Über Wahrhaftigkeit
Das Gedicht, wie hitler, welches dieser kurzen Einleitung folgt, habe ich geschrieben, bevor die Dresdner Polizei einen Mitbewohner Bahrays als Totschläger, nach langen Verhören, präsentiert hat. Ein Streit über Haushaltsführung soll eskaliert sein, der Mann, auch aus Eritrea, habe Bahray durch Messerstiche in den Hals getötet. Er sei geständig. Trotz der Stichverletzungen waren Polizei und Staatsanwaltschaft zunächst nicht von einem Tötungsdelikt ausgegangen, wollten vor Ort keine Spuren eines Gewaltverbrechens entdeckt haben. Der Asylbewerber sei wohl vom Balkon gefallen, habe sich das Schlüsselbein gebrochen. Die Polizei hat später zwar Ermittlungsfehler eingeräumt, allerdings vehement bestritten, auf dem rechten Auge blind zu sein.
Wie falsch habe ich mit dem Gedicht gelegen? Eklatant falsch? Gut gemeint falsch? Lächerlich falsch?
Die Lächerlichkeit wird in der Spaßkultur gerne als Messlatte allen Glotzens und Verschlingens angelegt. Habe ich mich auf immerfort lächerlich gemacht? Besonders mit der Wortschöpfung fremdenhasseinwirkung die Grenze zum Agitprop überschritten? Habe ich die Polizei verunglimpft und mich zu weit aus dem Fester gelehnt?
Ja. Und nein. Denn hinter den Fragen, die ich mir natürlich auch stelle, steht eine ganz grundsätzliche:
Darf Poesie politisch sein?
Und wenn die Antwort ja lautet, darf ein Dichter über die Stränge schlagen, mahnend seine Angst artikulieren, seine Sorgen (mit)teilen, seinen Unmut äußern? Darf der Poet also, und darauf kommt es mir an, ein politischer Mensch sein, der sich, wie alle anderen, auch mal irrt?
Dass es in Dresden Fremdenfeindlichkeit gibt, dass verblendete Pegida-Neonazis zu Zehntausenden durch die Straßen ziehen und Mitbürger mit fremden Wurzeln Teile der Stadt als No-go-Area meiden, ihre Kinder an Montagen lieber nicht zur Schule schicken, sollten mögliche Leserinnen und Leser des Gedichts zukünftig nicht vergessen.
Der Jahresbeginn 2015 war für mich ein Schock, ein extremer Schock. Solch ein Ausmaß an Fremdenhass und Dummheit, im Osten wie im Westen, habe ich nicht für möglich gehalten. Ich bin, bis jetzt, auf jede Anti-Pegida-Demonstration in Berlin, meiner Heimatstadt, gegangen. Klar, dieses Entsetzen taucht in meinen Texten auf. Auch wenn das lyrische Ich selbstverständlich nicht mit mir als Person gleichzusetzen ist. Ein Gedicht muss für sich alleine Bestand haben und, was wunderbar wäre, vielleicht sogar in den poetischen Zeitläuften bestehen. Wenn es nur den Autor repäsentiert, ist ein Gedicht nicht mehr als ein juckender Blinddarm.
Glauben Sie mir bitte: ich habe moralisch mit mir gezetert und geflucht, mich einen vorschnellen Dummkopf genannt, selbst kurz wie hitler von der Website genommen. Aber ich glaube, dass der Text mein Straucheln und Hadern nicht verdient. Ich denke, dass er für sich selbst spricht. Das Gedicht ist, was es ist. Ohne mich.
Berlin, 24. Januar 2015
Wer mehr über den Mordfall wissen will, findet bei Wikipedia einen Artikel.
Das Gedicht, wie hitler, welches dieser kurzen Einleitung folgt, habe ich geschrieben, bevor die Dresdner Polizei einen Mitbewohner Bahrays als Totschläger, nach langen Verhören, präsentiert hat. Ein Streit über Haushaltsführung soll eskaliert sein, der Mann, auch aus Eritrea, habe Bahray durch Messerstiche in den Hals getötet. Er sei geständig. Trotz der Stichverletzungen waren Polizei und Staatsanwaltschaft zunächst nicht von einem Tötungsdelikt ausgegangen, wollten vor Ort keine Spuren eines Gewaltverbrechens entdeckt haben. Der Asylbewerber sei wohl vom Balkon gefallen, habe sich das Schlüsselbein gebrochen. Die Polizei hat später zwar Ermittlungsfehler eingeräumt, allerdings vehement bestritten, auf dem rechten Auge blind zu sein.
Wie falsch habe ich mit dem Gedicht gelegen? Eklatant falsch? Gut gemeint falsch? Lächerlich falsch?
Die Lächerlichkeit wird in der Spaßkultur gerne als Messlatte allen Glotzens und Verschlingens angelegt. Habe ich mich auf immerfort lächerlich gemacht? Besonders mit der Wortschöpfung fremdenhasseinwirkung die Grenze zum Agitprop überschritten? Habe ich die Polizei verunglimpft und mich zu weit aus dem Fester gelehnt?
Ja. Und nein. Denn hinter den Fragen, die ich mir natürlich auch stelle, steht eine ganz grundsätzliche:
Darf Poesie politisch sein?
Und wenn die Antwort ja lautet, darf ein Dichter über die Stränge schlagen, mahnend seine Angst artikulieren, seine Sorgen (mit)teilen, seinen Unmut äußern? Darf der Poet also, und darauf kommt es mir an, ein politischer Mensch sein, der sich, wie alle anderen, auch mal irrt?
Dass es in Dresden Fremdenfeindlichkeit gibt, dass verblendete Pegida-Neonazis zu Zehntausenden durch die Straßen ziehen und Mitbürger mit fremden Wurzeln Teile der Stadt als No-go-Area meiden, ihre Kinder an Montagen lieber nicht zur Schule schicken, sollten mögliche Leserinnen und Leser des Gedichts zukünftig nicht vergessen.
Der Jahresbeginn 2015 war für mich ein Schock, ein extremer Schock. Solch ein Ausmaß an Fremdenhass und Dummheit, im Osten wie im Westen, habe ich nicht für möglich gehalten. Ich bin, bis jetzt, auf jede Anti-Pegida-Demonstration in Berlin, meiner Heimatstadt, gegangen. Klar, dieses Entsetzen taucht in meinen Texten auf. Auch wenn das lyrische Ich selbstverständlich nicht mit mir als Person gleichzusetzen ist. Ein Gedicht muss für sich alleine Bestand haben und, was wunderbar wäre, vielleicht sogar in den poetischen Zeitläuften bestehen. Wenn es nur den Autor repäsentiert, ist ein Gedicht nicht mehr als ein juckender Blinddarm.
Glauben Sie mir bitte: ich habe moralisch mit mir gezetert und geflucht, mich einen vorschnellen Dummkopf genannt, selbst kurz wie hitler von der Website genommen. Aber ich glaube, dass der Text mein Straucheln und Hadern nicht verdient. Ich denke, dass er für sich selbst spricht. Das Gedicht ist, was es ist. Ohne mich.
Berlin, 24. Januar 2015
Wer mehr über den Mordfall wissen will, findet bei Wikipedia einen Artikel.
verdorbene trauben am aufgang der nacht
der nacht über enttäuschland in sachsen
kalt und alt und furchterregende augen
blicke die töten wenn sie könnten und
sie können sie stechen sie schauen fort
in leubnitz-neuostra in sachen mord und tot
schlag im neuen osten der alt ist so alt
vor ort gingen beamte von einem sturz aus
blut am hals blut an der schulter sprächen
für einen offenen schlüsselbeinbruch
eine fremdenhasseinwirkung stellten sie
nicht fest auf eine spurensicherung ver
zichteten sie die messerstiche in hals
und oberkörper bemerkten sie lieber nicht
verdorbene trauben am aufgang der nacht
der nacht über enttäuschland in sachsen
hakenkreuzschmierereien im treppenhaus
tritte gegen die tür die beamten sehen nichts
nichts hören hunderte nachbarn nichts
in leubnitz-neuostra in sachen mord und tot
schlag im neuen osten der alt ist so alt
0
0
wie hitler. 1.15
(aus der serie: der mordfall khaled idris bahray aus eritrea)
der nacht über enttäuschland in sachsen
kalt und alt und furchterregende augen
blicke die töten wenn sie könnten und
sie können sie stechen sie schauen fort
in leubnitz-neuostra in sachen mord und tot
schlag im neuen osten der alt ist so alt
vor ort gingen beamte von einem sturz aus
blut am hals blut an der schulter sprächen
für einen offenen schlüsselbeinbruch
eine fremdenhasseinwirkung stellten sie
nicht fest auf eine spurensicherung ver
zichteten sie die messerstiche in hals
und oberkörper bemerkten sie lieber nicht
verdorbene trauben am aufgang der nacht
der nacht über enttäuschland in sachsen
hakenkreuzschmierereien im treppenhaus
tritte gegen die tür die beamten sehen nichts
nichts hören hunderte nachbarn nichts
in leubnitz-neuostra in sachen mord und tot
schlag im neuen osten der alt ist so alt
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wie hitler. 1.15
(aus der serie: der mordfall khaled idris bahray aus eritrea)