständig ihrem eigenen Kredit und Ansehn entgegen und verwirren die Begriffe der Andern.
Nun, Freund, mischt sich, erneut, Ablehnung in meine spontane Zustimmung. Das Flache, auf dem Sie stehen, mitten im See, sagen wir: auf einer Sandbank, auf der Sie, aus welchen Gründen auch immer, gelandet sind, erlaubt Ihnen, zu atmen und sich auszuruhen. Allein die echte Tiefe ist es nicht. Die Tiefe, sie harrt Ihrer, von ihr sind Sie umgeben, und niemand, so lautet das Experiment, wird kommen, um Sie von Ihrer Sandbank zu pflücken und ans sichere Ufer zu bringen. Bewegen Sie sich nicht, werden Sie also, über kurz oder lang, sterben. Die Sicherheit, in der Sie sich wiegen, ist dementsprechend eine falsche. Die Tiefe, selbst wenn Sie sie verneinen, bleibt Ihr eigentliches Revier, die Sandbank nur die vorgegaukelte Untiefe. Die imaginierte Sicherheit, die Sandbank, sei die falsche Konstante.
Das authentische, für das Sein offene Sich kennt keinen ursprünglichen Zustand, der unverbrüchlich ist. Mensch zu sein, heißt, dem Wechsel ausgesetzt zu sein. Und wer darauf beharrt, stets ein- und derselbe zu sein, macht sich und anderen etwas vor. Wir müssen uns den Eremiten als verbohrten und verlorenen Eigenbrötler vorstellen. Nur wer schwimmt, versteht das Wasser. Vom Vergnügen der Bewegung, dem de facto An-Sich- und Von-Sich-Fortsein, demzufolge: der wahren Lebenskunst, ganz zu schweigen.
Beharrung und Steifheit entfremden, Änderungsbereitschaft und Bewegung verbinden.
20. März
72.
Ein Mann von Entschlossenheit. Nicht so verderblich ist die schlechte Ausführung, als die Unentschlossenheit. Flüssigkeiten verderben weniger solange sie fließen, als wann sie stocken. Es giebt zum Entschluß ganz unfähige Leute, die stets des fremden Antriebes bedürfen: und bisweilen entspringt dies nicht sowohl aus Verworrenheit der Urtheilskraft, die bei ihnen vielmehr sehr hell ist, als aus Mangel an Thatkraft. Schwierigkeiten auffinden, beweist Scharfsinn; jedoch noch größern das Auffinden der Auswege aus ihnen. – Andre hingegen giebt es, die nichts in Verlegenheit setzt: von umfassendem Verstande und entschlossenem Karakter, sind sie für die höchsten Stellen geboren: denn ihr aufgeweckter Kopf befördert den Geschäftsgang und erleichtert das Gelingen. Sie sind gleich mit Allem fertig: und haben sie Einer Welt Rede gestanden; so bleibt ihnen noch Zeit für eine zweite übrig. Haben sie nur erst vom Glück Handgeld erhalten, so greifen sie mit größrer Sicherheit in die Geschäfte.
Mit einem Wort, Freund: Sie reden den "Übermensch" herbei - ein Begriff, der, wie mir scheint, keinen Kasus braucht, über der Grammatik, der in Form gegossenen Wirklichkeit, steht. Kein Wunder, dass, neben dem wortgewaltigen Translator, der in diesem Abschnitt einiges an Schönheit aus seiner Mutter-, oh, nein!, natürlich: Vatersprache herauskitzelt, kein Wunder, dass sich auch der Übermenschschöpfer Nietzsche an solchen Passagen in Ihrem Überhandorakel erbaute, Ihnen misanthropischen Respekt zollte.
Nun, was, wahrscheinlich, nicht wieder vorkommen soll, nun wollen wir kurz in Also sprach Zarathustra hineinhören. Sie müssen wissen, dass jener Nietzsche viel erwähnt, aber am Ende wenig gelesen wird. Eine Geschmacksprobe demgemäß nicht schaden kann. Weder für jene, die ihren Nietzsche in frühen Jahren studierten, als sie noch adoleszenzfiebrig aus dem Geileraltersaft soffen, sich kaum bewusst waren, was ihnen da an eloquenter, interpretationswürdiger Brache als Absturzbach die Kehle herunterlief, mystische Brühe, die nicht nur im Magen, sondern, was ein unterschätzter Aufenthaltsort im Körper ist, sondern, recht zuverlässig, ich spreche dabei aus Erfahrung, in der Galle landete und sich dort ungemütlich ansiedelte, bei allerlei unpassenden Gelegenheiten mit Jauchekraft zurück in den Kopf stieg und steigt. Weder also nur für jene, die den Nietzsche als Halbwissen in sich rumoren haben, auch für Sie und diejenigen, die zwar den Begriff des "Übermensch" oft und gern im Munde führen, aber die eigentliche Passage niemals betrachtet haben, sei folgendes aus dem Zarathustra zitiert:
Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Und eben das soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham.
Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und vieles ist in euch noch Wurm. Einst wart ihr Affen, und auch jetzt noch ist der Mensch mehr Affe, als irgendein Affe.
Wer aber der Weiseste von euch ist, der ist auch nur ein Zwiespalt und Zwitter von Pflanze und von Gespenst. Aber heisse ich euch zu Gespenstern oder Pflanzen werden?
Seht, ich lehre euch den Übermenschen!
Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Übermensch sei der Sinn der Erde!
Es sei, quasi als Fußnote, noch zweierlei erwähnt. Erstens, im Text geht's danach gegen das Metaphysische, gegen das vermeintlich Göttliche, dem sich der Mensch fatalerweise anvertraut, dem er sich aber, laut Zarathustra, nicht anvertrauen sollte, da Gott eben tot sein. Und zweitens, da das naive Lesen uns nicht ansteht, sein außerdem angemerkt: hier spricht der Protagonist eines Textes, den sich ein Schriftsteller ausgedacht hat. Hier spricht, selbstverständlich, nicht der Autor. Und doch, sophistische Hermeneutik und frisch gebügelte Komparatistik hin oder her, ist die An- und Zueignung, die Nietzsche mit dem Zarathustra erreicht hat, eine gewaltige, eine fast maßstabsgetreue Approbation. Der Übermensch-Anzug wird ihm übergestülpt und er zieht ihn erstens an und hängt ihn zweitens niemals wieder zurück in den Schrank, auch wenn ihm das Gewand nicht immer gepasst hat. Die Menschenverachtung - denn was ist das Kleinreden des Anderen und Tier- und Pflanzenfabulieren ansonsten? - hat ihm gemundet. Der Übermensch sei, als Pars pro toto, das größte Problem der Machogattung Mensch. Wir stellen uns über alles, was ansonsten kreucht und fleucht, machen uns, wie von kurzsichtigen Kolonialisten befohlen, die Erde untertan, halten uns, allen Ernstes, für den Sinn der Erde, das ulitmative Ziel. Wir sind so blindwütig, so bitterböse, so wutschnaubend, dass wir alles kaputtwalzen, was uns in den Weg kommt.
Der Übermensch in uns - oder, um Ihren Begriff aufzunehmen: der Mann und die Frau von Entschlossenheit in uns - sei das Problem, nicht die Lösung. Nur mit der Erde, nicht gegen die oder über der Erde werden wir als Gattung überleben. Der Speziesismus bricht uns gerade, jetzt, am Anfang des neuen Jahrtausends, das Genick, und wir glauben, es handelte sich um einfache Nackenschmerzen. Die Querschnittslähmung ist absehbar und, ändern wir nicht radikal unser Verhalten, auch unser verdientes Schicksal.
21. März
Ein Mann von Entschlossenheit. Nicht so verderblich ist die schlechte Ausführung, als die Unentschlossenheit. Flüssigkeiten verderben weniger solange sie fließen, als wann sie stocken. Es giebt zum Entschluß ganz unfähige Leute, die stets des fremden Antriebes bedürfen: und bisweilen entspringt dies nicht sowohl aus Verworrenheit der Urtheilskraft, die bei ihnen vielmehr sehr hell ist, als aus Mangel an Thatkraft. Schwierigkeiten auffinden, beweist Scharfsinn; jedoch noch größern das Auffinden der Auswege aus ihnen. – Andre hingegen giebt es, die nichts in Verlegenheit setzt: von umfassendem Verstande und entschlossenem Karakter, sind sie für die höchsten Stellen geboren: denn ihr aufgeweckter Kopf befördert den Geschäftsgang und erleichtert das Gelingen. Sie sind gleich mit Allem fertig: und haben sie Einer Welt Rede gestanden; so bleibt ihnen noch Zeit für eine zweite übrig. Haben sie nur erst vom Glück Handgeld erhalten, so greifen sie mit größrer Sicherheit in die Geschäfte.
Mit einem Wort, Freund: Sie reden den "Übermensch" herbei - ein Begriff, der, wie mir scheint, keinen Kasus braucht, über der Grammatik, der in Form gegossenen Wirklichkeit, steht. Kein Wunder, dass, neben dem wortgewaltigen Translator, der in diesem Abschnitt einiges an Schönheit aus seiner Mutter-, oh, nein!, natürlich: Vatersprache herauskitzelt, kein Wunder, dass sich auch der Übermenschschöpfer Nietzsche an solchen Passagen in Ihrem Überhandorakel erbaute, Ihnen misanthropischen Respekt zollte.
Nun, was, wahrscheinlich, nicht wieder vorkommen soll, nun wollen wir kurz in Also sprach Zarathustra hineinhören. Sie müssen wissen, dass jener Nietzsche viel erwähnt, aber am Ende wenig gelesen wird. Eine Geschmacksprobe demgemäß nicht schaden kann. Weder für jene, die ihren Nietzsche in frühen Jahren studierten, als sie noch adoleszenzfiebrig aus dem Geileraltersaft soffen, sich kaum bewusst waren, was ihnen da an eloquenter, interpretationswürdiger Brache als Absturzbach die Kehle herunterlief, mystische Brühe, die nicht nur im Magen, sondern, was ein unterschätzter Aufenthaltsort im Körper ist, sondern, recht zuverlässig, ich spreche dabei aus Erfahrung, in der Galle landete und sich dort ungemütlich ansiedelte, bei allerlei unpassenden Gelegenheiten mit Jauchekraft zurück in den Kopf stieg und steigt. Weder also nur für jene, die den Nietzsche als Halbwissen in sich rumoren haben, auch für Sie und diejenigen, die zwar den Begriff des "Übermensch" oft und gern im Munde führen, aber die eigentliche Passage niemals betrachtet haben, sei folgendes aus dem Zarathustra zitiert:
Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Und eben das soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham.
Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und vieles ist in euch noch Wurm. Einst wart ihr Affen, und auch jetzt noch ist der Mensch mehr Affe, als irgendein Affe.
Wer aber der Weiseste von euch ist, der ist auch nur ein Zwiespalt und Zwitter von Pflanze und von Gespenst. Aber heisse ich euch zu Gespenstern oder Pflanzen werden?
Seht, ich lehre euch den Übermenschen!
Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Übermensch sei der Sinn der Erde!
Es sei, quasi als Fußnote, noch zweierlei erwähnt. Erstens, im Text geht's danach gegen das Metaphysische, gegen das vermeintlich Göttliche, dem sich der Mensch fatalerweise anvertraut, dem er sich aber, laut Zarathustra, nicht anvertrauen sollte, da Gott eben tot sein. Und zweitens, da das naive Lesen uns nicht ansteht, sein außerdem angemerkt: hier spricht der Protagonist eines Textes, den sich ein Schriftsteller ausgedacht hat. Hier spricht, selbstverständlich, nicht der Autor. Und doch, sophistische Hermeneutik und frisch gebügelte Komparatistik hin oder her, ist die An- und Zueignung, die Nietzsche mit dem Zarathustra erreicht hat, eine gewaltige, eine fast maßstabsgetreue Approbation. Der Übermensch-Anzug wird ihm übergestülpt und er zieht ihn erstens an und hängt ihn zweitens niemals wieder zurück in den Schrank, auch wenn ihm das Gewand nicht immer gepasst hat. Die Menschenverachtung - denn was ist das Kleinreden des Anderen und Tier- und Pflanzenfabulieren ansonsten? - hat ihm gemundet. Der Übermensch sei, als Pars pro toto, das größte Problem der Machogattung Mensch. Wir stellen uns über alles, was ansonsten kreucht und fleucht, machen uns, wie von kurzsichtigen Kolonialisten befohlen, die Erde untertan, halten uns, allen Ernstes, für den Sinn der Erde, das ulitmative Ziel. Wir sind so blindwütig, so bitterböse, so wutschnaubend, dass wir alles kaputtwalzen, was uns in den Weg kommt.
Der Übermensch in uns - oder, um Ihren Begriff aufzunehmen: der Mann und die Frau von Entschlossenheit in uns - sei das Problem, nicht die Lösung. Nur mit der Erde, nicht gegen die oder über der Erde werden wir als Gattung überleben. Der Speziesismus bricht uns gerade, jetzt, am Anfang des neuen Jahrtausends, das Genick, und wir glauben, es handelte sich um einfache Nackenschmerzen. Die Querschnittslähmung ist absehbar und, ändern wir nicht radikal unser Verhalten, auch unser verdientes Schicksal.
21. März
73.
Vom Versehn Gebrauch zu machen wissen. Dadurch helfen kluge Leute sich aus Verwickelungen. Mit dem leichten Anstande einer witzigen Wendung kommen sie oft aus dem verworrensten Labyrinth. Aus dem schwierigsten Streite entschlüpfen sie artig und mit Lächeln. Der größte aller Feldherren setzte darin seinen Werth. Wo man etwas abzuschlagen hat, ist es eine höfliche List, das Gespräch auf andere Dinge zu lenken: und keine größre Feinheit giebt es, als nicht zu verstehn.
Das Wort Versehnsucht, Freund, fällt mir bei der Lektüre dieses Paragraphen vor die Füße, und ich bücke mich, hebe es auf. Ich stecke Versehnsucht in ein Notizbuch, als handelte es sich um ein Ahornblatt, das man zwischen zwei Seiten trocknet, es für blattlose Wintertage konserviert. Gerne hätte ich die Fähigkeit, die Sie beschreiben: den toughen Streit abzuschütteln, Ungemach wie einen Staubballen fortzupusten. Allein: die Dinge liegen in meinen Zeiten anders, weil nun mal die Dinge anders liegen; was modest klingt, es aber nicht ist, da um den Kern, nicht die Peripherie der Demokratie gestritten wird.
In der argsten Finsternis ein heiteres Witzwort über den Sonnenschein zu finden, bringt keine Helligkeit, sondern nur den Ruf der Leichtfertigkeit, die dem Leichtsinn oftmals so nahe steht, dass man beide kaum auseinanderhalten kann. Die Unbedarften schert deswegen nichts, weil sie sich damit abgefunden haben, was sie besitzem. Sie haben sich eingerichtet, einen Kokon gebaut. Ihr Bedarf ist gedeckt. Sie wissen um die trockenen, gehorteten Holzscheite, die daheim neben dem Kamin auf sie warten. Die Bedürfnisse der Gesellschaft, die weiterhin öffentlich im Dunkeln tappt, verabschieden sich die Unbedarften mit einem Scherz, machen sie sich aus dem Staube, der bald so hoch liegt, dass ihn keiner mehr wegkehren kann, diese Bedürfnisse sind ihnen egal. Aber wegen dieser Unabdingbarkeiten wegen müssten die Bürgerinnen und Bürger an sich gerade das komplexe, das so anstrengende Verstehen üben, anstatt vom Versehn Gebrauch zu machen.
Abzuhauen, wird's schwierig, ist egoistisch, die Teilhabe am aufwendigen Lösungsprozess pluralistisch.
Und, noch das, Freund: das Unartigste sei den Tyrannen gegenüber das Artigste. Widerstand sei der Feigheit des Nicht-Verstehenwollens vorzuziehen. Denn am Ende macht der gelangweilte, psychopathische Tyrann, hoppla, das tut mir aber leid, auch die artigsten Hofschranzen einen entscheidenden Kopf kürzer.
22. März
Vom Versehn Gebrauch zu machen wissen. Dadurch helfen kluge Leute sich aus Verwickelungen. Mit dem leichten Anstande einer witzigen Wendung kommen sie oft aus dem verworrensten Labyrinth. Aus dem schwierigsten Streite entschlüpfen sie artig und mit Lächeln. Der größte aller Feldherren setzte darin seinen Werth. Wo man etwas abzuschlagen hat, ist es eine höfliche List, das Gespräch auf andere Dinge zu lenken: und keine größre Feinheit giebt es, als nicht zu verstehn.
Das Wort Versehnsucht, Freund, fällt mir bei der Lektüre dieses Paragraphen vor die Füße, und ich bücke mich, hebe es auf. Ich stecke Versehnsucht in ein Notizbuch, als handelte es sich um ein Ahornblatt, das man zwischen zwei Seiten trocknet, es für blattlose Wintertage konserviert. Gerne hätte ich die Fähigkeit, die Sie beschreiben: den toughen Streit abzuschütteln, Ungemach wie einen Staubballen fortzupusten. Allein: die Dinge liegen in meinen Zeiten anders, weil nun mal die Dinge anders liegen; was modest klingt, es aber nicht ist, da um den Kern, nicht die Peripherie der Demokratie gestritten wird.
In der argsten Finsternis ein heiteres Witzwort über den Sonnenschein zu finden, bringt keine Helligkeit, sondern nur den Ruf der Leichtfertigkeit, die dem Leichtsinn oftmals so nahe steht, dass man beide kaum auseinanderhalten kann. Die Unbedarften schert deswegen nichts, weil sie sich damit abgefunden haben, was sie besitzem. Sie haben sich eingerichtet, einen Kokon gebaut. Ihr Bedarf ist gedeckt. Sie wissen um die trockenen, gehorteten Holzscheite, die daheim neben dem Kamin auf sie warten. Die Bedürfnisse der Gesellschaft, die weiterhin öffentlich im Dunkeln tappt, verabschieden sich die Unbedarften mit einem Scherz, machen sie sich aus dem Staube, der bald so hoch liegt, dass ihn keiner mehr wegkehren kann, diese Bedürfnisse sind ihnen egal. Aber wegen dieser Unabdingbarkeiten wegen müssten die Bürgerinnen und Bürger an sich gerade das komplexe, das so anstrengende Verstehen üben, anstatt vom Versehn Gebrauch zu machen.
Abzuhauen, wird's schwierig, ist egoistisch, die Teilhabe am aufwendigen Lösungsprozess pluralistisch.
Und, noch das, Freund: das Unartigste sei den Tyrannen gegenüber das Artigste. Widerstand sei der Feigheit des Nicht-Verstehenwollens vorzuziehen. Denn am Ende macht der gelangweilte, psychopathische Tyrann, hoppla, das tut mir aber leid, auch die artigsten Hofschranzen einen entscheidenden Kopf kürzer.
22. März
74.
Nicht von Stein seyn. In den bevölkertsten Orten hausen die rechten wilden Thiere. Die Unzugänglichkeit ist ein Fehler, der aus dem Verkennen seiner selbst entspringt: da verändert man mit dem Stande den Karakter; wiewohl es kein passender Weg zur allgemeinen Hochachtung ist, daß man damit anfängt, Allen ärgerlich zu seyn. Ein sehenswerthes Schauspiel ist ein so unzugängliches Ungeheuer, stets von seiner trotzenden Inhumanität besessen: die Abhängigen, deren hartes Schicksal will, daß sie mit ihm zu reden haben, treten ein, wie zum Kampf mit einem Tiger, gerüstet mit Behutsamkeit und voll Furcht. Solche Leute wußten, um zu ihren Stellungen zu gelangen, sich bei Allen beliebt zu machen: und jetzt, da sie solche inne haben, suchen sie sich dadurch zu entschädigen, daß sie sich Allen verhaßt machen. Vermöge ihres Amtes sollen sie für Viele daseyn; sind aber, aus Trotz oder Stolz, für Keinen da. Eine feine Züchtigung für sie ist, daß man sie stehn lasse, indem man ihnen den Umgang und mit diesem die Klugheit entzieht.
Hier knallen Sicherungen durch, die schon lange locker waren, Freund. Endlich sagen Sie klipp und klar, was Ihnen am Hochmut und an der Unmenschlichkeit missfällt. Die Sätze haben Brecht'sche Vitalität, sind weder fein noch ziseliert. Als kleingeistig-schmeichlerischer Toreut, der den Mächtigen untertänigste Augen und wohlfeile Vorschläge zum Machtmissbrauch macht, kommen Sie, glücklicherweise, diesmal mitnichten daher. Gerne hätte ich Sie in solcher Aufgebrachtheit und Wut abonniert. Nicht immer, aber alle sechs, sieben Tage wäre mir das Schnauben eine rechte Lesefreude. Häufiger auf keinen Fall. Ansonsten, fürchte ich, leierte der Ton aus, büßte an elastischer Brutalität und Ehrlichkeit ein.
Jedes Brüllen, schallt's allzeit, verliert an Durchschlagskraft. Nicht bessser steht's mit dem Flüstern. Wir stumpfen ab, behandelt man uns fortwährend mit dem höchsten oder dem niedrigsten Register. Wer Maß hält, dem bleibt die Macht gewogen, was sich nur sehr bedingt für Liebe und Leidenschaft behaupten lässt.
23. März
Nicht von Stein seyn. In den bevölkertsten Orten hausen die rechten wilden Thiere. Die Unzugänglichkeit ist ein Fehler, der aus dem Verkennen seiner selbst entspringt: da verändert man mit dem Stande den Karakter; wiewohl es kein passender Weg zur allgemeinen Hochachtung ist, daß man damit anfängt, Allen ärgerlich zu seyn. Ein sehenswerthes Schauspiel ist ein so unzugängliches Ungeheuer, stets von seiner trotzenden Inhumanität besessen: die Abhängigen, deren hartes Schicksal will, daß sie mit ihm zu reden haben, treten ein, wie zum Kampf mit einem Tiger, gerüstet mit Behutsamkeit und voll Furcht. Solche Leute wußten, um zu ihren Stellungen zu gelangen, sich bei Allen beliebt zu machen: und jetzt, da sie solche inne haben, suchen sie sich dadurch zu entschädigen, daß sie sich Allen verhaßt machen. Vermöge ihres Amtes sollen sie für Viele daseyn; sind aber, aus Trotz oder Stolz, für Keinen da. Eine feine Züchtigung für sie ist, daß man sie stehn lasse, indem man ihnen den Umgang und mit diesem die Klugheit entzieht.
Hier knallen Sicherungen durch, die schon lange locker waren, Freund. Endlich sagen Sie klipp und klar, was Ihnen am Hochmut und an der Unmenschlichkeit missfällt. Die Sätze haben Brecht'sche Vitalität, sind weder fein noch ziseliert. Als kleingeistig-schmeichlerischer Toreut, der den Mächtigen untertänigste Augen und wohlfeile Vorschläge zum Machtmissbrauch macht, kommen Sie, glücklicherweise, diesmal mitnichten daher. Gerne hätte ich Sie in solcher Aufgebrachtheit und Wut abonniert. Nicht immer, aber alle sechs, sieben Tage wäre mir das Schnauben eine rechte Lesefreude. Häufiger auf keinen Fall. Ansonsten, fürchte ich, leierte der Ton aus, büßte an elastischer Brutalität und Ehrlichkeit ein.
Jedes Brüllen, schallt's allzeit, verliert an Durchschlagskraft. Nicht bessser steht's mit dem Flüstern. Wir stumpfen ab, behandelt man uns fortwährend mit dem höchsten oder dem niedrigsten Register. Wer Maß hält, dem bleibt die Macht gewogen, was sich nur sehr bedingt für Liebe und Leidenschaft behaupten lässt.
23. März
75.
Sich ein heroisches Vorbild wählen: mehr zum Wetteifer, als zur Nachahmung. Es giebt Muster der Größe, lebendige Bücher der Ehre. Jeder stelle sich die Größten in seinem Berufe vor, nicht sowohl um ihnen nachzuahmen, als zur Anspornung. Alexander weinte nicht über den begrabenen Achilles, sondern über sich, dessen Ruhm noch nicht recht auf die Welt gekommen war. Nichts erweckt so sehr den Ehrgeiz im Herzen, als die Posaune des fremden Ruhms. Eben das, was den Neid zu Boden wirft, ermuthigt ein edles Gemüth.
Ist das Heroische in der Verneinung, Freund, eigentlich das Humane? Will sagen: wenden wir uns gegen das Heroische, indem wir uns zunächst ihm zu-, um uns dann von ihm abzuwenden, wenden wir uns in diesem speziellen Falle dem Humanen ex negativo zu? Und ist dieses ex negativo nicht die Garantie für das Positive, ja sein eigentlicher Garant? Hat mich auch der Zufall zu Ihnen und Ihrem Orakel geführt, ist es doch eine Art von Bestimmung, wie Sie mich beeinflussen, welche Richtungen meine Gedanken nehmen, sich an Ihren Wegmarken die Frage nach dem Wohin und dem Warum stellen. Die Posaune, sie ist, gar oft, ein arger Krachmacher, ein listiger Quertreiber, verwunderlicher Aufmischer - und doch: ich mag sie leiden, da sie als Instrument weit schallt, uns zur Versammlung und, ab und an, zur Vernunft ruft.
Die guten Dinge warten selten auf uns, wir müssen uns um sie bemühen, und weichen sie, sollten nicht wir weichen, sondern ihnen nacheifern, als hätten sie sich für unsere Freundschaft entschieden, nicht wir uns für ihre. Das Gute reicht sich, oft genug, lebt spärlich möbliert. Stets mehr und mehr will das Böse, bis es ganz alleine im gefüllten Raume steht, uns anstarrt.
24. März
Sich ein heroisches Vorbild wählen: mehr zum Wetteifer, als zur Nachahmung. Es giebt Muster der Größe, lebendige Bücher der Ehre. Jeder stelle sich die Größten in seinem Berufe vor, nicht sowohl um ihnen nachzuahmen, als zur Anspornung. Alexander weinte nicht über den begrabenen Achilles, sondern über sich, dessen Ruhm noch nicht recht auf die Welt gekommen war. Nichts erweckt so sehr den Ehrgeiz im Herzen, als die Posaune des fremden Ruhms. Eben das, was den Neid zu Boden wirft, ermuthigt ein edles Gemüth.
Ist das Heroische in der Verneinung, Freund, eigentlich das Humane? Will sagen: wenden wir uns gegen das Heroische, indem wir uns zunächst ihm zu-, um uns dann von ihm abzuwenden, wenden wir uns in diesem speziellen Falle dem Humanen ex negativo zu? Und ist dieses ex negativo nicht die Garantie für das Positive, ja sein eigentlicher Garant? Hat mich auch der Zufall zu Ihnen und Ihrem Orakel geführt, ist es doch eine Art von Bestimmung, wie Sie mich beeinflussen, welche Richtungen meine Gedanken nehmen, sich an Ihren Wegmarken die Frage nach dem Wohin und dem Warum stellen. Die Posaune, sie ist, gar oft, ein arger Krachmacher, ein listiger Quertreiber, verwunderlicher Aufmischer - und doch: ich mag sie leiden, da sie als Instrument weit schallt, uns zur Versammlung und, ab und an, zur Vernunft ruft.
Die guten Dinge warten selten auf uns, wir müssen uns um sie bemühen, und weichen sie, sollten nicht wir weichen, sondern ihnen nacheifern, als hätten sie sich für unsere Freundschaft entschieden, nicht wir uns für ihre. Das Gute reicht sich, oft genug, lebt spärlich möbliert. Stets mehr und mehr will das Böse, bis es ganz alleine im gefüllten Raume steht, uns anstarrt.
24. März
76.
Nicht immer Scherz treiben. Der Verstand eines Mannes zeigt sich im Ernsthaften, welches daher mehr Ehre bringt, als das Witzige. Wer immer scherzt, ist nie der Mann für ernste Dinge. Man stellt ihn dem Lügner gleich, sofern man beiden nicht glaubt, indem man beim Einen Lügen, beim Andern Possen besorgt. Nie weiß man, ob er bei Vernunft spricht, welches so viel ist, als hätte er keine. Nichts geziemt sich weniger, als das beständige Schäkern. Manche erwerben sich den Ruf, witzige Köpfe zu seyn, auf Kosten des Kredits für gescheute Leute zu gelten. Sein Weilchen mag der Scherz haben, aber alle übrige Zeit gehöre dem Ernst.
Es gäbe der Beispiele etliche, Freund, von Frauen und Männern, die beides waren, beides sind, amüsant und ernsthaft zugleich. Und mit amüsant meine ich: bis an die Schmerzgrenze des Hirnrissigen. Herrliche Menschen, Emmy Hennings und ihr Mann Hugo Ball waren solche, Ernst Jandl ein anderer.
Der hartgeklopften Seriösität der Postenjünger geht eine emotionale Leichenstarre voraus, die alles Witzige massakriert hat. Viele kämpfen so wütend gegen den Humor, auch ihren eigenen, bis nur noch Wut vorhanden ist. Mit der vermeintlichen Unterscheidung zwischen E- und U-Kunst haben wir in meinen Landen allerlei Erfahrungen gesammelt. Ungute, wie angefügt werden muss. Und die daraus entstandenen Ausstellungen, Konzerte, Bücher, Bilder haben Generationen gelangweilt.
Der kritische Verstand liebt den Humor, auch wenn er ihn nicht immer besitzt. Wer die Ernsthaftigkeit auf Teufel komm raus züchten will, macht die Welt zu einem unglücklichen Ort. Ein Witz hat manche schwere Lage leichter gemacht, eine Ermahnung manche leichte Lage schwer.
25. März
Nicht immer Scherz treiben. Der Verstand eines Mannes zeigt sich im Ernsthaften, welches daher mehr Ehre bringt, als das Witzige. Wer immer scherzt, ist nie der Mann für ernste Dinge. Man stellt ihn dem Lügner gleich, sofern man beiden nicht glaubt, indem man beim Einen Lügen, beim Andern Possen besorgt. Nie weiß man, ob er bei Vernunft spricht, welches so viel ist, als hätte er keine. Nichts geziemt sich weniger, als das beständige Schäkern. Manche erwerben sich den Ruf, witzige Köpfe zu seyn, auf Kosten des Kredits für gescheute Leute zu gelten. Sein Weilchen mag der Scherz haben, aber alle übrige Zeit gehöre dem Ernst.
Es gäbe der Beispiele etliche, Freund, von Frauen und Männern, die beides waren, beides sind, amüsant und ernsthaft zugleich. Und mit amüsant meine ich: bis an die Schmerzgrenze des Hirnrissigen. Herrliche Menschen, Emmy Hennings und ihr Mann Hugo Ball waren solche, Ernst Jandl ein anderer.
Der hartgeklopften Seriösität der Postenjünger geht eine emotionale Leichenstarre voraus, die alles Witzige massakriert hat. Viele kämpfen so wütend gegen den Humor, auch ihren eigenen, bis nur noch Wut vorhanden ist. Mit der vermeintlichen Unterscheidung zwischen E- und U-Kunst haben wir in meinen Landen allerlei Erfahrungen gesammelt. Ungute, wie angefügt werden muss. Und die daraus entstandenen Ausstellungen, Konzerte, Bücher, Bilder haben Generationen gelangweilt.
Der kritische Verstand liebt den Humor, auch wenn er ihn nicht immer besitzt. Wer die Ernsthaftigkeit auf Teufel komm raus züchten will, macht die Welt zu einem unglücklichen Ort. Ein Witz hat manche schwere Lage leichter gemacht, eine Ermahnung manche leichte Lage schwer.
25. März
77.
Sich Allen zu fügen wissen: ein kluger Proteus: gelehrt mit dem Gelehrten, heilig mit dem Heiligen. Eine große Kunst, um Alle zu gewinnen: denn die Uebereinstimmung erwirbt Wohlwollen. Man beobachte die Gemüther und stimme sich nach dem eines Jeden. Man lasse sich vom Ernsten und vom Jovialen mit fortreißen, indem man eine politische Verwandlung mit sich vornimmt. Abhängigen Personen ist diese Kunst dringend nöthig. Aber als eine große Feinheit erfordert sie viel Talent: weniger schwer wird sie dem Manne, dessen Kopf in Kenntnissen und dessen Geschmack in Neigungen vielseitig ist.
Obwohl meine Sehnsucht nach Harmonie groß ist - auch wenn Sie, Freund, vielleicht, nach einigen, in der Sache harten Korrespondenzen anderer Meinung sein könnten -, bin ich dennoch nicht zur erstaunlichen Metamorphose fähig, die Sie hier als Allheilmittel der, und darauf kommt's an, Unterwerfung in einer nachgeordneten Position betrachten, geradezu hagiographisch huldigen.
Im Englischen existiert die schöne Redewendung Lions led by donkeys. Also: Löwen unter der Führung von Eseln. Ein Ausdruck, der im Volksmund verwendet wird, um die britische Infanterie des Ersten Weltkriegs zu beschreiben und, was das Bild so erschütternd macht, die Generäle zu beschuldigen, die sie aufs buchstäbliche Schlachtfeld führten. Die Behauptung lautet, dass die tapferen Soldaten von inkompetenten und gleichgültigen Führern in den Tod geschickt wurden. Abgesehen von der Verunglimpfung der störrischen, hochintelligenten Esel, die, kennt man sie, alles andere als stupid sind, als Symbol des tumben Führers demgemäß nur sehr bedingt taugen, abgesehen davon, hat die Redewendung den Vorteil, die fraglose Übereinstimmung mit dem Verhalten und den Meinungen anderer als ungemäßen Humbug zu entlarven.
Wer stets zur Verfügung steht, steht alsbald seiner Menschlichkeit im Wege. Das Ziel, welches andere für uns aussuchen, darf nur das unsere sein, wenn es mit unseren Zielvorstellungen übereinstimmt. Und diese Setzungen seien nicht beliebig, ganz im Gegenteil, sondern sie seien gerade gegen die brutale Willkür gerichtet.
Lenkt uns das Böse am Anfang, kommt am Ende nichts Gutes heraus.
26. März
Sich Allen zu fügen wissen: ein kluger Proteus: gelehrt mit dem Gelehrten, heilig mit dem Heiligen. Eine große Kunst, um Alle zu gewinnen: denn die Uebereinstimmung erwirbt Wohlwollen. Man beobachte die Gemüther und stimme sich nach dem eines Jeden. Man lasse sich vom Ernsten und vom Jovialen mit fortreißen, indem man eine politische Verwandlung mit sich vornimmt. Abhängigen Personen ist diese Kunst dringend nöthig. Aber als eine große Feinheit erfordert sie viel Talent: weniger schwer wird sie dem Manne, dessen Kopf in Kenntnissen und dessen Geschmack in Neigungen vielseitig ist.
Obwohl meine Sehnsucht nach Harmonie groß ist - auch wenn Sie, Freund, vielleicht, nach einigen, in der Sache harten Korrespondenzen anderer Meinung sein könnten -, bin ich dennoch nicht zur erstaunlichen Metamorphose fähig, die Sie hier als Allheilmittel der, und darauf kommt's an, Unterwerfung in einer nachgeordneten Position betrachten, geradezu hagiographisch huldigen.
Im Englischen existiert die schöne Redewendung Lions led by donkeys. Also: Löwen unter der Führung von Eseln. Ein Ausdruck, der im Volksmund verwendet wird, um die britische Infanterie des Ersten Weltkriegs zu beschreiben und, was das Bild so erschütternd macht, die Generäle zu beschuldigen, die sie aufs buchstäbliche Schlachtfeld führten. Die Behauptung lautet, dass die tapferen Soldaten von inkompetenten und gleichgültigen Führern in den Tod geschickt wurden. Abgesehen von der Verunglimpfung der störrischen, hochintelligenten Esel, die, kennt man sie, alles andere als stupid sind, als Symbol des tumben Führers demgemäß nur sehr bedingt taugen, abgesehen davon, hat die Redewendung den Vorteil, die fraglose Übereinstimmung mit dem Verhalten und den Meinungen anderer als ungemäßen Humbug zu entlarven.
Wer stets zur Verfügung steht, steht alsbald seiner Menschlichkeit im Wege. Das Ziel, welches andere für uns aussuchen, darf nur das unsere sein, wenn es mit unseren Zielvorstellungen übereinstimmt. Und diese Setzungen seien nicht beliebig, ganz im Gegenteil, sondern sie seien gerade gegen die brutale Willkür gerichtet.
Lenkt uns das Böse am Anfang, kommt am Ende nichts Gutes heraus.
26. März
78.
Kunst im Unternehmen. Die Dummheit fällt allemal mit der Thüre ins Haus: denn alle Dummen sind verwegen. Dieselbe Einfalt, welche ihnen die Aufmerksamkeit Vorkehrungen zu treffen benimmt, macht sie nachher gefühllos gegen den Schimpf des Mißlingens. Hingegen gehen die Klugen mit großer Vorsicht zu Werke. Ihre Kundschafter sind Aufpassen und Behutsamkeit: diese gehen forschend voran, damit man ohne Gefahr auftreten könne. Jede Verwegenheit ist von der Klugheit zum Untergang verurtheilt; wenn auch bisweilen das Glück sie begnadigt. Mit Zurückhaltung muß man vorschreiten, wo tiefer Grund zu fürchten ist. Die Schlauheit gehe spürend voran, bis die Vorsicht allmälig Grund und Boden gewinnt. Heut zu Tage sind im menschlichen Umgang große Untiefen: man muß bei jedem Schritt das Senkblei gebrauchen.
Anschauliche Bilder, Freund, haben Sie, hat Ihr Tanslator, für diesen Abschnitt gewählt. Und Ihr heut zu Tage darf als stets und immer gelesen werden. Was mich zum Gedanken verleitet, bevor ich zur Kunst komme, anders zur Kunst komme, als Sie's sich ausgemalt haben, was mich also zum Gedanken verleitet, dass die Dringlichkeit der Zeitgenossenschaft und das Meine-Stunde-sei-das-Nonplusultra - viele von uns werten sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft naserümpfend als reine Abstraktion ab -, dass jene Verknappung auf den eigenen Atem und das Nunvorhandene der ewigen Einigkeit des Lebens mit dem Eben und dem Bald nicht gerecht werden. Gerade und dank des Alterns, das, viele wissen und fühlen es, keine wahre Freude ist, bin ich, sind wir doch eng mit dem Gewesenen und dem Kommenden verbunden.
Niemand ist mir fremd, wenn ich mir selbst nicht fremd bin. Aus der Nähe zu uns selbst, machen die Vernunft und die Liebe eine Nähe zur Welt. Wie wir uns aufmerksam um uns selbst kümmern, so fürsorglich sollten wir mit der Zukunft, so achtsam mit der Vergangenheit umgehen. Das Jetzt sei nur, weil es das doppelte Einst gibt.
Wie angesprochen, noch eine flüchtige Idee zur Kunst im Unternehmen. Wenden wir das Wort Unternehmen, neigen wir es leicht, wird daraus, in meinen Tagen, die Firma. Was mich zur, lachen Sie ruhig, Freund, zur Kunst am Bau führt, an der Wand, in den Gängen, in den Büros. Mir scheint, als würden solche Werke, für die's, in staatlichen Unternehmen, sogar ein vorgeschriebenes Budget gibt, zu wenig ernst- und wahrgenommen. Wendeten wir uns häufiger der Kunst zu, träfen wir weisere Entscheidungen, verließen den engen Rahmen, den man uns, den wir uns umgespannt haben.
Zu sehen, heißt nicht, unbedingt selbst ununterbrochen gesehen zu werden, sondern andere auf Dauer sehen und sichtbar werden zu lassen.
27. März
Kunst im Unternehmen. Die Dummheit fällt allemal mit der Thüre ins Haus: denn alle Dummen sind verwegen. Dieselbe Einfalt, welche ihnen die Aufmerksamkeit Vorkehrungen zu treffen benimmt, macht sie nachher gefühllos gegen den Schimpf des Mißlingens. Hingegen gehen die Klugen mit großer Vorsicht zu Werke. Ihre Kundschafter sind Aufpassen und Behutsamkeit: diese gehen forschend voran, damit man ohne Gefahr auftreten könne. Jede Verwegenheit ist von der Klugheit zum Untergang verurtheilt; wenn auch bisweilen das Glück sie begnadigt. Mit Zurückhaltung muß man vorschreiten, wo tiefer Grund zu fürchten ist. Die Schlauheit gehe spürend voran, bis die Vorsicht allmälig Grund und Boden gewinnt. Heut zu Tage sind im menschlichen Umgang große Untiefen: man muß bei jedem Schritt das Senkblei gebrauchen.
Anschauliche Bilder, Freund, haben Sie, hat Ihr Tanslator, für diesen Abschnitt gewählt. Und Ihr heut zu Tage darf als stets und immer gelesen werden. Was mich zum Gedanken verleitet, bevor ich zur Kunst komme, anders zur Kunst komme, als Sie's sich ausgemalt haben, was mich also zum Gedanken verleitet, dass die Dringlichkeit der Zeitgenossenschaft und das Meine-Stunde-sei-das-Nonplusultra - viele von uns werten sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft naserümpfend als reine Abstraktion ab -, dass jene Verknappung auf den eigenen Atem und das Nunvorhandene der ewigen Einigkeit des Lebens mit dem Eben und dem Bald nicht gerecht werden. Gerade und dank des Alterns, das, viele wissen und fühlen es, keine wahre Freude ist, bin ich, sind wir doch eng mit dem Gewesenen und dem Kommenden verbunden.
Niemand ist mir fremd, wenn ich mir selbst nicht fremd bin. Aus der Nähe zu uns selbst, machen die Vernunft und die Liebe eine Nähe zur Welt. Wie wir uns aufmerksam um uns selbst kümmern, so fürsorglich sollten wir mit der Zukunft, so achtsam mit der Vergangenheit umgehen. Das Jetzt sei nur, weil es das doppelte Einst gibt.
Wie angesprochen, noch eine flüchtige Idee zur Kunst im Unternehmen. Wenden wir das Wort Unternehmen, neigen wir es leicht, wird daraus, in meinen Tagen, die Firma. Was mich zur, lachen Sie ruhig, Freund, zur Kunst am Bau führt, an der Wand, in den Gängen, in den Büros. Mir scheint, als würden solche Werke, für die's, in staatlichen Unternehmen, sogar ein vorgeschriebenes Budget gibt, zu wenig ernst- und wahrgenommen. Wendeten wir uns häufiger der Kunst zu, träfen wir weisere Entscheidungen, verließen den engen Rahmen, den man uns, den wir uns umgespannt haben.
Zu sehen, heißt nicht, unbedingt selbst ununterbrochen gesehen zu werden, sondern andere auf Dauer sehen und sichtbar werden zu lassen.
27. März
79.
Joviales Gemüth. Wenn mit Mäßigung, ist es eine Gabe, kein Fehler. Ein Gran Munterkeit würzt Alles. Die größten Männer treiben auch bisweilen Possen, und es macht sie bei Allen beliebt; jedoch verlieren sie dabei nie die Rücksichten der Klugheit, noch die Achtung vor dem Anstand aus den Augen. Andere wiederum helfen sich durch einen Scherz auf dem kürzesten Wege aus Verwickelungen: denn es giebt Dinge, die man als Scherz nehmen muß, und bisweilen sind es grade die, welche der Andre am ernstlichsten gemeint hat. Man legt dadurch Friedfertigkeit an den Tag, die ein Magnet der Herzen ist.
Das Joviale ist, in meinen Tagen, zu einer Großelterntugend herabgewürdigt worden, zu einem linguistischen Überbleibsel einer gemütlich-falschherzigen Zeit. Ja, Freund, es gilt beinahe als Schimpfwort. Leutseligkeit und Gönnerhaftigkeit kleben am Jovialen mit einer Fetischkraft, der man einiges an Zauber entgegensetzen müsste, um die negativen Flecken auch nur halbwegs abzureiben. Mir gefällt die Idee der Großzügigkeit, die doch auch in Ihrer Beschreibung der jovialen Gemütsverfassung anschwingt. Sowohl die Generösität der Jovialen als auch der Großmut derjenigen, die der Jovialität unvermutet begegnen, wohlgemerkt: in Lagen, die sich als verzwickt-seriös herausstellen und unversehens im schlimmsten Eklat enden könnten, sagen mir zu.
Der weiche Scherz hat dem harten Urteil einiges an Lebensklugheit voraus, besonders aber seine unmittelbare Vergänglichkeit. Ist das Scherzwort längst vergessen, wirkt die schneidende Aburteilung auf alle Zeiten nach, speziell wenn es sich um ein unhaltbares Verdikt handelt.
Das unabhängige, dem Augenblick entzogene Abwägen sei die größte Qualität der Urteilskraft, eine Eigenschaft, die sich viele wünschen, allein wenige besitzen.
28. März
Joviales Gemüth. Wenn mit Mäßigung, ist es eine Gabe, kein Fehler. Ein Gran Munterkeit würzt Alles. Die größten Männer treiben auch bisweilen Possen, und es macht sie bei Allen beliebt; jedoch verlieren sie dabei nie die Rücksichten der Klugheit, noch die Achtung vor dem Anstand aus den Augen. Andere wiederum helfen sich durch einen Scherz auf dem kürzesten Wege aus Verwickelungen: denn es giebt Dinge, die man als Scherz nehmen muß, und bisweilen sind es grade die, welche der Andre am ernstlichsten gemeint hat. Man legt dadurch Friedfertigkeit an den Tag, die ein Magnet der Herzen ist.
Das Joviale ist, in meinen Tagen, zu einer Großelterntugend herabgewürdigt worden, zu einem linguistischen Überbleibsel einer gemütlich-falschherzigen Zeit. Ja, Freund, es gilt beinahe als Schimpfwort. Leutseligkeit und Gönnerhaftigkeit kleben am Jovialen mit einer Fetischkraft, der man einiges an Zauber entgegensetzen müsste, um die negativen Flecken auch nur halbwegs abzureiben. Mir gefällt die Idee der Großzügigkeit, die doch auch in Ihrer Beschreibung der jovialen Gemütsverfassung anschwingt. Sowohl die Generösität der Jovialen als auch der Großmut derjenigen, die der Jovialität unvermutet begegnen, wohlgemerkt: in Lagen, die sich als verzwickt-seriös herausstellen und unversehens im schlimmsten Eklat enden könnten, sagen mir zu.
Der weiche Scherz hat dem harten Urteil einiges an Lebensklugheit voraus, besonders aber seine unmittelbare Vergänglichkeit. Ist das Scherzwort längst vergessen, wirkt die schneidende Aburteilung auf alle Zeiten nach, speziell wenn es sich um ein unhaltbares Verdikt handelt.
Das unabhängige, dem Augenblick entzogene Abwägen sei die größte Qualität der Urteilskraft, eine Eigenschaft, die sich viele wünschen, allein wenige besitzen.
28. März
80.
Bedacht im Erkundigen. Man lebt hauptsächlich auf Erkundigung. Das Wenigste ist, was wir sehn: wir leben auf Treu und Glauben. Nun ist aber das Ohr die Nebenthüre der Wahrheit, die Hauptthüre der Lüge. Die Wahrheit wird meistens gesehn, nur ausnahmsweise gehört. Selten gelangt sie rein und unverfälscht zu uns, am wenigsten, wann sie von Weitem kommt: da hat sie immer eine Beimischung von den Affekten, durch die sie gieng. Die Leidenschaft färbt Alles, was sie berührt, mit ihren Farben, bald günstig, bald ungünstig. Sie bezweckt immer irgend einen Eindruck: daher leihe man nur mit großer Behutsamkeit sein Ohr dem Lober, mit noch größerer dem Tadler. In diesem Punkt ist unsre ganze Aufmerksamkeit vonnöthen, damit wir die Absicht des Vermittelnden herausfinden und schon zum voraus sehn, mit welchem Fuß er vortritt. Die schlaue Ueberlegung sei der Wardein des Übertriebenen und des Falschen.
Zunächst ein simples Danke an den Translator für den Münzprüfer, jenen Wardein, dessen Gegenwart mir nicht mehr geläufig war, dessen edle Tätigkeit, das Wardieren, mir gleichsam entglitten schien. Die Begriffe, welche in uns stumm ausharren, im Winterschlaf, die Silben kaltgestellt, die Begriffe frohlocken, wecken wir sie wieder auf und laden sie zum Plaudern ein. Ob sie danach, erschöpft, erneut entgleiten, tut nichts zur Sache. Dass sie überhaupt der Stille des abseitigen Wortschatzes entkommen konnten, lässt uns und sie jubilieren.
Wer sich wenig zeigt, erregt, oft genug, am meisten Aufsehen. Steht man immer und ewig im Lampenlicht, wird man unser - dem Abbild, das wir anbieten - nicht umsonst überdrüssig; auch wenn wir's nicht wahrhaben wollen, und wohl sogar meistens gerade dann. Ablehnung und Auswechselung kommen selten im richtigen Augenblick, und ist's doch der Fall, wollen wir, zunächst, eher nichts von ihnen wissen.
Damit zum Hörensagen, dem Spießrutenlaufen der Wahrheit, die auf dem Weg in die Freiheit nicht selten einiges an Substanz verliert. Die Erkundigung, die fremdbestimmte, die man uns auftischt, wird schal, je mehr Münder sie von innen gesehen hat. Der Stuss legt sich eben mit Vorliebe aufs Tradierte, dessen ursprüngliche Echtheit - als eine Glaubwürdigkeit unter vielen - geraume Zeit einem falschen Brauchtum gewichen ist, nunmehr als Mittel zum Machterhalt missbraucht wird. Die wahre Erdenkunde findet in uns durch uns und durch andere statt, die mit uns klar und aufrichtig sprechen, als hätten sie keine Angst vor der Wahrhaftigkeit, als wäre ihnen nur daran gelegen, mit der konstruktiven Kritik ins Haus zu fallen und selbst, in aller Freundschaft, mit Verstand gescholten und umgetopft zu werden.
Wer denkt, braucht und fordert den Widerspruch. Wer henkt, entledigt sich seiner.
28. März
Bedacht im Erkundigen. Man lebt hauptsächlich auf Erkundigung. Das Wenigste ist, was wir sehn: wir leben auf Treu und Glauben. Nun ist aber das Ohr die Nebenthüre der Wahrheit, die Hauptthüre der Lüge. Die Wahrheit wird meistens gesehn, nur ausnahmsweise gehört. Selten gelangt sie rein und unverfälscht zu uns, am wenigsten, wann sie von Weitem kommt: da hat sie immer eine Beimischung von den Affekten, durch die sie gieng. Die Leidenschaft färbt Alles, was sie berührt, mit ihren Farben, bald günstig, bald ungünstig. Sie bezweckt immer irgend einen Eindruck: daher leihe man nur mit großer Behutsamkeit sein Ohr dem Lober, mit noch größerer dem Tadler. In diesem Punkt ist unsre ganze Aufmerksamkeit vonnöthen, damit wir die Absicht des Vermittelnden herausfinden und schon zum voraus sehn, mit welchem Fuß er vortritt. Die schlaue Ueberlegung sei der Wardein des Übertriebenen und des Falschen.
Zunächst ein simples Danke an den Translator für den Münzprüfer, jenen Wardein, dessen Gegenwart mir nicht mehr geläufig war, dessen edle Tätigkeit, das Wardieren, mir gleichsam entglitten schien. Die Begriffe, welche in uns stumm ausharren, im Winterschlaf, die Silben kaltgestellt, die Begriffe frohlocken, wecken wir sie wieder auf und laden sie zum Plaudern ein. Ob sie danach, erschöpft, erneut entgleiten, tut nichts zur Sache. Dass sie überhaupt der Stille des abseitigen Wortschatzes entkommen konnten, lässt uns und sie jubilieren.
Wer sich wenig zeigt, erregt, oft genug, am meisten Aufsehen. Steht man immer und ewig im Lampenlicht, wird man unser - dem Abbild, das wir anbieten - nicht umsonst überdrüssig; auch wenn wir's nicht wahrhaben wollen, und wohl sogar meistens gerade dann. Ablehnung und Auswechselung kommen selten im richtigen Augenblick, und ist's doch der Fall, wollen wir, zunächst, eher nichts von ihnen wissen.
Damit zum Hörensagen, dem Spießrutenlaufen der Wahrheit, die auf dem Weg in die Freiheit nicht selten einiges an Substanz verliert. Die Erkundigung, die fremdbestimmte, die man uns auftischt, wird schal, je mehr Münder sie von innen gesehen hat. Der Stuss legt sich eben mit Vorliebe aufs Tradierte, dessen ursprüngliche Echtheit - als eine Glaubwürdigkeit unter vielen - geraume Zeit einem falschen Brauchtum gewichen ist, nunmehr als Mittel zum Machterhalt missbraucht wird. Die wahre Erdenkunde findet in uns durch uns und durch andere statt, die mit uns klar und aufrichtig sprechen, als hätten sie keine Angst vor der Wahrhaftigkeit, als wäre ihnen nur daran gelegen, mit der konstruktiven Kritik ins Haus zu fallen und selbst, in aller Freundschaft, mit Verstand gescholten und umgetopft zu werden.
Wer denkt, braucht und fordert den Widerspruch. Wer henkt, entledigt sich seiner.
28. März
81.
Seinen Glanz erneuern. Es ist das Vorrecht des Phönix. Die Trefflichkeiten werden alt, und mit ihnen der Ruhm: ein mittelmäßiges Neues sticht oft das Ausgezeichneteste, wenn es alt geworden ist, aus. Man bewirke also seine Wiedergeburt, in der Tapferkeit, im Genie, im Glück, in Allem. Man trete mit neuen, glänzenden Sachen hervor und gehe, wie die Sonne, wiederholt auf. Auch wechsele man den Schauplatz seines Glanzes, damit hier das Entbehren Verlangen, dort die Neuheit Beifall erwecke.
Der Jugendwahn, von dem Sie, Freund, doch auch berichten, den Sie, indirekt, doch auch verdammen, hat durchaus Vorteile. Gäbe es allein die sture Festlegung auf die manchmal weise Greisenerfahrung und die zuverlässig klapprigen Von-vorvorgestern-Vorurteile, bliebe der Fortschritt auf der Strecke. Das Heißdampfmachen und Scharfanbraten seien, hoffentlich, der neuen Generation eigen, das Langsamausgaren und Lauwarmköcheln, wahrscheinlich, oft genug der alten, die sowohl mit dem Verdauungstrakt als auch dem Besteck kämpft. Beide Zubereitungsarten führen zur Mahlzeit, die auf ihre Weise sättigt, wohl wahr. Und beide haben, zweifelsfrei, ihre Berechtigung und ihren Platz. Ich muss Ihnen aber sagen, dass mich der Anspruch, den gerade alte Männer, deren Mittelmäßigkeit und Brutalität trefflich sind, an und auf die Macht erheben, dass mich diese unendliche, diese verbohrte Hybris anwidert.
Der Phönix aus der Asche ist, wenigstens in der politischen Arena, oft genug ein feiger Geier, der zurückkommt, um alte Rechnungen zu begleichen, sich weiter am siechenden Volkskörper zu laben.
In der Kunst dagegen, und nun sprechen wir gar nicht mehr vom Alter, sondern von der Methode, in der Kunst dagegen sei die Umorientierung das schöpferische A&O. Fühlen wir uns zu sicher und geborgen in unseren Errungenschaften, regiert das Mittelmaß, wird die Kunst zum Handwerk - was nicht schlecht ist, gewiss nicht, auch Freude und Geld bringen kann, was aber eben keine Kunst ist, keinen Fortschritt im eigenen Denken und Schaffen bringt.
Sich von sich selbst zu entfernen, um anschließend ganz bei sich zu sein, sei die große Herausforderung des Seins, das doch aus steten Bewegungen besteht. Der absolute Stillstand sei der Tod, der halbe das beständige Noch-Gelingen. Im neuen Scheitern liegt, demnächst, Entwicklung. Wer einen Käfig sucht, sei schon längst in einem gefangen.
29. März
Seinen Glanz erneuern. Es ist das Vorrecht des Phönix. Die Trefflichkeiten werden alt, und mit ihnen der Ruhm: ein mittelmäßiges Neues sticht oft das Ausgezeichneteste, wenn es alt geworden ist, aus. Man bewirke also seine Wiedergeburt, in der Tapferkeit, im Genie, im Glück, in Allem. Man trete mit neuen, glänzenden Sachen hervor und gehe, wie die Sonne, wiederholt auf. Auch wechsele man den Schauplatz seines Glanzes, damit hier das Entbehren Verlangen, dort die Neuheit Beifall erwecke.
Der Jugendwahn, von dem Sie, Freund, doch auch berichten, den Sie, indirekt, doch auch verdammen, hat durchaus Vorteile. Gäbe es allein die sture Festlegung auf die manchmal weise Greisenerfahrung und die zuverlässig klapprigen Von-vorvorgestern-Vorurteile, bliebe der Fortschritt auf der Strecke. Das Heißdampfmachen und Scharfanbraten seien, hoffentlich, der neuen Generation eigen, das Langsamausgaren und Lauwarmköcheln, wahrscheinlich, oft genug der alten, die sowohl mit dem Verdauungstrakt als auch dem Besteck kämpft. Beide Zubereitungsarten führen zur Mahlzeit, die auf ihre Weise sättigt, wohl wahr. Und beide haben, zweifelsfrei, ihre Berechtigung und ihren Platz. Ich muss Ihnen aber sagen, dass mich der Anspruch, den gerade alte Männer, deren Mittelmäßigkeit und Brutalität trefflich sind, an und auf die Macht erheben, dass mich diese unendliche, diese verbohrte Hybris anwidert.
Der Phönix aus der Asche ist, wenigstens in der politischen Arena, oft genug ein feiger Geier, der zurückkommt, um alte Rechnungen zu begleichen, sich weiter am siechenden Volkskörper zu laben.
In der Kunst dagegen, und nun sprechen wir gar nicht mehr vom Alter, sondern von der Methode, in der Kunst dagegen sei die Umorientierung das schöpferische A&O. Fühlen wir uns zu sicher und geborgen in unseren Errungenschaften, regiert das Mittelmaß, wird die Kunst zum Handwerk - was nicht schlecht ist, gewiss nicht, auch Freude und Geld bringen kann, was aber eben keine Kunst ist, keinen Fortschritt im eigenen Denken und Schaffen bringt.
Sich von sich selbst zu entfernen, um anschließend ganz bei sich zu sein, sei die große Herausforderung des Seins, das doch aus steten Bewegungen besteht. Der absolute Stillstand sei der Tod, der halbe das beständige Noch-Gelingen. Im neuen Scheitern liegt, demnächst, Entwicklung. Wer einen Käfig sucht, sei schon längst in einem gefangen.
29. März
82.
Nichts bis auf die Hefen leeren, weder das Schlimme, noch das Gute. Ein Weiser führte auf Mäßigung die ganze Weisheit zurück. Das größte Recht wird zum Unrecht; und drückt man die Apfelsine zu sehr, so giebt sie zuletzt das Bittre. Auch im Genuß gehe man nie aufs Aeußerste. Sogar der Geist wird stumpf, wenn man ihn bis aufs Letzte anstrengt: und Blut statt Milch erhält, wer auf eine grausame Weise abzapft.
Nachschlagen, Freund, musste ich gerade, was es heißt: bis auf die Hefen leeren. Als Braurückstand sammelten sich einst im Bier, am Boden des Glases, Gärungsreste, die, für die meisten Trinker, weniger schmackhaft waren als der obere Teil. Interessant ist, dass Bier seit mindestens 9000 Jahren gebraut wird, wir aber erst seit den Dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts wissen, dass maßgeblich die Hefe für die Gärung verantwortlich ist, die zuvor als Abfallprodukt angesehen worden war. Eine Erkenntnis, die der damaligen Wissenschaft nicht schmeckte. Die Forscher und ihre Einsichten wurden von anderen Wissenschaftlern verunglimpft. Man war, buchstäblich, nicht bereit, das Glas der Erkenntnis bis auf die Hefen zu leeren. Ein Fehler, der auch Ihrem Bild die Durchschlagskraft nimmt. Gerade das Aufdengrundgehen zeichnet die Weisen aus, das Nichtlockerlassen, das wissenschaftliche und philosophische Insistieren.
Wer von der Wahrheit ablässt, sei den Lügen näher, als er oder sie gelten lassen will. Das Halbe wird nichts Ganzes, auch wenn man es doppelt anhäuft.
Eine Anmerkung zur Grausamkeit des kapitalistischen Bis-aufs-Blut-Pressens. Hier treffen wir uns, versteht sich. Die Güte weiß um und beachtet die Grenzen der Leistungsfähigkeit - und wenn ich Grenze sage, meine ich, dass es einer enormen Pufferzone zwischen dem Leistungslimit und der tatsächlichen Arbeit bedarf. Der Mensch sei nur frei, wenn er genug Freizeit zum Denken und für die Liebe, zum Faulenzen und für den Sport, zum Spiel und den Schlaf hat. Und die Unfreiheit anderer, von der wir stillschweigend profitieren, ist und bleibt, was wir niemals vergessen sollten, unsere eigene.
30. März
Nichts bis auf die Hefen leeren, weder das Schlimme, noch das Gute. Ein Weiser führte auf Mäßigung die ganze Weisheit zurück. Das größte Recht wird zum Unrecht; und drückt man die Apfelsine zu sehr, so giebt sie zuletzt das Bittre. Auch im Genuß gehe man nie aufs Aeußerste. Sogar der Geist wird stumpf, wenn man ihn bis aufs Letzte anstrengt: und Blut statt Milch erhält, wer auf eine grausame Weise abzapft.
Nachschlagen, Freund, musste ich gerade, was es heißt: bis auf die Hefen leeren. Als Braurückstand sammelten sich einst im Bier, am Boden des Glases, Gärungsreste, die, für die meisten Trinker, weniger schmackhaft waren als der obere Teil. Interessant ist, dass Bier seit mindestens 9000 Jahren gebraut wird, wir aber erst seit den Dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts wissen, dass maßgeblich die Hefe für die Gärung verantwortlich ist, die zuvor als Abfallprodukt angesehen worden war. Eine Erkenntnis, die der damaligen Wissenschaft nicht schmeckte. Die Forscher und ihre Einsichten wurden von anderen Wissenschaftlern verunglimpft. Man war, buchstäblich, nicht bereit, das Glas der Erkenntnis bis auf die Hefen zu leeren. Ein Fehler, der auch Ihrem Bild die Durchschlagskraft nimmt. Gerade das Aufdengrundgehen zeichnet die Weisen aus, das Nichtlockerlassen, das wissenschaftliche und philosophische Insistieren.
Wer von der Wahrheit ablässt, sei den Lügen näher, als er oder sie gelten lassen will. Das Halbe wird nichts Ganzes, auch wenn man es doppelt anhäuft.
Eine Anmerkung zur Grausamkeit des kapitalistischen Bis-aufs-Blut-Pressens. Hier treffen wir uns, versteht sich. Die Güte weiß um und beachtet die Grenzen der Leistungsfähigkeit - und wenn ich Grenze sage, meine ich, dass es einer enormen Pufferzone zwischen dem Leistungslimit und der tatsächlichen Arbeit bedarf. Der Mensch sei nur frei, wenn er genug Freizeit zum Denken und für die Liebe, zum Faulenzen und für den Sport, zum Spiel und den Schlaf hat. Und die Unfreiheit anderer, von der wir stillschweigend profitieren, ist und bleibt, was wir niemals vergessen sollten, unsere eigene.
30. März
83.
Sich verzeihliche Fehler erlauben: denn eine Nachlässigkeit ist zu Zeiten die größte Empfehlung der Talente. Der Neid übt einen niederträchtigen, frevelhaften Ostracismus aus. Dem ganz Vollkommnen wird er es zum Fehler anrechnen, daß es keine Fehler hat, und wird es als ganz vollkommen ganz verurtheilen. Er wird zum Argus, um am Vortrefflichen Makel zu suchen, wenn auch nur zum Trost. Der Tadel trifft, wie der Blitz, grade die höchsten Leistungen. Daher schlafe Homer bisweilen, und man affektire einige Nachlässigkeiten, sei es im Genie, sei es in der Tapferkeit, – jedoch nie in der Klugheit, – um das Mißwollen zu besänftigen, daß es nicht berste vor Gift. Man werfe gleichsam dem Stier des Neides den Mantel zu, die Unsterblichkeit zu retten.
Das klingt so, Freund, als sollten wir unsere Fehler planen, zumindest die verzeihlichen. Wer wo und wann verzeihen soll, lassen Sie dabei, weitgehend, bis auf die nicht-üble Beleumdung durch die notorischen Neidhammel, aus. Dass Ihre angeblich Perfekten einige Nachlässigkeiten affektieren, um den Argusaugen was zum Glotzen zu bieten, tönt wie eine frappante Anleitung zur schmucken Charakterschwäche: Sei ein kleiner Dummkopf, damit dich große Dummköpfe mittelmäßig finden.
Problematisch ist solch ein hanebüchnener Ratschlag, da wir uns, erstens, ratze fatze an die dilettantische Trottligkeit gewöhnen und da, zweitens, das Verzeihliche - was die Vorspielung schlechter Tatsachen so unentschuldbar macht -, da also das Verzeihliche durchaus als etwas Unverzeihliches aufgefasst werden könnte. Es gibt nicht umsonst den schönen Spruch: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.
Nichts gegen das Ungenierte, Freund, natürlich nicht. Ich bin, Sie wissen's schon, kein Anhänger des Gekünstelten. Das ehrliche Geraderaus dient mir als lauterer Weg, um fröhlich und nachdenklich aneckend durchs herrliche Leben zu stolpern. Aber in dem ruinierten Ruf liegt eben auch die ernsthafte Gefahr, dass uns über kurz oder lang der vernünftige Kompass komplett abhandenkommt.
Haben wir nichts mehr zu verlieren, geben wir, häufig genug, die Hoffnung auf ein tugendhaftes Leben auf. Bist du Strandgut, treiben dich eben die Wellen umher, wie es ihnen passt.
Wer absichtlich Fehler plant, der Sittsamkeit bewusst abscnwört, um falschen Beifall von der falschen Stelle zu erhaschen, macht sich der moralischen Obsoleszenz schuldig.
31. März
Sich verzeihliche Fehler erlauben: denn eine Nachlässigkeit ist zu Zeiten die größte Empfehlung der Talente. Der Neid übt einen niederträchtigen, frevelhaften Ostracismus aus. Dem ganz Vollkommnen wird er es zum Fehler anrechnen, daß es keine Fehler hat, und wird es als ganz vollkommen ganz verurtheilen. Er wird zum Argus, um am Vortrefflichen Makel zu suchen, wenn auch nur zum Trost. Der Tadel trifft, wie der Blitz, grade die höchsten Leistungen. Daher schlafe Homer bisweilen, und man affektire einige Nachlässigkeiten, sei es im Genie, sei es in der Tapferkeit, – jedoch nie in der Klugheit, – um das Mißwollen zu besänftigen, daß es nicht berste vor Gift. Man werfe gleichsam dem Stier des Neides den Mantel zu, die Unsterblichkeit zu retten.
Das klingt so, Freund, als sollten wir unsere Fehler planen, zumindest die verzeihlichen. Wer wo und wann verzeihen soll, lassen Sie dabei, weitgehend, bis auf die nicht-üble Beleumdung durch die notorischen Neidhammel, aus. Dass Ihre angeblich Perfekten einige Nachlässigkeiten affektieren, um den Argusaugen was zum Glotzen zu bieten, tönt wie eine frappante Anleitung zur schmucken Charakterschwäche: Sei ein kleiner Dummkopf, damit dich große Dummköpfe mittelmäßig finden.
Problematisch ist solch ein hanebüchnener Ratschlag, da wir uns, erstens, ratze fatze an die dilettantische Trottligkeit gewöhnen und da, zweitens, das Verzeihliche - was die Vorspielung schlechter Tatsachen so unentschuldbar macht -, da also das Verzeihliche durchaus als etwas Unverzeihliches aufgefasst werden könnte. Es gibt nicht umsonst den schönen Spruch: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.
Nichts gegen das Ungenierte, Freund, natürlich nicht. Ich bin, Sie wissen's schon, kein Anhänger des Gekünstelten. Das ehrliche Geraderaus dient mir als lauterer Weg, um fröhlich und nachdenklich aneckend durchs herrliche Leben zu stolpern. Aber in dem ruinierten Ruf liegt eben auch die ernsthafte Gefahr, dass uns über kurz oder lang der vernünftige Kompass komplett abhandenkommt.
Haben wir nichts mehr zu verlieren, geben wir, häufig genug, die Hoffnung auf ein tugendhaftes Leben auf. Bist du Strandgut, treiben dich eben die Wellen umher, wie es ihnen passt.
Wer absichtlich Fehler plant, der Sittsamkeit bewusst abscnwört, um falschen Beifall von der falschen Stelle zu erhaschen, macht sich der moralischen Obsoleszenz schuldig.
31. März
84.
Von den Feinden Nutzen ziehn. Man muß alle Sachen anzufassen verstehn, nicht bei der Schneide, wo sie verletzen, sondern beim Griff, wo sie beschützen; am meisten aber das Treiben der Widersacher. Dem Klugen nützen seine Feinde mehr, als dem Dummen seine Freunde. Das Mißwollen ebnet oft Berge von Schwierigkeiten, mit welchen es aufzunehmen die Gunst sich nicht getraute. Vielen haben ihre Größe ihre Feinde auferbaut. Gefährlicher als der Haß ist die Schmeichelei, weil diese die Flecken verhehlt, die jener auszulöschen arbeitet. Der Kluge macht aus dem Groll einen Spiegel, welcher treuer ist als der der Zuneigung, und beugt dann der Nachrede seiner Fehler vor, oder bessert sie. Denn die Behutsamkeit wird groß, wenn Nebenbuhlerei und Mißwollen die Grenznachbarn sind.
Mir ist gar seltsam, Freund, dass ich ausgerechnet heute, am All Fool's Day, auf den Teil des Orakels antworte, der den vorläufigen Namen für mein Projekt liefert: Über den Nutzen Deiner Feinde. Denn natürlich bin ich mir, von Zeit zu Zeit, wie ein Narr vorgekommen, dass ich, Ihnen antwortend, ungezwungen ins dunkle Nichts der Zukunft schreibe, die Vergangenheit locker im Blick. Will sagen: ich habe mich, schnell von außen geurteilt, mit den Korrespondenzen aus der Verankerung des Nachvollziehbaren gerissen, aber fühle mich, innen, in mir selbst, Ihnen, Pardon, wenn ich Sie so nenne, aber ich wähle die Anrede als Anerkennung, fühle mich Ihnen, mein Feind, ganz nahe. Seit meiner Kindheit bestehe ich darauf, viele Freundinnen und Freunde zu haben - nämlich Bücher, Schriften von Autorinnen und Autoren, die, in aller Regel, bereits tot sind, und verstehen Sie mich bitte richtig: ich bezeichne die Bücher als meine Freundinnen und Freunde, nicht die Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die ich, versteht sich, weder kenne noch kennenlernen werde und, um ehrlich zu sein, an sich auch nicht unbedingt treffen möchte; was uns aber vom Pfad der ergiebigen Feindschaft führt, auf dem's heute früh zu wandeln gilt.
Ein fruchtbarer Feind - und allein von denen ist in dieser Korrespondenz die Rede, die ertragsarmen Widersacher, die der Mehrheit angehören, interessieren mich deutlich weniger als die förderlichen -, ein fruchtbarer Feind sei ein verkappter Freund, der mich aufmerksam und fintenreich aus der falschen Deckung lockt.
Nun, als Antwort, auf Ihre herrlichen Sottissen, möchte ich mich an einen knappen Dekalog zur produktiven Abneigung wagen, einer Art von Zehn Gebote der Feindschaft:
1. Wer keine Feinde hat, hat keine Positionen, die das Leben lohnen.
2. Eine wertvolle Feindschaft ist Freundschaft auf allerhöchstem Niveau.
3. Wer von weichen Jasagern umgeben ist, vergisst die Fruchtbarkeit des scharfen Neins.
4. Echte Feinde halten uns wach, falsche Freunde ermüden uns.
5. Grundlegende Animositäten erregen die Gier, tiefer und ausführlicher zu denken.
6. Die besten Feinde sind gute Freunde, die man sich selbst als Sparringspartner wählt.
7. Das eigentliche Wesen, wenn man so will: die Wurzel der Feindschaft sei enttäuschte Liebe.
8. Hass gehöre nicht zur Feindschaft, sondern zur Dummheit.
9. Im Leben sei nichts einfacher, als keine vernünftigen Feinde zu haben.
10. Mit den ultimativen Feinden lohnte es sich am ehesten, Tisch oder Herd oder Bett zu teilen.
1. April
Von den Feinden Nutzen ziehn. Man muß alle Sachen anzufassen verstehn, nicht bei der Schneide, wo sie verletzen, sondern beim Griff, wo sie beschützen; am meisten aber das Treiben der Widersacher. Dem Klugen nützen seine Feinde mehr, als dem Dummen seine Freunde. Das Mißwollen ebnet oft Berge von Schwierigkeiten, mit welchen es aufzunehmen die Gunst sich nicht getraute. Vielen haben ihre Größe ihre Feinde auferbaut. Gefährlicher als der Haß ist die Schmeichelei, weil diese die Flecken verhehlt, die jener auszulöschen arbeitet. Der Kluge macht aus dem Groll einen Spiegel, welcher treuer ist als der der Zuneigung, und beugt dann der Nachrede seiner Fehler vor, oder bessert sie. Denn die Behutsamkeit wird groß, wenn Nebenbuhlerei und Mißwollen die Grenznachbarn sind.
Mir ist gar seltsam, Freund, dass ich ausgerechnet heute, am All Fool's Day, auf den Teil des Orakels antworte, der den vorläufigen Namen für mein Projekt liefert: Über den Nutzen Deiner Feinde. Denn natürlich bin ich mir, von Zeit zu Zeit, wie ein Narr vorgekommen, dass ich, Ihnen antwortend, ungezwungen ins dunkle Nichts der Zukunft schreibe, die Vergangenheit locker im Blick. Will sagen: ich habe mich, schnell von außen geurteilt, mit den Korrespondenzen aus der Verankerung des Nachvollziehbaren gerissen, aber fühle mich, innen, in mir selbst, Ihnen, Pardon, wenn ich Sie so nenne, aber ich wähle die Anrede als Anerkennung, fühle mich Ihnen, mein Feind, ganz nahe. Seit meiner Kindheit bestehe ich darauf, viele Freundinnen und Freunde zu haben - nämlich Bücher, Schriften von Autorinnen und Autoren, die, in aller Regel, bereits tot sind, und verstehen Sie mich bitte richtig: ich bezeichne die Bücher als meine Freundinnen und Freunde, nicht die Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die ich, versteht sich, weder kenne noch kennenlernen werde und, um ehrlich zu sein, an sich auch nicht unbedingt treffen möchte; was uns aber vom Pfad der ergiebigen Feindschaft führt, auf dem's heute früh zu wandeln gilt.
Ein fruchtbarer Feind - und allein von denen ist in dieser Korrespondenz die Rede, die ertragsarmen Widersacher, die der Mehrheit angehören, interessieren mich deutlich weniger als die förderlichen -, ein fruchtbarer Feind sei ein verkappter Freund, der mich aufmerksam und fintenreich aus der falschen Deckung lockt.
Nun, als Antwort, auf Ihre herrlichen Sottissen, möchte ich mich an einen knappen Dekalog zur produktiven Abneigung wagen, einer Art von Zehn Gebote der Feindschaft:
1. Wer keine Feinde hat, hat keine Positionen, die das Leben lohnen.
2. Eine wertvolle Feindschaft ist Freundschaft auf allerhöchstem Niveau.
3. Wer von weichen Jasagern umgeben ist, vergisst die Fruchtbarkeit des scharfen Neins.
4. Echte Feinde halten uns wach, falsche Freunde ermüden uns.
5. Grundlegende Animositäten erregen die Gier, tiefer und ausführlicher zu denken.
6. Die besten Feinde sind gute Freunde, die man sich selbst als Sparringspartner wählt.
7. Das eigentliche Wesen, wenn man so will: die Wurzel der Feindschaft sei enttäuschte Liebe.
8. Hass gehöre nicht zur Feindschaft, sondern zur Dummheit.
9. Im Leben sei nichts einfacher, als keine vernünftigen Feinde zu haben.
10. Mit den ultimativen Feinden lohnte es sich am ehesten, Tisch oder Herd oder Bett zu teilen.
1. April
85.
Nicht die Manille sehn. Es ist ein Gebrechen alles Vortrefflichen, daß sein vieler Gebrauch zum Mißbrauch wird. Grade das Streben Aller danach führt zuletzt dahin, daß es Allen zum Ekel wird. Zu nichts zu taugen, ist ein großes Unglück; ein noch größres aber zu Allem taugen zu wollen: solche Leute verlieren durch zu vieles Gewinnen, und werden zuletzt Allen so sehr zum Abscheu, als sie anfangs begehrt waren. Diese Manillen nutzen die Vollkommenheiten jeder Art an sich ab: und nachdem sie aufgehört haben als selten geschätzt zu werden, werden sie als gemein verachtet. Das einzige Mittel gegen ein solches Extrem ist, daß man im Glänzen ein Maaß beobachte: das Uebermäßige sei in der Vollkommenheit selbst; im Zeigen derselben aber sei Mäßigung. Je mehr eine Fackel leuchtet, desto mehr verzehrt sie sich und verkürzt ihre Dauer. Kargheit im Sichzeigen erhält erhöhte Wertschätzung zum Lohn.
Zunächst, Freund, sei angemerkt, dass es sich bei Manille um ein Kartenspiel handelt, bei dem, gemeinhin, jedenfalls in Ihrem Landstrich, die Neun als oberste Trumpfkarte galt. Ein Stichspiel, das Ihnen als Hauptvergleich fürs Vortreffliche dient, ist stets eine Form von Kampf, ein, wenn Sie so wollen, Hauen und Stechen am Grünen Tisch. Und wie bei jedem Kartenspiel entscheidet das Glück, welche Karten wir als Spieler in der Hand haben, um in die simulierte Schlacht zu ziehen. Bleibt die Frage der Strategie: wann und wie soll man seine Manille, die alle anderen Werte absticht, einsetzen? Gleich? Später? Am Ende? Und, wohl eine Frage des Charakters, lässt man durchblicken, dass man die Trumpfkarte hält? Müssen wir, eine Frage der Regeln, es möglicherweise gleich verlauten lassen? Oder dürfen die Zufallsfrohen die Manille in der HInterhand behalten, um, bei einer günstigen Gelegenheit, eine ordentliche Zahl an Karten überfallartig und heiter glucksend zu erbeuten?
Ich frage mich, worauf sich die von Ihnen hauptsächlich als Abscheulichkeit dargestellte Vortrefflchkeit bezieht: Auf die Repräsentation geerbter Macht? Auf die Zurschaustellung intellektueller Überlegenheit, die alles vermeintlich Andersgedachte besserwisserisch abkanzelt? Oder nimmt sie auf eine arbiträre theologische Gewissheit Bezug, die den Nicht-Eingeweihten oder den in der Kirchenhierarchie unten Angesiedelten um die Glaubensohren gehauen wird, dass ihnen schnell und auf alle Zeiten klar wird, wie klein, wie dumm, wie nichtig sie im Vergleich mit den erleuchteten Wahrheitseinsackern doch sind?
Um das Mitgefühl als Basis der Vortrefflichkeit dürfte es wohl eher nicht gegangen sein. Oder um die Großzügigkeit. Oder um die Liebe. Die Vortrefflichkeit, von der im Abschnitt gesprochen wird, ist eher eine materialistische, eine, wie wir heutzutage sagten, neoliberale.
Das Austeilen hat sui generis wenig mit dem Teilen zu tun, auch wenn die Zumesser etwas anderes behaupten. Echte Vortrefflichkeit, schimpfen Sie mich ruhig einen Idealisten, liegt in der gleichmäßigen Teilhabe am Lebenskuchen. Kinder, die durchaus gierig sind, wissen das, müssen sie ein Tortenstück aufteilen. Jenes Kind, das mit einem Messer das Stück in zwei Hälften zu zerschneiden hat, wird, wenn es nicht zuerst auswählen darf, tunlichst darauf achten, gleich große Stücke zu schaffen. Ausnahmefälle, die sich um die Hingabe oder das Nichthabenwollen drehen, lassen wir bei diesem Experiment in Sachen Vortrefflichkeit außen vor.
Die Gier ist ein Dämon, der in uns wohnt, in allen, auf immer und ewig, zumindest als Überlebensinstinkt. Welche Art von WG wir mit ihr gründen, entscheidet über den Raum, den uns die Welt gewährt.
Das Brillante wird zum Tugendhaften, sobald es, gesellschaftlich, die richtigen Anreize gibt. Ohne Regeln regiert die Anarchie. Das Recht der Stärkeren sei Unrecht, das Blutvergießen provoziert.
Vortrefflichkeit hat nichts dagen, ins Hintertreffen zu gelangen, wenn es dem Glücke Aller dient.
2. April
Nicht die Manille sehn. Es ist ein Gebrechen alles Vortrefflichen, daß sein vieler Gebrauch zum Mißbrauch wird. Grade das Streben Aller danach führt zuletzt dahin, daß es Allen zum Ekel wird. Zu nichts zu taugen, ist ein großes Unglück; ein noch größres aber zu Allem taugen zu wollen: solche Leute verlieren durch zu vieles Gewinnen, und werden zuletzt Allen so sehr zum Abscheu, als sie anfangs begehrt waren. Diese Manillen nutzen die Vollkommenheiten jeder Art an sich ab: und nachdem sie aufgehört haben als selten geschätzt zu werden, werden sie als gemein verachtet. Das einzige Mittel gegen ein solches Extrem ist, daß man im Glänzen ein Maaß beobachte: das Uebermäßige sei in der Vollkommenheit selbst; im Zeigen derselben aber sei Mäßigung. Je mehr eine Fackel leuchtet, desto mehr verzehrt sie sich und verkürzt ihre Dauer. Kargheit im Sichzeigen erhält erhöhte Wertschätzung zum Lohn.
Zunächst, Freund, sei angemerkt, dass es sich bei Manille um ein Kartenspiel handelt, bei dem, gemeinhin, jedenfalls in Ihrem Landstrich, die Neun als oberste Trumpfkarte galt. Ein Stichspiel, das Ihnen als Hauptvergleich fürs Vortreffliche dient, ist stets eine Form von Kampf, ein, wenn Sie so wollen, Hauen und Stechen am Grünen Tisch. Und wie bei jedem Kartenspiel entscheidet das Glück, welche Karten wir als Spieler in der Hand haben, um in die simulierte Schlacht zu ziehen. Bleibt die Frage der Strategie: wann und wie soll man seine Manille, die alle anderen Werte absticht, einsetzen? Gleich? Später? Am Ende? Und, wohl eine Frage des Charakters, lässt man durchblicken, dass man die Trumpfkarte hält? Müssen wir, eine Frage der Regeln, es möglicherweise gleich verlauten lassen? Oder dürfen die Zufallsfrohen die Manille in der HInterhand behalten, um, bei einer günstigen Gelegenheit, eine ordentliche Zahl an Karten überfallartig und heiter glucksend zu erbeuten?
Ich frage mich, worauf sich die von Ihnen hauptsächlich als Abscheulichkeit dargestellte Vortrefflchkeit bezieht: Auf die Repräsentation geerbter Macht? Auf die Zurschaustellung intellektueller Überlegenheit, die alles vermeintlich Andersgedachte besserwisserisch abkanzelt? Oder nimmt sie auf eine arbiträre theologische Gewissheit Bezug, die den Nicht-Eingeweihten oder den in der Kirchenhierarchie unten Angesiedelten um die Glaubensohren gehauen wird, dass ihnen schnell und auf alle Zeiten klar wird, wie klein, wie dumm, wie nichtig sie im Vergleich mit den erleuchteten Wahrheitseinsackern doch sind?
Um das Mitgefühl als Basis der Vortrefflichkeit dürfte es wohl eher nicht gegangen sein. Oder um die Großzügigkeit. Oder um die Liebe. Die Vortrefflichkeit, von der im Abschnitt gesprochen wird, ist eher eine materialistische, eine, wie wir heutzutage sagten, neoliberale.
Das Austeilen hat sui generis wenig mit dem Teilen zu tun, auch wenn die Zumesser etwas anderes behaupten. Echte Vortrefflichkeit, schimpfen Sie mich ruhig einen Idealisten, liegt in der gleichmäßigen Teilhabe am Lebenskuchen. Kinder, die durchaus gierig sind, wissen das, müssen sie ein Tortenstück aufteilen. Jenes Kind, das mit einem Messer das Stück in zwei Hälften zu zerschneiden hat, wird, wenn es nicht zuerst auswählen darf, tunlichst darauf achten, gleich große Stücke zu schaffen. Ausnahmefälle, die sich um die Hingabe oder das Nichthabenwollen drehen, lassen wir bei diesem Experiment in Sachen Vortrefflichkeit außen vor.
Die Gier ist ein Dämon, der in uns wohnt, in allen, auf immer und ewig, zumindest als Überlebensinstinkt. Welche Art von WG wir mit ihr gründen, entscheidet über den Raum, den uns die Welt gewährt.
Das Brillante wird zum Tugendhaften, sobald es, gesellschaftlich, die richtigen Anreize gibt. Ohne Regeln regiert die Anarchie. Das Recht der Stärkeren sei Unrecht, das Blutvergießen provoziert.
Vortrefflichkeit hat nichts dagen, ins Hintertreffen zu gelangen, wenn es dem Glücke Aller dient.
2. April
86.
Uebler Nachrede vorbeugen. Der große Haufen hat viele Köpfe, und folglich viele Augen zur Mißgunst und viele Zungen zur Verunglimpfung. Geschieht es, daß unter ihm irgend eine üble Nachrede in Umlauf kommt; so kann das größte Ansehn darunter leiden: wird solche gar zu einem gemeinen Spitznamen; so kann sie die Ehre untergraben. Den Anlaß giebt meistens irgend ein hervorstechender Uebelstand, ein lächerlicher Fehler, wie denn dergleichen der passendeste Stoff zum Geschwätz ist. Oft aber auch ist es die Tücke Einzelner, welche der allgemeinen Bosheit Verunglimpfungen zuführt. Denn es giebt Lästermäuler, und diese richten einen großen Ruf schneller durch ein Witzwort, als durch einen offen hingeworfenen, frechen Vorwurf zu Grunde. Man kommt gar leicht in schlechten Ruf, weil das Schlechte sehr glaublich ist; sich rein zu waschen, hält aber schwer. Der kluge Mann vermeide also solche Unfälle und stelle der Unverschämtheit des gemeinen Haufens seine Wachsamkeit entgegen: denn leichter ist das Verhüten als die Abhülfe.
Ums salopp zu sagen: das Verhüten sei eine Kunst, die wenige auf elegante, die Zufriedenheit mehrende Art beherrschen. Die Lust am, buchstäblichen, Fortpflanzen übler Geschichten liegt in uns, drängt jedwede Nettigkeit in die luftdicht verschlossene Morgue. Wir horchen auf, wenn der Postbote den Hund beißt - oder gebissen haben soll. Denn auch das schwelt in uns: der Zweifel am Gesagten, das Misstrauen am Hörensagen. Nur Deppen nehmen alles für bare Münze, was ihnen von anderen über jenen oder diesen zugetragen wird. Warum sollten wir also annehmen, dass alles Schlechte an uns haftenbleibt? Dass jeder Schmarrn für möglich gehalten wird? Sagt die Naivität des Angst-vor-Unfug-Habens nicht etwas Unangenehmes, etwas wenig Schmeichelhaftes über uns aus?
Wer sich zu sehr um den eigenen Ruf schert, begibt sich in die Hände der Meineidheuchler. Freiheit liegt in der Handlung, nicht in der Behandlung, die aus ihr, möglicherweise, erwächst.
Wer nach Gemeinheiten sucht, macht sich gemein und wird, über kurz oder lang, tatsächlich fündig. Jede gute Tat gabelt einen Winkeladvokaten auf, der so oft an ihr rüttelt, bis sie vernehmlich knurrt.
Sind wir unermüdlich gut, schläft die Bösheit der anderen irgendwann ein.
3. April
Uebler Nachrede vorbeugen. Der große Haufen hat viele Köpfe, und folglich viele Augen zur Mißgunst und viele Zungen zur Verunglimpfung. Geschieht es, daß unter ihm irgend eine üble Nachrede in Umlauf kommt; so kann das größte Ansehn darunter leiden: wird solche gar zu einem gemeinen Spitznamen; so kann sie die Ehre untergraben. Den Anlaß giebt meistens irgend ein hervorstechender Uebelstand, ein lächerlicher Fehler, wie denn dergleichen der passendeste Stoff zum Geschwätz ist. Oft aber auch ist es die Tücke Einzelner, welche der allgemeinen Bosheit Verunglimpfungen zuführt. Denn es giebt Lästermäuler, und diese richten einen großen Ruf schneller durch ein Witzwort, als durch einen offen hingeworfenen, frechen Vorwurf zu Grunde. Man kommt gar leicht in schlechten Ruf, weil das Schlechte sehr glaublich ist; sich rein zu waschen, hält aber schwer. Der kluge Mann vermeide also solche Unfälle und stelle der Unverschämtheit des gemeinen Haufens seine Wachsamkeit entgegen: denn leichter ist das Verhüten als die Abhülfe.
Ums salopp zu sagen: das Verhüten sei eine Kunst, die wenige auf elegante, die Zufriedenheit mehrende Art beherrschen. Die Lust am, buchstäblichen, Fortpflanzen übler Geschichten liegt in uns, drängt jedwede Nettigkeit in die luftdicht verschlossene Morgue. Wir horchen auf, wenn der Postbote den Hund beißt - oder gebissen haben soll. Denn auch das schwelt in uns: der Zweifel am Gesagten, das Misstrauen am Hörensagen. Nur Deppen nehmen alles für bare Münze, was ihnen von anderen über jenen oder diesen zugetragen wird. Warum sollten wir also annehmen, dass alles Schlechte an uns haftenbleibt? Dass jeder Schmarrn für möglich gehalten wird? Sagt die Naivität des Angst-vor-Unfug-Habens nicht etwas Unangenehmes, etwas wenig Schmeichelhaftes über uns aus?
Wer sich zu sehr um den eigenen Ruf schert, begibt sich in die Hände der Meineidheuchler. Freiheit liegt in der Handlung, nicht in der Behandlung, die aus ihr, möglicherweise, erwächst.
Wer nach Gemeinheiten sucht, macht sich gemein und wird, über kurz oder lang, tatsächlich fündig. Jede gute Tat gabelt einen Winkeladvokaten auf, der so oft an ihr rüttelt, bis sie vernehmlich knurrt.
Sind wir unermüdlich gut, schläft die Bösheit der anderen irgendwann ein.
3. April
87.
Bildung und Eleganz. Der Mensch wird als ein Barbar geboren und nur die Bildung befreit ihn von der Bestialität. Die Bildung macht den Mann, und um so mehr, je höher sie ist. Kraft derselben durfte Griechenland die ganze übrige Welt Barbaren heißen. Die Unwissenheit ist sehr roh: nichts bildet mehr als Wissen. Jedoch das Wissen selbst ist ungeschlacht, wenn es ohne Eleganz ist. Nicht allein unsre Kenntnisse müssen elegant seyn, sondern auch unser Wollen und zumal unser Reden. Es giebt Leute von natürlicher Eleganz, von innerer und äußerer Zierlichkeit, im Denken, im Reden, im Putz des Leibes, welcher der Rinde zu vergleichen ist, wie die Talente des Geistes der Frucht. Andre dagegen sind so ungehobelt, daß Alles was ihr ist, ja zuweilen ausgezeichnete Trefflichkeiten, eine unerträgliche, barbarische Ungeschlachtheit verunstaltet.
Der ehernen Dichotomien, Freund, bedienen sich die manischen Einordner, welche ich Schubladendenker nennen will, stets und zuverlässig: Alles ist entweder schwarz oder weiß. Dazwischen gibt's, auch wenn die aufgeklärteren unter den Einordnern explizit das Gegenteil behaupten, das Farbenspektrum lauthals und scheinbar tolerant und großzügig grinsend bei jeder Benefizveranstaltung im Munde führen, sich seiner Vielschichtigkeit als Lebensideal rühmen, gar ärgerlich und wütend werden, sobald man sie auf ihre ideologische Blindheit aufmerksam macht, dazwischen gibt's für die Ladenhüter an sich nichts.
Das Barbarische und die Bildung ist solch eine kraftvolle, das Sein in eine Rangordnung pressende Polarität. In der Mengenlehre der kategorischen Denker ist die Bildung kein vielschichtiger und offener Wert, sondern ein geschlossener Raum, dessen Schlüssel man in der eigenen Tasche hat oder nicht aus der Hand gibt, ein Raum, den man Besuchern zwar öffnet, der den Fremden aber, da sie nicht an diesem Ort geboren worden sind, auf alle Zeiten als Geste des guten Geistes, des heiligen Geistes, auch das, als Geste des per se überlegenen Wissens gezeigt und höchstens kurzfristig, unter Aufsicht, als anbetungswürdige Kultstätte überlassen wird. Eleganz heißt hier Dominanz.
Für Sie, Freund, und Ihresgleichen haben die sogenannten Barbaren schlichtweg keine nennenswerte Kultur. Ihre vorgebliche Primitivität - oftmals eine Kultur der Nachhaltigkeit, wobei ich nicht in den naiven Fehler verfallen will, indigine Kulturen zu verherrlichen; es gibt der Irrtümer und Vorurteile überall viele; sobald Menschen sich Regeln setzen, setzt die Machtgier ein -, die vorgebliche Primitivität der Barbaren hat mit unserer eindimensionalen und kolonialen Betrachtungsweise zu tun.
Als Beispiel sei nur angefügt, dass es sich beim antiken Griechenland, das Sie berechtigterweise als Hochkultur bewundern, eben auch um eine brutale Sklavenhaltergesellschaft gehandelt hat.
Das Denken ist uns allen als Sinn gegeben, wie das Riechen oder Schmecken. Das Denken, schreibt der Bonner Philosoph Markus Gabriel, sei etwas Wirkliches, es finde wirklich statt. Es ist keine fakultative Eigenschaft. Das Denken sei eine Konstante, die uns verbindet. Alle Tiere, möchte ich anfügen, besitzen diesen Sinn - wie er ausgeprägt ist, sei eine andere Frage. Dagegen hat das Wissen transitorischen Charakter. Es bleibt sich allein in der Untreue treu. Echtes Wissen erklärt regelmäßig seine Satisfaktionsunfähigkeit. Da sich die Erkenntnisse ändern, ändert sich auch das Wissen.
Bildung sei ein Wunsch, eine stete Wunde, kein Kanon, keine exakt dosierte Medizin.
4. April
Bildung und Eleganz. Der Mensch wird als ein Barbar geboren und nur die Bildung befreit ihn von der Bestialität. Die Bildung macht den Mann, und um so mehr, je höher sie ist. Kraft derselben durfte Griechenland die ganze übrige Welt Barbaren heißen. Die Unwissenheit ist sehr roh: nichts bildet mehr als Wissen. Jedoch das Wissen selbst ist ungeschlacht, wenn es ohne Eleganz ist. Nicht allein unsre Kenntnisse müssen elegant seyn, sondern auch unser Wollen und zumal unser Reden. Es giebt Leute von natürlicher Eleganz, von innerer und äußerer Zierlichkeit, im Denken, im Reden, im Putz des Leibes, welcher der Rinde zu vergleichen ist, wie die Talente des Geistes der Frucht. Andre dagegen sind so ungehobelt, daß Alles was ihr ist, ja zuweilen ausgezeichnete Trefflichkeiten, eine unerträgliche, barbarische Ungeschlachtheit verunstaltet.
Der ehernen Dichotomien, Freund, bedienen sich die manischen Einordner, welche ich Schubladendenker nennen will, stets und zuverlässig: Alles ist entweder schwarz oder weiß. Dazwischen gibt's, auch wenn die aufgeklärteren unter den Einordnern explizit das Gegenteil behaupten, das Farbenspektrum lauthals und scheinbar tolerant und großzügig grinsend bei jeder Benefizveranstaltung im Munde führen, sich seiner Vielschichtigkeit als Lebensideal rühmen, gar ärgerlich und wütend werden, sobald man sie auf ihre ideologische Blindheit aufmerksam macht, dazwischen gibt's für die Ladenhüter an sich nichts.
Das Barbarische und die Bildung ist solch eine kraftvolle, das Sein in eine Rangordnung pressende Polarität. In der Mengenlehre der kategorischen Denker ist die Bildung kein vielschichtiger und offener Wert, sondern ein geschlossener Raum, dessen Schlüssel man in der eigenen Tasche hat oder nicht aus der Hand gibt, ein Raum, den man Besuchern zwar öffnet, der den Fremden aber, da sie nicht an diesem Ort geboren worden sind, auf alle Zeiten als Geste des guten Geistes, des heiligen Geistes, auch das, als Geste des per se überlegenen Wissens gezeigt und höchstens kurzfristig, unter Aufsicht, als anbetungswürdige Kultstätte überlassen wird. Eleganz heißt hier Dominanz.
Für Sie, Freund, und Ihresgleichen haben die sogenannten Barbaren schlichtweg keine nennenswerte Kultur. Ihre vorgebliche Primitivität - oftmals eine Kultur der Nachhaltigkeit, wobei ich nicht in den naiven Fehler verfallen will, indigine Kulturen zu verherrlichen; es gibt der Irrtümer und Vorurteile überall viele; sobald Menschen sich Regeln setzen, setzt die Machtgier ein -, die vorgebliche Primitivität der Barbaren hat mit unserer eindimensionalen und kolonialen Betrachtungsweise zu tun.
Als Beispiel sei nur angefügt, dass es sich beim antiken Griechenland, das Sie berechtigterweise als Hochkultur bewundern, eben auch um eine brutale Sklavenhaltergesellschaft gehandelt hat.
Das Denken ist uns allen als Sinn gegeben, wie das Riechen oder Schmecken. Das Denken, schreibt der Bonner Philosoph Markus Gabriel, sei etwas Wirkliches, es finde wirklich statt. Es ist keine fakultative Eigenschaft. Das Denken sei eine Konstante, die uns verbindet. Alle Tiere, möchte ich anfügen, besitzen diesen Sinn - wie er ausgeprägt ist, sei eine andere Frage. Dagegen hat das Wissen transitorischen Charakter. Es bleibt sich allein in der Untreue treu. Echtes Wissen erklärt regelmäßig seine Satisfaktionsunfähigkeit. Da sich die Erkenntnisse ändern, ändert sich auch das Wissen.
Bildung sei ein Wunsch, eine stete Wunde, kein Kanon, keine exakt dosierte Medizin.
4. April
88.
Das Betragen sei großartig, Erhabenheit anstrebend. Der große Mann darf nicht kleinlich in seinem Verfahren seyn. Nie muß man in den Angelegenheiten zu sehr ins Einzelne gehn, am wenigsten wenn sie verdrießlicher Art sind: denn obschon es ein Vortheil ist, Alles gelegentlich zu bemerken, so ist es doch keiner, Alles absichtlich untersuchen zu wollen. Gewöhnlich gehe man mit einer edlen Allgemeinheit zu Werke, die zum vornehmen Anstand gehört. Bei der Lenkung Andrer ist eine Hauptsache das Nicht-sehn-wollen. Die meisten Dinge muß man unbeachtet hingehn lassen, zwischen Verwandten, Freunden und zumal zwischen Feinden. Alles Uebermaaß ist widerlich, und am meisten bei verdrießlichen Dingen. Das abermals und immer wieder auf einen Verdruß Zurückkommen ist eine Art Verrücktheit. Das Betragen eines Jeden wird gemeiniglich ausfallen, nachdem sein Herz und sein Verstand ist.
Während des Verfassens der letzten Korrespondenzen, Freund, habe ich oft über meinen Elan nachgedacht, mit dem ich, hin und wieder, in die intellektuelle Muckibude einfalle, um mich auf Prämisse komm raus zu prügeln. Zwar habe ich während der Schlägerei das Glück und die Weisheit im Sinn, aber dreschen bleibt dreschen. Auch wenn man Argumente als linke Haken benutzt. Wär's nicht, so ging's mir erneut durch den Kopf, wär's nicht vielleicht mal ganz schön, tatsächlich Fünfe gerade sein zu lassen? Nicht jedes Wort verlangt Widerspruch. Nicht jeder Satz, den Sie auf die Rennbahn schicken, soll durchs Ziel kommen. Nicht jede Suade ist ernst gemeint - oder wenigstens nicht so bitterböse, dass ich sie stirnrunzelnd vivisezieren müsste.
Also: ich stimme Ihnen vollherzig zu, dass es sich nicht lohnt, das Spießiggehässige auf immer und ewig im Gedächtnis zu behalten.
Großzügig mit den eigenen Fehlern umzugehen, sei bereits ein Fortschritt. Besser sei's noch, die Nichtigkeiten der anderen geschwind ad acta zu legen. Wer viel Gift schluckt, darf sich nicht wundern, wenn alsbald eine heftige Kontamination festgestellt wird.
Die üble Nachrede bedarf seltenst der Antwort, und müssen wir ihr trotzdem öffentlich entgegnen, weil der Druck zu arg wird, Dreck und Gestank an uns kleben bleiben, wirkt lebendige Ironie zumeist besser als fossile Sturheit.
5. April
Das Betragen sei großartig, Erhabenheit anstrebend. Der große Mann darf nicht kleinlich in seinem Verfahren seyn. Nie muß man in den Angelegenheiten zu sehr ins Einzelne gehn, am wenigsten wenn sie verdrießlicher Art sind: denn obschon es ein Vortheil ist, Alles gelegentlich zu bemerken, so ist es doch keiner, Alles absichtlich untersuchen zu wollen. Gewöhnlich gehe man mit einer edlen Allgemeinheit zu Werke, die zum vornehmen Anstand gehört. Bei der Lenkung Andrer ist eine Hauptsache das Nicht-sehn-wollen. Die meisten Dinge muß man unbeachtet hingehn lassen, zwischen Verwandten, Freunden und zumal zwischen Feinden. Alles Uebermaaß ist widerlich, und am meisten bei verdrießlichen Dingen. Das abermals und immer wieder auf einen Verdruß Zurückkommen ist eine Art Verrücktheit. Das Betragen eines Jeden wird gemeiniglich ausfallen, nachdem sein Herz und sein Verstand ist.
Während des Verfassens der letzten Korrespondenzen, Freund, habe ich oft über meinen Elan nachgedacht, mit dem ich, hin und wieder, in die intellektuelle Muckibude einfalle, um mich auf Prämisse komm raus zu prügeln. Zwar habe ich während der Schlägerei das Glück und die Weisheit im Sinn, aber dreschen bleibt dreschen. Auch wenn man Argumente als linke Haken benutzt. Wär's nicht, so ging's mir erneut durch den Kopf, wär's nicht vielleicht mal ganz schön, tatsächlich Fünfe gerade sein zu lassen? Nicht jedes Wort verlangt Widerspruch. Nicht jeder Satz, den Sie auf die Rennbahn schicken, soll durchs Ziel kommen. Nicht jede Suade ist ernst gemeint - oder wenigstens nicht so bitterböse, dass ich sie stirnrunzelnd vivisezieren müsste.
Also: ich stimme Ihnen vollherzig zu, dass es sich nicht lohnt, das Spießiggehässige auf immer und ewig im Gedächtnis zu behalten.
Großzügig mit den eigenen Fehlern umzugehen, sei bereits ein Fortschritt. Besser sei's noch, die Nichtigkeiten der anderen geschwind ad acta zu legen. Wer viel Gift schluckt, darf sich nicht wundern, wenn alsbald eine heftige Kontamination festgestellt wird.
Die üble Nachrede bedarf seltenst der Antwort, und müssen wir ihr trotzdem öffentlich entgegnen, weil der Druck zu arg wird, Dreck und Gestank an uns kleben bleiben, wirkt lebendige Ironie zumeist besser als fossile Sturheit.
5. April
89.
Kenntniß seiner selbst, an Sinnesart, an Geist, an Urtheil, an Neigungen. Keiner kann Herr über sich seyn, wenn er sich nicht zuvor begriffen hat. Spiegel giebt es für das Antlitz, aber keine für die Seele: daher sei ein solcher das verständige Nachdenken über sich: allenfalls vergesse man sein äußeres Bild, aber erhalte sich das innere gegenwärtig, um es zu verbessern, zu vervollkommnen: man lerne die Kräfte seines Verstandes und seine Feinheit zu Unternehmungen kennen: man untersuche seine Tapferkeit, zum Einlassen in Händel: man ergründe seine ganze Tiefe und wäge seine sämmtlichen Fähigkeiten, zu Allem.
Fraglos ist das Unbeherrschtsein, ergo: die Begriffsstutzigkeit, die Unkenntnis über uns selbst, Freund, in etlichen Situationen unangebracht, gar für alle Beteiligten eine Bürde. Und doch blitzen Schreck- oder Lustsekunden auf, in denen wir, wie's so treffend heißt, über uns hinauswachsen. Wir übertrumpfen die Erwartungen, die sowohl andere als auch, was wichtiger ist, wir an uns selbst gehegt haben. Trauten wir allein dem verständigen Nachdenken, das jenes Bild in uns geformt hat, von dem Sie lobend sprechen, wären wir in solchen unergründlichen, nicht planbaren Situationen weniger beweglich, verließen uns auf ein begrenztes, oft gehörtes, manierlich eingeübtes Reportoire, anstatt den Neutönern Luft und Spielraum und innovative Regelverstöße zu gewähren.
Zwar existieren Menschenbilder, aber der Mensch sei kein Bild. Den Rahmen zu sprengen, der uns umfängt, gelingt bloß, wenn wir uns selbst die Freiheit dafür einräumen. Wird die Einfassung von außen zerstört, suchen sich die meisten von uns sofort freiwillig ein neues Gerüst, das dem alten ähnelt.
Jedes System hat ein maßgebliches Problem: es handelt sich bei ihm um ein System. Nicht um die Wirklichkeit.
5. April