Ende Sechs
Februar
Die Lage
Mut verlangte Kraft, die auf der Flucht nicht von Dauer war.
*
Was hoffnungsvoll ist, hat Auswirkungen, die dem Niedergeschlagenen auf immer fremd sein dürften.
*
Der TÜV ging tadellos durch. Eigentlich eine Überraschung. Sie hatten nichts mehr reingesteckt, nur noch Hoffnung, davon aber reichlich. Eya meinte: zu viel für einen ärmlichen Haufen wie uns, dem die Hoffnung heilig sein sollte, da nichts anderes blieb. Der Glaube sei stärker als die Wahrheit, sagte sie, ob uns das nicht endlich klar sein würde? Ob wir daraus keine Konsequenzen ziehen wollten? Aber das war wiederum keine Überraschung, Eyas Schwarzseherei. Ging es an die Lagebesprechung, und sie trafen sich jeden Dienstag im Hinterzimmer des Clubs, der dem Lodenladenbesitzer irgendwie gehörte, über drei Ecken, hieß es, jeden Dienstag gab's dieselbe Leya, wie Arrant immer raunte, sobald Eya zum ramshackle Fuck-you-Guys-all-of-you-Rundumschlag ausholte, ging es also an die Lagebesprechung, stieg zunächst mal dunkler Rauch aus ihrem perfekten Mund, sie hatte Zähne wie Gold, fette Schwaden traten aus, das Zimmer stank wie Kiffe, bevor, was meistens nach einer halben Stunde passierte, das Stinken und Rond, um zum Punkt zu kommen, bevor Rond, der verspätet durch die Tür stolperte, eine Runde noch viel Grelles schmiss. Dann lächelte Eya, steckte den Taktstock weg, den sie, allen Ernstes, die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, Rond hatte bei ihr Narrenfreiheit, immer schon gehabt, und sagte: Grelles, wie geil, du fieses Miststück, Ro, auf dich ist echt Verlass, anders als die Waschlappen hier. Rond rappelte sich grinsend zusammen, machte seine dünnste Jaggerlippe und sagte zuckersüß: der beste Stoff seit langem, Eyadarling. Wir nickten, tauchten unsere nassen Finger ins Pulver und relaxten, beinahe.
*
Im Unbegrenzten sei der Mensch Mensch, sagte Rond.
Eya sagte nichts. Sie drehte sich eine neue.
Arrant sagte, Unsinn, Ro, im Begrenzten, der Sicherheit des Abgegrenzten, sei der Mensch Mensch.
Kapitalistensprech, sagte Rond und rieb den Zeigefinger und den Daumen seiner rechten Hand. Ob`s dir gefällt oder nicht, du argumentierst wie alle anderen, die im Individuum den Konsumenten sehen, der innerhalb bestimmter Grenzen gehalten werden muss, um der Kauf-Mode der jeweiligen Gesellschaft nicht zu entkommen. Sie machen, was ist, obligatorisch, in einem engen Rahmen. Du merkst gar nicht, dass sie dich einsperren, damit du zackig arbeitest und zackig kaufst. Der Profit aus deiner Arbeit geht direkt auf das Konto weniger, und dann konsumierst du auch noch das, was sie dir vorschreiben. Dein Leben ist der letzter Schrei, Arrant, damit du keine Luft in der Röhre zum Widerstand hast.
*
Eine Besprechung, im wahrsten Sinne des Wortes. Weder, per se, gut noch schlecht gemeint. Als gäbe es etwas zu heilen oder ein Publikum. Eine Ausgangssituation, die für einige von uns auf das selbe hinausläuft. Was sei, sei der Klang, der trägt, sagten die anderen, die es genauer nahmen, auf der semantischen Ebene versiert waren und es uns wissen ließen. Sie ratterten vor Einordnungs- und Zerteilungskriterien. Die angehnehmsten unter ihnen waren be-, die unangenehmsten entgeistert. Warum? Der Zerfaserung wegen. Alles schien zugleich Kern und Rand zu sein. An der Mitte mangelte es. Am Moderaten, am Aufgeklärten, an der Liebe, die nicht auf ihrem Durchfahrtrecht beharre. Dem Dazwischen sei die Substanz ausgegangen, erläuterten die Teilnehmerinnen der Fachtagung, als die Teilnehmer alle aufs Podium wollten. Kein Mann wollte im Publikum sitzen. Es wäre zum brüllen gewesen, hätten nicht bereits alle gebrüllt. Und wieder ging es um den Klang. Einige der Schreihälse hörten serielle Musik, andere Schlager. Die Mischung veranlasste die Teilnehmerinnen, die Tür zu schlie0en, die, beinahe, schalldicht war. Es passe in unsere Zeit, sagte eine, dass die Concorde zurückkäme. Und Überschallraketen, die Marschflugkörper schultern und in die Herzen unserer Städte tragen könnten.
*
Auf den Schreck tranken sie. Träge Gläser, rostbraun, gefüllt mit Prozenten. Sie rechneten zusammen: zu dritt mal dreiundreißig. Glücksnummer. Mehr gäb's eh nie. Seien wir ehrlich. Und dann? Krug ging zur Quelle. Hahn sah in den Fernseher. Beine traten sich. Wo ist der Ball?, fragte Krug. Spielen ohne, sagte Hahn, hinter Lidern, die an Muskelschwäche litten. Man konnte sich unter gar keinen Umständen sicher sein, ob Hahn auf der Höhe der Zeit war. Das mochten die drei. Sie hielten die Unvernunft aus, da ihnen Hahn die Stammtischbank freihielt. Zusammengeschrieben, sagte Krug. Hahn wusste, was er meinte. Füllte drei Gläser, mühelos, elegant und sagte: freihielt. Das war die Situation. Auf dem Schirm wurden zwei Bahren Richtung Spielfeld getragen. Die Menge in der Försterei sang Lieder, die in den Dezember gehörten. Stimmen von überall. Wir stießen an.
*
Nur zu sparen, komme dem Verschleudern am nächsten.
*
Rond war, beinahe über Nacht, gewachsen. Er war an Arrant, dem Größten der Gruppe, vorbeigeschossen. Arrant schmeckte das nicht, aber Plateuschuhe, die South ins Spiel gebracht hatte, Cool, Alter, hochoch, platod, Alter, higherstand?, kamen für ihn dennoch nicht infrage. Hochnotpeinlich hätte Arrant die Nachhilfe gefunden, und er wusste, dass Eya eh keinen Wert auf körperliche Größenunterschiede legte. Birne, nicht Eier, sagte sie immer, wenn sich Gral, ihre jüngere Schwester, und Me-yur, ihre ältere, über The Hamsters unterhielten, eine Gruppe junger Typen, die neben dem T-Shirt-Laden am Weinbergpark abhingen und den halben Tag ihre Skateboardrollen ölten und Sneaker verhökerten. Gegenüber ist die Bücherei, da findet ihr Material, süße Algebra, Rechenkünstler, total erregend, das Großeeinmaleins, sagte Gral, die ihre Schwester perfekt nachahmen konnte, und Me-your ergänzte: Deathnitiv Zweimalkeins! Eya lachte und drehte sich einen Joint, der wenig später die Runde machte. Geiles Zeugs, sagte Arrant, der auf Stinkens Luftmatratze lag und in einem Katalog für Bodybuilder blätterte.
*
Jede Lüge hinterlässt eine Duftnote, die haftenbleibt.
*
Der Anspruch, warum räumt denn da niemand mal richtig auf, funktioniert nur, wenn nicht alle mit kaufen/konsumieren/zumüllen beschäftigt sind. Im Verzicht liegt das Wahre, Edle, Gute.
*
Sendungsbewusstsein, Me-yur schenkte Gral ein, ist ja schön und gut, aber ohne Inhalt? Das missverstehst du, sagte Gral, biss ins vegane Laugenbrötchen, roch an der Berliner Weiße mit Schuss und stieß mit ihrer Schwester an. So denken die nicht. Denen reicht das Innehalten. Den Fluss zu stoppen?, sagte Me-yur. Genau, Gral grinste, stellte die Brandenburgischen auf laut, sprang auf, riss die Arme hoch, schnappte sich hüpfend Me-yur und schrie: leben und lieben, bevor alles den Bach runtergeht!
*
Nicht ich erkläre die Welt, die Welt erklärt mich.
*
Kapitalismus: Jeder zählt, nichts zählt; Reiche erzählen, Arme zahlen drauf.
*
Beim Leben hat der Tod extreme Atemschwierigkeiten, beim Tod das Leben extremere.
*
Ob es Chancen gegeben hätte, fragte Karuna, die neu in der Gang war, die Sache abzubiegen? Mit weniger Knallbengbeng und Blutvergießen? Ohne Periodensystem?, fragte Gral, voll wie der Mond, der über ihnen orange tanzte. Karuna lächelte. Im ungewissen Sinne, ja, unmöglicherweise, sagte sie. Der Schein des Trabanten tauchte sie in ein Licht, das die Gang niemals wieder vergessen würde. Etwas würde geschehen, und etwas geschah, und danach war alles so und nicht anders, jedenfalls für eine gewisse Weile.
Februar
Die Lage
Mut verlangte Kraft, die auf der Flucht nicht von Dauer war.
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Was hoffnungsvoll ist, hat Auswirkungen, die dem Niedergeschlagenen auf immer fremd sein dürften.
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Der TÜV ging tadellos durch. Eigentlich eine Überraschung. Sie hatten nichts mehr reingesteckt, nur noch Hoffnung, davon aber reichlich. Eya meinte: zu viel für einen ärmlichen Haufen wie uns, dem die Hoffnung heilig sein sollte, da nichts anderes blieb. Der Glaube sei stärker als die Wahrheit, sagte sie, ob uns das nicht endlich klar sein würde? Ob wir daraus keine Konsequenzen ziehen wollten? Aber das war wiederum keine Überraschung, Eyas Schwarzseherei. Ging es an die Lagebesprechung, und sie trafen sich jeden Dienstag im Hinterzimmer des Clubs, der dem Lodenladenbesitzer irgendwie gehörte, über drei Ecken, hieß es, jeden Dienstag gab's dieselbe Leya, wie Arrant immer raunte, sobald Eya zum ramshackle Fuck-you-Guys-all-of-you-Rundumschlag ausholte, ging es also an die Lagebesprechung, stieg zunächst mal dunkler Rauch aus ihrem perfekten Mund, sie hatte Zähne wie Gold, fette Schwaden traten aus, das Zimmer stank wie Kiffe, bevor, was meistens nach einer halben Stunde passierte, das Stinken und Rond, um zum Punkt zu kommen, bevor Rond, der verspätet durch die Tür stolperte, eine Runde noch viel Grelles schmiss. Dann lächelte Eya, steckte den Taktstock weg, den sie, allen Ernstes, die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, Rond hatte bei ihr Narrenfreiheit, immer schon gehabt, und sagte: Grelles, wie geil, du fieses Miststück, Ro, auf dich ist echt Verlass, anders als die Waschlappen hier. Rond rappelte sich grinsend zusammen, machte seine dünnste Jaggerlippe und sagte zuckersüß: der beste Stoff seit langem, Eyadarling. Wir nickten, tauchten unsere nassen Finger ins Pulver und relaxten, beinahe.
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Im Unbegrenzten sei der Mensch Mensch, sagte Rond.
Eya sagte nichts. Sie drehte sich eine neue.
Arrant sagte, Unsinn, Ro, im Begrenzten, der Sicherheit des Abgegrenzten, sei der Mensch Mensch.
Kapitalistensprech, sagte Rond und rieb den Zeigefinger und den Daumen seiner rechten Hand. Ob`s dir gefällt oder nicht, du argumentierst wie alle anderen, die im Individuum den Konsumenten sehen, der innerhalb bestimmter Grenzen gehalten werden muss, um der Kauf-Mode der jeweiligen Gesellschaft nicht zu entkommen. Sie machen, was ist, obligatorisch, in einem engen Rahmen. Du merkst gar nicht, dass sie dich einsperren, damit du zackig arbeitest und zackig kaufst. Der Profit aus deiner Arbeit geht direkt auf das Konto weniger, und dann konsumierst du auch noch das, was sie dir vorschreiben. Dein Leben ist der letzter Schrei, Arrant, damit du keine Luft in der Röhre zum Widerstand hast.
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Eine Besprechung, im wahrsten Sinne des Wortes. Weder, per se, gut noch schlecht gemeint. Als gäbe es etwas zu heilen oder ein Publikum. Eine Ausgangssituation, die für einige von uns auf das selbe hinausläuft. Was sei, sei der Klang, der trägt, sagten die anderen, die es genauer nahmen, auf der semantischen Ebene versiert waren und es uns wissen ließen. Sie ratterten vor Einordnungs- und Zerteilungskriterien. Die angehnehmsten unter ihnen waren be-, die unangenehmsten entgeistert. Warum? Der Zerfaserung wegen. Alles schien zugleich Kern und Rand zu sein. An der Mitte mangelte es. Am Moderaten, am Aufgeklärten, an der Liebe, die nicht auf ihrem Durchfahrtrecht beharre. Dem Dazwischen sei die Substanz ausgegangen, erläuterten die Teilnehmerinnen der Fachtagung, als die Teilnehmer alle aufs Podium wollten. Kein Mann wollte im Publikum sitzen. Es wäre zum brüllen gewesen, hätten nicht bereits alle gebrüllt. Und wieder ging es um den Klang. Einige der Schreihälse hörten serielle Musik, andere Schlager. Die Mischung veranlasste die Teilnehmerinnen, die Tür zu schlie0en, die, beinahe, schalldicht war. Es passe in unsere Zeit, sagte eine, dass die Concorde zurückkäme. Und Überschallraketen, die Marschflugkörper schultern und in die Herzen unserer Städte tragen könnten.
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Auf den Schreck tranken sie. Träge Gläser, rostbraun, gefüllt mit Prozenten. Sie rechneten zusammen: zu dritt mal dreiundreißig. Glücksnummer. Mehr gäb's eh nie. Seien wir ehrlich. Und dann? Krug ging zur Quelle. Hahn sah in den Fernseher. Beine traten sich. Wo ist der Ball?, fragte Krug. Spielen ohne, sagte Hahn, hinter Lidern, die an Muskelschwäche litten. Man konnte sich unter gar keinen Umständen sicher sein, ob Hahn auf der Höhe der Zeit war. Das mochten die drei. Sie hielten die Unvernunft aus, da ihnen Hahn die Stammtischbank freihielt. Zusammengeschrieben, sagte Krug. Hahn wusste, was er meinte. Füllte drei Gläser, mühelos, elegant und sagte: freihielt. Das war die Situation. Auf dem Schirm wurden zwei Bahren Richtung Spielfeld getragen. Die Menge in der Försterei sang Lieder, die in den Dezember gehörten. Stimmen von überall. Wir stießen an.
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Nur zu sparen, komme dem Verschleudern am nächsten.
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Rond war, beinahe über Nacht, gewachsen. Er war an Arrant, dem Größten der Gruppe, vorbeigeschossen. Arrant schmeckte das nicht, aber Plateuschuhe, die South ins Spiel gebracht hatte, Cool, Alter, hochoch, platod, Alter, higherstand?, kamen für ihn dennoch nicht infrage. Hochnotpeinlich hätte Arrant die Nachhilfe gefunden, und er wusste, dass Eya eh keinen Wert auf körperliche Größenunterschiede legte. Birne, nicht Eier, sagte sie immer, wenn sich Gral, ihre jüngere Schwester, und Me-yur, ihre ältere, über The Hamsters unterhielten, eine Gruppe junger Typen, die neben dem T-Shirt-Laden am Weinbergpark abhingen und den halben Tag ihre Skateboardrollen ölten und Sneaker verhökerten. Gegenüber ist die Bücherei, da findet ihr Material, süße Algebra, Rechenkünstler, total erregend, das Großeeinmaleins, sagte Gral, die ihre Schwester perfekt nachahmen konnte, und Me-your ergänzte: Deathnitiv Zweimalkeins! Eya lachte und drehte sich einen Joint, der wenig später die Runde machte. Geiles Zeugs, sagte Arrant, der auf Stinkens Luftmatratze lag und in einem Katalog für Bodybuilder blätterte.
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Jede Lüge hinterlässt eine Duftnote, die haftenbleibt.
*
Der Anspruch, warum räumt denn da niemand mal richtig auf, funktioniert nur, wenn nicht alle mit kaufen/konsumieren/zumüllen beschäftigt sind. Im Verzicht liegt das Wahre, Edle, Gute.
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Sendungsbewusstsein, Me-yur schenkte Gral ein, ist ja schön und gut, aber ohne Inhalt? Das missverstehst du, sagte Gral, biss ins vegane Laugenbrötchen, roch an der Berliner Weiße mit Schuss und stieß mit ihrer Schwester an. So denken die nicht. Denen reicht das Innehalten. Den Fluss zu stoppen?, sagte Me-yur. Genau, Gral grinste, stellte die Brandenburgischen auf laut, sprang auf, riss die Arme hoch, schnappte sich hüpfend Me-yur und schrie: leben und lieben, bevor alles den Bach runtergeht!
*
Nicht ich erkläre die Welt, die Welt erklärt mich.
*
Kapitalismus: Jeder zählt, nichts zählt; Reiche erzählen, Arme zahlen drauf.
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Beim Leben hat der Tod extreme Atemschwierigkeiten, beim Tod das Leben extremere.
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Ob es Chancen gegeben hätte, fragte Karuna, die neu in der Gang war, die Sache abzubiegen? Mit weniger Knallbengbeng und Blutvergießen? Ohne Periodensystem?, fragte Gral, voll wie der Mond, der über ihnen orange tanzte. Karuna lächelte. Im ungewissen Sinne, ja, unmöglicherweise, sagte sie. Der Schein des Trabanten tauchte sie in ein Licht, das die Gang niemals wieder vergessen würde. Etwas würde geschehen, und etwas geschah, und danach war alles so und nicht anders, jedenfalls für eine gewisse Weile.